report - Copa-Cogeca
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MTA<br />
Arbeitgebergruppe<br />
der landwirtschaftlichen Berufsverbände der EU<br />
Die berufliche Weiterbildung der<br />
landwirtschaftlichen Arbeitnehmer in der<br />
Europäischen Union<br />
Ersatz für mangelnde Erstausbildung – Gelegenheit, Kompetenzen<br />
fortzuentwickeln – Notwendigkeit, um die Mobilität der Arbeitnehmer<br />
zu fördern<br />
BERICHT<br />
des zweiten Geopa-<strong>Copa</strong> -Seminars über die Umsetzung der<br />
EUROPÄISCHEN VEREINBARUNG VOM<br />
5. DEZEMBER 2002<br />
ÜBER DIE BERUFLICHE BILDUNG IN<br />
DER LANDWIRTSCHAFT<br />
Hämeenlinna (FI), 28. September – 2. Oktober 2011<br />
Mit Unterstützung der EU-Kommission –<br />
GD Beschäftigung, Soziales und Integration
MTA<br />
Maaseudun Työnantajaliitto<br />
EA(11)9196 :6<br />
Arbeitgebergruppe<br />
der landwirtschaftlichen Berufsverbände der EU<br />
VS/2011/0131<br />
Die berufliche Weiterbildung der landwirtschaftlichen<br />
Arbeitnehmer in der Europäischen Union<br />
Ersatz für mangelnde Erstausbildung – Gelegenheit, Kompetenzen fortzuentwickeln –<br />
Notwendigkeit, um die Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern<br />
BERICHT<br />
des zweiten Geopa-<strong>Copa</strong> -Seminars über die Umsetzung der<br />
EUROPÄISCHEN VEREINBARUNG VOM 5. DEZEMBER 2002<br />
ÜBER DIE BERUFLICHE BILDUNG IN DER LANDWIRTSCHAFT<br />
Hämeenlinna (FI), 28. September – 2. Oktober 2011<br />
Mit Unterstützung der EU-Kommission – GD Beschäftigung, Soziales und Integration<br />
Geopa-<strong>Copa</strong>, rue de Trèves 61, B - 1040 BRÜSSEL, Tel.: (+32 2) 287 27 11
Diese Veröffentlichung bindet nur den Urheber. Die EU-Kommission haftet nicht für eine<br />
etwaige weitere Nutzung der darin enthaltenen Informationen.<br />
Geopa-<strong>Copa</strong> und EFFAT haben am 5. Dezember 2002 die Europäische Vereinbarung über die<br />
berufliche Bildung in der Landwirtschaft unterzeichnet. Diese Vereinbarung sollte den nationalen<br />
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden des Agrarsektors, den Behörden der Mitgliedstaaten und<br />
der EU-Kommission eine Reihe von Initiativen in Bezug auf die berufliche Weiterbildung der<br />
landwirtschaftlichen Arbeitnehmer vorschlagen.<br />
Ein erstes Geopa-<strong>Copa</strong>-Seminar über die Umsetzung dieser Vereinbarung hat im September 2004<br />
in LISSABON stattgefunden.<br />
Das zweite Geopa-<strong>Copa</strong>-Seminar zu diesem Thema wurde nun vom 28. September bis 1. Oktober<br />
2011 vom landwirtschaftlichen Arbeitgeberverband Finnlands – MTA (Maaseudun Työnantajaliitto)<br />
– in HÄMEENLINNA (Finnland) organisiert.<br />
Dieses Seminar, das dank der Unterstützung der EU-Kommission stattfinden konnte, brachte 68<br />
Vertreter der nationalen Arbeitgeberverbände des Agrarsektors – allesamt Geopa-<strong>Copa</strong>-Mitglieder –<br />
aus 20 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie drei außenstehende Referenten zusammen.<br />
Der 28. und 29. September standen ganz im Zeichen der Fachtagungen, während der 30. September<br />
der Besichtigung zweier Berufsbildungszentren und zweier landwirtschaftlicher Betriebe<br />
vorbehalten war.<br />
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Eröffnung des Seminars – Herr Bernard LEVACHER, Präsident von Geopa-<strong>Copa</strong><br />
Willkommensansprache von Herrn Kimmo HOVI, Präsident von MTA<br />
Rede von Herrn Pekka PESONEN, Generalsekretär von <strong>Copa</strong>-<strong>Cogeca</strong><br />
Rede von Herrn Arnd SPAHN, Sekretär von EFFAT<br />
DAS PROJEKT AGRIPASS UND DIE ZUSAMMENARBEIT MIT ESCO<br />
KURZBERICHT: DER AKTUELLE STAND IN DEN MITGLIEDSTAATEN<br />
Bildungsmaßnahmen auf Initiative des Arbeitgebers<br />
Bildungsmaßnahmen auf Initiative des Arbeitnehmers<br />
Die Finanzierung der Weiterbildung<br />
Die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse<br />
SECHS FALLBEISPIELE BEWÄHRTER PRAKTIKEN<br />
Der „Geflügelpass“ im Vereinigten Königreich<br />
Die Bildungsberater in den Niederlanden<br />
Die Umschulung der Landwirte in Belgien<br />
Der Zugang der Arbeitsuchenden zu landwirtschaftlichen Berufen in Frankreich<br />
Die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse in Finnland (siehe Kurzbericht)<br />
Die Finanzierung der Weiterbildung in Frankreich (siehe Kurzbericht)<br />
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Herr Bernard LEVACHER, Präsident von Geopa-<strong>Copa</strong>, eröffnet das Seminar mit Dankesworten an<br />
die finnischen Kollegen, die sich bereit erklärten, dieses Treffen in Hämeenlinna zu organisieren. Er<br />
begrüßt insbesondere Herrn Veli-Matti REKOLA, Mitglied des Geopa-<strong>Copa</strong>-Vorstands, der bereits<br />
seit mehreren Jahren nach Finnland eingeladen hatte.<br />
Herr LEVACHER präsentiert das dreitägige Seminarprogramm und regt sämtliche Vertreter zur<br />
Teilnahme am Informationsaustausch über die Organisation der beruflichen Bildung in den<br />
einzelnen Ländern an. Die Aus- und Weiterbildung der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer ist<br />
ausschlaggebender Faktor für die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Unternehmen. Der<br />
europäische Agrarsektor ist immer stärker auf qualifizierte Kräfte angewiesen.<br />
WILLKOMMENSANSPRACHE VON HERRN KIMMO HOVI<br />
Herr Kimmo HOVI, Präsident von MTA, heißt alle Teilnehmer zum finnischen Herbst willkommen<br />
und erklärt: In Finnland beträgt der Temperaturunterschied zwischen Sommer und Winter rund 60°.<br />
Die finnische Landwirtschaft ist die nördlichste in ganz Europa. Sie ist geprägt von Forstwirtschaft<br />
und Pelztierzucht, umfasst aber auch eine Getreideproduktion, die trotz schwacher Erträge den<br />
Bedarf des Landes übersteigt. Herr HOVI selbst bewirtschaftet 320 Hektar sowie ein wenig Wald.<br />
2011 lagen die Erträge pro Hektar bei 2,4 Tonnen für Raps und 3 bis 4 Tonnen für Gerste. Rund 90 %<br />
der Betriebe sind Familienbetriebe, doch ihre Anzahl ist rückläufig. Die Höfe werden größer und<br />
spezialisieren sich – daher auch der gesteigerte Bedarf an landwirtschaftlichen Arbeitnehmern.<br />
Finnland verfügt über eine lange Tradition, was die Tarifverhandlungen anbelangt. Der<br />
landwirtschaftliche Arbeitgeberverband MTA wurde 1945 gegründet und hat 1946 seinen ersten<br />
Tarifvertrag unterzeichnet. Die Tarifverträge sind für alle Arbeitgeber verbindlich – auch für<br />
diejenigen, die dem Verband nicht angeschlossen sind. Die Tarifverträge der Landwirtschaft, des<br />
Gartenbaus, der Forstwirtschaft und der angebundenen Industrien organisieren insbesondere die<br />
saisonbedingte Anpassung der Arbeitszeiten. Die Überarbeitung der europäischen<br />
Arbeitszeitrichtlinie dürfte wohl Auswirkungen auf diese Organisation haben.<br />
Bei HÄMEENLINNA handelt es sich übrigens um die Geburtsstadt des finnischen Komponisten<br />
SIBELIUS, was die Einheimischen durchaus mit Stolz erfüllt.<br />
Auch Herr Veli-Matti REKOLA lässt es sich nicht nehmen, die anwesenden Teilnehmer in der Stadt<br />
willkommen zu heißen, in deren Nähe er lebt. Er schlägt vor, zum Einstieg ins Seminar das<br />
musikalische Intermezzo eines Pianisten und einer Sängerin anzuhören, die Werke von SIBELIUS<br />
interpretieren.<br />
(Die nachfolgend wiedergegebenen Reden der Herren PESONEN und SPAHN wurden am zweiten<br />
Seminartag gehalten.)<br />
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REDE VON HERRN PEKKA PESONEN<br />
Herr Pekka PESONEN, Generalsekretär von <strong>Copa</strong>-<strong>Cogeca</strong>, heißt die Seminarteilnehmer seinerseits<br />
in Finnland und insbesondere in dieser Stadt, die ihm sehr am Herzen liegt, willkommen.<br />
Er führt aus: Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) muss der europäischen Landwirtschaft einen<br />
nachhaltigen Rahmen bieten in Zeiten, in denen die weltweite Nachfrage nach Lebensmitteln steigt<br />
und die Produktionskapazitäten sinken – insbesondere aufgrund des Klimawandels. Jetzt kommt es<br />
darauf an, die Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft zu verbessern und Ernährungssicherheit zu<br />
garantieren.<br />
Darüber hinaus muss die Landwirtschaft für eine bessere Umwelt sorgen. Die Vorschläge der<br />
EU-Kommission zur Fortentwicklung der GAP legen mit der zweiten Säule verstärkt Nachdruck auf<br />
dieses Element. Nicht hinnehmbar ist jedoch, dass unter diesem Vorwand die Rentabilität der<br />
landwirtschaftlichen Betriebe untergraben wird, indem beispielsweise die Produktion auf 7 % der<br />
Flächen eingestellt werden soll bzw. den Landwirten administrative Hürden auferlegt werden. Dies<br />
wird junge Menschen nicht dazu anregen, sich in der Landwirtschaft niederzulassen und in diesen<br />
Sektor zu investieren.<br />
Nichtsdestotrotz hat die Kommission gute Vorschläge ausgearbeitet, beispielsweise was die<br />
Änderung der Referenzen für Direktzahlungen, die Schaffung eines Soforthilfefonds und die<br />
Sicherung der Lebensmittelkette angeht. Ein direkter Bezug zwischen den Direktzahlungen und der<br />
Aufrechterhaltung von Beschäftigung ist hingegen inakzeptabel.<br />
Die GAP ist die einzige gemeinsame Politik, die Europa aufgebaut hat. <strong>Copa</strong>-<strong>Cogeca</strong> zufolge muss sie<br />
den Landwirten die Möglichkeit bieten, vor dem Hintergrund der aktuellen ökonomischen<br />
Turbulenzen zum Wohlstand der Europäischen Union und ihrer Bürger beizutragen.<br />
Präsident LEVACHER dankt dem Generalsekretär von <strong>Copa</strong>-<strong>Cogeca</strong> für seine Rede vor den Geopa-<br />
<strong>Copa</strong>-Mitgliedern und unterstreicht: Die Landwirtschaft kann durchaus Arbeitsplätze für<br />
Arbeitnehmer schaffen. <strong>Copa</strong> muss sich jedoch auch der sozialen Probleme landwirtschaftlicher<br />
Betriebsleiter annehmen – insbesondere was die Renten der Ruheständler und Ersatzeinkünfte der<br />
Landwirte angeht, die den Auswirkungen der Krise und Umstrukturierungen zum Opfer gefallen<br />
sind.<br />
Frau Tania PAGANO (Italien) erklärt: Geopa-<strong>Copa</strong> muss das Gefühl haben, <strong>Copa</strong> anzugehören. Die<br />
Landwirtschaft kann Arbeitsplätze schaffen, und es kommt darauf an, dass <strong>Copa</strong> dem auch<br />
Rechnung trägt. Die Reform der GAP birgt ihrer Meinung nach das Risiko, Einkommenseinbußen für<br />
die italienischen Landwirte nach sich zu ziehen.<br />
Frau Danuta KOZUSZNIK (Polen) gibt zu bedenken, dass Polen seit seinem EU-Beitritt im Jahr 2004<br />
zahlreiche strukturelle Veränderungen durchlebt hat. Was die Umsetzung der GAP anbelangt,<br />
müssten alte und neue Mitgliedstaaten der Europäischen Union künftig gleichgestellt werden.<br />
Herr Chris BOTTERMAN (Belgien) ist der Überzeugung, dass trotz Wirtschaftskrise in die<br />
Landwirtschaft investiert werden muss, dass es aber auch das zu schützen gilt, was in Europa<br />
produziert wird, indem der Verbraucher über die Herkunft der ihm angebotenen Lebensmittel<br />
4 | 22
aufgeklärt wird. In Europa sind die Lohnkosten höher als sonst wo auf der Welt, was insbesondere<br />
auf die europäischen Regelwerke – beispielsweise in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit –<br />
zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang müsste eine erneute Erhebung über die Lohnkosten<br />
in den Mitgliedstaaten durchgeführt werden.<br />
Frau Jovita MOTIEJUNIENE (Litauen) bekräftigt die Aussage, dass die neuen Mitgliedstaaten den<br />
alten auf Augenhöhe begegnen möchten. Dies ist jedoch noch nicht immer der Fall – daher auch die<br />
Frage, welche spezifischen Maßnahmen in Betracht gezogen werden, um die noch nicht<br />
konkurrenzfähigen neuen Mitgliedstaaten zu fördern.<br />
Herr Veli-Matti REKOLA (Finnland) stellt fest, dass die laufenden strukturellen Veränderungen<br />
einerseits eine Verringerung der Anzahl Betriebe nach sich ziehen, andererseits aber auch eine<br />
Vergrößerung der verbleibenden Höfe, die wiederum Arbeitsplätze schaffen. Für <strong>Copa</strong> dürfte die<br />
Frage der Beschäftigung dementsprechend wichtig werden.<br />
Herr Pekka PESONEN hält fest, dass die Reform der GAP eine Minderung des Agrarhaushalts und<br />
somit auch eine Kürzung der Beihilfen mit sich bringt. Es dürfte für alle schwierig werden, auch für<br />
die neuen Mitgliedstaaten, und Verlierer wird es definitiv geben – kein Anlass zur Zufriedenheit für<br />
die Grundbesitzer.<br />
Die Landwirte müssen ihr Einkommen auf den Märkten erwirtschaften. Derzeit investieren jedoch<br />
nur Brasilien und die USA in den Agrarsektor. Das Ziel der EU muss also darin bestehen, die<br />
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Betriebe zu verbessern – hier bietet sich durchaus Raum<br />
für Fortschritte. Die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus anderen Ländern muss an die<br />
Einhaltung der europäischen Normen geknüpft sein.<br />
Hervorzuheben ist ferner die Bedeutung der Landwirtschaft für den Erhalt und die Schaffung von<br />
Arbeitsplätzen. Die Landwirtschaft und die angegliederten Branchen der Lebensmittelkette<br />
beschäftigen Arbeitskräfte in ländlichen Gebieten, wo es keine anderen Stellen gibt. Die Lohnkosten<br />
lasten jedoch immer schwerer auf der Konkurrenzfähigkeit der europäischen Betriebe.<br />
Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass die Kommissionsvorschläge eine gute Grundlage für weitere,<br />
notwendige Verhandlungen darstellen.<br />
REDE VON HERRN ARND SPAHN<br />
Herr Arnd SPAHN, Sekretär von EFFAT, stellt den Standpunkt der landwirtschaftlichen<br />
Arbeitnehmerverbände in Bezug auf die Umsetzung der Europäischen Vereinbarung über die<br />
berufliche Bildung aus dem Jahr 2002 dar.<br />
Der Begriff „Weiterbildung“ deckt in seinen Augen zwei Aspekte ab:<br />
- die berufliche Fortbildung als Ergänzung der Erstausbildung, die in direktem Bezug zur<br />
Ausübung des eigenen Berufs steht – diese Art von Bildung ist von den Arbeitgebern bzw. von<br />
Fonds zu finanzieren, in die diese einzahlen<br />
- die berufliche Fortbildung als Maßnahme, die außerhalb des beruflichen Tätigkeitsfeldes<br />
angesiedelt ist : politische, soziale, sprachliche, … Bildung – diese kann von den Arbeitnehmern<br />
selbst bzw. vom Staat oder von sonstigen Institutionen finanziert werden<br />
Die berufliche Bildung in der Landwirtschaft ist sehr unterschiedlich in den 27 Mitgliedstaaten<br />
organisiert. Die nationalen Akteure – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – haben diesbezüglich auch<br />
5 | 22
grundverschiedene Erwartungen. Weist die Erstausbildung Mängel auf, steigt die Nachfrage nach<br />
Fortbildung. Ist die Erstausbildung umfassend, wird berufliche Weiterbildung mitunter als<br />
überflüssig empfunden.<br />
Fortan ist ferner der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der landwirtschaftliche<br />
Beschäftigungsmarkt immer grenzüberschreitender wird. Die Arbeitskräfte kommen aus diversen<br />
Ländern, und die Arbeitgeber müssen sich über ihre Qualifikationen und Kompetenzen informieren<br />
können. Mit AGRIPASS wird versucht, diese Schwierigkeit zu überwinden. Ein Verzeichnis der<br />
agrarischen Berufe ist zu erstellen – 32 Schlüsselberufe wurden bereits aufgelistet – und die zur<br />
Ausübung dieser Berufe erforderlichen Fähigkeiten gilt es zu beschreiben. Die Besonderheiten der<br />
landwirtschaftlichen Berufe sind sehr vielfältig. So muss beispielsweise ein guter Schweinehalter<br />
über Kenntnisse in den Bereichen Tiergesundheit und Pflege verfügen, um eine Auslagerung dieses<br />
Teils der Zuchttätigkeit zu vermeiden. Ein Kuhhirt muss sich nicht nur um die Tiere kümmern,<br />
sondern ebenfalls Weizen und Raps anbauen können. Diese Polyvalenz der landwirtschaftlichen<br />
Beschäftigung stellt eine Schwierigkeit für die Umsetzung des Projekts AGRIPASS dar, was die<br />
Dienststellen der EU-Kommission jedoch nur schwer nachvollziehen können. Gratulieren muss man<br />
an dieser Stelle LANTRA für die beträchtliche Arbeit, die geleistet wurde, um angemessene<br />
Lösungen für den Agrarsektor zu finden.<br />
Vernachlässigt werden darf auch nicht die berufliche Erstausbildung, die den Grundstein für den<br />
beruflichen Werdegang der Arbeitskräfte legt und für ihr Weiterkommen unabdingbar ist. Von den<br />
Mitgliedstaaten muss verlangt werden, dass sie die Erstausbildung auf die Kompetenzen ausrichten,<br />
die in 5 oder 10 Jahren gefragt sein werden.<br />
Geopa-<strong>Copa</strong> und EFFAT müssen ihre Bestrebungen bündeln, sodass all diese Fragen auf<br />
europäischer Ebene angegangen werden. Es müssten europäische Mittel für die Einstellung einer<br />
Person freigesetzt werden, die im Dienste beider Organisationen und in ihrem Namen die<br />
Bildungsangebote der 27 Mitgliedstaaten erkundet, Lücken erkennt und Lösungsansätze vorschlägt.<br />
Abschließend dankt Herr SPAHN Herrn LEVACHER für seinen langjährigen Einsatz im Dienste Geopa-<br />
<strong>Copa</strong>s und des sozialen Dialogs auf europäischer Ebene. Er wünscht ihm alles Gute für einen<br />
aktiven, aber stressfreien Ruhestand.<br />
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DAS PROJEKT AGRIPASS UND DIE ZUSAMMENARBEIT MIT ESCO<br />
Herr Martin LE VRANG, Einheit „Arbeitsverwaltung“ der GD Beschäftigung, Soziales und<br />
Integration, präsentiert das Projekt ESCO der EU-Kommission. Er weist darauf hin, dass seine<br />
Einheit die Koordinierung zwischen den nationalen öffentlichen Arbeitsvermittlungsstellen<br />
gewährleistet. Bei EURES handelt es sich um eine Plattform für den Austausch von Informationen<br />
über Stellenangebote und -gesuche, Lebensläufe (CV) sowie Studien und diverse Bildungsangebote.<br />
Im Rahmen der Strategie 2020 der Europäischen Union hat die EU-Kommission beschlossen, eine<br />
mehrsprachige europäische Klassifizierung (Taxonomie) der Kompetenzen und Fähigkeiten, der<br />
Berufe und Qualifikationen zu schaffen. Die Qualifikationen (Zertifizierungen) sollen hier an<br />
Ergebnissen, d.h. an erworbenen Kompetenzen, festgemacht werden.<br />
ESCO umfasst vier Ebenen:<br />
- Der Verwaltungsrat setzt sich zusammen aus 2 Vertretern der Kommission, 3 Vertretern<br />
der nationalen Arbeitsvermittlungsstellen, 3 Vertretern der Berufsbildungszentren, 2 Arbeitgeberund<br />
2 Arbeitnehmervertretern sowie 4 Beobachtern – darunter auch CEDEFOP. Die erste Sitzung<br />
des Rates hat im Februar 2011 stattgefunden, die dritte ist für den 28. Oktober angesetzt.<br />
- Das Sekretariat ist damit beauftragt, die strategischen Vorgaben des Verwaltungsrats zu<br />
konkretisieren und setzt sich zusammen aus Vertretern der GD Beschäftigung und der GD Bildung<br />
und Kultur.<br />
- Der Expertenausschuss wird im November zusammentreten. Bei einem seiner Mitglieder<br />
handelt es sich um Seminarteilnehmer Tony BIRD.<br />
- 30 Referenzgruppen decken diverse Bereiche ab. Die Gruppe Landwirtschaft-<br />
Forstwirtschaft-Fischerei ist eine der ersten, die noch in diesem Jahr tagen wird. Die Landwirtschaft,<br />
die von starker Mobilität und Arbeitskräftemangel geprägt ist, hat ihre Arbeit bereits mit dem<br />
Projekt AGRIPASS aufgenommen.<br />
ESCO soll nun zur gemeinsamen Sprache der europäischen Interoperabilität zwischen einzelnen<br />
Berufssparten, Unterricht und Beschäftigung sowie Bildung und Rückkehr in den Job werden. Die<br />
europäische Klassifizierung kann Arbeitsuchende dabei unterstützen, beim Verfassen ihres<br />
Lebenslaufs die eigenen Kompetenzen zu schildern, sowie Arbeitgebern helfen, bei der<br />
Ausschreibung einer Stelle über öffentliche und private Kanäle die für den Job erforderlichen<br />
Kompetenzen und Fähigkeiten zu definieren. Ziel und Zweck dieser Übung ist aber keine<br />
Harmonisierung der nationalen Klassifizierungen, diese können vollständiger und detaillierter<br />
bleiben. Derzeit verfügt ESCO bereits über die Bezeichnung von 5000 Stellen und 6000<br />
Kompetenzen in 22 Sprachen. Die europäische Klassifizierung soll bis 2017 abgeschlossen sein.<br />
In der nachfolgenden Diskussion erinnert Herr FIDDAMAN daran, dass das Instrument AGRIPASS im<br />
Vereinigten Königreich bereits eingesetzt wurde. Er zeigt sich frustriert angesichts der Trägheit, mit<br />
der Projekte auf europäischer Ebene voranschreiten. Herr LE VRANG erwidert daraufhin, dass es<br />
sich einerseits um ein langfristiges Projekt handelt, Zwischenergebnisse andererseits jedoch weit<br />
vor 2017 genutzt werden können.<br />
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Herr Tony BIRD, Vertreter von LANTRA (UK), erklärt, dass die Rolle seiner Organisation darin<br />
besteht, die Einstellung von Arbeitskräften in landwirtschaftlichen Berufszweigen sowie die<br />
Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb des Vereinigten Königreichs zu erleichtern. Seine Aufgabe<br />
lautet zudem, die Kompetenzen der Arbeitnehmer und ihre etwaigen Unzulänglichkeiten<br />
festzustellen, um ihnen dann adäquate Lehrgänge zu empfehlen. Darüber hinaus geht es<br />
gegebenenfalls auch darum, diese Kompetenzen mit den Kompetenzen abzugleichen, die aufgrund<br />
gesetzlicher Regelungen bzw. kundenspezifischer Erwartungen für bestimmte Stellen erforderlich<br />
sind.<br />
Herr BIRD ruft den Seminarteilnehmern die Geschichte des Projekts AGRIPASS ins Gedächtnis:<br />
- Mai 2007: Geopa-<strong>Copa</strong> und EFFAT verabschieden den Beschluss, AGRIPASS zu schaffen<br />
- Oktober 2007: nachdem ein System in Papierformat in Erwägung gezogen wurde, entscheidet<br />
man sich für ein internetbasiertes Instrument<br />
- Januar 2008: LANTRA demonstriert dem sektoralen paritätischen Ausschuss die Verknüpfung<br />
der Stellengesuche und -angebote im Internet<br />
- Oktober 2008: LANTRA erstellt ein Verzeichnis der landwirtschaftlichen Berufe<br />
- Oktober 2009: erste Kontakte mit EURES<br />
- März 2010: LANTRA stellt das britische AGRIPASS-System anlässlich einer ESCO-Konferenz vor,<br />
um nachzuweisen, dass man bereits einsatzfähig sein könnte<br />
- Dezember 2010: EFFAT veröffentlicht einen Bericht über die mögliche Nutzung von AGRIPASS<br />
in der Schweinezucht, geht jedoch paradoxerweise nicht auf das Konzept des Internetauftritts<br />
ein<br />
- 2011: AGRIPASS wird im Vereinigten Königreich genutzt, um einen Pass für die Geflügelzucht<br />
zu schaffen – System, das James POTTER im späteren Verlauf des Seminars vorstellt<br />
AGRIPASS kann dank folgender Elemente zur Einstellung von Wanderarbeitnehmern dienen:<br />
- Veröffentlichung der freien Stellen und erforderlichen Kompetenzen im Internet<br />
- Veröffentlichung der Lebensläufe und erworbenen Kompetenzen im Internet<br />
- Abgleich und Verknüpfung kompatibler Jobangebote und -gesuche<br />
Mehr als 70 % der europäischen Bürger verfügen heute über einen Internetzugang – ungeachtet<br />
derer, die ein entsprechend ausgerüstetes Mobiltelefon besitzen. Es ist also nur bedauerlich, dass<br />
es die europäischen Behörden versäumt haben, das Projekt rascher voranzutreiben.<br />
In der nachfolgenden Debatte erkundigt sich Herr VAN DER GRIND (NL) nach möglichen<br />
Schnittstellen zwischen den nationalen Arbeitsvermittlungsstellen und EURES. Die Herren BIRD und<br />
LE VRANG präzisieren, dass ESCO einen gemeinsamen Nenner darstellen wird, um Stellen und<br />
Kompetenzen zu beschreiben. AGRIPASS ist bereits präziser als die europäische Klassifizierung und<br />
die nationalen Verzeichnisse können leicht in das System integriert werden.<br />
Der Berichterstatter Arnold BRUM erinnert an einen latenten Konflikt mit EFFAT – Organisation, die<br />
sich AGRIPASS als System zur Anerkennung von Kompetenzen wünscht. Auch der Begriff<br />
„Klassifizierung“ sorgt in seinen Augen für Verwirrung, da ESCO darunter eine Beschreibung der<br />
verzeichneten Berufe und der für sie erforderlichen Kompetenzen versteht, während die<br />
Tarifverhandlungsparteien die Klassifizierung der Berufe als Mittel zur Festlegung der Lohnstufen<br />
betrachten.<br />
Zum Abschluss der Debatte begrüßt Herr LEVACHER die doch – nach anfänglich schwieriger<br />
Kontaktaufnahme mit EURES – von der EU-Kommission erzielten Fortschritte.<br />
8 | 22
DIE BERUFLICHE WEITERBILDUNG DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN<br />
ARBEITNEHMER IN DER EUROPÄISCHEN UNION<br />
KURZBERICHT ZU DEN ANTWORTEN AUF DIE Geopa-<strong>Copa</strong>-ERHEBUNG<br />
Geopa-<strong>Copa</strong> hatte den nationalen Mitgliedsorganisationen einen Fragebogen über die Organisation<br />
der beruflichen Weiterbildung für landwirtschaftliche Arbeitnehmer zugestellt. Im Vorfeld des<br />
Seminars waren Antworten von 19 Organisationen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden,<br />
Italien, Spanien, Portugal, dem Vereinigten Königreich, Irland, Dänemark, Schweden, Finnland,<br />
Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen, Bulgarien, Litauen, Lettland und Zypern eingegangen.<br />
Die Geopa-<strong>Copa</strong>-Erhebung konnte nicht auf ein tiefgreifendes Verständnis aller Rechtsvorschriften<br />
und Tarifbestimmungen zur Regelung der Weiterbildung abzielen. Diese Regelungen weichen von<br />
einem Land zum anderen sehr stark ab. Demzufolge wurde nur ein vereinfachter Fragebogen<br />
verschickt. Die eingegangenen Antworten erlauben einen Überblick in vier Kategorien:<br />
- Bildungsmaßnahmen auf Initiative des Arbeitgebers<br />
- Bildungsmaßnahmen auf Initiative des Arbeitnehmers<br />
- Die Finanzierung der Weiterbildung<br />
- Die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse<br />
Arnold BRUM, Berichterstatter des Seminars, präsentiert also eine erste Zusammenfassung der<br />
Antworten auf den Fragebogen. Diese Präsentation wird im Laufe der Debatten durch Beiträge<br />
nachstehender Personen ergänzt: Veli-Matti REKOLA (Finnland), Claudia MERLINO und Tania<br />
PAGANO (Italien), Stephan GERSTEUER und Stefan SCHÖNEMANN (Deutschland), Manuel GARCIA<br />
MATAS und Vicente PEREZ GARCIA DE PRADO (Spanien), Chris BOTTERMAN (Belgien), Agnieszka<br />
ROLEWSKA (Polen), Bob FIDDAMAN (UK), Bohemil KUDLA (Tschechien), Jovita MOTIEJUNIENE<br />
(Litauen), Bernard LEVACHER und Jerôme DESPEY (Frankreich), Milka KOSANOVIC (Kroatien).<br />
1. Bildungsmaßnahmen auf Initiative des Arbeitgebers<br />
Hier gilt es zwei Fälle zu unterscheiden: Bildungsmaßnahmen, die auf eine unilaterale Entscheidung<br />
des Arbeitgebers zurückgehen, und Verträge für alternierende Ausbildung, die Arbeitnehmern von<br />
ihrem Arbeitgeber angeboten werden.<br />
A. Alleinige Entscheidung des Arbeitgebers<br />
Es wurde nicht gefragt, ob ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zwingen kann, eine Weiterbildung<br />
zu absolvieren. Die Antwort auf diese Frage schien völlig klar, denn im Rahmen eines<br />
Arbeitsvertrags kommt dem Arbeitgeber ein Führungsanspruch zu, und der Arbeitnehmer hat den<br />
ihm erteilten Anweisungen Folge zu leisten. Tatsächlich aber scheint es nicht so eindeutig zu sein: In<br />
Deutschland kann ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer nicht zwingen, eine Weiterbildung zu<br />
absolvieren. Eine Ablehnung seitens des Arbeitnehmers kann jedoch Konsequenzen für dessen<br />
weitere berufliche Laufbahn haben bzw. seine Entlassung rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber der<br />
Auffassung ist, die Fortbildung sei für eine weitere Beschäftigung unerlässlich.<br />
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Die Anhörung der Personalvertreter – Es wurde auch nicht danach gefragt, ob ein Arbeitgeber, der<br />
einen Arbeitnehmer zur Weiterbildung schicken möchte, vorab die Instanzen der<br />
Personalvertretung im Unternehmen, d.h. die Gewerkschaft, den Belegschaftsdelegierten oder den<br />
Betriebsrat, diesbezüglich konsultieren muss. Wahrscheinlich ist dies in vielen Mitgliedstaaten der<br />
Fall, sofern es denn in kleineren Unternehmen überhaupt eine Personalvertretung gibt. Eine<br />
entsprechende Anhörung kann sich auch auf die Organisation eines jährlichen Bildungsplans für das<br />
Personal des Unternehmens beziehen. Dieser Plan wiederum könnte Gegenstand der Aushandlung<br />
einer Unternehmensvereinbarung sein.<br />
Gewisse Schulungen sind Pflicht – Schulungen bezüglich Sicherheit am Arbeitsplatz sind überall<br />
Pflicht, wenn auch auf Grundlage diverser Modalitäten. Dazu einige Beispiele :<br />
- In Finnland ist eine zweitägige Einweisung in Sicherheitsfragen bei der Einstellung eines<br />
Arbeitnehmers oder bei Änderung seiner Tätigkeit Pflicht.<br />
- In Spanien ist eine solche Sicherheitsschulung mindestens einmal jährlich sowie von<br />
Saisonarbeitskräften bei deren Einstellung zu absolvieren. Geschieht dies nicht, muss der<br />
Arbeitgeber mit einem Bußgeld von mindestens 3000 € rechnen. Stößt einem Arbeitnehmer, der<br />
diese Pflichtschulung nicht absolviert hat, bei der Arbeit etwas zu, kann die Sozialversicherung vom<br />
Arbeitgeber die Erstattung von 30 bis 50 % der Unfallkosten verlangen. Darüber hinaus droht dem<br />
Arbeitgeber ein Strafprozess sowie ein Zivilprozess mit Schadensersatzforderung – bis zu 300 000 €.<br />
Prozesse wie diese gibt es immer häufiger. Arbeitgeber können sich zwar gegen dieses Risiko<br />
versichern lassen, doch tun dies nicht alle.<br />
- In Polen müssen gewisse Sicherheitsschulungen regelmäßig erneuert werden. So fällt<br />
beispielsweise eine entsprechende Schulung für Arbeitnehmer, die mit Pflanzenschutzmitteln<br />
arbeiten, im Fünf-Jahres-Takt an.<br />
- Im Vereinigten Königreich sind ein- bis zweitägige Sicherheitsschulungen zur Ausübung diverser<br />
Aktivitäten Pflicht. Die Teilnahme an diesen Schulungen wird schriftlich belegt, sodass<br />
Arbeitnehmer und Arbeitgeber nachweisen können, die Regeln eingehalten zu haben.<br />
- In Tschechien sind zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten, wie beispielsweise Traktorfahren oder<br />
Bedienen landwirtschaftlicher Maschinen, zertifizierte Kompetenzen erforderlich.<br />
- In Frankreich ist die Gesetzgebung sehr verbindlich. Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass<br />
seine Arbeitnehmer für die ihnen zugewiesene Tätigkeit geeignet sind und sie dieser auch im Falle<br />
technologischer Neuerungen weiterhin nachgehen können. Wird ein Arbeitnehmer wegen<br />
beruflicher Unzulänglichkeit entlassen, muss der Arbeitgeber eine Entschädigung zahlen, sofern er<br />
dem Arbeitnehmer nicht nachweislich eine Weiterbildung angeboten hat, die seine weitere<br />
Beschäftigung ermöglicht hätte.<br />
B. Vom Arbeitgeber angebotener Ausbildungsvertrag<br />
Neben diesen unilateral beschlossenen Schulungen kann ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern in<br />
gewissen Ländern auch anbieten, sie im Rahmen eines Arbeitsvertrags einzustellen, der eine Phase<br />
der Ausbildung vorsieht. Diese setzt sich dann zusammen aus Arbeitseinheiten im Unternehmen<br />
und Lehrgängen in einer Bildungseinrichtung.<br />
- In Frankreich gibt es den „contrat de professionnalisation“ (Professionalisierungsvertrag) –<br />
einen Vertrag für alternierende Ausbildung, der mit jungen Arbeitnehmern unter 26 Jahren,<br />
Senioren über 45 Jahren, Arbeitslosen oder Behinderten abgeschlossen werden kann. Dabei handelt<br />
es sich entweder um einen befristeten Vertrag über mindestens 6 Monate oder um einen<br />
unbefristeten Vertrag mit Ausbildungszeit im Laufe der ersten Monate. Der Arbeitnehmer muss in<br />
diesem Fall mindestens 150 Kursstunden in einem Berufsbildungszentrum belegen, häufig sind es<br />
jedoch mehr – in einigen Fällen bis zu 1200 Stunden.<br />
10 | 22
- In Italien ist es möglich, einen professionalisierenden Lehrvertrag im dualen System – bei dem der<br />
Arbeitgeber steuerliche Vorteile genießt – oder einen staatlich bezuschussten Eingliederungsvertrag<br />
mit bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern – wie arbeitslosen Senioren oder Frauen –<br />
abzuschließen.<br />
- In Spanien gibt es einen Vertrag für alternierende Ausbildung, in dessen Rahmen der<br />
Arbeitgeber einen Lohn zahlt, der unter dem Mindestlohn des Tarifvertrags liegt.<br />
2. Bildungsmaßnahmen auf Initiative des Arbeitnehmers<br />
Der Anspruch auf Bildungsurlaub existiert in mehreren Ländern – wenn auch in unterschiedlicher<br />
Ausgestaltung. Zu unterscheiden sind drei verschiedene Situationen im Zusammenhang mit der<br />
Wahl der Weiterbildungsmaßnahme für den durch den Arbeitnehmer beantragten Bildungsurlaub:<br />
- der Arbeitnehmer darf die Weiterbildung frei wählen<br />
- der Arbeitnehmer muss eine landwirtschaftliche Weiterbildung wählen<br />
- der Arbeitnehmer muss die inhaltliche Zustimmung des Arbeitgebers einholen<br />
A. Der Arbeitnehmer darf die Weiterbildung frei wählen<br />
In Frankreich, Belgien, Finnland und Kroatien steht es den Arbeitnehmern unter gewissen<br />
Bedingungen frei, Bildungsurlaub zu beantragen, um eine Schulung ihrer Wahl zu besuchen. Dabei<br />
kann es sich um eine berufliche Weiterbildung für nicht agrarische Berufe, einen<br />
Fremdsprachenkurs, eine allgemeinbildende Schulung, … handeln.<br />
- In Frankreich stehen Weiterbildungsmaßnahmen mit Fehlzeiten den Arbeitnehmern offen, die<br />
ein Dienstalter von mindestens zwei Jahren – darunter eins im Unternehmen – vorweisen können.<br />
Die Arbeitgeber dürfen solche „Auszeiten“ nicht verwehren, sondern höchstens aus<br />
produktionstechnischen Gründen auf später verlegen. Die Dauer des Urlaubs hängt von der Dauer<br />
der Fortbildung ab, darf jedoch ein Jahr nicht überschreiten. Am Ende eines Lehrgangs muss die<br />
Bildungseinrichtung den Arbeitnehmern eine Teilnahmebescheinigung ausstellen, die sie ihrem<br />
jeweiligen Arbeitgeber dann vorlegen. Dieser muss weder eine Lohnfortzahlung gewähren, noch die<br />
Bildungsmaßnahme finanzieren. In der Praxis wird diese Art Bildungsurlaub nur in Anspruch<br />
genommen, wenn eine Übernahme der Lohn- und Weiterbildungskosten durch den „fonds<br />
d’assurance formation“ (FAFSEA – Bildungsversicherungsfonds) erwirkt werden konnte. Dieser<br />
Fonds kommt aber nur für Bildungsmaßnahmen über mindestens 140 bis höchstens 1200 Stunden<br />
auf. Die Anträge werden von einem regionalen paritätischen Ausschuss des FAFSEA geprüft. Es sei<br />
darauf hingewiesen, dass auch Saisonarbeitskräfte Anrecht auf finanzierten Bildungsurlaub haben,<br />
sofern sie nachweisen können, dass sie mindestens 12 Monate oder 1820 Stunden im Laufe der<br />
letzten 4 Jahre – darunter mindestens 4 Monate oder 607 Stunden im Rahmen eines befristeten<br />
Vertrags im Laufe der letzten 24 Monate – gearbeitet haben. Der FAFSEA verfügt zur Finanzierung<br />
dieser Art von Urlaub über ein Jahresbudget von 25 Millionen €, 80 % der Anträge konnten bislang<br />
angenommen werden. Im Jahr 2010 haben 1620 Arbeitnehmer – darunter 742 Saisonarbeiter –<br />
Bildungsurlaub über durchschnittlich 890 Stunden genommen.<br />
- In Belgien müssen Arbeitgeber den Arbeitnehmern, die das staatlich finanzierte System des<br />
Bildungsurlaubs nutzen möchten, eine Dienstbefreiung gewähren.<br />
- In Finnland dürfen Arbeitnehmer unbezahlten Urlaub nehmen, wenn sie einen akademischen<br />
Lehrgang absolvieren. Sie erhalten in diesem Fall eine staatliche Studienbeihilfe. Nach acht Jahren<br />
beruflicher Tätigkeit dürfen sie auch eine vom „Bildungsfonds“ übernommene Weiterbildung für<br />
Erwachsene belegen.<br />
- In Kroatien können die Arbeitnehmer 7 Tage Bildungsurlaub mit Lohnfortzahlung durch den<br />
Arbeitgeber erhalten und müssen nicht einmal nachweisen, dass sie effektiv einen Lehrgang<br />
besucht haben.<br />
11 | 22
B. Der Arbeitnehmer muss eine landwirtschaftliche Weiterbildung wählen<br />
In Italien, Spanien, Portugal, Deutschland und Litauen darf der Arbeitnehmer der Arbeit fern<br />
bleiben unter der Voraussetzung, dass er eine agrarisch ausgerichtete Schulung belegt.<br />
- In Italien hat der Arbeitnehmer Anrecht auf 200 Stunden Urlaub über 3 Jahre verteilt. Der Lohn<br />
wird vom Arbeitgeber fortgezahlt. Rund 1 % der Arbeitnehmer macht dieses Recht jährlich geltend.<br />
- In Portugal hat der Arbeitnehmer Anrecht auf 35 Stunden Weiterbildung jährlich mit<br />
Lohnfortzahlung – unter der Voraussetzung, dass es sich um eine Schulung landwirtschaftlicher<br />
Natur handelt. Die Fortbildungskosten werden vom Staat übernommen.<br />
- In Spanien ist das Recht auf Bildungsurlaub mit Lohnfortzahlung gemäß diverser Modalitäten in<br />
den 50 regionalen Tarifverträgen des Agrarsektors geregelt.<br />
- In Deutschland sieht das Gesetz in 12 von 16 Bundesländern Bildungsurlaub für die Beschäftigten<br />
von Unternehmen vor, die mindestens 5 Arbeitnehmer mit einem Dienstalter von 6 Monaten oder<br />
mehr zählen. Diese Arbeitnehmer werden 5 Tage pro Jahr (oder 10 Tage über zwei Jahre hinweg)<br />
freigestellt unter der Voraussetzung, dass das Land die von ihnen gewählte Schulung anerkennt.<br />
Der Arbeitgeber muss dieser Wahl nicht zustimmen, er kann lediglich in bestimmten Fällen den<br />
Urlaub des Arbeitnehmers verschieben.<br />
- In Litauen erlaubt das Gesetz den Arbeitnehmern, 40 Tage Bildungsurlaub jährlich zu nehmen,<br />
um agrarische Berufsbildungslehrgänge zu absolvieren, die mit europäischen Mitteln finanziert<br />
werden. Die Betriebsleiter profitieren ebenfalls von diesen Maßnahmen.<br />
C. Der Arbeitnehmer muss die inhaltliche Zustimmung des Arbeitgebers einholen<br />
In Österreich, Polen, Bulgarien, Lettland und Frankreich kann die Initiative zwar vom Arbeitnehmer<br />
selbst ausgehen, der Inhalt einer etwaigen Weiterbildung muss jedoch vom Arbeitgeber gebilligt<br />
werden. Eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber gibt es nicht – außer in Polen, sofern der<br />
Arbeitnehmer garantiert, nach der Weiterbildung wieder in den Betrieb zurückzukehren, sowie in<br />
Frankreich.<br />
- In Österreich erhält der Arbeitnehmer eine finanzielle Unterstützung der Behörden. Es muss sich<br />
um eine Weiterbildung über mindestens 20 Stunden pro Woche handeln.<br />
- In Frankreich sieht das Gesetz ein Instrument namens „droit individuel à la formation“ (DIF –<br />
individueller Bildungsanspruch) vor. Jeder Arbeitnehmer kapitalisiert jährlich 20 Stunden<br />
Fortbildungsanspruch – kumulierbar über 6 Jahre – d.h. maximal 120 Stunden. Ein Arbeitnehmer<br />
beispielsweise, der seinen DIF 5 Jahre lang nicht genutzt hat, verfügt über 100 Stunden Kapital.<br />
Absolviert er eine Schulung von 40 Stunden, bleiben ihm noch 60 Stunden, die wiederum jährlich<br />
um 20 Stunden aufgestockt werden. Ein Arbeitnehmer, der seinen Fortbildungsanspruch geltend<br />
machen möchte, muss die Zustimmung seines Arbeitgebers einholen, was die Wahl des Lehrgangs<br />
angeht – eine festgesetzte Regelung für den Fall von Unstimmigkeiten. Die Fortbildungskosten trägt<br />
der Arbeitgeber. Auch der Lohn wird fortgezahlt, sofern die Fortbildung während der Arbeitszeit<br />
erfolgt. Findet sie außerhalb der Arbeitszeit statt, erhält der Arbeitnehmer pro Fortbildungsstunde<br />
eine Zuwendung in Höhe von 50 % seines Nettostundenlohns. (Die Frage, ob eine außerhalb der<br />
Arbeitszeit absolvierte Schulung im Sinne der europäischen Richtlinie als „Arbeitszeit“ oder<br />
„Ruhezeit“ anzusehen ist, ist nicht geklärt.) In der Praxis bittet der Arbeitgeber den<br />
Bildungsversicherungsfonds (FAFSEA) um eine Übernahme dieser Kosten und Zuwendungen. Im<br />
Jahr 2010 sind 6197 Arbeitnehmer des Agrarsektors in den Genuss einer Kostenübernahme durch<br />
den FAFSEA gekommen – über mehr als 3 Millionen €.<br />
12 | 22
3. Die Finanzierung der Weiterbildung<br />
Dieser Bericht befasst sich ausschließlich mit der Weiterbildung von Arbeitnehmern, die in<br />
Unternehmen beschäftigt sind. Die Frage der Finanzierung von Bildungsmaßnahmen für<br />
Arbeitsuchende und andere benachteiligte Personen (Behinderte, …) wird hier nicht beleuchtet.<br />
Die Weiterbildung von Arbeitnehmern hat ihren Preis – Das größte Hindernis auf dem Weg zum<br />
Ausbau der beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmern in einem Beschäftigungsverhältnis ist<br />
natürlich deren Finanzierung. Zwei Arten von Ausgaben fallen an: die Vergütung des Arbeitnehmers<br />
während der Weiterbildung sowie die Kosten dieser Weiterbildung selbst, die vom Kursanbieter –<br />
einer Schule oder einem öffentlichen bzw. privaten Bildungszentrum – in Rechnung gestellt werden.<br />
Hinzu kommen Nebenkosten, wenn die Weiterbildung nicht am Arbeitsplatz stattfindet: Kosten für<br />
An- und Abreise, Unterkunft und auswärts eingenommene Mahlzeiten.<br />
Die Weiterbildung wird gemeinhin vom Arbeitgeber finanziert – Die Weiterbildung betrifft<br />
Arbeitnehmer, die einen laufenden Arbeitsvertrag haben. Geht die Initiative vom Arbeitgeber aus,<br />
bzw. verfügt der Arbeitnehmer laut Gesetz oder Tarifvertrag über einen Anspruch auf<br />
Bildungsurlaub auf Eigeninitiative, kommt in der Regel der Arbeitgeber für die Kosten auf. In<br />
zahlreichen Ländern beteiligen sich gemäß diverser Modalitäten die öffentlichen Behörden an der<br />
Übernahme dieser Kosten: Sie stellen gratis Bildungszentren zur Verfügung, lassen betroffenen<br />
Arbeitnehmern eine finanzielle Unterstützung zukommen, … In manchen Fällen werden auch die<br />
Arbeitnehmer um eine finanzielle Beteiligung gebeten. Bedauerlicherweise sind die Situationen zu<br />
vielfältig, als dass wir sie alle im Rahmen unserer Erhebung eingehend beleuchten könnten.<br />
In 6 Mitgliedstaaten sehen Gesetz bzw. Tarifvertrag vor, dass die Unternehmen Pflichtbeiträge in<br />
einen Fonds einzahlen: in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien, Spanien und zwei<br />
deutschen Bundesländern. Diese Fonds sind in Form von Verbänden oder Kassen auf<br />
Gegenseitigkeit eingerichtet und werden von den Sozialpartnern verwaltet. Generell verhält es sich<br />
so, dass alle Arbeitgeber Beiträge einzahlen und der Fonds dann gemäß diverser Kriterien die<br />
Kosten für Weiterbildung und Lohnfortzahlung bzw. eine Einkommensersatzbeihilfe übernimmt.<br />
A. Der FAFSEA in Frankreich<br />
(Das Referat von A. BRUM bezüglich der „bewährten Praktiken“ in Frankreich wurde hier eingefügt.)<br />
Seit 1971 verpflichtet das Gesetz die Arbeitgeber zu einer Kofinanzierung der beruflichen<br />
Weiterbildung. Die auf einen bestimmten Prozentsatz der Löhne festgesetzte Beteiligung der<br />
Arbeitgeber wird z.T. in einen Bildungsversicherungsfonds eingespeist und z.T. zur Finanzierung von<br />
Bildungsmaßnahmen für betriebseigene Arbeitnehmer eingesetzt (Unternehmen mit weniger als 10<br />
Beschäftigten müssen ihren gesamten Beitrag an den Fonds überweisen). Die Unternehmen, die<br />
nicht alle verfügbaren Mittel für die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter ausschöpfen, müssen<br />
den Restbetrag an den Fonds zurückzahlen – andernfalls drohen ihnen Sanktionen.<br />
Für die Landwirtschaft wurde 1972 im Rahmen einer nationalen Vereinbarung der<br />
Bildungsversicherungsfonds der Arbeitnehmer landwirtschaftlicher Betriebe und Unternehmen,<br />
FAFSEA, geschaffen. Die Vereinbarung wurde von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden<br />
der Landwirtschaft und der angegliederten Sektoren unterzeichnet. Der FAFSEA wird paritätisch von<br />
den Vertretern dieser Organisationen verwaltet. Er unterliegt der Zulassung und Kontrolle des<br />
Staates, da es sich bei den Arbeitgeberbeiträgen um steuerähnliche Abgaben handelt. Der FAFSEA<br />
hat die „Mutualité sociale agricole“ (Sozialversicherung) gebeten, seine Beiträge einzuziehen. Ein<br />
13 | 22
allgemeinverbindlicher Tarifvertrag verpflichtet die Agrarbetriebe zu diesen Zahlungen an den<br />
FAFSEA. Es gibt 15 weitere Fonds dieser Art.<br />
Die Beitragshöhe hängt von der durchschnittlichen Beschäftigtenzahl ab (siehe Tabelle). Für<br />
Arbeitnehmer mit befristetem Vertrag, beispielsweise Saisonarbeiter, müssen sämtliche<br />
Unternehmen ungeachtet ihrer Beschäftigtenzahl zudem eine zusätzliche Abgabe in Höhe von<br />
1,00 % zahlen.<br />
Innerhalb des FAFSEA werden die Beiträge gebündelt verwaltet, die Unternehmen haben kein<br />
privilegiertes Ziehungsrecht auf die eigenen Zahlungen. Die Anträge zur Übernahme von<br />
Weiterbildungskosten erreichen den FAFSEA über die Arbeitgeber (für den Bildungsplan des<br />
Unternehmens, den Professionalisierungsvertrag, den DIF) oder über die Arbeitnehmer (für den<br />
Bildungsurlaub, die persönliche Standortbestimmung – PS, die Anerkennung früher erworbener<br />
Kenntnisse – AEK). Die Anträge werden von regionalen paritätischen Ausschüssen geprüft und<br />
angenommen oder abgelehnt. Der FAFSEA beschäftigt zudem 40 Berater in 19 regionalen Büros.<br />
Ihre Aufgabe besteht darin, den Bildungsbedarf allgemein zu prüfen und Bildungsprogramme für<br />
große Unternehmen bzw. kollektive Bildungspläne für kleinere Unternehmen aufzustellen.<br />
2010 beliefen sich die Ressourcen des FAFSEA auf 212 Millionen €. Der Fonds hat 6,4 Millionen<br />
Bildungsstunden für 155 000 Arbeitnehmer über einen Gesamtbetrag von 201 Millionen €<br />
finanziert (siehe Tabelle).<br />
BEITRÄGE DER UNTERNEHMEN ZUR FINANZIERUNG DER WEITERBILDUNG IN FRANKREICH<br />
(Prozentsatz der Löhne)<br />
betroffene Unternehmen mehr als 20<br />
Beschäftigte<br />
Bildungsmaßnahmen auf Initiative des<br />
Arbeitgebers<br />
individueller Bildungsurlaub (CIF) 0,20 %<br />
10 bis 19<br />
Beschäftigte<br />
weniger als 10<br />
Beschäftigte<br />
1,40 % 1,05 % 0,55 %<br />
(Bildungsurlaub CIF – befristet) (*) (1,00 %) (1,00 %) (1,00 %)<br />
BEITRÄGE INSGESAMT 1,60 % (+ 1,00 %) 1,05 % (+ 1,00 %) 0,55 % (+1,00 %)<br />
davon: Zahlung an den FAFSEA 0,55 % (+ 1,00 %) 0,55 % (+ 1,00 %) 0,55 % (+1,00 %)<br />
davon: Verwendung im Unternehmen 0,85 % 0,50 %<br />
an FAFSEA zahlende Unternehmen 4445 6176 167 879<br />
(*) Diese Zusatzabgabe fällt für die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit befristetem Vertrag an.<br />
EINNAHMEN<br />
BILANZ DES FAFSEA 2010<br />
(in Millionen €)<br />
AUSGABEN<br />
Unternehmensbeiträge 203<br />
Kofinanzierung (Regionen, EU) 9<br />
Finanzierung - Bildungsmaßnahmen 201<br />
Verwaltungskosten 17<br />
14 | 22
INSGESAMT 212 INSGESAMT 218<br />
Bildungsurlaub (CIF)<br />
CIF – befristet<br />
AEK, PS<br />
FINANZIERTE BILDUNGSMASSNAHMEN<br />
2010 Anzahl Arbeitnehmer Bildungsstunden Kosten (Millionen €)<br />
Professionalisierung &<br />
individueller Anspruch DIF<br />
878<br />
742<br />
1272<br />
1 444 000 32,7<br />
14 955 2 276 600 32,4<br />
Bildungsplan - Unternehmen 137 218 2 689 100 136,2<br />
INSGESAMT 155 218 6 409 000 201,3<br />
B. EDU und MSVW in Belgien<br />
Das nationale Ziel besteht darin, Bildungsmaßnahmen über 1,9 % der Löhne zu finanzieren. Es<br />
wurde im Einklang mit der europäischen Empfehlung im Rahmen der Lissabon-Strategie festgesetzt.<br />
Die verschiedenen Berufssparten müssen jedes Jahr mehr darauf hinarbeiten, dieses Ziel zu<br />
erreichen. Der Agrarsektor hält die Vorgabe ein, insbesondere mittels obligatorischer<br />
Beitragszahlungen an Bildungsfonds, die zu den Kosten hinzukommen, welche die Unternehmen<br />
bereits direkt übernehmen. Offiziell hat die Landwirtschaft 2010 die 1,3 %-Marke erreicht.<br />
Berücksichtigt man jedoch auch die Bildungsmaßnahmen, die unmittelbar von kleinen Betrieben<br />
finanziert werden, die keinen Jahressozialbericht vorlegen müssen, kommt man auf 1,7 %.<br />
Zwei Bildungsfonds wurden durch Tarifverträge geschaffen: EDU in Flandern und „Mission<br />
secteurs verts“ in Wallonien. In beiden Regionen sehen die Tarifverträge für Land- und<br />
Forstwirtschaft (d.h. Sonderkulturen) eine Pflichtabgabe von 0,50 % der Löhne vor. Diese Mittel<br />
werden von der nationalen Sozialversicherung eingezogen und als Sozialbeiträge betrachtet,<br />
gehören jedoch den Sozialpartnern. Beide Fonds werden paritätisch von den Arbeitgeber- und<br />
Arbeitnehmerverbänden verwaltet, welche die Tarifverträge unterzeichnet haben – de facto<br />
handelt es sich um die gleichen Personen. Diese Fonds gewähren den Arbeitgebern eine<br />
vollständige bzw. teilweise Erstattung der Kosten für Bildungsmaßnahmen und Lohnfortzahlungen.<br />
C. Der FORCEM in Spanien<br />
Das Gesetz sieht eine Pflichtabgabe zur Finanzierung von Bildungsmaßnahmen vor. Diese Abgabe<br />
beträgt 0,70 % der Löhne – 0,60 % zu Lasten des Arbeitgebers und 0,10 % zu Lasten des<br />
Arbeitnehmers. Bislang fiel diese Abgabe nicht für den Agrarsektor an, doch ein jüngst<br />
verabschiedetes Gesetz hat die Landwirtschaft ab 2012 in das System integriert. Die Beiträge<br />
werden von der Sozialversicherung eingezogen und an den FORCEM überwiesen.<br />
Der FORCEM ist ein Fonds mit dreigliedrigem Verwaltungsrat: Arbeitgeber (die CEOE als<br />
Vertretung der großen Unternehmen und die CPME), Gewerkschaftsverbände der Arbeitnehmer<br />
(CC.OO und UGT) und Staatsverwaltung teilen sich die Aufgabe. Der Agrarverband ASAJA ist selbst<br />
als Mitglied der CEOE nicht in diesem Verband vertreten. Bislang hat der FORCEM dem Agrarsektor<br />
nur wenige Kredite gebilligt. ASAJA und die beiden Gewerkschaftsverbände der Arbeitnehmer<br />
15 | 22
haben jedoch 2008 ein Abkommen unterzeichnet und darin zusätzliche Mittel zur Finanzierung von<br />
Bildungsmaßnahmen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer gefordert. Da die Landwirtschaft ab<br />
2012 auch oben erwähnte Pflichtbeiträge zahlt, ist eine Verbesserung der Situation zu erhoffen.<br />
D. Der FORAGRI in Italien<br />
Die berufliche Bildung wird vorrangig von den Regionen programmiert und finanziert. Sie wird im<br />
Rahmen eigens von den Arbeitgeberverbänden geschaffener Strukturen organisiert.<br />
Im Jahr 2000 hat das Gesetz eine neue Sozialabgabe in Höhe von 0,30 % der Löhne eingeführt. Es<br />
handelt sich um eine Pflichtabgabe an die Sozialversicherung, deren Besonderheit aber darin<br />
besteht, dass der Arbeitgeber beschließen kann, sie einem Bildungsversicherungsfonds zuzuweisen,<br />
der von den Sozialpartnern für eine betreffende Berufssparte eingerichtet wurde. Entscheidet sich<br />
der Arbeitgeber dagegen, bleibt das Geld bei der Sozialversicherung. Die Entscheidung des<br />
Arbeitgebers ist nicht endgültig: Er kann sie widerrufen oder beschließen, die Mittel in den Fonds<br />
einer anderen Berufssparte fließen zu lassen.<br />
Im Jahr 2006 wurde im Rahmen einer nationalen Tarifvereinbarung ein spezifischer Fonds für die<br />
Landwirtschaft, der FORAGRI, geschaffen. Er wird paritätisch von den drei Arbeitgeber- und drei<br />
Arbeitnehmerverbänden des Agrarsektors verwaltet, die auch die Vereinbarung unterzeichnet<br />
haben. Die Sozialpartner bewerben diesen Fonds und versuchen, möglichst viele landwirtschaftliche<br />
Arbeitgeber zu entsprechenden Beitragszahlungen zu motivieren. Der Jahreshaushalt des FORAGRI<br />
beträgt rund 4 Millionen €. Er offeriert den Arbeitgebern gebietsbezogene Bildungsprogramme, zu<br />
denen die Beitragszahler ihre Beschäftigten mit Zustimmung der Gewerkschaftsdelegierten<br />
anmelden können.<br />
Im Jahr 2012 ist ein Projekt für große Unternehmen geplant: Sie können ihre 0,30 %-Beiträge drei<br />
Jahre lang kumulieren, um dann umfangreichere Bildungsmaßnahmen zu finanzieren, die den<br />
spezifischen Bedürfnissen des Unternehmens entsprechen. Die nach drei Jahren nicht<br />
ausgeschöpften Beträge fließen zur gemeinschaftlichen Nutzung in den FORAGRI.<br />
E. Die „Qualifizierungsfonds“ in Deutschland<br />
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands bestand dringender Aus- und Weiterbildungsbedarf.<br />
Land- und Forstwirtschaft der ehemaligen DDR beschäftigten Unmengen von kaum geschulten und<br />
wenig effizienten Arbeitskräften. Da auch der Westen Nachholbedarf zeigte, wurde im Rahmen<br />
einer nationalen Vereinbarung eine Beitragszahlung zur Finanzierung von Bildungsmaßnahmen<br />
beschlossen. Die Vereinbarung sollte allgemeinverbindlichen Charakter haben. Klagen und<br />
Gerichtsverfahren haben jedoch zu ihrer Aufhebung geführt – zurückzuführen darauf, dass im<br />
Osten weniger als 50 % der landwirtschaftlichen Arbeitgeber einem Verband angeschlossen waren.<br />
Später wurden im Rahmen regionaler Tarifverträge dann zwei Fonds geschaffen: ein erster in<br />
Schleswig-Holstein und ein weiterer in Hessen. Beide Länder haben sich für allgemeinverbindliche<br />
Verträge entschieden. In Schleswig-Holstein beträgt die Pflichtabgabe jährlich 5,11 € pro<br />
Arbeitnehmer. Sie wird an einen „Qualifizierungsfonds“ gezahlt, der von den Unterzeichnern des<br />
Vertrags verwaltet wird. Das Budget beläuft sich auf 180 000 €. Die Verwalter des Fonds befinden<br />
selbst darüber, welche Maßnahmen finanziert bzw. kofinanziert werden. Den Arbeitgebern wird<br />
kein Geld ausgezahlt, Kostenübernahmen durch den Fonds werden direkt mit den<br />
Bildungseinrichtungen abgewickelt. Nach der Schaffung dieses Fonds hat eine bestimmte Anzahl<br />
16 | 22
Arbeitgeber entschieden, den landwirtschaftlichen Berufsverband zu verlassen. In Hessen wurde<br />
ein ähnlicher Fonds eingerichtet.<br />
_ _ _<br />
Kommentare des Berichterstatters<br />
Die obigen Beispiele skizzieren die denkbaren Optionen, die sich bieten, wenn es um die Schaffung<br />
einer spezifischen Finanzierung der beruflichen Weiterbildung über Pflichtbeiträge geht.<br />
a) Es gibt zwei mögliche Vektoren zur Einrichtung einer obligatorischen Beitragszahlung: das<br />
Gesetz und den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Das Gesetz kann eine Steuer bzw.<br />
steuerähnliche Abgabe oder einen Sozialversicherungsbeitrag vorsehen. Der Tarifvertrag kann<br />
einen vom Arbeitgeber finanzierten Vorzug zugunsten des Arbeitnehmers vorsehen.<br />
b) Ein Tarifvertrag hat zum Ziel, die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten zu reglementieren. Er<br />
enthält Vorgaben für individuelle Arbeitsverträge, die ein rechtliches Abhängigkeitsverhältnis des<br />
Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber begründen. Er bestimmt insbesondere die<br />
Mindestvergütung, die dem Arbeitnehmer entweder direkt oder über einen arbeitgeberfinanzierten<br />
Versicherungsträger auszuzahlen ist.<br />
So verhält es sich beispielsweise bei der Finanzierung einer Versicherung auf Gegenseitigkeit, die<br />
Arbeitnehmern Leistungen gewährt, wenn gewisse tarifvertraglich festgelegte Umstände eintreten,<br />
wie ein Krankheitsfall oder das Erreichen des Rentenalters.<br />
Was die Weiterbildung betrifft, kann der Tarifvertrag auch gewisse Rechte für Arbeitnehmer<br />
festlegen, wie den Anspruch auf einen 120-stündigen Bildungsurlaub nach sechsjähriger Dienstzeit<br />
mit obligatorischer Übernahme der Weiterbildungskosten durch einen Versicherungsträger. Eine<br />
Zustimmung des Arbeitgebers zum Inhalt der vom Arbeitnehmer ausgesuchten Schulung ist in<br />
diesem Fall nicht erforderlich, und eine Ablehnung der Kostenübernahme seitens der Versicherung<br />
– mit Verweis auf unzureichend verfügbare Mittel – geht nicht an, Rechte und Ansprüche der<br />
Arbeitnehmer sind schließlich im Tarifvertrag verankert. Selbst wenn die Versicherung von den<br />
Sozialpartnern verwaltet wird, ist sie nicht befugt, diese Rechte anzutasten bzw. über ihre<br />
Zweckmäßigkeit zu befinden. Tritt ein Finanzierungsproblem auf, müssen die Sozialpartner ihrer<br />
Verantwortung gerecht werden: Entweder sie verringern die vorgesehenen Vorzüge oder sie heben<br />
die Beitragssätze an.<br />
c) Ein Sozialversicherungsbeitrag ist dazu da, eine gesetzlich festgeschriebene Leistung zu<br />
finanzieren. Wie bei den tarifvertraglich eingerichteten Versicherungsträgern ist es auch hier so,<br />
dass Leistungen anfallen, wenn gesetzlich festgelegte Voraussetzungen erfüllt sind. Die<br />
Sozialversicherungseinrichtung kann eine Zahlung nicht unter dem Vorwand ablehnen, es seien<br />
nicht ausreichend Ressourcen vorhanden: In Erwartung einer Gesetzesänderung muss sie dann<br />
eben Geld leihen.<br />
d) Eine Steuer oder steuerähnliche Abgabe ist nicht direkt an die Finanzierung eines Anspruchs<br />
gekoppelt. Generell ist der Staat (oder die Gebietskörperschaft, die eine lokale Steuer einzieht)<br />
befugt, unter Wählerkontrolle über die Verwendung der eigenen Ressourcen zu befinden. Zudem<br />
hat er die Möglichkeit, die Verwaltung der steuerlichen Mittel sowie die Finanzierung gesetzlich<br />
verankerter Maßnahmen einer von ihm zugelassenen und kontrollierten privaten Einrichtung zu<br />
übertragen. Die Verantwortlichen dieser Einrichtung haben dann jedoch zwangsläufig die Befugnis<br />
zu entscheiden, welche Maßnahmen finanziert werden und welche nicht, da das Gesetz kein<br />
Ziehungsrecht der Arbeitnehmer auf staatliche Mittel vorsieht.<br />
17 | 22
_ _ _<br />
Die für Frankreich und Spanien angeführten Beispiele beziehen sich auf eine solche Finanzierung<br />
über Steuereinnahmen: Eine zugelassene Stelle ist hier befugt zu entscheiden, welche<br />
Bildungsmaßnahmen über diese steuerlichen Ressourcen abgedeckt werden.<br />
In Italien wird der Beitrag als Sozialversicherungsbeitrag betrachtet, Anspruch auf Sozialleistungen<br />
gibt er jedoch nicht.<br />
In Belgien handelt es sich um eine tarifvertraglich begründete Abgabe, die als<br />
Sozialversicherungsbeitrag gesehen wird, während es sich in Deutschland unbestreitbar um eine<br />
tarifvertraglich begründete Abgabe handelt. In keinem der beiden Länder entspricht sie jedoch<br />
einem Ziehungsrecht der Arbeitnehmer.<br />
Die obigen Betrachtungen entsprechen einer Analyse nach französischem Recht. Es ist durchaus<br />
wahrscheinlich, dass die in den einzelnen Ländern bestehenden Systeme mit der geltenden<br />
nationalen Gesetzgebung übereinstimmen. Es wäre demnach lohnenswert, die Überlegungen zu<br />
diesem Thema fortzuführen.<br />
4. Die Anerkennung früher erworbener Erkenntnisse<br />
Die Europäische Vereinbarung aus dem Jahr 2002 befürwortet die Anerkennung früher<br />
erworbener Kenntnisse für landwirtschaftliche Arbeitnehmer. Viele Beschäftigte der<br />
Landwirtschaft verfügen über echte Kompetenzen, nicht jedoch über ein Diplom. Sie haben ihre<br />
Arbeit in frühen Jahren aufgenommen und ihre Fähigkeiten „an Ort und Stelle“, sprich im Betrieb<br />
und im Kontakt mit ihrem Arbeitgeber und anderen Arbeitnehmern, erworben. Eine offizielle<br />
Behörde muss diese Kompetenzen anerkennen und ein Diplom bzw. Teildiplom ausstellen können,<br />
das die erarbeiteten Qualifikationen bescheinigt. Die Vereinbarung schlägt ferner vor, die Vertreter<br />
der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände am Validierungsverfahren zu beteiligen und sie als<br />
Mitglieder von Prüfungskommissionen einzusetzen.<br />
Die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 27. Oktober 2010 kündigt einen Vorschlag an,<br />
der dem Rat unterbreitet werden soll, um die außerschulische Bildung zu fördern und<br />
anzuerkennen. Es ist also nützlich, diese Frage zu erörtern.<br />
Die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse gibt es in 10 der 18 befragten Mitgliedstaaten. In<br />
Frankreich, Belgien, dem Vereinigten Königreich, Finnland, Schweden, Österreich und Lettland<br />
nehmen die Sozialpartner auch effektiv am Validierungsverfahren teil. Es sei darauf hingewiesen,<br />
dass eine entsprechende Anerkennung in Belgien bislang nur für zwei landwirtschaftliche Berufe in<br />
Flandern und drei in Wallonien möglich ist. Im Vereinigten Königreich kommt die Anerkennung<br />
früher erworbener Kenntnisse kaum zum Tragen. In Schweden bietet sie Zugang zur „Green card“,<br />
wobei zu überprüfen wäre, ob hier wirklich das gleiche gemeint ist wie in Frankreich oder Finnland.<br />
In den Niederlanden, Dänemark und Portugal funktioniert die Anerkennung früher erworbener<br />
Kenntnisse, aber die Sozialpartner sind nicht eingebunden. Es wäre interessant zu erfahren, ob dies<br />
daher rührt, dass die Lehrkräfte ihr Monopol nicht mit den Sozialpartnern teilen möchten.<br />
18 | 22
In Spanien existiert ein entsprechendes Gesetz, findet aber keine Anwendung. In Italien gibt es ein<br />
Gesetz, das einen „Bürgerbildungspass“ vorsieht, nicht jedoch die Validierung organisiert. In Ungarn<br />
gibt es die Anerkennung früher erworbener Kenntnisse noch nicht, was ebenso auf Polen,<br />
Bulgarien, Irland und Zypern zutrifft. Auch Deutschland kann sich in die Riege dieser Länder<br />
einreihen, wobei jedoch darauf hingewiesen sei, dass die deutschen Arbeitgeber gegen eine solche<br />
Anerkennung sind, da sie in ihren Augen eine unerträgliche Verwaltungslast darstellt. Sie sind der<br />
Auffassung, dass die von den Arbeitgebern ausgestellten Arbeitszeugnisse ausreichend glaubwürdig<br />
sind, um innerbetrieblich erworbene Berufskenntnisse zu bescheinigen. Eine Antwort dieser Art<br />
regt selbstverständlich dazu an, über unsere kulturellen Unterschiede zu sinnieren …<br />
Das Beispiel Finnlands – Herr REKOLA erklärt, dass Erwachsene seit 1964 Qualifikationen sammeln<br />
können, ohne eine formelle Ausbildung zu durchlaufen. Ein Testsystem ermöglicht die Anerkennung<br />
und Validierung einschlägiger Kompetenzen, gleich wie sie auch erworben wurden.<br />
Innerhalb der Generaldirektion „Unterrichtswesen“ gibt es einen Bildungsausschuss für die<br />
Landwirtschaft, der sich aus Lehrkräften, Vertretern der Arbeitgeber (MTA) sowie Vertretern des<br />
gewerkschaftlichen Arbeitnehmerverbands zusammensetzt. Dieser Ausschuss definiert, welche<br />
Anforderungen erfüllt sein müssen, damit Diplome (Qualifikationen) ausgestellt werden können. Es<br />
gibt zwei Kategorien:<br />
- komplementäre berufliche Qualifikationen, welche die zur Ausübung eines bestimmten<br />
Berufs erforderlichen Kompetenzen anerkennen<br />
- spezifische berufliche Qualifikationen, welche die zur Ausführung anspruchsvollster und<br />
komplexester Aufgaben erforderlichen Kompetenzen anerkennen<br />
In der Landwirtschaft gibt es derzeit 9 komplementäre Qualifikationen (Landbau, Tierzucht,<br />
ökologischer Landbau und ökologische Tierzucht, landwirtschaftlicher Maschinenbau,<br />
Pferdetraining, Reitlehrer, Hufschmied, Rentierzucht, künstliche Befruchtung) und 1 spezifische<br />
(Pelztierzucht).<br />
Im Gartenbau gibt es 3 komplementäre Qualifikationen und 3 spezifische (Blumenzucht,<br />
Gartenarchitektur, Baumzucht).<br />
In der Fischzucht gibt es eine komplementäre Qualifikation.<br />
In der Forstwirtschaft gibt es 3 komplementäre und 2 spezifische Qualifikationen.<br />
Die mit den Kompetenztests für Landwirtschaft, Gartenbau, … betrauten Ausschüsse sind ebenfalls<br />
mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt. Sie billigen die Qualifikationen der<br />
Kandidaten bzw. nur den Teil einer Qualifikation. Diese Ausschüsse arbeiten eng mit den<br />
Lehranstalten und Berufsschulen zusammen. Obwohl eine formelle Vorbereitung nicht erforderlich<br />
ist, um einen Kompetenztest abzulegen, belegen 95 % der Kandidaten vorab eine Schulung mit<br />
individuellem Lernprogramm.<br />
Während dieser Schulungen gewähren die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern unbezahlten<br />
Bildungsurlaub. Beträgt die Dauer des Lehrgangs mindestens zwei Monate oder 43 Tage, erhalten<br />
die Arbeitnehmer eine Zuwendung des Bildungsfonds, die 62 % (Monatslohn von 1600 €) bis 47 %<br />
(Monatslohn von 3500 €) ihres Lohns beträgt.<br />
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BEISPIELE BEWÄHRTER PRAKTIKEN<br />
DAS „BRITISH POULTRY TRAINING“ UND DER „GEFLÜGELPASS“<br />
Herr James POTTER stellt den 2008 im Vereinigten Königreich geschaffenen Geflügelpass vor – eine<br />
Online-Datenbank, die ein Verzeichnis standardisierter Berufe enthält (Geflügelzuchtarbeiter,<br />
Brütereiverantwortlicher, …) und die für diese Berufe geltenden Mindestausbildungsnormen<br />
auflistet. Letztere können Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam bestimmen.<br />
Die von jedem Arbeitnehmer absolvierten Schulungen werden im System schriftlich festgehalten.<br />
Der Leiter der Geflügelfarm erhält über einen Benutzernamen und ein Passwort Zugang zu den<br />
Akten seiner Beschäftigten. Auch die Arbeitnehmer können ihre Akten konsultieren. Das System<br />
finanziert sich über Beitragszahlungen der Arbeitgeber: 20 £ pro Arbeitnehmer zum Einstieg, dann<br />
20 £ jährlich zur Aktualisierung. Verlässt oder wechselt ein Arbeitnehmer den Betrieb, wird seine<br />
Akte archiviert bzw. dem neuen Arbeitgeber zugeordnet. Der Arbeitnehmer kann bei seinem<br />
Ausstieg den eigenen „Geflügelpass“ aufrechterhalten, indem er die Beitragszahlung übernimmt.<br />
Bislang haben sich 263 Betriebe für dieses System entschieden. 3350 Pässe wurden ausgestellt und<br />
800 weitere sind in Bearbeitung – womit ungefähr 80 % der Beschäftigten des Geflügelsektors<br />
abgedeckt wären. Die ans System angeschlossenen Arbeitgeber beschäftigen zwischen 1 und 1000<br />
Arbeitnehmern. Die Vorteile sind eindeutig – für den Berufsstand (Überprüfung der Einhaltung<br />
produktions- und versicherungstechnischer Normen, Statistiken), für die Arbeitgeber (unmittelbarer<br />
Zugang zu den Ausbildungsakten der Arbeitnehmer, die sie beschäftigen oder einzustellen<br />
gedenken, Klärung des Bildungsbedarfs, Motivation und Spezialisierung des Personals) und für die<br />
Arbeitnehmer (Nachweis der durchlaufenen Lehrgänge bei der Suche nach einem neuen<br />
Arbeitgeber, Planung der beruflichen Laufbahn).<br />
DIE BILDUNGSBERATER IN DEN NIEDERLANDEN<br />
Herr Gerard VAN DER GRIND erklärt, dass sich Agrar- und Gartenbausektor in den Niederlanden<br />
rasch entwickeln. Betriebsleiter werden zu Arbeitgebern vielfältig qualifizierter Arbeitnehmer<br />
(Verarbeitung und Vermarktung agrarischer Erzeugnisse, Umweltschutz, …). Erstausbildung und<br />
Weiterbildung sind unerlässlich. Es gilt also, das Bildungsangebot an die Bedürfnisse der<br />
Unternehmen anzupassen. Daher nutzen die Arbeitgeber des Agrar- und Gartenbausektors die<br />
Dienste sogenannter Bildungsberater, die als Schnittstelle zwischen Bildungseinrichtungen und<br />
Unternehmen fungieren.<br />
Die Berater tragen die Anfragen der Unternehmen zusammen, unterstützen die Arbeitgeber bei der<br />
Planung ihres Personalbedarfs, liefern Informationen über die Angebote der diversen<br />
Bildungseinrichtungen und organisieren die Bildungsprogramme der Unternehmen. Sie arbeiten in<br />
Teams, um Erfahrungen auszutauschen, und führen eine Internetseite, um Informationen über<br />
bestehende Lehrgänge anzubieten.<br />
Ihre Zulassung erhalten die Berater vom Bildungsinstitut des Landwirtschaftsministeriums,<br />
AEQUOR. Sie arbeiten auf Anregung der Sozialpartner. Finanziert werden sie kollektiv über<br />
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Beitragszahlungen der Arbeitgeber unterschiedlicher Sektoren sowie aktuell über eine zeitweilige<br />
zusätzliche Bezuschussung des Landwirtschaftsministeriums.<br />
DIE UMSCHULUNG DER LANDWIRTE IN BELGIEN<br />
Herr Chris BOTTERMAN präsentiert die belgischen Maßnahmen zur Umschulung der ehemaligen<br />
Leiter kleiner Agrar- und Gartenbaubetriebe, die ihre Tätigkeit aufgrund wirtschaftlicher<br />
Schwierigkeiten einstellen mussten. Die Interessenten können Kurse belegen und sich zu<br />
Arbeitskräften für Agrar- und Gartenbaubetriebe umschulen lassen, die qualifiziertes Personal<br />
benötigen.<br />
Die Umschulung, nach deren Ablauf eine Teilnahmebescheinigung ausgestellt wird, ist für die<br />
Landwirte kostenlos. Eine Zuwendung oder Arbeitslosenunterstützung erhalten sie während dieser<br />
Zeit jedoch nicht, was für viele Familien ein ernsthaftes Einkommensproblem darstellt. Die Jobsuche<br />
wiederum gestaltet sich nach einer solchen Umschulung einfacher, da dem zukünftigen Arbeitgeber<br />
eine Beschäftigungsprämie von rund 3000 € winkt. Diese Prämie wird vom paritätischen Sozialfonds<br />
für Landwirtschaft und Gartenbau unter der Voraussetzung ausgezahlt, dass die betroffene Person<br />
unbefristet eingestellt wird und auch sechs Monate nach ihrer Einstellung noch im Betrieb arbeitet.<br />
Ferner werden die vom Arbeitgeber zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge um 400 € pro Quartal<br />
gesenkt – zuzüglich Aufschlag, wenn es sich um die erste Arbeitskraft handelt bzw. der<br />
Arbeitnehmer unter 30 oder über 50 Jahre alt ist.<br />
DER ZUGANG DER ARBEITSUCHENDEN ZU LANDWIRTSCHAFTLICHEN BERUFEN<br />
IN FRANKREICH<br />
Herr Jérôme DESPEY stellt dar, dass die Sozialpartner der Landwirtschaft am 6. Januar 2010<br />
aufgrund des Arbeitskräftemangels in ihrem Sektor eine nationale Vereinbarung unterzeichnet und<br />
damit das Instrument „ADEMA“ geschaffen haben, das Arbeitsuchenden Zugang zu<br />
landwirtschaftlichen Berufen gewährt. Den Betroffenen – insbesondere Langzeitarbeitslosen aus<br />
Städten und Vorstädten, die nicht mit der Landwirtschaft vertraut sind – werden Schnupperkurse<br />
angeboten, um sie für agrarische Berufe zu begeistern. Das System sieht Kurse in<br />
Berufsbildungszentren und dreiwöchige Praktika in Betrieben vor. Für die Organisation zeichnet der<br />
FAFSEA verantwortlich, der die von „Pôle Emploi“ (öffentliche Arbeitsvermittlungsstelle)<br />
vorgeschlagenen Arbeitsuchenden, potenzielle Arbeitgeber und Bildungseinrichtungen miteinander<br />
in Kontakt bringt.<br />
ADEMA ist im Juni 2010 angelaufen. Bis zum 31. Dezember hatten 1578 Personen das System in<br />
Anspruch genommen, 78 % unter ihnen haben das Programm bis zum Abschluss durchgezogen.<br />
Diese erste Kohorte enthielt 69 % Personen unter 35 Jahren und 36 % Frauen. Ihr ursprüngliches<br />
Bildungsniveau war sehr niedrig, 7 % unter ihnen waren Analphabeten. 55 % wiesen besondere<br />
Schwierigkeiten körperlicher, gesundheitlicher, familiärer, … Natur auf. Bei den von ihnen<br />
gewählten Betrieben handelte es sich vorrangig um Landschaftsgärtnereien (25 %), Zuchtbetriebe<br />
(20 %), Gemüseanbaubetriebe (16 %), Baumschulen (12 %) und Weinbaubetriebe (9 %). 40 % der<br />
Aufnahmebetriebe zählten weniger als 5 Beschäftigte. Die Kurse in den Berufsbildungszentren<br />
umfassten durchschnittlich 154 Stunden, d.h. 243 000 Stunden insgesamt. 147<br />
Bildungseinrichtungen in ganz Frankreich haben sich beteiligt und durchschnittlich 10,7<br />
Praktikanten aufgenommen. Insgesamt beliefen sich die Projektkosten für den FAFSEA auf<br />
3,2 Millionen €.<br />
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Das Projekt ist auf großes Medieninteresse in Presse, Rundfunk und Fernsehen gestoßen. Für 2011<br />
hat man sich zum Ziel gesetzt, 3000 Praktikanten zu erreichen. 6 Millionen € wurden zu diesem<br />
Zweck eingeplant.<br />
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