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Ein Dialog - Staatstheater Mainz

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Perspektivenwechsel<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Dialog</strong><br />

«Ich spreche gern eine andere Sprache.» «Ich höre gern andere Sprachen,<br />

ohne sie zu verstehen.» «Ich mag Zitate, aber wenn ich dich zitiere, dann<br />

fehlst du als Kontext.» Sich in jemand anderes hineinzuversetzen ist das<br />

A und O von Kommunikation. «Ich vergesse immer:» Kommunikation ist<br />

Krieg. «In der griechischen Mythologie finden wir diverse Fälle, wo es um<br />

Perspektivenwechsel geht.» «Ist der Blick in die griechische Mythologie<br />

nicht auch ein Perspektivenwechsel?» «Narziss und Medusa z. B.» «Es geht<br />

überhaupt immer um Perspektivenwechsel.» Kommunikation ist Wettbewerb.<br />

Was ist das(,) ein perfekter <strong>Dialog</strong>? Ich gehe abwechselnd von<br />

dir und mir aus. «Von dir auszugehen, ist arrogant. Ich kann nicht von dir<br />

ausgehen» (Ich kann dich nicht vorwegnehmen, denkt Echo, SAGT Echo,<br />

ist Echos Utopie; der eigene Gedanke aussprechbar.) Perspektivenwechsel<br />

ist super, aber wie geht das noch mal? – Stop – Finde das rechte Maß.<br />

JA, aber verliere dich nicht.<br />

Versteinerung als Innehalten. Sieh mich nicht an. Ich bin hässlich. Medusa.<br />

Mein Name ist schöner als alles, was du siehst. Er sieht Medusa an, außer<br />

ihr ist alles grau. Die drei … Punkte die Leerstelle der Zeitort in dem er als<br />

säurezerfließt aber versteinert. Der Blick kann gar nichts mehr, der Himmel<br />

bleibt nur einen Tick stehen, moving forward, und der Blickrichtende,<br />

denkt er noch in der Versteinerung oder ist das Innen auch in Beton erfroren?<br />

Wird er gebremst, um sich dem Hässlichen zu stellen, und in sich zu<br />

erkennen? Widerstand ist zwecklos in diesem Moment, alles ist grün. 1<br />

Wir rekapitulieren, wenigstens einen Teil, also gar nichts, zwecklos, rekapitulieren,<br />

und aus Fehlern lernen ist menschlich, aber nicht besonders, eher<br />

irren, WO? also bilden wir lieber, bilden meist fort: weg vom ersten Gedanken,<br />

vom Ursprung, von der 0, vom eigenen, wir rekapitulieren; Innehalten<br />

als Voraussetzung für das Innehalten, als Möglichkeit des Blicks in den<br />

andern, MIT SEINENIHREN AUGEN SEHEN dich erschauen. «Ich wollte<br />

wissen, was du denkst.» «Ich auch.» «Aha.» Oder: «Ich wollte wissen, was du<br />

denkst.»<br />

«Nichts». -- Medusa wendet sich ab, sie ist enttäuscht, er, in Stein gehauen,<br />

zerfällt, als Bild für sie nicht mehr interessant. Als Bild für sich, kann er<br />

sie, als Bild für sich nicht mehr halten, und sich, in ihr verloren, verliert er<br />

mit ihr, seine Teile (Stein, Betonbrocken, Krümel, Punkte, Pixel) kann er<br />

aus einem Auge, das zur Hälfte den Boden, zur andern die Luft die ohne<br />

Kommas Teil des Himmels ist berührt, zum Teil sehen, aber nicht auflesen,<br />

sie liegen für immer zur Schau. Er ist ein zerteilter Held spieler das spiel läuftlaufendfort ,<br />

dessen Auge nichts ganzes mehr erfassen kann. Er hat sich gesehen, er hat<br />

das Hässliche erkannt, und bevor er damit etwas anfangen konnte, wurde<br />

ihm der Gedanke zerschnitten, und damit sein ganzes selbst, und die sehr<br />

damit zusammenhängende Welt drum rum. Kein Grund sich umzubringen.<br />

Beide scheitern durch das zu viel ➝ ∞. Wer? Beide. Du? Er? Wer? Sie? Wer?<br />

Wir? Wer?<br />

8<br />

ANTIKE WELT 2/12


Beide. Der Wald hebt sich wohin, fort, alles aber in seinem Auge bleibt,<br />

zerbrochen. Hässlich das war ein erkenntnisreicher Perspektivenwechsel<br />

für ihn. Und wer ist das? der da fett gedruckt angeritten kommt? Perseus<br />

Mit einem Blick auf ihr bewegliches Foto, kann ich sie leicht enthaupten,<br />

denkt Perseus, ohne viel zu denken, und schlägt ihr in einem Schnitt den<br />

in den Querschnitt<br />

Kopf ab. Weil er ein Held einer anderen Zeit ist beißt er hinein<br />

des Halses der Schnittstelle von SpeiseSprachröhre und Kopf<br />

und versucht sie in sich zu fressen, und<br />

ihren Blick zu seiner Waffe zu machen. Vergewaltigung, auch seines eigenen<br />

Blicks, Perseus als Kanal seiner Opfer Transitraum der weiterlebenden<br />

Leichen Geister seiner seelenbetrunknen Halde Warenhaus der Identitäten<br />

Killer ohne Alibi «ich war eigentlich auf dem Weg zu-» nach der Heldentat<br />

ist vor der Heldentat nach dem Kennenlernen ist vor der Beerdigung aber<br />

hier wird keine Leiche tot begraben sie sprechen alle weiter sprechen in ihn<br />

rein in uns rein – wenn sie ihre Zunge nicht verwenden können, kann ich<br />

Ihnen statt nur das Wort nicht besser diese auch gleich abschneiden? – das<br />

wäre hilf(r)e-ich, dann könnte ich mich womöglich ganz auf sie einlassen,<br />

wäre nicht noch halb bei mir mit der (ganzen) Sprache …- «Gesagt, getan»<br />

(stille. x erkennt seine Chance und redet bis zu seinem Tod und darin darüber<br />

hinaus. Y hört zu, läuft weg, hört trotzdem zu.) Medusas geköpfter Blick<br />

ist zerstreut in den Augen aller nach ihr und mit ihr, Perseus läuft auf dem<br />

roten Teppich der Fließbänder des Flughafens auf die Stadt der Zukunft<br />

zu und durchdrungen von den blutenden Zungen seiner ihn liebenden im<br />

Sprechen lachenden Weggefährten telefoniert er mit der Auskunft sie können<br />

ihm die Frage nach der Auflegen-Taste nicht beantworten, da sie sie von<br />

sich ausgehend<br />

auf Perseus Handy auf der falschen Seite vermuten aber definieren.<br />

Perspektivenwechsel<br />

Bitte durchdringe mich, ich glaube an Kommunikation.<br />

Stephan Seidel (Hausautor am <strong>Staatstheater</strong> <strong>Mainz</strong>)<br />

1<br />

Er ist ein namenloser Held, der auch weiblich sein kann. <strong>Ein</strong>e Vorgängerin von Perseus, die Medusa<br />

begegnet, sie nicht überlebt, aber auch nicht stirbt. Das ist kein besonderes Paradoxon, da geschriebene<br />

Helden ja auf eine Art immer weiterleben müssen (oder wollen?), erst Recht, die in Mythen.<br />

Perspektivenwechsel – in loser Folge sollen von nun an unter diesem Motto Künstler, Essayisten und<br />

andere Personen des öffentlichen Lebens einen Blick auf die Antike Welt werfen. Wir freuen uns, Ihnen<br />

in der vorliegenden Ausgabe einen <strong>Dialog</strong> von Stephan Seidel, in der Spielzeit 2011/2012 Hausautor am<br />

<strong>Staatstheater</strong> <strong>Mainz</strong>, präsentieren zu können. Stephan Seidel studierte zunächst Literatur und Philosophie<br />

in Potsdam und Berlin, im Anschluss Theaterregie an der Hochschule für Musik und Darstellende<br />

Kunst Frankfurt/Main. Seine Stücke wurden u. a. im Thalia Theater Halle, am Schauspiel Frankfurt und<br />

am <strong>Staatstheater</strong> Wiesbaden aufgeführt. In <strong>Mainz</strong> bringt er als nächstes das Projekt «Medeas Erbe» auf<br />

die Bühne.<br />

2/12 ANTIKE WELT 9

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