3 documenta - Vermittlung von Gegenwartskunst
3 documenta - Vermittlung von Gegenwartskunst
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2 <strong>documenta</strong><br />
»Die Revolutionen sind<br />
die Lokomotiven der<br />
Geschichte« (Karl Marx).<br />
Von Kassel wird jedenfalls<br />
keine Kulturrevolution<br />
ausgehen. (<strong>documenta</strong><br />
13, 2012)<br />
Werner Seppmann ist<br />
Publizist und Soziologe.<br />
Zuletzt erschienen <strong>von</strong><br />
ihm folgende Bücher:<br />
Krise ohne Widerstand?<br />
(2010); Die verleugnete<br />
Klasse – Arbeiterklasse<br />
heute (2011); RisikoKapitalismus:<br />
Krisenprozesse,<br />
Widerspruchserfahrungen<br />
und Widerstandsperspektiven<br />
(2011);<br />
Subjekt und System –<br />
Der lange Schatten des<br />
Objektivismus (2011);<br />
Dialektik der Entzivilisierung:<br />
Krise, Irrationalismus<br />
und Gewalt<br />
(2011); Marxismus und<br />
Philosophie: Über Leo<br />
Kofler und Hans Heinz<br />
Holz (2012).<br />
<strong>documenta</strong> erscheint als<br />
Spezial der Tageszeitung<br />
junge Welt im Verlag<br />
8. Mai GmbH, Torstr. 6,<br />
10199 Berlin. Redaktion:<br />
Arnold Schölzel<br />
(V. i. S. d. P.); Anzeigen:<br />
Silke Schubert; Gestaltung:<br />
Michael Sommer<br />
Warten wir ab, was die Ausstellungsmanager<br />
der aktuellen<br />
Documenta ins<br />
Blickfeld rücken werden.<br />
Würden nicht die Erfahrungen aus der Vergangenheit<br />
mit diesem Mega-Event des<br />
herrschenden Kunstbetriebs zur Skepsis<br />
gemahnen, wäre angesichts des ambitionierten<br />
Selbstanspruchs der Documenta<br />
eine hohe Erwartungshaltung berechtigt:<br />
Seit ihren Anfängen beansprucht sie, einen<br />
repräsentativen Überblick über das globale<br />
Kunstschaffen zu bieten. Sie soll nach Meinung<br />
ihrer Organisatoren einen Eindruck<br />
<strong>von</strong> den maßgeblichen Entwicklungslinien<br />
der Weltkunst vermitteln. »Vollständigkeit«<br />
war zwar nie angestrebt, jedoch die Erfassung<br />
aller wichtigen »Trends«, die Dokumentation<br />
dessen, was als <strong>Gegenwartskunst</strong><br />
globale Geltung besäße.<br />
Abstrakter »Avantgardismus«<br />
Ihren Selbstanspruch ist die Documenta<br />
jedoch niemals gerecht geworden: Ihre<br />
Beschäftigung mit dem jeweils aktuellen<br />
Kunstschaffen war <strong>von</strong> einem engen Verständnis<br />
dessen geprägt, was als »modern«,<br />
»innovativ« und beachtenswert zu gelten<br />
habe: Auf der Basis einer reduktionistischen<br />
»Moderne«-Auffassung hat die Documenta<br />
eine maßgebliche Rolle bei der<br />
Durchsetzung einer Kunst der Weltabgewandtheit,<br />
der Beliebigkeit und inhaltlicher<br />
Selbstgenügsamkeit gespielt. Konsequent<br />
wurde im Laufe der Jahrzehnte ein Gegenprogramm<br />
zu einer Kunst sozialer Verantwortung<br />
und kultureller Selbstbefragung<br />
zelebriert. Identitätsstiftend war <strong>von</strong> Beginn<br />
an der weitgehende Ausschluß eines realistischen,<br />
die sozio-kulturellen Verhältnisse<br />
reflektierenden künstlerischen Schaffens.<br />
Basis der Ausstellungstätigkeit war die<br />
Privilegierung einer Kunst subjektivistischer<br />
»Freiheit«: Am Anfang stand die bedingungslose<br />
Apologie »abstrakter Kunst«,<br />
deren radikale Selbstbezüglichkeit als Ausdruck<br />
einer grenzenlosen künstlerischen<br />
»Freiheit« (miß)verstanden wurde.<br />
Ihrem Reduktionismus ist die Documenta<br />
trotz allen Gestaltwandels im Laufe der<br />
Jahrzehnte treu geblieben. Dem Publikum<br />
wurde jedoch etwas anders vorgetäuscht:<br />
Trotz einer rigorosen Selektionspraxis<br />
wurde <strong>von</strong> den Verantwortlichen penetrant<br />
behauptet, vorbehaltlos immer nur die<br />
»maßgeblichen Künstler« (Werner Haftmann)<br />
zu präsentieren. Aber die Regel war<br />
das Gegenteil: Harald Kimpel trifft den<br />
Kern der Sache, wenn er in seiner kritischen<br />
Geschichte der Documenta schreibt, daß<br />
durch ihre Formierungsarbeit (zum damaligen<br />
Zeitpunkt im Sinne einer abstrakten<br />
»Avantgarde«), »ein allseitiger Ausbau des<br />
noch in den Nachkriegsjahren vorhandene<br />
vielfältigen Spektrums künstlerischer Aktivitäten<br />
verhindert« wurde.<br />
Selbstgenügsamkeit<br />
Die <strong>von</strong> den Documenta-Managern mit<br />
Nachdruck ins Blickfeld gerückte Ästhetik<br />
hat sich in den letzten Jahrzehnten auf<br />
den ersten Blick zwar beständig gewandelt,<br />
aber letztlich paßt die Mehrzahl der<br />
Ausstellungsobjekte in das Raster einer<br />
zum Programm erhobenen ästhetischen<br />
Selbstgenügsamkeit und nachdrücklichen<br />
Weltabgewandtheit.<br />
Gegenüber der Dominanz einer »abstrakten<br />
Kunst« in der Anfangsphase, rückten<br />
in den späteren Ausstellungsjahren zwar<br />
zunehmend »Werkkomplexe« mit sozialen<br />
und auch politischen Relevanzansprüchen<br />
in den Mittelpunkt, mit dem Prinzip des<br />
Subjektivismus und der Zelebrierung einer<br />
ästhetischen Beliebigkeit wurde jedoch<br />
nicht gebrochen. In all den Documenta-<br />
Jahrzehnten dominierte eine Tendenz zur<br />
Welt- und Belanglosigkeit.<br />
Die Privilegierung einer abstrakten<br />
»Avantgarde« in den Anfangsjahren der<br />
Documenta, wurde in den »kulturrevolutionären<br />
Umbruchzeiten« seit den späten<br />
60er Jahren durch ästhetisierende Selbst-<br />
HEIKO MEyER/DAPD<br />
Vom Elend einer<br />
»Avantgarde«<br />
Das Beispiel Documenta. Von Werner Seppmann<br />
inszenierungen im Stile eines Künstlers wie<br />
Joseph Beuys (1921–1986) abgelöst. In den<br />
letzten Dekaden rückte eine pseudokonkrete<br />
Bedeutungskunst mit hochtrabendem<br />
Geltungsanspruch in den Vordergrund. Ihr<br />
mangelt es allerdings weitgehend an formaler<br />
Gestaltungs- und inhaltlicher Überzeugungskraftkraft.<br />
Gewöhnlich beschränkte<br />
sie sich darauf, auf gesellschaftliche<br />
Probleme zu verweisen (Naturzerstörung,<br />
Geschlechterfrage etc.), statt sich mit ihrer<br />
Deutung zu beschäftigen. So sollten die<br />
vom US-amerikanischen Konzeptkünstler<br />
Bruce Nauman (geb. 1941) präsentierten<br />
Gläser mit Tierexkrementen ebenso auf die<br />
»Ökologie-Problematik« verweisen, wie eine<br />
auf der letzten Documenta präsentierte<br />
Blumenstellage.<br />
Wirklichkeitsvermeidung<br />
Die durchaus wechselvolle (und teilweise<br />
auch widersprüchliche) Documenta-Geschichte<br />
stellt in ihrer Grundtendenz das<br />
Gegenprogramm zu einer Kunst der Realitätserfassung<br />
dar: In ihren Haupttrends privilegierte<br />
sie die Erzeugnisse einer belanglosen<br />
Dekorationsware (Pop und Minimal<br />
Art) sowie die ästhetisierenden Aktivitäten<br />
eines weltlosen Subjektivismus.<br />
Trotz der allmählichen Bedeutungszunahme<br />
eines »problemorientierten« künstlerischen<br />
Schaffens, blieb das vereinigende<br />
Band der über die Jahrzehnte präsentierten<br />
Stile, Trends und Moden die Maxime, daß<br />
Kunst sich »selbst genügen« müsse. Als<br />
»autonomes« Artikulationsystem, so wurde<br />
im Sinne eines tradierten bürgerlichen<br />
Kunstverständnisses unterstellt, hätte sie<br />
mit ihrer bloßen Existenz ihren Zweck erfüllt.<br />
Wenn sie sozio-kulturelle Widersprüche<br />
zur Sprache brächte, sei das akzeptabel,<br />
aber der ästhetischen Sache angemessener<br />
seien künstlerische Äußerungsformen, die<br />
sich esoterisch und selbstbezüglich präsentieren.<br />
Geradezu enthusiastisch wurden<br />
die regressiv-mythologischen Schöpfungen<br />
<strong>von</strong> Beuys, sein Spiel mit archaischer<br />
Mittwoch, 30. Mai 2012, Nr. 124 junge Welt<br />
Materialität und esoterischer Spiritualität<br />
zelebriert.<br />
Vor diesem Hintergrund wird auch die<br />
beträchtliche Differenz zwischen den Ansprüchen<br />
und der Realität einer symbolischen<br />
Bedeutungskunst verständlich, die<br />
im offiziösen Ausstellungsbetrieb seit den<br />
70er Jahren eine zunehmend Rolle spielt.<br />
Ihre ambitionierten Programme finden aber<br />
im konkreten Kunstschaffen keine adäquaten<br />
Entsprechungen: Denn läßt sich ernsthaft<br />
behaupten, daß durch die museale Präsentation<br />
eines mit seinen Habseligkeiten<br />
bepackten Fahrrads eines Obdachlosen, das<br />
reale Bedingungsverhältnis <strong>von</strong> Armut und<br />
Reichtum hinreichend thematisiert wird?<br />
Kunst bleibt mit solch bloßen »Verweisen«<br />
auf das »Skandalöse« hinter ihren<br />
Möglichkeiten zurück. Ihre potentielle<br />
Leistungsfähigkeit macht genau das aus,<br />
was in vielen »Arrangements« des Spätmodernismus<br />
fehlt: Nachvollziehbar das Verhältnis<br />
<strong>von</strong> Objektivität und Subjektivität<br />
zu thematisieren, das konkrete Leiden der
junge Welt Mittwoch, 30. Mai 2012, Nr. 124<br />
Menschen an den gesellschaftlichen Verhältnissen<br />
darzustellen, aber darüber hinausgehend,<br />
auch zu verdeutlichen, daß die<br />
Entfremdungszustände nicht festgeschrieben<br />
sind und gegenwärtige Kapitalismusdominanz<br />
keinesfalls ein »Ende der Geschichte«<br />
bedeuten muß.<br />
Erst wenn das Kunstwerk das Spannungsfeld<br />
zwischen realen Lebensverhältnissen<br />
und den historisch möglich gewordenen<br />
Veränderungen thematisiert, kann die spezifische<br />
Leistungsfähigkeit ästhetischer Artikulationsformen<br />
gegenüber einer bloß objektivierenden<br />
theoretischen Beschreibung<br />
(die das Betätigungsfeld <strong>von</strong> Wissenschaft<br />
ist) zur Geltung gebracht werden.<br />
Es geht einer progressiven Ästhetik keineswegs<br />
um eine, in einem vordergründigen<br />
Sinne, »politische Kunst«, die oberflächlich<br />
betrachtet in der letzten Zeit an<br />
Bedeutung gewonnen hat: Nach einer langen<br />
Phase der Abstinenz werden auch <strong>von</strong><br />
der »Offizialkunst« immer öfter soziale<br />
Relevanzansprüche formuliert. Die Ausstellungsgeschichte<br />
der Documenta in den letzten<br />
beiden Jahrzehnten ist ein Spiegelbild<br />
dieser Entwicklung. Aber das in den bürgerlichen<br />
Ausstellungstempeln Gezeigte ist<br />
in seiner Banalität oft kaum zu unterbieten.<br />
Regelmäßig ist das der Fall, wenn politisch-normative<br />
Positionierungen zu einem<br />
ästhetischen Schaffensakt mit kritischen<br />
Anspruch stilisiert werden. Das »Problem<br />
<strong>von</strong> Ausbeutung und Migration« wird in<br />
seinen wesentlichen Dimensionen jedoch<br />
nicht erfaßt, wenn Migranten, stumm in<br />
Pappkartons sitzend, im Museum »präsentiert«<br />
werden, um auf ihre Ausgrenzung<br />
und Stigmatisierung zu verweisen. Soziale<br />
Konflikte werden durch solche Formen der<br />
»Kulturalisierung« letztlich verharmlost.<br />
Alternativlosigkeit<br />
Will Kunst ihre progressiven Möglichkeiten<br />
entfalten, reicht es nicht aus, bloß<br />
auf den skandalösen Zustand der Welt<br />
zu verweisen. Über die Zustandsbilder<br />
hinausgehend, müßte angedeutet werden,<br />
was die tatsächlichen Ursachen der<br />
Krisen- und Katastrophenentwicklung<br />
sind und welche Perspektiven des Widerstands<br />
existieren – trotz aller scheinbaren<br />
Festgefügtheit herrschender Verhältnisse.<br />
Aber gerade in vielen »Arrangements«<br />
einer »politisch« definierten <strong>Gegenwartskunst</strong><br />
fehlt der Versuch einer nachvollziehbaren<br />
Darstellung des Spannungsverhältnisses<br />
<strong>von</strong> sozialen Bedrückungserfahrungen<br />
und den Möglichkeiten der<br />
Gegenwehr.<br />
Nur wenn sie mit ihren spezifischen<br />
Mitteln die substanziellen Zusammenhänge<br />
thematisieren, können die Künste<br />
die ideologischen Aktivitäten des hegemonialen<br />
Blocks konterkarieren. Er ist<br />
auf allen denkbaren Gebieten bemüht,<br />
den Eindruck einer Alternativlosigkeit<br />
der herrschenden Zuständen zu erwekken.<br />
Solche Bewußtseinsverzerrung zu<br />
festigen, gelingt den ideologischen Apparaten<br />
(zu denen auch der kultur-bürokratische<br />
Komplex mit seiner Ausstellungsindustrie<br />
gehört) häufig dadurch,<br />
daß die Katastrophen- und Widerspruchsentwicklungen<br />
überhaupt nicht mehr geleugnet,<br />
sondern so thematisiert werden,<br />
daß ein verbreiteter Eindruck ihrer Unvermeidlichkeit<br />
sich festigt. Im Modus<br />
solcher ästhetischen Thematisierung wird<br />
die Basisüberzeugung des herrschenden<br />
Denkens bestätigt, daß es »keine Alternative«<br />
zur jetzigen Weltverfaßtheit gäbe,<br />
der Kapitalismus <strong>von</strong> »über-historischer«<br />
Natur wäre.<br />
Auch in den kritischen Diskussionen<br />
über Kultur und Gesellschaft spielt die<br />
Infragestellung solcher ideologischen<br />
Anpassungsmuster nur eine untergeordnete<br />
Rolle. Nur selten werden die antizivilisatorischen<br />
Effekte der herrschenden<br />
Kulturpraktiken angesprochen und<br />
noch seltener wird der demonstrative<br />
Zynismus kritisiert, durch den sie nicht<br />
selten geprägt sind. Im Gegenteil: Die<br />
oft bloß registrierenden Blicke auf eine<br />
krisengeprägte Gegenwart und ihre<br />
naturalistischen Spiegelbilder, werden<br />
regelmäßig als kritische Stellungnahme<br />
mißverstanden. Aber ist es eine künstlerisch<br />
gelungene Reaktion auf die neue<br />
Selbstverständlichkeit des militärischen<br />
Interventionismus, wenn – wie auf der<br />
letzten Documenta geschehen - ein aus<br />
Holz und Pappe nachgebauter Panzer<br />
präsentiert wird? Damit wird in ästhetisierender<br />
Manier nur bestätigt, was sowieso<br />
jedem bekannt ist. Die Gründe für<br />
den unfriedlichen Weltzustand bleiben<br />
jedoch im Verborgenen.<br />
Klassenbasis<br />
Gesellschaftliche Referenzgruppe dieser<br />
Kunstszene (weil sie die höchsten Preise<br />
zahlt und mit ihren Sammlungen die<br />
Ausstellungspolitik beeinflußt) sind die<br />
schillernde Gestalten des Jet-Sets, reiche<br />
Erben und erfolgreiche Unternehmer,<br />
mittlerweile auch die Repräsentanten eines<br />
schnellen Geldes, die Börsenspekulanten<br />
und die anderen »Heuschrecken«<br />
des globalisierten Kapitalismus, aber<br />
auch arabische Ölmilliadäre und Raubkapitalisten<br />
aus Rußland und China. Die<br />
Drogemafia ist ebenfalls als gewichtiger<br />
»Marktfaktor« zu identifizieren.<br />
Wir erleben momentan den Scheitelpunkt<br />
einer Entwicklung, in der die <strong>von</strong><br />
einer Allianz aus kapitalistischen Kunstsammlern<br />
und Kunsthandel, Museumsbürokratie<br />
und einer eilfertigen »Kunstkritik«<br />
durchgesetzten Präferenzen unbedingte<br />
Geltungskraft besitzen. Nicht ihre<br />
bloße Kommerzialisierung, sondern die<br />
intensive Verschränkung <strong>von</strong> Kommerz<br />
und Ausstellungsbetrieb, ist der Hintergrund,<br />
daß »zeitgenössische Kunst immer<br />
griffiger, gefälliger, flacher wird«. (Heinz<br />
Peter Schwerfel). »Raumfüllend« breitet<br />
sich unter diesen Bedingungen eine ebenso<br />
bunte wie harmlose Eventkunst aus.<br />
Typisch dafür ist der diamantenbesetzte<br />
Totenschädel, den der britische Künstler<br />
und Kurator Damien Hirst (geb. 1965)<br />
feilgeboten hat. Der ästhetische Niveauverlust<br />
ist die Konsequez eines »selbstreferentiellen«<br />
Beziehungssystems: Die<br />
Sammler kaufen, was in den Museen präsentiert<br />
und <strong>von</strong> den in das System inkorporierten<br />
»Kritikern« abgesegnet wird –<br />
und die Museen stellen mit normierender<br />
Wirkung wiederum das aus, was die<br />
Sammler an künstlerischem Handelsgut<br />
angehäuft haben. Die in diesem System<br />
»eingeklemmten« Künstler sind meist eilfertig<br />
bemüht, die Nachfrage nach bedeutungserheischender<br />
Dekorationsästhetik<br />
zu erfüllen.<br />
Ohne Zweifel gibt es innerhalb des kultur-bürokratischen<br />
Komplexes neben der<br />
stromlinienförmigen Beliebigkeitsware<br />
auch andere, zu kritischer Reflexion und<br />
Selbstbefragung herausfordernde Werke<br />
– aber sie sind die Ausnahme. Warten<br />
wir ab, ob sie auf der 13. Documenta zur<br />
Geltung kommen. Aber die Erwartungen<br />
sollten nicht zu hoch gespannt sein: Wie<br />
im Vorfeld des Events zu hören ist, soll<br />
die Ausstellung »gegenwartsbezogen«<br />
sein und aktueller »Bewegungs«politik<br />
einen prominenten Platz einräumen. Dies<br />
wäre begrüßenswert, wenn es dazu führte,<br />
daß z. B. die innerhalb der Antibankenbewegung<br />
verbreitete Kapitalismusskepsis<br />
zu einem radikalen Horizont der Kapitalismuskritik,<br />
zu Vorstellungen eines<br />
alternativen Lebens und einer nachkapitalistischen<br />
Gesellschaftsorganisation<br />
vermittelt würde.<br />
Kunst als Politik?<br />
Große Hoffnungen, daß dies geschieht,<br />
überhaupt nur intendiert ist, sind nicht angebracht.<br />
Vielmehr ist zu vermuten, daß<br />
die noch bis zum 1. Juli 2012 laufende<br />
aktuelle Berliner Biennale, die es sich auf<br />
die Fahnen geschrieben hat, Kunst auf die<br />
Maßeinheiten eines ebenso spontanen wie<br />
unreflektierten Aktivismus zu reduzieren,<br />
einem Trend entspricht, der auch auf der<br />
Documenta 13 seine Rolle spielen wird.<br />
Die Erfahrung lehrt, daß ein ästhetisierender<br />
Aktivismus im gleichen Maße<br />
hinter dem politisch Notwendigen zurück<br />
bleibt, wie er die subtilen Fähigkeiten<br />
ästhetischen Schaffens verfehlt. Ein bloß<br />
deklaratorischer Ästhetizismus verspielt<br />
jede emanzipatorische Perspektive: Ein<br />
Polizeiauto in Brand zu setzen und die<br />
Aktion filmisch zu dokumentieren (ein<br />
entsprechendes Video, wurde in Berlin<br />
präsentiert) ist ein Akt subjektivistischer<br />
Selbstbestätigung; als isoliert präsentierter<br />
Bedeutungsgeste ist er im besten Fall<br />
vor-politisch.<br />
Daß der kultur-bürokratische Komplex<br />
durch intellektuelle Gleichschaltung geprägt<br />
ist, sollte nicht überraschen, denn<br />
die Lobredner und Einflußmanager des<br />
Spät- und Pseudomodernismus brauchen<br />
das bedingungslose Einvernehmen und<br />
das Klima intellektueller Einschüchterung,<br />
wenn die Thematisierung der<br />
»Nacktheit« ihrer Kunstkaiser verhindert<br />
werden soll. Durch eine Tabuisierung<br />
der Kritik hat sich eine Atmosphäre des<br />
gleichgültigen Einvernehmens durchgesetzt,<br />
dessen Basis die Destruktion jedes<br />
Bewertungskriteriums ist. Als Orientierungsgröße<br />
gilt die Behauptung, daß<br />
»Qualität in der Kunst ... sich nicht definieren<br />
läßt«, weil angeblich »Kunst selber<br />
nicht definierbar« sei (so die deutsche<br />
Kunsthistorikerin und Museumskuratorin<br />
Gudrun Inboden).<br />
Daß die herrschende Praxis des Ausstellungsbetriebs<br />
einer intellektuellen<br />
Selbstnegation gleichkommt, sollte nicht<br />
überraschen: Die Tabuisierung <strong>von</strong> Bewertungsmustern<br />
ist aus seiner Interessenperspektive<br />
<strong>von</strong> zwingender Notwendigkeit.<br />
Denn was in den Tempeln der<br />
Eventkultur vorrangig präsentiert wird,<br />
hält strenger Überprüfung nicht stand. Es<br />
entlarvt sich als die Zweit- und Drittverwertung<br />
abgestandener Kunstformen, der<br />
meist eine wie auch immer geartete kritische<br />
Substanz und Innovationskraft ebenso<br />
fehlen, wie gestalterische Originalität<br />
oder subtile Inhaltlichkeit. Besser ist es<br />
dann, jede Thematisierung der eigenen<br />
Relevanzansprüche zu vermeiden!<br />
Ein kurzer Rückblick auf die Documenta<br />
2007 soll illustrieren, in welchem Zustand<br />
sich die herrschende »Bedeutungskunst«<br />
präsentiert: Durch ein rustikales Holzbrett,<br />
auf dem einige Farbtupfer verteilt sind,<br />
wollte der Prager Künstler Jiri Kovanda<br />
(geb. 1953) auf »alles Flüchtige« verweisen<br />
und die »Schwelle zwischen Kunst und<br />
Alltag markieren«. Der französische »Aktionskünstler«<br />
Saadane Afif (geb. 1970)<br />
stellte E-Gitarren neben Verstärker, um das<br />
»Verhältnis zwischen Musik, Sprache und<br />
Raum« zu thematisieren. In »reduzierter,<br />
konzentrierter Form«, wollte der Österreicher<br />
Gerwald Rockenschaub (geb. 1952)<br />
auf »Ideen der Moderne und der Popkultur«<br />
anspielen – beispielsweise durch einen<br />
aufgeblasenen, großformatigen gelben<br />
Würfel aus Plastikfolie.<br />
Das Übergewicht einer Kunst des Designs<br />
oder der konzeptionellen Harmlosigkeit<br />
ist die Konsequenz eines langfristigen<br />
Formierungsprozesses. Es muß<br />
bei der Beschäftigung mit dem kulturbürokratischen<br />
Komplex deshalb immer<br />
die Erinnerung präsent bleiben, daß die<br />
Durchsetzung eines weltleeren Modernismus<br />
sowie einer vordergründigen<br />
»Aktions-« und »Bedeutungskunst« <strong>von</strong><br />
Beginn an gegen subtile Formen sozialer<br />
Selbstvergewisserung im Medium des<br />
Ästhetischen gerichtet war. Er ist mit seiner<br />
Aufräumungs- und Umwertungsarbeit<br />
im Sinne seiner reduktionistischen Maßstäbe<br />
und Präferenzen auch erfolgreich<br />
gewesen. Mit Hilfe rigoroser Ausgrenzungspraktiken<br />
wird abgesichert, was als<br />
legitime Kunst zu gelten habe.<br />
Die Documenta hat bei dieser Umwertung<br />
aller künstlerischen Werte immer<br />
eine Vorreiterrolle gespielt.<br />
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Libyen: Fast 150 Tote<br />
bei Stammeskämpfen<br />
Tripolis. Im Süden Libyens sind in<br />
der vergangenen Woche bei Kämpfen<br />
zwischen verfeindeten Stämmen<br />
fast 150 Menschen getötet<br />
worden, es gab zudem fast 400 Verletzte.<br />
Von ihnen mußten etwa 180<br />
zur dringenden Behandlung in die<br />
rund 650 Kilometer nördlich gelegene<br />
Hauptstadt Tripolis gebracht<br />
werden, wie Gesundheitsministerin<br />
Fatma Al-Hamrusch am Samstag<br />
mitteilte. Hintergrund der Kämpfe<br />
in der Oase Sabha sind Konflikte<br />
zwischen südlibyschen arabischen<br />
Stämmen, die als enge Verbündete<br />
des gestürzten Staatschefs<br />
Muammar Al-Ghaddafi galten,<br />
und der afrikanischen Volksgruppe<br />
der Tabu, die gegen Ghaddafi<br />
kämpfte. Die jüngsten Auseinandersetzungen<br />
in der Region werfen<br />
ein Schlaglicht auf die schwache<br />
Autorität des regierenden libyschen<br />
Übergangsrats. (dapd/jW)<br />
Antifaschist, Antifaschist, KPD-Mitglied, KPD-Mitglied, Wissenschaft-<br />
Wissenschaft<br />
ler: ler: Vor Vor 30 30 Jahren Jahren starb starb Peter Peter<br />
Brückner. Von Michael Zander<br />
er angedrohte Streik im öffentlichen<br />
Dienst ist abgeblasen.<br />
Nach 40stündigen Verhandlungen<br />
einigten sich Bund und Kommunen<br />
und Gewerkschaften in der Nacht zum<br />
Samstag in Potsdam u. a. auf schrittweise<br />
wirksam werdende Lohnerhöhungen<br />
<strong>von</strong> insgesamt 6,3 Prozent in 24 Monaten.<br />
Die Ausbildungsvergütungen steigen<br />
in zwei Stufen um 50 bzw. 40 Euro<br />
pro Monat. Auf Drängen der Staatsvertreter<br />
wurde für die rund zwei Millionen<br />
Beschäftigten zudem eine neue<br />
Urlaubsregelung vereinbart. Während<br />
die Gewerkschaften Verbesserungen<br />
bei der Übernahme <strong>von</strong> Auszubildenden<br />
durchsetzen konnten, ließen sie den<br />
geforderten Mindestbetrag <strong>von</strong> 200 Euro<br />
fallen. In der ver.di-Bundestarifkommission<br />
fiel das ausgehandelte Ergebnis<br />
nach jW-Informationen zunächst durch<br />
und erhielt erst im zweiten Anlauf eine<br />
knappe Mehrheit.<br />
Es sei ein »Tarifkompromiß mit viel<br />
Licht, aber auch Schatten«, heißt es Zufrieden mit dem Ergebnis? Beim Warnstreik am Dienstag in Frankfurt forderten ver.di-Mitglieder noch 6,5 Prozent<br />
im ver.di-Flugblatt zum Verhandlungsergebnis.<br />
Wenn die Dienstleistungs- den Informationen zufolge schließlich Reallöhne zu sichern, betonte Bsirske. lange Laufzeit, die Stückelung der<br />
gewerkschaft in ihren öffentlichen 45 <strong>von</strong> 81 Kommissionsmitgliedern Eine Erzieherin im fünften Berufsjahr Tariferhöhungen und daß es uns ge-<br />
Stellungnahmen schon <strong>von</strong> Schatten zu, bei 30 Gegenstimmen und sechs erhält ihm zufolge binnen zwei Jahren lungen ist, die Forderung nach einem<br />
spricht, muß es intern reichlich ge- Enthaltungen. Die Delegationen der 154 Euro monatlich mehr, die unter- Mindestbetrag abzuwehren«, komkracht<br />
haben. Die mit ehrenamtlichen Landesbezirke Nordrhein-Westfalen, sten Entgelte steigen in dieser Zeit um mentierte Thomas Böhle, Präsident<br />
Betriebsräten und Vertrauensleuten Bayern, Baden-Württemberg und Nie- 100 Euro. Den – für eine einjährige der Vereinigung der kommunalen Ar-<br />
besetzte Bundestarifkommission tagte dersachsen-Bremen waren demnach Laufzeit geforderten – Mindestbetrag beitgeberverbände. Durchsetzen konn-<br />
in der Nacht geschlagene sechs Stun- mehrheitlich gegen die Vereinbarung. <strong>von</strong> 200 Euro monatlich konnte ver.di te er sich auch mit einer Neure<br />
den. Wie jW aus informierten Krei- Unmut erregte nicht so sehr das Vo- allerdings nicht durchsetzen. Das sei der Urlaubsa<br />
sen erfuhr, sprach sich in einer ersten lumen der erzielten Lohnsteigerung. »außerordentlich bedauerlich«, sagt<br />
Abstimmung zunächst eine knappe Den vereinbarten Eckpunkten zufolge Bsirske, da gerade<br />
Mehrheit gegen den Abschluß aus. sollen die Einkommen ab März dieses m<br />
Daraufhin wurden die Sitzung unter- Jahres um 3,5 Prozent ste<br />
brochen und einzelne Delegationen zu nuar und<br />
Treffen mit Frank Bsirske gelade<br />
denen sich der<br />
Apartheidsystem<br />
Die Linksjugend verteilt Musik-CD<br />
gegen Bundeswehr-Werber an<br />
Schulen. Ein Interview<br />
Gegründet 1947 · Mittwoch, 11. April 2012 · Nr. 85 · 1,30 Euro · PVSt A11002 · Entgelt bezahlt<br />
Energiepolitik<br />
Mumia Abu-Jamal im Interview mit<br />
»Russia Today« über den »Krieg<br />
gegen Arme« in den USA<br />
www.jungewelt.de<br />
www.jungewelt.de<br />
2 7<br />
9<br />
10<br />
Bundesrepublik und Japan zeigen gegenwärtig:<br />
Es geht auch ohne Atomkraftwerke.<br />
Von Wolfgang Pomrehn<br />
D<br />
»Zum Schutz der Zivilbevölkerung«: Westliches Militärbündnis<br />
50 000 Menschen sterben. Von Rüdiger Göbel<br />
KAI P FA F F E N BAC H / R E U T E R S<br />
Schlecker-Kinder<br />
erwägen Rückkauf<br />
Literaturempfehlungen<br />
3<br />
Eduard Beaucamp: Der<br />
verstrickte Künstler. Wider<br />
die Legende <strong>von</strong> der<br />
unbefleckten Avantgarde.<br />
Ostfildern 1998<br />
Martin Damus: Kunst im<br />
20. Jahrhundert. Von der<br />
transzendierenden zur<br />
affirmativen Moderne.<br />
Reinbek 2000<br />
Harald Kimpel: <strong>documenta</strong>.<br />
Mythos und<br />
Wirklichkeit. Köln 1997<br />
Leo Kofler: Abstrakte<br />
Kunst und absurde Literatur.<br />
Ästhetische Marginalien.<br />
Wien 1970<br />
Georg Lukács: Wider<br />
den mißverstandenen<br />
Realismus. Hamburg<br />
1958<br />
Thomas Metscher: Imperialismus<br />
und Moderne.<br />
Zu den Bedingungen<br />
gegenwärtiger Kunstproduktion.<br />
Essen 2009<br />
Thomas Metscher:<br />
Kunst: Eine marxistische<br />
Einführung. Berlin 2012<br />
(im Druck)<br />
Hanno Rauterberg: Und<br />
das ist Kunst? Eine Qualitätsprüfung.<br />
Frankfurt<br />
am Main 2007<br />
SEBA S T I A N W I L L N OW /DA P D<br />
Berlin. Die Kinder <strong>von</strong> Anton<br />
Schlecker, Gründer der insolventen<br />
Drogeriemarktkette, er<br />
Med