Schultheater - Die Deutsche Bühne
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42<br />
▲<br />
SCHWERPUNKT<br />
2I<br />
Foto: Volker Beushausen<br />
<strong>Schultheater</strong><br />
Lessings „Emilia Galotti“ erlebte in dieser<br />
Spielzeit einen wahren Inszenierungsboom –<br />
jedenfalls quantitativ<br />
1I<br />
DETLEV BAUR<br />
1I Prinz und<br />
Emilia in<br />
Mannheim:<br />
Michael Fuchs<br />
und Isabelle<br />
Höpfner.<br />
Vor allem in Nordrhein-Westfalen<br />
war Lessings bürgerliches Trauerspiel<br />
„Emilia Galotti“ in der vergangenen<br />
Spielzeit ein Renner: Allein<br />
hier gab es sechs verschiedene Inszenierungen<br />
an Stadttheatern – so konnte<br />
sogar einmal der Bonner Marinelli-<br />
Darsteller den erkrankten Kollegen in<br />
Essen ohne allzu großen Aufwand vertreten.<br />
Oft waren die „Emilia“-Vorstellungen<br />
ausverkauft. Der Grund hierfür<br />
war allerdings ein sehr praktischer:<br />
Erstmals gab es im einwohnerreichsten<br />
Bundesland an den Gymnasien<br />
zentral gesteuerte Abiturthemen, und<br />
im Fach Deutsch zählte Lessings Drama<br />
zu den hierfür ausgewählten Texten.<br />
Kein Wunder also, dass die Gymnasiasten<br />
unter Leitung ihrer Lehrer in<br />
die Theater strömten. Haben die Theater<br />
von Mönchengladbach bis Castrop-<br />
Rauxel mit ihren Inszenierungen des<br />
Klassikers demnach einen neuen Weg<br />
zur Sicherung und Stärkung der Theaterlandschaft<br />
gefunden? Und haben<br />
sie dabei bewiesen, wie kunstnotwendig<br />
Lessings bürgerliches Trauerspiel<br />
für die <strong>Bühne</strong>n heute ist?<br />
Historisch-zeitgenössische<br />
Mischungen<br />
Historisch siedeln fast alle Inszenierungen<br />
das Geschehen in einer Kunstwelt<br />
mit Anklängen an die Zeit der<br />
Handlung bzw. Entstehung an. Zwar<br />
tragen in Bochum der Prinz und sein<br />
todbringender Helfer Marinelli heutige<br />
Designer-Brillen, doch wirkt die Kleidung<br />
der Familie Galotti schon wieder<br />
altmodischer. In Mannheim telefoniert<br />
Marinelli zwar per Handy herum, allerdings<br />
siedelt hier Lisa Nielebock das<br />
Stück eher in einem künstlichen Irgendwo<br />
und Irgendwann an, wenn<br />
Emilia ein traditionelles Hochzeitskleid<br />
trägt und eine Schaukel für zweckfreie<br />
Bewegung auf der <strong>Bühne</strong> sorgt. In Castrop-Rauxel<br />
hingegen erfährt die Historisierung<br />
der <strong>Bühne</strong> ihre Grenzen<br />
wohl nur durch die notwendige Sparsamkeit<br />
des Landestheaters; die angedeutete<br />
Abstraktion des Raumes hat<br />
keine konzeptionell erkennbaren Gründe.<br />
Ralf Ebelings Inszenierung ist in Requisiten<br />
und Kostümen eindeutiger als<br />
andere Inszenierungen der Spielzeit an<br />
Lessings Zeit orientiert. <strong>Die</strong> Darsteller<br />
interpretieren den Text zurückhaltend;<br />
dadurch erscheint er als ein Stück aus<br />
der Historie, das den Schülern im Publikum<br />
ohne eigene Akzente dargeboten<br />
wird. In Hannover dagegen spielt<br />
Altmeister Jürgen Minks deutlich mit<br />
den Zeitebenen. Der Fürstenhof zelebriert<br />
geradezu eine Modenschau aufgepeppter<br />
vergangener Kleidungsstile;<br />
der dienergleiche Hofrat (Friedrich<br />
W. Rasch) trägt eine Variation aus Frack<br />
und dreistreifigem Trainingsanzug – in<br />
Schwarz. Auch sonst ist hier alles sehr<br />
schick, auch bei den Galottis – und<br />
ziemlich hohl. Offensichtlich weiß das<br />
hysterische, verwöhnte Prinzchen (Daniel<br />
Lommatzsch) nicht annähernd,<br />
was Liebe ist, auch wenn Schlüsselbegriffe<br />
des Textes (wie „Gnade“, „Mitleid“,<br />
„Würde“ oder „Liebe“) auf der<br />
Rückwand der <strong>Bühne</strong> zu lesen sind. Bei<br />
Hofe sind die Männer blasiert, der Vater<br />
Emilias wiederum (Wolf Bachofner)<br />
ist ein desorientierter Geck. Damit<br />
bleibt der entschlossenen, verlassenen<br />
Geliebten Orsina (Sonja Beißwenger)<br />
und der zwischen Fassung und innerer<br />
Foto: Hans Jörg Michel<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 8 I 2007
SCHWERPUNKT<br />
▲<br />
43<br />
2I Castrop-Rauxel: Arno Kempf und<br />
Janina Kim Riedle als Prinz und Emilia...<br />
3I<br />
Foto: Matthias Horn<br />
4I<br />
Foto: Diana Küster<br />
3I ...ebenso in Hannover (mit Daniel<br />
Lommatzsch und Picco von Groote)...<br />
4I ...sowie in Essen (mit Fritz Fenne und<br />
dem Spiegelbild von Nadja Robiné).<br />
Verwirrung schwankenden Emilia (Picco<br />
von Groote) genügend Raum, um<br />
sich durch die schauspielerische Darstellung<br />
von eigenwilligen Menschen<br />
wohltuend hervorzutun. Letztlich entsteht<br />
in Hannover aber der Eindruck,<br />
der (selbst die <strong>Bühne</strong> entwerfende) Regisseur<br />
habe zum Text außer schickem<br />
Design keine Brücke zu schlagen gewusst.<br />
Einen blasierten Prinzen (Fritz Fenne),<br />
der mit seinem Jojo inniger umgeht als<br />
mit der angeblich geliebten Emilia, bekommt<br />
das Publikum auch in Essen zu<br />
sehen (Regie: Matthias Kaschig). Ein<br />
weiterer Antrieb ist aber weder bei ihm<br />
noch bei seinem sehr ruhigen Strippenzieher<br />
Marinelli (Sierk Razei) auszumachen.<br />
Das Spannendste hier sind<br />
eingeschobene Szenen, in denen vom<br />
Darsteller des Bräutigam-Mörders<br />
(Friedemann Thiele) im Taschenlampen-Schein<br />
direkt ins Publikum Obduktionsberichte<br />
gesprochen werden. <strong>Die</strong><br />
Beschreibung eines Toten,der am Ende<br />
als Gotthold Ephraim Lessing benannt<br />
wird, erzeugt mehr Spannung als die<br />
geschäftigen Gänge über die von<br />
weißen Vorhängen umhängte Studiobühne.<br />
Doch auch der von Anfang<br />
an hyperaktive und alkoholisierte<br />
Mannheimer Prinz (Michael Fuchs)<br />
kann sein naives und kurzsichtiges<br />
Handeln und durch Marinelli-Verführt-<br />
Werden nicht glaubhaft darstellen. Er<br />
ist laut und aufgedreht, lässt aber keine<br />
Triebfeder für sein Verlangen erkennen.<br />
Ganz ruhig dagegen beginnt die<br />
Düsseldorfer Inszenierung von Robert<br />
Schuster. Der Prinz ist da ein sehr junger<br />
Mann (Daniel Nerlich), der im asiatisierenden,<br />
einfach-klaren Ambiente<br />
der <strong>Bühne</strong> ruhig seinen sinnlichen Lüsten<br />
nachgehen möchte. Anfangs sind<br />
in Anlehnung an die Szene zwischen<br />
Hofmaler (Peter Harting) und Prinz<br />
auch die Video-Bild-Effekte vielversprechend:<br />
<strong>Die</strong> sich seitwärts bewegenden<br />
Projektionsflächen an der Rückwand<br />
spiegeln zuweilen, wenn sie nicht Videobilder<br />
zeigen, die <strong>Bühne</strong>nfiguren<br />
und verfremden sie dabei. Aber weder<br />
aus dieser Idee noch aus dem ruhigen<br />
Sprachspiel entwickelt das Ensemble<br />
ein überzeugendes Drama. Emilias<br />
bürgerlicher Vater (Wolfgang Reinbacher)<br />
tritt programmatisch aus dem<br />
Zuschauerraum auf;die Motivation für<br />
sein weiteres Handeln bleibt aber<br />
ebenso im Dunkeln wie die Beweggründe<br />
für Emilias (Anna Kubin) große<br />
Aufregung. Marinelli (Michael Schütz )<br />
ist als Spielmacher die auffälligste Figur<br />
in Düsseldorf.<br />
In Mönchengladbach/Krefeld gilt insgesamt<br />
ähnlich Ernüchterndes wie für<br />
die meisten anderen Inszenierungen.<br />
Hier fällt allerdings der ansonsten so<br />
undankbare Part des Vaters, der zuweilen<br />
in seiner seltsamen Strenge und<br />
Wut auch (unfreiwillig) komisch gerät,<br />
positiv auf. Joachim Henschke spielt<br />
ihn als schwarz-gekleideten Mann, der<br />
mit seiner stoischen Ruhe eine starke,<br />
zeitlos erscheinende Gestalt gegenüber<br />
eher dünnen, halbherzig modernisierten<br />
Figuren darstellt. <strong>Die</strong>se geheimnisvolle<br />
Figur geht mit seiner<br />
Tochter (Julia Nehmiz) am Ende ab, ohne<br />
dass sich Regisseur Thomas Oliver<br />
Niehaus festlegen wollte, was daraufhin<br />
geschehen wird.<br />
Ziellose Kunst oder einfacher<br />
Klassik-Pop<br />
Tina Lanik schien sich in Bochum in der<br />
letzten „Emilia“-Premiere im Reigen<br />
der NRW-Inszenierungen von den anderen<br />
alles in allem bescheidenen<br />
künstlerischen Ergebnissen in den<br />
Theatern dieses Bundeslandes (sowie<br />
in Mannheim und Hannover) absetzen<br />
und dem Klassiker kunstsinnig begegnen<br />
zu wollen. <strong>Die</strong> weite breite <strong>Bühne</strong><br />
verjüngt sich perspektivisch nach hinten,<br />
der Boden ist mit Glasscherben<br />
übersät. Knapp ein Dutzend dünner<br />
weißer Wände mit Fenster- und Türöffnungen<br />
machen den Weg zur hinteren<br />
Öffnung zum Irrgartenlauf. Emilia<br />
(Hanna Scheibe) agiert (anfangs mit<br />
Baskenmütze) theatralisch, aber auch<br />
irgendwie gelangweilt, Marinelli (Martin<br />
Horn) hat ein Alkoholproblem, die<br />
Mutter (Manuela Alphons) gerät in<br />
Zuckungen, sobald sich das böse Spiel<br />
abzeichnet. Und der Prinz (Hannes<br />
Hellmann) ist, wie so oft, ein lustloser<br />
Melancholiker, der das Lieben schon<br />
lange hinter sich hat. All das passt<br />
nicht zusammen. <strong>Die</strong> Inszenierung<br />
nimmt das Stück auseinander, ohne<br />
sich konzentriert mit ihm auseinanderzusetzen.<br />
Gewagt ist der „Auftritt“<br />
der entführten Emilia im Lustschloss.<br />
Sie wird in einer Kiste hereingetragen,<br />
bewegt sich darin mechanisch puppenhaft<br />
und wird vom hilflosen Prinzen<br />
schließlich wieder in der Kiste weggeschlossen.<br />
<strong>Die</strong>ser bildkräftige Ansatz<br />
bleibt jedoch folgenlos; der väterliche<br />
Mord an der inzwischen vampirähnlichen<br />
Emilia geschieht in einer Atmosphäre<br />
der Gleichgültigkeit.<br />
Bescheidener ist der Ansatz in Bonn.<br />
Regisseur Kay Voges inszeniert (ebenfalls<br />
im großen Haus) eine klare, plakativ<br />
verpoppte Klassikerverison. In einem<br />
gerahmten Silberkasten steht ein<br />
lebensgroßes Bambi-Modell, das für<br />
das Opfer Emilia steht. Dabei ist dieses<br />
Mädchen (Nina Weiß) kein Unschuldslamm;<br />
sie gibt sich auch kokett und<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 8 I 2007
5I<br />
Foto: Thilo Beu<br />
6I<br />
Foto:Wolfgang Silveri<br />
5I Der Prinz<br />
(Raphael Rubino)<br />
und Emilia (Nina<br />
Weiß) samt<br />
Bambi in Bonn.<br />
6I <strong>Die</strong>ner<br />
(Christoph<br />
Pütthoff) und<br />
Emilia in der Kiste<br />
(Hanna Scheibe)<br />
in Bochum.<br />
7I Joachim<br />
Henschke als<br />
fremder Vater in<br />
Mönchengladbach<br />
vor Prinz<br />
und Marinelli.<br />
8I Michael Schütz<br />
als Marinelli in<br />
Düsseldorf.<br />
zeigt (nach puppengleichen Ballettübungen)<br />
dem zögerlichen Vater<br />
(Wolfgang Jaroschka), was sich unter<br />
ihrem knappen Tütü befindet.Am Ende<br />
provoziert sie ihn (in Anspielung auf<br />
den tatkräftigen Vater der Virginia aus<br />
der römischen Überlieferung – die Vorlage<br />
für Lessings Stück): „Solche Väter<br />
gibt es keine mehr.“ – und wird nun<br />
endlich erschossen. Aber der Tod bleibt<br />
ein Theatercoup: Nachdem die Rückwand<br />
umgefallen ist, steht Emilia auf<br />
und geht davon. Das Stück wird in<br />
Bonn vergleichsweise effektvoll transportiert,ohne<br />
dass ein Sinn als Motivation<br />
für das Geschehen erkennbar würde.<br />
Auffällig ist , dass sich in den meisten<br />
Inszenierungen die Titelfiguren im<br />
weißen Retro-Kleid ähneln und dabei<br />
als schüchtern-selbstbewusste junge<br />
Frauen eine überzeugendere Rolle abgeben<br />
als die beschränkten Männerfiguren.<br />
Innige Liebe zwischen Emilia<br />
und ihrem Bräutigam, echtes Begehren<br />
des Prinzen waren viel stärker und<br />
7I<br />
Foto: Matthias Stutte<br />
glaubwürdiger als in den Aufführungen<br />
der Stadttheater in der Darstellungen<br />
des Duisburger Jugendclubs Spieltrieb<br />
zu sehen. <strong>Die</strong>„Emilia“-Premieren<br />
dieser Spielzeit haben gezeigt , dass<br />
Lehrplan und Spielplan nicht ohne weiteres<br />
miteinander vereinbar sind.<br />
Wenn zähe Inszenierungen auf<br />
zwangsverpflichtete Schüler-Zuschauer<br />
dauerhaft abschreckende Wirkung<br />
ausüben anstatt für das Thater zu begeistern<br />
– dann waren die vollen Schulstadttheaterhäuser<br />
der Spielzeit sogar<br />
ein verhängnisvoller Schritt Richtung<br />
Schwächung des Theaters.<br />
DVD, CD und Wiederaufnahme<br />
Auch in Andrea Breths Burgtheater-<br />
Inszenierung von 2002, die inzwischen<br />
auch als DVD (Theateredition) erhältlich<br />
ist, kann die Motivation für den<br />
Mord des Vaters und somit das tödliche<br />
Ende des Stücks nicht ganz überzeugen.<br />
Allerdings überstrahlt in der<br />
Burgtheater-Inszenierung die große<br />
8I<br />
Foto: Sebastian Hoppe<br />
schauspielerische Klasse der einzelnen<br />
Darsteller (u.a. Sven Eric Bechtolf, Elisabeth<br />
Orth, Johanna Wokalek) weitgehend<br />
die Unentschiedenheit der Ausdeutung,<br />
wie sie auch fast alle Inszenierungen<br />
dieser Spielzeit bestimmt.<br />
Ebenfalls neu erschienen ist (bei Argon)<br />
eine hochkarätig besetzte Hörspielfassung<br />
des Dramas mit Fritzi Haberlandt,<br />
Thomas Dannemann, Hans-<br />
Michael Rehberg und Dörte Lyssewski.<br />
<strong>Die</strong>se von Leonhard Koppelmann eingerichtete<br />
Version wirkt mit ihren<br />
sprachlich zurückhaltenden Figuren<br />
und der ruhigen Musikbegleitung<br />
weitgehend blass.<br />
Eigenwillig und entschieden begegnet<br />
dagegen Michael Thalheimer am Berliner<br />
<strong>Deutsche</strong>n Theater dem Stück; die<br />
Inszenierung von 2001 erlebte in der<br />
vergangenen Spielzeit einige Aufführungen<br />
der Wiederaufnahme. In einem<br />
starken Zugriff hebt Thalheimer<br />
die zeitliche Gedrängtheit der Ereignisse<br />
hervor. Damit schafft er Spannung,<br />
die sich jedoch keineswegs aus<br />
oberflächlicher Hektik speist, sondern<br />
aus der Betonung der existenziellen<br />
Aspekte der Liebe im Drama entspringt.<br />
Von Anfang an geht es im kargen,<br />
sich nach hinten verjüngenden<br />
Raum konzentriert und schnell zur Sache:<br />
In knapp achtzig Minuten ist das<br />
Drama vorbei, mit offenem Ende.Technische<br />
Details der Intrigen spielen keine<br />
Rolle, dafür von Anfang an die gegenseitige<br />
erotische Anziehung zwischen<br />
Emilia (Regine Zimmermann)<br />
und Prinz (Sven Lehmann).Thalheimer<br />
und seinem Ensemble gelingt das<br />
Kunststück, den klassischen Text als<br />
existenzielles Spiel jenseits aller Historie<br />
zu spielen. Das beweist, dass<br />
„Emilia Galotti“ jenseits drögen<br />
<strong>Schultheater</strong>s möglich ist.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 8 I 2007