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<strong>DIFFERENTIALGEOMETRIE</strong> <strong>I–II</strong><br />

Vorlesungsnotizen<br />

Patrick Ghanaat<br />

Universität Karlsruhe (TH), Juli 2000<br />

Inhalt<br />

1. Differenzierbare Mannigfaltigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1<br />

2. Untermannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

3. Tangentialvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

4. Ableitungen und Tangentialbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

5. Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

6. Tensorfelder und Faserbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

7. Vektorfelder und Flüsse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55<br />

8. Partitionen der Eins und ihre Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

9. Kurven im R 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />

10. Innere Geometrie der Flä<strong>ch</strong>en im R 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />

11. Gaußabbildung und zweite Fundamentalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />

12. Die Krümmungen einer Flä<strong>ch</strong>e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />

13. Eiflä<strong>ch</strong>en und Satz von Cohn–Vossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />

14. Kovariante Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />

15. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146<br />

16. Krümmung und Fla<strong>ch</strong>heit von Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155<br />

17. Geodätis<strong>ch</strong>e und Exponentialabbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167<br />

18. Erste Variation der Bogenlänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .180<br />

19. Vollständigkeit, konvexe Umgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />

20. Krümmung Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />

21. Zweite Variation der Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212<br />

22. Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222<br />

23. Jacobifelder und Indexlemma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235<br />

24. Verglei<strong>ch</strong>ssatz von Rau<strong>ch</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245<br />

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251


1. Differenzierbare Mannigfaltigkeiten<br />

In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt führen wir den für das Weitere grundlegenden Begriff der differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit und den der differenzierbaren Abbildung zwis<strong>ch</strong>en<br />

sol<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten ein.<br />

Differenzierbare Mannigfaltigkeiten sind spezielle topologis<strong>ch</strong>e Räume, auf denen<br />

si<strong>ch</strong> Differentialre<strong>ch</strong>nung betreiben lässt. Beispiele sind die Einheitskreislinie S 1 =<br />

{(x, y) ∈ R 2 | x 2 + y 2 = 1} in der Ebene, die Standard–2–Sphäre S 2 = {(x, y, z) ∈<br />

R 3 | x 2 + y 2 + z 2 = 1} und allgemeinere Flä<strong>ch</strong>en in R 3 . Weitere wi<strong>ch</strong>tige Beispiele<br />

sind die Konfigurationsräume und Phasenräume der klassis<strong>ch</strong>en Me<strong>ch</strong>anik. Eine<br />

gemeinsame Eigens<strong>ch</strong>aft dieser Gebilde M ist, dass jeder Punkt p ∈ M eine Umgebung<br />

U besitzt, die zu einer offenen Teilmenge V ⊆ R n homöomorph ist. Indem<br />

man q ∈ U die Koordinaten des entspre<strong>ch</strong>enden Punktes in V zuordnet, kann man<br />

ein lokales Koordinatensystem auf U einführen. Das ist aber im allgemeinen ni<strong>ch</strong>t<br />

auf ganz M mögli<strong>ch</strong>, weil M ni<strong>ch</strong>t zu R n homöomorph sein muß, und es gibt meistens<br />

au<strong>ch</strong> kein für alle Zwecke bestes Koordinatensystem auf U.<br />

Als Beispiel betra<strong>ch</strong>te man etwa S 1 , aufgefasst als Konfigurationsraum (also der<br />

Raum der mögli<strong>ch</strong>en Positionen) eines ebenen Pendels. In geeigneten Teilmengen<br />

von S 1 kann man die Höhe h = y oder den Auslenkwinkel θ als lokale Koordinate<br />

wählen. Je na<strong>ch</strong> Anwendung ist das eine oder das andere günstiger. Das eigentli<strong>ch</strong><br />

interessierende Objekt ist der Konfigurationsraum S 1 selbst. Dur<strong>ch</strong> Einführen<br />

lokaler Koordinaten wie θ oder h identifiziert man Teile von S 1 mit Teilmengen<br />

der reellen Geraden R und ist dadur<strong>ch</strong> in der Lage, die Infinitesimalre<strong>ch</strong>nung zur<br />

Lösung von das Pendel betreffenden Aufgaben einzusetzen.<br />

1.1. Definition. Ein topologis<strong>ch</strong>er Raum M heißt eine n–dimensionale topologis<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit, wenn gilt<br />

(a) M ist ein Hausdorff–Raum mit abzählbarer Basis für die Topologie und<br />

(b) M ist lokal homöomorph zu R n , d.h. zu jedem p ∈ M existieren eine offene<br />

Umgebung U von p und ein Homöomorphismus ϕ : U → V , wobei V ⊆ R n offen<br />

ist.<br />

Jedes sol<strong>ch</strong>e Paar (ϕ, U) heißt eine Karte oder ein lokales Koordinatensystem am<br />

Punkt p.<br />

Bemerkung. Man kann zeigen, dass die Zahl n dur<strong>ch</strong> M eindeutig bestimmt<br />

ist: Ein ni<strong>ch</strong>tleerer Raum M kann ni<strong>ch</strong>t zuglei<strong>ch</strong> eine m–dimensionale und eine n–<br />

dimensionale topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit sein, wenn m ≠ n ist. Der Beweis ergibt<br />

si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t aus dem Satz von der Invarianz der Dimension der Topologie: Sind zwei<br />

ni<strong>ch</strong>tleere offene Teilmengen U ⊆ R m und V ⊆ R n homöomorph, dann ist m = n.<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

1


1.2. Definition. Sei M eine topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit. Ein Atlas für M ist<br />

eine Menge A = {(ϕ α , U α ) | α ∈ Λ} von Karten ϕ α : U α → R n , so dass M =<br />

⋃<br />

α∈Λ U α.<br />

1.3. Definition. Sei M topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit. Ein Atlas A = {(ϕ α , U α ) |<br />

α ∈ Λ} für M heißt differenzierbar von der Klasse C k (oder ein C k –Atlas), wenn<br />

für alle α, β ∈ Λ mit U α ∩ U β ≠ ∅ der Kartenwe<strong>ch</strong>sel<br />

ϕ β ◦ ϕ −1<br />

α : ϕ α(U α ∩ U β ) → ϕ β (U α ∩ U β )<br />

eine C k –Abbildung ist, d.h. k–mal stetig differenzierbar (k = 0, 1, 2, . . . oder k =<br />

∞).<br />

Man kann si<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> vorstellen, dass M dur<strong>ch</strong> “Verkleben” offener Teilmengen<br />

von R n entsteht, wobei die “Klebeabbildungen” ϕ β ◦ ϕ −1<br />

α von der Klasse C k sind.<br />

Bemerkungen. (a) Die Teilmenge ϕ α (U α ∩ U β ) ist offen in R n , so dass man ohne<br />

weiteres von C k –Abbildungen auf ϕ α (U α ∩ U β ) spre<strong>ch</strong>en kann.<br />

Beweis. Da U β offen in M ist, ist U α ∩ U β offen in U α bezügli<strong>ch</strong> der Unterraumtopologie.<br />

Da ϕ α : U α → ϕ α (U α ) ein Homöomorphismus ist, ist ϕ α (U α ∩ U β ) offen<br />

in ϕ α (U α ). Und weil ϕ α (U α ) offen in R n ist, ist ϕ α (U α ∩ U β ) offen in R n . QED<br />

(b) Ein C 0 –Atlas ist dasselbe wie ein Atlas im Sinne von (1.2).<br />

(c) Jeder nur aus einer Karte bestehende Atlas ist ein C ∞ –Atlas, weil ϕ ◦ ϕ −1 =<br />

id ∈ C ∞ ist.<br />

1.4. Definition. Sei M eine topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit und A = {(ϕ α , U α ) | α ∈<br />

Λ} ein C k –Atlas. Eine Karte (ϕ, U) von M heißt mit A verträgli<strong>ch</strong>, wenn A ∪<br />

{(ϕ, U)} ebenfalls ein C k –Atlas ist. Ein C k –Atlas A heißt ein maximaler C k –Atlas<br />

(oder eine differenzierbare Struktur der Klasse C k , kurz C k –Struktur), wenn A<br />

alle mit A verträgli<strong>ch</strong>en Karten enthält. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der<br />

Klasse C k (kurz: C k –Mannigfaltigkeit) ist ein Paar (M, A), bestehend aus einer<br />

topologis<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit M und einer C k –Struktur A auf M.<br />

Es ist übli<strong>ch</strong>, in etwas ungenauer Spre<strong>ch</strong>weise von der “C k –Mannigfaltigkeit M” zu<br />

spre<strong>ch</strong>en, wenn aus dem Zusammenhang zweifelsfrei klar ist, wel<strong>ch</strong>e C k –Struktur<br />

A auf M gemeint ist.<br />

1.4.1. Lemma. Sei A ein C k –Atlas auf einer topologis<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit M.<br />

Dann existiert genau ein maximaler C k –Atlas A ′ mit A ⊆ A ′ . Jeder C k –Atlas<br />

bestimmt also eine eindeutige C k –Struktur.<br />

Beweis. Der Atlas A ′ := {(ϕ, U) | (ϕ, U) ist eine mit A verträgli<strong>ch</strong>e Karte} ist, wie<br />

man mit Hilfe der Kettenregel überprüft, ein C k –Atlas und maximal. QED<br />

1.5. Man kann zeigen, dass jeder maximale C 1 –Atlas einen C ∞ –Atlas enthält<br />

(siehe M. W. Hirs<strong>ch</strong>, Differential Topology, Springer–Verlag). Andererseits gibt es<br />

2


topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten, auf denen kein C 1 –Atlas existiert (M. Kervaire,<br />

Comment. Math. Helv. 34(1960), 257–270).<br />

1.6. Erste Beispiele. (a) Die leere Menge ∅ mit dem leeren Atlas ist eine n–<br />

dimensionale C ∞ –Mannigfaltigkeit für jedes n. Dieses Beispiel ist nützli<strong>ch</strong>, um bei<br />

der Formulierung von Aussagen Sonderfälle mit einzus<strong>ch</strong>ließen.<br />

(b) Nulldimensionale topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten sind abzählbare Mengen M<br />

mit der diskreten Topologie (jede Teilmenge von M ist offen).<br />

(c) Beispiele für eindimensionale topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten sind die Einheitskreislinie<br />

(oder 1–Sphäre) S 1 , offene Intervalle (a, b) ⊆ R und die disjunkte Vereinigung<br />

S 1 ˙∪S 1 . Disjunkte Vereinigungen abzählbar vieler C k –Mannigfaltigkeiten<br />

derselben Dimension sind offenbar wieder C k –Mannigfaltigkeiten.<br />

(d) R n mit dem Atlas {(id, R n )}. Allgemeiner hat jeder endli<strong>ch</strong>dimensionale reelle<br />

Vektorraum E eine Standard–C ∞ –Struktur: Sei e 1 . . . e n eine Basis von E und sei<br />

ϕ : E → R n definiert dur<strong>ch</strong><br />

ϕ ( ∑<br />

n λ i )<br />

e i = (λ 1 , . . . , λ n ).<br />

i=1<br />

Die dur<strong>ch</strong> den Atlas {(ϕ, E)} bestimmte C ∞ –Struktur hängt offenbar ni<strong>ch</strong>t von der<br />

Wahl der Basis e 1 . . . e n ab.<br />

(e) Für die n–Sphäre S n = {x ∈ R n+1 | (x 1 ) 2 + · · · + (x n+1 ) 2 = 1} gibt es<br />

einen aus zwei Karten bestehenden C ∞ –Atlas. Seien dazu U 1 = S n \{(0, 0 . . . 0, 1)}<br />

und U 2 = S n \{(0, 0 . . . 0, −1)}. Wir definieren ϕ 1 : U 1 → R n , die stereographis<strong>ch</strong>e<br />

Projektion vom “Nordpol” (0, . . . , 0, 1) aus, und ϕ 2 : U 2 → R n , die stereographis<strong>ch</strong>e<br />

Projektion vom “Südpol” (0, . . . , 0, −1), dur<strong>ch</strong><br />

(<br />

x 1<br />

ϕ 1 (x) =<br />

1 − x n+1 , . . . , x n )<br />

1 − x n+1<br />

(<br />

x 1<br />

ϕ 2 (x) =<br />

1 + x n+1 , . . . , x n )<br />

1 + x n+1 ,<br />

wobei x = (x 1 , . . . , x n+1 ). Es ist ϕ 1 (U 1 ∩ U 2 ) = ϕ 2 (U 1 ∩ U 2 ) = R n \{0}, und man<br />

bere<strong>ch</strong>net ( ∑<br />

für den Kartenwe<strong>ch</strong>sel ϕ 1 ◦ ϕ −1<br />

2 (y) = ϕ 2 ◦ ϕ −1<br />

1 (y) = y/||y||2 , wobei ||y|| =<br />

n<br />

j=1 (yj ) ) 2 1/2 die euklidis<strong>ch</strong>e Norm im R n ist. Die dur<strong>ch</strong> diesen Atlas definierte<br />

C ∞ –Struktur der Sphäre bezei<strong>ch</strong>net man au<strong>ch</strong> als die “Standardstruktur”.<br />

1.7. Bemerkung. (Produkte von C k –Mannigfaltigkeiten sind C k –Mannigfaltigkeiten.)<br />

Seien (M, A) und (N, B) zwei C k –Mannigfaltigkeiten. Dann ist<br />

{(ϕ × ψ, U × V ) | (ϕ, U) ∈ A und (ψ, V ) ∈ B}<br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ein C k –Atlas für M × N mit der Produkttopologie. Dabei bezei<strong>ch</strong>net<br />

ϕ × ψ : U × V → R m × R n ≃ R m+n die Abbildung (ϕ × ψ)(p, q) = (ϕ(p), ψ(q)).<br />

3


1.8. Bemerkung. (Offene Teilmengen von C k –Mannigfaltigkeiten sind C k –Mannigfaltigkeiten).<br />

Sei (M, A) eine C k –Mannigfaltigkeit, und sei V ⊆ M offen. Dann<br />

ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

{(ϕ| U∩V , U ∩ V ) | (ϕ, U) ∈ A}<br />

ein C k –Atlas für V , versehen mit der Unterraumtopologie. Dabei bezei<strong>ch</strong>net ϕ| U∩V<br />

die Restriktion von ϕ auf U ∩ V ⊆ U.<br />

1.9. Definition. Seien (M, A) eine n–dimensionale C k –Mannigfaltigkeit, (M ′ , A ′ )<br />

eine C k′ –Mannigfaltigkeit und l ≤ min(k, k ′ ). Eine stetige Abbildung f : M → M ′<br />

heißt differenzierbar von der Klasse C l (oder eine C l –Abbildung), wenn gilt: Für<br />

jedes (ϕ, U) ∈ A und (ϕ ′ , U ′ ) ∈ A ′ mit f(U) ∩ U ′ ≠ ∅ ist<br />

ϕ ′ ◦ f ◦ ϕ −1 : ϕ ( U ∩ f −1 (U ′ ) ) → ϕ ′ (f(U) ∩ U ′ ) ⊆ R n′<br />

eine C l –Abbildung im übli<strong>ch</strong>en Sinne des R n . Ist speziell (M ′ , A ′ ) die reelle Gerade,<br />

versehen mit der Standardstruktur (1.6(d)), dann heißt f eine C l –Funktion.<br />

Wir bemerken, dass die Teilmenge U ∩ f −1 (U ′ ) eine offene Teilmenge von U ist, da<br />

f stetig ist und U ′ ⊆ M ′ offen. Also ist ϕ(U ∩ f −1 (U ′ )) offen in ϕ(U) und daher<br />

in R n , da ϕ(U) offen in R n ist. Damit ma<strong>ch</strong>t der Begriff der C l –Abbildung mit<br />

Definitionsberei<strong>ch</strong> ϕ(U ∩ f −1 (U ′ )) ⊆ R n ohne weiteres Sinn. Wir werden in 1.10<br />

sehen, dass man die Bedingung der Differenzierbarkeit von ϕ ′ ◦ f ◦ ϕ −1 ni<strong>ch</strong>t für<br />

alle Karten in A und A ′ na<strong>ch</strong>prüfen muss.<br />

1.9.1. Bezei<strong>ch</strong>nungen. Wir bezei<strong>ch</strong>nen mit C l (M, N) die Menge der C l –Abbildungen<br />

f : M → N. Diese Notation ist etwas ungenau, weil C l (M, N) von den<br />

differenzierbaren Strukturen A und A ′ abhängt. Im Fall N = R s<strong>ch</strong>reiben wir<br />

C l (M) := C l (M, R).<br />

1.10. Lemma. In den Bezei<strong>ch</strong>nungen von 1.9.1 gilt: f ∈ C l (M, M ′ ) genau dann,<br />

wenn zu jedem p ∈ M Karten (ϕ, U) ∈ A an p und (ϕ ′ , U ′ ) ∈ A ′ an f(p) existieren,<br />

so dass ϕ ′ ◦ f ◦ ϕ −1 : ϕ ( U ∩ f −1 (U ′ ) ) → R n′ eine C l –Abbildung ist. Insbesondere<br />

gilt für reellwertige Funktionen f ∈ C l (M) genau dann, wenn f ◦ ϕ −1 ∈ C l (ϕ(U))<br />

ist für alle Karten (ϕ, U) eines beliebigen Atlas A 1 ⊆ A.<br />

Beweis. Eine Implikation ist klar na<strong>ch</strong> Definition von C l (M, M ′ ). Zum Beweis der<br />

Umkehrung seien (ϕ 1 , U 1 ) ∈ A und (ϕ ′ 1, U ′ 1) ∈ A ′ beliebige Karten mit f(U 1 )∩U ′ 1 ≠<br />

∅. Wir müssen zeigen, dass die Abbildung<br />

ϕ ′ 1 ◦ f ◦ ϕ −1<br />

1 : ϕ 1 (U 1 ∩ f −1 (U ′ 1)) → R n′<br />

von der Klasse C l ist. Sei dazu x ∈ ϕ 1 (U 1 ∩ f −1 (U 1 ′ )). Dann gibt es Karten<br />

(ϕ, U) mit p = ϕ −1<br />

1 (x) ∈ U und (ϕ′ , U ′ ) mit f(p) ∈ U ′ , so dass ϕ ′ ◦ f ◦ ϕ −1 eine<br />

C l –Abbildung ist. Es ist<br />

ϕ ′ 1 ◦ f ◦ ϕ−1 1 = ( ϕ ′ 1 ◦ (ϕ′ ) −1) ◦ ( ϕ ′ ◦ f ◦ ϕ −1) ◦ ( ϕ ◦ ϕ −1 )<br />

1<br />

4


auf dem Definitionsberei<strong>ch</strong> der re<strong>ch</strong>ten Seite. Von den drei Faktoren der re<strong>ch</strong>ten<br />

Seite ist der erste ein Kartenwe<strong>ch</strong>sel von der Klasse C k′ , der zweite eine C l –<br />

Abbildung und der letzte C k . Wegen l ≤ min(k, k ′ ) ist na<strong>ch</strong> der Kettenregel die<br />

zusammengesetzte Abbildung von der Klasse C l in einer Umgebung von x. Da<br />

x ∈ ϕ 1 (U 1 ∩ f −1 (U 1)) ′ beliebig war, folgt die Behauptung. QED<br />

1.10.1. Beispiel. Seien (M, A) eine C k –Mannigfaltigkeit und (ϕ, U) ∈ A. Dann<br />

ist ϕ ∈ C k (U, R n ). Das folgt aus dem Kriterium 1.10 und aus ϕ ◦ ϕ −1 = id.<br />

1.11. Kettenregel. Seien f ∈ C k (M, N) und g ∈ C l (N, P ). Dann ist g ◦ f ∈<br />

C s (M, P ), wobei s = min{k, l}.<br />

Beweis. Wir verwenden das Kriterium 1.10. Sei p ∈ M. Wir wählen Karten (ϕ, U)<br />

an p, (ϕ ′ , U ′ ) an f(p) und (ϕ ′′ , U ′′ ) an g(f(p)). Zu zeigen ist, dass ϕ ′′ ◦ (g ◦ f) ◦ ϕ −1<br />

eine C s –Abbildung auf einer Umgebung von p ist. Nun ist<br />

ϕ ′′ ◦ (g ◦ f) ◦ ϕ −1 = ( ϕ ′′ ◦ g ◦ (ϕ ′ ) −1) ◦ ( ϕ ′ ◦ f ◦ ϕ −1) .<br />

Der erste Faktor auf der re<strong>ch</strong>ten Seite ist von der Klasse C l , der zweite C k , und die<br />

Kettenregel der Differentialre<strong>ch</strong>nung im R n ergibt die Behauptung. QED<br />

1.12. Definition. Seien M und N zwei C k –Mannigfaltigkeiten und 0 < l ≤ k.<br />

Eine Abbildung f : M → N heißt ein C l –Diffeomorphismus, wenn f bijektiv ist,<br />

f ∈ C l (M, N) und f −1 ∈ C l (N, M). Die Mannigfaltigkeiten M und N heißen C l –<br />

diffeomorph, wenn es einen C l –Diffeomorphismus f : M → N gibt. Mit Diff l (M) =<br />

bezei<strong>ch</strong>nen wir die Menge der C l –Diffeomorphismen von M auf si<strong>ch</strong> selbst. Diff l (M)<br />

ist na<strong>ch</strong> 1.11 eine Gruppe bezügli<strong>ch</strong> der Komposition von Abbildungen, die C l –<br />

Diffeomorphismengruppe von M.<br />

1.13. Beispiel. Wir betra<strong>ch</strong>ten die aus je einer Karte bestehenden Atlanten<br />

von R, Ā 1 = {(ϕ 1 , R)} und Ā2 = {ϕ 2 , R)} mit ϕ 1 (x) = x und ϕ 2 (x) = x 3 .<br />

Seien A 1 und A 2 die entspre<strong>ch</strong>enden maximalen C ∞ –Atlanten. Dann ist A 1 ≠ A 2 ,<br />

weil ϕ −1<br />

2 ◦ ϕ 1 /∈ C ∞ (R) ist. Also sind (R, A 1 ) und (R, A 2 ) vers<strong>ch</strong>iedene C ∞ –<br />

Mannigfaltigkeiten. Sie sind jedo<strong>ch</strong> diffeomorph. Ein C ∞ –Diffeomorphismus f :<br />

(R, A 1 ) → (R, A 2 ) ist gegeben dur<strong>ch</strong> f(x) = x 1/3 . Es ist nämli<strong>ch</strong> ϕ 2 ◦f ◦ϕ −1<br />

1 (x) = x<br />

und ϕ 1 ◦ f −1 ◦ ϕ −1<br />

2 (x) = x.<br />

Man kann lei<strong>ch</strong>t zeigen, dass alle C ∞ –Strukturen auf R C ∞ –diffeomorph sind, insbesondere<br />

C ∞ –diffeomorph zur von der Karte (id, R) bestimmten Standardstruktur.<br />

Glei<strong>ch</strong>es gilt (mit s<strong>ch</strong>wierigerem Beweis) für R n , wenn n ≠ 4. Auf R 4 hingegen<br />

gibt es, wie man seit 1983 weiß, “exotis<strong>ch</strong>e” C ∞ –Strukturen A, für die (R 4 , A) ni<strong>ch</strong>t<br />

C ∞ –diffeomorph zum Standard–R 4 ist.<br />

1.14. Bemerkungen.<br />

(a) Sind M und N zwei C k –Mannigfaltigkeiten (k ∈ {1, 2, . . . , ∞}) und sind M und<br />

N C l –diffeomorph für ein l ∈ {1, . . . , k}, dann existiert au<strong>ch</strong> ein C k –Diffeomorphismus<br />

M → N. Ein Beweis findet si<strong>ch</strong> im zweiten Kapitel von M. W. Hirs<strong>ch</strong>, Differential<br />

Topology, Springer–Verlag.<br />

5


(b) Es gibt C ∞ –Mannigfaltigkeiten, die zwar homöomorph zur 7–Sphäre S 7 sind,<br />

aber ni<strong>ch</strong>t C ∞ –diffeomorph zu S 7 mit der Standard–C ∞ –Struktur aus Beispiel<br />

1.6(e). Diese exotis<strong>ch</strong>e Sphären wurden von J. Milnor 1956 entdeckt (Ann. Math.<br />

64(1956), 399–405). Sie können also na<strong>ch</strong> (a) ni<strong>ch</strong>t einmal C 1 –diffeomorph zur<br />

Standard–S 7 sein.<br />

Wegen 1.5 und 1.14(a) ist es für viele Zwecke keine wesentli<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkung, wenn<br />

man si<strong>ch</strong> bei den differenzierbaren Mannigfaltigkeiten auf C ∞ –Mannigfaltigkeiten<br />

und C ∞ –Abbildungen bes<strong>ch</strong>ränkt. Wir werden das im folgenden der Einfa<strong>ch</strong>heit<br />

halber oft tun. Fast alle Definitionen und Resultate haben aber offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Analoga, wenn man C ∞ dur<strong>ch</strong> C k mit jeweils hinrei<strong>ch</strong>end großem k ersetzt.<br />

Aufgaben<br />

1. Differenzierbarkeit. Erklären Sie, warum in Definition 1.9 vorausgesetzt<br />

wurde, dass l ≤ min(k, k ′ ) gilt.<br />

2. Sphäre. Wir definieren einen C ∞ –Atlas auf der Sphäre S n<br />

A ′ = { (ϕ + i , U + i ), (ϕ− i , U − i ) | i = 1, . . . , n + 1 }<br />

wie folgt. Es ist U i + = {x ∈ S n | x i > 0} und Ui − = {x ∈ S n | x i < 0}, und<br />

ϕ +−<br />

i : U +−<br />

i → R n bezei<strong>ch</strong>net die Projektion<br />

ϕ +−<br />

i (x 1 , . . . , x n+1 ) = (x 1 , . . . , ̂x i , . . . , x n+1 ),<br />

wel<strong>ch</strong>e die i–te Komponente x i von x fortlässt. Zeigen Sie, dass A ′ ein C ∞ –Atlas<br />

ist, der dieselbe C ∞ –Struktur auf S n definiert wie der Atlas aus Beispiel 1.6(e).<br />

3. Atlanten. Sei D n der offene Einheitsball D n = {x ∈ R n | ‖x‖ < 1} mit der<br />

euklidis<strong>ch</strong>en Norm ‖x‖ = ( ∑ n<br />

j=1 (xj ) 2) 1/2 .<br />

(a) Finden Sie einen einen C ∞ –Diffeomorphismus von D n auf R n .<br />

(b) Sei M eine n–dimensionale C k –Mannigfaltigkeit. Zeigen Sie, dass die C k –<br />

Struktur von M einen C k –Atlas {(ϕ α , U α ) | α ∈ Λ} enthält mit der Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

ϕ α (U α ) = R n für alle α ∈ Λ.<br />

4. Beispiele. Wel<strong>ch</strong>e der folgenden topologis<strong>ch</strong>en Räume sind topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten?<br />

X 1 = {(x, y) ∈ R 2 | xy = 0}<br />

X 2 = {(x, y) ∈ R 2 | x 2 + y 2 ∈ Q\{0}},<br />

jeweils versehen mit der von R 2 induzierten Unterraumtopologie;<br />

X 3 = {(x, y) ∈ R 2 | y = 0 oder (x, y) = (0, 1)}<br />

6


versehen mit der kleinsten Topologie, die folgende Mengen enthält: alle offenen<br />

Teilmengen der x–A<strong>ch</strong>se im übli<strong>ch</strong>en Sinne und alle Mengen der Gestalt {(x, y) ∈<br />

X 3 | 0 < |x| < ɛ} für ɛ > 0;<br />

X 4 = R × A<br />

mit der Produkttopologie, wobei R mit der übli<strong>ch</strong>en Topologie versehen ist und<br />

A = R mit der diskreten Topologie. Wir nennen diese Produkttopologie die “horizontale”<br />

Topologie des R 2 . Wie sehen ihre offenen Mengen aus?<br />

5. Atlanten für Mengen. Diese Aufgabe zeigt, wie man auf Mengen die Struktur<br />

einer Mannigfaltigkeit definieren kann, ohne zuerst die Topologie festzulegen. Seien<br />

M eine Menge und n eine natürli<strong>ch</strong>e Zahl. Ein n–dimensionaler Atlas für M ist<br />

eine Menge von Paaren A = {(ϕ α , U α ) | α ∈ Λ}, wobei U α ⊂ M und M = ⋃ α∈Λ U α<br />

ist, mit den folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Für alle α, β ∈ Λ gilt<br />

(i) ϕ α ist eine injektive Abbildung von U α na<strong>ch</strong> R n ,<br />

(ii) ϕ α (U α ) ist offen in R n , ebenso ϕ α (U α ∩ U β ), und<br />

(iii) ϕ β ◦ ϕ α −1 : ϕ α (U α ∩ U β ) → ϕ β (U α ∩ U β ) ist ein Homöomorphismus.<br />

Zeigen Sie, dass dur<strong>ch</strong> die Festlegung<br />

U ⊂ M offen :⇔ ϕ α (U α ∩ U) ⊂ R n ist offen für alle α ∈ Λ<br />

eine Topologie auf M definiert wird. Wenn diese Topologie hausdorffs<strong>ch</strong> ist und<br />

der Atlas abzählbar (d.h. die Indexmenge Λ abzählbar), so wird M zu einer topologis<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit und A zu einem Atlas im Sinne von Definition 1.2 der<br />

Vorlesung.<br />

7


2. Untermannigfaltigkeiten<br />

In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt führen wir zunä<strong>ch</strong>st eine besonders wi<strong>ch</strong>tige Klasse differenzierbarer<br />

Mannigfaltigkeiten ein, die der Untermannigfaltigkeiten von R n . Dana<strong>ch</strong><br />

werden Untermannigfaltigkeiten beliebiger Mannigfaltigkeiten behandelt.<br />

2.1. Differentialre<strong>ch</strong>nung im R n . Sei f : R n → R m differenzierbar. Die<br />

Ableitung von f an der Stelle x ∈ R n ist eine lineare Abbildung Df(x) : R n → R m ,<br />

definiert dur<strong>ch</strong><br />

1<br />

Df(x)v = lim<br />

t→0 t (f(x + tv) − f(x)) = d dt∣ f(x + tv).<br />

0<br />

Ist f selbst linear, dann ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> Df(x) = f für alle x ∈ R n . Bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Standardbasen in R n und R m entspri<strong>ch</strong>t Df(x) die Jacobimatrix (oder Funktionalmatrix)<br />

Jf(x) =<br />

( ∂f<br />

i<br />

∂x j (x) )<br />

i=1,...,m<br />

j=1,...,n<br />

=<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

∂f 1<br />

∂x 1 (x) · · ·<br />

.<br />

∂f m<br />

∂x<br />

(x) · · ·<br />

1<br />

∂f 1<br />

∂x n (x)<br />

.<br />

∂f m<br />

∂x<br />

(x) n<br />

Es gilt die Kettenregel: Sind f : R n → R m und g : R m → R l differenzierbar, dann<br />

ist au<strong>ch</strong> g ◦ f differenzierbar, und es ist<br />

D(g ◦ f)(x) = Dg(f(x)) ◦ Df(x).<br />

Die Jacobimatrix J(g ◦ f) erhält man daher als Matrixprodukt J(g ◦ f)(x) =<br />

Jg(f(x)) · Jf(x).<br />

Seien U, V ⊆ R n offen. Eine Abbildung f : U → V heißt ein C k –Diffeomorphismus<br />

von U auf V , wenn f bijektiv ist und sowohl f als au<strong>ch</strong> f −1 C k –Abbildungen sind.<br />

Diese Definition stimmt offenbar mit der in 1.12 gegebenen überein, wenn man die<br />

offenen Mengen V und W wie in 1.8 als Mannigfaltigkeiten betra<strong>ch</strong>tet. Aus der<br />

Infinitesimalre<strong>ch</strong>nung bekannt ist der<br />

Satz über inverse Funktionen. Seien U, V ⊆ R n offen, f : U → V eine C k –<br />

Abbildung (k ≥ 1) und x 0 ∈ U. Ist Df(x 0 ) ein Vektorraumisomorphismus, dann<br />

existieren offene Umgebungen U ′ ⊆ U von x 0 und V ′ ⊆ V von f(x 0 ) dergestalt,<br />

dass die Eins<strong>ch</strong>ränkung f| U ′ ein C k –Diffeomorphismus von U ′ auf V ′ ist.<br />

2.2. Satz (Äquivalente Definitionen einer Untermannigfaltigkeit von Rn+l ). Für<br />

Teilmengen M ⊆ R n+l und k ∈ {1, 2, 3, . . . , ∞} sind folgende Aussagen äquivalent:<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

8<br />

⎞<br />

⎟<br />


(a) Zu jedem x 0 ∈ M gibt es eine offene Umgebung U von x 0 in R n+l und eine<br />

C k –Abbildung f : U → R l mit Rang (Df(x)) = l für alle x ∈ U dergestalt, dass<br />

U ∩ M = f −1 (0) := {x ∈ U | f(x) = 0}.<br />

(b) Zu jedem x 0 ∈ M gibt es eine offene Umgebung U von x 0 in R n+l und eine<br />

Abbildung ϕ : U → R n+l mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: ϕ(U) ⊆ R n+l ist offen, ϕ<br />

ist ein C k –Diffeomorphismus von U auf ϕ(U), und<br />

ϕ(U ∩ M) = ϕ(U) ∩ (R n × {0})<br />

= {(y 1 , . . . , y n+l ) ∈ ϕ(U) | y n+1 = · · · = y n+l = 0}.<br />

(c) Zu jedem x 0 ∈ M gibt es eine offene Umgebung U von x 0 in R n+l , eine offene<br />

Teilmenge W ⊆ R n und eine C k –Abbildung ψ : W → U mit den Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

(1) ψ ist ein Homöomorphismus von W auf U ∩ M und<br />

(2) die Ableitung Dψ(w) ist injektiv für alle w ∈ W .<br />

Jedes sol<strong>ch</strong>e ψ heißt eine lokale Parametrisierung von M.<br />

Die Eigens<strong>ch</strong>aften (a), (b) und (c) kann man etwa wie folgt zusammenfassen. Die<br />

Bedingung in (a) besagt, dass U ∩ M dur<strong>ch</strong> l unabhängige (im Sinne der Rangbedingung)<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen f 1 (x) = 0, . . . , f l (x) = 0 definiert ist, die in (b), dass U ∩ M<br />

na<strong>ch</strong> Anwendung eines Diffeomorphismus ϕ wie eine offene Teilmenge eines linearen<br />

Unterraums von R n+l aussieht. Bedingung (c) s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> besagt, dass M<br />

lokal parametrisiert werden kann.<br />

2.3. Definitionen. Wenn M ⊆ R n+l eine (und damit jede) der Bedingungen<br />

(a), (b) und (c) aus Satz 2.2 erfüllt, dann heißt M eine n–dimensionale C k –<br />

Untermannigfaltigkeit von R n+l . Die Zahl l heißt die Kodimension von M. Für<br />

n = 2 und l = 1 heißt M eine Flä<strong>ch</strong>e im R 3 . Für beliebiges n und l = 1 heißt M<br />

eine Hyperflä<strong>ch</strong>e im R n+1 .<br />

Wir werden in Satz 2.4 sehen, dass C k –Untermannigfaltigkeiten des R n+l selbst<br />

C k –Mannigfaltigkeiten sind, geben aber zunä<strong>ch</strong>st den Beweis von Satz 2.2.<br />

(a)⇒(b) Seien U und f wie in (a), f 1 , . . . , f l die Komponenten von f. Na<strong>ch</strong><br />

eventuellem Umnummerieren der Koordinaten kann man annehmen, dass die (l×l)–<br />

Matrix (∂f i /∂x n+j ) i,j=1,...,l an der Stelle x 0 invertierbar ist. Sei ϕ : U → R n+l<br />

die Abbildung ϕ(x) = (x 1 , . . . , x n , f 1 (x), . . . , f l (x)). Dann hat die Jacobimatrix<br />

Jϕ(x 0 ) die Gestalt<br />

Jϕ(x 0 ) =<br />

( )<br />

In×n<br />

( 0 )<br />

. . . ∂f<br />

i ,<br />

∂x<br />

(x n+j 0 )<br />

wobei I n×n die (n × n)–Einheitsmatrix bezei<strong>ch</strong>net. Insbesondere ist die Determinante<br />

( ) ∂f<br />

i<br />

det Jϕ(x 0 ) = det<br />

∂x n+j (x 0) ≠ 0.<br />

9<br />

i,j=1,...,l


Na<strong>ch</strong> dem Satz über inverse Funktionen existieren Umgebungen U ′ ⊆ U von x 0 und<br />

V ′ = ϕ(U ′ ) von ϕ(x 0 ) dergestalt, dass ϕ| U ′ : U ′ → V ′ ein C k –Diffeomorphismus<br />

ist. Wir zeigen<br />

ϕ(U ′ ∩ M) = { (y 1 , . . . , y n+l ) ∈ ϕ(U ′ ) | y n+1 = · · · = y n+l = 0 } .<br />

Die Inklusion “⊆” ist klar na<strong>ch</strong> Definition von ϕ. Ist umgekehrt y ein Element der<br />

re<strong>ch</strong>ten Seite, dann existiert x ∈ U ′ mit y = ϕ(x) und f(x) = 0. Da x ∈ U ist und<br />

f(x) = 0, folgt x ∈ U ∩ M. Also ist x ∈ U ′ ∩ M und y ∈ ϕ(U ′ ∩ M).<br />

(b)⇒(c) Seien U und ϕ wie in (b). Sei π : R n+l = R n × R l → R n die Projektion<br />

und sei i : R n → R n+l die Abbildung<br />

π(x 1 , . . . , x n+l ) = (x 1 , . . . , x n ),<br />

i(x 1 , . . . , x n ) = (x 1 , . . . , x n , 0, . . . , 0).<br />

Wir setzen W = π(ϕ(U ∩ M)) und definieren ψ : W → U als ψ = ϕ −1 ◦ i. Dann<br />

ist W offen. Die Abbildung ψ ist ein Homöomorphismus von W auf U ∩ M, da i<br />

ein Homöomorphismus von W auf ϕ(U ∩ M) und ϕ −1 ein Homöomorphismus von<br />

ϕ(U ∩ M) auf U ∩ M ist. Na<strong>ch</strong> der Kettenregel gilt für w ∈ W :<br />

Dψ(w) = D(ϕ −1 )(i(w)) ◦ Di(w) = (Dϕ(ψ(w))) −1 ◦ i,<br />

da i eine lineare Abbildung ist. Also ist Dψ(w) injektiv.<br />

(c)⇒(a) Seien ψ, W und U wie in (c). Sei ψ(w 0 ) = x 0 . Wegen Rang (Dψ(w 0 )) = n<br />

kann man na<strong>ch</strong> eventuellem Umnummerieren der Koordinaten annehmen, dass die<br />

(n × n) Matrix<br />

( ∂ψ<br />

i )<br />

∂w j (w 0)<br />

i,j=1,...,n<br />

invertierbar ist. Wir definieren g : W × R l → R n+l dur<strong>ch</strong> g(w, y) = ψ(w) + (0, y),<br />

das heißt also<br />

g(w 1 , . . . , w n ,y 1 , . . . , y l ) =<br />

(<br />

ψ 1 (w), . . . , ψ n (w), ψ n+1 (w) + y 1 , . . . , ψ n+l (w) + y l) .<br />

Dann ist die Jacobimatrix<br />

Jg(w 0 , 0) =<br />

( (<br />

∂ψ i /∂w j (w 0 ) ) )<br />

0<br />

i,j=1,...,n<br />

. . . I l×l<br />

invertierbar. Also existieren Umgebungen V ⊆ W × R l von (w 0 , 0) und U ′ von<br />

g(w 0 , 0) = x 0 so, dass g : V → U ′ ein C k –Diffeomorphismus ist. Indem man V<br />

nötigenfalls verkleinert, kann man annehmen, dass U ′ ⊆ U ist.<br />

10


Die Menge {w ∈ W | (w, 0) ∈ V } ist offen in W , und da ψ na<strong>ch</strong> Voraussetzung ein<br />

Homöomorphismus von W auf ψ(W ) ist, ist ihr Bild {ψ(w) | (w, 0) ∈ V } offen in<br />

ψ(W ). Na<strong>ch</strong> Definition der Unterraumtopologie gibt es daher eine offene Teilmenge<br />

U ′′ ⊆ R n+l so, dass {ψ(w) | (w, 0) ∈ V } = U ′′ ∩ ψ(W ). Wegen ψ(w) = g(w, 0) ist<br />

dies glei<strong>ch</strong>bedeutend mit<br />

U ′′ ∩ ψ(W ) = g(V ∩ (W × {0})).<br />

Sei s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Ũ = U ′ ∩ U ′′ und Ṽ = (g| V ) −1 (Ũ) = g−1 (Ũ) ∩ V . Dann ist g| Ṽ<br />

C k –Diffeomorphismus von Ṽ auf Ũ. Wir behaupten, dass gilt<br />

Ũ ∩ M = g(Ṽ ∩ (Rn × {0})).<br />

(∗)<br />

ein<br />

(∗∗)<br />

Na<strong>ch</strong> (∗) ist U ′′ ∩ ψ(W ) ⊆ g(V ) = U ′ , also Ũ ∩ ψ(W ) = g(V ∩ (W × {0}). Wegen<br />

ψ(W ) = U ∩ M und<br />

folgt die Behauptung (∗∗).<br />

V ∩ (W × {0}) = V ∩ (R n × {0}) = Ṽ ∩ (Rn × {0})<br />

Ist nun π : R n+l → R l die Projektion auf die letzten l Komponenten, dann erfüllt<br />

f := π ◦ (g|Ṽ ) −1 : Ũ → Rl die Bedingungen von (a). QED<br />

2.4. Satz. Sei M ⊆ R n eine n–dimensionale C k –Untermannigfaltigkeit, versehen<br />

mit der Unterraumtopologie. Sei {ψ α : W α → U α ∩ M | α ∈ Λ} eine Menge lokaler<br />

Parametrisierungen (siehe 2.1(c)) dergestalt, dass M ⊆ ⋃ α∈Λ U α. Dann ist<br />

ein C k –Atlas für M.<br />

A = {(ψ −1<br />

α , U α ∩ M) | α ∈ Λ}<br />

Bemerkung. Die Unterraumtopologie auf M ist hausdorffs<strong>ch</strong> und hat eine abzählbare<br />

Basis, da sie diese Eigens<strong>ch</strong>aften von R n+l erbt. Also ist M eine C k –Mannigfaltigkeit.<br />

Beweis von Satz 2.4. Dass A ein Atlas ist (Definition 1.2), folgt unmittelbar aus der<br />

Definition der lokalen Parametrisierung. Wir zeigen: Für (U α ∩ M) ∩ (U β ∩ M) ≠ ∅<br />

ist der Kartenwe<strong>ch</strong>sel<br />

ψ −1<br />

β<br />

◦ ψ α : ψα<br />

−1 (U α ∩ U β ∩ M) → ψ −1<br />

β (U α ∩ U β ∩ M)<br />

eine C k –Abbildung. Da ψ −1<br />

β<br />

ni<strong>ch</strong>t auf einer offenen Teilmenge von R n+l definiert<br />

ist, ist die Kettenregel ni<strong>ch</strong>t unmittelbar anwendbar, und wir müssen etwas anders<br />

argumentieren. Sei x ∈ ψα<br />

−1 (U α ∩U β ∩M). Wir zeigen, dass ψ −1<br />

β<br />

in einer Umgebung<br />

von x differenzierbar von der Klasse C k ist. Na<strong>ch</strong> 2.2(b) gibt es eine Umgebung<br />

11


U ⊆ U α ∩ U β von ψ α (x) ∈ M in R n+l und einen C k –Diffeomorphismus ϕ : U →<br />

ϕ(U) ⊆ R n+l dergestalt, dass gilt<br />

ϕ(M ∩ U) = ϕ(U) ∩ (R n × {0}).<br />

Sei π : R n+l ≃ R n × R l → R n die Projektion auf die ersten n Komponenten und<br />

sei i : R n → R n+l die Inklusion i(x) = (x, 0). Auf ϕ(M ∩ U) ⊆ R n × {0} ist i ◦ π<br />

die Identität. Daher ist auf ψα −1 (U ∩ M)<br />

ψ −1<br />

β<br />

◦ ψ α = ψ −1<br />

β<br />

◦ ϕ−1 ◦ ϕ ◦ ψ α = (ψ −1<br />

β ◦ ϕ−1 ◦ i) ◦ (π ◦ ϕ ◦ ψ α ).<br />

Nun sind sowohl ψ −1<br />

β<br />

◦ ϕ−1 ◦ i = (π ◦ ϕ ◦ ψ β ) −1 als au<strong>ch</strong> π ◦ ϕ ◦ ψ α C k –Abbildungen<br />

zwis<strong>ch</strong>en offenen Teilmengen von R n , also au<strong>ch</strong> ihre Zusammensetzung ψ −1<br />

β ◦ ψ α.<br />

QED<br />

2.5. Spezialfälle. Wi<strong>ch</strong>tige Spezialfälle von 2.2 sind Niveaumengen und (global)<br />

parametrisierte Untermannigfaltigkeiten im R n .<br />

(a) Niveaumengen. Seien V ⊆ R n+l eine offene Teilmenge, f : V → R l eine<br />

C k –Abbildung und c ∈ R l . Es gelte Rang (Df(x)) = l in jedem Punkt x der<br />

Niveaumenge<br />

f −1 (c) = {x ∈ V | f(x) = c}.<br />

Dann ist f −1 (c) eine n–dimensionale C k –Untermannigfaltigkeit von R n+l .<br />

Beweis. Die Aussage folgt aus Kriterium 2.2(a), angewandt auf die Abbildung<br />

f − c : x ↦→ f(x) − c. Es bleibt nur zu zeigen, dass Rang Df(x) = l auf einer<br />

Umgebung U von f −1 (c) gilt, ni<strong>ch</strong>t nur auf der Niveaumenge selbst. Dazu sei<br />

x 0 ∈ f −1 (c). Da Rang Df(x 0 ) = l ist, existiert eine (l × l)–Unterdeterminante A(x)<br />

von det(Df(x)) mit A(x 0 ) ≠ 0. Die Funktion x ↦→ A(x) ist stetig, weil f ∈ C 1<br />

ist. Daher ist A(x) ≠ 0 auf einer Umgebung U(x 0 ) des Punktes x 0 . Es folgt<br />

Rang Df(x) = l auf U(x 0 ). Wir setzen U = ⋃ x 0∈f −1 (c) U(x 0). QED<br />

Derartige Niveaumengen sind also “global” dur<strong>ch</strong> im Sinne einer Rangbedingung<br />

unabhängige Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

definierte Untermannigfaltigkeiten.<br />

f 1 (x) = 0, . . . , f l (x) = 0<br />

(b) Parametrisierte Untermannigfaltigkeiten. Sei W ⊆ R n offen, und sei<br />

ψ : W → R n+l eine C k –Abbildung mit Rang Dψ(w) = n für alle w ∈ W . Wir<br />

setzen voraus, dass ψ ein Homöomorphismus von W auf ψ(W ) ist. Dann ist ψ(W )<br />

eine C k –Untermannigfaltigkeit von R n+l . Dies folgt na<strong>ch</strong> Kriterium 2.2(c) mit<br />

U = R n+l . Im Spezialfall n = 2 und l = 1 nennt man ψ(W ) eine parametrisierte<br />

Flä<strong>ch</strong>e im R 3 .<br />

2.5.1. Rotationsflä<strong>ch</strong>en. Eine Klasse von Beispielen zu 2.5(b) liefern parametrisierte<br />

Rotationsflä<strong>ch</strong>en (oder Drehflä<strong>ch</strong>en) im R 3 . Wir rotieren etwa die Kurve<br />

12


x = a cos u + b, z = a sin u (0 < u < 2π) in der xz–Ebene (wobei a < b Konstanten<br />

sind) um die z–A<strong>ch</strong>se:<br />

⎛<br />

⎝ x y<br />

z<br />

⎞ ⎛<br />

⎞ ⎛<br />

cos v − sin v 0<br />

⎠ = ⎝ sin v cos v 0 ⎠<br />

0 0 1<br />

Dann definiert ϕ : (0, 2π) × (0, 2π) → R 3 ,<br />

⎝ a cos u + b<br />

0<br />

a sin u<br />

⎛<br />

⎞<br />

(a cos u + b) cos v<br />

ϕ(u, v) = ⎝ (a cos u + b) sin v ⎠<br />

a sin u<br />

⎞ ⎛<br />

⎞<br />

(a cos u + b) cos v<br />

⎠ = ⎝ (a cos u + b) sin v ⎠ .<br />

a sin u<br />

eine parametrisierte Flä<strong>ch</strong>e: Die Torusflä<strong>ch</strong>e, aus der die Kreise u = 0 und v = 0<br />

entfernt sind.<br />

2.5.2. Wir erläutern die Voraussetzungen in 2.5(b) an einfa<strong>ch</strong>en Beispielen.<br />

(a) Sei ψ : R → R 2 die Abbildung ψ(t) = (t 3 , t 3 ). Dann hat Dψ(0) = (0, 0) T den<br />

Rang 0. Denno<strong>ch</strong> ist das Bild ψ(R) eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit von R 2 .<br />

(b) Nun sei ψ : R → R 2 definiert als ψ(t) = (t 2 , t 3 ). Hier ist ebenfalls Dψ(0) =<br />

(0, 0) T . In diesem Fall ist aber ψ(R) keine C 1 –Untermannigfaltigkeit von R 2 .<br />

(c) Die dur<strong>ch</strong> ψ(t) = (sin(t), sin(2t)) definierte Abbildung ψ : (0, 2π) → R 2 ist<br />

stetig und injektiv, und es gilt<br />

Rang Dψ(t) = Rang<br />

( )<br />

cos(t)<br />

= 1<br />

2 cos(2t)<br />

für alle t ∈ (0, 2π). Die Abbildung ψ ist aber kein Homöomorphismus von (0, 2π)<br />

auf das Bild ψ((0, 2π)), denn im Gegensatz zu (0, 2π) ist ψ((0, 2π)) kompakt. Das<br />

Bild ψ((0, 2π)) ist keine topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, daher au<strong>ch</strong> keine Untermannigfaltigkeit<br />

von R 2 .<br />

2.6. Lemma (Ein Kriterium für Differenzierbarkeit).<br />

(a) Sei M ⊆ R n eine C k –Untermannigfaltigkeit, N eine beliebige C k′ –Mannigfaltigkeit.<br />

Sei f ∈ C s (R n , N). Dann ist die Eins<strong>ch</strong>ränkung f| M ∈ C s (M, N).<br />

(b) Sei M eine C k –Mannigfaltigkeit, N ⊆ R n eine C k′ –Untermannigfaltigkeit. Sei<br />

f ∈ C s (M, R n ) mit f(M) ⊆ N. Dann ist f ∈ C s (M, N).<br />

Wir werden den Beweis in 2.11 in allgemeinerem Rahmen na<strong>ch</strong>holen. Mit Hilfe des<br />

Lemmas lässt si<strong>ch</strong> die Differenzierbarkeit von Abbildungen oft unmittelbar einsehen,<br />

lei<strong>ch</strong>ter als unter Verwendung von 1.9 oder 1.10. Ist etwa f : R 3 → R die Abbildung<br />

( )<br />

xy<br />

f(x, y, z) = arctan<br />

1 + e cos z ,<br />

13


dann ist f| S 2 eine C ∞ –Funktion auf S 2 bezügli<strong>ch</strong> der dur<strong>ch</strong> 1.6 gegebenen Standard-C<br />

∞ –Struktur auf der 2–Sphäre S 2 ⊆ R 3 .<br />

2.7. Beispiel. Der Zylinder M = {(x, y, z) ∈ R 3 | x 2 +y 2 = 1} ist als Niveaumenge<br />

von f(x, y, z) = x 2 + y 2 eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit von R 3 (siehe 2.4(a)). Die<br />

punktierte Ebene N = R 2 \ {0} ist als offene Teilmenge der C ∞ – Mannigfaltigkeit<br />

R 2 ebenfalls eine C ∞ –Mannigfaltigkeit. Sei ϕ : M → N die Abbildung ϕ(x, y, z) =<br />

(e z x, e z y). Dann ist ϕ bijektiv, ϕ ∈ C ∞ (M, N) na<strong>ch</strong> 2.6(a) und man bere<strong>ch</strong>net<br />

(<br />

ϕ −1 u<br />

(u, v) = √<br />

u2 + v , v<br />

√ 2 u2 + v , 1 )<br />

2 2 ln(u2 + v 2 ) .<br />

Na<strong>ch</strong> 2.6(b) ist also au<strong>ch</strong> ϕ −1 ∈ C ∞ (N, M). Daher ist ϕ ein C ∞ –Diffeomorphismus<br />

des Zylinders auf die punktierte Ebene.<br />

Wir betra<strong>ch</strong>ten nun Untermannigfaltigkeiten beliebiger Mannigfaltigkeiten.<br />

2.8. Definition. Sei (N, A) eine C k –Mannigfaltigkeit der Dimension n. Eine<br />

Teilmenge M ⊆ N heißt eine m–dimensionale Untermannigfaltigkeit von N wenn<br />

folgendes gilt: Zu jedem p ∈ M existiert eine Karte (ϕ, U) ∈ A mit p ∈ U und mit<br />

der Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

ϕ(U ∩ M) = ϕ(U) ∩ (R m × {0}).<br />

Jede sol<strong>ch</strong>e Karte (ϕ, U) heißt eine an M angepasste Karte.<br />

2.9. Bemerkungen. (a) Für N = R n mit der übli<strong>ch</strong>en C k –Struktur ist das die<br />

Definition aus 2.2(b).<br />

(b) Man kann die Definition no<strong>ch</strong> erweitern, indem man für k ≤ l ≤ ∞ den Begriff<br />

der C k –Untermannigfaltigkeit einer C l –Mannigfaltigkeit einführt. Mit 2.2.(b)<br />

haben wir das im Spezialfall l = ∞, N = R n bereits getan, und diese Definition<br />

(mit Hilfe von C k –Diffeomorphismen ϕ) lässt si<strong>ch</strong> in naheliegender Weise verallgemeinern.<br />

(c) Jede offene Teilmenge U ⊆ N ist eine n–dimensionale Untermannigfaltigkeit von<br />

N. Jede Einpunktmenge {p} mit p ∈ N, oder allgemeiner jede diskrete Teilmenge<br />

von N ist eine 0–dimensionale Untermannigfaltigkeit von N.<br />

(d) Seien (N, A) und (N ′ , A ′ ) zwei C k –Mannigfaltigkeiten und sei f : N → N ′ ein<br />

C k –Diffeomorphismus. Eine Teilmenge M ⊆ N ist genau dann eine Untermannigfaltigkeit<br />

von N, wenn ihr Bild f(M) eine Untermannigfaltigkeit von N ′ ist. Ist<br />

nämli<strong>ch</strong> (ϕ, U) eine an M angepasste Karte, dann ist (ϕ◦f −1 , f(U)) eine an das Bild<br />

f(M) angepasste Karte. Diffeomorphismen bilden also Untermannigfaltigkeiten auf<br />

Untermannigfaltigkeiten ab.<br />

2.10. Lemma. (Untermannigfaltigkeiten von C k –Mannigfaltigkeiten sind selbst<br />

C k –Mannigfaltigkeiten). Seien (N, A) eine n–dimensionale C k –Mannigfaltigkeit<br />

14


und M ⊆ N eine m–dimensionale Untermannigfaltigkeit von N. Sei π : R n → R m<br />

die Projektion π(x 1 , . . . , x n ) = (x 1 , . . . , x m ). Dann ist<br />

{ (π ◦ ϕ| U∩M , U ∩ M) | (ϕ, U) ∈ A an M angepasste Karte }<br />

ein C k –Atlas. Damit wird M selbst zu einer C k –Mannigfaltigkeit.<br />

Beweis. Sei i : R m → R n die Inklusion i(x) = (x, 0). Sind (ϕ 1 , U 1 ) und (ϕ 2 , U 2 ) an<br />

M angepasste Karten, dann ist<br />

(π ◦ ϕ 2 ) ◦ (π ◦ ϕ 1 ) −1 = π ◦ ϕ 2 ◦ ϕ −1<br />

1 ◦ i<br />

eine C k –Abbildung, weil der Kartenwe<strong>ch</strong>sel ϕ 2 ◦ ϕ −1<br />

1 eine C k –Abbildung ist. QED<br />

2.11. Lemma. Seien M 1 ⊆ N 1 und M 2 ⊆ N 2 Untermannigfaltigkeiten der C k –<br />

Mannigfaltigkeiten N 1 und N 2 , und sei f ∈ C k (N 1 , N 2 ). Es gelte f(M 1 ) ⊆ M 2 .<br />

Dann ist f| M1 ∈ C k (M 1 , M 2 ), wobei M 1 und M 2 mit den dur<strong>ch</strong> 2.10 gegebenen<br />

C k –Strukturen versehen sind.<br />

Beweis. Sei p ∈ M 1 und sei (ϕ 1 , U 1 ) eine an M 1 angepasste Karte mit p ∈ U 1 ,<br />

(ϕ 2 , U 2 ) eine an M 2 angepasste Karte mit f(p) ∈ U 2 . Seien π und i wie im Beweis<br />

von 2.10. Dann gilt auf (π ◦ ϕ 1 )(U 1 ∩ f −1 (U 2 ))<br />

(π ◦ ϕ 2 ) ◦ f ◦ (π ◦ ϕ 1 ) −1 = π ◦ (ϕ 2 ◦ f ◦ ϕ −1<br />

1 ) ◦ i<br />

Na<strong>ch</strong> Voraussetzung ist ϕ 2 ◦ f ◦ ϕ −1<br />

1 eine C k –Abbildung. Lemma 1.10 impliziert die<br />

Behauptung. QED<br />

Aufgaben<br />

1. Niveaumengen. Sei f : R 3 → R die Funktion f(x, y, z) = x 2 + y 2 + az 2 . Für<br />

a = 0, a = 1 und a = −1 skizziere man die Niveaumengen f −1 (c) = {(x, y, z) ∈<br />

R 3 | f(x, y, z) = c} mit c ∈ R. Wel<strong>ch</strong>e sind Untermannigfaltigkeiten von R 3 ?<br />

Wel<strong>ch</strong>e enthalten kritis<strong>ch</strong>e Punkte von f?<br />

2. Torus. (a) Sei T der Quotientenraum R 2 /Z 2 , versehen mit der Quotiententopologie.<br />

Dann existiert genau eine C ∞ -Struktur auf T mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass<br />

die kanonis<strong>ch</strong>e Projektion pr : R 2 → T ein lokaler C ∞ –Diffeomorphismus ist: Jeder<br />

Punkt p ∈ R 2 hat eine offene Umgebung U, die dur<strong>ch</strong> die Eins<strong>ch</strong>ränkung pr| U diffeomorph<br />

auf eine offene Teilmenge von T abgebildet wird.<br />

(b) Zeigen Sie, dass<br />

S 1 × S 1 = {(x 1 , x 2 , x 3 , x 4 ) | x 2 1 + x2 2 = 1 und x2 3 + x2 4 = 1}<br />

eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit von R 4 ist.<br />

15


(c) Finden Sie einen C ∞ –Diffeomorphismus von T auf S 1 × S 1 .<br />

(d) Finden Sie einen C ∞ –Diffeomorphismus von T auf den Rotationstorus M ⊆ R 3 ,<br />

der (mit a > r) definiert ist dur<strong>ch</strong><br />

M = { (x, y, z) | z 2 + ( √ x 2 + y 2 − a) 2 = r 2 }.<br />

(e) Sei L ⊆ T das Bild der Geraden {(x, y) ∈ R 2 | y = ax + b} unter der Projektion<br />

pr. Dann gilt : L ist di<strong>ch</strong>t in T genau dann, wenn a irrational ist.<br />

3. Liegruppen. (a) Zeigen Sie, dass folgende Gruppen C ∞ –Untermannigfaltigkeiten<br />

des Raumes R n×n der rellen (n × n)–Matrizen sind:<br />

GL(n, R) = {A ∈ R n×n | A invertierbar}<br />

SL(n, R) = {A ∈ GL(n, R) | det(A) = 1}<br />

O(n) = {A ∈ GL(n, R) | AA t = E}<br />

Hinweis zu O(n): Betra<strong>ch</strong>ten Sie die dur<strong>ch</strong> f(A) = AA t definierte Abbildung f :<br />

R n×n → R n(n+1)/2 in den Vektorraum Sym(n, R) ∼ = R n(n+1)/2 der symmetris<strong>ch</strong>en<br />

(n × n)–Matrizen.<br />

(b) Für G wie in (a) sind die Matrixmultiplikation µ : G×G → G und die Inversion<br />

ι : G → G, ι(A) = A −1 C ∞ –Abbildungen.<br />

Definition. Ein Tripel (G, µ, A), bestehend aus einer C ∞ –Mannigfaltigkeit (G, A)<br />

mit einer Gruppenstruktur µ : G × G → G, heißt eine Liegruppe, wenn µ und die<br />

Inversion ι : G → G C ∞ –Abbildungen sind.<br />

4. Untermannigfaltigkeiten von R 2 . Sei M = {(x, y) ∈ R 2 | y 2 = x 3 },<br />

versehen mit der von R 2 definierten Unterraumtopologie.<br />

(a) M ist keine C 1 –Untermannigfaltigkeit von R 2 (mit der übli<strong>ch</strong>en C ∞ –Struktur).<br />

(b) Finden Sie einen Homöomorphismus von M auf R. Verwenden Sie diesen, um<br />

auf M die Struktur einer C ∞ –Mannigfaltigkeit zu definieren.<br />

(c) Finden Sie eine C ∞ –Struktur A auf R 2 (versehen mit der übli<strong>ch</strong>en Topologie)<br />

dergestalt, dass M zu einer C ∞ –Untermannigfaltigkeit von (R 2 , A) wird. Hinweis:<br />

Es genügt ein aus einer Karte ϕ : R 2 → R 2 bestehender Atlas.<br />

16


3. Tangentialvektoren<br />

Dass si<strong>ch</strong> die ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en Begriffe des Tangentialvektors und der Tangentialebene<br />

an eine Flä<strong>ch</strong>e im dreidimensionalen Raum auf abstrakte Mannigfaltigkeiten übertragen<br />

lassen, die ni<strong>ch</strong>t in einen euklidis<strong>ch</strong>en Raum eingebettet sind, ist zunä<strong>ch</strong>st<br />

alles andere als offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Der Begriff des Tangentialvektors an eine differenzierbare<br />

Mannigfaltigkeit lässt si<strong>ch</strong> aber auf vers<strong>ch</strong>iedene Arten einführen. Dieser<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt enthält einige dieser Definitionen und erklärt, in wel<strong>ch</strong>em Sinne sie äquivalent<br />

sind. Wir bes<strong>ch</strong>ränken uns im Folgenden der Einfa<strong>ch</strong>heit halber auf C ∞ –<br />

Mannigfaltigkeiten. Differenzierbarkeit bedeutet also Differenzierbarkeit von der<br />

Klasse C ∞ , soweit ni<strong>ch</strong>ts anderes festgelegt wird.<br />

3.1. Untermannigfaltigkeiten von R k . Sei M ⊆ R k eine n–dimensionale<br />

differenzierbare Untermannigfaltigkeit, und sei p ∈ M. Wir definieren provisoris<strong>ch</strong><br />

den Tangentialraum T p M von M im Punkt p als die Menge aller Paare (p, v) ∈<br />

M × R k mit folgender Eigens<strong>ch</strong>aft:<br />

Es existieren eine Zahl ε > 0 und eine C ∞ –Kurve c : (−ε, ε) → M mit<br />

c(0) = p und (dc/dt)(0) = v.<br />

Jedes sol<strong>ch</strong>e Paar nennen wir einen Tangentialvektor in p. Tangentialvektoren in<br />

p sind also, grob gespro<strong>ch</strong>en, Ges<strong>ch</strong>windigkeitsvektoren von Kurven, die in M verlaufen<br />

und zum Zeitpunkt t = 0 dur<strong>ch</strong> den Punkt p gehen. Man stellt si<strong>ch</strong> ein<br />

Element (p, v) ∈ T p M als einen Vektor (Pfeil) mit Fußpunkt p vor. Diese ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong><br />

naheliegende Definition der Tangentialräume hat den Na<strong>ch</strong>teil, dass sie<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unmittelbar auf beliebige C ∞ –Mannigfaltigkeiten verallgemeinern lässt.<br />

Wir werden sie deshalb dur<strong>ch</strong> eine andere, allgemein verwendbare Definition ersetzen,<br />

die aber für den Fall von Untermannigfaltigkeiten M ⊆ R k im Wesentli<strong>ch</strong>en<br />

dasselbe ergibt wie T p M. Zunä<strong>ch</strong>st aber zeigen wir, dass T p M ein Vektorraum ist.<br />

Lemma. Seien M ⊆ R k eine n–dimensionale differenzierbare Untermannigfaltigkeit<br />

und p ∈ M. Dann gilt für jede lokale Parametrisierung ψ : W → U ⊆ M mit<br />

ψ(w) = p<br />

T p M = {p} × Dψ(w)(R n ).<br />

Insbesondere ist also T p M ein n–dimensionaler Vektorraum mit den Operationen<br />

λ 1 (p, v) + λ 2 (p, v 2 ) = (p 1 λ 1 v 1 + λ 2 v 2 )<br />

für Skalare λ i ∈ R und Vektoren (p, v i ) ∈ T p M.<br />

Beweis. Sei zunä<strong>ch</strong>st (p, v) ∈ T p M. Zu zeigen ist, dass ein ξ ∈ R n existiert mit<br />

v = Dψ(w)ξ. Dazu wählen wir eine differenzierbare Kurve c : (−ε, ε) → M mit<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

17


c(0) = p und dc/dt(0) = v. Na<strong>ch</strong> Verkleinerung von ε kann man annehmen, dass<br />

c((−ε, ε)) ⊆ ψ(W ) gilt. Dann ist ψ −1 ◦ c ∈ C ∞ ((−ε, ε), W ). Dies folgt aus der<br />

Kettenregel 1.11, da wegen 2.4 ψ −1 eine Karte, also C ∞ –differenzierbar ist. Damit<br />

ist<br />

v = dc<br />

dt (0) = d dt∣ (ψ ◦ ψ −1 ◦ c) = Dψ(w) d 0<br />

dt ∣ (ψ −1 ◦ c).<br />

0<br />

Umgekehrt sei nun ξ ∈ R n gegeben. Dann gilt für die Kurve c(t) = ψ(w + tξ)<br />

und daher (p, Dψ(w)ξ) ∈ T p M. QED<br />

Dψ(w)ξ = d dt∣ ψ(w + tξ) = dc<br />

0<br />

dt (0),<br />

3.2. Definition (geometris<strong>ch</strong>e Definition der Tangentialräume). Sei M eine differenzierbare<br />

Mannigfaltigkeit, und seien c i = (−ε i , ε i ) → M (ε i > 0, i = 1, 2) zwei<br />

differenzierbare Kurven mit c 1 (0) = c 2 (0) = p ∈ M. Die Kurven c 1 und c 2 heißen<br />

äquivalent (S<strong>ch</strong>reibweise: c 1 ∼ c 2 ), wenn eine Karte (ϕ, U) mit p ∈ U existiert, so<br />

dass<br />

d(ϕ ◦ c 1 )<br />

dt<br />

(0) = d(ϕ ◦ c 2)<br />

(0). (∗)<br />

dt<br />

Wir werden glei<strong>ch</strong> sehen, dass ∼ eine Äquivalenzrelation auf der Menge der C ∞ -<br />

Kurven c mit c(0) = p ist. Jede Äquivalenzklasse [c] heißt ein (geometris<strong>ch</strong>er)<br />

Tangentialvektor an M im Punkt p. Die Menge Tp<br />

geo M aller Tangentialvektoren in<br />

p heißt der (geometris<strong>ch</strong>e) Tangentialraum von M in p.<br />

Bemerkung. Wenn die Bedingung (∗) für eine Karte (ϕ, U) an p gilt, dann für<br />

jede. Ist nämli<strong>ch</strong> (ϕ 1 , U 1 ) eine weitere Karte an p, dann gilt<br />

d(ϕ 1 ◦ c 1 )<br />

dt<br />

(0) = d dt∣ (ϕ 1 ◦ ϕ −1 ◦ ϕ ◦ c 1 )<br />

0<br />

= D(ϕ 1 ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) d(ϕ ◦ c 1)<br />

(0)<br />

dt<br />

= D(ϕ 1 ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) d(ϕ ◦ c 2)<br />

(0)<br />

dt<br />

= d(ϕ 1 ◦ c 2 )<br />

(0).<br />

dt<br />

Aus dieser Bemerkung folgt unmittelbar, dass ∼ eine Äquivalenzrelation ist.<br />

3.3. Vektorraumstruktur auf Tp<br />

geo M. In den Bezei<strong>ch</strong>nungen von 3.2 sei nun<br />

(ϕ, U) eine Karte an p. Dann ist die Abbildung<br />

A : T geo<br />

p M → R n , A([c]) :=<br />

18<br />

d(ϕ ◦ c)<br />

(0)<br />

dt


ijektiv und es gilt A −1 (v) = [c], wobei c(t) = ϕ −1 (ϕ(p) + tv). Zum Beweis dieser<br />

Aussage verifiziert man, dass AA −1 = id R n und A −1 A = id T<br />

geo<br />

p M gelten. Insbesondere<br />

erhält die Menge Tp<br />

geo M von R n die Struktur eines n–dimensionalen<br />

reellen Vektorraumes dur<strong>ch</strong> “Strukturübertragung”: Für λ i ∈ R und [c i ] ∈ Tp<br />

geo M<br />

definieren wir<br />

λ 1 [c 1 ] + λ 2 [c 2 ] = A −1 ( λ 1 A[c 1 ] + λ 2 A[c 2 ] ).<br />

Explizit lassen si<strong>ch</strong> die Vektorraumoperationen in Tp<br />

geo M so bes<strong>ch</strong>reiben: Es ist<br />

wobei c die Kurve<br />

mit v i = d(ϕ ◦ c i )/dt (0) bezei<strong>ch</strong>net.<br />

λ 1 [c 1 ] + λ 2 [c 2 ] = [c],<br />

c(t) = ϕ −1( ϕ(p) + t(λ 1 v 1 + λ 2 v 2 ) )<br />

Lemma. Die so definierte Vektorraumstruktur auf Tp<br />

geo M ist unabhängig von der<br />

Wahl der Karte (ϕ, U) an p.<br />

Beweis. Ist (ψ, V ) eine andere Karte an p, und bezei<strong>ch</strong>net B : Tp<br />

geo M → R n die<br />

Abbildung<br />

d(ψ ◦ c)<br />

B([c]) = (0),<br />

dt<br />

dann ist<br />

AB −1 (v) = d dt∣ ϕ ◦ ψ −1 (ψ(p) + tv) = D(ϕ ◦ ψ −1 )(ψ(p)) v.<br />

0<br />

Also ist AB −1 : R n → R n linear. Damit folgt<br />

B −1 (λ 1 B[c 1 ] + λ 2 B[c 2 ]) = A −1 (AB −1 )(λ 1 B[c 1 ] + λ 2 B[c 2 ])<br />

= A −1 (λ 1 (AB −1 )B[c 1 ] + λ 2 (AB −1 )B[c 2 ])<br />

= A −1 (λ 1 A[c 1 ] + λ 2 A[c 2 ]). QED<br />

Ist speziell M eine C ∞ –Untermannigfaltigkeit des R k , dann ist na<strong>ch</strong> 2.4 M selbst<br />

eine C ∞ –Mannigfaltigkeit. Neben dem Tangentialraum T p M aus 3.1 gibt es dann<br />

denjenigen Tp<br />

geo M aus 3.2. Ihre Beziehung klärt die folgende<br />

3.4. Proposition. Sei M ⊆ R k eine n–dimensionale differenzierbare Untermannigfaltigkeit<br />

von R k und p ∈ M. Dann ist die dur<strong>ch</strong><br />

Ψ p ([c]) =<br />

(<br />

p, dc<br />

dt (0) )<br />

definierte Abbildung Ψ p : Tp<br />

geo M → T p M ein Vektorraumisomorphismus.<br />

19


Die Notation dc/dt ma<strong>ch</strong>t Sinn, indem man c : (−ε, ε) → M ⊆ R k als R k -wertige<br />

Abbildung auffasst. Genau genommen wäre stattdessen zu s<strong>ch</strong>reiben d(i ◦ c)/dt,<br />

wobei i : M → R k die Inklusionsabbildung i(p) = p bezei<strong>ch</strong>net. Den Beweis der<br />

Proposition überlassen wir als einfa<strong>ch</strong>e Übung.<br />

Wir kommen nun zu einer zweiten allgemein anwendbaren Art, Tangentialvektoren<br />

an eine Mannigfaltigkeit zu definieren, nämli<strong>ch</strong> als reellwertige Derivationen des<br />

Ringes C ∞ (M). Derivationen sind weniger ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> als Äquivalenzklassen von<br />

Kurven, aber oft einfa<strong>ch</strong>er zu handhaben. Wir erklären zunä<strong>ch</strong>st, was Derivationen<br />

in einem Punkt p ∈ M sind, und dann, warum der Raum T p M dieser Derivationen<br />

kanonis<strong>ch</strong> isomorph ist zum geometris<strong>ch</strong>en Tangentialraum Tp geo M.<br />

3.5. Definition. Sei M eine C ∞ –Mannigfaltigkeit, p ∈ M. Eine Derivation an p<br />

ist eine R–lineare Abbildung X : C ∞ (M) → R mit folgender Eigens<strong>ch</strong>aft: Für alle<br />

f, g ∈ C ∞ (M) gilt die Produktregel<br />

X(f · g) = g(p) Xf + f(p) Xg.<br />

Die Menge T p M aller Derivationen an p ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ein reeller Vektorraum,<br />

ein Unterraum des Dualraumes von C ∞ (M).<br />

Beispiel. Sei (ϕ, U) eine Karte an p. Wir definieren<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p<br />

∂x i f = ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i (ϕ(p))<br />

∂<br />

∂x i ∣<br />

∣p ∈ T p M dur<strong>ch</strong><br />

für f ∈ C ∞ (M) und i = 1, . . . , n. Wir werden sehen, dass diese Derivationen eine<br />

Vektorraumbasis von T p M bilden.<br />

3.6. Satz. Die Abbildung Φ p : Tp<br />

geo M → T p M, definiert dur<strong>ch</strong><br />

Φ p ([c])f = d dt∣ f(c(t))<br />

0<br />

für [c] ∈ Tp<br />

geo M und f ∈ C ∞ (M), ist wohldefiniert und ein Vektorraumisomorphismus.<br />

Insbesondere ist also T p M n–dimensional. Der Beweis von 3.6 folgt in 3.8. In der<br />

Praxis identifiziert man oft T p M mit Tp<br />

geo (M) aufgrund dieses Satzes und bezei<strong>ch</strong>net<br />

beide Räume als den Tangentialraum von M in p. Wir werden dies später ebenfalls<br />

tun. Aus dem Zusammenhang sollte dann jeweils klar sein, ob eine Äquivalenzklasse<br />

von Kurven oder eine Derivation gemeint ist, wenn von einem Tangentialvektor die<br />

Rede ist.<br />

3.7. Eigens<strong>ch</strong>aften von Derivationen. Sei M eine n–dimensionale differenzierbare<br />

Mannigfaltigkeit und p ∈ M. Wir zeigen zunä<strong>ch</strong>st (in Lemma 3), dass für<br />

20


X ∈ T p M der Wert von Xf nur von der Eins<strong>ch</strong>ränkung von f auf eine beliebig<br />

kleine Umgebung U von p abhängt.<br />

Lemma 1. Sei X ∈ T p M, und sei<br />

gilt X(c) = 0.<br />

c ∈ C ∞ (M) eine konstante Funktion. Dann<br />

Beweis. Wegen der R–Linearität und der Produktregel für X ist<br />

X(c) = c X(1) = c X(1 · 1) = c (1 X(1) + 1 X(1)) = X(c) + X(c).<br />

QED<br />

Lemma 2. Sei U eine Umgebung von p. Dann existieren eine Umgebung U 1 ⊆ U<br />

von p und eine Funktion σ ∈ C ∞ (M) mit σ| U1 ≡ 1 und supp(σ) ⊆ U. Dabei<br />

ist supp(σ) der Träger (oder Support) von σ, also der Abs<strong>ch</strong>luß der Teilmenge<br />

{q ∈ M | σ(q) ≠ 0} von M.<br />

Beweis. Sei (ϕ, U 0 ) eine Karte an p mit ϕ(p) = 0. Dann gibt es eine Zahl ε > 0<br />

so, dass der euklidis<strong>ch</strong>e Ball B(0, ε) um 0 mit Radius ε in ϕ(U 0 ∩ U) enthalten ist.<br />

Seien U 1 = ϕ −1 (B(0, ε/2)) und U 2 = ϕ −1 (B(0, ε)) ⊆ U 0 ∩ U. Sei η ∈ C ∞ (R) eine<br />

Funktion mit η = 1 auf [−ε 2 /4, ε 2 /4] und η = 0 auf R \ (−ε 2 , ε 2 ). Wir definieren<br />

σ(q) =<br />

{ (<br />

η ‖ϕ(q)‖ 2) , wenn q ∈ U 2<br />

0, wenn q ∈ M \ U 2 .<br />

Dann hat σ die gewüns<strong>ch</strong>ten Eigens<strong>ch</strong>aften. QED<br />

Lemma 3. Sei U eine Umgebung von p, und seien f, g ∈ C ∞ (M) mit f| U = g| U .<br />

Dann gilt Xf = Xg für jede Derivation X ∈ T p M.<br />

Beweis. Für die Funktion h = f − g gilt h| U = 0. Es genügt zu zeigen, dass Xh = 0<br />

ist. Wir wählen U 1 und σ wie in Lemma 2. Dann ist (1 − σ)h = h auf M, und<br />

deshalb<br />

Xh = X((1 − σ)h) = (1 − σ)(p)Xh + h(p)X(1 − σ) = 0,<br />

da (1 − σ)(p) = 0 und h(p) = 0. QED<br />

Bemerkung. Als Folgerung aus Lemma 3 ergibt si<strong>ch</strong>, dass man Derivationen<br />

X ∈ T p M au<strong>ch</strong> auf Funktionen anwenden kann, die nur auf einer Umgebung U<br />

von p definiert sind. Ist nämli<strong>ch</strong> f ∈ C ∞ (U), dann wählt man eine Funktion<br />

g ∈ C ∞ (M) mit g| U1 = f| U1 für eine Umgebung U 1 ⊆ U von p, etwa indem man<br />

mit U 1 und σ wie in Lemma 2 definiert<br />

{<br />

σ(q)f(q), für q ∈ U<br />

g(q) =<br />

0, für q ∈ M \ U.<br />

Man setzt dann Xf := Xg. Na<strong>ch</strong> Lemma 3 hängt Xf ni<strong>ch</strong>t von der Wahl der<br />

Funktion g ab.<br />

21


Eine Teilmenge V ⊆ R n heißt sternförmig bezügli<strong>ch</strong> x 0 ∈ V , wenn für jeden Punkt<br />

x ∈ V die Verbindungsstrecke {x 0 + t(x − x 0 ) | 0 ≤ t ≤ 1} in V enthalten ist.<br />

Lemma 4. Sei V ⊆ R n offen und sternförmig bezügli<strong>ch</strong> 0 ∈ V . Sei f ∈ C ∞ (V ).<br />

Dann existieren Funktionen g i ∈ C ∞ (V ) (i = 1, . . . , n) mit g i (0) = ∂f/∂x i (0) und<br />

so, dass für alle x ∈ V gilt<br />

Beweis. Es ist<br />

Man setzt<br />

f(x) = f(0) +<br />

f(x) = f(0) +<br />

∫ 1<br />

0<br />

g i (x) =<br />

n∑<br />

x i g i (x).<br />

i=1<br />

∫<br />

d<br />

1<br />

dt f(tx) dt = f(0) + ∂f<br />

(tx)dt · xi<br />

∂xi ∫ 1<br />

0<br />

∂f<br />

(tx) dt.<br />

∂xi QED<br />

0<br />

3.8. Wir kommen nun zum Beweis von Satz 3.6 und zeigen zunä<strong>ch</strong>st, dass Φ p<br />

wohldefiniert ist. Sei (ϕ, U) eine Karte mit p ∈ U. Dann ist<br />

Φ p ([c])f = d dt∣ (f ◦ ϕ −1 ◦ ϕ ◦ c)(t)<br />

0<br />

= D(f ◦ ϕ −1 )(ϕ(p))<br />

d(ϕ ◦ c)<br />

(0). (3.8.1)<br />

dt<br />

Folgli<strong>ch</strong> hängt Φ p ([c])f ni<strong>ch</strong>t von c selbst, sondern nur von der Äquivalenzklasse [c]<br />

ab. Dass Φ p ([c]) eine Derivation an p ist, also Φ p ([c]) ∈ T p M gilt, ergibt si<strong>ch</strong> aus<br />

der Produktregel der Differentialre<strong>ch</strong>nung.<br />

Für den Na<strong>ch</strong>weis, dass Φ p : T p M → T p M eine lineare Abbildung ist, sei (ϕ, U)<br />

eine Karte an p. Na<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung (3.8.1) gilt dann<br />

Φ p ([c])f = D(f ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) A([c]),<br />

mit A wie in 3.3. Da A und D(f ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) lineare Abbildungen sind, ist au<strong>ch</strong><br />

Φ p linear.<br />

Als nä<strong>ch</strong>stes zeigen wir, dass Φ p injektiv ist. Ist Φ p ([c]) = 0, dann gilt na<strong>ch</strong> (3.8.1)<br />

für alle f ∈ C ∞ (M)<br />

0 = Φ p ([c])f<br />

= D(f ◦ ϕ −1 d(ϕ ◦ c)<br />

)(ϕ(p)) (0)<br />

dt<br />

n∑ ∂(f ◦ ϕ −1 )<br />

=<br />

∂x i (ϕ(p)) d(ϕi ◦ c)<br />

(0).<br />

dt<br />

i=1<br />

22


Dabei bezei<strong>ch</strong>net ϕ i die i-te Komponente von ϕ : U → R n . Wir wählen U 1 ⊆ U<br />

und σ wie in Lemma 2 von 3.7 und setzen<br />

{<br />

σ(q)ϕ<br />

f(q) =<br />

j (q), für q ∈ U<br />

0, für q ∈ M \ U,<br />

Dann gilt f ◦ ϕ −1 (x) = x j für alle x ∈ ϕ(U 1 ) und daher<br />

0 = Φ p ([c])f = d(ϕj ◦ c)<br />

(0).<br />

dt<br />

Es folgt (d(ϕ ◦ c)/dt)(0) = 0, und damit [c] = 0. Also ist Φ p injektiv.<br />

Abs<strong>ch</strong>ließend zeigen wir, dass Φ p surjektiv ist. Sei (ϕ, U) eine Karte an p. Wir<br />

behaupten, dass für jede Derivation X ∈ T p M gilt<br />

X =<br />

n∑<br />

Xϕ i ·<br />

i=1<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

(3.8.2)<br />

∣<br />

mit den in 3.5 definierten Elementen<br />

∂ ∣p<br />

∂x<br />

∈ T i p M. Daraus folgt, dass die Dimension<br />

von T p M hö<strong>ch</strong>stens n ist. Da Φ p : T p M → T p M injektiv und linear ist, und<br />

da T p M die Dimension n hat, muss dann Φ p surjektiv sein.<br />

Es bleibt Glei<strong>ch</strong>ung (3.8.2) zu verifizieren. Man kann annehmen, dass ϕ(p) = 0 ist,<br />

und dass ϕ(U) bezügli<strong>ch</strong> 0 sternförmig ist. Sei f ∈ C ∞ (M). Dann ist na<strong>ch</strong> Lemma<br />

4 für x ∈ ϕ(U)<br />

n∑<br />

f ◦ ϕ −1 (x) = (f ◦ ϕ −1 )(0) + x i g i (x),<br />

wobei g i (0) = (∂(f ◦ ϕ −1 )/∂x i )(0) ist. Sei ϕ ∗ X ∈ T 0 (R n ) die dur<strong>ch</strong> (ϕ ∗ X)g =<br />

X(g ◦ ϕ) für g ∈ C ∞ (R n ) definierte Derivation. Dann ist, wenn x i die i–te Koordinatenfunktion<br />

des R n bezei<strong>ch</strong>net,<br />

Xf = X(f| U ) = X(f ◦ ϕ −1 ◦ ϕ)<br />

= (ϕ ∗ X)(f ◦ ϕ −1 )<br />

(<br />

n∑<br />

)<br />

= (ϕ ∗ X) f(p) + x i g i<br />

=<br />

=<br />

i=1<br />

i=1<br />

n∑<br />

(ϕ ∗ X)x i · g i (0) + x i (0) · (ϕ ∗ X)g i<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

X(x i ◦ ϕ) ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i (0)<br />

(<br />

∑ n<br />

= Xϕ i ·<br />

i=1<br />

∣ )<br />

∂ ∣∣∣p<br />

∂x i f da x i ◦ ϕ = ϕ i ,<br />

23


und Glei<strong>ch</strong>ung (3.9.1) ist bewiesen. QED<br />

Korollar zum Beweis. Ist (ϕ, U) eine Karte an p, dann ist<br />

∂<br />

∂x 1 ∣ ∣∣∣p<br />

, . . . ,<br />

∂<br />

∂x n ∣ ∣∣∣p<br />

eine Basis von T p M. Unter dem Isomorphismus Φ p entspri<strong>ch</strong>t ∂/∂x i∣ ∣<br />

p<br />

dem dur<strong>ch</strong><br />

die i-te Koordinatenlinie dur<strong>ch</strong> p gegebenen Tangentialvektor [c] mit<br />

c(t) = ϕ −1( ϕ(p) + (0, . . . , 0, (i)<br />

t , 0, . . . , 0) ) .<br />

3.10. Transformationsverhalten bei Kartenwe<strong>ch</strong>sel. ∣ Sind (ϕ, U) und ( ˜ϕ, Ũ)<br />

Karten an p mit den entspre<strong>ch</strong>enden Basisvektoren<br />

∂ ∣p<br />

∂x<br />

und<br />

∂<br />

i ∂ ˜x<br />

| i p , dann gilt<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

=<br />

n∑<br />

j=1<br />

∂( ˜ϕ j ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (ϕ(p))<br />

∂<br />

∂˜x j ∣ ∣∣∣p<br />

. (3.10.1)<br />

Zum Beweis zeigt man, dass beide Seiten, auf beliebiges f ∈ C ∞ (M) angewandt,<br />

dasselbe ergeben. In traditioneller S<strong>ch</strong>reibweise ist der Kartenwe<strong>ch</strong>sel ˜ϕ ◦ ϕ −1<br />

dadur<strong>ch</strong> gegeben, dass man die Koordinaten ˜x i als Funktion der x i hat, also<br />

˜x i = ˜x i (x 1 , . . . , x n ),<br />

und man s<strong>ch</strong>reibt ∂˜x j /∂x i für das Element ∂( ˜ϕ j ◦ ϕ −1 )/∂x i der Jacobimatrix. Man<br />

erhält so die einprägsame Glei<strong>ch</strong>ung<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

=<br />

n∑<br />

j=1<br />

∂˜x j<br />

∂x i (x(p))<br />

∂<br />

∂˜x j ∣ ∣∣∣p<br />

oder, kurz und ungenau,<br />

∂<br />

n<br />

∂x i = ∑<br />

j=1<br />

∂˜x j<br />

∂x i<br />

∂<br />

∂˜x j . (3.10.1)′<br />

Sind X i und ˜X i die Komponenten eines Vektors X ∈ T p M bezügli<strong>ch</strong> der beiden<br />

Basen, also<br />

∣ ∣ n∑<br />

X = X i ∂ ∣∣∣p n∑<br />

∂x i = ˜X i ∂ ∣∣∣p<br />

∂˜x j ,<br />

i=1<br />

dann folgt dur<strong>ch</strong> Einsetzen von (3.10.1) und Koeffizientenverglei<strong>ch</strong><br />

˜X j =<br />

n∑<br />

i=1<br />

i=1<br />

∂( ˜ϕ j ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (ϕ(p)) · X i . (3.10.2)<br />

24


In Matrixs<strong>ch</strong>reibweise wird das<br />

und in traditioneller S<strong>ch</strong>reibweise<br />

⎛ ˜X 1 ⎞<br />

⎛<br />

X 1 ⎞<br />

⎝<br />

.<br />

⎠ = J( ˜ϕ ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) ⎝<br />

.<br />

⎠ ,<br />

˜X n X n<br />

˜X j =<br />

n∑<br />

i=1<br />

∂˜x j<br />

∂x i Xi . (3.10.2) ′<br />

Bemerkung. Sind umgekehrt für jede Karte (ϕ, U) an p eines Atlas Komponenten<br />

X 1 , . . . , X n ∈ R gegeben dergestalt, dass für je zwei Karten und die zugehörigen<br />

Komponenten die Transformationsregel (3.10.2) gilt, dann existiert genau ein Tangentialvektor<br />

X ∈ T p M, so dass für jede Karte des Atlas gilt<br />

X =<br />

n∑<br />

i=1<br />

X i<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

(∗)<br />

Zum Beweis definiert man X dur<strong>ch</strong> (∗) bezügli<strong>ch</strong> einer Karte und re<strong>ch</strong>net mittels<br />

(3.10.2) na<strong>ch</strong>, dass (∗) dann für alle Karten gilt. Diese Bemerkung führt auf<br />

eine weitere, die traditionelle Definition des Tangentialvektors als einer Größe, die<br />

bezügli<strong>ch</strong> jedes Koordinatensystems dur<strong>ch</strong> ein n-Tupel X 1 , . . . , X n gegeben ist mit<br />

der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass bei We<strong>ch</strong>sel des Koordinatensystems gilt<br />

˜X j =<br />

n∑<br />

i=1<br />

∂˜x j<br />

∂x i Xi .<br />

Eine genaue Formulierung dieser Definition findet si<strong>ch</strong> in Aufgabe 3.<br />

Aufgaben<br />

In Aufgaben 1 und 2 wird folgendes Skalarprodukt auf Tangentialräumen T p M ⊆<br />

T p R n verwendet:<br />

n∑<br />

〈(p, v), (p, w)〉 := v i w i .<br />

1. Lagrange–Multiplikatoren. (a) Die Untermannigfaltigkeit M ⊆ R n sei<br />

definiert als Niveaumenge M = f −1 (c) einer differenzierbaren Abbildung h : V →<br />

R l mit Rang (Dh(p)) = l für p ∈ M. Zeigen Sie, dass die Tangentialvektoren<br />

(p, grad(h i )(p)) ∈ T p R n senkre<strong>ch</strong>t auf dem Tangentialraum T p M stehen und eine<br />

Basis des Normalenraumes (T p M) ⊥ bilden.<br />

25<br />

i=1


(b) Die Funktion f : M → R sei differenzierbar und habe ein lokales Extremum<br />

an der Stelle p ∈ M. Zeigen Sie, dass (p, grad(f)) ∈ (T p M) ⊥ ist. Folgern Sie, dass<br />

Zahlen λ 1 , . . . , λ l ∈ R existieren mit der Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

(<br />

grad f −<br />

l∑<br />

λ i h i) (p) = 0.<br />

i=1<br />

2. Normalenbündel. Sei M ⊆ R n eine C k –Untermannigfaltigkeit. Zeigen Sie<br />

unter Verwendung lokaler Parametrisierungen, dass das Tangentialbündel T M und<br />

das Normalenbündel T ⊥ M von M, definiert als<br />

T M := ⋃<br />

p∈M<br />

C k−1 –Untermannigfaltigkeiten von R 2n sind.<br />

T p M und T ⊥ M := ⋃<br />

(T p M) ⊥ ,<br />

3. Tangentialraum. Seien (M, A) eine n-dimensionale C ∞ –Mannigfaltigkeit und<br />

p ∈ M. Sei Trip p M die Menge aller Tripel (p, ξ, (ϕ, U)), wobei ξ ∈ R n ist und<br />

(ϕ, U) ∈ A eine Karte mit p ∈ U. Auf Trip p M definieren wir eine Äquivalenzrelation<br />

∼ wie folgt:<br />

p∈M<br />

(p, ξ, (ϕ, U)) ∼ (p, ξ ′ , (ϕ ′ , U ′ )) :⇐⇒ D(ϕ ′ ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) ξ = ξ ′<br />

Wir definieren Tang p M := Trip p M/ ∼ als die Menge der Äquivalenzklassen.<br />

(a) Zeigen Sie, dass ∼ eine Äquivalenzrelation ist.<br />

(b) Zeigen Sie, dass dur<strong>ch</strong><br />

λ 1 [(p, ξ 1 , (ϕ, U))] + λ 2 [(p, ξ 2 , (ϕ, U))] = [(p, λ 1 ξ 1 + λ 2 ξ 2 , (ϕ, U))]<br />

(λ i ∈ R) eine Vektorraumstruktur auf Tang p M wohldefiniert wird.<br />

(c) Finden Sie kanonis<strong>ch</strong>e Vektorraumisomorphismen und ihre Umkehrabbildungen<br />

von Tang p M auf Tp<br />

geo M und T p M, und auf T p M im Falle von Untermannigfaltigkeiten<br />

des R m .<br />

26


4. Ableitungen und Tangentialbündel<br />

Eine differenzierbare Abbildung f : M → N zwis<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten induziert<br />

lineare Abbildungen T p f : T p M → T f(p) N zwis<strong>ch</strong>en entspre<strong>ch</strong>enden Tangentialräumen.<br />

Dieser linearen Abbildung T p f, die als die Ableitung von f an der Stelle<br />

p bezei<strong>ch</strong>net wird, ist der erste Teil des Kapitels gewidmet. Dana<strong>ch</strong> führen wir das<br />

Tangentialbündel T M einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ein, die Vereinigung<br />

sämtli<strong>ch</strong>er Tangentialräume T p M. Das Tangentialbündel trägt selbst die<br />

Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit dergestalt, dass die dur<strong>ch</strong> differenzierbare<br />

Abbildungen f : M → N induzierten Abbildungen T f : T M → T N<br />

differenzierbar sind—allerdings mit Verlust einer Differenzierbarkeitsstufe, wenn f<br />

nur endli<strong>ch</strong> oft differenzierbar ist. Ersetzt man in der Definition von T M die Tangentialräume<br />

T p M dur<strong>ch</strong> ihre Dualräume (T p M) ∗ , so kommt man zum Kotangentialbündel<br />

T ∗ M, das als Phasenraum in der klassis<strong>ch</strong>en Me<strong>ch</strong>anik auftritt.<br />

Differenzierbarkeit heißt im folgenden wieder Differenzierbarkeit von der Klasse<br />

C ∞ , soweit ni<strong>ch</strong>ts anderes gesagt wird. (M, A) bezei<strong>ch</strong>net eine n-dimensionale<br />

C ∞ –Mannigfaltigkeit.<br />

4.1. Proposition. Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten und f :<br />

M → N differenzierbar.<br />

(a) Die Abbildung T p f : T p M → T f(p) N, definiert dur<strong>ch</strong><br />

((T p f)X)g = X(g ◦ f)<br />

für X ∈ T p M und g ∈ C ∞ (N), ist wohldefiniert und linear.<br />

(b) Dasselbe gilt für die Abbildung Tp<br />

geo f : Tp<br />

geo M → T geo<br />

(Tp<br />

geo f)[c] = [f ◦ c].<br />

f(p) N,<br />

(c) Mit dem in 3.6 definierten Vektorraumisomorphismus Φ p : Tp<br />

geo M → T p M gilt<br />

T p f ◦ Φ p = Φ f(p) ◦ Tp geo f.<br />

Teil (c) lässt si<strong>ch</strong> etwas ungenau so formulieren, dass unter der Identifikation T p M ∼ =<br />

Tp<br />

geo M die Abbildungen T p f und Tp<br />

geo f einander entspre<strong>ch</strong>en. Sowohl T p f als au<strong>ch</strong><br />

Tp<br />

geo f nennt man die Ableitung von f im Punkt p. Wir werden im Folgenden die<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung T p f für beide Abbildungen verwenden. Andere verbreitete Bezei<strong>ch</strong>nungen<br />

für T p f sind f ∗p oder f ′ (p), oder au<strong>ch</strong> Df(p).<br />

Zum Beweis von 4.1(a) zeigen wir, dass in der Tat (T p f)X ∈ T f(p) N, also eine<br />

Derivation an f(p) ist. Seien dazu g, h ∈ C ∞ (N). Da X eine Derivation an p ist,<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

27


gilt<br />

((T p f)X)(gh) = X((g ◦ f)(h ◦ f))<br />

= h(f(p)) X(g ◦ f) + g(f(p)) X(h ◦ f)<br />

= h(f(p)) ((T p f)X)g + g(f(p)) ((T p f)X)h,<br />

wie behauptet. Die Linearität von T p f ergibt si<strong>ch</strong> unmittelbar aus der Definition.<br />

Um die Wohldefiniertheit von Tp geo f in (b) zu beweisen, verifizieren wir, dass c 1 ∼ c 2<br />

impliziert f ◦ c 1 ∼ f ◦ c 2 . Seien dazu (ϕ, U) eine Karte an p und (ψ, V ) eine Karte<br />

an f(p). Dann gilt<br />

d<br />

dt ∣ (ψ ◦ f ◦ c 1 ) = d 0<br />

dt∣ (ψ ◦ f ◦ ϕ −1 ) ◦ (ϕ ◦ c 1 )<br />

0<br />

= D(ψ ◦ f ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) · d(ϕ ◦ c 1)<br />

(0)<br />

dt<br />

= D(ψ ◦ f ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) · d(ϕ ◦ c 2)<br />

(0)<br />

dt<br />

= d dt∣ (ψ ◦ f ◦ c 2 ).<br />

0<br />

Die Linearität von Tp<br />

geo f ergibt si<strong>ch</strong> aus der Bes<strong>ch</strong>reibung der Vektorraumstruktur<br />

von Tp<br />

geo M in 3.3, oder au<strong>ch</strong> aus (a) und (c), da Φ p ein Vektorraumisomorphismus<br />

ist. Der einfa<strong>ch</strong>e Beweis von (c) bleibt dem Leser überlassen. QED<br />

4.2. Eigens<strong>ch</strong>aften. Wi<strong>ch</strong>tige Eigens<strong>ch</strong>aften der Ableitung werden bes<strong>ch</strong>rieben<br />

dur<strong>ch</strong> die Kettenregel, den Satz über inverse Funktionen und allgemeiner den Rangsatz<br />

(Aufgabe 3). Sei p ∈ M.<br />

(a) Kettenregel. Sind f : M → N und h : N → P differenzierbar, dann ist h ◦ f<br />

differenzierbar und<br />

T p (h ◦ f) = T f(p) h ◦ T p f<br />

Tp<br />

geo (h ◦ f) = T geo<br />

f(p) h ◦ T p<br />

geo f<br />

(b) Ist f : M → N ein Diffeomorphismus, dann ist T p f (und damit au<strong>ch</strong> T geo<br />

p f)<br />

bijektiv für alle p ∈ M.<br />

(c) Satz über inverse Funktionen. Ist T p f bijektiv, dann gibt es Umgebungen<br />

U von p und V von f(p) so, dass f| U : U → V ein Diffeomorphismus ist.<br />

Beweis. (a) Die Differenzierbarkeit von h ◦ f wurde in 1.11 gezeigt, die weiteren<br />

Aussagen sind offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. (b) Es ist f ◦ f −1 = id N und f −1 ◦ f = id M . Auf<br />

diese Glei<strong>ch</strong>ungen wendet man (a) an und erhält T p f ◦ T f(p) (f −1 ) = id Tf(p) N und<br />

T f(p) (f −1 ) ◦ T p f = id TpM . Also ist T p f bijektiv mit inverser Abbildung T f(p) (f −1 ).<br />

Die entspre<strong>ch</strong>ende Behauptung für Tp<br />

geo f folgt nun aus 4.1(c). Den Satz über inverse<br />

Funktionen in (c) beweist man dur<strong>ch</strong> Zurückführen auf die entspre<strong>ch</strong>ende Aussage<br />

in 2.1 mit Hilfe von Karten. QED<br />

28


Definition. Eine differenzierbare Abbildung f : M → N heißt eine Immersion,<br />

wenn T p f injektiv ist, eine Submersion, wenn T p f surjektiv ist, und ein lokaler<br />

Diffeomorphismus, wenn T p f bijektiv ist für alle p ∈ M. Eine Einbettung ist eine<br />

Immersion f, die ein Homöomorphismus von M auf f(M) ist.<br />

Ein Beispiel für eine injektive Immersion, die keine Einbettung ist, findet si<strong>ch</strong> in<br />

2.5.2(c); ein Kriterium, wann injektive Immersionen Einbettungen sind, in den Aufgaben.<br />

4.3. Bes<strong>ch</strong>reibung von T p f in lokalen Koordinaten. Sei f : M → N differenzierbar.<br />

Ist (ϕ, U) eine Karte an p ∈ M, und ist (ψ, V ) eine Karte am Bildpunkt<br />

f(p), dann hat man na<strong>ch</strong> dem Korollar in 3.8 Basen ∂/∂x i | p von T p M und<br />

∂/∂y j | f(p) von T f(p) N. Wir bestimmen die Matrix, wel<strong>ch</strong>e der linearen Abbildung<br />

T p f bezügli<strong>ch</strong> dieser Basen entspri<strong>ch</strong>t. Zu diesem Zweck setzen wir an<br />

(T p f)<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

=<br />

n∑<br />

j=1<br />

a i<br />

j<br />

∂<br />

∂y j ∣<br />

∣∣∣f(p)<br />

und bere<strong>ch</strong>nen die Koeffizienten a i j . Für h ∈ C ∞ (N) ist<br />

Es folgt<br />

(<br />

(T p f)<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂x i h =<br />

(T p f)<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

(h ◦ f)<br />

= ∂(h ◦ f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i (ϕ(p))<br />

= ∂(h ◦ ψ−1 ◦ ψ ◦ f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (ϕ(p))<br />

n∑ ∂(h ◦ ψ −1 )<br />

=<br />

∂y j (ψ(f(p))) · ∂(ψj ◦ f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (ϕ(p))<br />

=<br />

j=1<br />

n∑<br />

j=1<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

=<br />

( ∣ ∂ ∣∣∣f(p) )<br />

∂y j h<br />

n∑<br />

j=1<br />

· ∂(ψj ◦ f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (ϕ(p)).<br />

∂(ψ j ◦ f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (ϕ(p)) ·<br />

∂<br />

∂y j ∣<br />

∣∣∣f(p)<br />

(4.3.1)<br />

Die der Abbildung T p f bezügli<strong>ch</strong> der Basen ∂/∂x i | p von T p M und ∂/∂y j | f(p) von<br />

T f(p) (N) entspre<strong>ch</strong>ende Matrix ist also die Jacobimatrix von ψ ◦ f ◦ ϕ −1 an der<br />

Stelle ϕ(p).<br />

4.4. Tangentialvektoren an Kurven. Sei I ⊆ R ein Intervall. Wir betra<strong>ch</strong>ten<br />

eine differenzierbare parametrisierte Kurve c : I → M in der Mannigfaltigkeit M.<br />

Der Tangentialvektor (oder Ges<strong>ch</strong>windigkeitsvektor) von c an der Stelle t 0 ∈ I ist<br />

definiert als<br />

ċ(t 0 ) := (T t0 c) d ∣ ∈ T c(t0)M.<br />

dt<br />

∣<br />

t0<br />

29


Dabei bezei<strong>ch</strong>net d/dt| t0 ∈ T t0 I den zum Koordinatensystem (id, R) von R gehörenden<br />

Basisvektor (der konsequenterweise eigentli<strong>ch</strong> mit ∂/∂x 1 | t0 bezei<strong>ch</strong>net werden<br />

müsste), also die Derivation “Ableitung an der Stelle t 0 ”. Na<strong>ch</strong> Definition von<br />

T t0 c gilt für f ∈ C ∞ (M)<br />

ċ(t 0 )f = d dt∣ (f ◦ c),<br />

t0<br />

und insbesondere ċ(0) = Φ p ([c]) mit dem Isomorphismus Φ p : Tp<br />

geo M → T p M aus<br />

3.6. Allgemeiner ist<br />

Φ p ([γ]) = ċ(t 0 ),<br />

wobei γ die Kurve γ(t) = c(t + t 0 ) bezei<strong>ch</strong>net. Zum Beweis bemerkt man, dass<br />

Φ p ([γ])f = d dt∣ f(γ(t)) = d 0<br />

dt∣ f(c(t)) = ċ(t 0 )f .<br />

t0<br />

In lokalen Koordinaten lässt si<strong>ch</strong> ċ(t 0 ) wie folgt bes<strong>ch</strong>reiben. Sei (ϕ, U) eine Karte<br />

an p = c(t 0 ). Dann gilt na<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung (3.9.1)<br />

ċ(t 0 ) =<br />

=<br />

n∑<br />

ċ(t 0 )ϕ i ·<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

d(ϕ i ◦ c)<br />

(t 0 )<br />

dt<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

.<br />

(4.4.1)<br />

Speziell für M = R n und die Karte ϕ = id erhält man<br />

ċ(t 0 ) =<br />

n∑<br />

i=1<br />

dc i<br />

dt (t 0)<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

wenn c i die i–te Komponente von c ist. Insofern ist unsere allgemeine Definition<br />

von ċ(t 0 ) konsistent mit den übli<strong>ch</strong>en Bezei<strong>ch</strong>nungen der Differentialre<strong>ch</strong>nung im<br />

R n .<br />

Wir kommen nun zum zweiten Gegenstand des Kapitels, dem Tangentialbündel<br />

einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit.<br />

4.5. Tangentialbündel. Die Menge T M = ⋃ p∈M T pM aller Tangentialvektoren<br />

einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M heißt das Tangentialbündel von<br />

M. Die Abbildung π : T M → M, die jedem Tangentialvektor X ∈ T p M seinen<br />

Fußpunkt p zuordnet, heißt die (kanonis<strong>ch</strong>e) Projektion. Für U ⊆ M s<strong>ch</strong>reibt man<br />

oft T M| U := π −1 (U) und nennt T M| U die Eins<strong>ch</strong>ränkung von T M auf U. Die<br />

einzelnen Tangentialräume T p M = π −1 (p) bezei<strong>ch</strong>net man au<strong>ch</strong> als die Fasern des<br />

Tangentialbündels.<br />

30


4.6. T M als Mannigfaltigkeit. Sei (ϕ, U) ∈ A eine Karte. Für p ∈ U hat man die<br />

zugehörigen Basisvektoren ∂/∂x 1 | p , . . . , ∂/∂x n | p des Tangentialraumes T p M. Wir<br />

definieren ¯ϕ : π −1 (U) → ϕ(U) × R n dur<strong>ch</strong><br />

(<br />

∑ n<br />

¯ϕ<br />

i=1<br />

X i<br />

Die Abbildung ¯ϕ ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bijektiv.<br />

∣ )<br />

∂ ∣∣∣p<br />

∂x i = ( ϕ(p), X 1 , . . . , X n) .<br />

Lemma 1. Es gibt genau eine Topologie T auf T M dergestalt, dass für alle<br />

Karten (ϕ, U) ∈ A gilt: π −1 (U) ist offen und ¯ϕ : π −1 (U) → ϕ(U) × R n ist ein<br />

Homöomorphismus. Diese Topologie ist hausdorffs<strong>ch</strong> und hat eine abzählbare Basis.<br />

Beweis. Wir zeigen zunä<strong>ch</strong>st: Wenn eine Topologie T mit den gewüns<strong>ch</strong>ten Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

existiert, dann gilt notwendig<br />

T = { W ⊆ T M | ¯ϕ(W ∩ π −1 (U)) ⊆ R n × R n<br />

für jede Karte (ϕ, U) ∈ A }.<br />

ist offen<br />

(∗)<br />

Sei T eine sol<strong>ch</strong>e Topologie, und sei W ⊆ T M offen, also W ∈ T . Dann ist<br />

W ∩ π −1 (U) ∈ T , und ¯ϕ(W ∩ π −1 (U)) ist offen in ϕ(U) × R n , also in R n × R n , da<br />

ϕ(U) ⊆ R n offen ist. Ist umgekehrt W ⊆ T M eine Teilmenge mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass für jede Karte (ϕ, U) ∈ A die Menge ¯ϕ(W ∩π −1 (U)) offen in R n ×R n ist, dann<br />

ist W ∩π −1 (U) offen in π −1 (U), da ¯ϕ ein Homöomorphismus ist. Da π −1 (U) offen in<br />

T M ist, ist W ∩ π −1 (U) au<strong>ch</strong> offen in T M. Also ist W = ⋃ {W ∩ π −1 (U) | (ϕ, U) ∈<br />

A} offen in T M. Damit ist (∗) verifiziert und die Eindeutigkeit von T bewiesen.<br />

Umgekehrt sieht man lei<strong>ch</strong>t, dass dur<strong>ch</strong> (∗) tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine Topologie mit den<br />

geforderten Eigens<strong>ch</strong>aften definiert wird. QED<br />

Lemma 2. Seien (ϕ 1 , U 1 ) und (ϕ 2 , U 2 ) ∈ A. Dann ist der Kartenwe<strong>ch</strong>sel<br />

eine C ∞ –Abbildung.<br />

¯ϕ 2 ◦ ¯ϕ −1<br />

1 : ϕ 1 (U 1 ∩ U 2 ) × R n → ϕ 2 (U 1 ∩ U 2 ) × R n<br />

Beweis. Sei X ∈ T p M. Wir s<strong>ch</strong>reiben X als Linearkombination der Basisvektoren<br />

∂/∂x i 1 | p und ∂/∂x i 2 | p zu den Karten ϕ 1 und ϕ 2 :<br />

X =<br />

n∑<br />

i=1<br />

X i 1<br />

∂<br />

∂x i 1<br />

∣ =<br />

p<br />

n∑<br />

∂<br />

X2<br />

i ∂x i i=1 2<br />

∣ .<br />

p<br />

Ist ξ 1 = (X1 1, . . . , Xn 1 ) und ξ 2 = (X2 1, . . . , Xn 2 ), dann gilt na<strong>ch</strong> (3.10.2)<br />

ξ 2 = D(ϕ 2 ◦ ϕ −1<br />

1 )(ϕ 1(p)) ξ 1 .<br />

31


Daher ist für (x, ξ) ∈ ϕ 1 (U 1 ∩ U 2 ) × R n<br />

Die Behauptung folgt. QED<br />

( ¯ϕ 2 ◦ ¯ϕ −1<br />

1 )(x, ξ) = ( ϕ 2 ◦ ϕ −1<br />

1 (x), D(ϕ 2 ◦ ϕ −1<br />

1 )(x) ξ ) .<br />

Folgerung. Mit dem Atlas { ( ¯ϕ, π −1 (U)) | (ϕ, U) ∈ A } wird T M zu einer 2n–<br />

dimensionalen C ∞ –Mannigfaltigkeit und die Projektion π : T M → M zu einer<br />

C ∞ –Abbildung.<br />

Bemerkungen. (a) Ist M eine C k –Mannigfaltigkeit mit endli<strong>ch</strong>em k ≥ 1, dann<br />

ist der soeben definierte Atlas nur ein C k−1 Atlas, wie man den Kartenwe<strong>ch</strong>seln im<br />

Beweis von Lemma 2 ansieht.<br />

(b) Der Nulls<strong>ch</strong>nitt 0 M = {0 ∈ T p M | p ∈ M} ist eine zu M diffeomorphe Untermannigfaltigkeit<br />

von T M. Die Karten ¯ϕ sind angepasst im Sinne von Definition<br />

2.8, und die Eins<strong>ch</strong>ränkung π| 0M der Projektion liefert den Diffeomorphismus von<br />

0 M auf M.<br />

4.7. Die Ableitung. Für f ∈ C ∞ (M, N) definieren wir T f : T M → T N dur<strong>ch</strong><br />

(T f)| TpM = T p f (siehe 4.1). Die Abbildung T f heißt die Ableitung von f.<br />

Lemma. Bezügli<strong>ch</strong> der in 4.6 definierten C ∞ –Strukturen auf T M und T N gilt<br />

T f ∈ C ∞ (T M, T N).<br />

Beweis. Seien (ϕ, U) eine Karte von M und (ψ, V ) eine Karte von N. Wir zeigen,<br />

dass ¯ψ ◦ T f ◦ ¯ϕ −1 eine C ∞ – Abbildung ist. Diese Abbildung<br />

¯ψ ◦ T f ◦ ¯ϕ −1 : ϕ(U ∩ f −1 (V )) × R n → ψ(f(U) ∩ V ) × R n ⊆ R 2n<br />

ist mit ξ = (ξ 1 , . . . , ξ n ) wegen (4.3.1) gegeben dur<strong>ch</strong><br />

Daher ist<br />

( ¯ψ ◦ T f ◦ ¯ϕ −1 )(x, ξ) = ¯ψ<br />

( ∑<br />

◦ T f<br />

= ¯ψ<br />

( ∑<br />

i,j<br />

i<br />

ξ i<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣ϕ )<br />

∂x i −1 (x)<br />

ξ i ∂(ψj ◦ f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i (x)<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣f(ϕ )<br />

∂y j −1 (x))<br />

( ¯ψ ◦ T f ◦ ¯ϕ −1 )(x, ξ) = ( (ψ ◦ f ◦ ϕ −1 )(x), D(ψ ◦ f ◦ ϕ −1 )(x) ξ ) ,<br />

und die Behauptung folgt. QED<br />

Bemerkung. Höhere Ableitungen einer Abbildung f ∈ C ∞ (M, N) sind nun in<br />

naheliegender Weise definiert, so etwa die zweite Ableitung als T T f = T (T f) :<br />

32


T T M → T T N. Dabei ist T T M = T (T M) das Tangentialbündel der Mannigfaltigkeit<br />

T M, das man au<strong>ch</strong> als das “zweite Tangentialbündel” von M von bezei<strong>ch</strong>net.<br />

4.8. Vektorfelder. Ein C k –Vektorfeld auf M ist eine C k –Abbildung X : M →<br />

T M mit π ◦ X = id M , das heißt also mit X(p) ∈ T p M für alle p ∈ M. Die Menge<br />

aller C ∞ –Vektorfelder auf M werden wir im folgenden oft mit V(M) bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

Sie ist ein reeller Vektorraum, und sogar ein Modul über dem Ring C ∞ (M) der<br />

differenzierbaren Funktionen.<br />

Beispiel. Seien ∂/∂x i | p die dur<strong>ch</strong> eine Karte (ϕ, U) an p definierten Basisvektoren<br />

von T p M. Dann ist die Abbildung<br />

∂<br />

∂x i : p ↦→<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

ein C ∞ –Vektorfeld auf U, das i–te Koordinatenvektorfeld der Karte (ϕ, U).<br />

Beweis. Die Abbildung ¯ϕ ◦ ∂<br />

∂x<br />

◦ ϕ −1 : ϕ(U) → ϕ(U) × R n ist gegeben dur<strong>ch</strong><br />

i<br />

(<br />

¯ϕ ◦ ∂ ) ( ∣ ) ∂ ∣∣∣ϕ<br />

∂x i ◦ ϕ−1 (x) = ¯ϕ<br />

∂x i = (x, 0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)<br />

−1 (x)<br />

und daher von der Klasse C ∞ . QED<br />

Lemma. Sei X : M → T M eine Abbildung mit π ◦ X = id M .<br />

C ∞ (M, T M) genau dann, wenn für jede Karte (ϕ, U) ∈ A gilt<br />

Dann ist X ∈<br />

X| U =<br />

n∑<br />

i=1<br />

X i<br />

∂<br />

∂x i<br />

mit Funktionen X i ∈ C ∞ (U).<br />

Mit anderen Worten: X ist genau dann ein C ∞ –Vektorfeld, wenn die Komponenten<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Koordinatenvektorfelder jeder Karte C ∞ –Funktionen sind. Der<br />

Beweis ergibt si<strong>ch</strong> sofort aus ¯ϕ ◦ X ◦ ϕ −1 (x) = (x, X 1 (ϕ −1 (x)), . . . , X n (ϕ −1 (x))).<br />

4.9. Kotangentialbündel. Ersetzt man in der Definition des Tangentialbündels<br />

die T p M dur<strong>ch</strong> ihre Dualräume, dann erhält man das Kotangentialbündel von M.<br />

Die Analoga zu den Vektorfeldern sind dann die 1–Formen oder Kovektorfelder.—<br />

Wir erinnern daran, dass der Dualraum V ∗ eines reellen Vektorraumes V definiert ist<br />

als der Vektorraum aller linearen Abbildungen α : V → R. Ist v 1 , . . . , v n eine Basis<br />

von V , dann ist die duale Basis α 1 , . . . , α n von V ∗ definiert dur<strong>ch</strong> die Bedingung<br />

α i (v j ) = δ i j<br />

33


mit dem Kroneckerdelta δ i j = { 1 wenn i = j;<br />

0 wenn i ≠ j.<br />

Definition. Der Dualraum Tp ∗ M := (T p M) ∗ von T p M heißt der Kotangentialraum<br />

von M im Punkt p. Die Vereinigung T ∗ M = ⋃ p∈M T p ∗ M heißt das Kotangentialbündel<br />

von M, seine Elemente heißen Kotangentialvektoren oder kurz Kovektoren.<br />

Die Projektion π : T ∗ M → M ist definiert dur<strong>ch</strong> π(α) = p, wenn α ∈ Tp ∗ M.<br />

Wie beim Tangentialbündel s<strong>ch</strong>reibt man T ∗ M| U := π −1 (U) für U ⊆ M und<br />

nennt T ∗ M| U die Eins<strong>ch</strong>ränkung von T ∗ M auf U. Die einzelnen Kotangentialräume<br />

Tp ∗M = π−1 (p) bezei<strong>ch</strong>net man au<strong>ch</strong> als die Fasern des Kotangentialbündels.<br />

Beispiel. Das Differential<br />

ist der dur<strong>ch</strong><br />

für X ∈ T p M definierte Kovektor.<br />

df| p ∈ T ∗ p M einer Funktion f ∈ C∞ (M) im Punkt p<br />

(df| p )(X) = Xf<br />

4.10. Koordinatendifferentiale. Sei (ϕ, U) eine Karte, ϕ = (ϕ 1 , . . . , ϕ n ) :<br />

U → R n . Wir definieren für p ∈ U die Koordinatendifferentiale dx i | p an p als die<br />

Differentiale der Komponentenfunktionen von ϕ, also<br />

dx i | p := dϕ i | p ∈ T ∗ p M.<br />

Lemma. Es gilt<br />

dx i | p<br />

(<br />

∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

∂x j = δj.<br />

i<br />

Insbesondere ist dx 1 | p , . . . , dx n | p eine Basis von Tp ∗ M, die zu<br />

∣<br />

∂ ∣p<br />

∂x<br />

, . . . ,<br />

1<br />

duale Basis.<br />

Beweis. Mit ϕ i ◦ ϕ −1 (x 1 , . . . , x n ) = x i ergibt si<strong>ch</strong><br />

dx i | p<br />

(<br />

∣ ∂ ∣∣∣p ) ( ∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

∂x j = dϕ i | p<br />

∂x i = ∂ ∣ ∣∣∣p<br />

∂x j ϕ i<br />

= ∂(ϕi ◦ ϕ −1 )<br />

∂x j (ϕ(p)) = δ i j . QED<br />

∂<br />

∂x n ∣<br />

∣p<br />

4.11. Transformationsverhalten bei Kartenwe<strong>ch</strong>sel. Sind (ϕ, U) und ( ˜ϕ, Ũ)<br />

Karten an p, dann gilt für die entspre<strong>ch</strong>enden Koordinatendifferentiale<br />

dx i | p = ∑ j<br />

∂x i<br />

∂˜x j ( ˜ϕ(p)) d˜xj | p (4.11.1)<br />

mit der bereits in 3.10 verwendeten S<strong>ch</strong>reibweise. Zum Beweis setzt man an<br />

dx i | p = ∑ j<br />

a i j d˜x j | p<br />

34


und bestimmt die Koeffizienten a i j , indem man beide Seiten dieser Glei<strong>ch</strong>ung auf<br />

∂/∂˜x k anwendet. Es ergibt si<strong>ch</strong><br />

dx i | p<br />

(<br />

∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

∂˜x k = ∑ j<br />

a i j δj k<br />

∂(ϕ i ◦ ˜ϕ −1 )<br />

∂˜x k ( ˜ϕ(p)) = a i k<br />

und damit in der Tat (∂x i /∂˜x k )( ˜ϕ(p)) = a i k .<br />

Seien nun α i und ˜α i die Komponenten eines Kovektors α ∈ T ∗ p M bezügli<strong>ch</strong> dieser<br />

Koordinatendifferentiale, also<br />

α =<br />

Dann ergibt si<strong>ch</strong> aus (4.11.1)<br />

n∑<br />

α i dx i | p =<br />

i=1<br />

n∑<br />

˜α i d˜x i | p .<br />

i=1<br />

˜α j = ∑ i<br />

∂x i<br />

∂˜x j ( ˜ϕ(p)) α i. (4.11.2)<br />

In Matrixs<strong>ch</strong>reibweise lautet das<br />

⎛ ⎞<br />

⎛ ⎞<br />

˜α 1<br />

⎝<br />

.<br />

⎠ = ( D(ϕ ◦ ˜ϕ −1 )( ˜ϕ(p) ) α 1<br />

T<br />

⎝<br />

.<br />

⎠<br />

˜α n α n<br />

⎛ ⎞<br />

= ( D( ˜ϕ ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) ) α 1<br />

−1 T<br />

⎝<br />

.<br />

⎠<br />

α n<br />

(4.11.3)<br />

mit der zu D( ˜ϕ ◦ ϕ −1 )(ϕ(p)) invers transponierten Abbildung.<br />

4.12. T ∗ M als Mannigfaltigkeit. Um auf T ∗ M die Struktur einer C ∞ –Mannigfaltigkeit<br />

zu definieren, geht man wie bei T M vor. Für eine Karte (ϕ, U) von M<br />

definieren wir ¯ϕ : T ∗ M| U → ϕ(U) × R n dur<strong>ch</strong><br />

( ∑ )<br />

¯ϕ α i dx i | p = (ϕ(p), α 1 , . . . , α n ) .<br />

i<br />

Aus Glei<strong>ch</strong>ung (4.11.3) folgt, dass die Kartenwe<strong>ch</strong>sel ¯ϕ 2 ◦ ¯ϕ −1<br />

1 C ∞ –Abbildungen<br />

sind. Definiert man die Topologie wie in Lemma 1 von 4.6, dann ergibt si<strong>ch</strong>:<br />

Folgerung. Mit dem Atlas { ( ¯ϕ, π −1 (U)) | (ϕ, U) ∈ A } wird T ∗ M zu einer 2n–<br />

dimensionalen C ∞ –Mannigfaltigkeit und die Projektion π : T ∗ M → M zu einer<br />

C ∞ –Abbildung.<br />

35


4.13. Eins–Formen. Eine Eins–Form (oder 1–Form) der Klasse C k auf M ist<br />

eine C k –Abbildung α : M → T ∗ M mit π ◦ α = id M . Eins–Formen nennt man<br />

au<strong>ch</strong> Kovektorfelder. Ist (ϕ, U) eine Karte, dann sind die Koordinatendifferentiale<br />

dx i : p ↦→ dx i | p offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> Eins–Formen der Klasse C ∞ auf U.<br />

Wie bei Vektorfeldern in 4.8 zeigt man: Eine Abbildung α : M → T ∗ M mit π ◦ α =<br />

id M ist eine C ∞ –Eins–Form genau dann, wenn für alle Karten (ϕ, U) ∈ A gilt<br />

mit differenzierbaren α i ∈ C ∞ (U).<br />

α| U =<br />

n∑<br />

α i dx i<br />

i=1<br />

4.14. Das Differential einer Funktion. Sei f ∈ C ∞ (M). Dann ist df : M →<br />

T ∗ M, definiert dur<strong>ch</strong> df(p) = df| p eine C ∞ –Eins–Form. Die Differenzierbarkeit<br />

ergibt si<strong>ch</strong> aus folgendem<br />

Lemma. Sei f ∈ C ∞ (M), und sei (ϕ, U) eine Karte. Dann gilt<br />

mit den C ∞ –Funktionen<br />

df| U =<br />

n∑<br />

i=1<br />

∂f<br />

∂x i : p ↦→<br />

∂f<br />

∂x i dxi (4.14.1)<br />

∂<br />

∂x j ∣ ∣∣∣p<br />

f .<br />

Beweis. Ist α = ∑ n<br />

i=1 α i dx i | p ∈ Tp ∗ M, dann gilt für die Komponenten α j =<br />

α(∂/∂x j | p ). Speziell für α = df| p ist aber na<strong>ch</strong> der Definition von df| p in 4.9<br />

df| p<br />

(<br />

∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

∂x j = ∂ ∣ ∣∣∣p<br />

∂x j f.<br />

QED<br />

Man bea<strong>ch</strong>te, dass die Notation ∂f/∂x i im Lemma einiger Interpretation bedarf:<br />

Für p ∈ U ist<br />

∂f<br />

∂x i (p) = ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i (ϕ(p)) .<br />

Man verwendet die Notation wegen ihrer Kürze, und au<strong>ch</strong> wohl, um das traditionelle<br />

Ers<strong>ch</strong>einungsbild der Formel (4.14.1) zu wahren, das der Zeit der “infinitesimalen<br />

Größen” entstammt.<br />

Aufgaben<br />

1. Immersionen und Submersionen. Zeigen Sie, dass jede differenzierbare<br />

Abbildung f : M → N ges<strong>ch</strong>rieben werden kann als f = g ◦ h mit einer Immersion<br />

h : M → P und einer Submersion g : P → N. Hinweis: Wählen Sie P = M × N.<br />

36


2. Extrema. Hat die differenzierbare Funktion f : M → R ein Extremum an der<br />

Stelle p ∈ M, dann ist df(p) = 0.<br />

*3. Rangsatz. Sei f : M → N eine C ∞ –Abbildung zwis<strong>ch</strong>en differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeiten, die in einer Umgebung U 0 des Punktes p ∈ M konstanten Rang<br />

hat, d.h. für alle q ∈ U 0 sei Rang(T q f) = r konstant. Zeigen Sie, dass Karten (ϕ, U)<br />

an p und (ψ, V ) an f(p) existieren mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für alle x ∈ ϕ(U) gilt:<br />

ψ ◦ f ◦ ϕ −1 (x 1 , . . . , x m ) = (x 1 , . . . , x r , 0, . . . , 0)<br />

4. Einbettungen. Eine Abbildung f : M → N zwis<strong>ch</strong>en topologis<strong>ch</strong>en Räumen<br />

heißt eigentli<strong>ch</strong>, wenn das Urbild f −1 (K) jeder kompakten Teilmenge K ⊆ N kompakt<br />

ist. Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten. Zeigen Sie:<br />

(a) Injektive eigentli<strong>ch</strong>e Immersionen f : M → N sind Einbettungen.<br />

(b) Das Bild jeder Untermannigfaltigkeit von M unter einer Einbettung f : M → N<br />

ist eine Untermannigfaltigkeit von N.<br />

5. Nullstellenmengen. (a) Zeigen Sie, dass jede abges<strong>ch</strong>lossene Teilmenge des<br />

R n die Nullstellenmenge einer C ∞ –Funktion f : R n → R ist.<br />

Hinweis: Finden Sie zunä<strong>ch</strong>st eine Funktion h ∈ C ∞ (R n , R), die auf einem Ball<br />

positiv ist und überall sonst vers<strong>ch</strong>windet, und deren k–te partielle Ableitungen<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt sind dur<strong>ch</strong> |∂ i1 . . . ∂ ik h| ≤ 2 k .<br />

(b) Verallgemeinern Sie die Aussage aus (a) auf abges<strong>ch</strong>lossene Teilmengen beliebiger<br />

differenzierbarer Mannigfaltigkeiten.<br />

37


5. Tensoren<br />

Viele wi<strong>ch</strong>tige Objekte der Differentialgeometrie sind Tensorfelder. Neben den uns<br />

s<strong>ch</strong>on bekannten Vektorfeldern und Eins–Formen zählen dazu au<strong>ch</strong> Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metriken, allgemeine Differentialformen und Krümmungstensoren, mit denen wir<br />

uns später eingehend bes<strong>ch</strong>äftigen werden. In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt werden zunä<strong>ch</strong>st<br />

notwendige Hilfsmittel aus der linearen, genauer gesagt: multilinearen Algebra<br />

bereitgestellt. Für einen endli<strong>ch</strong>dimensionalen reellen Vektorraum V führen wir<br />

die Tensorräume Tr s (V ) ein, das sind Vektorräume, deren Elemente gewisse multilineare<br />

Abbildungen sind. So wie man linearen Abbildungen na<strong>ch</strong> Wahl von Basen<br />

ihre Matrixkoeffizienten zuordnen kann, lassen si<strong>ch</strong> Tensoren A ∈ Tr s (V ) dur<strong>ch</strong> ihre<br />

j<br />

Komponenten A 1···j s<br />

i1···i r<br />

in Bezug auf eine Basis von V bes<strong>ch</strong>reiben. Die Konstruktionen<br />

dieses Kapitels werden im nä<strong>ch</strong>sten Abs<strong>ch</strong>nitt auf die Tangentialräume<br />

V = T p M differenzierbarer Mannigfaltigkeiten angewandt.<br />

5.1. Tensoren. Seien V ein n–dimensionaler reeller Vektorraum und V ∗ sein<br />

Dualraum, also der Raum aller linearen Abbildungen V → R. Ein r–fa<strong>ch</strong> kovarianter<br />

und s–fa<strong>ch</strong> kontravarianter Tensor oder kurz (r, s)–Tensor auf V ist eine<br />

R–multilineare Abbildung<br />

A : V × · · · × V × V<br />

} {{ }<br />

∗ × · · · × V ∗ → R.<br />

} {{ }<br />

r Faktoren s Faktoren<br />

Multilinearität bedeutet dabei Linearität in jeder der r + s Variablen. Die Menge<br />

aller (r, s)–Tensoren ist ein reeller Vektorraum, den wir mit Tr s (V ) bezei<strong>ch</strong>nen. Wir<br />

definieren außerdem T0 0 (V ) = R. Speziell ist nun<br />

T 0<br />

1 (V ) = V ∗<br />

T 1 0 (V ) = V ∗∗ ∼ = V,<br />

wobei der kanonis<strong>ch</strong>e Isomorphismus V ∼ = V ∗∗ gegeben ist dur<strong>ch</strong><br />

v(v ∗ ) = v ∗ (v) (5.1.1)<br />

für v ∈ V und v ∗ ∈ V ∗ . Auf diese Weise liefert jedes Element v von V eine lineare<br />

Abbildung V ∗ → R, also ein Element des Dualraumes V ∗∗ = (V ∗ ) ∗ . Diesen<br />

Isomorphismus werden wir im Folgenden oft stills<strong>ch</strong>weigend verwenden, um V mit<br />

T0 1 (V ) zu identifizieren.<br />

Beispiele. (a) Bilinearformen auf V , also z.B. Skalarprodukte, sind Elemente von<br />

T 0<br />

2 (V ).<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

38


(b) Sei Hom(V, V ) der Raum der linearen Endomorphismen von V , d.h. der linearen<br />

Abbildungen (oder Vektorraumhomomorphismen) von V in si<strong>ch</strong>. Man hat<br />

einen kanonis<strong>ch</strong>en Isomorphismus Ψ : T1 1 (V ) → Hom(V, V ), definiert dur<strong>ch</strong><br />

(Ψ(A))v = A(v, ·) ∈ (V ∗ ) ∗ ∼ = V<br />

für A ∈ T1 1(V ) und v ∈ V . Die inverse Abbildung Ψ−1 : Hom(V, V ) → T1 1 (V ) ist<br />

gegeben dur<strong>ch</strong><br />

(Ψ −1 (Ā))(v, v∗ ) = v ∗ (Āv)<br />

für Ā ∈ Hom(V, V ), v ∈ V und v∗ ∈ V ∗ . Endomorphismen von V sind also im<br />

wesentli<strong>ch</strong>en dasselbe wie (1, 1)–Tensoren.<br />

5.2. Tensorprodukt. Wir definieren eine R–bilineare Abbildung<br />

⊗ : T s<br />

r<br />

s′<br />

s+s′<br />

(V ) × Tr ′ (V ) → Tr+r (V ) ′<br />

wie folgt. Für r = s = 0 oder r ′ = s ′ = 0 ist ⊗ ist die übli<strong>ch</strong>e Multiplikation<br />

von multilinearen Abbildungen mit reellen Zahlen, den Elementen von T0 0 (V ) = R.<br />

Andernfalls definieren wir die multilineare Abbildung A ⊗ B dur<strong>ch</strong><br />

(A ⊗ B)(v 1 , . . . , v r+r ′, v ∗1 , . . . , v ∗s+s′ ) =<br />

A(v 1 , . . . , v r , v ∗1 , . . . , v ∗s ) · B(v r+1 , . . . , v r+r ′, v ∗s+1 , . . . , v ∗s+s′ )<br />

für v i ∈ V und v ∗j ∈ V ∗ . Das so definierte Tensorprodukt ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> R–<br />

bilinear und assoziativ, genügt also Re<strong>ch</strong>enregeln<br />

(λ 1 A 1 + λ 2 A 2 ) ⊗ B = λ 1 (A 1 ⊗ B) + λ 2 (A 2 ⊗ B)<br />

A ⊗ (λ 1 B 1 + λ 2 B 2 ) = λ 1 (A ⊗ B 1 ) + λ 2 (A ⊗ B 2 )<br />

(A ⊗ B) ⊗ C = A ⊗ (B ⊗ C)<br />

für Tensoren A, B, C und Skalare λ. Insbesondere können wir mehrfa<strong>ch</strong>e Tensorprodukte<br />

A ⊗ B ⊗ C ohne Klammern s<strong>ch</strong>reiben. Man bea<strong>ch</strong>te aber, dass im<br />

allgemeinen A ⊗ B von B ⊗ A vers<strong>ch</strong>ieden ist.<br />

Beispiele. (a) Für v 1 , v 2 ∈ V ∼ = T0 1(V<br />

) ist das Produkt v 1 ⊗ v 1 ∈ T0 2 (V ) unter<br />

Ausnutzung des kanonis<strong>ch</strong>en Isomorphismus V ∼ = V ∗∗ gegeben dur<strong>ch</strong><br />

(v 1 ⊗ v 2 )(w ∗1 , w ∗2 ) = v 1 (w ∗1 ) v 2 (w ∗2 )<br />

(b) Für v 1 , v 2 ∈ V = T0 1 (V ) und v ∗ ∈ V ∗ = T 0<br />

(V ) gegeben dur<strong>ch</strong><br />

T 2<br />

1<br />

= w ∗1 (v 1 ) w ∗2 (v 2 ) .<br />

1 (V ) ist der Tensor v ∗ ⊗ v 1 ⊗ v 2 ∈<br />

(v ∗ ⊗ v 1 ⊗ v 2 )(w, w ∗1 , w ∗2 ) = v ∗ (w) v 1 (w ∗1 ) v 2 (w ∗2 ).<br />

39


Man bea<strong>ch</strong>te, dass gilt v ∗ ⊗ v 1 ⊗ v 2 = v 1 ⊗ (v ∗ ⊗ v 2 ) = (v 1 ⊗ v 2 ) ⊗ v ∗ .<br />

5.3. Lemma. Sei e 1 , . . . , e n eine Basis von V , und sei e ∗1 , . . . , e ∗n die dazu duale<br />

Basis von V ∗ , definiert dur<strong>ch</strong> die Bedingung e ∗i (e j ) = δ j i . Dann bilden die Tensoren<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir ⊗ e j1 ⊗ · · · ⊗ e js<br />

für i 1 , . . . , i r , j 1 , . . . , j s = 1, . . . , n eine Basis von Tr s (V ). Insbesondere hat dieser<br />

Raum die Dimension n r+s .<br />

Beweis. Wenn für einen Tensor A ∈ Tr s (V ) gilt<br />

dann ist notwendig<br />

A = ∑ A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir ⊗ e j1 ⊗ · · · ⊗ e js , (5.3.1)<br />

A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

= A(e i1 , . . . , e ir , e ∗j1 , . . . , e ∗js ), (5.3.2)<br />

wie man dur<strong>ch</strong> Auswerten beider Seiten von (5.3.1) auf den (r + s)–Tupeln<br />

(e k1 , . . . , e kr , e ∗l1 , . . . , e ∗ls )<br />

einsieht. Daraus folgt bereits die lineare Unabhängigkeit der Elemente e ∗i1 ⊗· · ·⊗e js ,<br />

da si<strong>ch</strong> der Nulltensor A = 0 nur mit vers<strong>ch</strong>windenden Koeffizienten aus ihnen linear<br />

j<br />

kombinieren lässt. Wenn man umgekehrt zu gegebenem Tensor A die A 1···j s<br />

i1···i r<br />

dur<strong>ch</strong> (5.3.2) definiert, dann gilt offenbar au<strong>ch</strong> (5.3.1), so dass die Elemente in der<br />

Tat den Raum Tr s (V ) aufspannen. QED<br />

j<br />

5.4. Komponenten. Die eindeutig bestimmten Koeffizienten A 1···j s i1···i r<br />

in Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(5.3.1) heißen die Komponenten des Tensors A bezügli<strong>ch</strong> der Basis e 1 , . . . , e n<br />

von V . Viele Operationen mit Tensoren lassen si<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> mit Hilfe ihrer Komponenten<br />

ausdrücken. So lässt si<strong>ch</strong> der Isomorphismus Ψ : T1 1 (V ) → Hom(V, V ) wie<br />

folgt bes<strong>ch</strong>reiben. Für A = ∑ A k i e ∗i ⊗ e k und v ∈ V ist<br />

Ψ(A) v = Ψ ( ∑<br />

Ai k e ∗i ⊗ e k<br />

)<br />

v =<br />

∑<br />

Ai k e ∗i (v) e k ∈ V .<br />

Betra<strong>ch</strong>tet man den oberen Index als Zeilenindex und den unteren als Spaltenindex,<br />

dann ist also A i k gerade die Matrix des Endomorphismus Ψ(A) ∈ Hom(V, V )<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Basis e 1 , . . . , e n im Sinne der linearen Algebra.<br />

Die Komponenten eines Tensorproduktes ergeben si<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> als Produkte der<br />

Komponenten der Faktoren. Zum Beispiel ist<br />

( ∑<br />

Aij k e ∗i ⊗ e ∗j ⊗ e k<br />

)<br />

⊗<br />

( ∑<br />

Bp q e ∗p ⊗ e q<br />

)<br />

=<br />

∑<br />

Aij k B p q e ∗i ⊗ e ∗j ⊗ e ∗p ⊗ e k ⊗ e q ,<br />

40


also gilt für die Komponenten von A ⊗ B<br />

(A ⊗ B) ijp kq = A ij k B p q .<br />

5.5. Basiswe<strong>ch</strong>sel. Ist ẽ 1 , . . . , ẽ n eine zweite Basis von V , und ist ẽ ∗1 , . . . , ẽ ∗n die<br />

dazu duale Basis von V ∗ , dann gilt<br />

e i = ∑ a k i ẽ k und e ∗i = ∑ b i k ẽ ∗k<br />

mit gewissen Koeffizienten a k i und bk i . Dabei ist (bk i ) die zu (ak i ) inverse Matrix, wie<br />

folgende Re<strong>ch</strong>nung zeigt:<br />

δl i = e∗i (e l ) = ∑ ∑<br />

b i kẽ∗k( a m l ẽ ) ∑<br />

m = b i k am l δm k = ∑ b i k ak l<br />

k<br />

m<br />

k,m k<br />

Die Komponenten Ãk 1···k r<br />

l 1···l s<br />

eines Tensors A bezügli<strong>ch</strong> der neuen Basis ẽ 1 , . . . , ẽ n<br />

lassen si<strong>ch</strong> damit wie folgt bestimmen. Es ist<br />

A = ∑ A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir ⊗ e j1 ⊗ · · · ⊗ e js<br />

und daher<br />

= ∑ A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

b i1<br />

k 1 · · · b ir<br />

k r<br />

a l1<br />

j 1 · · · a ls<br />

j s ẽ ∗k1 ⊗ · · · ⊗ ẽ ∗kr ⊗ ẽ l1 ⊗ · · · ⊗ ẽ ls<br />

à k1···k r<br />

l 1···l s<br />

= ∑ A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

b i1<br />

k 1 · · · b ir<br />

k r<br />

a l1<br />

j 1 · · · a ls<br />

j s<br />

, (5.5.1)<br />

wobei die Indizes i 1 , . . . , i r und j 1 , . . . , j s jeweils von 1 bis n summiert werden.<br />

5.6. Kontraktion von Tensoren. Die zweite wi<strong>ch</strong>tige algebrais<strong>ch</strong>e Operation auf<br />

Tensoren na<strong>ch</strong> dem Tensorprodukt ist die Kontraktion oder Spurbildung über einen<br />

oberen und einen unteren Index. Ist zunä<strong>ch</strong>st A ∈ T1 1(V<br />

), dann definieren wir C1 1 (A)<br />

als die Spur des Endomorphismus Ψ(A) ∈ Hom(V, V ). Dabei ist Ψ der Isomorphismus<br />

aus 5.1, und es ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass die Spur eines Endomorphismus ni<strong>ch</strong>t<br />

von einer Basiswahl abhängt. C1 1 1<br />

ist eine lineare Abbildung T1 (V ) → T 0 0 (V ) = R.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> einer Basis e 1 , . . . , e n von V ist dann<br />

A = ∑ A i j e ∗i ⊗ e j<br />

C 1 1 (A) = ∑ A i i .<br />

Allgemein definieren wir nun für 1 ≤ µ ≤ r und 1 ≤ ν ≤ s eine lineare Abbildung<br />

C ν µ : T s<br />

r (V ) → T s−1<br />

r−1 (V )<br />

wie folgt: C ν µ (A)(v 1, . . . , v r−1 , v ∗1 , . . . , v ∗s−1 ) ist die Spur des (1, 1)–Tensors<br />

A(v 1 , . . . , v µ−1 , ?, v µ , . . . , v r−1 , v ∗1 , . . . , v ∗ν−1 , ?, v ∗ν , . . . , v ∗s−1 ),<br />

41


wobei die Fragezei<strong>ch</strong>en ? Leerstellen bedeuten. Bezügli<strong>ch</strong> einer Basis von V gilt<br />

dann<br />

C ν µ(A) = ∑ A i1···i µ−1ki µ···i r−1<br />

j 1···j ν−1kj ν ···j s−1<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir−1 ⊗ e j1 ⊗ · · · ⊗ e js−1 ,<br />

wobei nun au<strong>ch</strong> über den Index k summiert wird. Die Komponenten von Cµ(A)<br />

ν<br />

erhält man also, indem man den µ–ten unteren und den ν–ten oberen Index glei<strong>ch</strong>setzt<br />

und aufsummiert. Die Abbildung Cµ ν heißt die Kontraktion (oder Spurbildung,<br />

oder au<strong>ch</strong> Verjüngung) über den µ–ten unteren und ν–ten oberen Index.<br />

5.7. Übers<strong>ch</strong>iebungen. Kombinationen Cµ(A ν ⊗ B) von Tensorprodukt und<br />

Kontraktion bezei<strong>ch</strong>net man gelegentli<strong>ch</strong> als Übers<strong>ch</strong>iebungen der Tensoren A und<br />

B. Wir zeigen als Beispiel, dass das “Einsetzen” eines Vektors in einen (2, 1)–Tensor<br />

1<br />

eine sol<strong>ch</strong>e Übers<strong>ch</strong>iebung ist. Seien dazu A ∈ T2 (V ) und X ∈ T0 1 (V ). Dann ist A<br />

eine multilineare Abbildung A : V × V × V ∗ → R, und dur<strong>ch</strong> Einsetzen von X an<br />

der ersten Stelle entsteht daraus<br />

Wir zeigen<br />

A(X, ·, ·) ∈ T1 1 (V ).<br />

A(X, ·, ·) = C1 2 (A ⊗ X),<br />

das Tensorprodukt gefolgt von einer Kontraktion. Wir verifizieren das dur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>nen<br />

mit Komponenten, wobei wir einige Summenzei<strong>ch</strong>en weglassen. Es ist<br />

und damit<br />

A ⊗ X = (A i1i 2<br />

j 1<br />

e ∗i1 ⊗ e ∗i2 ⊗ e j1 ) ⊗ (X j2 e j2 )<br />

= A i1i 2<br />

j 1<br />

X j2 e ∗i1 ⊗ e ∗i2 ⊗ e j1 ⊗ e j2 ,<br />

Andererseits ist<br />

C 2 1 (A ⊗ X) = A ki 2<br />

j 1<br />

X k e ∗i2 ⊗ e j1<br />

= A ki j X k e ∗i ⊗ e j .<br />

A(X, ·, ·) = (A i1i 2 j e ∗i1 ⊗ e ∗i2 ⊗ e j )(X, ·, ·)<br />

= A i1i 2 j e ∗i1 (X) e ∗i2 ⊗ e j<br />

= A i1i 2 j X i1 e ∗i2 ⊗ e j ,<br />

und Umbenennen von Summationsindizes liefert die Behauptung.<br />

5.8. Summationskonvention. Zur Vereinfa<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>reibweise ist es oft<br />

bequem, bei Re<strong>ch</strong>nungen mit Tensoren die Summenzei<strong>ch</strong>en fortzulassen. Dabei ist<br />

dann vereinbart, dass über alle Indizes, die doppelt auftreten, und zwar einmal als<br />

unterer und das andere Mal als oberer Index, zu summieren ist. Man s<strong>ch</strong>reibt also<br />

zum Beispiel für A ∈ Tr s (V )<br />

A = A i1...i r<br />

j 1...j s<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir ⊗ e j1 ⊗ · · · ⊗ e js<br />

42


Summiert werden hier alle Indizes von 1 bis n. Spurbildung bei Tensoren ges<strong>ch</strong>ieht<br />

dann einfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>setzen eines oberen mit einem unteren Index, etwa so:<br />

(<br />

C<br />

2<br />

1 (A) ) i 2...i r<br />

j 1j 3...j s<br />

= A ii2...i r<br />

j 1ij 3...j s<br />

.<br />

In diesem Fall ist über i zu summieren. Wir werden diese Konvention bei allgemeinen<br />

Betra<strong>ch</strong>tungen im Folgenden häufig anwenden.<br />

5.9. Allgemeinere Tensoren. Es ist gelegentli<strong>ch</strong> nützli<strong>ch</strong>, den Begriff des (r, s)–<br />

Tensors dahingehend zu verallgemeinern, dass ni<strong>ch</strong>t notwendig die ersten r Argumente<br />

aus V und die letzten s aus V ∗ stammen müssen. Man erhält auf diese Weise<br />

Objekte wie etwa<br />

A i<br />

jk l e ∗i ⊗ e j ⊗ e k ⊗ e ∗l ,<br />

eine multilineare Abbildung V × V ∗ × V ∗ × V → R. Dabei ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass die<br />

Position der Indizes bes<strong>ch</strong>reibt, um wel<strong>ch</strong>en Typ von Tensor es si<strong>ch</strong> handelt—und<br />

das ist der Grund, warum wir bei den Komponenten eines Tensors bereits in (5.3.1)<br />

die Indizes in spezieller Position ges<strong>ch</strong>rieben haben. Das bei dieser S<strong>ch</strong>reibweise<br />

verwendete Tensorprodukt ist aber ein anderes als das in 5.2 definierte: Na<strong>ch</strong> der<br />

Definition in 5.2 ist nämli<strong>ch</strong><br />

← Vorsi<strong>ch</strong>t!<br />

e ∗i ⊗ e j ⊗ e k ⊗ e ∗l = e ∗i ⊗ e ∗l ⊗ e j ⊗ e k ,<br />

und das ist eine multilineare Abbildung V × V × V ∗ × V ∗ → R, und ni<strong>ch</strong>t V ×<br />

V ∗ × V ∗ × V → R. Beim Umgang mit den allgemeineren Tensoren hingegen bildet<br />

man Tensorprodukte einfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Hintereinanders<strong>ch</strong>reiben, ohne die Reihenfolge<br />

der e i und e ∗j zu ändern: Man hat wie vorher zum Beispiel<br />

(A i jk e ∗i ⊗ e j ⊗ e k ) ⊗ (B l m e ∗l ⊗ e m ) = A i jk B l m e ∗i ⊗ e j ⊗ e k ⊗ e ∗l ⊗ e m ,<br />

verzi<strong>ch</strong>tet aber dann darauf, e ∗l vor e j zu s<strong>ch</strong>reiben. Betra<strong>ch</strong>tet man nur rein<br />

kovariante, also (r, 0)–Tensoren oder nur rein kontravariante, d.h. (0, s)–Tensoren,<br />

dann stimmen beide Definitionen offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> überein; für “gemis<strong>ch</strong>te” Tensoren<br />

unters<strong>ch</strong>eiden sie si<strong>ch</strong>.<br />

Aufgaben<br />

1. Tensorprodukt. Seien V und W endli<strong>ch</strong>dimensionale reelle Vektorräume und<br />

V ∗ , W ∗ ihre Dualräume. Wir definieren V ⊗ W als den Vektorraum aller bilinearen<br />

Abbildungen A : V ∗ × W ∗ → R. Für v ∈ V und w ∈ W ist das Tensorprodukt<br />

v ⊗ w ∈ V ⊗ W definiert dur<strong>ch</strong><br />

(v ⊗ w)(v ∗ , w ∗ ) = v(v ∗ ) w(w ∗ ) ,<br />

wobei wie in (5.1.1) v(v ∗ ) = v ∗ (v) ist, also V mit T0 1 (V ) kanonis<strong>ch</strong> identifiziert<br />

wird, und entspre<strong>ch</strong>end für W .<br />

43


(a) Sei v 1 , . . . , v n eine Basis von V und w 1 , . . . , w l eine Basis von W . Zeigen Sie,<br />

dass die Elemente v i ⊗ w µ für i = 1, . . . , n und µ = 1, . . . , l eine Basis von V ⊗ W<br />

bilden.<br />

(b) Sei Hom(V, W ) der Vektorraum der linearen Abbildungen von V na<strong>ch</strong> W , und<br />

sei U ein weiterer endli<strong>ch</strong>dimensionaler reeller Vektorraum. Bes<strong>ch</strong>reiben Sie kanonis<strong>ch</strong>e<br />

Isomorphismen<br />

Hom(V, W ) ∼ = V ∗ ⊗ W<br />

(V ⊗ W ) ∗ ∼ = V ∗ ⊗ W ∗<br />

V ⊗ (W 1 ⊕ W 2 ) ∼ = (V ⊗ W 1 ) ⊕ (V ⊗ W 2 )<br />

V ⊗ (W ⊗ U) ∼ = (V ⊗ W ) ⊗ U<br />

jeweils mit und ohne Verwendung einer Basis.<br />

2. S<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong>e Tensoren. Ein (r, 0)–Tensor A auf dem Vektorraum V<br />

heißt s<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong>, wenn für jede Permutation π der Menge {1, . . . , r} und<br />

alle v i ∈ V gilt<br />

A(v π(1) , . . . , v π(r) ) = sign(π) A(v 1 , . . . , v r ) .<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net sign(π) das Vorzei<strong>ch</strong>en der Permutation π, ist also +1 für gerade<br />

und −1 für ungerade Permutationen. Zeigen Sie:<br />

(a) Ist A ∈ Tr 0 (V ) beliebig, dann ist S(A), definiert dur<strong>ch</strong><br />

S(A)(v 1 , . . . , v r ) := 1 ∑<br />

sign(π)A(v π(1) , . . . , v π(r) ),<br />

r!<br />

π<br />

ein s<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong>er Tensor. Dabei ist über alle Permutationen π der Menge<br />

{1, . . . , r} zu summieren.<br />

(b) Die S<strong>ch</strong>iefsymmetrisierung S : T 0<br />

r (V ) → T 0<br />

r (V ) ist eine lineare Abbildung mit<br />

S ◦ S = S.<br />

3. Äußeres Produkt. Sei nun S<strong>ch</strong>ief r (V ) der Raum der s<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong>en<br />

(r, 0)–Tensoren. Wir definieren eine bilineare Abbildung<br />

∧ : S<strong>ch</strong>ief q (V ) × S<strong>ch</strong>ief r (V ) → S<strong>ch</strong>ief q+r (V ),<br />

das äußere Produkt oder Da<strong>ch</strong>produkt s<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong>er Tensoren, dur<strong>ch</strong><br />

A ∧ B =<br />

(q + r)!<br />

q! r!<br />

S(A ⊗ B)<br />

mit der S<strong>ch</strong>iefsymmetrisierung S aus Aufgabe 2. Zeigen Sie:<br />

(a) Für A ∈ S<strong>ch</strong>ief q (V ) und B ∈ S<strong>ch</strong>ief r (V ) gilt<br />

A ∧ B = (−1) qr B ∧ A .<br />

44


(b) Das Da<strong>ch</strong>produkt ist assoziativ:<br />

(A ∧ B) ∧ C = A ∧ (B ∧ C)<br />

(c) Ist α 1 , . . . , α n eine Basis von V ∗ , dann bilden die Elemente<br />

α i1 ∧ α i2 ∧ . . . ∧ α ir<br />

mit i 1 < i 2 < . . . < i r eine Basis von S<strong>ch</strong>ief r (V ). Insbesondere hat dieser Raum die<br />

Dimension ( n<br />

r<br />

)<br />

.<br />

45


6. Tensorfelder, Faserbündel<br />

Ersetzt man in der Definition des Tangentialbündels T M einer differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit die Tangentialräume T p M dur<strong>ch</strong> die Tensorräume Tr s(T<br />

pM), so<br />

gelangt man zum Bündel der (r, s)–Tensoren auf M, das selbst wieder die Struktur<br />

eine differenzierbaren Mannigfaltigkeit trägt. Die Analoga zu den Vektorfeldern<br />

heißen Tensorfelder. Da lokale Koordinaten Basen für die Tangentialräume T p M<br />

liefern, lassen si<strong>ch</strong> Tensorfelder dur<strong>ch</strong> Komponentenfunktionen bes<strong>ch</strong>reiben, so wie<br />

wir das im Spezialfall der Vektorfelder und au<strong>ch</strong> der Eins–Formen bereits getan<br />

haben. In der Praxis ist ein Tensorfeld oft als eine Abbildung gegeben, die (r + s)–<br />

Tupeln, bestehend aus r Vektorfeldern und s Eins–Formen, reellwertige Funktionen<br />

auf M zuordnet, und die multilinear über dem Ring C ∞ (M) der differenzierbaren<br />

Funktionen ist. Eine entspre<strong>ch</strong>ende Charakterisierung liefert Satz 6.8.<br />

Tensorbündel sind spezielle Beispiele von Vektorraumbündeln und, allgemeiner,<br />

Faserbündeln. Auf diese Begriffe gehen wir zum Abs<strong>ch</strong>luss des Kapitels kurz ein.<br />

Im Folgenden ist (M, A) eine n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. Differenzierbarkeit<br />

bedeutet Differenzierbarkeit von der Klasse C ∞ . Wir verwenden<br />

die Summationskonvention aus Abs<strong>ch</strong>nitt 5.8.<br />

6.1. Tensorbündel. Die Menge<br />

Tr s M = ⋃<br />

p∈M<br />

T s<br />

r (T pM)<br />

heißt das Bündel der r–fa<strong>ch</strong> kovarianten und s–fa<strong>ch</strong> kontravarianten Tensoren, oder<br />

kurz: Bündel der (r, s)–Tensoren auf M. Die Projektion π : Tr sM → M ordnet<br />

jedem Tensor A ∈ Tr s (T p M) seinen Fußpunkt π(A) = p zu.<br />

Spezialfälle sind uns bereits begegnet: Es ist T0 0 M = M × R, außerdem ist<br />

T0 1 M = ⋃<br />

(T p M) ∗∗ = ⋃<br />

T p M = T M<br />

p∈M<br />

das Tangentialbündel und T1 0M = T ∗ M das Kotangentialbündel von M. Dem<br />

Muster von T M und T ∗ M folgend, führen wir nun auf Tr s M die Struktur einer<br />

differenzierbaren Mannigfaltigkeit ein, und definieren dann (r, s)–Tensorfelder als<br />

S<strong>ch</strong>nitte des Bündels π : Tr sM → M, das heißt als Abbildungen A : M → T r sM mit<br />

π ◦ A = id M . Da die Einzelheiten denen bei T M analog sind, werden wir uns hier<br />

kurz fassen.<br />

6.2. Bes<strong>ch</strong>reibung in lokalen Koordinaten. Ist A ∈ T s<br />

r (T p M), und ist (ϕ, U)<br />

eine Karte an p, dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

, die Komponenten<br />

von A bezügli<strong>ch</strong> der Karte (ϕ, U) dergestalt, dass gilt<br />

p∈M<br />

A = A i1...i r<br />

j 1...j s<br />

dx i1 | p ⊗ · · · ⊗ dx ir | p ⊗ ∂<br />

∂x j1 ∣ ∣∣∣p<br />

⊗ · · · ⊗<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

46<br />

∂<br />

∂x js ∣ ∣∣∣p<br />

(6.2.1)


Ist ( ˜ϕ, Ũ) eine weitere Karte an p, und sind ∂/∂˜xi und d˜x i die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Basisfelder, dann gilt na<strong>ch</strong> 3.10 und 4.11<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

= ∂˜xj<br />

∂x i (ϕ(p))<br />

∂<br />

∂˜x j ∣ ∣∣∣p<br />

dx i | p = ∂xi<br />

∂˜x j ( ˜ϕ(p)) d˜xj | p .<br />

Setzt man diese Beziehungen in Glei<strong>ch</strong>ung (6.2.1) ein, dann erhält man für die<br />

Komponenten von A bezügli<strong>ch</strong> der Karte ( ˜ϕ, Ũ) dur<strong>ch</strong> Koeffizientenverglei<strong>ch</strong><br />

à k1...k r<br />

l 1...l s<br />

= A i1...i r<br />

j 1...j s<br />

∂x i1<br />

∂˜x · · · ∂xir<br />

k1 ∂˜x kr<br />

∂˜x l1<br />

∂x · · · ∂˜xls (6.2.2)<br />

j1 ∂x js<br />

Ist umgekehrt für jede Karte (ϕ, U) am Punkt p ein n r+s j<br />

–Tupel (A 1···j s i1···i r<br />

)<br />

gegeben dergestalt, dass die Transformationsregel (6.2.2) gilt, dann gibt es genau<br />

ein Element A ∈ Tr s (T p M), dessen Komponenten bezügli<strong>ch</strong> der Karte (ϕ, U) die<br />

j<br />

A 1···j s<br />

i1···i r<br />

sind.<br />

6.3. T s r M als differenzierbare Mannigfaltigkeit. Sei (ϕ, U) eine Karte von M.<br />

Wir definieren eine Karte<br />

für das Tensorbündel T s r M dur<strong>ch</strong><br />

¯ϕ : T s r M| U → ϕ(U) × R nr+s<br />

(<br />

j<br />

¯ϕ A 1...j r i1...i r<br />

dx i1 | p ⊗ · · · ⊗ ∂ ∣ ∣∣∣p )<br />

= ( j<br />

ϕ(p), (A 1···j s i1···i<br />

∂x js r<br />

) ) .<br />

Die Kartenwe<strong>ch</strong>sel ¯ϕ ◦ ¯ψ −1 sind wegen (6.2.2) differenzierbar. Definiert man eine<br />

Topologie auf T s r M wie in 4.6, dann wird T s r M zu einer n + n r+s –dimensionalen<br />

differenzierbaren Mannigfaltigkeit.<br />

6.4. Tensorfelder. Ein (differenzierbares) (r, s)–Tensorfeld auf M ist eine (differenzierbare)<br />

Abbildung A : M → T s r M mit π ◦ A = id M . Insbesondere sind also<br />

(0, 0)–Tensorfelder reellwertige Funktionen auf M, (0, 1)–Tensorfelder sind Eins–<br />

Formen und (1, 0)–Tensorfelder sind Vektorfelder. S<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong>e (0, r)–Tensorfelder<br />

nennt man r–Formen oder Differentialformen vom Grad r.<br />

Ist (ϕ, U) eine Karte, und sind ∂/∂x i und dx j die entspre<strong>ch</strong>enden Basisfelder, dann<br />

sind<br />

dx i1 ⊗ · · · ⊗ dx ir ⊗<br />

∂<br />

∂x ⊗ · · · ⊗ ∂<br />

j1 ∂x js<br />

differenzierbare Tensorfelder, die an jeder Stelle p ∈ U eine Basis von T s<br />

r (T pM)<br />

bilden. Wie in 4.8 zeigt man folgendes<br />

47


Lemma. Eine Abbildung A : M → T s r M mit π ◦ A = id M ist genau dann differenzierbar<br />

von der Klasse C k , wenn für jede Karte (ϕ, U) ∈ A die dur<strong>ch</strong><br />

A| U = ∑ A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

dx i1 ⊗ · · · ⊗ dx ir ⊗ ∂<br />

∂x j1 ⊗ · · · ⊗ ∂<br />

∂x js<br />

j<br />

eindeutig bestimmten Komponentenfunktionen A 1···j s<br />

i1···i r<br />

∈ C k (U) sind.<br />

Beweis. Mit der Karte aus (6.3) gilt<br />

¯ϕ ◦ A ◦ ϕ −1 (x) = ( x, A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

(ϕ −1 (x)) ) .<br />

QED<br />

6.5. Aus dem Lemma in 6.4 folgt unmittelbar, dass Tensorprodukte und Kontraktionen<br />

von differenzierbaren Tensorfeldern wieder differenzierbare Tensorfelder<br />

ergeben. Na<strong>ch</strong> 5.7 liefert daher au<strong>ch</strong> das Einsetzen von differenzierbaren Vektorfeldern<br />

in differenzierbare Tensorfelder erneut differenzierbare Tensorfelder. Ist zum<br />

Beispiel g ein (2, 0)–Tensorfeld, und sind X und Y Vektorfelder, dann ist g(X, Y )<br />

das (0, 0)–Tensorfeld (also die Funktion)<br />

(g(X, Y ))(p) = g(p)(X(p), Y (p)).<br />

Bezügli<strong>ch</strong> einer Karte (ϕ, U) ist X| U = X i ∂/∂x i , ebenso Y | U = Y j ∂/∂y j und<br />

g| U = g ik dx i ⊗ dx k . Damit ist<br />

g(X, Y )| U = g ik dx i ⊗ dx k( X j ∂<br />

∂x j , Y l ∂<br />

)<br />

∂x l<br />

= g ik X j Y l dx i( ∂<br />

)<br />

∂x j<br />

= g ik X j Y l δj i δk l<br />

= g ik X i Y k ,<br />

dx k( ∂<br />

∂x l )<br />

und das ist eine differenzierbare Funktion auf U, wenn die Komponenten g ik , X i<br />

und Y k differenzierbar sind.<br />

6.6. Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf M ist ein differenzierbares<br />

(2, 0)–Tensorfeld g mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für jeden Punkt p ∈ M die<br />

bilineare Abbildung<br />

g(p) : T p M × T p M → R<br />

symmetris<strong>ch</strong> und positiv definit, also ein Skalarprodukt ist. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit<br />

ist ein Paar (M, g), bestehend aus einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

M und einer Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g auf M. Die Norm (oder Länge) eines<br />

Vektors X ∈ T p M ist definiert als<br />

‖X‖ = √ g(p)(X, X) .<br />

48


In lokalen Koordinaten (ϕ, U) ist dann<br />

mit den Komponentenfunktionen<br />

g| U = g ik dx i ⊗ dx k<br />

g ik = g( ∂<br />

∂x i ,<br />

∂<br />

∂x k ) .<br />

Die Symmetrie von g bedeutet, dass g ik = g ki ist, und die positive Definitheit von<br />

g(p) ist glei<strong>ch</strong>bedeutend mit g ik (p)X i X k > 0 für alle (X 1 , . . . , X n ) ∈ R n \ {0}.<br />

6.7. Charakterisierung von Tensorfeldern. Sei V die Menge der differenzierbaren<br />

Vektorfelder auf M, und sei V ∗ die Menge der differenzierbaren Eins–Formen.<br />

Jedes (r, s)–Tensorfeld A induziert eine Abbildung<br />

dur<strong>ch</strong><br />

Ā : V × · · · V × V ∗ × · · · × V ∗ → C ∞ (M)<br />

(Ā(X1<br />

, . . . , X r , α 1 , . . . , α s ) ) (p) := A(p)(X 1 (p), . . . , α s (p))<br />

für Vektorfelder X i und Eins–Formen α j . Diese Abbildung Ā ist ni<strong>ch</strong>t nur R–<br />

multilinear, sondern offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> sogar multilinear über dem Ring C ∞ (M) der<br />

differenzierbaren Funktionen: Für f, g ∈ C ∞ (M) ist<br />

A(fX + gY, X 2 , . . . , α s ) = f A(X, X 2 , . . . , α s ) + g A(Y, X 2 , . . . , α s ),<br />

und Entspre<strong>ch</strong>endes gilt in den übrigen Variablen. Diese Eigens<strong>ch</strong>aft ist <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong><br />

für Tensorfelder:<br />

Satz. Sei<br />

Φ : V × · · · × V × V ∗ × · · · × V ∗ → C ∞ (M)<br />

eine Abbildung, die multilinear über C ∞ (M) ist. Dann gibt es genau ein differenzierbares<br />

(r, s)–Tensorfeld A mit Ā = Φ.<br />

Beweis. Wir geben den Beweis für den Fall r = 1 und s = 0 und überlassen den<br />

allgemeinen Fall dem Lesenden. Für p ∈ M definieren wir A(p) ∈ T 0<br />

1 (T pM) dur<strong>ch</strong><br />

A(p)(X p ) = (Φ(X))(p)<br />

(∗)<br />

wobei X p ∈ T p M ist und X ∈ V ein Vektorfeld mit X(p) = X p .<br />

(a) Wir zeigen zunä<strong>ch</strong>st, dass ein sol<strong>ch</strong>es Vektorfeld X existiert. Sei (ϕ, U) eine<br />

Karte an p, und sei<br />

X p = ∑ ∣<br />

a i ∂ ∣∣∣p<br />

∂x i .<br />

49


Man wählt eine Funktion f ∈ C ∞ (M) mit f(p) = 1, deren Träger supp(f) in U<br />

enthalten ist (siehe 3.7) und setzt<br />

X(q) =<br />

{ ∑ f(q) a<br />

i<br />

∣<br />

∂ ∣q<br />

∂x<br />

, i falls q ∈ U;<br />

0, falls q ∈ M\U.<br />

(b) Nun zeigen wir, dass (Φ(X))(p) nur von X p abhängt, ni<strong>ch</strong>t von der Wahl des<br />

Vektorfeldes X. Offenbar genügt es, zu zeigen, dass aus X(p) = 0 folgt (Φ(X))(p) =<br />

0. Zum Beweis hiervon seien (ϕ, U) und f wie in (a). Dann ist X| U = ∑ X i ∂/∂x i<br />

mit X i (p) = 0. Es ist fX i ∈ C ∞ (M) und f ∂/∂x i ∈ V, da f außerhalb von U<br />

vers<strong>ch</strong>windet. Die Linearität von Φ über C ∞ (M) liefert daher<br />

f 2 Φ(X) = Φ(f 2 X)<br />

(<br />

= Φ f ∑ 2 X i ∂<br />

)<br />

∂x<br />

( i ∑<br />

= Φ fXi · f ∂ )<br />

∂x i<br />

= ∑ (<br />

fX i · Φ f ∂ )<br />

∂x i .<br />

Die Auswertung an der Stelle p ergibt (f(p)) 2 Φ(X)(p) = 0, also Φ(X)(p) = 0.<br />

(c) Aus dem Bisherigen ergibt si<strong>ch</strong>, dass für p ∈ M dur<strong>ch</strong> (∗) tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ein Element<br />

A(p) ∈ T1 0 (T p M) definiert wird. Wir zeigen abs<strong>ch</strong>ließend, dass die Abbildung A :<br />

p ↦→ A(p) differenzierbar ist. Sei (ϕ, U) eine Karte. Dann ist<br />

A| U = ∑ A i dx i<br />

mit den Komponentenfunktionen A i = A(∂/∂x i ). Wir zeigen, dass die A i differenzierbar<br />

sind (siehe 6.4). Sei dazu p ∈ U. Na<strong>ch</strong> Lemma 2 in Abs<strong>ch</strong>nitt 3.7<br />

existieren eine Umgebung V ⊆ U von p und eine Funktion f ∈ C ∞ (M) mit Träger<br />

supp(f) ⊆ U und mit f| V ≡ 1. Dann ist f · ∂/∂x i ∈ V (definiert als 0 außerhalb<br />

von U), also Φ(f ∂/∂x i ) ∈ C ∞ (M). Außerdem gilt für die Eins<strong>ch</strong>ränkung auf V<br />

denn für alle q ∈ V ist<br />

Φ<br />

(<br />

f ∂<br />

∂x i ) ∣ ∣ ∣∣V = A i | V ,<br />

(<br />

Φ f ∂ ) (<br />

∂x i (q) = A(q) f(q) ∂ ∣ ∣∣∣q )<br />

∂x i = A i (q),<br />

da f(q) = 1. Also ist A i | V ∈ C ∞ (V ), und da p ∈ U beliebig war, folgt die<br />

Behauptung. QED<br />

50


6.8. Faserbündel und Vektorraumbündel. Die Tensorbündel einer differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit sind Beispiele von Faserbündeln, genauer: Vektorraumbündeln.<br />

Da diese Begriffe in den Anwendungen der Differentialgeometrie eine<br />

wi<strong>ch</strong>tige Rolle spielen, gehen wir kurz darauf ein.<br />

Faserbündel. Seien E, M und F differenzierbare Mannigfaltigkeiten, und sei<br />

π : E → M eine differenzierbare Abbildung. Ein Faserbündelatlas (mit Faser F )<br />

für π ist eine Menge<br />

{ (ψ α , E| Uα ) | α ∈ Λ },<br />

wobei {U α | α ∈ Λ} eine offene Überdeckung von M ist, E| U α<br />

:= π −1 (U α ), und<br />

wobei die Bündelkarten<br />

ψ α : E| Uα → U α × F<br />

Diffeomorphismen sind mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass das Diagramm<br />

ψ α<br />

E| Uα −→<br />

⏐<br />

π↓<br />

U α<br />

id<br />

−→<br />

Uα<br />

⏐ × F<br />

⏐<br />

↓proj 1<br />

U α<br />

kommutiert, also auf E| Uα gilt π = proj 1 ◦ψ α . Dabei bezei<strong>ch</strong>net proj 1 : U α ×F → U α<br />

die Projektion auf den ersten Faktor. Daraus folgt insbesondere, dass die Abbildung<br />

π surjektiv ist, und au<strong>ch</strong>, dass an jeder Stelle e ∈ E die Ableitung T e π surjektiv ist.<br />

Die Abbildung π ist also eine surjektive Submersion (siehe 4.2). Ein differenzierbares<br />

Faserbündel (mit Faser F ) ist ein Tripel<br />

(E, M, π),<br />

bestehend aus differenzierbaren Mannigfaltigkeiten E und M und einer differenzierbaren<br />

Abbildung π : E → M, für die ein Faserbündelatlas (mit Faser F ) existiert.<br />

Die Mannigfaltigkeit E heißt der Totalraum, M die Basis und π die Projektion des<br />

Faserbündels. Das Urbild E p := π −1 (p) heißt die Faser über dem Punkt p. Man<br />

zeigt lei<strong>ch</strong>t, dass jede dieser Fasern E p eine Untermannigfaltigkeit von E ist, die<br />

vermöge der Abbildung ψ α | Ep : E p → {p} × F ∼ = F diffeomorph zu F ist. Anstelle<br />

des Tripels (E, M, π) bezei<strong>ch</strong>net man etwas ungenau au<strong>ch</strong> oft den Totalraum E als<br />

ein Faserbündel. Dieser Totalraum ist die Vereinigung aller Fasern E p , was zum<br />

Namen “Faserbündel” den Anlass gegeben hat. Ein S<strong>ch</strong>nitt des Faserbündels ist<br />

eine Abbildung σ : M → E mit der Eigens<strong>ch</strong>aft π ◦ σ = id M , also mit σ(p) ∈ E p .<br />

Beispiele. (a) Das Produktbündel mit Faser F über M ist das Faserbündel (M ×<br />

F, M, proj 1 ). Es genügt der aus nur einer Bündelkarte bestehende Faserbündelatlas<br />

{(id M×F , M × F )}. S<strong>ch</strong>nitte sind im Wesentli<strong>ch</strong>en dasselbe wie Abbildungen von<br />

M na<strong>ch</strong> F .<br />

(b) Das Tangentialbündel (T M, M, π) einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M<br />

ist ein Faserbündel mit Faser F = R n . S<strong>ch</strong>nitte dieses Bündels sind Vektorfelder<br />

auf M.<br />

51


(c) Allgemeiner ist das Tensorbündel Tr s M einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

ein Faserbündel mit Faser F = Tr s (R n ). Bündelkarten sind die Abbildungen<br />

( ∑<br />

j<br />

ψ 1···j s α Ai1···i r<br />

dx i1 | p ⊗ · · · ⊗<br />

∂ ∣ ∣∣∣p )<br />

:=<br />

∂x js<br />

(<br />

p, ∑ )<br />

j<br />

A 1...j r i1...i s<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir ⊗ e j1 ⊗ · · · ⊗ e js ,<br />

wobei e 1 , . . . , e n die Standardbasis von R n bezei<strong>ch</strong>net. S<strong>ch</strong>nitte des Tensorbündels<br />

sind (r, s)–Tensorfelder.<br />

(d) Das Einheitstangentialbündel SM ⊆ T M einer n–dimensionalen Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g) ist definiert als die Menge aller Tangentialvektoren X ∈<br />

T M der Norm ||X|| = 1. Bezei<strong>ch</strong>net π die Eins<strong>ch</strong>ränkung der Projektion von<br />

T M auf SM, dann ist (SM, M, π) ein Faserbündel mit Faser F = S n−1 , der<br />

(n−1)–dimensionalen Standardsphäre S n−1 = {x ∈ R n | ||x|| = 1}. S<strong>ch</strong>nitte dieses<br />

Bündels sind Vektorfelder der konstanten Länge 1.<br />

Vektorraumbündel. Vektorraumbündel sind Faserbündel, bei denen die Fasern<br />

E p Vektorraumstrukturen tragen, die, grob gespro<strong>ch</strong>en, differenzierbar vom Punkt<br />

p abhängen. Die genaue Definition ist wie folgt. Ein Vektorbündelatlas ist ein<br />

Faserbündelatlas, bei dem die Faser F ein reeller Vektorraum ist und mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass die Bündelkartenwe<strong>ch</strong>sel faserweise linear sind, das heißt: Zu je zwei<br />

Indizes α, β ∈ Λ existiert eine differenzierbare Abbildung γ αβ : U α ∩ U β → GL(F )<br />

dergestalt, dass für alle (p, v) ∈ (U α ∩ U β ) × F gilt<br />

ψ α ◦ ψ −1<br />

β (p, v) = (p, γ αβ(p)v) . (6.8.1)<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net GL(F ) die Menge der Vektorraumautomorphismen von F . Ein<br />

Vektorraumbündel oder kurz Vektorbündel ist ein Faserbündel (E, M, π) zusammen<br />

mit einem maximalen Vektorbündelatlas. Beispiele für Vektorraumbündel sind die<br />

Tensorbündel Tr sM.<br />

Die in Beispiel (c) angegebenen Bündelkarten bilden einen<br />

Vektorbündelatlas, den man dur<strong>ch</strong> Hinzunahme aller verträgli<strong>ch</strong>en Bündelkarten<br />

zu einem maximalen vervollständigen kann.<br />

Jede Faser E p = π −1 (p) eines Vektorraumbündels wird auf folgende Weise zu einem<br />

reellen Vektorraum. Für p ∈ U α ist die Abbildung ψ α | Ep : E p → {p} × F eine Bijektion,<br />

und man überträgt die Vektorraumstruktur von F auf E p : Für e 1 , e 2 ∈ E p<br />

und λ, µ ∈ R setzt man also<br />

λe 1 + µe 2 := ψ −1<br />

α (p, λf 1 + µf 2 ),<br />

wenn ψ α (e j ) = (p, f j ) ist. Diese Definition ist unabhängig von der Wahl von ψ α , weil<br />

die Kartenwe<strong>ch</strong>sel faserweise linear sind. Man sieht lei<strong>ch</strong>t, dass die so definierten<br />

Operationen “Addition” und “Multiplikation mit Skalaren” differenzierbare Abbildungen<br />

E × E → E bzw. R × E → E sind.<br />

52


Ist nun π : E → M ein Vektorbündel mit Faser F und Vektorbündelatlas {(ψ α ,<br />

E| Uα ) | α ∈ Λ}, dann erhält man ein neues Vektorbündel π : E ∗ → M mit Faser F ∗ ,<br />

das zu E duale Bündel, wie folgt. Es ist (E ∗ ) p = (E p ) ∗ , der Dualraum von E p , F ∗<br />

der Dualraum von F , und als Vektorbündelatlas wählt man {(ψα, ∗ E ∗ | Uα | α ∈ Λ},<br />

wobei ψα ∗ : E| Uα → U α × F ∗ die faserweise invers transponierte Abbildung ist, also<br />

für p ∈ M<br />

ψα| ∗ E ∗ p<br />

: Ep ∗ → {p} × F ∗<br />

die zu ψ α | Ep invers transponierte Abbildung. Man erhält demna<strong>ch</strong> E ∗ aus E, indem<br />

man faserweise zum Dualraum Ep<br />

∗ übergeht. Ebenso könnte man faserweise zum<br />

Raum der Tensoren Tr s (E) übergehen und erhielte ein Vektorbündel Tr s (E) mit<br />

Faser Tr s (F ). Wendet man diese Konstruktionen speziell auf E = T M an, so erhält<br />

man das Kotangentialbündel E ∗ = T ∗ M und das Tensorbündel Tr s(E)<br />

= T r sM.<br />

Eine allgemeine Bes<strong>ch</strong>reibung sol<strong>ch</strong>er und ähnli<strong>ch</strong>er Konstruktionen findet si<strong>ch</strong> in<br />

Serge Lang’s Fundamentals of Differential Geometry.<br />

Da die Fasern eines Vektorbündels Vektorraumstrukturen tragen, kann man ihre<br />

S<strong>ch</strong>nitte σ : M → E addieren und mit Funktionen f ∈ C ∞ (M) multiplizieren, wie<br />

wir das vom Spezialfall der Tensorfelder her gewohnt sind. Die Menge der S<strong>ch</strong>nitte,<br />

die oft mit Γ(M, E) oder au<strong>ch</strong> nur Γ(E) bezei<strong>ch</strong>net wird, erhält so die Struktur<br />

eines Moduls über dem Ring C ∞ (M), und die Struktur eines Vektorraumes über<br />

dem Körper der reellen Zahlen.<br />

Aufgaben<br />

1. Unters<strong>ch</strong>ied. Erklären Sie den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en T s<br />

r (R n ) und T s r R n .<br />

2. Äussere Ableitung. Sei α eine differenzierbare r–Form (siehe 6.4) auf M. Wir<br />

definieren eine (r + 1)–Form dα wie folgt. Ist bezügli<strong>ch</strong> lokaler Koordinaten (ϕ, U)<br />

α| U = ∑ α i1...i r<br />

dx i1 ∧ . . . ∧ dx ir ,<br />

mit dem Da<strong>ch</strong>produkt ∧ aus Aufgabe 3 von Kapitel 5, dann setzen wir<br />

dα| U := ∑ ∂α i1...i r<br />

∂x j dx j ∧ dx i1 ∧ . . . dx ir , (∗)<br />

wobei ∂α i1...i r<br />

/∂x j wie in 4.14 definiert ist.<br />

(a) S<strong>ch</strong>reiben Sie diese Definition für die Fälle r = 0, 1, 2 explizit aus.<br />

(b) Zeigen Sie, dass die Definition ni<strong>ch</strong>t von der Wahl der Karte (ϕ, U) abhängt:<br />

Verwendet man (∗) mit zwei vers<strong>ch</strong>iedenen Karten an p, so ergibt si<strong>ch</strong> dieselbe<br />

Differentialform dα.<br />

(c) Zeigen Sie, dass für jede Differentialform α gilt ddα = 0 (Poincaré–Lemma).<br />

3. Faserbündel. Faserbündel wurden definiert als Abbildungen, für die ein Faserbündelatlas<br />

existiert; Vektorbündel dagegen als Faserbündel (E, M, π) zusammen<br />

53


mit einem maximalen Vektorbündelatlas, ni<strong>ch</strong>t als Faserbündel, für die ein Vektorbündelatlas<br />

existiert. Erklären Sie, warum. Verglei<strong>ch</strong>en Sie mit den Definitionen<br />

von topologis<strong>ch</strong>en und differenzierbaren Mannigfaltigkeiten im ersten Kapitel.<br />

4. Einheitstangentialbündel. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit.<br />

(a) Zeigen Sie: Zu jedem p ∈ M existieren eine Umgebung U von p und differenzierbare<br />

Vektorfelder e 1 , · · · , e n auf U mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für jedes q ∈ U die<br />

Vektoren e 1 (q), · · · , e n (q) eine Orthonormalbasis von T q M bezügli<strong>ch</strong> des Skalarproduktes<br />

g(q) bilden. Man nennt (e 1 , · · · , e n ) ein orthonormales Basisfeld auf U.<br />

Hinweis: Wenden Sie das Orthonormalisierungsverfahren von Gram–S<strong>ch</strong>midt auf<br />

die Basisfelder einer Karte an.<br />

(b) Zeigen Sie mit Hilfe von Teil (a): Das Einheitstangentialbündel einer n–dimensionalen<br />

Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit (Beispiel (d) in 6.8) ist ein differenzierbares<br />

Faserbündel mit Faser S n−1 .<br />

5. Triviale Bündel. Zwei Vektorbündel (E 1 , M 1 , π 1 ) und (E 2 , M 2 , π 2 ) heißen<br />

äquivalent, wenn ein fasertreuer und faserweise linearer Diffeomorphismus ihrer Totalräume<br />

existiert, d.h. ein Diffeomorphismus f : E 1 → E 2 mit π 2 ◦ f = π 1 , dessen<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung auf jede Faser E 1,p diese linear auf E 2,p abbildet. Ein Vektorbündel<br />

heißt trivial, wenn es zu einem Produktbündel (M × F, M, proj 1 ) (mit einem Vektorraum<br />

F ) äquivalent ist. Zeigen Sie:<br />

(a) Ein Vektorbündel (E, M, π) ist genau dann trivial, wenn es n differenzierbare<br />

S<strong>ch</strong>nitte<br />

σ 1 , . . . , σ n ∈ Γ(M, E)<br />

gibt mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für jeden Punkt p ∈ M die Elemente σ 1 (p), . . . , σ n (p)<br />

eine Basis der Faser E p bilden.<br />

(b) Das Tangentialbündel des n–dimensionalen Torus M = T n = S 1 × . . . × S 1<br />

(siehe Aufgabe 2, Kapitel 2) ist trivial.<br />

6. Normalenbündel. Sei M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (N, g). Das Tangentialbündel T M wird mit der Teilmenge<br />

(T ι)(T M) ⊆ T N<br />

identifiziert, wobei T ι die Ableitung der Inklusionsabbildung ι : M → N, ι(p) = p<br />

bezei<strong>ch</strong>net. Für p ∈ M heißt<br />

T p M ⊥ := { X ∈ T p N | g(p)(X, Y ) = 0 für alle Y ∈ T p M }<br />

der Normalenraum von M im Punkt p. Die Vereinigung T M ⊥ = ⋃ p∈M T pM ⊥ heißt<br />

das Normalenbündel von M in N.<br />

(a) Verwenden Sie an M angepasste Karten (siehe 2.8), um einen Vektorbündelatlas<br />

für (T M ⊥ , M, π) anzugeben.<br />

(b) Finden Sie einen Vektorbündelatlas für das Normalenbündel des Rotationstorus<br />

M ⊆ R 3 aus Aufgabe 2d im zweiten Kapitel. Hinweis: Es genügt ein Atlas mit nur<br />

einer Bündelkarte.<br />

54


7. Vektorfelder und Flüsse<br />

Differenzierbare Vektorfelder, zunä<strong>ch</strong>st definiert als S<strong>ch</strong>nitte des Tangentialbündels<br />

der Mannigfaltigkeit M, lassen si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> als R–lineare Abbildungen des Raumes<br />

C ∞ (M) der differenzierbaren Funktionen in si<strong>ch</strong> selbst <strong>ch</strong>arakterisieren, die eine<br />

Produktregel erfüllen, d.h. die Derivationen im Sinne der Algebra sind. Dieser<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung ist der Anfang des Kapitels gewidmet. Sie wird dann verwendet,<br />

um die Lieklammer [X, Y ] = XY − Y X zweier Vektorfelder einzuführen. Die<br />

Lieklammer verleiht dem reellen Vektorraum V(M) der C ∞ –Vektorfelder auf M<br />

die zusätzli<strong>ch</strong>e Struktur einer Liealgebra.<br />

Vektorfelder treten au<strong>ch</strong> auf als Ges<strong>ch</strong>windigkeitsfelder stationärer Strömungen auf<br />

M. Man denkt si<strong>ch</strong> dabei M erfüllt von einer in Bewegung befindli<strong>ch</strong>en Flüssigkeit.<br />

Die Ges<strong>ch</strong>windigkeitsvektoren der (Bahnkurven der) einzelnen Flüssigkeitspartikel<br />

bilden zu jedem festen Zeitpunkt ein Vektorfeld auf M. Wenn dieses Ges<strong>ch</strong>windigkeitsfeld<br />

selbst ni<strong>ch</strong>t von der Zeit abhängt, dann spri<strong>ch</strong>t man von einer stationären<br />

Strömung auf M. Derartige Strömungen—d.h. die einzelnen Bahnkurven—lassen<br />

si<strong>ch</strong> aus ihrem Ges<strong>ch</strong>windigkeitsfeld rekonstruieren. Sol<strong>ch</strong>e der Hydrodynamik<br />

entstammenden Betra<strong>ch</strong>tungen führen zum mathematis<strong>ch</strong>en Begriff des Flusses<br />

eines Vektorfeldes und dem der Einparametergruppe von Diffeomorphismen. Diese<br />

Dinge werden im zweiten Teil des Kapitels behandelt. Dabei ergibt si<strong>ch</strong> eine geometris<strong>ch</strong>e<br />

Deutung der Lieklammer [X, Y ] als Ableitung von Y längs des Flusses<br />

von X, und weiter ein Kriterium dafür, dass vorgegebene Vektorfelder Basisfelder<br />

einer Karte sind.<br />

Wie bisher ist (M, A) eine n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit, und<br />

Differenzierbarkeit bedeutet Differenzierbarkeit von der Klasse C ∞ . Bu<strong>ch</strong>staben<br />

X, Y, . . . bezei<strong>ch</strong>nen in diesem Abs<strong>ch</strong>nitt Vektorfelder, und V = V(M) ist die Menge<br />

aller differenzierbaren Vektorfelder auf M. Für den Wert X(p) eines Vektorfeldes<br />

an einer Stelle p ∈ M s<strong>ch</strong>reiben wir au<strong>ch</strong> X p .<br />

7.1. Vektorfelder als Derivationen des Ringes C ∞ (M). Sei X ein differenzierbares<br />

Vektorfeld, und sei f ∈ C ∞ (M). Wir definieren Xf ∈ C ∞ (M) dur<strong>ch</strong><br />

(Xf)(p) := X p f ∈ R.<br />

Statt Xf werden wir gelegentli<strong>ch</strong> X(f) s<strong>ch</strong>reiben.<br />

Zum Beweis, dass die Funktion Xf ∈ C ∞ (M) ist, sei (ϕ, U) eine Karte. Dann ist<br />

und X| U = ∑ X i ∂/∂x i mit Komponenten X i ∈ C ∞ (U), und für p ∈ U gilt<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

(Xf)(p) =<br />

n∑<br />

i=1<br />

X i (p) ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i (ϕ(p)) .<br />

55


Also ist<br />

(Xf) ◦ ϕ −1 =<br />

n∑<br />

i=1<br />

X i ◦ ϕ −1 ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i ,<br />

und das ist in der Tat eine C ∞ –Funktion auf ϕ(U) ⊆ R n . Diese Beziehung zeigt<br />

au<strong>ch</strong>, dass für Funktionen f ∈ C k (M) die entspre<strong>ch</strong>ende Funktion Xf ∈ C k−1 (M)<br />

ist.<br />

Offenbar gelten für f, g ∈ C ∞ (M) und für λ ∈ R die Beziehungen<br />

X(f + g) = Xf + Xg<br />

X(λf) = λ Xf<br />

X(fg) = Xf · g + f · Xg<br />

Beispiele. (a) Sei (ϕ, U) eine Karte und sei f ∈ C ∞ (U). Dann ist na<strong>ch</strong> Definition<br />

der Basisfelder ∂/∂x i der Karte<br />

∂<br />

∂x i f = ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i ◦ ϕ ,<br />

wobei auf der re<strong>ch</strong>ten Seite dieser Glei<strong>ch</strong>ung eine gewöhnli<strong>ch</strong>e partielle Ableitung<br />

in R n steht. Diese Funktion hatten wir in 4.14 bereits mit ∂f/∂x i bezei<strong>ch</strong>net.<br />

(b) Sei (ϕ, U) eine Karte, und sei X ein Vektorfeld auf M. Dann gilt na<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(3.8.2)<br />

n∑<br />

X| U = X(ϕ i ) ∂<br />

∂x i .<br />

i=1<br />

Satz. Sei A : C ∞ (M) → C ∞ (M) eine R–lineare Abbildung mit der Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

A(fg) = A(f) · g + f · A(g)<br />

(Produktregel)<br />

für alle f, g ∈ C ∞ (M). Dann existiert genau ein Vektorfeld X ∈ V(M) mit A(f) =<br />

Xf für alle f ∈ C ∞ (M).<br />

Die Produktregel besagt, dass A eine Derivation des Ringes C ∞ (M) im Sinne der<br />

Algebra ist. Zum Beweis des Satzes bemerken wir, dass die Abbildung f ↦→ (Af)(p)<br />

eine Derivation an p, also ein Element X p ∈ T p M ist (siehe 3.5 und 3.7). Wir<br />

definieren das Vektorfeld X dur<strong>ch</strong> X(p) := X p und müssen nur no<strong>ch</strong> zeigen, dass X<br />

differenzierbar ist. Bezügli<strong>ch</strong> einer Karte (ϕ, U) ist X| U = ∑ X(ϕ i ) ∂/∂x i . Na<strong>ch</strong><br />

Voraussetzung ist X(ϕ i ) = A(ϕ i ) ∈ C ∞ (U), und das Lemma in 4.8 ergibt die<br />

Behauptung. QED<br />

7.2. Lieklammer. Seien X und Y differenzierbare Vektorfelder auf M. Wir<br />

definieren die Abbildung A : C ∞ (M) → C ∞ (M) dur<strong>ch</strong> Af = X(Y f) − Y (Xf),<br />

also<br />

(Af)(p) = X p (Y f) − Y p (Xf) .<br />

56


Eine einfa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>nung zeigt, dass A die Voraussetzungen des Satzes in 7.1 erfüllt.<br />

Man bezei<strong>ch</strong>net das A entspre<strong>ch</strong>ende Vektorfeld mit [X, Y ] ∈ V(M) und nennt es<br />

die Lieklammer von X und Y . Es gilt also<br />

[X, Y ]f = X(Y f) − Y (Xf)<br />

oder kurz [X, Y ] = XY − Y X. Man sagt, dass X und Y kommutieren, wenn ihre<br />

Lieklammer [X, Y ] = 0 ist.<br />

7.3. V(M) als Liealgebra. Eine reelle Liealgebra ist ein Paar (V, [·, ·]) bestehend<br />

aus einem reellen Vektorraum V und einer R–bilinearen Abbildung<br />

[·, ·] : V × V → V, (X, Y ) ↦→ [X, Y ]<br />

mit den beiden folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Für alle X, Y und Z aus V gilt<br />

[X, Y ] = −[Y, X]<br />

[[X, Y ], Z] + [[Y, Z], X] + [[Z, X], Y ] = 0<br />

(S<strong>ch</strong>iefsymmetrie)<br />

(Jacobi–Identität)<br />

Lemma 1. Mit der in 7.2 definierten Lieklammer bildet der Vektorraum V(M)<br />

eine Liealgebra.<br />

Beweis. Bilinearität und S<strong>ch</strong>iefsymmetrie sind offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Zum Na<strong>ch</strong>weis der<br />

Jacobi–Identität bere<strong>ch</strong>net man für f ∈ C ∞ (M)<br />

[[X, Y ], Z]f = [X, Y ]Zf − Z[X, Y ]f<br />

= XY Zf − Y XZf − ZXY f + ZY Xf ,<br />

und Entspre<strong>ch</strong>endes für die beiden übrigen Terme der Jacobi–Identität. Die Addition<br />

aller Terme ergibt Null. QED<br />

Lemma 2. Seien f, g ∈ C ∞ (M), und sei fX ∈ V(M) das Vektorfeld (fX)(p) =<br />

f(p)X(p). Dann gilt<br />

[fX, gY ] = fg[X, Y ] + f · Xg · Y − g · Y f · X.<br />

Beweis. Wegen (gY )h = g · Y h gilt für alle h ∈ C ∞ (M)<br />

[fX, gY ]h = (fX)(gY )h − (gY )(fX)h<br />

= f · X(g · Y h) − g · Y (f · Xh)<br />

= f · (Xg · Y h + g · X(Y h)) − g · (Y f · Xh + f · Y (Xh))<br />

= (f · g · [X, Y ] + f · Xg · Y − g · Y f · X ) h. QED<br />

57


7.4. Lieklammer in lokalen Koordinaten. Wir zeigen zunä<strong>ch</strong>st, dass die<br />

Basisfelder jeder Karte untereinander kommutieren. Sei also (ϕ, U) eine Karte von<br />

M, und seien ∂/∂x i die entspre<strong>ch</strong>enden Basisvektorfelder auf U. Wir behaupten,<br />

dass gilt<br />

[ ∂<br />

∂x i ,<br />

Zum Beweis bere<strong>ch</strong>nen wir für f ∈ C ∞ (M)<br />

[ ∂<br />

∂x i ,<br />

∂<br />

]<br />

∂x j f =<br />

Na<strong>ch</strong> Beispiel (a) in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.1 ist<br />

und daher<br />

∂<br />

]<br />

∂x j = 0 . (7.4.1)<br />

∂ ( ∂<br />

)<br />

∂x i ∂x j f −<br />

∂<br />

∂x i f = ∂(f ◦ ϕ−1 )<br />

∂x i ◦ ϕ ,<br />

∂ ( ∂<br />

)<br />

∂x j ∂x i f .<br />

[ ∂<br />

∂x i , ∂<br />

]<br />

∂x j f = ∂(( ∂(f◦ϕ −1 )<br />

∂x<br />

◦ ϕ ) ◦ ϕ −1)<br />

j<br />

∂x i ◦ ϕ − ∂(( ∂(f◦ϕ −1 )<br />

∂x<br />

◦ ϕ ) ◦ ϕ −1)<br />

i<br />

∂x j<br />

= ∂2 (f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x i ∂x j ◦ ϕ − ∂2 (f ◦ ϕ −1 )<br />

∂x j ∂x i ◦ ϕ<br />

= 0<br />

wegen der Vertaus<strong>ch</strong>barkeit partieller Ableitungen. Damit ist Glei<strong>ch</strong>ung (7.4.1) bewiesen.<br />

Für Vektorfelder X und Y mit X| U = ∑ X i ∂/∂x i und Y | U = ∑ Y i ∂/∂x i<br />

ergibt si<strong>ch</strong> daraus na<strong>ch</strong> kurzer Re<strong>ch</strong>nung mittels Lemma 2 in 7.3 die Beziehung<br />

[X, Y ] ∣ ∣<br />

U<br />

=<br />

=<br />

n∑<br />

i=1<br />

(<br />

X(Y i ) − Y (X i ) ) ∂<br />

∂x i<br />

n∑ (<br />

i,j=1<br />

X j<br />

◦ ϕ<br />

(7.4.2)<br />

∂<br />

∂x j Y i − Y j ∂<br />

∂x j Xi) ∂<br />

∂x i .<br />

7.5. Der Fluss eines Vektorfeldes. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf<br />

M. Eine Integralkurve oder Flusslinie von X ist eine differenzierbare Abbildung<br />

c : I → M eines offenen Intervalls I ⊆ R na<strong>ch</strong> M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

ċ = X ◦ c . (7.5.1)<br />

Es wird also gefordert, dass der Tangentialvektor ċ(t) der Kurve c zu jedem “Zeitpunkt”<br />

t mit dem Wert X(c(t)) des Vektorfeldes an der jeweiligen Stelle übereinstimmt.<br />

In lokalen Koordinaten (ϕ, U) lautet diese Bedingung wegen (4.4.1)<br />

dc i<br />

dt (t) = Xi (c(t)) ,<br />

i = 1, . . . , n<br />

58


mit den Komponentenfunktionen c i = ϕ i ◦ c. Etwas umges<strong>ch</strong>rieben werden diese<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen zu<br />

dc i<br />

dt (t) = (Xi ◦ ϕ −1 )(c 1 (t), . . . , c n (t)) ,<br />

und das ist bei gegebenem Vektorfeld X ein (autonomes) System gewöhnli<strong>ch</strong>er<br />

Differentialglei<strong>ch</strong>ungen für die Funktionen c 1 , . . . , c n . Der folgende Satz fasst die<br />

wesentli<strong>ch</strong>en Aussagen über Existenz, Eindeutigkeit und differenzierbare Abhängigkeit<br />

von Anfangswerten für Lösungen sol<strong>ch</strong>er Systeme in geometris<strong>ch</strong>er Einkleidung<br />

zusammen. Ein Beweis findet si<strong>ch</strong> etwa in Serge Lang’s Fundamentals of Differential<br />

Geometry.<br />

Satz 1. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M.<br />

(a) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren ein offenes Intervall I ⊂ R mit 0 ∈ I und<br />

eine Integralkurve c p : I → M mit c p (0) = p.<br />

(b) Sind c p und c ′ p Integralkurven wie in (a), dann stimmen c p und c ′ p auf dem<br />

Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt ihrer Definitionsberei<strong>ch</strong>e überein. Daher gibt es ein maximales offenes<br />

Intervall I p ⊆ R mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass auf I p eine Integralkurve c p mit c p (0) = p<br />

existiert.<br />

(c) Die Menge U = ⋃ p∈M I p × {p} ist eine offene Teilmenge von R × M. Die<br />

dur<strong>ch</strong><br />

φ(t, p) = c p (t)<br />

definierte Abbildung φ : U → M ist differenzierbar.<br />

(d) Es gilt (s + t, p) ∈ U genau dann, wenn (t, p) ∈ U und (s, φ(t, p)) ∈ U ist. Ist<br />

das der Fall, dann gilt<br />

φ(s, φ(t, p)) = φ(s + t, p) . (7.5.2)<br />

Das Bild c p (I p ) heißt der Orbit oder die Bahn des Punktes p. Die Abbildung φ<br />

heißt der Fluss des Vektorfeldes X. Die definierenden Eigens<strong>ch</strong>aften des Flusses<br />

sind also φ(0, p) = p und 1<br />

d<br />

dt∣ φ(t, p) = X(φ(t 0 , p)) (7.5.3)<br />

t0<br />

für alle (t, p) ∈ U, wobei die linke Seite dieser Glei<strong>ch</strong>ung den Tangentialvektor<br />

der Kurve c p = φ(·, p) : t ↦→ φ(t, p) an der Stelle t 0 bezei<strong>ch</strong>net. Für Funktionen<br />

f ∈ C ∞ (M) bedeutet das na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 4.4<br />

d<br />

f(φ(t, p)) = (Xf)(φ(t, p)) . (7.5.4)<br />

dt<br />

1 Die symbolis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>reibweise (d/dt)c oder dc/dt für den Tangentialvektor einer<br />

Kurve c, die wir in (7.5.3) verwenden, ist verbreitet, verträgt si<strong>ch</strong> aber s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

mit unserer Notation: Es handelt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um die Anwendung einer Derivation<br />

(d/dt) t0 auf eine reellwertige Funktion.<br />

59


Das Vektorfeld X heißt vollständig oder global integrierbar, wenn der Definitionsberei<strong>ch</strong><br />

des Flusses U = R × M ist, also wenn alle Integralkurven auf ganz R<br />

existieren.<br />

Satz 2. Jedes differenzierbare Vektorfeld mit kompaktem Träger ist vollständig.<br />

Insbesondere ist jedes Vektorfeld auf einer kompakten Mannigfaltigkeit vollständig.<br />

Dabei ist der Träger eines Tensorfeldes X definiert als der Abs<strong>ch</strong>luss der Menge<br />

aller Punkte p ∈ M, in denen X(p) ≠ 0 ist. Zum Beweis von Satz 2 genügt es zu<br />

zeigen, dass die maximalen Definitionsintervalle I p der Integralkurven abges<strong>ch</strong>lossen<br />

sind. Da sie zuglei<strong>ch</strong> offen sind, folgt dann I p = R, also die Vollständigkeit. Die<br />

Ausführung des Beweises ist Inhalt von Aufgabe 4 zu diesem Kapitel.<br />

7.6. Einparametergruppen von Diffeomorphismen. Sei X ein vollständiges<br />

Vektorfeld mit Fluss φ : R × M → M. Für festes t ∈ R sei φ t : M → M die<br />

Abbildung<br />

φ t (p) = φ(t, p) .<br />

Dann ist φ 0 = id M die Identitätsabbildung von M, und Glei<strong>ch</strong>ung (7.5.2) wird zu<br />

φ s ◦ φ t = φ s+t .<br />

Daraus folgt insbesondere, dass φ t ein Diffeomorphismus von M auf si<strong>ch</strong> ist mit<br />

inverser Abbildung φ −t , und dass die Abbildung t ↦→ φ t ein Gruppenhomomorphismus<br />

von R in die Gruppe Diff(M) := Diff ∞ (M) der C ∞ –Diffeomorphismen von M<br />

auf si<strong>ch</strong> ist.<br />

Definition. Eine Einparametergruppe von Diffeomorphismen von M ist eine differenzierbare<br />

Abbildung ψ : R × M → M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass die Abbildung<br />

t ↦→ ψ t := ψ(t, ·) ein Gruppenhomomorphismus von R na<strong>ch</strong> Diff(M) ist.<br />

Der Fluss eines vollständigen Vektorfeldes ist, wie eben bemerkt, eine Einparametergruppe<br />

von Diffeomorphismen. Umgekehrt ist jede Einparametergruppe von<br />

Diffeomorphismen der Fluss eines eindeutig bestimmten vollständigen Vektorfeldes<br />

X. Ist nämli<strong>ch</strong> die Einparametergruppe ψ gegeben, dann definiert man X(p) mit<br />

der S<strong>ch</strong>reibweise von (7.5.3) als<br />

X(p) = d dt∣ ψ(t, p) ,<br />

0<br />

den Tangentialvektor an die Kurve t → ψ(t, p) an der Stelle t = 0. Man sieht<br />

lei<strong>ch</strong>t ein, dass das so definierte Vektorfeld X differenzierbar ist, und die folgende<br />

Re<strong>ch</strong>nung zeigt, dass sein Fluss mit ψ übereinstimmt:<br />

d<br />

dt∣ ψ(t, p) = d t0<br />

dt∣ ψ(t + t 0 , p) = d 0<br />

dt∣ ψ(t, ψ(t 0 , p)) = X(ψ(t 0 , p)) .<br />

0<br />

60


Insgesamt haben wir damit:<br />

Satz. Die Abbildung, die jedem vollständigen Vektorfeld seinen Fluss zuordnet, ist<br />

eine Bijektion zwis<strong>ch</strong>en der Menge aller vollständigen Vektorfelder auf M und der<br />

Menge aller Einparametergruppen von Diffeomorphismen von M.<br />

7.7. Flüsse und Lieklammern. In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt geben wir eine Deutung der<br />

Lieklammer zweier Vektorfelder mit Hilfe von Flüssen. Sei X ein differenzierbares<br />

Vektorfeld auf M, und sei φ : U → M mit U ⊆ R × M der Fluss von X.<br />

Lemma 1. Sei f ∈ C ∞ (M) und sei V ⊆ M offen mit [0, t 0 ] × V ⊆ U, so dass<br />

für 0 ≤ t ≤ t 0 die Abbildung φ t = φ(t, ·) auf V definiert ist. Dann existiert eine<br />

Funktion g ∈ C ∞ ([0, t 0 ] × V ) mit g 0 = (Xf)| V und mit<br />

auf V für 0 ≤ t ≤ t 0 .<br />

f ◦ φ t = f + t g t<br />

Beweis. Unter Verwendung von Glei<strong>ch</strong>ung (7.5.4) ist<br />

f(φ t (p)) − f(p) =<br />

=<br />

= t<br />

∫ 1<br />

0<br />

∫ 1<br />

0<br />

∫ 1<br />

0<br />

d<br />

ds f(φ st(p)) ds<br />

t d<br />

dσ ∣ f(φ σ (p)) ds<br />

σ=st<br />

(Xf)(φ st (p)) ds .<br />

Wir definieren<br />

g(t, p) =<br />

∫ 1<br />

0<br />

(Xf)(φ st (p)) ds .<br />

QED<br />

Lemma 2. Sei Y ∈ V(M) ein weiteres Vektorfeld. Dann gilt für alle p ∈ M<br />

[X, Y ](p) = lim<br />

t→0<br />

(T φ −t )Y φt(p) − Y p<br />

t<br />

Y p − (T φ t )Y φ−t(p)<br />

= lim<br />

.<br />

t→0 t<br />

(7.7.1)<br />

Beweis. Die Glei<strong>ch</strong>heit der beiden Grenzwerte sieht man ein, indem man t dur<strong>ch</strong><br />

−t ersetzt. Sei nun f ∈ C ∞ (M). Wie in Lemma 1 s<strong>ch</strong>reiben wir f ◦ φ t = f + t g t<br />

mit g 0 = Xf. Damit ist<br />

((T φ t )Y φ−t(p))f = Y φ−t(p)(f ◦ φ t )<br />

= Y φ−t(p)f + t Y φ−t(p)g t ,<br />

61


und folgli<strong>ch</strong><br />

(<br />

lim<br />

t→0<br />

wie behauptet. QED<br />

Y p − (T φ t )Y ) ( φ−t(p)<br />

Yp f − Y φ−t(p)f − t Y )<br />

φ−t(p)g t<br />

f = lim<br />

t<br />

t→0 t<br />

(Y f)(p) − (Y f)(φ −t (p))<br />

= lim<br />

− Y p g 0<br />

t→0 t<br />

= d dt∣ (Y f)(φ t (p)) − Y p g 0<br />

0<br />

= X p (Y f) − Y p (Xf)<br />

= [X, Y ](p)f<br />

Definition. Sei X ∈ V(M), und sei ψ : M → N ein Diffeomorphismus. Dann ist<br />

das Vektorfeld ψ ∗ X ∈ V(N) definiert dur<strong>ch</strong><br />

ψ ∗ X = (T ψ) ◦ X ◦ ψ −1 .<br />

Mit dieser Definition lautet Glei<strong>ch</strong>ung (7.7.1)<br />

[X, Y ] = lim<br />

t→0<br />

Y − (φ t ) ∗ Y<br />

t<br />

(7.7.2)<br />

wobei der Limes punktweise zu verstehen ist. Ein Vektorfeld X heißt invariant<br />

unter ψ ∈ Diff(M), wenn ψ ∗ X = X ist, wenn also gilt<br />

(T ψ) ◦ X = X ◦ ψ .<br />

Lemma 3. Ist φ t der Fluss von X, dann ist ψ ◦ φ t ◦ ψ −1 der Fluss von ψ ∗ X.<br />

Insbesondere gilt: X ist invariant unter ψ genau dann, wenn ψ ◦ φ t = φ t ◦ ψ ist.<br />

Beweis. Sei p ∈ M. Da φ t (p) eine Flusslinie von X ist, gilt für alle p ∈ M in der<br />

Notation von (7.5.3)<br />

d<br />

dt φ t(p) = X(φ t (p)) .<br />

Damit ergibt si<strong>ch</strong><br />

d<br />

dt (ψ ◦ φ t ◦ ψ −1 )(p) = (T ψ) d dt (φ t(ψ −1 (p)))<br />

= (T ψ)X(φ t (ψ −1 (p)))<br />

= ((T ψ) ◦ X ◦ ψ −1 )(ψ ◦ φ t ◦ ψ −1 (p))<br />

= (ψ ∗ X)(ψ ◦ φ t ◦ ψ −1 (p)) .<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist die Kurve t → ψ ◦ φ t ◦ ψ −1 (p) die Flusslinie des Vektorfeldes ψ ∗ X dur<strong>ch</strong><br />

den Punkt p. QED<br />

62


Satz. Seien φ t der Fluss von X ∈ V(M) und ψ t derjenige von Y ∈ V(M). Dann<br />

sind folgende Aussagen äquivalent.<br />

(a) Die Flüsse von X und Y kommutieren: φ s ◦ ψ t = ψ t ◦ φ s für alle s und t.<br />

(b) Der Fluss von X lässt Y invariant: (φ s ) ∗ Y = Y für alle s.<br />

(c) Die Vektorfelder X und Y kommutieren: [X, Y ] = 0.<br />

Beweis. Die Äquivalenz der beiden ersten Aussagen steht in Lemma 3, und (b)<br />

impliziert (c) wegen Glei<strong>ch</strong>ung (7.7.2). Wir zeigen, dass umgekehrt au<strong>ch</strong> (c) die<br />

Aussage (b) impliziert. Sei also [X, Y ] = 0, und sei p ∈ M. Für die dur<strong>ch</strong><br />

c(t) = ((φ t ) ∗ Y )(p) = (T φ t )Y φ−t(p)<br />

definierte Kurve c : (−ε, ε) → T p M im Tangentialraum T p M gilt<br />

c ′ (t) := lim<br />

h→0<br />

c(t + h) − c(t)<br />

h<br />

(T φ t+h )Y φ−(t+h) (p) − (T φ t )Y φ−t(p)<br />

= lim<br />

h→0 h<br />

(T φ t ) ( )<br />

(T φ h )Y φ−h (φ<br />

= lim<br />

−t(p)) − Y φ−t(p)<br />

h→0 h<br />

= (T φ t ) lim<br />

h→0<br />

(T φ h )Y φ−h (φ −t(p)) − Y φ−t(p)<br />

h<br />

= (T φ t ) ( − [X, Y ](φ −t (p)) )<br />

= 0 .<br />

Neben Lemma 2 wurde dabei au<strong>ch</strong> verwendet, dass φ t+h = φ t ◦ φ h gilt. Also ist die<br />

Kurve c konstant,<br />

((φ t ) ∗ Y )(p) = ((φ 0 ) ∗ Y )(p) = Y (p)<br />

und damit (φ t ) ∗ Y = Y . QED<br />

7.8. Basisfelder. Aus Abs<strong>ch</strong>nitt 7.4 ist uns bekannt, dass die Basisfelder einer<br />

Karte untereinander kommutieren. Wir verwenden nun die Ergebnisse von 7.7, um<br />

eine Umkehrung dieser Aussage zu beweisen.<br />

Satz. Seien X 1 , . . . , X k kommutierende differenzierbare Vektorfelder auf M, also<br />

[X i , X j ] = 0 für alle i und j. Sei p ∈ M. Die Vektoren X 1 (p), . . . , X k (p) seien<br />

linear unabhängig. Dann existiert eine Karte (ϕ, U) von M mit p ∈ U, deren erste<br />

k Basisfelder mit den X i übereinstimmen, also<br />

X i | U =<br />

∂<br />

∂x i für i = 1, . . . , k .<br />

Beweis. Sei (ψ, W ) eine Karte von M mit p ∈ W und ψ(p) = 0. Seien e 1 , . . . , e n<br />

die Standardbasisfelder des R n . (Es ist also e i = ∂/∂x i für die Karte id R n, aber<br />

63


das Symbol ∂/∂x i wird anderweitig benötigt.) Indem man ψ dur<strong>ch</strong> l ◦ ψ mit einer<br />

geeigneten linearen Abbildung l : R n → R n ersetzt, kann man annehmen, dass für<br />

i = 1, . . . , k gilt<br />

(T ψ)X i (p) = e i (0) .<br />

Seien φ 1 , . . . , φ k die Flüsse der Vektorfelder X 1 , . . . , X k . Dann ist für hinrei<strong>ch</strong>end<br />

kleine Umgebungen V ⊆ R n von 0 die Abbildung Φ : V → M,<br />

Φ(x 1 , . . . , x n ) := φ 1 x 1φ2 x 2 · · · φk x kψ−1 (0, . . . , 0, x k+1 , . . . , x n )<br />

definiert und differenzierbar. Wir zeigen zunä<strong>ch</strong>st, dass für x ∈ V und i = 1, . . . , k<br />

gilt<br />

(T Φ)e i (x) = X i (Φ(x)) . (7.8.1)<br />

In der Tat ist (T Φ)e i (x) = ċ(0) mit der Kurve<br />

c(t) = Φ(x 1 , . . . , x i + t, . . . , x n )<br />

= φ i x i +t φ1 x 1 · · · ̂φ i x i · · · φ k x kψ−1 (0, . . . , 0, x k+1 , . . . , x n ) .<br />

Dabei wurde die Vertaus<strong>ch</strong>barkeit der Flüsse verwendet, um φ i x i +t<br />

an die erste<br />

Stelle zu s<strong>ch</strong>reiben. Die Kurve c ist also eine Integralkurve von X i , und daher<br />

ist insbesondere ċ(0) = X i (c(0)) = X i (Φ(x)). Damit ist die Behauptung (7.8.1)<br />

bewiesen. Speziell mit x = 0 erhalten wir<br />

(T Φ)e i (0) = X i (p) = (T ψ) −1 e i (0) (7.8.2)<br />

für i ≤ k. Für i > k ist andererseits (T Φ)e i (0) = ċ(0) mit der Kurve<br />

c(t) = Φ(0, . . . , 0, t, 0, . . . , 0) = ψ −1 (0, . . . , 0, t, 0, . . . , 0),<br />

wobei t jeweils an i–ter Stelle steht. Daher gilt Glei<strong>ch</strong>ung (7.8.2) au<strong>ch</strong> für i =<br />

k +1, . . . , n. Insgesamt folgt nun T 0 Φ = T 0 ψ −1 für die Ableitungen an 0, und damit<br />

ist T 0 Φ invertierbar. Na<strong>ch</strong> dem Satz über inverse Funktionen (siehe 4.2) bildet<br />

Φ eine Umgebung von 0 diffeomorph auf eine Umgebung U ⊆ M von p ab. Wir<br />

wählen als Karte (ϕ, U) = (Φ −1 , U). Für die Basisfelder ∂/∂x i dieser Karte zeigt<br />

Glei<strong>ch</strong>ung (7.8.1)<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣q<br />

= (T ϕ −1 )e i (ϕ(q)) = X i (Φ(ϕ(q))) = X i (q) ,<br />

und der Beweis ist beendet. QED<br />

Korollar. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M, und sei p ∈ M ein Punkt<br />

mit X(p) ≠ 0. Dann existiert eine Karte (ϕ, U) von M mit p ∈ U und<br />

X| U = ∂<br />

∂x 1 .<br />

64


7.9. Lieableitung. Glei<strong>ch</strong>ung (7.7.1) liefert einen Deutung der Lieklammer [X, Y ]<br />

als Ableitung von Y na<strong>ch</strong> X, oder genauer längs des Flusses von X,<br />

(T φ −t )Y φt(p) − Y p<br />

[X, Y ](p) = lim<br />

.<br />

t→0 t<br />

In ähnli<strong>ch</strong>er Weise gilt für Funktionen f ∈ C ∞ (M)<br />

f(φ t (p)) − f(p)<br />

(Xf)(p) = lim<br />

.<br />

t→0 t<br />

Diese Beziehungen verallgemeinern si<strong>ch</strong> zum Begriff der Lieableitung von Tensorfeldern<br />

längs eines Vektorfeldes X, auf den wir nun kurz eingehen.<br />

Definition. Für einen Diffeomorphismus ψ : M → M und ein (r, s)–Tensorfeld A<br />

auf M definieren wir den Pullback ψ ∗ A von A unter ψ, ein (r, s)–Tensorfeld, dur<strong>ch</strong><br />

(ψ ∗ A) p (X 1 , . . . , X r , α 1 , . . . , α s )<br />

= A ψ(p)<br />

(<br />

(Tp ψ)X 1 , . . . , (T p ψ)X r , α 1 ◦(T p ψ) −1 , . . . , α s ◦(T p ψ) −1) ,<br />

wobei in dieser Formel X j ∈ T p M und α k ∈ Tp ∗ M sind. Insbesondere sind also<br />

die α k ◦(T p ψ) −1 Elemente des Kotangentialraumes T ψ(p) M. Das Tensorfeld A heißt<br />

invariant unter dem Diffeomorphismus ψ, wenn ψ ∗ A ist.<br />

Definition. Seien X ein differenzierbares Vektorfeld auf M mit Fluss φ t . Die<br />

Lieableitung des (r, s)–Tensorfeldes A längs X ist ein (r, s)–Tensorfeld L X A, definiert<br />

als<br />

(φ ∗ t A)(p) − A(p)<br />

(L X A)(p) = lim<br />

. (7.9.1)<br />

t→0 t<br />

Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass in den Wert der Lieableitung (L X A)(p) ni<strong>ch</strong>t nur der Wert<br />

von X an der Stelle p eingeht, da der Fluss von X benötigt wird. Eine explizite<br />

Formel für L X A in lokalen Koordinaten ist Gegenstand von Aufgabe 9. Mit Hilfe der<br />

Lieableitung lässt si<strong>ch</strong> feststellen, ob ein Tensorfeld unter dem Fluss eines gegebenen<br />

Vektorfeldes invariant bleibt. Der Beweis des folgenden Kriteriums erfolgt wie bei<br />

der entspre<strong>ch</strong>enden Aussage für Vektorfelder im Satz des Abs<strong>ch</strong>nitts 7.7.<br />

Satz. Ein differenzierbares Tensorfeld A ist invariant unter dem Fluss φ t von X,<br />

d.h. es gilt φ ∗ t A = A für alle t, genau dann, wenn die Lieableitung L XA = 0 ist.<br />

Speziell für (0, 0)–Tensorfelder folgt dieser Satz unmittelbar aus Glei<strong>ch</strong>ung (7.5.4):<br />

Eine Funktion f ∈ C ∞ (M) ist konstant auf jeder Bahn von X genau dann, wenn<br />

Xf = 0 ist. Funktionen mit Xf = 0 werden in älterer Literatur au<strong>ch</strong> als “Integrale”<br />

des Flusses bezei<strong>ch</strong>net. In diesem Fall verlaufen die Bahnen von X also in den<br />

Niveaumengen von f, und daher kann die Kenntnis von “Integralen” die Bere<strong>ch</strong>nung<br />

der Bahnen erlei<strong>ch</strong>tern.<br />

65


Man sieht lei<strong>ch</strong>t ein, dass die Lieableitung folgende Eigens<strong>ch</strong>aften hat und dur<strong>ch</strong> sie<br />

<strong>ch</strong>arakterisiert ist:<br />

(1) Die Lieableitung L X bildet die Menge der differenzierbaren (r, s)–Tensorfelder<br />

R–linear in si<strong>ch</strong> selbst ab.<br />

(2) L X erfüllt die Produktregel für das Tensorprodukt:<br />

L X (A ⊗ B) = (L X A) ⊗ B + A ⊗ (L X B) .<br />

(3) L X vertaus<strong>ch</strong>t mit Kontraktionen: Für jede Kontraktion C ν µ gilt<br />

L X ◦ C ν µ = Cν µ ◦ L X .<br />

(4) Für (0, 0)–Tensorfelder, also Funktionen, gilt L X f = Xf.<br />

(5) Für (0, 1)–Tensorfelder, also Vektorfelder, gilt L X Y = [X, Y ].<br />

Aus (2) und (3) ergibt si<strong>ch</strong> insbesondere, dass L X au<strong>ch</strong> die Produktregel für Übers<strong>ch</strong>iebungen<br />

Cµ(A ν ⊗ B) erfüllt. Wie verwenden diese Eigens<strong>ch</strong>aft, um die Lieableitung<br />

einer differenzierbaren Eins–Form α zu bere<strong>ch</strong>nen. Ist Y ein Vektorfeld auf<br />

M, dann ist αY = α(Y ) = C1 1 (α ⊗ Y ) ein (0, 0)–Tensorfeld. Na<strong>ch</strong> (2) und (3) ist<br />

also wegen (4) und (5)<br />

und dadur<strong>ch</strong> ist L X α festgelegt.<br />

L X (αY ) = (L X α)Y + α(L X Y ) ,<br />

(L X α)Y = X(αY ) − α[X, Y ] , (7.9.2)<br />

Aufgaben<br />

1. Flüsse. Bestimmen und skizzieren Sie die Flüsse folgender Vektorfelder in der<br />

Ebene M = R 2 . Dabei sind α und β reelle Zahlen.<br />

X 1 = x ∂<br />

∂x + ∂<br />

y2 ∂y<br />

X 2 = (αx − βy) ∂<br />

∂<br />

+ (βx + αy)<br />

∂x ∂y<br />

2. Vektorfelder. Finden Sie ein vollständiges, nirgends vers<strong>ch</strong>windendes Vektorfeld<br />

auf dem Intervall M = (0, 1) und ein unvollständiges Vektorfeld auf M = R.<br />

3. Gegenbeispiel. Zeigen Sie, dass die Vektorfelder X 1 = y ∂/∂x und X 2 =<br />

x 2 ∂/∂y auf M = R 2 vollständig sind, dass aber ihre Summe X 1 + X 2 und die<br />

Lieklammer [X 1 , X 2 ] unvollständig sind.<br />

4. Vollständigkeit. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf einer Mannigfaltigkeit<br />

M. Zeigen Sie:<br />

66


(a) Wenn es ein ɛ > 0 gibt mit (−ɛ, ɛ) × M ⊆ U, dann ist X vollständig.<br />

(b) Hat X kompakten Träger, dann ist X vollständig.<br />

5. Lieklammer. Seien X und Y differenzierbare Vektorfelder auf M, und sei<br />

ϕ : M → N ein Diffeomorphismus. Zeigen Sie:<br />

ϕ ∗ [X, Y ] = [ϕ ∗ X, ϕ ∗ Y ]<br />

6. Vollständigkeit. Zeigen Sie: Zu jedem X ∈ V(M) existiert ein vollständiges<br />

Vektorfeld Y ∈ V(M), dessen Bahnen mit denen von X übereinstimmen. Hinweis:<br />

Y = fX mit einer geeigneten Funktion f.<br />

7. Taylorreihe. Sei X ein vollständiges Vektorfeld auf einer Mannigfaltigkeit M,<br />

φ sein Fluss, und sei f ∈ C ∞ (M). Zeigen Sie für die k–te Ableitung<br />

d k<br />

dt k ∣ ∣∣∣t0<br />

f(φ t (p)) = (X k f)(φ t0 (p)) .<br />

wobei X k f = XX . . . Xf ist, also (X k f)(q) = X q (X k−1 f) für q ∈ M. Leiten Sie<br />

daraus folgende formale Taylorentwicklung ab:<br />

f ◦ φ t ∼ e tX f<br />

8. Taylorformel. (a) Zeigen Sie, dass in den Bezei<strong>ch</strong>nungen von Aufgabe 7 gilt<br />

f(φ t (p)) =<br />

k∑<br />

j=0<br />

(X j f)(p)<br />

j!<br />

t j + tk+1<br />

k!<br />

∫ 1<br />

0<br />

(1 − s) k (X k+1 f)(φ st (p)) ds .<br />

Hinweis: Verwenden Sie die Taylors<strong>ch</strong>e Formel für reellwertige Funktionen einer<br />

reellen Veränderli<strong>ch</strong>en mit Restglied in Integralform.<br />

(b) Folgern Sie: Ist X k f = 0 für ein k, und ist M kompakt, dann ist Xf = 0.<br />

9. Re<strong>ch</strong>nung. Das Tensorfeld A sei bezügli<strong>ch</strong> einer Karte (ϕ, U) von M gegeben<br />

als<br />

A| U = ∑ j<br />

A 1···j s i1···i r<br />

dx i1 ⊗ · · · ⊗ dx ir ⊗ ∂<br />

∂x ⊗ · · · ⊗ ∂<br />

j1 ∂x . js<br />

Bere<strong>ch</strong>nen Sie L X A.<br />

10. Lieableitung. Zeigen Sie, dass für die Lieableitung von Tensorfeldern gilt<br />

L X ◦ L Y − L Y ◦ L X = L [X,Y ] .<br />

Hinweis: L X<br />

festgelegt.<br />

ist dur<strong>ch</strong> die Eigens<strong>ch</strong>aften (1) bis (5) aus Abs<strong>ch</strong>nitt 7.9 eindeutig<br />

67


8. Partitionen der Eins und ihre Anwendung<br />

Partitionen der Eins sind Zerlegungen der konstanten Funktion “Eins” auf M als<br />

Summe differenzierbarer ni<strong>ch</strong>tnegativer Funktionen. Sol<strong>ch</strong>e Zerlegungen lassen si<strong>ch</strong><br />

angepasst an eine vorgegebene Überdeckung von M bilden und erlei<strong>ch</strong>tern viele<br />

Konstruktionen der Differentialgeometrie. Wir illustrieren das an typis<strong>ch</strong>en Beispielen:<br />

der Fortsetzung von Vektorfeldern, die auf einer Untermannigfaltigkeit gegeben<br />

sind; der Konstruktion Riemanns<strong>ch</strong>er Metriken; der Einbettung differenzierbarer<br />

Mannigfaltigkeiten in einen R k ; und der Approximation stetiger Funktionen dur<strong>ch</strong><br />

differenzierbare.<br />

8.1. Offene Überdeckungen. Eine offene Überdeckung eines topologis<strong>ch</strong>en<br />

Raumes M ist eine Menge<br />

O = { U α | α ∈ Λ }<br />

offener Teilmengen U α von M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft ⋃ α∈Λ U α = M. Die Überdeckung<br />

heißt lokal endli<strong>ch</strong>, wenn jeder Punkt p ∈ M eine Umgebung U besitzt mit U ∩U α =<br />

∅ für alle bis auf endli<strong>ch</strong> viele α ∈ Λ. Eine offene Überdeckung O′ = { V β | β ∈ I }<br />

heißt eine Verfeinerung von O, wenn zu jedem Index β ∈ I ein α ∈ Λ existiert mit<br />

V β ⊆ U α , wenn also jede Menge aus O ′ in einer Menge aus O enthalten ist.<br />

8.2. Kompakte Auss<strong>ch</strong>öpfung. Jede topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit besitzt eine<br />

Auss<strong>ch</strong>öpfung dur<strong>ch</strong> kompakte Teilmengen in folgendem Sinne. Es existieren kompakte<br />

Teilmengen C i ⊆ M (i ∈ N) dergestalt, dass C i im Inneren Ci+1 ◦ von C i+1<br />

enthalten ist und dass ⋃ ∞<br />

i=1 C i = M gilt. Zur Konstruktion sol<strong>ch</strong>er C i findet man<br />

zunä<strong>ch</strong>st eine abzählbare offene Überdeckung { G i | i ∈ N } von M dergestalt,<br />

dass die Abs<strong>ch</strong>lüsse G i kompakt sind. Für diese G i kann man etwa die Urbilder<br />

geeigneter offener Bälle im R n unter Karten verwenden. Dann setzt man C 1 = G 1 .<br />

Ist nun C i bereits konstruiert, und ist k die kleinste Zahl mit C i ⊆ ⋃ k<br />

j=1 G j, dann<br />

definiert man<br />

C i+1 = G i+1 ∪<br />

k⋃<br />

G j .<br />

8.3. Lemma. Sei (M, A) eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, und sei O =<br />

{ U α | α ∈ Λ } eine offene Überdeckung von M. Dann existiert ein Atlas<br />

von M mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften.<br />

j=1<br />

{ (ϕ β , V β ) | β ∈ I } ⊆ A<br />

(a) Die Überdeckung { V β | β ∈ I } ist eine lokal endli<strong>ch</strong>e Verfeinerung von O.<br />

(b) Das Bild ϕ β (V β ) ist der Ball B(0, 3) = { x ∈ R n | ‖x‖ < 3 }.<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

68


(c) M = ⋃ β∈I ϕ−1 β<br />

(B(0, 1)).<br />

Hausdorffs<strong>ch</strong>e topologis<strong>ch</strong>e Räume mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass es zu jeder offenen<br />

Überdeckung eine lokal endli<strong>ch</strong>e Verfeinerung gibt, nennt man parakompakt. Das<br />

Lemma besagt also insbesondere, dass jede differenzierbare Mannigfaltigkeit parakompakt<br />

ist—und wenn man überall die Forderung der Differenzierbarkeit fortlässt,<br />

sieht man, dass au<strong>ch</strong> jede topologis<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit parakompakt ist.<br />

Zum Beweis des Lemmas wählen wir eine Auss<strong>ch</strong>öpfung C i ⊆ M wie in 8.2 und<br />

setzen C 0 = ∅. Da die Menge C i \ Ci−1 ◦ kompakt ist, existieren für jedes i ∈ N<br />

endli<strong>ch</strong> viele Karten<br />

(ϕ i1 , V i1 ), . . . , (ϕ iri , V iri )<br />

mit den Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

und so dass gilt<br />

ϕ(V ij ) = B(0, 3)<br />

V ij ⊆ C i+1 \ C i−2<br />

V ij ⊆ U α für ein α,<br />

C i \ C ◦ i−1 ⊆<br />

⋃r i<br />

j=1<br />

ϕ −1<br />

ij (B(0, 1)).<br />

In der Tat gibt es an jedem Punkt p ∈ C i \ Ci−1 ◦ eine Karte mit diesen Eigens<strong>ch</strong>aften,<br />

und endli<strong>ch</strong> viele dieser Karten genügen, um das Kompaktum C i \ Ci−1<br />

◦<br />

zu überdecken. Dann ist<br />

{ (ϕ ij , V ij ) | i ∈ N, j = 1, . . . , r i }<br />

der gewüns<strong>ch</strong>te Atlas. Dieser Atlas ist lokal endli<strong>ch</strong>, da wegen V ij ∩ C i−2 = ∅ jede<br />

der Teilmengen C k nur endli<strong>ch</strong> viele V ij s<strong>ch</strong>neidet. QED<br />

8.4. Satz. (Partition der Eins) Seien M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und<br />

O = { U α | α ∈ Λ } eine offene Überdeckung von M. Dann existiert eine Menge<br />

{ ϱ α | α ∈ Λ } ⊆ C ∞ (M)<br />

differenzierbarer Funktionen mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften.<br />

(a) ϱ α (M) ⊆ [0, 1] für alle α ∈ Λ.<br />

(b) Der Träger supp(ϱ α ) ist in U α enthalten, und es gilt sogar<br />

(c) supp(ϱ α ) ⊆ W α für eine lokal endli<strong>ch</strong>e Verfeinerung { W α | α ∈ Λ } von O mit<br />

W α ⊆ U α für alle α ∈ Λ.<br />

∑<br />

(d) Für jeden Punkt p ∈ M gilt<br />

α∈Λ ϱ α(p) = 1. Diese Summe ist na<strong>ch</strong> (c)<br />

endli<strong>ch</strong>.<br />

Die Menge { ϱ α | α ∈ Λ } heißt eine der Überdeckung O untergeordnete Zerlegung<br />

(oder Partition) der Eins.<br />

69


Beweis. Sei { (ϕ β , V β ) | β ∈ I } ein Atlas wie in Lemma 8.3, und sei ϱ ∈ C ∞ (R n )<br />

eine Funktion mit 0 ≤ ϱ ≤ 1 und ϱ| B(0,1) = 1, deren Träger in B(0, 2) enthalten ist.<br />

Wir setzen<br />

{<br />

ϱ (ϕβ (p)) , wenn p ∈ V<br />

σ β (p) =<br />

β ;<br />

0, sonst.<br />

Nun wählen wir eine Abbildung λ : I → Λ so, dass für alle β ∈ I gilt V β ⊆ U λ(β) ,<br />

und definieren<br />

f α (p) =<br />

∑<br />

σ β (p) .<br />

β∈λ −1 (α)<br />

Dies ist eine endli<strong>ch</strong>e Summe, da die Überdeckung { V β | β ∈ I } lokal endli<strong>ch</strong> ist.<br />

Sei<br />

W α :=<br />

⋃<br />

V β .<br />

Dann ist W α ⊆ U α , und der Träger<br />

supp(f α ) ⊆<br />

β∈λ −1 (α)<br />

⋃<br />

β∈λ −1 (α)<br />

supp(σ β ) ⊆ W α .<br />

Wir definieren die gewüns<strong>ch</strong>ten Funktionen ρ α dur<strong>ch</strong><br />

ϱ α (p) =<br />

f α (p)<br />

∑κ∈Λ f κ(p) .<br />

Wegen Eigens<strong>ch</strong>aft (c) in Lemma 8.3 ist der Nenner positiv.<br />

Es bleibt zu zeigen, dass die offene Überdeckung { W α | α ∈ Λ } eine lokal endli<strong>ch</strong>e<br />

Verfeinerung von O ist. Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U mit U ∩V β =<br />

∅ für alle bis auf endli<strong>ch</strong> viele β ∈ I. Wenn U ∩ W α ≠ ∅ ist, dann gibt es ein<br />

β ∈ λ −1 (α) mit U ∩ V β ≠ ∅. Da es nur endli<strong>ch</strong> viele sol<strong>ch</strong>e β gibt, existieren nur<br />

endli<strong>ch</strong> viele α = λ(β) mit U ∩ W α ≠ ∅, und die Behauptung ist bewiesen. QED<br />

Die folgenden Sätze sind typis<strong>ch</strong>e Anwendungen von Partitionen der Eins. Dabei<br />

ist (M, A) eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.<br />

8.5. Satz. (Fortsetzung von Vektorfeldern) Sei N ⊆ M eine Untermannigfaltigkeit,<br />

und sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf N. Dann existiert ein differenzierbares<br />

Vektorfeld ˜X auf M mit ˜X| N = X.<br />

Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass hier das Tangentialbündel T N mit einer Teilmenge von T M<br />

identifiziert wird. Diese Identifikation ist klar, wenn man Tangentialvektoren geometris<strong>ch</strong><br />

als Äquivalenzklassen von Kurven in N (also au<strong>ch</strong> in M) sieht. In der<br />

Spra<strong>ch</strong>e der Derivationen bedeutet sie die Identifikation von T N mit seinem Bild<br />

unter der Ableitung T ι : T N → T M der Inklusionsabbildung ι : N → M. Der Satz<br />

und sein Beweis gelten in ähnli<strong>ch</strong>er Form für allgemeine Tensorfelder.<br />

70


Beweis des Satzes. Sei { (ϕ α , U α ) | α ∈ Λ } ⊆ A ein Atlas für M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass für alle α ∈ Λ mit U α ∩ N ≠ ∅ die Karte (ϕ α , U α ) im Sinne von Definition<br />

2.8 an die Untermannigfaltigkeit N angepasst ist. Dabei kann man annehmen, dass<br />

ϕ α (U α ) = R n+l ist, und dass<br />

gilt. Bezügli<strong>ch</strong> der Karte (ϕ α , U α ) ist<br />

ϕ α (U α ∩ N) = R n × {0} ⊆ R n+l<br />

X| Uα∩N =<br />

n∑<br />

i=1<br />

X i α<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣N<br />

mit auf U α ∩ N definierten Komponentenfunktionen X i α. Wir setzen nun zunä<strong>ch</strong>st<br />

die Eins<strong>ch</strong>ränkung X| Uα∩N zu einem differenzierbaren Vektorfeld ˜X α auf U α fort.<br />

Dazu setzen wir ˜X α = 0, wenn U α ∩ N = ∅ ist, und andernfalls<br />

˜X α (p) =<br />

n∑<br />

i=1<br />

Xα<br />

i (<br />

ϕ<br />

−1<br />

α ◦ π ◦ ϕ α(p) ) ∣<br />

∂ ∣∣∣p<br />

∂x i<br />

für p ∈ U α , wobei π : R n+l → R n die Projektion auf die ersten n Komponenten<br />

bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Die Fortsetzungen ˜X α fügen wir nun mit Hilfe einer Partition der Eins zu einem<br />

differenzierbaren Vektorfeld ˜X auf M zusammen. Sei dazu { ϱ α | α ∈ Λ } eine der<br />

Überdeckung { U α | α ∈ Λ } untergeordnete Zerlegung der Eins. Wir definieren<br />

˜X = ∑ α∈Λ<br />

ϱ α ˜Xα ,<br />

also für p ∈ M<br />

˜X(p) = ∑ α∈Λ<br />

ϱ α (p) ˜X α (p) .<br />

Dabei ist ϱ α (p) ˜X α (p) = 0 zu setzen wenn ϱ α (p) = 0 ist.<br />

˜X α (p) = X(p), also<br />

( ∑ )<br />

˜X(p) = ϱ α(p) X(p) = X(p) .<br />

α∈Λ<br />

Für p ∈ N ∩ U α gilt<br />

QED<br />

8.6. Satz. (Existenz Riemanns<strong>ch</strong>er Metriken) Auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

existiert eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g.<br />

Beweis. Sei { (ϕ α , U α ) | α ∈ Λ } ⊆ A ein Atlas. Wir definieren eine Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik g α auf U α mit Hilfe der Koordinatendifferentiale dx i α = dϕ i α dur<strong>ch</strong><br />

g α = ∑ n<br />

i=1 dϕi α ⊗ dϕi α .<br />

71


Nun sei { ϱ α | α ∈ Λ } eine der Überdeckung { U α | α ∈ Λ } untergeordnete Partition<br />

der Eins. Wir setzen<br />

g = ∑ α∈Λ ϱ α g α .<br />

Ausführli<strong>ch</strong> bedeutet das: Für p ∈ M und X, Y ∈ T p M ist g(X, Y ) definiert als die<br />

endli<strong>ch</strong>e Summe<br />

g(X, Y ) = ∑ α∈Λ<br />

ϱ α (p) g α (p)(X, Y ) .<br />

Da die ϱ α ni<strong>ch</strong>tnegative Funktionen sind, und weil g α in jedem Punkt von U α positiv<br />

definit ist, ist au<strong>ch</strong> g(p) für jeden Punkt p ∈ M positiv definit. QED<br />

8.7. Satz. (Einbettung in R k ) Sei M eine kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit.<br />

Dann existiert eine differenzierbare Einbettung f : M → R k für geeignetes<br />

k. Insbesondere ist jede kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit diffeomorph zu<br />

einer differenzierbaren Untermannigfaltigkeit eines R k .<br />

Beweis. Sei { (ϕ β , V β ) | β = 1, . . . , m } ein endli<strong>ch</strong>er Atlas mit ϕ β (V β ) = B(0, 3) =<br />

{ x ∈ R n | ‖x‖ < 3 } und mit<br />

m⋃<br />

β=1<br />

ϕ −1<br />

β<br />

(B(0, 1)) = M .<br />

Zu diesem Atlas wählen wir Funktionen σ β wie im Beweis von Satz 8.4. Bezei<strong>ch</strong>net<br />

n die Dimension von M, dann definieren wir f : M → R m+mn dur<strong>ch</strong><br />

f(p) = ( σ 1 (p), . . . , σ m (p), σ 1 (p) ϕ 1 (p), . . . , σ m (p) ϕ m (p) ) .<br />

Dabei ist wieder σ β (p) ϕ β (p) = 0 zu setzen, wenn p ni<strong>ch</strong>t in V β enthalten ist.<br />

Wir zeigen, dass die Abbildung f ist eine injektive Immersion ist. Da injektive<br />

Immersionen kompakter Mannigfaltigkeiten stets Einbettungen sind (siehe Aufgabe<br />

4(a) zum vierten Kapitel), folgt dann die Behauptung.<br />

Die Funktionen σ β sind konstant Eins auf den Mengen ϕ −1<br />

β<br />

(B(0, 1)), und diese<br />

Mengen überdecken M. Daher gibt es zu jedem Punkt p ∈ M einen Index α mit<br />

σ α (p) = 1. Ist nun q ein weiterer Punkt mit f(p) = f(q), dann ist na<strong>ch</strong> Definition<br />

von f au<strong>ch</strong> σ α (q) = 1 und damit ϕ α (q) = ϕ α (p). Da die Abbildung ϕ α injektiv<br />

ist, folgt q = p. Also ist f injektiv. Um einzusehen, dass die Ableitung T p f an<br />

der Stelle p injektiv ist, bea<strong>ch</strong>tet man, dass auf der Umgebung ϕ −1<br />

α (B(0, 1)) von<br />

p die Funktion σ α = 1 ist. Auf dieser Umgebung gilt also σ α ϕ α = ϕ α für die<br />

entspre<strong>ch</strong>ende Komponente von f. Da die Ableitung T p ϕ α injektiv ist, ist au<strong>ch</strong> T p f<br />

injektiv. QED<br />

Die Aussage von Satz 8.7 lässt si<strong>ch</strong> auf ni<strong>ch</strong>tkompakte Mannigfaltigkeiten ausdehnen,<br />

und au<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Einbettungsdimension sind Verbesserungen mögli<strong>ch</strong>.<br />

Eine sol<strong>ch</strong>e stärkere Aussage ma<strong>ch</strong>t der<br />

72


Einbettungssatz von Whitney. Jede n–dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit<br />

lässt si<strong>ch</strong> differenzierbar dergestalt in den R 2n+1 einbetten, dass das Bild<br />

eine abges<strong>ch</strong>lossene Untermannigfaltigkeit von R 2n+1 ist.<br />

Man konstruiert zu diesem Zweck zunä<strong>ch</strong>st eine eigentli<strong>ch</strong>e injektive Immersion<br />

(siehe Aufgabe 4(a) zum vierten Kapitel) in einen ho<strong>ch</strong>dimensionalen R k und projiziert<br />

dann auf einen geeigneten 2n + 1–dimensionalen Untervektorraum. Dieser<br />

muss so gewählt werden, dass die Einbettungseigens<strong>ch</strong>aft und insbesondere die Injektivität<br />

bei der Projektion ni<strong>ch</strong>t verlorengeht—und das liefert 2n+1 als geeignete<br />

Dimension. Zu diesem Thema findet man Weiteres etwa in der “Einführung in die<br />

Differentialtopologie” von Bröcker und Jäni<strong>ch</strong>, und in der Originalarbeit H. Whitney,<br />

Differentiable manifolds, Ann. Math. 37(1936), 1–36.<br />

Der Whitneys<strong>ch</strong>e Satz könnte zunä<strong>ch</strong>st dazu verleiten, den abstrakten Begriff der<br />

differenzierbaren Mannigfaltigkeit für überflüssig zu halten: Es gibt keine Beispiele,<br />

die ni<strong>ch</strong>t ohnehin diffeomorph zu einer abges<strong>ch</strong>lossenen Untermannigfaltigkeit eines<br />

R k wären. Dazu ist zu bemerken, dass viele konkrete Beispiele differenzierbarer<br />

Mannigfaltigkeiten—etwa Quotientenräume—keine in irgendeiner Form natürli<strong>ch</strong>e<br />

Einbettung in einen R k besitzen. Die Wahl einer Einbettung ist dann die Wahl<br />

einer zusätzli<strong>ch</strong>en Struktur, die einer gewissen Willkür unterliegt und ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong><br />

die inneren Eigens<strong>ch</strong>aften von M vorgegeben ist.<br />

8.8. Satz. (Approximation) Sei f : M → R eine stetige Funktion auf der differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit (M, A). Dann gibt es zu jeder Zahl ε > 0 eine<br />

differenzierbare Funktion ˜f ∈ C ∞ (M) mit |f(p) − ˜f(p)| < ε für alle p ∈ M.<br />

Beweis. Mit Hilfe des Weierstraßs<strong>ch</strong>en Approximationssatzes oder anderer Methoden<br />

zeigt man zunä<strong>ch</strong>st, dass es zu jeder stetigen reellwertigen Funktion h auf dem<br />

abges<strong>ch</strong>lossenen Einheitsball ¯B(0, 1) ⊆ R n eine Funktion ˜h ∈ C ∞ (R n ) gibt mit<br />

|h(x) − ˜h(x)| < ε für alle x ∈ ¯B(0, 1). Dieses Resultat übertragen wir mit Hilfe<br />

einer Partition der Eins auf M.<br />

Sei dazu { (ϕ α , U α ) | α ∈ Λ } ⊆ A ein Atlas mit ϕ α (U α ) = B(0, 2) und mit der<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft, dass die Mengen V α := ϕ −1<br />

α (B(0, 1)) eine Überdeckung von M bilden.<br />

Sei {ϱ α } eine der Überdeckung {V α} untergeordnete Zerlegung der Eins. Die Funktionen<br />

f ◦ ϕ −1<br />

α sind stetig auf ¯B(0, 1). Wir wählen Funktionen hα ∈ C ∞ (R n ) so,<br />

dass auf ¯B(0, 1) gilt<br />

|f ◦ ϕ −1<br />

α − h α | < ε .<br />

Für die Funktionen ˜f α := h α ◦ ϕ α ist dann |f − ˜f α | < ε auf V α . Wir definieren<br />

˜f = ∑ α∈Λ<br />

ϱ α ˜fα .<br />

Dann gilt in jedem Punkt von M<br />

|f − ˜f| = ∣ ∑ ϱ α f − ∑ ∣ ∣∣<br />

∑<br />

ϱ α ˜fα ≤ ϱ α |f − ˜f α | < ε .<br />

α∈Λ α∈Λ<br />

α∈Λ<br />

QED<br />

73


Aufgaben<br />

1. Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken. Sei M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit der differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit N, und sei g eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf M. Zeigen<br />

Sie, dass eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik ˜g auf N existiert, so dass für alle p ∈ M und<br />

alle X, Y ∈ T p M ⊆ T p N gilt ˜g(p)(X, Y ) = g(p)(X, Y ).<br />

2. Flusslinie. Zeigen Sie, dass jede injektive differenzierbare Kurve c : [a, b] →<br />

M, deren Tangentialvektor ċ(t) nirgends vers<strong>ch</strong>windet, Flusslinie eines geeigneten<br />

differenzierbaren Vektorfeldes auf M mit kompaktem Träger ist.<br />

3. Diffeomorphismengruppe k–fa<strong>ch</strong> transitiv. Sei M eine wegzusammenhängende<br />

differenzierbare Mannigfaltigkeit, und seien { p 1 , . . . , p k } und { q 1 , . . . , q k }<br />

zwei k–elementige Teilmengen von M. Zeigen Sie: Es existiert ein Diffeomorphismus<br />

ϕ von M auf si<strong>ch</strong> mit ϕ(p i ) = q i für i = 1, . . . , k. Sind beide Mengen in einer<br />

kompakten Teilmenge K ⊆ M enthalten, dann kann ϕ so gewählt werden, dass<br />

ϕ| M\K die Identitätsabbildung ist. Hinweis: Beginnen Sie mit k = 1 und verwenden<br />

Sie Aufgabe 2.<br />

4. Gerade. Zeigen Sie, dass si<strong>ch</strong> die reelle Gerade in jede ni<strong>ch</strong>tkompakte differenzierbare<br />

Mannigfaltigkeit als abges<strong>ch</strong>lossene Untermannigfaltigkeit einbetten<br />

lässt.<br />

5. Vollständige Vektorfelder. Zeigen Sie, dass eine differenzierbare Mannigfaltigkeit<br />

M genau dann kompakt ist, wenn jedes differenzierbare Vektorfeld auf M<br />

vollständig ist. Hinweis: Verwenden Sie Aufgabe 4.<br />

74


9. Kurven im R 3<br />

Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt gibt eine kurze Einführung in die klassis<strong>ch</strong>e Theorie der Kurven<br />

im dreidimensionalen euklidis<strong>ch</strong>en Raum. Wir zeigen, dass reguläre Kurven immer<br />

na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert werden können. Ans<strong>ch</strong>ließend definieren wir das<br />

Frenets<strong>ch</strong>e Dreibein, die Krümmung und die Torsion einer Raumkurve, und leiten<br />

die Frenets<strong>ch</strong>en Formeln her. Dann erinnern wir an den Begriff der eigentli<strong>ch</strong>en<br />

euklidis<strong>ch</strong>en Bewegung und zeigen, dass Krümmung und Torsion einer Kurve unter<br />

sol<strong>ch</strong>en Bewegungen invariant bleiben. Hauptresultat dieses Abs<strong>ch</strong>nittes ist der so<br />

genannte Fundamentalsatz der Kurventheorie im R 3 , der im Wesentli<strong>ch</strong>en besagt,<br />

dass es zu vorgegebener Krümmung und Torsion immer eine passende Kurve gibt,<br />

und dass diese bis auf eigentli<strong>ch</strong>e euklidis<strong>ch</strong>e Bewegungen eindeutig bestimmt ist.<br />

9.1. Bogenlänge. Die Länge einer einmal stetig differenzierbaren Kurve c ∈<br />

C 1 ([a, b], R 3 ) mit Ableitung c ′ = dc/dt ist definiert als<br />

L(c) :=<br />

∫ b<br />

a<br />

‖c ′ (t)‖ dt.<br />

Die Kurve c heißt regulär, wenn für alle t die Ableitung c ′ (t) ≠ 0 ist. Sie heißt<br />

na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert, wenn sogar ‖c ′ (t)‖ = 1 gilt für alle t ∈ [a, b].<br />

In diesem Fall ist die Länge jedes Teilstückes c| [a,t] glei<strong>ch</strong> dem jeweils verstri<strong>ch</strong>enen<br />

Parameterwert t−a. Das folgende Lemma besagt, dass man reguläre Kurven immer<br />

na<strong>ch</strong> der Bogenlänge umparametrisieren kann, und dass der Bogenlängenparameter<br />

bis auf Vers<strong>ch</strong>iebungen eindeutig bestimmt ist.<br />

Lemma. Sei c ∈ C k ([a, b], R 3 ) mit k ≥ 1.<br />

(a) Ist c regulär, dann existiert ein C k –Diffeomorphismus ϕ : [0, L(c)] → [a, b]<br />

dergestalt, dass die Kurve c ◦ ϕ na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert ist.<br />

(b) Gilt ‖c ′ ‖ = 1 auf [a, b] und ist ϕ : [a 1 , b 1 ] → [a, b] ein C k –Diffeomorphismus mit<br />

ϕ(a 1 ) = a und ‖(c ◦ ϕ) ′ ‖ = 1, dann ist ϕ eine Translation, also ϕ(s) = s + a − a 1<br />

für alle s ∈ [a 1 , b 1 ].<br />

Beweis. (a) Zum Beweis der ersten Aussage definieren wir ψ ∈ C k ([a, b], R) dur<strong>ch</strong><br />

ψ(t) =<br />

∫ t<br />

a<br />

‖c ′ (τ)‖ dτ.<br />

Wegen ψ ′ (t) = ‖c ′ (t)‖ > 0 bildet ψ das Intervall [a, b] streng monoton auf [0, L(c)]<br />

ab. Mit der Umkehrrabbildung ϕ = ψ −1 gilt dann<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

||(c ◦ ϕ) ′ (s)|| = ||c ′ (ϕ(s))||<br />

75<br />

1<br />

|ψ ′ (ϕ(s))| = 1.


(b) Aus 1 = ||(c ◦ ϕ) ′ || = ||c ′ ◦ ϕ|| · |ϕ ′ | ergibt si<strong>ch</strong> |ϕ ′ | = 1, und daraus die<br />

Behauptung. QED<br />

9.2. Krümmung und Torsion von Kurven. Im folgenden nennen wir eine<br />

zweimal stetig differenzierbare Kurve biregulär, wenn die Ableitungen c ′ (t) und<br />

c ′′ (t) für alle t linear unabhängig sind. Sei c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) biregulär und na<strong>ch</strong><br />

der Bogenlänge parametrisiert, also ||c ′ || = 1. Der Tangentenvektor e 1 , Hauptnormalenvektor<br />

e 2 und Binormalenvektor e 3 von c sind definiert als<br />

e 1 (s) = c ′ (s)<br />

e 2 (s) =<br />

c′′ (s)<br />

||c ′′ (s)||<br />

e 3 (s) = e 1 (s) × e 2 (s)<br />

Das Tripel (e 1 , e 2 , e 3 ) heißt das begleitende Dreibein oder Frenets<strong>ch</strong>e Dreibein der<br />

Kurve c. Die Krümmung κ und die Torsion τ von c sind definiert als<br />

κ(s) = ||c ′′ (s)||<br />

τ(s) = 〈e ′ 2 (s), e 3(s)〉<br />

(9.2.1)<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net 〈·, ·〉 das Standardskalarprodukt des R 3 . Die Torsion ist also die<br />

e 3 –Komponente der Änderung von e 2. Setzt man die Definitionen der e i ein, so<br />

erhält man unter Verwendung der Determinante det<br />

τ = 〈c′ × c ′′ , c ′′′ 〉<br />

κ 2 = det(c′ , c ′′ , c ′′′ )<br />

κ 2 . (9.2.2)<br />

Krümmung und Torsion biregulärer Kurven c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ), die ni<strong>ch</strong>t notwendig<br />

||c ′ || = 1 erfüllen, werden wie folgt definiert: Man parametrisiert c zunä<strong>ch</strong>st na<strong>ch</strong><br />

der Bogenlänge wie im Lemma von 9.1 und definiert dann κ(t) als die Krümmung<br />

der reparametrisierten Kurve c ◦ ϕ an der Stelle s = ϕ −1 (t), und entspre<strong>ch</strong>end τ(t)<br />

als die Torsion von c ◦ ϕ an der Stelle s = ϕ −1 (t). Für die Krümmung und Torsion<br />

beliebiger biregulärer Kurven ergibt si<strong>ch</strong> dann<br />

κ = ||c′ × c ′′ ||<br />

||c ′ || 3<br />

τ = 〈c′ × c ′′ , c ′′′ 〉<br />

||c ′ × c ′′ || 2 . (9.2.3)<br />

9.3. Bewegungsinvarianz von κ und τ. Bireguläre Kurven, die dur<strong>ch</strong> Anwendung<br />

einer euklidis<strong>ch</strong>en Bewegung auseinander hervorgehen, haben in entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Punkten dieselbe Krümmung, und bis auf Vorzei<strong>ch</strong>en dieselbe Torsion. Dabei<br />

ist eine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung des R 3 eine Abbildung F : R 3 → R 3 der Gestalt<br />

F (x) = Ax + b mit einer orthogonalen Matrix A ∈ O(3) und mit b ∈ R 3 . Eine<br />

76


euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung heißt eigentli<strong>ch</strong>, wenn die Determinante det A = 1 ist, wenn<br />

also A ∈ SO(3) ist.<br />

Lemma. Sei c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) biregulär, und sei F (x) = Ax + b eine euklidis<strong>ch</strong>e<br />

Bewegung. Dann gilt für Krümmung und Torsion der Kurve ˜c = F ◦ c auf [a, b]<br />

˜κ(t) = κ(t)<br />

˜τ(t) = det(A) τ(t) = ±τ(t) .<br />

Beweis. Wir können annehmen, dass ||c ′ || = 1 ist. Dann gilt au<strong>ch</strong> ||˜c ′ || = ||Ac ′ || = 1.<br />

Außerdem ist ˜κ = ||˜c ′′ || = ||Ac ′′ || = ||c ′′ || = κ und<br />

˜τ = 1˜κ 2 det(˜c′ , ˜c ′′ , ˜c ′′′ ) = 1 κ 2 det(Ac′ , Ac ′′ , Ac ′′′ )<br />

= det(A) 1 κ 2 det(c′ , c ′′ , c ′′′ ) = det(A) τ. QED<br />

9.4. Die Formeln von Frenet. Sei c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) eine bireguläre, na<strong>ch</strong> der<br />

Bogenlänge parametrisierte Kurve. Die Formeln von Frenet geben die Ableitungen<br />

der Vektoren des Frenets<strong>ch</strong>en Dreibeins als Linearkombination des Dreibeins selbst.<br />

Zunä<strong>ch</strong>st ist e ′ 1 = c′′ = κe 2 . Um e ′ 2 zu bere<strong>ch</strong>nen, zerlegen wir<br />

e ′ 2 = 〈e′ 2 , e 1〉e 1 + 〈e ′ 2 , e 2〉e 2 + 〈e ′ 2 , e 3〉e 3<br />

und bere<strong>ch</strong>nen die auftretenden Komponenten. Es ist<br />

〈e ′ 2 , e 1〉 = 〈e 2 , e 1 〉 ′ − 〈e 2 , e ′ 1 〉 = 0 − κ<br />

〈e ′ 2, e 2 〉 = 1 2 〈e 2, e 2 〉 ′ = 0<br />

〈e ′ 2, e 3 〉 = τ<br />

und damit e ′ 2 = −κe 1 + τe 3 . Mit derselben Methode bere<strong>ch</strong>nen wir e ′ 3. Es gilt<br />

e ′ 3 = 〈e ′ 3, e 1 〉e 1 + 〈e ′ 3, e 2 〉e 2 + 〈e ′ 3, e 3 〉e 3 ,<br />

wobei 〈e ′ 3, e 1 〉 = −〈e 3 , e ′ 1〉 = 0 und 〈e ′ 3, e 2 〉 = −〈e 3 , e ′ 2〉 = −τ sowie 〈e ′ 3, e 3 〉 = 0.<br />

Insgesamt erhalten wir damit die Frenets<strong>ch</strong>en Formeln<br />

e ′ 1 = κe 2<br />

e ′ 2 = −κe 1 +τe 3<br />

e ′ 3 = −τe 2<br />

(9.4.1)<br />

Bei gegebener Krümmung und Torsion stellen diese Formeln ein lineares System<br />

gewöhnli<strong>ch</strong>er Differentialglei<strong>ch</strong>ungen für die Komponentenfunktionen des Frenets<strong>ch</strong>en<br />

Dreibeins einer Kurve dar. Dieser Umstand hat zur Folge, dass eine bireguläre<br />

77


Kurve bis auf eigentli<strong>ch</strong>e euklidis<strong>ch</strong>e Bewegungen eindeutig bestimmt ist dur<strong>ch</strong> ihre<br />

Krümmung und ihre Torsion als Funktionen des Bogenlängenparameters. Umgekehrt<br />

lässt si<strong>ch</strong> zu vorgegebener Krümmung und Torsion au<strong>ch</strong> immer eine passende<br />

Kurve konstruieren. Die genaue Formulierung dieser beiden Aussagen ist der Inhalt<br />

des sogenannten “Fundamentalsatzes” der Kurventheorie, auf den wir nun eingehen.<br />

9.5. Lineare Differentialglei<strong>ch</strong>ungen. Als Hilfsmittel benötigen wir den folgenden<br />

Existenz- und Eindeutigkeitssatz für lineare Systeme gewöhnli<strong>ch</strong>er Differentialglei<strong>ch</strong>ungen.<br />

Satz. Seien A ∈ C 0 ([a, b], R n×n ) und b ∈ C 0 ([a, b], R n ), und sei x 0 ∈ R n . Dann<br />

existiert genau eine Abbildung x ∈ C 1 ([a, b], R n ) mit den Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

x ′ (t) = A(t)x(t) + b(t) für alle t ∈ [a, b]<br />

x(a) = x 0 .<br />

Ein Beweis dieses Aussage findet si<strong>ch</strong> etwa in W. Walters “Gewöhnli<strong>ch</strong>e Differentialglei<strong>ch</strong>ungen”.<br />

Die Lösung existiert auf dem ganzen Intervall [a, b] wegen der<br />

Linearität der Glei<strong>ch</strong>ung.<br />

9.6. Fundamentalsatz der Kurventheorie. (a) Seien κ ∈ C 1 ([a, b], R) und<br />

τ ∈ C 0 ([a, b], R) Funktionen mit κ > 0 auf [a, b]. Sei p ∈ R 3 , und seien v, w ∈ R 3<br />

Einheitsvektoren mit 〈v, w〉 = 0. Dann existiert genau eine bireguläre, na<strong>ch</strong> der<br />

Bogenlänge parametrisierte Kurve c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) mit Krümmung κ und Torsion<br />

τ, und mit den Anfangswerten c(a) = p, c ′ (a) = v und c ′′ (a)/||c ′′ (a)|| = w.<br />

(b) Sind c, ˜c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) zwei bireguläre, na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisierte<br />

Kurven, deren Krümmung und Torsion auf [a, b] übereinstimmen, dann existiert<br />

eine eigentli<strong>ch</strong>e euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung F : R 3 → R 3 mit F ◦ c = ˜c.<br />

Beweis. (a) Sei e = (e 1 , e 2 , e 3 ) ∈ C 1 ([a, b], R 9 ) die Lösung der Frenets<strong>ch</strong>en Differentialglei<strong>ch</strong>ungssystems<br />

(9.4.1), also<br />

e ′ i =<br />

⎛<br />

3∑<br />

a ki e k mit (a ik ) = ⎝ 0 −κ 0<br />

⎞<br />

κ 0 −τ ⎠<br />

0 τ 0<br />

k=1<br />

mit Anfangswert e(a) = (v, w, v×w). Wir behaupten zunä<strong>ch</strong>st, dass für alle t ∈ [a, b]<br />

gilt<br />

〈e i (t), e j (t)〉 = δ ij .<br />

Zum Beweis dieser Behauptung bere<strong>ch</strong>nen wir die Ableitung<br />

〈e i , e j 〉 ′ = 〈e ′ i , e j〉 + 〈e i , e ′ j 〉<br />

= ∑ k a ki〈e k , e j 〉 + a kj 〈e i , e k 〉 .<br />

78


Die Funktionen b ij = 〈e i , e j 〉 erfüllen also das lineare Differentialglei<strong>ch</strong>ungssystem<br />

b ′ ij = ∑ k a kib kj + a kj b ik<br />

mit den Anfangswerten b ij (a) = δ ij . Die konstanten Funktionen δ ij erfüllen dasselbe<br />

System, da a ji + a ij = 0 ist, und zwar mit denselben Anfangswerten. Mit der<br />

Eindeutigkeitsaussage aus 9.5 folgt die Behauptung.<br />

Wir definieren nun die Kurve c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) dur<strong>ch</strong><br />

c(s) = p +<br />

∫ s<br />

a<br />

e 1 (t) dt<br />

(∗)<br />

Es gilt c ∈ C 3 , weil e ′ 1 = κe 2 von der Klasse C 1 ist und deshalb e 1 ∈ C 2 . Dann<br />

ist c(a) = p und c ′ (s) = e 1 (s), also ||c ′ || = 1. Weiter ist c ′′ = e ′ 1 = κe 2, folgli<strong>ch</strong> c<br />

biregulär mit Krümmung κ. Die Vektoren e 1 , e 2 , e 3 bilden das begleitende Dreibein<br />

von c, und die Glei<strong>ch</strong>ung e ′ 3 = −τe 2 zeigt, dass τ die Torsion von c ist.<br />

Die Eindeutigkeit der Kurve c ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>: Ihr begleitendes Dreibein muss<br />

die Frenetglei<strong>ch</strong>ungen mit den gegebenen Anfangswerten erfüllen, und das Dreibein<br />

bestimmt c dur<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung (∗).<br />

(b) Seien e 1 , e 2 , e 3 und ẽ 1 , ẽ 2 , ẽ 3 die begleitenden Dreibeine der Kurven c und ˜c. Sei<br />

F (x) = Ax+b die euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung mit Ae i (0) = ẽ i (0) und mit F (c(a)) = ˜c(a).<br />

Dann erfüllen sowohl ˜c als au<strong>ch</strong> F ◦c die Bedingungen aus Teil (a), also ist ˜c = F ◦c.<br />

Es gilt A ∈ SO(3), weil A die positiv orientierte Orthonormalbasis e 1 (0), e 2 (0), e 3 (0)<br />

in die positiv orientierte Orthonormalbasis ẽ 1 (0), ẽ 2 (0), ẽ 3 (0) abbildet. Die euklidis<strong>ch</strong>e<br />

Bewegung F ist also eigentli<strong>ch</strong>. QED<br />

9.7. Bemerkung. Die Torsion τ einer biregulären Kurve c ∈ C 3 ([a, b], R 3 ) vers<strong>ch</strong>windet<br />

genau dann, wenn das Bild c([a, b]) in einer Ebene enthalten ist.<br />

Beweis. Wir können annehmen, dass c na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert ist. Aus<br />

τ = 0 folgt e ′ 3 = −τe 2 = 0, und damit 〈c, e 3 〉 ′ = 〈c ′ , e 3 〉 = 〈e 1 , e 3 〉 = 0. Also sind<br />

sowohl der Binormalenvektor e 3 als au<strong>ch</strong> das Skalarprodukt 〈c, e 3 〉 konstant. Daher<br />

ist 〈c(t), e 3 (a)〉 = 〈c(t), e 3 (t)〉 = 〈c(a), e 3 (a)〉, und damit<br />

〈c(t) − c(a), e 3 (a)〉 = 0<br />

für alle t. Die Kurve ist also in der zum konstanten Vektor e 3 (a) senkre<strong>ch</strong>ten Ebene<br />

dur<strong>ch</strong> den Punkt c(a) enthalten. QED<br />

9.8. Beispiel. Die dur<strong>ch</strong><br />

⎧<br />

⎨ (t, 0, e −1/t2 ), t < 0<br />

c 1 (t) = 0, t = 0<br />

⎩<br />

(t, e −1/t2 , 0), t > 0<br />

79


{<br />

c 2 (t) = (t, 0, e<br />

−1/t 2 ), t ≠ 0<br />

0, t = 0<br />

definierten Kurven c 1 , c 2 ∈ C ∞ (R, R 3 ) sind ni<strong>ch</strong>t biregulär an t = 0. Sie haben die<br />

glei<strong>ch</strong>e Krümmung κ und die glei<strong>ch</strong>e Torsion τ = 0 auf R \ {0}, da si<strong>ch</strong> ihre Eins<strong>ch</strong>ränkungen<br />

auf die Intervalle (−∞, 0) und (0, ∞) jeweils dur<strong>ch</strong> eine euklidis<strong>ch</strong>e<br />

Bewegung ineinander überführen lassen. Es existiert aber keine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung<br />

F mit F ◦ c 1 = c 2 auf ganz R. Die Eindeutigkeitsaussage von Satz 9.6 gilt<br />

also in diesem Fall ni<strong>ch</strong>t, obwohl die Voraussetzung der Biregularität nur in einem<br />

Punkt verletzt ist.<br />

9.9. Beispiel. Die dur<strong>ch</strong> c(t) = (a cos t, a sin t, bt) definierte Abbildung c : R → R 3<br />

mit reellen Konstanten a > 0 und b, bes<strong>ch</strong>reibt eine S<strong>ch</strong>raubenlinie mit Radius a<br />

und Ganghöhe 2πb. Man bere<strong>ch</strong>net, dass c konstante Krümmung und Torsion hat,<br />

und zwar ist κ = a/(a 2 +b 2 ) und τ = b/(a 2 +b 2 ). Sind umgekehrt Konstanten κ > 0<br />

und τ vorgegeben, dann gibt es eine S<strong>ch</strong>raubenlinie mit Krümmung κ und Torsion<br />

τ, nämli<strong>ch</strong> diejenige mit a = κ/(κ 2 +τ 2 ) und b = τ/(κ 2 +τ 2 ). Als Folgerung aus der<br />

Eindeutigkeitsaussage in 9.6 erhält man nun: Jede bireguläre Kurve mit konstanter<br />

Krümmung und konstanter Torsion ist (bis auf Umparametrisierung und euklidis<strong>ch</strong>e<br />

Bewegung) eine S<strong>ch</strong>raubenlinie.<br />

Aufgaben<br />

1. Spirale. Bere<strong>ch</strong>nen Sie Krümmung und Torsion der Spirale in Beispiel 9.9.<br />

2. Lokale Gestalt von Raumkurven. (a) Zeigen Sie, dass für na<strong>ch</strong> der Bogenlänge<br />

parametrisierte bireguläre Raumkurven c folgende Taylorentwicklung gilt:<br />

c(s) = c(0) +<br />

(s − κ2 0 s3<br />

6<br />

) ( κ0 s 2<br />

e 1 (0) +<br />

2<br />

)<br />

+ κ′ 0 s3<br />

e 2 (0) + κ 0τ 0 s 3<br />

e 3 (0) + R(s)<br />

6<br />

6<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net e 1 , e 2 , e 3 das Frenets<strong>ch</strong>e Dreibein, es ist κ 0 = κ(0) und κ ′ 0 = κ ′ (0),<br />

und es gilt lim s→0 R(s)/s 3 = 0.<br />

(b) Wir betra<strong>ch</strong>ten nun die Kurve<br />

γ(s) =<br />

(s − κ2 0 s3<br />

6<br />

) ( κ0 s 2<br />

v 1 +<br />

2<br />

)<br />

+ κ′ 0 s3<br />

v 2 + κ 0τ 0 s 3<br />

v 3 ,<br />

6<br />

6<br />

(∗)<br />

die si<strong>ch</strong> aus der Entwicklung in (a) mit v j := e j (0) dur<strong>ch</strong> Vers<strong>ch</strong>ieben des Koordinatenursprungs<br />

und Verna<strong>ch</strong>lässigen des Restterms R(s) ergibt. Bestimmen und<br />

skizzieren Sie die senkre<strong>ch</strong>ten Projektionen von γ auf die drei Ebenen Spann(v 1 , v 2 ),<br />

Spann(v 2 , v 3 ) und Spann(v 1 , v 3 ). Diese Ebenen nennt man die S<strong>ch</strong>miegebene, die<br />

Normalenebene und die rektifizierende Ebene der Kurve c im Punkt c(0).<br />

3. Kurve. Die Kurve γ sei definiert dur<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung (∗) in Aufgabe 2 mit Konstanten<br />

κ 0 > 0, κ ′ 0 und τ 0 und mit einer Orthonormalbasis v 1 , v 2 , v 3 = v 1 × v 2 des<br />

80


R 3 . Zeigen Sie, dass v 1 , v 2 , v 3 das Frenets<strong>ch</strong>e Dreibein von γ an der Stelle s = 0 ist,<br />

und dass für Krümmung und Torsion von γ gilt κ(0) = κ 0 und τ(0) = τ 0 . Bere<strong>ch</strong>nen<br />

Sie κ(s) und τ(s).<br />

4. Bös<strong>ch</strong>ungslinien. Raumkurven, für die der Quotient τ/κ konstant ist, nennt<br />

man Bös<strong>ch</strong>ungslinien. Zeigen Sie: Eine na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisierte bireguläre<br />

Kurve c ist genau dann eine Bös<strong>ch</strong>ungslinie, wenn es einen Einheitsvektor<br />

e 0 ∈ R 3 gibt, so dass das Skalarprodukt 〈c ′ (s), e 0 〉 konstant ist.<br />

5. Kurze Kurven. Jede ges<strong>ch</strong>lossene stetig differenzierbare (oder rektifizierbare)<br />

Kurve γ in der Einheitssphäre S 2 ⊂ R 3 , deren Länge L(γ) < 2π ist, ist in einer<br />

geeigneten Hemisphäre enthalten.<br />

6. Totalkrümmung ges<strong>ch</strong>lossener Raumkurven. Sei c ∈ C 2 ([0, l], R 3 ) eine<br />

na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisierte ges<strong>ch</strong>lossene Kurve mit Krümmung κ(s) =<br />

||c ′′ (s)||. Sei γ : [0, l] → S 2 , definiert als γ(s) := c ′ (s), ihr sphäris<strong>ch</strong>es Tangentenbild.<br />

Zeigen Sie:<br />

(a) Die Kurve γ trifft jeden Großkreis von S 2 .<br />

(b) Es gilt ∫ l<br />

κ(s)ds ≥ 2π.<br />

0<br />

(c) Ist κ ≤ R auf [0, l], dann ist l ≥ 2π/R. Wenig gekrümmte Kurven müssen also<br />

lang sein, um si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließen zu können.<br />

81


10. Innere Geometrie der Flä<strong>ch</strong>en im R 3<br />

Eine Flä<strong>ch</strong>e im R 3 ist eine zweidimensionale differenzierbare Untermannigfaltigkeit<br />

M von R 3 . Das Standardskalarprodukt des R 3 induziert auf M eine Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik, die erste Fundamentalform von M. Als Riemanns<strong>ch</strong>e oder “innere” Geometrie<br />

der Flä<strong>ch</strong>e bezei<strong>ch</strong>net man die Gesamtheit derjenigen geometris<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften,<br />

die si<strong>ch</strong> allein dur<strong>ch</strong> die erste Fundamentalform bes<strong>ch</strong>reiben lassen. Dazu<br />

gehören S<strong>ch</strong>nittwinkel zwis<strong>ch</strong>en Kurven, über die Flä<strong>ch</strong>e gemessene Abstände und<br />

der Flä<strong>ch</strong>eninhalt. Da diese Größen dur<strong>ch</strong> die Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik bestimmt sind,<br />

verallgemeinert si<strong>ch</strong> ihre Definition unmittelbar auf beliebige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten.<br />

Wir beginnen den Abs<strong>ch</strong>nitt mit einigen Vorbereitungen über Tangentialräume,<br />

die für die Anwendung des bisher entwickelten Begriffsapparates der differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeiten auf Flä<strong>ch</strong>en im R 3 wi<strong>ch</strong>tig sind. Dann erläutern wir die<br />

Grundbegriffe der inneren Geometrie und ihre Verallgemeinerung auf abstrakte Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeiten. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> behandeln wir den Begriff der Isometrie<br />

zwis<strong>ch</strong>en Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten und geben einfa<strong>ch</strong>e Beispiele.<br />

10.1. Tangentialräume. In Abs<strong>ch</strong>nitt 3.1 haben wir eine Definition von Tangentialräumen<br />

für Untermannigfaltigkeiten des R n gegeben. Dana<strong>ch</strong> ist insbesondere<br />

T p R 3 = {(p, v) | v ∈ R 3 }, und für eine Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 ist T p M die Teilmenge<br />

derjenigen Paare (p, v) ∈ T p R 3 , für die v = c ′ (0) ist mit einer in M verlaufende<br />

Kurve c. Andererseits hat man die aus Derivationen bestehenden Tangentialräume<br />

T p M und T p R 3 . Die Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en diesen Räumen lassen si<strong>ch</strong> im folgenden<br />

kommutativen Diagramm zusammenfassen:<br />

T p M<br />

Θ⏐<br />

↓<br />

T p M<br />

Inklusion<br />

−−−−−−→ T p R 3<br />

⏐<br />

↓ ˜Θ<br />

T pι<br />

−−−−−−→ T p R 3<br />

Dabei ist T p ι die Ableitung der Inklusionsabbildung ι : M → R 3 , es ist also für<br />

X ∈ T p M und f ∈ C ∞ (R 3 ),<br />

((T p ι)X)f = X(f ◦ ι) = X(f| M ) .<br />

Wie s<strong>ch</strong>on in 8.5 werden wir oft T p M mit (T p ι)(T p M) identifizieren, also T p M als<br />

Unterrraum von T p R 3 auffassen. Die Abbildung Θ ist definiert dur<strong>ch</strong><br />

Version: 18. Februar 2000<br />

Θ ((p, v)) f = d dt ∣ f(c(t)) (10.1.1)<br />

0<br />

82


für f ∈ C ∞ (M), wobei v = c ′ (0) ist mit einer in M verlaufende Kurve c. Die Abbildung<br />

˜Θ ist dur<strong>ch</strong> dieselbe Glei<strong>ch</strong>ung definiert, wobei aber c ni<strong>ch</strong>t in M verlaufen<br />

muss. Wählt man für c speziell die Kurve c(t) = p + tv, dann ist also<br />

˜Θ((p, v)) f = d dt∣ f(p + tv) (10.1.2)<br />

0<br />

für f ∈ C ∞ (R 3 ). Man verifiziert lei<strong>ch</strong>t, dass Θ und ˜Θ Vektorraumisomorphismen<br />

sind, und dass gilt ˜Θ| TpM = T p ι ◦ Θ, so dass das Diagramm kommutiert.<br />

Diese Bes<strong>ch</strong>reibung der Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en den Tangentialräumen haben wir<br />

koordinatenunabhängig formuliert. Sie gilt daher offenbar ebenso für Untermannigfaltigkeiten<br />

beliebiger endli<strong>ch</strong>dimensionaler Vektorräume. Verwendet man die Karte<br />

ϕ = id von R 3 und die zugehörigen Basisfelder ∂/∂x i , die Standardbasisfelder des<br />

R 3 , dann ist<br />

d<br />

dt ∣ f(p + tv) =<br />

0<br />

3∑<br />

i=1<br />

∂f<br />

∂x i (p) · vi =<br />

( 3∑<br />

i=1<br />

v i<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂x i f<br />

und daher<br />

˜Θ(p, v) = v 1<br />

∂<br />

∂x 1 ∣ ∣∣∣p<br />

+ v 2<br />

∂<br />

∂x 2 ∣ ∣∣∣p<br />

+ v 3<br />

∂<br />

∂x 3 ∣ ∣∣∣p<br />

. (10.1.3)<br />

10.2. Tangentialraum und lokale Parametrisierung. Sei ψ : W → M eine<br />

lokale Parametrisierung von M (siehe 2.2) mit einer offenen Teilmenge W ⊆ R 2 .<br />

Dann sind die Vektoren ∂ψ/∂w 1 und ∂ψ/∂w 2 in jedem Punkt von W linear unabhängig,<br />

und na<strong>ch</strong> Lemma 3.1 gilt für w = ψ −1 (p)<br />

{ ∂ψ<br />

T p M = {p} × Dψ(w)R 2 = {p} × Spann<br />

∂w 1 (w), ∂ψ<br />

}<br />

∂w 2 (w) .<br />

Na<strong>ch</strong> 2.4 ist (ψ −1 , ψ(W )) =: (ϕ, U) eine Karte von M als C ∞ –Mannigfaltigkeit.<br />

Seien ∂/∂w 1 und ∂/∂w 2 die dieser Karte entspre<strong>ch</strong>enden Basisfelder auf U. Das<br />

folgende Lemma erklärt, wel<strong>ch</strong>en Elementen aus T p M die Vektoren ∂/∂w i (w) entspre<strong>ch</strong>en.<br />

Lemma. Sei Θ : T p M → T p M der Isomorphismus aus 10.1. Dann gilt für i = 1, 2<br />

(<br />

Θ p, ∂ψ )<br />

∂w i (w) = ∂ ∣ ∣∣∣p<br />

∂w i<br />

Insbesondere ist<br />

∂<br />

∂w i ∣ ∣∣∣p<br />

=<br />

3∑<br />

k=1<br />

∂ψ k<br />

∂w i (ψ−1 (p))<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣p<br />

. (10.2.1)<br />

83


Beweis. Es ist ∂ψ/∂w 1 (w) = c ′ (0), wobei c die Kurve c(t) = ψ(w 1 + t, w 2 ) ist. Für<br />

f ∈ C ∞ (M) gilt daher<br />

Θ(p, c ′ (0)) f = d ∂(f ◦ ψ)<br />

dt∣ f(c(t)) =<br />

0<br />

∂w 1 (w) = ∂ ∣ ∣∣∣p<br />

∂w 1 f . QED<br />

10.3. Erste Fundamentalform einer Flä<strong>ch</strong>e im R 3 . Die Standardmetrik des<br />

R 3 ist die Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik, die bezügli<strong>ch</strong> der Karte id R 3 gegeben ist dur<strong>ch</strong><br />

g R 3 = ∑ 3<br />

i=1 dxi ⊗ dx i .<br />

Die Standardmetrik ist au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>arakterisiert, dass die Standardbasisfelder<br />

∂/∂x i an jeder Stelle p orthornormal sind bezügli<strong>ch</strong> des Skalarproduktes g R 3(p).<br />

Für X = ∑ 3<br />

i=1 Xi ∂/∂x i | p ∈ T p R 3 und Y entspre<strong>ch</strong>end hat man daher<br />

g R 3(p)(X, Y ) = ∑ 3<br />

i=1 Xi Y i .<br />

Sei nun M eine Flä<strong>ch</strong>e im R 3 . Dann heißt die dur<strong>ch</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung von g R 3<br />

T M, also dur<strong>ch</strong><br />

auf<br />

g(p) = g R 3(p) ∣ ∣<br />

TpM×T pM<br />

für p ∈ M definierte Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf M die erste Fundamentalform von<br />

M. Ist ψ : W → M eine lokale Parametrisierung mit p ∈ ψ(W ) = U, dann ist<br />

(ψ −1 , U) eine Karte, und na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 6.6 gilt<br />

mit den Komponenten<br />

( ∣ ∂ ∣∣∣p<br />

g ij (p) = g<br />

∂w i ,<br />

g ∣ ∣<br />

U<br />

= ∑ 2<br />

i,j=1 g ij dw i ⊗ dw j<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p ) 〈 ∂ψ<br />

∂w j =<br />

∂w i (ψ−1 (p)), ∂ψ 〉<br />

∂w j (ψ−1 (p)) .<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net 〈·, ·〉 das übli<strong>ch</strong>e Skalarprodukt des R 3 . Insbesondere sind die<br />

Komponentenfunktionen g ij differenzierbar, und daher ist g ein differenzierbares<br />

Tensorfeld.<br />

10.4. Längen, Winkel und Abstände auf Flä<strong>ch</strong>en. Dur<strong>ch</strong> die erste Fundamentalform<br />

wird jeder Tangentialraum T p M der Flä<strong>ch</strong>e M zu einem zweidimensionalen<br />

euklidis<strong>ch</strong>en Vektorraum. Insbesondere ist die Norm eines Vektors X ∈ T p M<br />

definiert dur<strong>ch</strong> ‖X‖ = (g(X, X)) 1/2 , und der Kosinus des Winkels zwis<strong>ch</strong>en zwei<br />

Vektoren X, Y ∈ T p M ist gegeben dur<strong>ch</strong><br />

cos ̸ (X, Y ) = g(X, Y )<br />

‖X‖ ‖Y ‖ .<br />

84


S<strong>ch</strong>nittwinkel zwis<strong>ch</strong>en Kurven sind in naheliegender Weise definiert als Winkel<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihren Tangentialvektoren im S<strong>ch</strong>nittpunkt. Ist bezügli<strong>ch</strong> lokaler Parameter<br />

ψ : W → M<br />

dann ergibt si<strong>ch</strong><br />

X =<br />

2∑<br />

i=1<br />

( 2∑<br />

〈X, Y 〉 = g<br />

i=1<br />

X i<br />

X i<br />

∂<br />

∂w i ∣ ∣∣∣p<br />

und Y =<br />

∂<br />

∂w i ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

2∑<br />

j=1<br />

Y j<br />

2∑<br />

i=1<br />

Y i<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂w j = ∑ i,j<br />

∂<br />

∂w i ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

g ij (p)X i Y j .<br />

Differenzierbare Kurven c : [a, b] → M in M können au<strong>ch</strong> als differenzierbare Kurven<br />

im R 3 aufgefasst werden, und ihre Länge ist<br />

L(c) =<br />

∫ b<br />

a<br />

‖ċ‖ dt =<br />

∫ b<br />

a<br />

√<br />

g(ċ(t), ċ(t))dt . (10.4.1)<br />

Die Länge L(c) kann also ohne Kenntnis der umgebenden Raumes bere<strong>ch</strong>net werden,<br />

sobald man die Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g kennt. Ist (ϕ, U) eine Karte für M, und ist<br />

c([a, b]) ⊆ U, dann gilt na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 4.4 mit c i := ϕ i ◦ c<br />

und damit<br />

L(c) =<br />

∫ b<br />

a<br />

ċ(t) =<br />

2∑<br />

i=1<br />

dc i<br />

dt (t)<br />

∂<br />

∂w i ∣<br />

∣∣∣c(t)<br />

√<br />

∑2 g ij(c(t)) dci<br />

i,j=1 dt (t)dcj (t) dt<br />

dt<br />

Der (über die Flä<strong>ch</strong>e M gemessene) Abstand zweier Punkte auf M ist definiert als<br />

d(p, q) = inf<br />

c<br />

L(c). (10.4.2)<br />

Dabei ist das Infimum zu nehmen über alle stückweise differenzierbaren Kurven<br />

c : [a, b] → M, die p mit q verbinden, für die also c(a) = p und c(b) = q gilt. Man<br />

verifiziert lei<strong>ch</strong>t, dass (M, d) mit der so definierten Abstandsfunktion d : M × M →<br />

R ein metris<strong>ch</strong>er Raum ist. In der Tat ist d(p, q) ≥ ‖p − q‖, dem im R 3 gemessenen<br />

Abstand von p und q, also gilt d(p, q) = 0 nur für p = q.<br />

Zur Definition von d sei angemerkt, dass man denselben Abstand d(p, q) erhält,<br />

wenn man das Infimum nur über alle differenzierbaren Kurven nimmt statt über<br />

alle stückweise differenzierbaren. Das liegt daran, dass man eine stückweise differenzierbare<br />

Verbindungskurve c von p na<strong>ch</strong> q immer dergestalt dur<strong>ch</strong> einen differenzierbare<br />

Verbindungskurve c 1 approximieren kann, dass die Länge L(c 1 ) beliebig<br />

wenig von L(c) abwei<strong>ch</strong>t. Mit der Definition dur<strong>ch</strong> differenzierbare Kurven wird<br />

aber der Na<strong>ch</strong>weis der Dreiecksunglei<strong>ch</strong>ung für d etwas s<strong>ch</strong>wieriger.<br />

85


Zusammenfassend kann man sagen, dass si<strong>ch</strong> Längen, Winkel und Abstände auf M<br />

allein aus der Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g bestimmen lassen. Ihre Definitionen verallgemeinern<br />

si<strong>ch</strong> deshalb unmittelbar auf beliebige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten.<br />

10.5. Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten als metris<strong>ch</strong>e Räume. Kurvenlängen<br />

L(c) und die Abstandsfunktion d : M × M → R sind auf beliebigen Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeiten (M, g) ebenso definiert wie im Spezialfall der Flä<strong>ch</strong>en<br />

im R 3 , also dur<strong>ch</strong> die Beziehungen (10.4.1) und (10.4.2). Der Ball B(p, r) um einen<br />

Punkt p vom Radius r > 0 ist definiert als die Menge aller Punkte in M, deren<br />

Abstand von p kleiner als r ist, also<br />

B(p, r) = { q ∈ M | d(p, q) < r } .<br />

Satz. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, und sei d die induzierte Abstandsfunktion.<br />

Dann ist (M, d) ein metris<strong>ch</strong>er Raum. Die dur<strong>ch</strong> d induzierte<br />

Topologie stimmt mit der Mannigfaltigkeitstopologie von M überein.<br />

Beweis. Die Symmetrie d(p, q) = d(q, p) und die Dreiecksunglei<strong>ch</strong>ung sind offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />

Wir zeigen, dass d(p, q) = 0 nur für p = q gilt. Seien dazu p ≠ q ∈ M.<br />

Sei (ϕ, U) Karte an p mit ϕ(p) = 0. Wir wählen r > 0 so klein, dass q ni<strong>ch</strong>t im<br />

Urbild U r := ϕ −1 (B(0, r)) des euklidis<strong>ch</strong>en Balles B(0, r) ⊂ R n enthalten ist. Sei<br />

˜g = ϕ ∗ g R n der Pullback (siehe 7.9) der Standardmetrik von R n auf U, also<br />

( ∂<br />

˜g ij = ˜g<br />

∂x i , ∂<br />

)<br />

∂x j = δ ij<br />

bezügli<strong>ch</strong> der Karte ϕ. Die Teilmenge<br />

A r = { X ∈ T M | π(X) ∈ Ūr und ˜g(X, X) = 1 }<br />

des Tangentialbündels von M ist kompakt. Daher existiert eine Zahl λ > 0, so dass<br />

für alle X ∈ A r gilt<br />

g(X, X) ≥ λ = λ ˜g(X, X) .<br />

Da g und ˜g bilinear sind, folgt daraus<br />

g(X, X) ≥ λ ˜g(X, X)<br />

für alle X ∈ T M| Ūr<br />

. Sei nun c : [a, b] → M eine stückweise differenzierbare Kurve<br />

mit c(a) = p und c(b) = q. Da q ni<strong>ch</strong>t in U r enthalten ist, existiert ein t 0 ∈ [a, b]<br />

dergestalt, dass ϕ(c(t 0 )) Randpunkt des Balles B(0, r) ist. Damit folgt<br />

∫ b √<br />

L(c) = g(ċ, ċ)<br />

a<br />

≥ √ λ<br />

= √ λ<br />

= √ λ<br />

∫ t0<br />

a<br />

∫ t0<br />

a<br />

∫ t0<br />

a<br />

≥ √ λ r .<br />

√˜g(ċ, ċ)<br />

√<br />

gR n((T ϕ)ċ, (T ϕ)ċ)<br />

√<br />

gR n((ϕ ◦ c)˙, (ϕ ◦ c)˙)<br />

86<br />

(∗)


Also ist d(p, q) ≥ √ λ r > 0. Es bleibt zu zeigen, dass die dur<strong>ch</strong> d induzierte Topologie<br />

mit der Mannigfaltigkeitstopologie von M übereinstimmt. Für q /∈ ϕ −1 (B(0, r))<br />

gilt na<strong>ch</strong> dem soeben Bewiesenen d(p, q) ≥ √ λ r, also ist<br />

B(p, √ λ r) ⊆ ϕ −1 (B(0, r)) .<br />

Ebenso zeigt man<br />

ϕ −1 (B(0, r)) ⊆ B(p, √ Λ r)<br />

mit g(X, X) ≤ Λ ˜g(X, X) anstelle von (∗). Damit existieren für jeden Punkt p ∈ M<br />

positive Zahlen λ, Λ und r 0 , so dass für alle r ≤ r 0 gilt<br />

B(p, √ λ r) ⊆ ϕ −1 (B(0, r)) ⊆ B(p, √ Λ r) .<br />

Das bedeutet, dass jeder offene Ball um p eine offene Umgebung von p bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Mannigfaltigkeitstopologie enthält und umgekehrt. Die Behauptung folgt. QED<br />

10.6. Integration auf Flä<strong>ch</strong>en. Sei ψ : W → ψ(W ) =: U ⊆ M eine lokale<br />

Parametrisierung der Flä<strong>ch</strong>e M im R 3 . Dann ist der Flä<strong>ch</strong>eninhalt (oder das zweidimensionale<br />

Volumen) von U definiert dur<strong>ch</strong><br />

∫∫<br />

vol(U) =<br />

W<br />

∥ ∂ψ<br />

∂w 1 × ∂ψ ∥ ∥∥ dw 1<br />

∂w 2 dw 2<br />

und allgemeiner das Integral einer stetigen Funktion f auf U dur<strong>ch</strong><br />

∫<br />

U<br />

∫∫<br />

f dV =<br />

W<br />

f(ψ(w 1 , w 2 )) ∥ ∂ψ<br />

∂w 1 × ∂ψ ∥ ∥∥ dw 1<br />

∂w 2 dw 2 . (10.6.1)<br />

Das Integral existiert, wenn etwa f ni<strong>ch</strong>tnegativ ist oder kompakten Träger in U hat.<br />

Diese Definitionen sind dur<strong>ch</strong> folgende ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e Betra<strong>ch</strong>tung motiviert. Das<br />

Bild eines kleinen Re<strong>ch</strong>tecks im Parameterberei<strong>ch</strong> W mit den Ecken w = (w 1 , w 2 ),<br />

(w 1 + ∆w 1 , w 2 ), (w 1 , w 2 + ∆w 2 ) und (w 1 + ∆w 1 , w 2 + ∆w 2 ) unter der Abbildung<br />

ψ ist annähernd ein Parallelogramm. Dessen elementargeometris<strong>ch</strong>er Flä<strong>ch</strong>eninhalt<br />

ist gegeben dur<strong>ch</strong> die Norm des Vektorproduktes der Kantenvektoren, also ist<br />

∆vol ≈ ∥ ( ψ(w 1 + ∆w 1 , w 2 ) − ψ(w 1 , w 2 ) ) × ( ψ(w 1 , w 2 + ∆w 2 ) − ψ(w 1 , w 2 ) )∥ ∥<br />

≈ ∥ ∂ψ<br />

∂w 1 (w) ∆w1 × ∂ψ ∥ ∥∥<br />

∂w 2 (w) ∆w2 = ∥ ∂ψ ∂ψ<br />

∥ ∥∥∆w<br />

(w) ×<br />

∂w1 ∂w 2 (w) 1 ∆w 2 .<br />

Zerlegt man W in Re<strong>ch</strong>tecke und summiert diese Ausdrücke, so ergibt si<strong>ch</strong> eine<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Summe für das als Definition von vol(U) verwendete Doppelintegral.<br />

87


Das Integral (10.6.1) lässt si<strong>ch</strong> mit Hilfe der ersten Fundamentalform von M bere<strong>ch</strong>nen.<br />

Für Vektoren a, b ∈ R 3 gilt nämli<strong>ch</strong><br />

( )<br />

‖a × b‖ 2 = ‖a‖ 2 ‖b‖ 2 − 〈a, b〉 2 〈a, a〉 〈a, b〉<br />

= det<br />

.<br />

〈b, a〉 〈b, b〉<br />

Wegen g ik ◦ ψ = 〈(∂ψ/∂w i ), (∂ψ/∂w k )〉 folgt<br />

und damit<br />

∥ ∂ψ<br />

∂w 1 × ∂ψ ∥ ( )<br />

∥∥<br />

2 g11 g = det 12<br />

∂w 2 ◦ ψ =: det (g<br />

g 21 g ik ) ◦ ψ<br />

22<br />

∫<br />

U<br />

∫∫<br />

f dV =<br />

W<br />

f(ψ(w)) √ det(g ik (ψ(w))) dw 1 dw 2 .<br />

Das folgende Lemma besagt, dass das Integral ni<strong>ch</strong>t von der Wahl der lokalen<br />

Parametrisierung von M abhängt. Diese Tatsa<strong>ch</strong>e ist wegen der skizzierten geometris<strong>ch</strong>en<br />

Bedeutung ni<strong>ch</strong>t überras<strong>ch</strong>end.<br />

Lemma. Sei σ : W ′ → W ein Diffeomorphismus und sei ψ ′ : W ′ → U die lokale<br />

Parametrisierung ψ ′ = ψ ◦ σ. Sind g ik ′ die Komponenten der ersten Fundamentalform<br />

bezügli<strong>ch</strong> ψ ′ , also g| U = g ik ′ dw′i ⊗ dw ′k , dann gilt<br />

∫∫<br />

W<br />

f(ψ(w)) √ ∫∫<br />

det(g ik ) dw 1 dw 2 = f(ψ ′ (w ′ )) √ det(g ′ ik ) dw ′ 1 dw<br />

′2 .<br />

W ′<br />

Beweis. Na<strong>ch</strong> (6.2.2) gilt, in abgekürzter S<strong>ch</strong>reibweise,<br />

g ik ′ = ∂wj ∂w l<br />

∂w ′ i<br />

∂w ′ k g jl ,<br />

also na<strong>ch</strong> dem Multiplikationssatz für Determinanten<br />

√<br />

det(gik ′ ) =<br />

( ∂w<br />

j )∣ ∣∣ √<br />

∣ det<br />

∂w ′ i det(gik ) .<br />

Die Behauptung folgt aus dem Transformationssatz für Integrale. QED<br />

10.7. Integration auf Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten. Seien nun (M, g)<br />

eine n-dimensionale Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, (ϕ, U) eine Karte und W =<br />

ϕ(U) ⊆ R n . Die Funktion f ∈ C 0 (M) habe kompakten Träger in U. Dann definiert<br />

man<br />

∫ ∫<br />

f dV g = f(ϕ −1 (w)) √ det(g ik (ϕ −1 (w))) dw . (10.7.1)<br />

M<br />

W<br />

Der Beweis des Lemmas in 10.6 zeigt, dass dieser Ausdruck unabhängig ist von<br />

der Wahl der verwendeten Karte. Hat allgemeiner f ∈ C 0 (M) kompakten Träger<br />

supp(f), der ni<strong>ch</strong>t notwendig in einer Karte enthalten ist, dann wählt man endli<strong>ch</strong><br />

88


viele Karten (ϕ α , U α ), deren Definitionsberei<strong>ch</strong>e U α den Träger von f überdecken,<br />

sowie eine den U α untergeordnete Partition der Eins {ϱ α } und definiert<br />

∫<br />

M<br />

f dV g = ∑ α<br />

∫<br />

M<br />

ϱ α f dV g . (10.7.2)<br />

Wir zeigen, dass diese Definition weder von der Wahl der Überdeckung des Trägers<br />

dur<strong>ch</strong> Karten no<strong>ch</strong> von der Wahl der Partition der Eins abhängt. Seien dazu<br />

(ϕ ′ β , V β) endli<strong>ch</strong> viele weitere Karten mit supp(f) ⊆ ⋃ β V β, und sei {σ β } eine<br />

diesen Karten untergeordnete Partition der Eins. Dann ist<br />

∑<br />

∫<br />

α<br />

M<br />

ϱ α f dV g = ∑ α<br />

∫<br />

∫<br />

= ∑ α,β<br />

= ∑ ∫<br />

β<br />

= ∑ ∫<br />

β<br />

M<br />

M<br />

M<br />

M<br />

( ∑<br />

σ β<br />

)ϱ α f dV g<br />

β<br />

σ β ϱ α f dV g<br />

( ∑<br />

ϱ α<br />

)σ β f dV g<br />

α<br />

σ β f dV g ,<br />

wie behauptet. Das Volumen von M wird definiert als das Integral der konstanten<br />

Funktion 1, also dur<strong>ch</strong><br />

∫<br />

vol(M) = dV g . (10.7.3)<br />

Diese Definition ist zunä<strong>ch</strong>st sinnvoll für kompakte Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten.<br />

Die praktis<strong>ch</strong>e Bere<strong>ch</strong>nung von Integralen erfolgt meist dur<strong>ch</strong> Zerlegen von M<br />

in parametrisierte Teilmengen, ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> explizite Konstruktion von Partitionen<br />

der Eins.<br />

Bemerkung. Die Abbildung f ↦→ ∫ M f dV g ist ein positives lineares Funktional<br />

auf dem Raum Cc 0 (M) der stetigen Funktionen mit kompaktem Träger. Na<strong>ch</strong> dem<br />

Rieszs<strong>ch</strong>en Darstellungssatz definiert sie also ein positives Maß auf der σ–Algebra<br />

der Borels<strong>ch</strong>en Mengen von M. Dieses Maß heißt das Lebesgues<strong>ch</strong>e Maß der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g). Damit stehen die Begriffe und Resultate der<br />

allgemeinen Maß– und Integrationstheorie auf Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten<br />

zur Verfügung. Man verglei<strong>ch</strong>e dazu etwa W. Rudins “Real and Complex Analysis”.<br />

Da man insbesondere ni<strong>ch</strong>tnegative messbare Funktionen integrieren kann,<br />

lässt si<strong>ch</strong> die Definition (10.7.1) au<strong>ch</strong> auf ni<strong>ch</strong>tkompakte Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten<br />

anwenden und liefert dann einen ni<strong>ch</strong>t notwendig endli<strong>ch</strong>en Wert für<br />

das Volumen von M.<br />

10.8. Isometrien. Wir erinnern zunä<strong>ch</strong>st an den bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.9 eingeführten<br />

Begriff des Pullbacks, und zwar im Spezialfall der (2, 0)–Tensorfelder. Ist A<br />

89<br />

M


ein sol<strong>ch</strong>es Tensorfeld auf einer Mannigfaltigkeit N, und ist φ ∈ C ∞ (M, N), dann<br />

heißt das dur<strong>ch</strong><br />

(φ ∗ A)(X 1 , X 2 ) = A((T φ)X 1 , (T φ)X 2 ) (10.8.1)<br />

für X 1 , X 2 ∈ T p M und p ∈ M definierte Tensorfeld φ ∗ A auf M der Pullback von A<br />

unter φ.<br />

Seien nun (M, g) und (N, h) Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten. Eine differenzierbare<br />

Abbildung φ : M → N heißt eine isometris<strong>ch</strong>e Immersion, wenn φ eine Immersion<br />

ist und gilt φ ∗ h = g. Isometris<strong>ch</strong>e Immersionen, die Einbettungen sind, nennt<br />

man isometris<strong>ch</strong>e Einbettungen, und isometris<strong>ch</strong>e Immersionen zwis<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten<br />

derselben Dimension heißen lokale Isometrien. Die Abbildung φ heißt<br />

eine Isometrie, wenn φ : M → N ein Diffeomorphismus ist und gilt φ ∗ h = g.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> nennt man (M, g) und (N, h) isometris<strong>ch</strong>, wenn eine Isometrie von M<br />

auf N existiert.<br />

Bemerkungen. (a) Na<strong>ch</strong> Definition des Pullbacks ist die Abbildung φ : M → N<br />

genau dann eine isometris<strong>ch</strong>e Immersion, wenn sie Skalarprodukte von Vektoren<br />

respektiert, wenn also für alle p ∈ M und alle X, Y ∈ T p M gilt<br />

h(φ(p))((T p φ)X, (T p φ)Y ) = g(p)(X, Y ) .<br />

Es ergibt si<strong>ch</strong> insbesondere, dass die erste Fundamentalform g einer Flä<strong>ch</strong>e M im<br />

R 3 (oder einer Untermannigfaltigkeit des R n ) der Pullback der Standardmetrik<br />

g R 3 unter der Inklusionsabbildung ι : M → R 3 ist. Daher ist ι eine isometris<strong>ch</strong>e<br />

Einbettung von (M, g) in (R 3 , g R 3).<br />

(b) Die Abbildung φ ist genau dann eine lokale Isometrie, wenn zu jedem Punkt<br />

p ∈ M eine Umgebung U von p existiert, so dass die Eins<strong>ch</strong>ränkung φ| U : U → φ(U)<br />

eine Isometrie ist. Das ergibt si<strong>ch</strong> unmittelbar aus dem Satz 4.2.(c) über inverse<br />

Funktionen.<br />

(c) Ist φ eine isometris<strong>ch</strong>e Immersion, dann gilt L(φ ◦ c) = L(c) für alle differenzierbaren<br />

Kurven c in M. Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 4.4 ist nämli<strong>ch</strong><br />

(φ ◦ c)˙(t) = T t (φ ◦ c) d (<br />

dt ∣ = (T c(t) φ) (T t c) d ) t<br />

dt∣ = (T c(t) φ)ċ(t) ,<br />

t<br />

und daher<br />

L(φ ◦ c) =<br />

=<br />

=<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

= L(c) .<br />

‖(φ ◦ c)˙(t)‖ dt<br />

‖(T φ)ċ(t)‖ dt<br />

‖ċ(t)‖ dt<br />

(d) Die Isometrien einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit auf si<strong>ch</strong> selbst bilden offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

eine Gruppe, die Isometriegruppe Isom(M, g) von (M, g).<br />

90


Eine Abbildung φ zwis<strong>ch</strong>en metris<strong>ch</strong>en Räumen (M, d) und (M, d ′ ) heißt abstandserhaltend,<br />

wenn für alle p, q ∈ M gilt<br />

d ′ (φ(p), φ(q)) = d(p, q) .<br />

Satz. Seien (M, g) und (M ′ , g ′ ) Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten, d und d ′ ihre<br />

Abstandsfunktionen, und sei φ : M → M ′ eine Abbildung.<br />

(a) Ist φ eine Isometrie, dann ist φ abstandserhaltend.<br />

(b) Ist umgekehrt φ bijektiv und abstandserhaltend, dann ist φ ∈ C ∞ (M, M ′ ) und<br />

eine Isometrie.<br />

Abstandserhaltende Bijektionen zwis<strong>ch</strong>en metris<strong>ch</strong>en Räumen nennt man oft ebenfalls<br />

Isometrien (metris<strong>ch</strong>er Räume). Der Satz besagt dann, dass Isometrien Riemanns<strong>ch</strong>er<br />

Mannigfaltigkeiten dasselbe sind wie Isometrien der ihnen entspre<strong>ch</strong>enden<br />

metris<strong>ch</strong>en Räume. Der Beweis der Aussage (a) ergibt si<strong>ch</strong> unmittelbar aus<br />

Bemerkung (c) und der Definition der Abstandsfunktionen. Der s<strong>ch</strong>wierigere Beweis<br />

der Umkehrung findet si<strong>ch</strong> in Kobayashi–Nomizu, “Foundations of Differential<br />

Geometry I”, S. 169–172. Der Beweis benutzt den Begriff der Geodätis<strong>ch</strong>en, auf<br />

den wir erst später eingehen werden.<br />

10.9. Beispiele. (a) Sei φ : R 3 → R 3 eine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung, also φ(x) =<br />

Ax + b mit einer orthogonalen Matrix A. Dann ist φ eine Isometrie von (R 3 , g R 3).<br />

Das ergibt si<strong>ch</strong> aus Teil (b) des Satzes in 10.8, oder dur<strong>ch</strong> direktes Na<strong>ch</strong>re<strong>ch</strong>nen:<br />

Mit den Standardbasisfeldern ∂/∂x i des R 3 ist<br />

( ∂<br />

φ ∗ (g R 3)<br />

∂x i , ∂<br />

) (<br />

∂x k = g R 3 (T φ) ∂ ∂<br />

)<br />

, (T φ)<br />

∂xi ∂x k<br />

( ∂φ<br />

j<br />

∂<br />

= g R 3<br />

∂x i ∂x j , ∂φl ∂<br />

)<br />

∂x k ∂x l<br />

= ∂φj ∂φ l ( ∂<br />

∂x i ∂x k g R 3 ∂x j , ∂<br />

)<br />

∂x l<br />

= ∑ j<br />

= δ ik<br />

= g R 3<br />

∂φ j<br />

∂x i ∂φ j<br />

∂x k<br />

( ∂<br />

∂x i , ∂<br />

)<br />

∂x k ,<br />

weil (∂φ i /∂x j ) = A eine orthogonale Matrix ist. Als Folgerung ergibt si<strong>ch</strong>: Sind<br />

M und N Flä<strong>ch</strong>en im R 3 mit ersten Fundamentalformen g M und g N , und gilt<br />

φ(M) = N, dann ist die Eins<strong>ch</strong>ränkung φ| M eine Isometrie von (M, g M ) auf (N, g N ).<br />

Nennt man Flä<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung ineinander überführen<br />

lassen, kongruent, dann gilt also: Kongruente Flä<strong>ch</strong>en sind isometris<strong>ch</strong>.<br />

91


(b) Aufwickeln eines Papierstreifens um einen Zylinder ist eine lokale Isometrie: Sei<br />

M = R 2 × {0} ⊆ R 3 , und sei M ′ der Kreiszylinder<br />

Dann ist die Abbildung φ : M → M ′ mit<br />

M ′ = { (x 1 , x 2 , x 3 ) | (x 1 ) 2 + (x 2 ) 2 = 1 } .<br />

φ<br />

⎛<br />

⎝ w1<br />

w 2<br />

0<br />

⎞ ⎛ ⎞<br />

cos w1<br />

⎠ = ⎝ sin w 1 ⎠<br />

w 2<br />

eine lokale Isometrie. Man re<strong>ch</strong>net dazu etwa na<strong>ch</strong>, dass die Orthonormalbasis<br />

∂/∂w 1 | p , ∂/∂w 2 | p des Tangentialraumes T p M dur<strong>ch</strong> die Ableitung T p φ in eine Orthonormalbasis<br />

von T φ(p) M abgebildet wird. Isometris<strong>ch</strong>e Flä<strong>ch</strong>en im R 3 sind also<br />

ni<strong>ch</strong>t notwendig kongruent.<br />

(c) Katenoid und Helikoid. Als Katenoid oder Kettenflä<strong>ch</strong>e bezei<strong>ch</strong>net man die<br />

dur<strong>ch</strong> Rotation der sogenannten Kettenlinie um die x 3 –A<strong>ch</strong>se entstehende Drehflä<strong>ch</strong>e.<br />

Wählt man als Definitionsberei<strong>ch</strong> der lokalen Parametrisierung<br />

⎛<br />

ψ(w 1 , w 2 ) = ⎝ cos ⎞ ⎛<br />

w1 − sin w 1 0<br />

sin w 1 cos w 1 0 ⎠ ⎝<br />

0 0 1<br />

⎞ ⎛<br />

cosh w2<br />

0 ⎠ =<br />

w 2<br />

⎝ cos w1 cosh w 2<br />

sin w 1 cosh w 2<br />

w 2<br />

den Parameterberei<strong>ch</strong> W = (0, 2π) × R, dann ist das Bild M = ψ(W ) das Katenoid<br />

ohne den “Meridian” w 1 = 0. Mit<br />

g ik ◦ ψ =<br />

〈 ∂ψ<br />

∂w i , ∂ψ<br />

∂w k 〉<br />

bere<strong>ch</strong>net man für die Koeffizienten der ersten Fundamentalform g 12 = 0 und<br />

g 11 (ψ(w 1 , w 2 )) = g 22 (ψ(w 1 , w 2 )) = (cosh w 2 ) 2 .<br />

Das Helikoid (die Wendelflä<strong>ch</strong>e) entsteht aus der x 1 –A<strong>ch</strong>se im R 3 dur<strong>ch</strong> “Vers<strong>ch</strong>rauben”<br />

entlang der x 3 –A<strong>ch</strong>se:<br />

⎛<br />

¯ψ(w 1 , w 2 ) = ⎝ cos ⎞ ⎛ ⎞ ⎛<br />

w1 − sin w 1 0<br />

sin w 1 cos w 1 0 ⎠ ⎝ w2<br />

0 ⎠ +<br />

0 0 1 0<br />

Für die erste Fundamentalform ergibt si<strong>ch</strong><br />

⎝ 0 ⎞<br />

0 ⎠ =<br />

w 1<br />

ḡ 11 ( ¯ψ(w 1 , w 2 )) = 1 + (w 2 ) 2 , ḡ 12 = 0 und ḡ 22 = 1 .<br />

⎛<br />

⎝ w2 cos w 1<br />

w 2 sin w 1<br />

w 1<br />

Nimmt man als Parameterberei<strong>ch</strong> die Menge ¯W = (0, 2π) × R, dann ist das Bild<br />

¯M = ¯ψ( ¯W ) eine “volle Windung” der Wendelflä<strong>ch</strong>e.<br />

92<br />

⎞<br />

⎠<br />

⎞<br />

⎠ .


Wir zeigen nun, dass die Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten (M, g) und ( ¯M, ḡ) isometris<strong>ch</strong><br />

sind. Gesu<strong>ch</strong>t ist also eine Isometrie φ : M → ¯M. Wir su<strong>ch</strong>en stattdessen<br />

den Diffeomorphismus α = ¯ψ −1 ◦φ◦ψ von W auf ¯W und formulieren die Bedingung<br />

φ ∗ ḡ = g um in ein Glei<strong>ch</strong>ungssystem für α. Es ist<br />

φ ∗ ḡ = g ⇐⇒ ( ¯ψ ◦ α ◦ ψ −1 ) ∗ ḡ = g<br />

⇐⇒ (ψ −1 ) ∗ α ∗ ¯ψ∗ḡ = g<br />

⇐⇒ α ∗ ¯ψ∗ḡ = ψ ∗ g<br />

⇐⇒ ∀i, j : ( ¯ψ<br />

(<br />

∗ ḡ)<br />

(T α) ∂ ∂<br />

)<br />

, (T α)<br />

∂wi ∂w j<br />

( ∂<br />

= (ψ ∗ g)<br />

∂w i ,<br />

∂<br />

)<br />

∂w j<br />

∂α k ∂α l<br />

⇐⇒ ∀i, j :<br />

∂w i ∂w j ḡkl ◦ ¯ψ ◦ α = g ij ◦ ψ<br />

⎧ ( ∂α<br />

1 ) 2(1 ( ∂α<br />

⎪⎨ + (α 2<br />

∂w<br />

⇐⇒<br />

1 ) 2 2 ) 2<br />

) + = (cosh w 2<br />

∂w 1 ) 2<br />

(<br />

⎪⎩ ∂α<br />

1 ) 2(1 ( ∂α + (α 2<br />

∂w 2 ) 2 2 ) 2<br />

) + = (cosh w 2<br />

∂w 2 ) 2<br />

Die Glei<strong>ch</strong>ung φ ∗ ḡ = g übersetzt si<strong>ch</strong> also in ein ni<strong>ch</strong>tlineares System partieller<br />

Differentialglei<strong>ch</strong>ungen erster Ordnung für α. Für derartige Systeme kann man<br />

ni<strong>ch</strong>t allgemein die Existenz von Lösungen erwarten—s<strong>ch</strong>on weil beliebige Flä<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t lokal isometris<strong>ch</strong> sein müssen. Im vorliegenden Fall führt aber der Ansatz<br />

α 1 (w 1 , w 2 ) = a(w 1 ), α 2 (w 1 , w 1 ) = b(w 2 ) zur Lösung α(w 1 , w 1 ) = (w 1 , sinh w 2 ). Es<br />

sei angemerkt, dass diese Isometrie ni<strong>ch</strong>t dem Zufall entspringt: Katenoid und Helikoid<br />

sind Beispiele zueinander assoziierter Minimalflä<strong>ch</strong>en, und derartige Flä<strong>ch</strong>en<br />

sind stets lokal isometris<strong>ch</strong>.<br />

10.10. Einbettungssatz von Nash. Der Whitneys<strong>ch</strong>e Einbettungssatz aus<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 8.7 zeigt, dass jede differenzierbare Mannigfaltigkeit diffeomorph ist zu<br />

einer Untermannigfaltigkeit eines R m . Eine viel weiter gehende Aussage ma<strong>ch</strong>t<br />

der Einbettungssatz von John Nash (1956). Er besagt, dass jede Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit (M, g) isometris<strong>ch</strong> in einen R m , versehen mit der Standardmetrik<br />

g R m, eingebettet werden kann. Insbesondere ist also (M, g) isometris<strong>ch</strong> zu einer<br />

Untermannigfaltigkeit des R m , versehen mit der ersten Fundamentalform. Ist<br />

dabei M von der Klasse C ∞ und n–dimensional, dann genügt die Dimension m =<br />

(n + 2)(n + 3)/2, und speziell im Fall n = 2 ist m = 6 ausrei<strong>ch</strong>end.<br />

Aufgaben<br />

1. Flä<strong>ch</strong>eninhalt von Rotationsflä<strong>ch</strong>en. (a) Sei M ⊆ R 3 eine Rotationsflä<strong>ch</strong>e,<br />

deren erzeugende Kurve c : [0, l] → M na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert ist. Der<br />

Abstand des Punktes c(s) zur Rotationsa<strong>ch</strong>se werde mit ρ(s) bezei<strong>ch</strong>net. Zeigen<br />

Sie, dass der Flä<strong>ch</strong>eninhalt von M gegeben ist dur<strong>ch</strong><br />

2π<br />

∫ l<br />

0<br />

ρ(s) ds .<br />

93


(b) Bere<strong>ch</strong>nen Sie den Flä<strong>ch</strong>eninhalt des Rotationstorus aus Abs<strong>ch</strong>nitt 2.5.<br />

2. Killingfelder. Ein Vektorfeld X ∈ V(M) auf einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g) heißt ein Killingfeld (oder eine “infinitesimale Isometrie”), wenn sein<br />

Fluss φ t aus Isometrien besteht, wenn also gilt L X g = 0 (siehe 7.9). Zeigen Sie,<br />

dass die Menge aller Killingfelder auf M eine Unterliealgebra der Liealgebra V(M)<br />

bildet, also einen Untervektorraum, der bezügli<strong>ch</strong> der Lieklammer abges<strong>ch</strong>lossen ist.<br />

3. Volumen. Zeigen Sie, dass isometris<strong>ch</strong>e Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten dasselbe<br />

Volumen haben.<br />

4. Beispiel. Geben Sie ein Beispiel einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit, die zur<br />

Einheitssphäre S 2 ⊆ R 3 lokal isometris<strong>ch</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t zu einer Teilmenge von S 2<br />

isometris<strong>ch</strong> ist.<br />

5. Invariante Metriken auf Liegruppen. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g auf<br />

einer Liegruppe G (siehe Aufgabe 3 zu Kapitel 2) heißt linksinvariant, wenn alle<br />

Linkstranslationen L a : G → G, L a (b) = ab für a, b ∈ G Isometrien sind. Sie<br />

heisst re<strong>ch</strong>tsinvariant, wenn alle Re<strong>ch</strong>tstranslationen R a (b) = ba Isometrien sind,<br />

und biinvariant, wenn sie zuglei<strong>ch</strong> links- und re<strong>ch</strong>tsinvariant ist.<br />

(a) Zeigen Sie, dass es zu jedem Skalarprodukt 〈·, ·〉 auf dem Tangentialraum T e G<br />

im neutralen Element e genau eine linksinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g auf G gibt<br />

mit g(e) = 〈·, ·〉.<br />

(b) Die orthogonale Gruppe O(n) ist eine Untermannigfaltigkeit des R n×n . Zeigen<br />

Sie, dass ihre erste Fundamentalform biinvariant ist.<br />

(c) Die Liegruppe GL(n, R) der invertierbaren reellen n × n–Matrizen ist eine offene<br />

Teilmenge des R n×n . Daher kann die linksinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf<br />

GL(n, R), die na<strong>ch</strong> Teil (a) dem Standardskalarprodukt auf T e GL(n, R) ∼ = R n×n<br />

entspri<strong>ch</strong>t, in den Standardkoordinaten x ij des R n×n ges<strong>ch</strong>rieben werden als<br />

g =<br />

n∑<br />

i,j,k,l=1<br />

g ij,kl dx ij ⊗ dx kl .<br />

Bestimmen Sie die Komponentenfunktionen g ij,kl .<br />

6. Hyperbolis<strong>ch</strong>e Ebene. Sei M = {(x, y) ∈ R 2 | y > 0} mit der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Metrik g = (dx ⊗ dx + dy ⊗ dy)/y 2 . Die Gruppe SL(2, R) operiert auf M vermöge<br />

φ A (z) = az + b<br />

cz + d<br />

( )<br />

a b<br />

wobei A = ∈ SL(2, R) und z = x + iy ∈ C<br />

c d<br />

∼ = R 2 . Zeigen Sie:<br />

(a) Die Operation ist isometris<strong>ch</strong>, d.h. jedes φ A ist eine Isometrie.<br />

(b) Die Operation ist transitiv auf dem Einheitstangentialbündel von M, d.h. für<br />

alle X, Y ∈ T M mit ‖X‖ = ‖Y ‖ = 1 existiert ein A ∈ SL(2, R) mit (T φ A )(X) = Y .<br />

94


11. Gaußabbildung und zweite Fundamentalform<br />

Neben der dur<strong>ch</strong> die erste Fundamentalform bes<strong>ch</strong>riebenen inneren Geometrie einer<br />

Flä<strong>ch</strong>e M im R 3 gibt es geometris<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften, die isometris<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t kongruente<br />

Flä<strong>ch</strong>en (wie z. B. ein Kreiszylinderstück und ein dazu isometris<strong>ch</strong>es ebenes<br />

Gebiet) voneinander unters<strong>ch</strong>eiden. Diese “extrinsis<strong>ch</strong>en” Eigens<strong>ch</strong>aften leiten si<strong>ch</strong><br />

ab von der Gaußabbildung, einer Abbildung von M in die zweidimensionale Einheitssphäre,<br />

die jedem Punkt p von M im wesentli<strong>ch</strong>en einen Einheitsnormalenvektor<br />

n(p) der Flä<strong>ch</strong>e in p zuordnet. Wie n(p) si<strong>ch</strong> in Abhängigkeit von p ändert, wird<br />

bes<strong>ch</strong>rieben dur<strong>ch</strong> die Weingartenabbildung von M, aus der ein (2, 0)–Tensorfeld,<br />

die zweite Fundamentalform von M gebildet wird. Diese zweite Fundamentalform<br />

ist im nä<strong>ch</strong>sten Kapitel Ausgangspunkt der Krümmungstheorie für Flä<strong>ch</strong>en.<br />

Im vorliegenden Abs<strong>ch</strong>nitt führen wir na<strong>ch</strong> allgemeinen Bemerkungen zur Orientierbarkeit<br />

von Mannigfaltigkeiten die genannten Begriffe ein und geben explizite<br />

Formeln. Wir zeigen dann, dass die erste und die zweite Fundamentalform zusammen<br />

genommen eine Flä<strong>ch</strong>e bis auf Kongruenz bestimmen. Der Inhalt des Kapitels<br />

läßt si<strong>ch</strong> ohne Mühe von Flä<strong>ch</strong>en im R 3 auf Hyperflä<strong>ch</strong>en im R n , also Untermannigfaltigkeiten<br />

der Kodimension Eins, übertragen.<br />

11.1. Orientierungen. Sei V ein endli<strong>ch</strong>dimensionaler reeller Vektorraum. Zwei<br />

Basen (e 1 , . . . , e n ) und (e ′ 1, . . . , e ′ n) von V heißen glei<strong>ch</strong> orientiert, wenn die den<br />

Basiswe<strong>ch</strong>sel<br />

∑<br />

vermittelnde Matrix positive Determinante hat, wenn also gilt e ′ i =<br />

aki e k mit det(a ki ) > 0. Diese Beziehung definiert eine Äquivalenzrelation auf<br />

der Menge der Basen. Jede der beiden Äquivalenzklassen heißt eine Orientierung<br />

des Vektorraumes V ,<br />

O = [(e 1 , . . . , e n )] .<br />

Basen mit [(e 1 , . . . , e n )] ∈ O nennt man positiv orientiert bezügli<strong>ch</strong> der Orientierung<br />

O. Eine Orientierung einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ist eine Menge<br />

{O p | p ∈ M} von Orientierungen O p der Tangentialräume T p M mit folgender<br />

Stetigkeitseigens<strong>ch</strong>aft: Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p<br />

und ein stetiges Basisfeld (X 1 , . . . , X n ) auf U mit<br />

[(X 1 (p), . . . , X n (p))] = O p .<br />

Die Mannigfaltigkeit M heißt orientierbar, wenn eine Orientierung von M existiert.<br />

Eine orientierte Mannigfaltigkeit s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist ein Paar, bestehend aus einer differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit M und einer Orientierung von M.<br />

Lemma. Sei M zusammenhängend und orientierbar. Dann existieren genau zwei<br />

Orientierungen auf M.<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

95


Beweis. Jeder Vektorraum hat offenbar genau zwei Orientierungen. Sind {O p } und<br />

{O ′ p} zwei Orientierungen von M, dann ist die Menge {p ∈ M | O p = O ′ p} zuglei<strong>ch</strong><br />

offen und abges<strong>ch</strong>lossen in M. Da M zusammenhängend ist, ist sie leer oder stimmt<br />

mit ganz M überein. QED<br />

Lemma. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit (M, A) ist genau dann orientierbar,<br />

wenn es einen Atlas A + ⊆ A gibt, dessen Kartenwe<strong>ch</strong>sel positive Funktionaldeterminanten<br />

haben: det(D( ˜ϕ ◦ ϕ −1 )) > 0 für alle (ϕ, U) und ( ˜ϕ, Ũ) ∈ A+ . Maximale<br />

Atlanten A + ⊆ A mit dieser Eigens<strong>ch</strong>aft entspre<strong>ch</strong>en bijektiv den Orientierungen<br />

von M.<br />

Beweis. Sei {O p | p ∈ M} eine Orientierung. Wir definieren einen Atlas A + dur<strong>ch</strong><br />

A + = { (ϕ, U) ∈ A ∣ ∣ [(<br />

∣ ∣<br />

∂ ∣∣∣p ∂ ∣∣∣p )]<br />

∂x 1 , . . . ,<br />

∂x n = O p für alle p ∈ U } .<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>nen ∂/∂x i die Basisfelder der Karte ϕ. Sind (ϕ, U) und ( ˜ϕ, Ũ) ∈ A+ ,<br />

und sind ∂/∂x i und ∂/∂˜x i die entspre<strong>ch</strong>enden Basisfelder, dann gilt für p ∈ U ∩ Ũ<br />

∂<br />

∂˜x i ∣ ∣∣∣p<br />

= ∂xk<br />

∂˜x i (ϕ(p))<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣p<br />

.<br />

Na<strong>ch</strong> Definition von A + hat die Matrix (∂x k /∂˜x i ) positive Determinante. Diese<br />

Matrix ist aber die Matrix der Ableitung D(ϕ ◦ ˜ϕ −1 )(ϕ(p)). Also hat der Atlas A +<br />

die gewüns<strong>ch</strong>te Eigens<strong>ch</strong>aft. Die umgekehrte Implikation ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. QED<br />

Bemerkung. Ein lokaler Diffeomorphismus φ : M → N zwis<strong>ch</strong>en orientierten<br />

Mannigfaltigkeiten heißt orientierungserhaltend, wenn für jeden Punkt p ∈ M die<br />

Ableitung T p φ positiv orientierte Basen von T p M in positiv orientierte Basen von<br />

T φ(p) N abbildet. Im Beweis des Lemmas ist A + die Menge aller orientierungserhaltenden<br />

Karten in A, wobei R n mit der dur<strong>ch</strong> die Standardbasis definierten Standardorientierung<br />

versehen ist. Denn die Ableitung T p ϕ einer Karte ϕ bildet die zur<br />

Karte gehörenden Basisfelder ∂/∂x i in die Standardbasisfelder des R n ab.<br />

11.2. Gaußabbildung. Ist M ⊆ R 3 eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e, dann existiert genau<br />

eine Abbildung ν : M → T R 3 mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Es gilt<br />

ν(p) ∈ T p R 3 , ν(p) ⊥ T p M und ‖ν(p)‖ = 1<br />

für alle p ∈ M und bezügli<strong>ch</strong> der Standardmetrik g R 3 des R 3 , und für jede positiv<br />

orientierte Basis (X 1 , X 2 ) von T p M ist (X 1 , X 2 , ν(p)) eine positiv orientierte Basis<br />

von T p R 3 . Die Abbildung ν ist also ein Einheitsnormalenfeld, das im bes<strong>ch</strong>riebenen<br />

Sinne mit der Orientierung von M und der Standardorientierung des R 3 verträgli<strong>ch</strong><br />

ist. S<strong>ch</strong>reibt man unter Verwendung der Standardbasisfelder ∂/∂x l des R 3<br />

ν(p) = n l (p)<br />

96<br />

∂<br />

∂x l ∣ ∣∣∣p<br />

,


dann erhält man eine differenzierbare Abbildung<br />

n =<br />

⎛<br />

⎝ n1<br />

⎞<br />

n 2 ⎠ : M → S 2 ⊆ R 3<br />

n 3<br />

mit Werten in der Einheitssphäre. Diese Abbildung heißt die Gaußabbildung von M.<br />

Ist ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine orientierungserhaltende lokale Parametrisierung,<br />

dann gilt offenbar<br />

n(p) = ∥<br />

∂ψ<br />

∂w 1<br />

∥ ∂ψ<br />

∂w 1<br />

× ∂ψ<br />

∂w 2<br />

× ∂ψ<br />

∂w 2 ∥ ∥<br />

(ψ −1 (p)).<br />

11.3. Kovariante Ableitung auf R n . Sei Y ein differenzierbares Vektorfeld auf<br />

R n . Bezügli<strong>ch</strong> der Standardbasisfelder ist dann Y = Y j ∂/∂x j . Für X p ∈ T p R n<br />

definiert man die kovariante Ableitung von Y na<strong>ch</strong> X p dur<strong>ch</strong> Differentiation der<br />

Komponentenfunktionen,<br />

∇ Xp Y = X p (Y j )<br />

∂<br />

∂x j ∣ ∣∣∣p<br />

∈ T p R n .<br />

Ist c : [0, 1] → R n eine differenzierbare Kurve mit c(0) = p und ċ(0) = X p , dann<br />

gilt X p (Y j ) = (Y j ◦ c) ′ (0). Daher hängt der Wert ∇ Xp Y ni<strong>ch</strong>t von Y , sondern nur<br />

von der Eins<strong>ch</strong>ränkung von Y auf das Bild der Kurve c ab.<br />

Für Vektorfelder X und Y auf R n definiert man ein Vektorfeld ∇ X Y dur<strong>ch</strong><br />

(∇ X Y )(p) = ∇ X(p) Y .<br />

Man verifiziert die folgende Produktregel für die Standardmetrik g R n des R n :<br />

X(g R n(Y, Z)) = g R n(∇ X Y, Z) + g R n(Y, ∇ X Z) .<br />

11.4. Weingartenabbildung und zweite Fundamentalform. Sei M ⊆ R 3<br />

eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e, versehen mit dem Einheitsnormalenfeld ν aus Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

11.2, und sei X p ∈ T p M ⊆ T p R 3 . Dann ist die Ableitung ∇ Xp ν ∈ T p R 3 wohldefiniert.<br />

Na<strong>ch</strong> der Produktregel aus 11.3 ist<br />

0 = X p (g R 3(ν, ν)) = 2 g R 3(∇ Xp ν, ν(p)) .<br />

Der Vektor ∇ Xp ν ist also orthogonal zu ν(p), und damit ist ∇ Xp ν ∈ T p M.<br />

Definition. Die differenzierbare Abbildung L : T M → T M,<br />

L(X p ) = −∇ Xp ν<br />

97


heißt die Weingartenabbildung oder der Shape–Operator der orientierten Flä<strong>ch</strong>e M.<br />

Das mit Hilfe der ersten Fundamentalform g von M dur<strong>ch</strong><br />

II(X, Y ) = g(LX, Y ) = g(−∇ X ν, Y )<br />

definierte (2, 0)–Tensorfeld II auf M heißt die zweite Fundamentalform von M.<br />

Der Vektor LX p misst die “Kippges<strong>ch</strong>windigkeit” der Normalen ν in Ri<strong>ch</strong>tung X p ∈<br />

T p M. Sowohl ν als au<strong>ch</strong> L und II ändern offenbar das Vorzei<strong>ch</strong>en bei We<strong>ch</strong>sel der<br />

Orientierung von M.<br />

11.5. Bere<strong>ch</strong>nung von L und II. Sei ψ : W → U ⊆ M eine orientierungserhaltende<br />

lokale Parametrisierung. Dann ist<br />

II =<br />

2∑<br />

h ik dw i ⊗ dw k (11.5.1)<br />

i,k=1<br />

mit gewissen Funktionen h ik auf U. Wir bere<strong>ch</strong>nen die Komponenten h ik . Zunä<strong>ch</strong>st<br />

ist<br />

( ∣ ∣ ∂ ∣∣∣p ∂ ∣∣∣p )<br />

h ik (p) = II<br />

∂w i ,<br />

∂w k<br />

(<br />

= g − ∇ ∂<br />

|<br />

ν,<br />

∂w i p<br />

= −g R 3<br />

( 3∑<br />

l=1<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂w k<br />

( ∂<br />

∂w i ∣ ∣∣∣p<br />

n l)<br />

∂<br />

∂x l ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

3∑ ∂ψ m<br />

∂w k (w) ∂<br />

)<br />

∂x m | p<br />

Dabei ist p = ψ(w), die n l sind die in Abs<strong>ch</strong>nitt 11.2 definierten Komponenten von<br />

ν, und wir haben Glei<strong>ch</strong>ung (10.2.1) verwendet. Wegen<br />

m=1<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p<br />

∂w i n l = ∂(nl ◦ ψ)<br />

∂w i (w)<br />

ergibt si<strong>ch</strong>, wenn wir das Standardskalarprodukt des R 3 mit spitzen Klammern<br />

bezei<strong>ch</strong>nen,<br />

3∑ ∂(n l ◦ ψ)<br />

h ik (p) = −<br />

∂w i (w) ∂ψl<br />

∂w k (w)<br />

l=1<br />

〈 ∂(n ◦ ψ) ∂ψ<br />

〉<br />

= −<br />

∂w i (w),<br />

∂w k (w) 〈<br />

∂ 2 ψ<br />

〉<br />

= (n ◦ ψ)(w),<br />

∂w i ∂w k (w) .<br />

Das Resultat lautet also<br />

h ik (p) =<br />

〈<br />

∂ 2 ψ<br />

〉<br />

n(p),<br />

∂w i ∂w k (ψ−1 (p)) . (11.5.2)<br />

98


Folgerung. Die zweite Fundamentalform II ist symmetris<strong>ch</strong>. Für jeden Punkt<br />

p ∈ M ist die Weingartenabbildung L p : T p M → T p M ein selbstadjungierter Endomorphismus<br />

des euklidis<strong>ch</strong>en Vektorraumes (T p M, g(p)).<br />

Die Weingartenabbildung L fassen wir als ein (1, 1)–Tensorfeld (siehe Beispiel (b)<br />

in 5.1) auf und s<strong>ch</strong>reiben<br />

L =<br />

2∑<br />

L k i dw i ⊗<br />

∂<br />

∂w k , (11.5.3)<br />

i,k=1<br />

also<br />

für<br />

LX =<br />

∣ 2∑<br />

L k i (p) dw i ∂ ∣∣∣p<br />

(X)<br />

∂w k =<br />

i,k=1<br />

X =<br />

2∑<br />

j=1<br />

X j<br />

2∑<br />

L k i (p) X i<br />

i,k=1<br />

∂<br />

∂w j ∣ ∣∣∣p<br />

∈ T p M.<br />

∂<br />

∂w k ∣ ∣∣∣p<br />

Wir bere<strong>ch</strong>nen die Komponenten L i k . Sei<br />

Y =<br />

2∑<br />

k=1<br />

Y k<br />

∂<br />

∂w k ∣ ∣∣∣p<br />

∈ T p M.<br />

Dann ist<br />

II(X, Y ) = g(LX, Y )<br />

= g(X i L i j (p)<br />

∂<br />

∂w j ∣ ∣∣∣p<br />

, Y k<br />

= X i L i j (p)Y k g jk (p) .<br />

∂<br />

∂w k ∣ ∣∣∣p<br />

)<br />

Der Verglei<strong>ch</strong> mit II(X, Y ) = X i Y k h ik (p) ergibt, da X, Y beliebig sind,<br />

2∑<br />

h ik = L j i g jk . (11.5.4)<br />

Sei nun (g ij ) i,j=1,2 die zu (g ij ) inverse Matrix. Glei<strong>ch</strong>ung (11.5.4) liefert<br />

j=1<br />

∑<br />

h ik g km = ∑ L j i g jk g km<br />

k<br />

k,j<br />

= ∑ ( ∑<br />

g jk g km) j<br />

L i<br />

j<br />

k<br />

= ∑ δ m j j L i<br />

j<br />

m<br />

= L i<br />

99


und damit als Ergebnis<br />

2∑<br />

L k i = h ij g jk . (11.5.5)<br />

j=1<br />

11.6. Ableitung der Gaußabbildung. Seien n : M → S 2 die Gaußabbildung<br />

der Flä<strong>ch</strong>e M. Wir bestimmen ihre Ableitung T p n : T p M → T n(p) S 2 im Punkt<br />

p ∈ M. Die Tangentialebene an M in p ist parallel zur Tangentialebene an die<br />

Sphäre S 2 im Punkt n(p). Bezügli<strong>ch</strong> der Standardkoordinaten auf R 3 ist<br />

{ 3∑<br />

T n(p) S 2 =<br />

i=1<br />

v i<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣n(p)<br />

∣ }<br />

∣∣ 〈n(p), v〉 = 0<br />

∂x i ,<br />

wobei v = (v 1 , v 2 , v 3 ) T . Wir definieren eine Abbildung θ p : T p M → T n(p) S 2 dur<strong>ch</strong><br />

θ p<br />

( 3∑<br />

i=1<br />

v i<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂x i =<br />

3∑<br />

i=1<br />

v i<br />

∂<br />

∂x i ∣<br />

∣∣∣n(p)<br />

.<br />

Geometris<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> θ p bes<strong>ch</strong>reiben als euklidis<strong>ch</strong>e Parallelvers<strong>ch</strong>iebung von T p M<br />

in den Tangentialraum T n(p) S 2 .<br />

Lemma. Für die Ableitung der Gaußabbildung n gilt mit L p := L| TpM<br />

T p n = −θ p ◦ L p . (11.6.1)<br />

Beweis. Ist ψ : W → M eine lokale Parametrisierung an p, dann gilt<br />

( ∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

(T p n)<br />

∂w i =<br />

3∑<br />

k=1<br />

Andererseits ist na<strong>ch</strong> Definition von ∇<br />

( ∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

L<br />

∂w i = −∇ ∂<br />

|<br />

ν<br />

∂w i p<br />

= −<br />

= −<br />

3∑<br />

k=1<br />

3∑<br />

k=1<br />

∂(n k ◦ ψ)<br />

∂w i (ψ −1 (p))<br />

( ∂<br />

∂w i ∣ ∣∣∣p<br />

n k)<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣p<br />

∂(n k ◦ ψ)<br />

∂w i (ψ −1 (p))<br />

Die Behauptung folgt aus der Definition von θ p . QED<br />

100<br />

∂<br />

∂x k ∣<br />

∣∣∣n(p)<br />

.<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣p<br />

.


Verglei<strong>ch</strong>t man diese Re<strong>ch</strong>nung und<br />

( ∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

L<br />

∂w i =<br />

=<br />

3∑<br />

L j i (p)<br />

j=1<br />

2∑<br />

L j i (p)<br />

j=1<br />

∂<br />

∂w j ∣ ∣∣∣p<br />

3∑<br />

k=1<br />

∂ψ k<br />

∂w j (ψ−1 (p))<br />

so ergeben si<strong>ch</strong> die Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen von Weingarten<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

∂(n ◦ ψ)<br />

∂w i<br />

= −<br />

2∑<br />

j=1<br />

L i j ◦ψ ∂ψ<br />

∂w j . (11.6.2)<br />

11.7. Verhalten von L und II bei euklidis<strong>ch</strong>en Bewegungen. Seien M<br />

und N zusammenhängende orientierte Flä<strong>ch</strong>en im R 3 , die dur<strong>ch</strong> eine euklidis<strong>ch</strong>e<br />

Bewegung φ(x) = Ax + b des R 3 ineinander abgebildet werden, so dass φ(M) = N<br />

ist. Seien ν M und ν N ihre Einheitsnormalenfelder wie in 11.2. Dann ist offenbar<br />

ν N ◦ φ| M = ± T φ ◦ ν M , (11.7.1)<br />

wobei je na<strong>ch</strong> Orientierung das eine oder andere Vorzei<strong>ch</strong>en zu nehmen ist.<br />

Proposition. Seien L M und L N die Weingartenabbildungen der Flä<strong>ch</strong>en M und<br />

N, und seien II M , II N ihre zweiten Fundamentalformen. Dann gilt mit demselben<br />

Vorzei<strong>ch</strong>en wie in (11.7.1)<br />

(T φ) ◦ L M = ± L N ◦ (T φ)<br />

(φ| M ) ∗ II N = ± II M .<br />

(11.7.2)<br />

Für den Beweis verwenden wir das folgende<br />

Lemma. Sei X ∈ T R n , und sei Y ∈ V(R n ) ein differenzierbares Vektorfeld. Sei<br />

ferner φ(x) = Ax+b eine affine Abbildung des R n , also A ∈ GL(n, R) und b ∈ R n .<br />

Dann gilt<br />

(T φ)(∇ X Y ) = ∇ (T φ)X (φ ∗ Y ) . (11.7.3)<br />

Dabei ist das Vektorfeld φ ∗ Y wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.7 definiert als<br />

φ ∗ Y = (T φ) ◦ Y ◦ φ −1 .<br />

Korollar. Sind X und Y ∈ V(R n ) differenzierbare Vektorfelder, dann gilt für jede<br />

affine Abbildung φ des R n φ ∗ (∇ X Y ) = ∇ (φ∗X)(φ ∗ Y ) . (11.7.4)<br />

101


Man erhält also dasselbe Ergebnis, wenn man zuerst kovariant ableitet und dann<br />

φ (in Gestalt von φ ∗ ) anwendet, wie wenn man zunä<strong>ch</strong>st φ auf X und Y anwendet<br />

und dana<strong>ch</strong> kovariant ableitet: Das Anwenden affiner Abbildungen kommutiert,<br />

grob gespro<strong>ch</strong>en, mit der kovarianten Ableitung. Und man kann lei<strong>ch</strong>t zeigen<br />

(Aufgabe 2), dass diese Eigens<strong>ch</strong>aft die affinen Abbildungen des R n unter allen<br />

Diffeomorphismen <strong>ch</strong>arakterisiert.<br />

Zum Beweis des Lemmas sei etwa X ∈ T p R n und Y = Y k ∂/∂x k . Dann ist<br />

(<br />

(T φ)(∇ X Y ) = (T φ) X(Y k )<br />

= X(Y k ) ∂φl<br />

∂x k (p)<br />

= X(Y k ) A l k<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂x k<br />

∂<br />

∂x l ∣<br />

∣∣∣φ(p)<br />

∂<br />

∂x l ∣<br />

∣∣∣φ(p)<br />

.<br />

Andererseits ist<br />

(<br />

(φ ∗ Y )(q) = (T φ) Y k (φ −1 (q))<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣φ )<br />

∂x k −1 (q)<br />

= Y k (φ −1 (q)) ∂φl<br />

∂x k (φ−1 (q))<br />

∂<br />

∂x l ∣ ∣∣∣q<br />

,<br />

also<br />

φ ∗ Y = (Y k ◦ φ −1 ) A l ∂<br />

k<br />

∂x l .<br />

Da die Matrixkoeffizienten A l k konstant sind, erhält man<br />

∣<br />

∇ (T φ)X (φ ∗ Y ) = ((T φ)X)((Y k ◦ φ −1 ) A l k ) ∂ ∣∣∣φ(p)<br />

∂x l<br />

∣ ,<br />

= X(Y k ) A l ∂ ∣∣∣φ(q)<br />

k<br />

∂x l<br />

und das Lemma ist bewiesen. QED<br />

Mit Hilfe des Lemmas und der Glei<strong>ch</strong>ung (11.7.1) ergibt si<strong>ch</strong> die Proposition wie<br />

folgt. Es ist<br />

(T φ)(L M X) = (T φ)(−∇ X ν M )<br />

= −∇ (T φ)X (T φ ◦ ν M ◦ φ −1 )<br />

= ∓ ∇ (T φ)X ν N<br />

= ± L N ((T φ)X) .<br />

102


Für die zweiten Fundamentalformen erhält man mit Beispiel 10.9.(a) s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

((φ| M ) ∗ ( )<br />

II N )(X, Y ) = II N (T φ)X, (T φ)Y<br />

(<br />

= g N LN ((T φ)X), (T φ)Y )<br />

(<br />

= ± g N (T φ)LM X, (T φ)Y )<br />

= ± g M (L M X, Y )<br />

= ± II M (X, Y ) .<br />

11.8. Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen. Ist ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine lokale<br />

Parametrisierung der orientierten Flä<strong>ch</strong>e M, dann bilden die Vektoren ∂ψ/∂w k (w)<br />

zusammen mit dem Normalenvektor n(ψ(w)) für jeden Parameterwert w ∈ W eine<br />

Vektorraumbasis des R 3 . Insbesondere kann man die zweiten partiellen Ableitungen<br />

von ψ als Linearkombination dieser Basisvektoren s<strong>ch</strong>reiben und gelangt so zu den<br />

Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen von Gauß,<br />

∂ 2 ψ<br />

∂w i ∂w k = Γ ik l ◦ψ ∂ψ<br />

∂w l + h ik◦ψ · n◦ψ . (11.8.1)<br />

Die dabei auftretenden Funktionen Γ ik l ∈ C ∞ (U) nennt man Christoffelsymbole.<br />

Die Koeffizienten h ik sind die Komponenten der zweiten Fundamentalform II aus<br />

Glei<strong>ch</strong>ung (11.5.2). Neben den Gaußs<strong>ch</strong>en haben wir aus (11.6.2) die Weingartens<strong>ch</strong>en<br />

Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen<br />

∂(n ◦ ψ)<br />

∂w i<br />

= −L i k ◦ψ ∂ψ<br />

∂w k . (11.8.2)<br />

Zusammen genommen drücken diese Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen die Ableitungen des<br />

“begleitenden Dreibeins” ∂ψ/∂w 1 , ∂ψ/∂w 2 , n dur<strong>ch</strong> das Dreibein selbst aus. Sie<br />

stellen daher ein Analogon zu den Frenets<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>ungen für Kurven im R 3 dar,<br />

und wir werden sie in Abs<strong>ch</strong>nitt 11.9 au<strong>ch</strong> in ähnli<strong>ch</strong>er Weise verwenden.<br />

Um die Christoffelsymbole Γ ik<br />

l<br />

zu bere<strong>ch</strong>nen, s<strong>ch</strong>reiben wir abkürzend ∂ i ψ =<br />

∂ψ/∂w i und unterdrücken ◦ψ. Dann lauten die Gaußs<strong>ch</strong>en Ableitungsglei<strong>ch</strong>nungen<br />

∂ i ∂ k ψ = Γ ik l ∂ l ψ + h ik n .<br />

Das Skalarprodukt mit ∂ m ψ ergibt na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 10.3<br />

Mit der Produktregel<br />

〈∂ i ∂ k ψ, ∂ m ψ〉 = Γ ik l g lm .<br />

∂ i 〈∂ j ψ, ∂ k ψ〉 = 〈∂ i ∂ j ψ, ∂ k ψ〉 + 〈∂ j ψ, ∂ i ∂ k ψ)〉<br />

103


erhält man die Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

∂ i g jk = Γ ij l g lk + Γ ik l g lj<br />

∂ j g ki = Γ jk l g li + Γ ji l g lk<br />

∂ k g ij = Γ ki l g lj + Γ kj l g li ,<br />

die dur<strong>ch</strong> zyklis<strong>ch</strong>es Vertaus<strong>ch</strong>en der Indizes auseinander hervorgehen. Subtraktion<br />

der dritten Glei<strong>ch</strong>ung von der Summe der beiden ersten ergibt<br />

∂ i g jk + ∂ j g ki − ∂ k g ij = 2 Γ ij l g lk<br />

und na<strong>ch</strong> Multiplikation beider Seiten mit g km und Summation über k erhält man<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

Γ ij k = 1 2 gkl (∂ i g jl + ∂ j g li − ∂ l g ij ). (11.8.3)<br />

Satz. Die Christoffelsymbole Γ ij k lassen si<strong>ch</strong> allein aus den Koeffizienten g ij der<br />

ersten Fundamentalform und ihren Ableitungen bere<strong>ch</strong>nen.<br />

Es sei bemerkt, dass die Γ k ij ni<strong>ch</strong>t die Komponenten eines Tensorfeldes auf M<br />

sind, da ihr Transformationsverhalten bei Kartenwe<strong>ch</strong>sel ni<strong>ch</strong>t das eines Tensors<br />

ist (siehe 6.2). Vielmehr sind sie, wie wir bald sehen werden, die Komponenten<br />

eines “Zusammenhanges” auf M, und zwar des Levi–Civita–Zusammenhanges der<br />

Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g M .<br />

11.9. Kongruenz isometris<strong>ch</strong>er Flä<strong>ch</strong>en. Sei M ⊆ R 3 eine Flä<strong>ch</strong>e, φ eine<br />

euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung des R 3 , und sei N = φ(M). Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 10.9 ist die Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

f = φ| M eine Isometrie der Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten (M, g M )<br />

und (N, g N ), erfüllt also f ∗ g N = g M . Umgekehrt ist ni<strong>ch</strong>t jede Isometrie zwis<strong>ch</strong>en<br />

Flä<strong>ch</strong>en notwendig die Eins<strong>ch</strong>ränkung einer euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung, da sol<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkungen<br />

na<strong>ch</strong> 11.7 au<strong>ch</strong> f ∗ II N = ± II M erfüllen müssen.<br />

Satz. Seien M und N zusammenhängende orientierte Flä<strong>ch</strong>en im R 3 , und sei<br />

f : (M, g M ) → (N, g N ) eine Isometrie mit f ∗ II N = II M . Dann existiert eine<br />

euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung φ : R 3 → R 3 mit φ| M = f.<br />

Beweis. Sei p ∈ M und sei ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine lokale Parametrisierung<br />

von M mit ψ(0) = p und mit zusammenhängendem Parameterberei<strong>ch</strong> W . Dann ist<br />

˜ψ := f ◦ ψ : W → f(U) ⊆ N<br />

eine lokale Parametrisierung von N mit ˜ψ(0) = f(p).<br />

Sei φ(x) = Ax + b die euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung des R 3 , die p in f(p) abbildet, und<br />

deren Ableitung A das “begleitende Dreibein” der Parametrisierung ψ im Punkt p<br />

104


in dasjenige der Parametrisierung ˜ψ im Punkt f(p) überführt, also<br />

( ∂ψ<br />

)<br />

A<br />

∂w 1 (0)<br />

( ∂ψ<br />

)<br />

A<br />

∂w 2 (0)<br />

= ∂ ˜ψ<br />

∂w 1 (0) ,<br />

= ∂ ˜ψ<br />

∂w 2 (0) ,<br />

A (n M (p)) = n N (p) .<br />

Dabei ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass die lineare Abbildung A wegen 〈 ∂ψ/∂w i , ∂ψ/∂w k 〉 =<br />

〈 ∂ ˜ψ/∂w i , ∂ ˜ψ/∂w k 〉 Skalarprodukte respektiert, so dass es si<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> um eine<br />

orthogonale Abbildung handelt.<br />

Für die Flä<strong>ch</strong>e φ(M) ergibt si<strong>ch</strong> eine lokale Parametrisierung ¯ψ := φ ◦ ψ. Wir<br />

werden zeigen, dass φ| M mit f übereinstimmt. Dazu beweisen wir zunä<strong>ch</strong>st, dass<br />

¯ψ = ˜ψ ist, so dass jedenfalls φ| U = f| U gilt.<br />

Für die Komponenten der Fundamentalformen und die Christoffelsymbole der Flä<strong>ch</strong>en<br />

˜M := N und ¯M := φ(M) bezügli<strong>ch</strong> der lokalen Parametrisierungen ˜ψ und ¯ψ<br />

gilt, in lei<strong>ch</strong>t verständli<strong>ch</strong>er Notation,<br />

˜g ij ◦ ˜ψ = ḡ ij ◦ ¯ψ da f und φ Isometrien sind<br />

˜h ij ◦ ˜ψ = ¯h ij ◦ ¯ψ weil f ∗ II N = II M gilt<br />

˜L k i ◦ ˜ψ = ¯L k i ◦ ¯ψ da L k i = h il g lk ist<br />

˜Γ k ij ◦ ˜ψ = ¯Γ k ij ◦ ¯ψ wegen Glei<strong>ch</strong>ung (11.8.3).<br />

Wir beweisen als Beispiel die erste dieser Glei<strong>ch</strong>ungen. Die lokalen Parametrisierungen<br />

ψ, ˜ψ und ¯ψ der Mannigfaltigkeiten M, ˜M und ¯M induzieren Basisfelder auf<br />

den entspre<strong>ch</strong>enden Kartengebieten, die wir mit ∂ i , ˜∂ i und ¯∂ i bezei<strong>ch</strong>nen. Es gilt<br />

f ∗ ∂ i = ˜∂ i und φ ∗ ∂ i = ¯∂ i . Da f und φ| M Isometrien sind, gilt für die ersten Fundamentalformen<br />

f ∗ g ˜M<br />

= g M und (φ| M ) ∗ g ¯M = g M . Daraus folgt, in etwas abgekürzter<br />

S<strong>ch</strong>reibweise,<br />

˜g ij = g ˜M<br />

( ˜∂ i , ˜∂ j )<br />

= g ˜M<br />

((T f)∂ i , (T f)∂ j )<br />

= (f ∗ g ˜M<br />

)(∂ i , ∂ j )<br />

= g M (∂ i , ∂ j )<br />

= g ij<br />

und ebenso ḡ ij = g ij , also insgesamt ˜g ij = ḡ ij , jeweils ausgewertet an entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Stellen. Ebenso beweist man die zweite Glei<strong>ch</strong>ung, und die beiden übrigen<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen ergeben si<strong>ch</strong> unmittelbar aus der ersten und der zweiten.<br />

Seien ¯Z k = ∂ ¯ψ/∂w k und ˜Z k = ∂ ˜ψ/∂w k . Dann ist na<strong>ch</strong> den Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen<br />

105


aus 11.8<br />

∂ ¯ψ<br />

∂w i = ¯Z i<br />

∂ ¯Z k<br />

∂w i = ¯Γ l ik ◦ ¯ψ · ¯Z l + ¯h ik ◦ ¯ψ · ¯n◦ ¯ψ<br />

(11.9.1)<br />

∂(¯n◦ ¯ψ)<br />

∂w i = −¯L k i ◦ ¯ψ · ¯Z k ,<br />

und für die Größen mit ˜· anstelle von ¯· gelten entspre<strong>ch</strong>ende Glei<strong>ch</strong>ungen. Die<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen (11.9.1) sind ein System der Form<br />

für die dur<strong>ch</strong><br />

∂ ¯X<br />

∂w i = F i( ¯X) (i = 1, 2)<br />

¯X = ( ¯ψ, ( ¯Z1 , ¯Z 2 , ¯n◦ ¯ψ) ) ,<br />

definierte Abbildung ¯X : W → R 3 × R 3×3 ∼ = R 12 , und die Abbildung<br />

˜X = ( ˜ψ, ( ˜Z1 , ˜Z 2 , ñ◦ ˜ψ) )<br />

erfüllt dasselbe System, mit denselben Funktionen F i . Da ˜X(0) = ¯X(0) gilt, und<br />

da W zusammenhängend ist, folgt nun ˜X = ¯X auf ganz W . Ist nämli<strong>ch</strong> w 0 ∈ W , so<br />

wähle man eine differenzierbare Kurve c : [0, 1] → W mit c(0) = 0 und c(1) = w 0 .<br />

Dann erfüllt ¯X ◦ c das System gewöhnli<strong>ch</strong>er Differentialglei<strong>ch</strong>ungen<br />

d( ¯X ◦ c)<br />

(t) = F i (X(c(t)) dci<br />

dt<br />

dt (t) ,<br />

ist also dur<strong>ch</strong> den Anfangswert ¯X(c(0)) = ¯X(0) eindeutig bestimmt. Insbesondere<br />

ist ¯ψ = ˜ψ, also φ ◦ ψ = f ◦ ψ, und damit φ| U = f| U , wie beabsi<strong>ch</strong>tigt.<br />

Wir haben gezeigt, dass zu jedem Punkt p ∈ M eine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung φ p ∈ E(3)<br />

existiert mit φ p | U = f| U auf einer Umgebung U von p, und φ p wird eindeutig, wenn<br />

man fordert (T φ)◦(ν M | U ) = ν N ◦f| U . Die Abbildung p ↦→ φ p von M in die Gruppe<br />

E(3) der euklidis<strong>ch</strong>en Bewegungen ist lokal konstant. Da M zusammenhängend ist,<br />

ist sie konstant. QED<br />

Aufgaben<br />

1. Unters<strong>ch</strong>ied. Erläutern Sie den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en der Standardorientierung<br />

des R 3 als Vektorraum und der Standardorientierung des R 3 als differenzierbare<br />

Mannigfaltigkeit.<br />

2. Affine Abbildungen. Sei φ ein Diffeomorphismus des R n auf si<strong>ch</strong> selbst.<br />

Zeigen Sie: φ ist eine affine Abbildung genau dann, wenn für alle differenzierbaren<br />

Vektorfelder X und Y auf R n gilt<br />

φ ∗ (∇ X Y ) = ∇ (φ∗X)(φ ∗ Y ) .<br />

106


3. Weingartenabbildung. (a) Sei S ⊆ R 3 eine Sphäre vom Radius ρ, versehen<br />

mit der inneren Einheitsnormalen ν. Zeigen Sie, dass für die Weingartenabbildung<br />

L : T S → T S gilt L = 1 ρ id T S.<br />

(b) Ist M ⊆ R 3 eine zusammenhängende orientierte Flä<strong>ch</strong>e, für deren Weingartenabbildung<br />

gilt L = 1 ρ id T M mit einer positiven Konstante ρ, dann ist M in einer<br />

Sphäre vom Radius ρ enthalten.<br />

4. Minimalflä<strong>ch</strong>en. Eine Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 heisst eine Minimalflä<strong>ch</strong>e, wenn die<br />

Spur ihrer Weingartenabbildung L p : T p M → T p M für jeden Punkt p ∈ M vers<strong>ch</strong>windet.<br />

(Diese Bedingung ist offenbar unabhängig von einer Orientierung von<br />

M.) Zeigen Sie, dass das Katenoid und das Helikoid Minimalflä<strong>ch</strong>en sind.<br />

Exkurs: Gruppenoperationen. Eine (Links–)Operation oder (Links–)Wirkung<br />

einer Liegruppe Γ (mit neutralem Element e) auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

M ist eine differenzierbare Abbildung µ : Γ×M → M mit den Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

µ(e, p) = p und µ(a, µ(b, p)) = µ(ab, p) für alle a, b ∈ Γ und p ∈ M. Man s<strong>ch</strong>reibt<br />

kurz ap oder a · p anstelle von µ(a, p), wenn keine Missverständnisse zu befür<strong>ch</strong>ten<br />

sind. Die Operation heißt frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong>, wenn gilt:<br />

(a) Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U mit U ∩ aU = ∅ für<br />

alle a ∈ Γ\{e}.<br />

(b) Ist q ∈ M ni<strong>ch</strong>t in der Bahn Γp des Punktes p enthalten, dann<br />

existieren Umgebungen U von p und V von q mit U ∩ aV = ∅ für alle<br />

a ∈ Γ.<br />

5. Quotientenmannigfaltigkeiten. Die Gruppe Γ operiere frei und eigentli<strong>ch</strong><br />

diskontinuierli<strong>ch</strong> auf der C ∞ –Mannigfaltigkeit M. Zeigen Sie:<br />

(a) Der Quotientenraum Γ\M ist hausdorffs<strong>ch</strong> und hat eine abzählbare Basis der<br />

Topologie.<br />

(b) Auf dem Quotientenraum existiert genau eine C ∞ –Struktur mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass die kanonis<strong>ch</strong>e Projektion π : M → Γ\M ein lokaler Diffeomorphismus<br />

ist.<br />

(c) Für diese Struktur gilt: f ∈ C ∞ (Γ\M) genau dann, wenn f ◦ π ∈ C ∞ (M) ist.<br />

6. Orientierbarkeit von Quotienten. (a) Die Gruppe Γ operiere frei und<br />

eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> auf der orientierten C ∞ –Mannigfaltigkeit M. Zeigen<br />

Sie: Die Quotientenmannigfaltigkeit M → Γ\M ist genau dann orientierbar, wenn<br />

jeder der Diffeomorphismen µ a = µ(a, ·) orientierungserhaltend ist.<br />

(b) Zeigen Sie, dass die von den beiden Abbildungen γ 1 : (x, y) ↦→ (x, y + 1)<br />

und γ 2 : (x, y) ↦→ (x + 1, −y) erzeugte Gruppe Γ ⊆ Diff(R 2 ) frei und eigentli<strong>ch</strong><br />

diskontinuierli<strong>ch</strong> auf R 2 operiert. Ist der Quotient orientierbar?<br />

(c) Für wel<strong>ch</strong>e Dimensionen n ist der reell projektive Raum RP n := {±id}\S n<br />

orientierbar?<br />

107


12. Die Krümmungen einer Flä<strong>ch</strong>e<br />

Die Weingartenabbildung L p einer orientierten Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 ist, wie wir aus<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 11.5 wissen, eine selbstadjungierte lineare Abbildung des Tangentialraumes<br />

T p M in si<strong>ch</strong>. Sie ist daher reell diagonalisierbar. Ihre Eigenwerte nennt<br />

man die Hauptkrümmungen von M im Punkt p. Sie lassen si<strong>ch</strong> als Krümmungen<br />

von S<strong>ch</strong>nittkurven gewisser Ebenen mit der Flä<strong>ch</strong>e deuten. Aus den beiden Hauptkrümmungen<br />

bildet man zwei weitere Krümmungsgrößen, die Gaußkrümmung und<br />

die mittlere Krümmung von M, auf deren geometris<strong>ch</strong>e Bedeutung wir eingehen.<br />

Es stellt si<strong>ch</strong> heraus, dass die Gaußkrümmung, obwohl zunä<strong>ch</strong>st mit Hilfe der Weingartenabbildung,<br />

also des Normalenvektors von M, definiert, dur<strong>ch</strong> die erste Fundamentalform<br />

allein bestimmt ist. Sie gehört also zur inneren Geometrie von M.<br />

Diese Entdeckung, das “Theorema egregium” von Gauß, war der Ausgangspunkt<br />

der Krümmungstheorie Riemanns<strong>ch</strong>er Räume.<br />

Im Folgenden ist M ⊆ R 3 eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e und n ihre Gaußabbildung.<br />

12.1. Krümmung von Flä<strong>ch</strong>enkurven. Sei I ⊆ R n ein Intervall, und sei<br />

c ∈ C 2 (I, M) eine na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisierte Kurve in M. Wir fassen c als<br />

Kurve im R 3 auf und betra<strong>ch</strong>ten ihre Ableitungen, den Tangentenvektor c ′ = dc/ds<br />

und den “Bes<strong>ch</strong>leunigungsvektor” c ′′ = d 2 c/ds 2 . Diesen Vektor c ′′ spalten wir auf<br />

in die zu M normale und die an M tangentielle Komponente. Sei dazu u := n × c ′ .<br />

Da c na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert, also 〈c ′ , c ′ 〉 = 1 ist, gilt 〈c ′′ , c ′ 〉 = 0. Daher<br />

ist die an M tangentielle Komponente von c ′′ von ein Vielfa<strong>ch</strong>es von u, also<br />

c ′′ (s) = κ n (s) n(c(s)) + κ g (s) u(s) (12.1.1)<br />

mit gewissen Funktionen κ n und κ g . Die Funktion κ n heißt die Normalkrümmung,<br />

κ g die geodätis<strong>ch</strong>e Krümmung der Kurve c.<br />

Multiplikation von Glei<strong>ch</strong>ung (12.1.1) mit der Flä<strong>ch</strong>ennormalen n ergibt 〈c ′′ , n〉 =<br />

κ n . Mit der Krümmung κ := ‖c ′′ ‖ ergibt si<strong>ch</strong> daraus<br />

κ n = κ cos ̸ (c ′′ , n). (12.1.2)<br />

Beispiel. Sei E eine Ebene dur<strong>ch</strong> den Punkt p ∈ M, wel<strong>ch</strong>en die zu M senkre<strong>ch</strong>te<br />

Ri<strong>ch</strong>tung enthält. Die S<strong>ch</strong>nitte E ∩ M sol<strong>ch</strong>er Ebenen mit der Flä<strong>ch</strong>e bezei<strong>ch</strong>net<br />

man als deren Normals<strong>ch</strong>nitte im Punkt p. Wie wählen eine Parametrisierung des<br />

Normals<strong>ch</strong>nittes na<strong>ch</strong> der Bogenlänge, also eine Kurve c ∈ C 2 (I, M) mit c(0) = p,<br />

‖c ′ ‖ = 1 und mit c(I) ⊆ E ∩ M. Da c in der Ebene E liegt, ist c ′′ = ± n ◦ c und<br />

κ n = ± κ. Die Normalkrümmung eines Normals<strong>ch</strong>nittes im Punkt p stimmt also<br />

bis auf das Vorzei<strong>ch</strong>en mit seiner Krümmung als Raumkurve überein. Dabei gilt<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

108


das positive Vorzei<strong>ch</strong>en, wenn der Normals<strong>ch</strong>nitt E ∩ M si<strong>ch</strong> in Ri<strong>ch</strong>tung von n(p)<br />

krümmt, andernfalls das negative.<br />

Für allgemeine Kurven mit ‖ċ‖ = 1 läßt si<strong>ch</strong> die Normalkrümmung mit der zweiten<br />

Fundamentalform II in Zusammenhang bringen. Es ist nämli<strong>ch</strong><br />

κ n (s) = 〈 c ′′ (s), n(c(s)) 〉<br />

= d ds 〈c′ (s), n(c(s))〉 −<br />

〈c ′ (s), d 〉<br />

ds n(c(s))<br />

= − 〈 ċ(s), ∇ċ(s) ν 〉<br />

= II(ċ(s), ċ(s)).<br />

Satz. Die Normalkrümmung κ n (s) von c hängt nur vom Tangentialvektor ċ(s) ab:<br />

κ n (s) = II(ċ(s), ċ(s)). (12.1.3)<br />

Insbesondere stimmt κ n (s) mit der mit Vorzei<strong>ch</strong>en versehenen Krümmung des c im<br />

Punkt c(s) berührenden Normals<strong>ch</strong>nittes von M überein.<br />

Als eine geometris<strong>ch</strong>e Deutung der zweiten Fundamentalform ergibt si<strong>ch</strong>:<br />

Korollar. Für X ∈ T p M ist II(X, X)/ ‖X‖ 2 die mit Vorzei<strong>ch</strong>en versehene Krümmung<br />

des Normals<strong>ch</strong>nittes der dur<strong>ch</strong> X und n(p) aufgespannten Ebene mit M.<br />

12.2. Hauptkrümmungen einer Flä<strong>ch</strong>e. Die Eigenwerte k 1 (p) und k 2 (p) der<br />

Weingartenabbildung L p : T p M → T p M heißen die Hauptkrümmungen von M<br />

in p, die Eigenräume Hauptkrümmungsri<strong>ch</strong>tungen. Kurven c, die in jedem ihrer<br />

Punkte tangentiell an eine Hauptkrümmungsri<strong>ch</strong>tung sind, für die also ċ(t) in einem<br />

Eigenraum von L c(t) enthalten ist, heißen Krümmungslinien.<br />

Lemma. (a) Ist k 1 (p) ≠ k 2 (p), dann sind die beiden Hauptkrümmungsri<strong>ch</strong>tungen<br />

zueinander orthogonal.<br />

(b) Ist k 1 (p) ≤ k 2 (p), dann gilt<br />

{ II(X, X)<br />

k 1 (p) = min<br />

‖X‖ 2<br />

k 2 (p) = max<br />

{ II(X, X)<br />

‖X‖ 2<br />

∣ }<br />

∣∣ X ∈ Tp M\{0}<br />

∣ }<br />

∣∣ X ∈ Tp M\{0} .<br />

(12.2.1)<br />

Die Hauptkrümmungsri<strong>ch</strong>tungen k 1 (p), k 2 (p) sind also das Minimum und Maximum<br />

der Krümmungen der Normals<strong>ch</strong>nitte von M im Punkt p.<br />

Beweis. (a) Eigenräume eines selbstadjungierten Endomorphismus eines euklidis<strong>ch</strong>en<br />

Vektorraumes, die zu vers<strong>ch</strong>iedenen Eigenwerten gehören, sind zueinander<br />

orthogonal: In etwas abgekürzter S<strong>ch</strong>reibweise ist<br />

k 1 〈X, Y 〉 = 〈k 1 X, Y 〉 = 〈LX, Y 〉 = 〈X, LY 〉 = 〈X, k 2 Y 〉 = k 2 〈X, Y 〉.<br />

109


Wenn k 1 ≠ k 2 ist, dann folgt 〈X, Y 〉 = 0.<br />

(b) Die zweite Aussage ist ein Spezialfall der Minimax–Charakterisierung der Eigenwerte<br />

eines selbstadjungierten Endomorphismus. Wir geben einen direkten Beweis.<br />

Sei dazu X 0 ∈ T p M ein Minimum der Funktion<br />

f(X) := II(X, X)/ ‖X‖ 2 .<br />

Dann gilt für alle Y ∈ T p M<br />

d<br />

dt∣ f(X 0 + tY ) = 0.<br />

0<br />

Daraus ergibt si<strong>ch</strong><br />

Es folgt LX 0 = λ 1 X 0 mit<br />

( g(LX0 , X 0 )<br />

)<br />

g(LX 0 , Y ) = g<br />

‖X 0 ‖ 2 X 0 , Y .<br />

λ 1 = g(LX 0, X 0 )<br />

‖X 0 ‖ 2 = f(X 0 ) = min { f(X) | X ∈ T p M\{0} }. QED<br />

12.3. Gaußkrümmung und mittlere Krümmung. Die Gaußkrümmung K(p)<br />

und die mittlere Krümmung H(p) der Flä<strong>ch</strong>e M im Punkt p sind definiert als<br />

Determinante und Spur der Weingartenabbildung,<br />

K(p) = det(L p ) = k 1 (p) k 2 (p)<br />

H(p) = 1 2 Spur(L p) = 1 (<br />

k1 (p) + k 2 (p) ) .<br />

2<br />

Ein Punkt p ∈ M heißt elliptis<strong>ch</strong>, wenn K(p) > 0, hyperbolis<strong>ch</strong>, wenn K(p) < 0,<br />

und parabolis<strong>ch</strong>, wenn K(p) = 0 ist. Nabelpunkte sind Punkte mit k 1 (p) = k 2 (p), in<br />

denen also die Weingartenabbildung L p ein Vielfa<strong>ch</strong>es der Identität ist. Fla<strong>ch</strong>punkte<br />

sind Nabelpunkte mit k 1 (p) = k 2 (p) = 0.<br />

Bemerkungen. (a) Ändert man die Orientierung von M, dann ändern ν, II, L<br />

und die Hauptkrümmungen k 1 und k 2 nur das Vorzei<strong>ch</strong>en. Folgli<strong>ch</strong> ändert au<strong>ch</strong><br />

die mittlere Krümmung H das Vorzei<strong>ch</strong>en, während die Gaußkrümmung K unverändert<br />

bleibt. Das hat zur Folge, dass si<strong>ch</strong> die Gaußkrümmung au<strong>ch</strong> für ni<strong>ch</strong>t<br />

orientierbare Flä<strong>ch</strong>en definieren lässt, indem man lokal willkürli<strong>ch</strong> eines der beiden<br />

Einheitsnormalenfelder ± ν auszei<strong>ch</strong>net.<br />

(b) Die Hauptkrümmungen k 1,2 von M sind die Nullstellen des Polynoms<br />

det(L − λI) = (k 1 − λ)(k 2 − λ) = λ 2 − 2Hλ + K.<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist<br />

k 1,2 = H ± √ H 2 − K. (12.3.1)<br />

110


Da H und K offenbar C ∞ –Funktionen auf M sind, sind k 1 und k 2 stetig und,<br />

abgesehen von den Nabelpunkten, in denen der Radikand vers<strong>ch</strong>windet, au<strong>ch</strong> von<br />

der Klasse C ∞ .<br />

12.4. Bere<strong>ch</strong>nung mittels lokaler Parametrisierung. Sei ψ : W → U ⊆ M<br />

eine lokale Parametrisierung von M. Na<strong>ch</strong> (11.5.5) ist<br />

L i k = ∑ j<br />

h ij g jk .<br />

Die Matrix (L i j ) ist also Matrixprodukt (L i j ) = (h ij ) · (g ij ) −1 , und damit ist das<br />

<strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>e Polynom der Weingartenabbildung<br />

det(L p − λI) = det ( h ik (p) − λ g ik (p) )<br />

det ( g ik (p) ) .<br />

Die Hauptkrümmungen k 1 (p) und k 2 (p) sind folgli<strong>ch</strong> die Lösungen λ der Glei<strong>ch</strong>ung<br />

det ( h ik (p) − λg ik (p) ) = 0.<br />

Für die Gaußkrümmung und die mittlere Krümmung ergibt si<strong>ch</strong><br />

K = det(h ik)<br />

det(g ik ) = h 11h 22 − (h 12 ) 2<br />

g 11 g 22 − (g 12 ) 2<br />

H = 1 ∑<br />

h ij g ji<br />

2<br />

i,j<br />

12.5. Eine geometris<strong>ch</strong>e Deutung der Gaußkrümmung. Wir geben zunä<strong>ch</strong>st<br />

eine geometris<strong>ch</strong>e Deutung des Vorzei<strong>ch</strong>ens der Gaußkrümmung. Dazu versehen wir<br />

die Sphäre S 2 mit der wie folgt definierten Standardorientierung: Sei ξ das äußere<br />

Einheitsnormalenfeld der Sphäre. Positiv orientiert heißen dann diejenigen Basen<br />

(X 1 , X 2 ) des Tangentialraumes T q S 2 für die (X 1 , X 2 , ξ(q)) eine positiv orientierte<br />

Basis von T q R 3 ist.<br />

Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 11.6 gilt für die Ableitung der Gaußabbildung T p n = −θ p ◦ L p .<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist T p n : T p M → T n (p)S 2 genau dann bijektiv, wenn K(p) = det(L p ) ≠ 0<br />

ist, und es gilt:<br />

Satz. Die Gaußkrümmung K(p) ist genau dann positiv, wenn die Gaußabbildung<br />

n in einer Umgebung von p orientierungserhaltend ist. Sie ist genau dann negativ,<br />

wenn n in einer Umgebung von p orientierungsumkehrend ist.<br />

Eine geometris<strong>ch</strong>e Deutung des Absolutbetrages |K| gibt der folgende Satz.<br />

111


Satz. Sei U ⊆ M offen. Wir setzen voraus, dass die Gaußabbildung U diffeomorph<br />

auf n(U) ⊆ S 2 abbildet. Dann gilt für den Flä<strong>ch</strong>eninhalt vol (n(U)) des Bildes n(U)<br />

∫<br />

|K| dV M = vol ( n(U) ) . (12.5.1)<br />

U<br />

Für die Bälle B(p, ε) ⊆ M um Punkte p ∈ M mit K(p) ≠ 0 gilt<br />

|K(p)| = lim<br />

ε→0<br />

vol ( n(B(p, ε)) )<br />

vol ( B(p, ε) ) . (12.5.2)<br />

Beweis. Wir setzen zunä<strong>ch</strong>st zusätzli<strong>ch</strong> voraus, dass eine Parametrisierung ψ :<br />

W → ψ(W ) = U existiert. Dann ist n ◦ ψ : W → n(U) ⊆ S 2 eine Parametrisierung<br />

von n(U), und na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 10.6 gilt für jede (ni<strong>ch</strong>tnegative messbare) Funktion<br />

ϱ auf n(U)<br />

∫<br />

n(U)<br />

∫<br />

ϱ dV S 2 =<br />

∫<br />

=<br />

∫<br />

=<br />

W<br />

W<br />

U<br />

∂(n ◦ ψ) ∂(n ◦ ψ)<br />

∥ ∥∥<br />

ϱ◦n◦ψ ∥<br />

∂w 1 × dw 1<br />

∂w 2 dw 2<br />

ϱ◦n◦ψ |det(L) ◦ ψ| ∥ ∂ψ<br />

∂w 1 × ∂ψ ∥ ∥∥ dw 1<br />

∂w 2 dw 2<br />

ϱ◦n |K| dV M .<br />

Dabei haben wir von der Weingartens<strong>ch</strong>en Ableitungsglei<strong>ch</strong>ung (11.6.2) Gebrau<strong>ch</strong><br />

gema<strong>ch</strong>t. Speziell für ϱ = 1 ergibt si<strong>ch</strong> die Behauptung des Satzes.<br />

Nun sei allgemeiner U ⊆ M so bes<strong>ch</strong>affen, dass es endli<strong>ch</strong> viele offene parametrisierbare<br />

Teilmengen U 1 , . . . , U m ⊆ M gibt mit ⋃ m<br />

µ=1 U µ = U. Das ist etwa dann der<br />

Fall, wenn der Abs<strong>ch</strong>luss von U kompakt ist. Sei {ϱ µ | µ = 1, . . . , m} eine Partition<br />

der Eins auf n(U), die der Überdeckung dur<strong>ch</strong> die Mengen n(U µ) untergeordnet ist.<br />

Dann gilt<br />

∫<br />

( ∑<br />

m )<br />

vol(n(U)) =<br />

ϱ µ dVS 2<br />

n(U)<br />

∫<br />

µ=1<br />

= ∑ ϱ µ dV S 2<br />

µ<br />

n(U)<br />

= ∑ ∫<br />

ϱ µ dV S 2<br />

µ<br />

n(U µ)<br />

= ∑ ∫<br />

ϱ µ ◦n |K| dV M<br />

µ<br />

U µ<br />

= ∑ ∫<br />

ϱ µ ◦n |K| dV M<br />

µ<br />

U<br />

∫<br />

= |K| dV M .<br />

U<br />

112


Allgemeinere Teilmengen U überdeckt man dur<strong>ch</strong> hö<strong>ch</strong>stens abzählbar viele parametrisierbare<br />

U µ und verwendet den Satz über monotone Konvergenz.<br />

Zum Beweis von (12.5.2) bea<strong>ch</strong>ten wir zunä<strong>ch</strong>st, dass wegen K(p) ≠ 0 die Ableitung<br />

T p n : T p M → T n(p) S 2 invertierbar ist. Na<strong>ch</strong> dem Satz über inverse Funktionen ist<br />

daher die Eins<strong>ch</strong>ränkung n| B(p,ε) für hinrei<strong>ch</strong>end kleine Radien ε ein Diffeomorphismus<br />

von B(p, ε) auf n(B(p, ε)). Glei<strong>ch</strong>ung (12.5.1) liefert dann<br />

min |K(q)| vol B(p, ε) ≤ |K| dV M = vol<br />

q∈B(p,ε)<br />

∫B(p,ε)<br />

( n(B(p, ε)) )<br />

≤ max |K(q)| vol B(p, ε).<br />

q∈B(p,ε)<br />

Division dur<strong>ch</strong> vol B(p, ε) ergibt die Behauptung. QED<br />

Korollar. Sei M eine kompakte orientierte Flä<strong>ch</strong>e im R 3 , deren Gaußabbildung<br />

n : M → S 2 ein Diffeomorphismus ist. Dann gilt<br />

∫<br />

M<br />

K dV = 4π.<br />

Beweis. Da T p n für jeden Punkt p ∈ M invertierbar ist, gilt K ≠ 0 überall auf M.<br />

Und weil M zusammenhängend ist, kann K das Vorzei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t we<strong>ch</strong>seln. Nun<br />

hat jede kompakte Flä<strong>ch</strong>e im R 3 Punkte positiver Gaußkrümmung (Aufgabe 3).<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist K > 0 auf M. Das Korollar folgt aus (12.5.1), da die Standardsphäre<br />

den Flä<strong>ch</strong>eninhalt 4π hat. QED<br />

Bemerkungen. (a) Kompakte zusammenhängende Flä<strong>ch</strong>en im R 3 , deren Gaußkrümmung<br />

K überall positiv ist, nennt man Eiflä<strong>ch</strong>en. Unser Beweis zeigt, dass<br />

Flä<strong>ch</strong>en, die die Voraussetzungen des Satzes erfüllen, Eiflä<strong>ch</strong>en sind. Umgekehrt<br />

kann man au<strong>ch</strong> zeigen, dass jede Eiflä<strong>ch</strong>e orientierbar und ihre Gaußabbildung n<br />

ein Diffeomorphismus ist (Satz von Hadamard, siehe Kapitel 13).<br />

(b) Das Korollar ist ein einfa<strong>ch</strong>er Spezialfall des Satzes von Gauß–Bonnet, auf den<br />

wir später eingehen werden.<br />

(c) Für eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 sei M 0 = {p ∈ M | K(p) = 0}. In den<br />

Punkten p ∈ M 0 ist T p n ni<strong>ch</strong>t surjektiv. Na<strong>ch</strong> einem Satz von Sard (Lang, S.450)<br />

folgt daraus, dass das Bild n(M 0 ) ⊆ S 2 das Maß Null hat.<br />

12.6. Geometris<strong>ch</strong>e Deutung der mittleren Krümmung. Sei M ⊆ R 3 eine<br />

orientierte Flä<strong>ch</strong>e, und sei ϱ ∈ C ∞ 0 (M) eine Funktion mit kompaktem Träger. Dann<br />

ist für hinrei<strong>ch</strong>end kleine ε > 0<br />

M ε ϱ<br />

:= { p + ε ϱ(p) n(p) | p ∈ M }<br />

113


ebenfalls eine Flä<strong>ch</strong>e. Sie entsteht aus M, indem man die Punkte p von M um den<br />

Betrag ϱ(p) in Ri<strong>ch</strong>tung der Normalen n(p) vers<strong>ch</strong>iebt. Ist ψ : W → U ⊆ M eine<br />

lokale Parametrisierung von M, dann ist die dur<strong>ch</strong><br />

ψ ε (w) = ψ(w) + ε ϱ(ψ(w)) n(ψ(w))<br />

definierte Abbildung ψ ε : W → Uϱ ε ⊆ M ϱ ε eine lokale Parametrisierung der Flä<strong>ch</strong>e<br />

Mϱ. ε Wir bere<strong>ch</strong>nen das Volumenelement von Mϱ ε in dieser Parametrisierung. Zunä<strong>ch</strong>st<br />

ist<br />

∂ψ ε<br />

∂w i = ∂ψ<br />

∂w i + ε ∂(ϱ◦ψ)<br />

∂w i n◦ψ + ε ϱ◦ψ ∂(n◦ψ)<br />

∂w i .<br />

Lässt man der Kürze halber ◦ψ weg und s<strong>ch</strong>reibt ∂ i = ∂/∂w i , dann vereinfa<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />

diese Glei<strong>ch</strong>ung zu<br />

∂ i ψ ε = ∂ i ψ + ε ∂ i ϱ n + ε ϱ ∂ i n,<br />

und die Weingartenglei<strong>ch</strong>ung (11.6.2) lautet ∂ i n = −L i j ∂ j ψ. Für die erste Fundamentalform<br />

ergibt si<strong>ch</strong><br />

g ε ik = 〈 ∂ iψ ε , ∂ k ψ ε 〉<br />

= 〈 ∂ i ψ + ε ∂ i ϱ n + ε ϱ ∂ i n, ∂ k ψ + ε ∂ k ϱ n + ε ϱ ∂ k n 〉<br />

= g ik + 2 εϱ 〈∂ i n, ∂ k ψ〉 + ε 2 ∂ i ϱ ∂ k ϱ + ε 2 ϱ 2 〈∂ i n, ∂ k n〉,<br />

und da 〈∂ i n, ∂ k ψ〉 = −〈n, ∂ i ∂ k ψ〉 = −h ik ist, folgt<br />

Mit Glei<strong>ch</strong>ung (11.5.5) folgt weiter<br />

g ε ik = g ik − 2εϱ h ik + O(ε 2 ). (12.6.1)<br />

g ε ik gkj = δ i j − 2εϱ L i j + O(ε 2 ).<br />

Bildet man auf beiden Seiten die Determinante, dann ergibt si<strong>ch</strong><br />

det(g ε ik)<br />

1<br />

det(g ik ) = det(I − 2εϱL) + O(ε2 ).<br />

Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 12.3 gilt für das <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>e Polynom der Weingartenabbildung<br />

det(L − λI) = λ 2 − 2Hλ + K, und wir erhalten<br />

det(g ε ik) = det(g ik ) ( 1 − 4εϱH + O(ε 2 ) ) .<br />

Mit √ 1 − x = 1 − 1 2 x + O(x2 ) wird daraus<br />

√<br />

det(gik ε ) = √ det(g ik ) ( 1 − 2εϱ H + O(ε 2 ) ) . (12.6.2)<br />

Integration ergibt<br />

∫<br />

vol(Mϱ ε ) = vol(M) − 2ε ϱH dV M + O(ε 2 )<br />

M<br />

114


und damit<br />

∫<br />

d<br />

dε∣ vol(Mϱ ε ) = −2<br />

0<br />

M<br />

ϱH dV M .<br />

Folgerung. Minimiert M den Flä<strong>ch</strong>eninhalt unter allen dur<strong>ch</strong> “normale” Variation<br />

erhaltenen Na<strong>ch</strong>barflä<strong>ch</strong>en Mϱ ε, ϱ ∈ C∞ 0 (M), dann gilt H = 0.<br />

Flä<strong>ch</strong>en im R 3 mit H = 0 heißen Minimalflä<strong>ch</strong>en, sol<strong>ch</strong>e mit konstanter mittlerer<br />

Krümmung nennt man H–Flä<strong>ch</strong>en. Da nur das Vorzei<strong>ch</strong>en von H von der Wahl<br />

einer Orientierung abhängt, sind diese Definitionen au<strong>ch</strong> sinnvoll für ni<strong>ch</strong>torientierbare<br />

Flä<strong>ch</strong>en.<br />

Beispiel für Minimalflä<strong>ch</strong>en sind die Ebenen, das Katenoid und das Helikoid aus Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

10.9. Weitere Beispiele lassen si<strong>ch</strong> experimentell herstellen als Seifenhäute,<br />

indem man ein ges<strong>ch</strong>lossene Randkurve aus Draht in Seifenlösung tau<strong>ch</strong>t. Allgemein<br />

ist die mittlere Krümmung einer dünnen Membran proportional zur Druckdifferenz<br />

ihrer beiden Seiten. Man kann deshalb H–Flä<strong>ch</strong>en erzeugen, indem man für<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Luftdruck auf den beiden Seiten einer Seifenhaut sorgt. Die Aufgabe,<br />

zu einer gegebenen ges<strong>ch</strong>lossenen Raumkurve ein Minimalflä<strong>ch</strong>enstück finden,<br />

das von der Kurve begrenzt wird, bezei<strong>ch</strong>net man na<strong>ch</strong> J. Plateau (1866) als das<br />

Plateaus<strong>ch</strong>e Problem.<br />

12.7. Glei<strong>ch</strong>ungen von Gauß und Codazzi–Mainardi. In etwas abgekürzter<br />

Notation lauten die Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen von Gauß und Weingarten aus Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

11.8<br />

∂ j ∂ k ψ = Γ jk l ∂ l ψ + h jk n<br />

∂ i n = −L i k ∂ k ψ.<br />

Wir gehen aus von ∂ i ∂ j ∂ k ψ = ∂ j ∂ i ∂ k ψ und erhalten zunä<strong>ch</strong>st<br />

∂ i Γ jk l ∂ l ψ + Γ jk l ∂ i ∂ l ψ + ∂ i h jk n + h jk ∂ i n =<br />

∂ j Γ ik l ∂ l ψ + Γ ik l ∂ j ∂ l ψ + ∂ j h ik n + h ik ∂ j n,<br />

und daraus dur<strong>ch</strong> Einsetzen der Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen<br />

∂ i Γ jk l ∂ l ψ + Γ jk l Γ il m ∂ m ψ + Γ jk l h il n + ∂ i h jk n − h jk L i l ∂ l ψ =<br />

∂ j Γ ik l ∂ l ψ + Γ ik l Γ jl m ∂ m ψ + Γ ik l h jl n + ∂ j h ik n − h ik L j l ∂ l ψ.<br />

Spaltet man diese Glei<strong>ch</strong>ung auf in eine an M tangentielle und eine zu M normale<br />

Komponente, so erhält man die Glei<strong>ch</strong>ungen von Gauß (12.7.1) und Codazzi–<br />

Mainardi (12.7.2):<br />

∂ i Γ jk l − ∂ j Γ ik l + Γ jk m Γ im l − Γ ik m Γ jm l = h jk L i l − h ik L j<br />

l<br />

(12.7.1)<br />

Γ jk l h il − Γ ik l h jl + ∂ i h jk − ∂ j h ik = 0 (12.7.2)<br />

115


Aufgrund von Glei<strong>ch</strong>ung (11.8.3),<br />

Γ ij k = 1 2 gkl (∂ i g jl + ∂ j g li − ∂ l g ij ) (12.7.3)<br />

und wegen L i k = h ij g jk stellen diese Glei<strong>ch</strong>ungen Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en der ersten<br />

und der zweiten Fundamentalform von M dar. Deren Komponenten können<br />

also insbesondere ni<strong>ch</strong>t unabhängig voneinander beliebig vorgegeben werden. Wir<br />

bemerken, dass die Glei<strong>ch</strong>ung ∂ i ∂ j n = ∂ j ∂ i n bei ähnli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>nung ebenfalls die<br />

Codazzi–Mainardi–Glei<strong>ch</strong>ungen liefert.<br />

Die auf der re<strong>ch</strong>ten Seite der Gaußglei<strong>ch</strong>ung (12.7.1) stehenden Koeffizienten sind<br />

die Komponenten des (3, 1)–Tensorfeldes<br />

(<br />

hjk L i l − h ik L j<br />

l ) dw i ⊗ dw j ⊗ dw k ⊗ ∂<br />

∂w l<br />

auf M, dessen Wirkung auf Vektoren X, Y, Z und Kovektoren α si<strong>ch</strong> unabhängig<br />

von der Parametrisierung ψ bes<strong>ch</strong>reiben lässt dur<strong>ch</strong><br />

(X, Y, Z, α) ↦→ h(Y, Z) α(LX) − h(X, Z) α(LY ).<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong><br />

mit den Komponenten<br />

R = R ijk l dw i ⊗ dw j ⊗ dw k ⊗<br />

∂<br />

∂w l<br />

R ijk l := ∂ i Γ jk l − ∂ j Γ ik l + Γ jk m Γ im l − Γ ik m Γ jm<br />

l<br />

(12.7.4)<br />

der linken Seite von (12.7.1) unabhängig von der Parametrisierung. Der (3, 1)–<br />

Tensor R heißt der Riemanns<strong>ch</strong>e Krümmungstensor von M. Seine geometris<strong>ch</strong>e<br />

Bedeutung wird uns in späteren Kapiteln bes<strong>ch</strong>äftigen, die au<strong>ch</strong> eine dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>tigere<br />

Definition von R na<strong>ch</strong>liefern werden. Hier sei jedenfalls festgehalten, dass R si<strong>ch</strong><br />

wegen (12.7.3) allein aus der ersten Fundamentalform bestimmen lässt, also der<br />

inneren Geometrie von M angehört.<br />

Satz. Für die Gaußkrümmung K von M gilt<br />

K = h 11h 22 − (h 12 ) 2<br />

g 11 g 22 − (g 12 ) 2<br />

= R 122 l g l1<br />

det(g ij ) . (12.7.5)<br />

Insbesondere läßt si<strong>ch</strong> K allein aus den Komponenten g ij der ersten Fundamentalform<br />

und ihren Ableitungen bere<strong>ch</strong>nen.<br />

Beweis. Multiplikation beider Seiten der Gaußglei<strong>ch</strong>ung mit g ls und ans<strong>ch</strong>ließende<br />

Summation über l ergibt wegen L i l g ls = h is<br />

h jk h is − h ik h js = R ijk l g ls .<br />

116


Speziell für i = s = 1 und j = k = 2 folgt die Behauptung. QED<br />

Korollar. (“Theorema egregium” von Gauß (1827)). Ist f : M → N eine Isometrie<br />

zwis<strong>ch</strong>en Flä<strong>ch</strong>en im R 3 , dann gilt für deren Gaußkrümmungen K N ◦ f = K M . In<br />

entspre<strong>ch</strong>enden Punkten haben M und N also dieselbe Gaußkrümmung.<br />

Beweis. Sei ψ : W → M eine lokale Parametrisierung von M. Dann ist ˜ψ :=<br />

f ◦ ψ : W → N eine lokale Parametrisierung von N, und für die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Komponenten der ersten Fundamentalformen und die Christoffelsymbole gilt wie<br />

im Beweis von Satz 11.9<br />

Die Behauptung folgt aus (12.7.5). QED<br />

˜g ij ◦ ˜ψ = g ij ◦ ψ<br />

˜Γ ij k ◦ ˜ψ = Γ ij k ◦ ψ.<br />

12.8. Taylorentwicklung. Sei M ⊆ R 3 eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e, ψ : W → M eine<br />

lokale Parametrisierung von M, ψ(0) = p und w = (w 1 , w 2 ) ∈ W . Dann gilt die<br />

Taylorentwicklung<br />

ψ(w) = ψ(0) + ∂ψ<br />

∂w i (0)wi + 1 ∂ 2 ψ<br />

2 ∂w i ∂w k (0)wi w k + o(‖w‖ 2 ).<br />

Das Skalarprodukt mit n(p) ergibt<br />

also na<strong>ch</strong> (11.5.2)<br />

〈 〉 1<br />

〈 ∂ 2 ψ<br />

〉<br />

ψ(w) − ψ(0), n(p) =<br />

2 ∂w i ∂w k (0), n(p) w i w k + o(‖w‖ 2 ),<br />

〈<br />

ψ(w) − p, n(p)<br />

〉<br />

=<br />

1<br />

2 h ik(p) w i w k + o(‖w‖ 2 ). (12.8.1)<br />

Der Betrag der linken Seite dieser Glei<strong>ch</strong>ung ist der Abstand von ψ(w) zur Tangentialebene<br />

der Flä<strong>ch</strong>e im Punkt p. Die Matrix (h ik (p)) bes<strong>ch</strong>reibt also, wie ψ(w) in<br />

einer Umgebung von p von der Tangentialebene abwei<strong>ch</strong>t.<br />

Wir wählen nun eine spezielle lokale Parametrisierung an p wie folgt. Sei<br />

E = {p + ξ 1 E 1 + ξ 2 E 2 | ξ 1 , ξ 2 ∈ R} ⊆ R 3<br />

die Tangentialebene an M in p (mit beliebig gewählten Basisvektoren E 1 und E 2 ).<br />

Die senkre<strong>ch</strong>te Projektion proj : M → E bildet eine Umgebung U ⊆ M von p<br />

diffeomorph auf eine Umgebung V ⊆ E von p in E ab. Dann ist ψ : W → U<br />

ψ(w 1 , w 2 ) := (proj| U ) −1 (p + w 1 E 1 + w 2 E 2 )<br />

117


eine auf einer offenen Umgebung W ⊆ R 2 von 0 definierte lokale Parametrisierung<br />

mit ψ(0) = p. Offenbar gilt<br />

ψ(w 1 , w 2 ) = p + w 1 E 1 + w 2 E 2 + η(w 1 , w 2 ) n(p)<br />

mit einer Funktion η ∈ C ∞ (W ). Es folgt<br />

∂ψ<br />

∂w 1 (0) − E 1 = ∂η (0) n(p),<br />

∂w1 und dieser Vektor ist zuglei<strong>ch</strong> tangentiell an und senkre<strong>ch</strong>t auf M, also der Nullvektor.<br />

Weiter ist<br />

∂ 2 ψ<br />

∂w i ∂w k =<br />

∂2 η<br />

∂w i ∂w k n(p),<br />

also<br />

h ik (p) =<br />

∂2 η<br />

∂w i ∂w k (0).<br />

Die Taylorentwicklung von η um 0 liefert daher<br />

ψ(w 1 , w 2 ) = p + w i<br />

∂ψ<br />

∂w i (0) + 1 2 h ik(p)w i w k + o(‖w‖ 2 ) (12.8.2)<br />

Folgerung. Ist p ein elliptis<strong>ch</strong>er, ein hyperbolis<strong>ch</strong>er bzw. ein parabolis<strong>ch</strong>er Punkt<br />

der Flä<strong>ch</strong>e M, dann wird M in der Umgebung von p bis auf Terme höherer als<br />

zweiter Ordnung approximiert dur<strong>ch</strong> ein elliptis<strong>ch</strong>es Paraboloid, ein hyperbolis<strong>ch</strong>es<br />

Paraboloid bzw. einen parabolis<strong>ch</strong>en Zylinder.<br />

Aufgaben<br />

1. Eulerformel. (a) Sei M eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e im R 3 mit den Hauptkrümmungen<br />

κ 1 und κ 2 . Der Vektor v ∈ T p M bilde mit der zu κ 1 (p) gehörenden Hauptkrümmungsri<strong>ch</strong>tung<br />

den Winkel θ. Zeigen Sie, dass für die Krümmung κ n (θ) des<br />

dur<strong>ch</strong> v bestimmten Normals<strong>ch</strong>nittes die Eulerformel<br />

κ n (θ) = κ 1 (p) cos 2 θ + κ 2 (p) sin 2 θ<br />

gilt. Hinweis: Diagonalisierung der zweiten Fundamentalform.<br />

(b) Folgern Sie, dass die mittlere Krümmung der Mittelwert der Normals<strong>ch</strong>nittkrümmungen<br />

ist, also<br />

H = 1 ∫ 2π<br />

κ n (θ) dθ.<br />

2π<br />

0<br />

2. Asymptotenri<strong>ch</strong>tungen. Asymptotenri<strong>ch</strong>tungen einer Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 im<br />

Punkt p sind Ri<strong>ch</strong>tungen RX ⊆ T p M, für die II(X, X) = 0 ist. Kurven in M,<br />

118


die in jedem ihrer Punkte tangentiell an eine Asymptotenri<strong>ch</strong>tung sind, nennt man<br />

Asymptotenlinien. Zeigen Sie:<br />

(a) In hyperbolis<strong>ch</strong>en Punkten halbieren die Hauptkrümmungsri<strong>ch</strong>tungen die Winkel<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Asymptotenri<strong>ch</strong>tungen.<br />

(b) Die Asymptotenri<strong>ch</strong>tungen einer Minimalflä<strong>ch</strong>e stehen in jedem ni<strong>ch</strong>t parabolis<strong>ch</strong>en<br />

Punkt aufeinander senkre<strong>ch</strong>t.<br />

(c) Ist p ein hyperbolis<strong>ch</strong>er Punkt, dann s<strong>ch</strong>neidet die Tangentialebene E p = { p +<br />

v | (p, v) ∈ T p M } eine Umgebung U ⊆ M von p in zwei Kurven, die im Punkt p<br />

tangentiell an die Asymptotenri<strong>ch</strong>tungen von M sind.<br />

3. Torus. Für den dur<strong>ch</strong> die Parametrisierung<br />

ψ(w 1 , w 2 ) = ((a cos w 1 + b) cos w 2 , (a cos w 1 + b) sin w 2 , a sin w 1 )<br />

mit positiven Konstanten a < b gegebenen Torus M bestimme man die Koeffizienten<br />

der ersten und zweiten Fundamentalform, die mittlere Krümmung, Gaußkrümmung<br />

und die Hauptkrümmungen, und die Hauptkrümmungs- und Asymptotenri<strong>ch</strong>tungen.<br />

4. Positive Gaußkrümmung. Sei M ⊆ R 3 eine kompakte Flä<strong>ch</strong>e. Zeigen Sie:<br />

(a) Ist M in einem euklidis<strong>ch</strong>en Ball vom Radius ρ enthalten, dann enthält M<br />

Punkte mit Gaußkrümmung K ≥ 1/ρ 2 .<br />

(b) Es gilt<br />

∫<br />

M<br />

|K| dV ≥ 4π.<br />

5. Gaußabbildung winkeltreu. Die Gaußabbildung einer zusammenhängenden<br />

orientierten Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 ohne Fla<strong>ch</strong>punkte ist genau dann winkeltreu, wenn M<br />

eine Minimalflä<strong>ch</strong>e oder jeder Punkt von M ein Nabelpunkt ist.<br />

6. Regelflä<strong>ch</strong>en. Eine Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 heißt eine Regelflä<strong>ch</strong>e, wenn jeder Punkt<br />

p ∈ M eine Umgebung hat, die in der Form<br />

ψ(w 1 , w 2 ) = c(w 1 ) + w 2 X(w 1 )<br />

mit Abbildungen c, X ∈ C ∞ ((a, b), R 3 ) parametrisiert werden kann. M heißt abwickelbar,<br />

wenn diese Parametrisierungen so gewählt werden können, dass zusätzli<strong>ch</strong><br />

gilt ∂(n ◦ ψ)/∂w 2 = 0. Zeigen Sie :<br />

(a) Das eins<strong>ch</strong>alige Hyperboloid<br />

x2<br />

a 2 + y2<br />

b 2 − z2<br />

= 1 ist eine Regelflä<strong>ch</strong>e.<br />

c2 (b) Für jede bireguläre Kurve c ∈ C ∞ (I, R 3 ) ist die dur<strong>ch</strong> die Parametrisierung<br />

ψ(w 1 , w 2 ) = c(w 1 ) + w 2 c ′ (w 1 ) (w 2 ≠ 0)<br />

definierte Tangentenflä<strong>ch</strong>e abwickelbar.<br />

119


(c) Ist M eine Regelflä<strong>ch</strong>e, dann ist die Gaußkrümmung K ≤ 0, und die Geraden<br />

w 1 = const. sind Asymptotenlinien.<br />

(d) Eine Regelflä<strong>ch</strong>e ist genau dann abwickelbar, wenn K = 0 ist.<br />

7. Joa<strong>ch</strong>imsthal. (a) Eine differenzierbare Kurve c auf einer orientierten Flä<strong>ch</strong>e<br />

M ist eine Krümmungslinie genau dann, wenn<br />

ist mit einer stetigen Funktion λ.<br />

d<br />

dt n(c(t)) = λ(t) c′ (t)<br />

(b) Die S<strong>ch</strong>nittkurve c der orientierten Flä<strong>ch</strong>en M 1 und M 2 sei eine Krümmungslinie<br />

von M 1 . Dann gilt: c ist eine Krümmungslinie von M 2 genau dann, wenn der<br />

Winkel zwis<strong>ch</strong>en den Normalen von M 1 und M 2 entlang c konstant ist (“Satz von<br />

Joa<strong>ch</strong>imsthal”).<br />

8. Parallelflä<strong>ch</strong>en. Sei M = ψ(W ), W ⊆ R 2 eine parametrisierte Flä<strong>ch</strong>e im R 3 .<br />

Eine Parallelflä<strong>ch</strong>e zu M ist eine (immersierte) Flä<strong>ch</strong>e der Gestalt M a = ψ a (W ),<br />

wobei<br />

ψ a (w) = ψ(w) + a n(ψ(w))<br />

mit einem Einheitsnormalenfeld n und einer Konstanten a. Zeigen Sie:<br />

(a) Mit der Gaußkrümmung K und der mittleren Krümmung H von M gilt<br />

∂ 1 ψ a × ∂ 2 ψ a = (1 − 2Ha + Ka 2 ) ∂ 1 ψ × ∂ 2 ψ.<br />

(b) Die Gaußkrümmung und die mittlere Krümmung von M a sind gegeben dur<strong>ch</strong><br />

K<br />

1 − 2Ha + Ka 2 und<br />

H − Ka<br />

1 − 2Ha + Ka 2 .<br />

(c) Abgesehen von Ausnahmefällen gibt es zu jeder Flä<strong>ch</strong>e konstanter mittlerer<br />

Krümmung eine (immersierte) Parallelflä<strong>ch</strong>e konstanter Gaußs<strong>ch</strong>er Krümmung und<br />

umgekehrt.<br />

120


13. Eiflä<strong>ch</strong>en<br />

Eine Eiflä<strong>ch</strong>e ist eine kompakte, zusammenhängende Flä<strong>ch</strong>e im R 3 , deren Gaußkrümmung<br />

überall positiv ist. Hauptergebnis dieses Kapitels ist der Starrheitssatz<br />

für Eiflä<strong>ch</strong>en in der Fassung von S. Cohn–Vossen (1936), wel<strong>ch</strong>er besagt, dass zwei<br />

isometris<strong>ch</strong>e Eiflä<strong>ch</strong>en stets kongruent sind. Wir verwenden eine Beweismethode<br />

von A. D. Alexandrov und E. P. Senkin (1955), die auf dem Maximumprinzip beruht.<br />

Mit diesem au<strong>ch</strong> in anderen Zusammenhängen wi<strong>ch</strong>tigen Resultat beginnen wir das<br />

Kapitel.<br />

13.1. Das Maximumprinzip von E. Hopf. Sei U ⊆ R n offen und zusammenhängend.<br />

Wir betra<strong>ch</strong>ten einen Differentialoperator<br />

Lu =<br />

n∑<br />

a ij ∂ i ∂ j u +<br />

i,j=1<br />

n∑<br />

b i ∂ i u (13.1.1)<br />

auf Funktionen u ∈ C 2 (U), dessen Koeffizienten a ij = a ji und b i reellwertige Funktionen<br />

auf U sind mit den folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Zu jeder kompakten Teilmenge<br />

K ⊆ U existieren Konstanten c K und ε K > 0, so dass gilt<br />

i=1<br />

∣ b i (x) ∣ ≤ cK<br />

∣ a ii (x) ∣ ≤ cK<br />

n∑<br />

a ij (x) ξ i ξ j ≥ ε K ‖ξ‖ 2<br />

i,j=1<br />

für alle x ∈ K, ξ ∈ R n und i = 1, . . . , n.<br />

folgende<br />

Unter diesen Voraussetzungen gilt der<br />

Satz. (Maximumprinzip) Sei u ∈ C 2 (U) mit Lu ≥ 0. Die Funktion u habe ein<br />

Maximum in einem Punkt x 0 ∈ U, also u(x 0 ) = sup x∈U u(x). Dann ist u konstant.<br />

Lemma. Seien A eine positiv semidefinite und B eine negativ semidefinite reelle<br />

symmetris<strong>ch</strong>e Matrix. Dann ist Spur(AB) ≤ 0.<br />

Zum Beweis des Lemmas genügt es, eine der beiden Matrizen zu diagonalisieren. Um<br />

das Maximumprinzip zu beweisen, führen wir die Annahme, u sei ni<strong>ch</strong>t konstant, zu<br />

einem Widerspru<strong>ch</strong>. Sei M = u(x 0 ). Ist u ni<strong>ch</strong>t konstant, dann existiert ein offener<br />

Ball B, dessen Abs<strong>ch</strong>luss ¯B ⊆ U ist, und so dass u < M auf B und u(x 1 ) = M<br />

für einen Randpunkt x 1 ∈ ∂B. Sei x 2 ein auf der Verbindungsstrecke zwis<strong>ch</strong>en x 1<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

121


und dem Mittelpunkt von B gelegener Punkt, ϱ := ‖x 1 − x 2 ‖, und sei B 2 der Ball<br />

B 2 := B(x 2 , ϱ). Wir betra<strong>ch</strong>ten die Funktion<br />

v(x) := e −α‖x−x2‖2 − e −αϱ2<br />

mit einer später geeignet zu wählenden Konstanten α > 0. Es ist v = 0 auf dem<br />

Rand ∂B 2 und v < 0 auf dem Komplement R n \ ¯B 2 .<br />

Für kleine Radien 0 < ϱ ′ < ϱ ist der abges<strong>ch</strong>lossene Ball ¯B1 := ¯B(x 1 , ϱ ′ ) ⊆ U. Wir<br />

betra<strong>ch</strong>ten die Funktion w := u + λv mit einer Konstante λ > 0. Auf dem Rand<br />

∂B 1 ist w < M, wenn λ hinrei<strong>ch</strong>end klein gewählt wird. In der Tat ist<br />

∂B 1 = (∂B 1 ∩ ¯B 2 ) ∪ (∂B 1 ∩ (R n \ ¯B 2 )).<br />

Auf der Menge ∂B 1 ∩ ¯B 2 ist u < M, also, da diese Menge kompakt und v stetig ist,<br />

au<strong>ch</strong> u + λv < M für hinrei<strong>ch</strong>end kleines λ. Auf ∂B 1 ∩ (R n \ ¯B 2 ) hingegen ist v < 0,<br />

also ebenfalls w < M.<br />

Da nun w(x 1 ) = u(x 1 ) = M, aber w| ∂B1 < M ist, hat w ein Maximum in einem<br />

Punkt x 3 ∈ B 1 . In x 3 ist ∂ i w = 0, und die Matrix ∂ i ∂ j w ist negativ semidefinit,<br />

also impliziert das Lemma<br />

(Lw)(x 3 ) =<br />

n∑<br />

a ij (x 3 ) ∂ i ∂ j w(x 3 ) ≤ 0.<br />

i,j=1<br />

Andererseits zeigen wir nun, dass auf B 1 gilt Lw > 0, wenn α hinrei<strong>ch</strong>end groß<br />

gewählt wird—ein Widerspru<strong>ch</strong>, da x 3 ∈ B 1 ist. Mit ξ := x − x 2 bere<strong>ch</strong>net man<br />

(Lv)(x) = e −α‖ξ‖2( 4α 2 ∑ i,j<br />

a ij (x)ξ i ξ j − 2α ∑ i<br />

a ii (x) − 2α ∑ i<br />

b i (x) ξ i<br />

).<br />

Nun gilt für x ∈ K := ¯B 1<br />

∣ ∑ b i (x)ξ i<br />

∣ ∣ ≤ cK<br />

∑<br />

|ξi | ≤ c K n ‖ξ‖ ,<br />

und außerdem na<strong>ch</strong> der Dreiecksunglei<strong>ch</strong>ung 0 < ϱ − ϱ ′ ≤ ‖ξ‖ ≤ ϱ + ϱ ′ . Daher ist<br />

(Lv)(x) ≥ e −α‖ξ‖2( 4α 2 ε K ‖ξ‖ 2 − 2αn c K − 2αn c K ‖ξ‖ )<br />

≥ αe −α‖ξ‖2( 4α ε K (ϱ − ϱ ′ ) 2 − 2n c K (1 + ϱ + ϱ ′ ) )<br />

und dieser Ausdruck ist für hinrei<strong>ch</strong>end große α positiv. Es folgt Lw = Lu+λ Lv ≥<br />

λ Lv > 0 auf B 1 . QED<br />

13.2. Darbouxs<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ung. Seien M ⊆ R 3 eine orientierte Flä<strong>ch</strong>e, n ihre<br />

Gaußabbildung und p 0 ∈ R 3 . Sei weiter r : M → R 3 die Abbildung r(p) := p − p 0 .<br />

Dann erfüllt die dur<strong>ch</strong><br />

ϱ = 1 2 ‖r‖2 = 1 〈r, r〉<br />

2<br />

122


definierte Funktion ϱ ∈ C ∞ (M) eine Differentialglei<strong>ch</strong>ung, die wir nun herleiten. Sei<br />

dazu ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M eine lokale Parametrisierung. Für die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Basisvektorfelder ∂ i = ∂/∂w i auf U gilt dann<br />

∂ i f =<br />

∂(f ◦ ψ)<br />

∂w i ◦ ψ −1 .<br />

Lemma. Seien g ij und h ij die Komponenten der ersten und zweiten Fundamentalform<br />

von M, K die Gaußkrümmung und sei<br />

ϱ ,ij := ∂ i ∂ j ϱ − Γ ij k ∂ k ϱ.<br />

Dann gilt:<br />

(1) ∂ i r = ∂ψ<br />

∂w i ◦ ψ−1<br />

(2) ∂ i ϱ = 〈r, ∂ i r〉<br />

(3) ϱ ,ij − g ij = h ij 〈r, n〉<br />

(4)<br />

1<br />

det(g ij ) det(ϱ ,ij − g ij ) = K〈r, n〉 2<br />

(5) r = g ij ∂ i ϱ ∂ j r + 〈r, n〉n<br />

(6) 2ϱ = g ij ∂ i ϱ ∂ j ϱ + 〈r, n〉 2<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net wie übli<strong>ch</strong> g ij die Komponenten der zu (g ij ) inversen Matrix.<br />

Der Ausdruck g ij ∂ i ϱ ∂ j ϱ kann parameterunabhängig als Norm ‖dϱ‖ der Eins–Form<br />

dϱ gedeutet werden. Man verglei<strong>ch</strong>e dazu Aufgabe 1. Die hier etwas unmotiviert<br />

auftretenden ϱ ,ij sind die Komponenten eines Tensors, der kovarianten Ableitung<br />

∇dϱ, die wir im nä<strong>ch</strong>sten Kapitel einführen werden.<br />

Beweis. (1) und (2) sind offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Definition von ∂ i . (4) folgt aus (3) und<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 12.4, und (6) ergibt si<strong>ch</strong> sofort aus (5). Zum Beweis von (3) differenzieren<br />

wir (2) und wenden die Ableitungsglei<strong>ch</strong>ung (11.8.1) von Gauß an:<br />

∂ i ∂ j ϱ = ∂ i 〈r, ∂ j r〉<br />

= 〈∂ i r, ∂ j r〉 + 〈r, ∂ i ∂ j r〉<br />

= g ij + 〈r, Γ ij k ∂ k r + h ij n〉<br />

= g ij + Γ ij k ∂ k ϱ + h ij 〈r, n〉.<br />

Es bleibt (5) zu beweisen. Dazu verifiziert man, dass das Skalarprodukt beider<br />

Seiten der behaupteten Identität mit ∂ 1 r, ∂ 2 r und n jeweils dasselbe Resultat liefert.<br />

Da diese Vektoren eine Basis des R 3 bilden, folgt die Behauptung. QED<br />

Korollar. (Darbouxs<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ung) Mit ϱ ,ij := ∂ i ∂ j ϱ − Γ ij k ∂ k ϱ gilt<br />

1<br />

det(g ij ) det(ϱ ,ij − g ij ) = K(2ϱ − g ij ∂ i ϱ ∂ j ϱ).<br />

123


13.3. Kriterium für die Kongruenz isometris<strong>ch</strong>er Flä<strong>ch</strong>en. Seien M und<br />

¯M orientierte zusammenhängende Flä<strong>ch</strong>en im R 3 . Für Punkte p 0 und ¯p 0 ∈ R 3<br />

betra<strong>ch</strong>ten wir wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 13.2 die Funktion<br />

ϱ(p) = 1 2 ‖r(p)‖2 = 1 2 ‖p − p 0‖ 2<br />

auf M, und entspre<strong>ch</strong>end auf ¯M<br />

¯ϱ(¯p) = 1 2 ‖¯r(¯p)‖2 = 1 2 ‖¯p − ¯p 0‖ 2 .<br />

Satz. Sei f : M → ¯M eine Isometrie mit der Eigens<strong>ch</strong>aft ¯ϱ ◦ f = ϱ. Für die<br />

Gaußabbildung n von M gelte 〈 r(p), n(p) 〉 ≠ 0 in jedem Punkt p ∈ M. Dann existiert<br />

eine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung φ des R 3 mit φ| M = f.<br />

Beweis. Na<strong>ch</strong> Satz 11.9 genügt es, zu zeigen, dass bei geeigneter Wahl der Orientierung<br />

von ¯M gilt f ∗ (II ¯M) = II M . Sei dazu ψ : W → U ⊆ M eine lokale Parametrisierung.<br />

Die entspre<strong>ch</strong>enden Basisfelder auf U bezei<strong>ch</strong>nen wir mit ∂ i , die Komponenten<br />

der Fundamentalformen von M mit g ij und h ij , und die Christoffelsymbole<br />

mit Γ ij k . Für ¯M verwenden wir die lokale Parametrisierung ¯ψ = f ◦ ψ : W → f(U)<br />

⊆ ¯M, und bezei<strong>ch</strong>nen die entspre<strong>ch</strong>enden Größen mit ¯∂ i , ḡ ij , ¯h ij und ¯Γ ij k . Da f<br />

eine Isometrie ist, gilt<br />

ḡ ij ◦ f = g ij<br />

¯Γ ij k ◦ f = Γ ij<br />

k<br />

¯K ◦ f = K.<br />

Außerdem gilt für Funktionen ϕ ∈ C ∞ (f(U)) offenbar ( ¯∂ i ϕ) ◦ f = ∂ i (ϕ ◦ f). Mit<br />

den Abkürzungen ˜ϱ = ¯ϱ ◦ f, ˜g ij = ḡ ij ◦ f etc. liefert Glei<strong>ch</strong>ung (6) aus 13.2<br />

Mit ρ = ˜ρ folgt daraus<br />

2ϱ = g ij ∂ i ϱ ∂ j ϱ + 〈r, n〉 2<br />

2˜ϱ = g ij ∂ i ˜ϱ ∂ j ˜ϱ + 〈˜r, ñ〉 2 .<br />

〈 r(p), n(p) 〉 = ± 〈 ˜r(p), ñ(p) 〉<br />

an jeder Stelle p ∈ M. Na<strong>ch</strong> Voraussetzung sind beide Seiten dieser Glei<strong>ch</strong>ung von<br />

Null vers<strong>ch</strong>ieden. Ihr Quotient 〈r, n〉/〈˜r, ñ〉 ist eine stetige Funktion auf M, die nur<br />

die Werte 1 und −1 annimmt, also konstant sein muss, da M zusammenhängend<br />

ist. Indem man nötigenfalls die Orientierung von ¯M ändert, kann man annehmen,<br />

124


dass 〈r, n〉 = 〈˜r, ñ〉 ist. Lemma 1(3) zeigt dann h ij = ˜h ij , und für die zweiten<br />

Fundamentalformen folgt<br />

wie behauptet. QED<br />

II M | U = h ij dw i ⊗ dw j<br />

= ¯h ij ◦f dw i ⊗ dw j<br />

= f ∗ (¯h ij d ¯w i ⊗ d ¯w j )<br />

= f ∗ (II ∣<br />

¯M f(U)<br />

),<br />

13.4. Eiflä<strong>ch</strong>en. Wir betra<strong>ch</strong>ten nun Eiflä<strong>ch</strong>en, also kompakte zusammenhängende<br />

differenzierbare Flä<strong>ch</strong>en im R 3 mit überall positiver Gaußkrümmung. Eine Teilmenge<br />

A ⊆ R n heißt konvex, wenn für je zwei Punkte aus A au<strong>ch</strong> deren Verbindungsstrecke<br />

in A enthalten ist.<br />

Satz (Hadamard). Sei M ⊆ R 3 eine Eiflä<strong>ch</strong>e. Dann ist M orientierbar, und für<br />

jede Wahl einer Orientierung ist die Gaußabbildung n : M → S 2 ein Diffeomorphismus.<br />

Beweis. Man wähle als Einheitsnormalenfeld n etwa dasjenige, für das die beiden<br />

Hauptkrümmungen positiv sind. Nennt man Basen (X 1 , X 2 ) von T p M positiv orientiert,<br />

wenn (X 1 , X 2 , n(p)) eine positiv orientierte Basis von T p R 3 bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Standardorientierung ist, so erhält man eine Orientierung von M.<br />

Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 12.5 hat die Ableitung T p n maximalen Rang in jedem Punkt von<br />

M. Also ist n ein lokaler Diffeomorphismus. Daraus folgt, dass das Bild n(M) eine<br />

offene Teilmenge von S 2 ist. Andererseits ist n(M) kompakt, da M kompakt ist<br />

und n stetig. Also ist n(M) au<strong>ch</strong> eine abges<strong>ch</strong>lossene Teilmenge von S 2 , und da S 2<br />

zusammenhängend ist, folgt n(M) = S 2 . Die Gaußabbildung ist also surjektiv und<br />

ein lokaler Diffeomorphismus.<br />

Es bleibt zu zeigen, dass n injektiv ist. Wir skizzieren einen direkten Beweis, ohne<br />

die Einzelheiten auszuführen. Man verglei<strong>ch</strong>e dazu etwa Klingenberg ([Kl1], S.131).<br />

Seien p 0 und p 1 Punkte in M mit n(p 0 ) = n(p 1 ) = ˜p. Wir wählen eine stetige Kurve<br />

c 0 : [0, 1] → M, die p 0 mit p 1 verbindet. Die Bildkurve ˜c 0 = n ◦ c 0 ist eine S<strong>ch</strong>leife<br />

am Punkt ˜p. Da S 2 einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend ist, lässt si<strong>ch</strong> diese S<strong>ch</strong>leife stetig<br />

auf den Punkt ˜p zusammenziehen. Man erhält also eine stetige Familie (genauer:<br />

Homotopie) ˜c s (0 ≤ s ≤ 1) von S<strong>ch</strong>leifen an ˜p dergestalt, dass ˜c 1 die konstante<br />

Kurve mit Wert ˜p ist. Den Kurven ˜c s entspre<strong>ch</strong>en “geliftete” Kurven c s in M mit<br />

n ◦ c s = ˜c s , die alle p 0 mit p 1 verbinden. Da c 1 eine konstante Kurve sein muss,<br />

folgt p 0 = p 1 . QED<br />

Exkurs: Überlagerungen. Die Injektivität der Gaußabbildung folgt aus allgemeinen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften von Überlagerungen. Eine (differenzierbare) Überlagerung<br />

von Mannigfaltigkeiten ist eine surjektive differenzierbare Abbildung f : M → N<br />

125


mit folgender Eigens<strong>ch</strong>aft: Jeder Punkt q ∈ N besitzt eine offene Umgebung U, so<br />

dass<br />

f −1 (U) = ⋃ α∈Λ<br />

U α<br />

mit disjunkten offenen Teilmengen U α ⊆ M, und so dass die Eins<strong>ch</strong>ränkung f| Uα :<br />

U α → U ein Diffeomorphismus von U α auf U ist. Sol<strong>ch</strong>e Umgebungen U nennt<br />

man zulässig (englis<strong>ch</strong> “evenly covered”). Überlagerungen sind also spezielle lokale<br />

Diffeomorphismen. Die beiden benötigten Eigens<strong>ch</strong>aften sind nun folgende.<br />

Lemma 1. Ist M kompakt und N zusammenhängend, dann ist jeder lokale Diffeomorphismus<br />

f : M → N eine Überlagerung.<br />

Lemma 2. Ist M zusammenhängend und N einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend, dann ist<br />

jede Überlagerung f : M → N ein Diffeomorphismus.<br />

Beweise dieser Lemmas findet man etwa bei do Carmo ([Ca1], Abs<strong>ch</strong>nitt 5-6). Ihre<br />

Anwendung auf n : M → S 2 zeigt insbesondere die Injektivität von n.<br />

Satz. Jede Eiflä<strong>ch</strong>e ist Rand einer kompakten konvexen Teilmenge B ⊆ R 3 .<br />

Beweis. Der verallgemeinerte Jordans<strong>ch</strong>e Kurvensatz besagt, dass das Komplement<br />

R 3 \M jeder kompakten zusammenhängenden Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 genau zwei Zusammenhangskomponenten<br />

hat, und dass M der Rand jeder dieser Komponenten ist<br />

(vgl. etwa Spivak Band I, p. 409). Daraus folgt zunä<strong>ch</strong>st, dass genau eine der<br />

beiden Komponenten bes<strong>ch</strong>ränkt ist. Sei B die Vereinigung dieser bes<strong>ch</strong>ränkten<br />

Komponente mit ihrem Rand M. Dann ist B eine abges<strong>ch</strong>lossene und bes<strong>ch</strong>ränkte<br />

Teilmenge des R 3 , also kompakt.<br />

Sei nun speziell M eine Eiflä<strong>ch</strong>e. Für p ∈ M bezei<strong>ch</strong>ne E p ⊂ R 3 die Tangentialebene<br />

an M dur<strong>ch</strong> den Punkt p. Wir überlegen zunä<strong>ch</strong>st, dass für jeden Punkt p ∈ M<br />

die Flä<strong>ch</strong>e M im Abs<strong>ch</strong>luss eines der beiden Halbräume enthalten ist, in die der<br />

Raum R 3 dur<strong>ch</strong> E p zerlegt wird. Wäre das für ein p ni<strong>ch</strong>t der Fall, dann hätte man<br />

einen Punkt q ∈ M maximaler Höhe über der Ebene E p , und einen Punkt r ∈ M<br />

maximaler Tiefe unter E p . Dann wären die drei Ebenen E q und E r zu E p parallel,<br />

im Widerspru<strong>ch</strong> zur Injektivität der Gaußabbildung.<br />

Für p ∈ M sei nun H p ⊂ R 3 derjenige abges<strong>ch</strong>lossene Halbraum, der M enthält,<br />

und sei H = ⋂ p∈M H p. Dann ist H als S<strong>ch</strong>nitt konvexer Mengen selbst konvex.<br />

Wir zeigen, das B = H ist. Na<strong>ch</strong> Wahl der H p ist jedenfalls B ⊆ H. Ist q ein Punkt<br />

ausserhalb von B, dann existiert ein Punkt p ∈ M minimalen Abstands zu q. Man<br />

sieht lei<strong>ch</strong>t, dass dann q ni<strong>ch</strong>t in H p enthalten ist. Also ist au<strong>ch</strong> H ⊆ B. QED<br />

13.5. Starrheitssatz für Eiflä<strong>ch</strong>en. Seien M ⊆ R 3 eine Eiflä<strong>ch</strong>e, ¯M ⊆ R 3 eine<br />

Flä<strong>ch</strong>e und f : M → ¯M eine Isometrie. Dann existiert eine euklidis<strong>ch</strong>e Bewegung<br />

φ : R 3 → R 3 mit φ| M = f.<br />

Es sei angemerkt, dass der Satz unverändert gilt, wenn man in der Definition des Begriffes<br />

der Eiflä<strong>ch</strong>e die Forderung K > 0 zu K ≥ 0 abs<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t. Läßt man hingegen<br />

126


Berei<strong>ch</strong>e negativer Krümmung zu, so wird die Aussage fals<strong>ch</strong>. Man kann das lei<strong>ch</strong>t<br />

anhand von Drehflä<strong>ch</strong>en einsehen, die man aus einer Sphäre erhält, indem man<br />

zunä<strong>ch</strong>st eine Umgebung eines Punktes abplattet, um dann den abgeplatteten Berei<strong>ch</strong><br />

mit einer entweder na<strong>ch</strong> innen, oder symmetris<strong>ch</strong> dazu na<strong>ch</strong> außen geri<strong>ch</strong>teten<br />

differenzierbaren Beule zu versehen.<br />

Verbiegungen. Es ist ni<strong>ch</strong>t bekannt, ob es kompakte zusammenhängende Flä<strong>ch</strong>en<br />

M ⊆ R 3 gibt, die ni<strong>ch</strong>ttriviale isometris<strong>ch</strong>e Deformationen zulassen. Eine isometris<strong>ch</strong>e<br />

Deformation von M ist dabei eine C ∞ –Abbildung f : [0, 1] × M → R 3 mit<br />

der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass f 0 := f(0, ·) die Inklusionsabbildung ι M : M → R 3 ist und<br />

jede der Abbildungen f t := f(t, ·) eine isometris<strong>ch</strong>e Einbettung (M, g) → (R 3 , g R 3).<br />

Dabei ist g die erste Fundamentalform von M. Eine isometris<strong>ch</strong>e Deformation<br />

heißt trivial, wenn sie von der Form f(t, p) = A(t)p + b(t) ist mit A(t) ∈ O(3) und<br />

b(t) ∈ R 3 , also ledigli<strong>ch</strong> aus einer Kurve euklidis<strong>ch</strong>er Bewegungen entsteht.<br />

13.6. Eine Differentialglei<strong>ch</strong>ung. Für den Beweis des Starrheitssatzes werden<br />

wir das Kriterium aus Abs<strong>ch</strong>nitt 13.3 anwenden. Wir müssen also zeigen, dass bei<br />

geeigneter Wahl der Punkte p 0 ∈ M und ¯p 0 ∈ ¯M für die entspre<strong>ch</strong>enden Funktionen<br />

ρ und ˜ρ = ¯ρ ◦ f gilt ˜ϱ − ϱ = 0. Dazu leiten wir eine Differentialglei<strong>ch</strong>ung für die<br />

Funktion v := ˜ϱ − ϱ ∈ C ∞ (M) her, auf die dann das Hopfs<strong>ch</strong>e Maximumprinzip<br />

anwendbar sein wird.<br />

Wir verwenden Parametrisierungen wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 13.3, so dass insbesondere<br />

˜g ij = ḡ ij ◦f = g ij ist. Wegen der Symmetrie g ij = g ji liefert Subtraktion der Darbouxglei<strong>ch</strong>ungen<br />

für ˜ϱ und ϱ<br />

1<br />

det(g ij ) (det(˜ϱ ,ij − g ij ) − det(ϱ ,ij − g ij ))<br />

= 2K(˜ϱ − ϱ) − Kg ij (∂ i ˜ϱ∂ j ˜ϱ − ∂ i ϱ∂ j ϱ)<br />

= 2K(˜ϱ − ϱ) − Kg ij (∂ i ˜ϱ + ∂ i ϱ)∂ j (˜ϱ − ϱ).<br />

Die linke Seite dieser Glei<strong>ch</strong>ung läßt si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>reiben als<br />

1<br />

(<br />

(˜ϱ ,11 − g 11 )(˜ϱ ,22 − g 22 ) − (˜ϱ ,12 − g 12 ) 2<br />

det(g ij )<br />

)<br />

− (ϱ ,11 − g 11 )(ϱ ,22 − g 22 ) + (ϱ ,12 − g 12 ) 2<br />

1<br />

( 1<br />

=<br />

det(g ij ) 2 (ϱ ,22 − g 22 + ˜ϱ ,22 − g 22 )(˜ϱ ,11 − ϱ ,11 )<br />

− (ϱ ,12 − g 12 + ˜ϱ ,12 − g 12 )(˜ϱ ,12 − ϱ ,12 )<br />

+ 1 )<br />

2 (ϱ ,11 − g 11 + ˜ϱ ,11 − g 11 )(˜ϱ ,22 − ϱ ,22 )<br />

=<br />

1<br />

( 1 (<br />

h22 〈r, n〉 +<br />

det(g ij ) 2<br />

˜h 22 〈˜r, ñ〉 ) v ,11<br />

− ( h 12 〈r, n〉 + ˜h 12 〈˜r, ñ〉 ) v ,12<br />

+ 1 (<br />

h11 〈r, n〉 +<br />

2<br />

˜h 11 〈˜r, ñ〉 ) )<br />

v ,22 .<br />

127


Dabei wurde Lemma 1(3) verwendet, und es ist v = ˜ϱ − ϱ und<br />

v ,ij = ∂ i ∂ j v − Γ k ij ∂ k v.<br />

Die Funktion v ∈ C ∞ (M) erfüllt also auf U die Glei<strong>ch</strong>ung<br />

∑<br />

a ij ∂ i ∂ j v + ∑ b i ∂ i v = −2Kv (13.6.1)<br />

i,j<br />

mit der Matrix<br />

(a ij ) = −<br />

( ( )<br />

1<br />

h22 −h<br />

〈r, n〉<br />

12<br />

2 det(g ij ) −h 12 h 11<br />

( ) ) ˜h22 −˜h<br />

+〈˜r, ñ〉<br />

12<br />

(13.6.2)<br />

−˜h 12<br />

˜h11<br />

und gewissen Koeffizienten b i ∈ C ∞ (U), die ihrerseits von ϱ und ˜ϱ abhängen.<br />

13.7. Beweis von Satz 13.5. Sei nun speziell M eine Eiflä<strong>ch</strong>e. Da ¯M zu M<br />

isometris<strong>ch</strong> ist, ist dann au<strong>ch</strong> ¯M eine Eiflä<strong>ch</strong>e. Wir wählen p 0 ∈ M und ¯p 0 := f(p 0 )<br />

und zeigen ϱ = ˜ϱ, woraus na<strong>ch</strong> 13.3 der Satz folgt. Zu diesem Zweck werden wir die<br />

Annahme ϱ ≠ ˜ϱ zum Widerspru<strong>ch</strong> führen. Indem wir nötigenfalls die Rollen von<br />

M und ¯M vertaus<strong>ch</strong>en, können wir dabei voraussetzen, dass in gewissen Punkten<br />

˜ϱ − ϱ > 0 gilt. Seien n und ¯n die inneren Normalen, und sei n 0 := n(p 0 ). Sei<br />

ε ≥ 0 die kleinste Zahl mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für den Punkt p ′ 0 = p 0 − εn 0 und<br />

r ′ (p) = p − p ′ 0 und ϱ′ = 1 2 〈r′ , r ′ 〉 gilt ˜ϱ − ϱ ′ ≤ 0 auf ganz M. Dann ist ε > 0. Sei<br />

M 1 = { p ∈ M | ˜ϱ(p) − ϱ ′ (p) = 0 }.<br />

Die Menge M 1 ist abges<strong>ch</strong>lossen in M und aufgrund der Minimalität von ε ni<strong>ch</strong>t leer.<br />

Außerdem ist p 0 /∈ M 1 , da ˜ϱ(p 0 ) = ¯ϱ(¯p 0 ) = 0 und ϱ ′ (p 0 ) > 0. Wir werden zeigen,<br />

dass M 1 eine offene Teilmenge von M ist. Das widerspri<strong>ch</strong>t der Voraussetzung, dass<br />

M zusammenhängend ist. Also war die Annahme ϱ ≠ ˜ϱ fals<strong>ch</strong>.<br />

Behauptung 1. Auf M 1 gilt 〈r ′ , n〉 < 0.<br />

Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> bedeutet diese Aussage, dass M 1 im S<strong>ch</strong>atten liegt, wenn M von p ′ 0<br />

aus beleu<strong>ch</strong>tet wird. Zu ihrem Beweis sei p ∈ M 1 . Falls 〈n(p), n 0 〉 ≤ 0 ist, dann<br />

folgt mit r ′ = r + εn 0<br />

〈r ′ (p), n(p)〉 = 〈r(p), n(p)〉 + ε〈n 0 , n(p)〉 < 0,<br />

da p ≠ p 0 ist und 〈r, n〉 < 0 auf M\{p 0 }. Es bleibt der Fall 〈n(p), n 0 〉 > 0 zu<br />

betra<strong>ch</strong>ten. Seien dazu p 1 der S<strong>ch</strong>nitt der Tangentialebene an M in p mit der<br />

Geraden p 0 + Rn 0 und p 2 der S<strong>ch</strong>nitt der Tangentialebene an M in p 0 mit der<br />

128


Geraden dur<strong>ch</strong> p 1 und p. Die Ebene, wel<strong>ch</strong>e die Punkte p 0 , p ′ 0 und p enthält,<br />

s<strong>ch</strong>neidet M in einer konvexen ebenen Kurve C. Sei C 1 ⊂ C der Teilbogen, der p 0<br />

mit p verbindet und den Fußpunkt des Lotes von p 2 auf C enthält. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> seien<br />

¯C = f(C) und ¯p = f(p). Dann ist<br />

‖p 1 − p‖ = ‖p 1 − p 2 ‖ + ‖p 2 − p‖<br />

> ‖p 0 − p 2 ‖ + ‖p 2 − p‖<br />

≥ L(C 1 )<br />

(da C konvex)<br />

= L(f(C 1 )) (weil f Isometrie)<br />

≥ ‖¯p 0 − ¯p‖<br />

= ¯ϱ(¯p) = ˜ϱ(p) = ϱ ′ (p) (da p ∈ M 1 )<br />

= ‖p ′ 0 − p‖ .<br />

Also liegt p ′ 0 zwis<strong>ch</strong>en p 0 und p 1 . Es folgt, wie behauptet,<br />

〈r ′ (p), n(p)〉 = 〈p − p ′ 0, n(p)〉<br />

= 〈p − p 1 , n(p)〉 + 〈p 1 − p ′ 0 , n(p)〉<br />

< 0.<br />

Behauptung 2. M 1 ist offen in M.<br />

Sei p ∈ M 1 und ¯p = f(p). Wir wählen eine lokale Parametrisierung ψ : W →<br />

ψ(W ) = U ⊆ M mit p ∈ U und verwenden die lokale Parametrisierung f ◦ ψ für<br />

¯M. Die Funktion v := ˜ϱ − ϱ ′ ∈ C ∞ (M) erfüllt v ≤ 0 auf M, und v = 0 auf M 1 ,<br />

hat also ein Maximum an p. Bezügli<strong>ch</strong> der Parametrisierungen gilt na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

13.6 ∑<br />

a ij ∂ i ∂ j v + ∑ b i ∂ i v = −2Kv ≥ 0<br />

mit der Koeffizientenmatrix<br />

( ( )<br />

(a ij 1<br />

) = −<br />

〈r ′ h22 −h<br />

, n〉<br />

12<br />

2 det(g ij ) −h 12 h 11<br />

( ) ) ˜h22 −˜h<br />

+〈˜r, ñ〉<br />

12<br />

.<br />

−˜h 12<br />

˜h11<br />

Wir zeigen, dass diese Matrix auf M 1 , und damit auf einer Umgebung U 1 ⊆ U von<br />

p, positiv definit ist. Weil K > 0 ist, und da n und ¯n die inneren Normalen sind,<br />

haben die zweiten Fundamentalformen II M und II ¯M überall positive Eigenwerte,<br />

sind also positiv definit. Daher ist au<strong>ch</strong> die Matrix<br />

det(h ij ) (h ij ) −1 =<br />

129<br />

( )<br />

h22 −h 12<br />

−h 12 h 11


positiv definit, und dasselbe gilt für<br />

( )<br />

˜h22 −˜h 12<br />

.<br />

−˜h 12<br />

˜h11<br />

Auf M gilt 〈˜r, ñ〉 ≤ 0, und auf M 1 ist 〈r ′ , n〉 < 0 na<strong>ch</strong> Behauptung 1. Folgli<strong>ch</strong> ist die<br />

Koeffizientenmatrix (a ij ) auf M 1 positiv definit. Damit sind die Voraussetzungen<br />

des Hopfs<strong>ch</strong>en Maximumprinzips auf einer Umgebung U 1 ⊆ U von p erfüllt. Es folgt<br />

v = const = 0 auf U 1 , also U 1 ⊆ M 1 . Behauptung 2 und damit der Starrheitssatz<br />

sind bewiesen. QED<br />

Aufgaben<br />

1. Skalarprodukte. Sei V ein endli<strong>ch</strong>dimensionaler euklidis<strong>ch</strong>er Vektorraum, also<br />

ein reeller Vektorraum mit Skalarprodukt 〈·, ·〉. Zeigen Sie:<br />

(a) Auf dem Dualraum V ∗ existiert genau ein Skalarprodukt mit folgender Eigens<strong>ch</strong>aft:<br />

Für jede Orthonormalbasis v 1 , . . . , v n von V ist die duale Basis v ∗1 , . . . , v ∗n<br />

eine Orthonormalbasis von V ∗ .<br />

(b) Für das in (a) definierte Skalarprodukt gilt: Ist v 1 , . . . , v n eine beliebige Basis<br />

von V und ist 〈v i , v j 〉 = g ij dann ist 〈v ∗i , v ∗j 〉 = g ij mit der zu (g ij ) inversen Matrix<br />

(g ij ), also mit g ij g jk = δ k i .<br />

2. Maximumprinzip. Sei U ⊆ R n bes<strong>ch</strong>ränkt und offen. Der Differentialoperator<br />

L erfülle die Voraussetzungen aus Abs<strong>ch</strong>nitt 13.1. Zeigen Sie: Sind u, v ∈ C 2 (U) ∩<br />

0<br />

C (Ū) Funktionen mit Lu ≥ Lv auf U und mit u ≤ v auf dem Rand ∂U, dann gilt<br />

u ≤ v auf U.<br />

3. Beispiele. Man zeige anhand geeigneter Beispiele, dass auf die Voraussetzung<br />

〈 r(p), n(p) 〉 ≠ 0 in Satz 13.3 ni<strong>ch</strong>t ohne weiteres verzi<strong>ch</strong>tet werden kann.<br />

4. Hadamard. Der (später zu behandelnde) Satz von Gauß–Bonnet besagt insbesondere,<br />

dass für kompakte zusammenhängende Flä<strong>ch</strong>en im R 3 gilt<br />

∫<br />

K dV = 2π χ(M) ≤ 4π.<br />

M<br />

Zeigen Sie, dass aus dieser Unglei<strong>ch</strong>ung die Injektivität der Gaußabbildung für<br />

Eiflä<strong>ch</strong>en im Satz von Hadamard (13.4) folgt. Hinweis: Abs<strong>ch</strong>nitt 12.5.<br />

5. Minimalflä<strong>ch</strong>en. Die Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 sei der Graph einer Funktion u ∈<br />

C ∞ (W, R) mit W ⊆ R 2 offen. Sei ψ : W → R 3 die Parametrisierung ψ(w) =<br />

(w, u(w)).<br />

(a) Die mittlere Krümmung H ist gegeben dur<strong>ch</strong><br />

H = (1 + ∂ 2u) 2 ∂ 11 u − 2∂ 1 u ∂ 2 u ∂ 12 u + (1 + ∂ 1 u) 2 ∂ 22 u<br />

2(1 + (∂ 1 u) 2 + (∂ 2 u) 2 ) 3/2 ,<br />

130


wobei ∂ j = ∂/∂w j und ∂ ij = ∂ i ∂ j .<br />

(b) Sei ¯M der Graph der Funktion ū ∈ C ∞ (W, R). Sind M und ¯M Minimalflä<strong>ch</strong>en,<br />

und nimmt die Differenz u − ū ihr Maximum im Inneren von W an, so ist u − ū<br />

konstant.<br />

Hinweis: u − ū erfüllt eine Differentialglei<strong>ch</strong>ung, auf die das Maximumprinzip anwendbar<br />

ist.<br />

(c) Jede bes<strong>ch</strong>ränkte Minimalflä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 mit Rand ∂M ist in der konvexen<br />

Hülle ihres Randes enthalten.<br />

Hinweis: Die konvexen Hülle einer Teilmenge A ⊆ R n ist der Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt aller<br />

Halbräume, die A enthalten. Verwenden Sie die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Ebenen Minimalflä<strong>ch</strong>en<br />

sind.<br />

131


14. Kovariante Ableitungen<br />

Jedes C ∞ –Vektorfeld X auf einer Mannigfaltigkeit M induziert eine Abbildung des<br />

Raumes C ∞ (M) der differenzierbaren Funktionen in si<strong>ch</strong>. Dabei wird einer Funktion<br />

f ihre Ableitung Xf na<strong>ch</strong> X zugeordnet, eine Funktion auf M, die dur<strong>ch</strong><br />

(Xf)(p) = X(p)f definiert ist. Ist c eine Integralkurve des Vektorfeldes X mit<br />

c(0) = p, dann lässt si<strong>ch</strong> (Xf)(p) bere<strong>ch</strong>nen als Grenzwert des Differenzenquotienten<br />

f(c(t)) − f(p)<br />

(Xf)(p) = lim<br />

. (14.1)<br />

t→0 t<br />

Versu<strong>ch</strong>t man nun, statt der Funktion f ein Vektorfeld Y na<strong>ch</strong> X abzuleiten, indem<br />

man einen Differenzenquotienten wie in (14.1) verwendet, so ergeben si<strong>ch</strong> im Zähler<br />

Tangentialvektoren Y (c(t)) und Y (p) an vers<strong>ch</strong>iedenen Stellen von M, deren Differenz<br />

ni<strong>ch</strong>t erklärt ist. Wir haben dieses Problem für die Zwecke der Lieableitung<br />

L X Y in Glei<strong>ch</strong>ung (7.7.1) dadur<strong>ch</strong> gelöst, dass wir den Vektor Y (c(t)) mit Hilfe des<br />

Flusses von X zunä<strong>ch</strong>st an die Stelle p zurückvers<strong>ch</strong>oben haben. Diese Verwendung<br />

des Flusses von X hat aber zur Folge, dass die Bedeutung des Vektors (L X Y )(p)<br />

ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> die Änderung von Y in Ri<strong>ch</strong>tung von X(p) ist, sondern das au<strong>ch</strong> das<br />

Verhalten von X in einer Umgebung von p eingeht. Man kann das etwa an der<br />

Formel (7.4.2) ablesen.<br />

In diesem Abs<strong>ch</strong>nitt führen wir eine weitere Art der Ableitung ein, die kovariante<br />

Ableitung ∇ X Y , bei wel<strong>ch</strong>er der Wert (∇ X Y )(p) nur von X(p) und Y abhängt.<br />

Operationen ∇ mit den gewüns<strong>ch</strong>ten Eigens<strong>ch</strong>aften, die man aus später zu erörternden<br />

Gründen als Zusammenhänge bezei<strong>ch</strong>net, gibt es auf jeder differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit. In der Tat gibt es sogar eine Vielzahl mögli<strong>ch</strong>er Zusammenhänge<br />

∇ (siehe Aufgabe 2). Man wird dazu geführt, die gewüns<strong>ch</strong>te Ableitung ∇ als<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e, ni<strong>ch</strong>t kanonis<strong>ch</strong> mit der Mannigfaltigkeit M verbundene Struktur anzusehen,<br />

etwa so, wie man vers<strong>ch</strong>iedene Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken auf M zu betra<strong>ch</strong>ten<br />

gewohnt ist.<br />

Zusammenhänge und ihre Krümmung werden uns in den nun folgenden Kapiteln<br />

bes<strong>ch</strong>äftigen. In diesem Kapitel erklären wir zunä<strong>ch</strong>st, was ein Zusammenhang ∇<br />

auf M ist, und erläutern dann, wie man bei gegebenem Zusammenhang Tensorfelder<br />

kovariant ableitet. Dana<strong>ch</strong> zeigen wir, dass es auf jeder Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

einen dur<strong>ch</strong> die Metrik eindeutig bestimmten Zusammenhang mit speziellen<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften gibt, den Levi–Civita–Zusammenhang. Die Christoffelsymbole der<br />

Flä<strong>ch</strong>entheorie, wel<strong>ch</strong>e uns im Zusammenhang mit den Ableitungsglei<strong>ch</strong>ungen in<br />

11.8 begegnet sind, finden hier ihren natürli<strong>ch</strong>en Ort als Komponenten des Levi–<br />

Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform einer Flä<strong>ch</strong>e.<br />

Im Folgenden bezei<strong>ch</strong>net V = V(M) den Raum der C ∞ –Vektorfelder auf einer C ∞ –<br />

Mannigfaltigkeit M. Für die Basisvektorfelder einer Karte s<strong>ch</strong>reiben wir oft vereinfa<strong>ch</strong>t<br />

∂ i = ∂/∂x i .<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

132


14.1. Definition. Ein (linearer) Zusammenhang auf M ist eine Abbildung ∇ :<br />

V × V → V mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Für alle X, Y, Z ∈ V und alle f ∈ C ∞ (M)<br />

gilt<br />

(1) ∇ X (Y + Z) = ∇ X Y + ∇ X Z<br />

(2) ∇ X+Y Z = ∇ X Z + ∇ Y Z<br />

(3) ∇ fX Y = f∇ X Y<br />

(4) ∇ X (fY ) = (Xf) Y + f∇ X Y<br />

Das Vektorfeld ∇ X Y heißt die kovariante Ableitung von Y na<strong>ch</strong> X. Dass es auf<br />

jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit einen Zusammenhang gibt, werden wir in<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 14.5 sehen.<br />

14.2. Standardzusammenhang des R n . In Abs<strong>ch</strong>nitt 11.3 hatten wir die kovariante<br />

Ableitung von Vektorfeldern X und Y = ∑ Y j ∂/∂x j auf dem R n definiert<br />

als<br />

∇ X Y = ∑ X(Y i ) ∂<br />

∂x i = ∑ X i ∂Y j<br />

∂x i<br />

∂<br />

∂x j . (14.2.1)<br />

Dabei sind ∂/∂x j die Standardbasisfelder des R n . Den so definierten Zusammenhang<br />

∇ auf dem R n bezei<strong>ch</strong>net man als den Standardzusammenhang des R n . Er ist<br />

mit Hilfe der Basisfelder des speziellen Koordinatensystems ϕ = id auf R n definiert.<br />

Bemerkung. Wählt man ein anderes Koordinatensystem, etwa ϕ ′ : R n → R n mit<br />

zugehörigen Basisvektorfeldern ∂/∂x ′j und definiert einen Zusammenhang ∇ ′ entspre<strong>ch</strong>end<br />

dur<strong>ch</strong><br />

∇ X Y = ∑ X(Y ′j )<br />

∂<br />

∂x ′j<br />

für Y = Y ′j ∂/∂x ′j , dann ist ∇ ′ = ∇ genau dann, wenn für alle i, j, k gilt<br />

∂ 2 x ′i<br />

∂x j = 0. (14.2.2)<br />

∂xk Das ist na<strong>ch</strong> der Taylors<strong>ch</strong>en Formel äquivalent dazu, dass der Kartenwe<strong>ch</strong>sel ϕ ′ ◦<br />

ϕ −1 eine affine Abbildung des R n ist, also von der Form ϕ ′ ◦ ϕ −1 (x) = Ax + b mit<br />

einer Matrix A ∈ GL(n, R) und mit b ∈ R n . Zum Beweis bere<strong>ch</strong>net man<br />

∇ ′ X Y = ∇ XY + ∑ Y j X l ∂<br />

( ∂x<br />

′i ) ∂x<br />

k<br />

∂x l ∂x j ∂x ′i<br />

∂<br />

∂x k .<br />

14.3. Abhängigkeit von X und Y . Wir untersu<strong>ch</strong>en zunä<strong>ch</strong>st die Abhängigkeit<br />

des Vektorfeldes ∇ X Y von X. Für ein festes Vektorfeld Y ∈ V ist die Abbildung<br />

∇Y : V → V,<br />

(∇Y )(X) := ∇ X Y<br />

133


wegen der Eigens<strong>ch</strong>aften (2), (3) linear über dem Ring C ∞ (M). Na<strong>ch</strong> der Charakterisierung<br />

von Tensorfeldern aus Abs<strong>ch</strong>nitt 6.7 hängt daher der Wert (∇ X Y )(p)<br />

ni<strong>ch</strong>t vom Vektorfeld X, sondern nur von seinem Wert X(p) an der Stelle p ab.<br />

Man erhält so für jeden Punkt p ∈ M eine lineare Abbildung ∇Y : T p M → T p M<br />

dur<strong>ch</strong><br />

(∇Y )X p := ∇ Xp Y := ( ∇ X Y ) (p).<br />

Dabei ist X ∈ V ein beliebiges Vektorfeld mit X(p) = X p . Aufgefaßt als (1, 1)-<br />

Tensorfeld, nennt man ∇Y die kovariante Ableitung von Y . Wir fixieren nun das<br />

Vektorfeld X.<br />

Lemma. Für p ∈ M hängt der Wert (∇ X Y )(p) = ∇ Xp Y ni<strong>ch</strong>t von Y , sondern<br />

nur von der Eins<strong>ch</strong>ränkung von Y auf das Bild einer beliebigen differenzierbaren<br />

Kurve c : [0, ε) → M mit Tangentialvektor ċ(0) = X p ab.<br />

Beweis. Zunä<strong>ch</strong>st zeigen wir wie Abs<strong>ch</strong>nitt 3.7, dass für jede offene Teilmenge<br />

U ⊆ M die Eins<strong>ch</strong>ränkung (∇ X Y )| U nur von der Eins<strong>ch</strong>ränkung Y | U abhängt.<br />

Seien dazu Y 1 , Y 2 ∈ V Vektorfelder mit Y 1 | U = Y 2 | U , und sei p ∈ U. Wir zeigen<br />

(∇ X Y 1 )(p) = (∇ X Y 2 )(p). Sei dazu f ∈ C ∞ (M) eine Funktion mit f = 1 auf einer<br />

Umgebung von p, deren Träger in U enthalten ist. Dann ist fY 1 = fY 2 ∈ V, also<br />

∇ X (fY 1 ) = ∇ X (fY 2 ), und na<strong>ch</strong> Eigens<strong>ch</strong>aft (4) au<strong>ch</strong><br />

(Xf)Y 1 + f∇ X Y 1 = (Xf)Y 2 + f∇ X Y 2 .<br />

Mit (Xf)(p) = 0 und f(p) = 1 folgt daraus, wie behauptet,<br />

(∇ X Y 1 )(p) = (∇ X Y 2 )(p).<br />

Sei nun (ϕ, U) eine Karte an p mit Basisfeldern ∂/∂x i . Dann ist<br />

(∇ X Y )| U = ∇ X (Y j ∂<br />

∂x j )<br />

= X(Y j ) ∂<br />

∂x j + Y j ∂<br />

∇ X<br />

∂x j .<br />

Die Behauptung des Lemmas folgt aus Abs<strong>ch</strong>nitt 4.4,<br />

(X(Y j ))(p) = d dt∣ Y j (c(t)). QED<br />

0<br />

14.4. Christoffelsymbole. Die Christoffelsymbole oder Komponenten Γ k ij ∈<br />

C ∞ (U) des Zusammenhanges ∇ bezügli<strong>ch</strong> einer Karte (ϕ, U) mit Basisfeldern ∂/∂x i<br />

sind definiert dur<strong>ch</strong> †<br />

∇ ∂<br />

∂x i<br />

∂<br />

∂x j = Γ ij k ∂<br />

∂x k . (14.4.1)<br />

† Die in Abs<strong>ch</strong>nitt 11.8 eingeführten Christoffelsymbole werden si<strong>ch</strong> in 14.5 als Spezialfall<br />

der hier definierten Größen erweisen.<br />

134


Aufgrund des in 14.3 Gesagten ist die linke Seite wohldefiniert, obwohl die Vektorfelder<br />

∂/∂x i nur auf U existieren. Es folgt<br />

also<br />

(∇ X Y )| U = X(Y j ) ∂<br />

∂x j + Y j X i ∂<br />

∇ ∂<br />

∂x i ∂x j<br />

= X(Y k ) ∂<br />

∂x k + Xi Y j k<br />

Γ ∂<br />

ij<br />

∂x k ,<br />

(∇ X Y ) ∣ = ( X(Y k ) + X i Y j k<br />

Γ ) ∂<br />

ij<br />

U ∂x k . (14.4.2)<br />

Korollar. Das Tensorfeld ∇Y ist in lokalen Koordinaten gegeben dur<strong>ch</strong><br />

(∇Y )| U = ( ∂<br />

∂x i Y k + Y j k<br />

Γ ) ij dx i ⊗<br />

∂<br />

∂x k . (14.4.3)<br />

Beweis. Man wendet beide Seiten der Glei<strong>ch</strong>ung auf ein Vektorfeld X = X i ∂/∂x i<br />

an und bea<strong>ch</strong>tet<br />

(<br />

dx i ⊗<br />

∂ )<br />

∂x k (X) = dx i (X) ∂<br />

∂x k = ∂<br />

Xi<br />

∂x k .<br />

Die Behauptung folgt aus (14.4.2). QED<br />

Wir untersu<strong>ch</strong>en nun das Transformationsverhalten der Γ k ij bei Kartenwe<strong>ch</strong>seln.<br />

Seien dazu (ϕ, U) und ( ˜ϕ, Ũ) Karten von M mit entspre<strong>ch</strong>enden Basisvektorfeldern<br />

∂ i = ∂/∂x i und ˜∂ i = ∂/∂˜x ′i . Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 3.10 ist<br />

∂ i = ∂˜xk<br />

∂x i<br />

˜∂k = ∂ i (˜x k ) ˜∂ k<br />

wobei ˜x k die k-te Komponente von ˜ϕ bezei<strong>ch</strong>net. Damit folgt<br />

Γ ij k ∂ k = ∇ ∂i ∂ j<br />

= ∇ ∂i (∂ j (˜x m ) ˜∂ m )<br />

= ∂ i ∂ j (˜x m ) ˜∂ m + ∂ j (˜x m )∇ ∂i<br />

˜∂m<br />

= ∂ i ∂ j (˜x m ) ˜∂ m + ∂ j (˜x m )∂ i (˜x l ) ∇ ˜∂l<br />

˜∂m<br />

= ∂ i ∂ j (˜x s ) ˜∂ s + ∂ j (˜x m )∂ i (˜x l ) ˜Γ lm<br />

s ˜∂s<br />

= ( ∂ i ∂ j (˜x s ) + ∂ i (˜x l )∂ j (˜x m )˜Γ lm<br />

s ) ˜∂s (x k ) ∂ k ,<br />

also<br />

oder<br />

Γ ij k = ( ∂ i ∂ j (˜x s ) + ∂ i (˜x l )∂ j (˜x m )˜Γ lm<br />

s ) ˜∂s (x k )<br />

Γ ij k =<br />

( ∂<br />

( ∂˜x<br />

s )<br />

∂x i ∂x j + ˜Γ s ∂˜xl ∂˜x m ) ∂x<br />

k<br />

lm<br />

∂x i ∂x j ∂˜x s . (14.4.4)<br />

135


Dieses Transformationsverhalten zeigt insbesondere, dass die Γ ij k ni<strong>ch</strong>t die Komponenten<br />

eines Tensorfeldes auf M sind: Zwar ist Γ ij k dx i ⊗dx j ⊗∂/∂x k ein auf dem<br />

Kartenberei<strong>ch</strong> U wohldefiniertes Tensorfeld. Diese Tensorfeld stimmt aber auf U ∩Ũ<br />

ni<strong>ch</strong>t mit ˜Γ ij k d˜x i ⊗d˜x j ⊗∂/∂˜x k überein. Man verifiziert hingegen lei<strong>ch</strong>t das Folgende:<br />

Sind zu jeder Karte (ϕ, U) eines Atlas Funktionen Γ ij k ∈ C ∞ (U) vorgegeben, und<br />

gilt für je zwei Karten die Transformationsregel (14.4.1), dann existiert genau ein<br />

Zusammenhang ∇ auf M, dessen Christoffelsymbole die gegebenen Γ ij k sind.<br />

14.5. Beispiel. Sei M ⊆ R n+k eine n-dimensionale Untermannigfaltigkeit und sei<br />

Π : (T R n+k ) ∣ ∣<br />

M<br />

→ T M die orthogonale Projektion. Dann definiert<br />

∇ X Y = Π ◦ ∇ X Y (14.5.1)<br />

für X, Y ∈ V(M) einen Zusammenhang auf M. Dabei ist die re<strong>ch</strong>te Seite wegen<br />

der Eigens<strong>ch</strong>aften aus Abs<strong>ch</strong>nitt 14.3 wohldefiniert: (∇ X Y )(p) = ∇ X(p) Y hängt<br />

nur ab von der Eins<strong>ch</strong>ränkung von Y auf das Bild einer differenzierbaren Kurve<br />

c : [0, ε) → R n+k mit ċ(0) = X(p). Wenn nun speziell X(p) ∈ T p M ⊆ T p R n+k<br />

ist, dann kann man für c eine in M verlaufende Kurve wählen. Da na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

8.7 jede differenzierbare Mannigfaltigkeit in einen R n+k differenzierbar eingebettet<br />

werden kann, erhalten wir als<br />

Folgerung. Auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit existiert ein Zusammenhang.<br />

Eine Bes<strong>ch</strong>reibung der Menge aller Zusammenhänge auf M gibt Aufgabe 1. Sei nun<br />

speziell n = 2 und k = 1, also M eine Flä<strong>ch</strong>e im R 3 . Sei ψ : W → ψ(W ) = U ⊆ M<br />

eine lokale Parametrisierung, x = ψ(w). Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 10.2 gilt für die Basisfelder<br />

∂/∂w 1 , ∂/∂w 2 der Karte (ψ −1 , U) und die Standardbasisfelder ∂/∂x i des R 3<br />

∂<br />

∂w j ∣ ∣∣∣p<br />

= ∂ψk<br />

∂w j (ϕ−1 (p))<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p ( ∂<br />

∂x k =<br />

∂w j (ψk )<br />

Mit der Ableitungsglei<strong>ch</strong>ung (11.8.1) von Gauß folgt<br />

∇ ∂<br />

∂w i<br />

∂<br />

∂w j = Π ◦ ∇ ∂<br />

∂w i<br />

= Π ◦<br />

∂<br />

∂w j<br />

( ∂<br />

∂w i ( ∂<br />

∂w j ψk) ∂<br />

∂x k )<br />

= Π ◦ (Γ ij<br />

k ∂<br />

∂w k + h ij n)<br />

= Γ ij<br />

k ∂<br />

∂w k<br />

∂<br />

)<br />

∂x k (p).<br />

wobei die auftretenden Γ ij k die in (11.8.1) definierten sind. Der Verglei<strong>ch</strong> mit<br />

der definierenden Glei<strong>ch</strong>ung (14.4.1) zeigt: Die Christoffelsymbole des Zusammenhanges<br />

∇ stimmen mit den in der Flä<strong>ch</strong>entheorie definierten Größen Γ ij k überein.<br />

136


14.6. Kovariante Ableitung von Tensorfeldern. Sei ∇ ein Zusammenhang<br />

auf M. Für jedes Vektorfeld X ∈ V lässt si<strong>ch</strong> die kovariante Ableitung ∇ X na<strong>ch</strong> X,<br />

die zunä<strong>ch</strong>st nur auf Vektorfelder wirkt, auf beliebige differenzierbare Tensorfelder<br />

erweitern. Ähnli<strong>ch</strong> wie bei der Lieableitung L X in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.9 kann man diese<br />

Erweiterung dur<strong>ch</strong> folgende Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>ch</strong>arakterisieren:<br />

(1) Die kovariante Ableitung ∇ X na<strong>ch</strong> X bildet die Menge der differenzierbaren<br />

(r, s)–Tensorfelder R–linear in si<strong>ch</strong> selbst ab.<br />

(2) ∇ X erfüllt die Produktregel für das Tensorprodukt:<br />

∇ X (A ⊗ B) = (∇ X A) ⊗ B + A ⊗ (∇ X B) .<br />

(3) ∇ X vertaus<strong>ch</strong>t mit Kontraktionen: Für jede Kontraktion C ν µ gilt<br />

∇ X ◦ C ν µ = C ν µ ◦ ∇ X .<br />

(4) Für (0, 0)–Tensorfelder, also Funktionen, gilt ∇ X f = Xf.<br />

(5) Für (0, 1)–Tensorfelder, also Vektorfelder, ist ∇ X Y die dur<strong>ch</strong> den Zusammenhang<br />

gegebene kovariante Ableitung.<br />

Man bea<strong>ch</strong>te, dass si<strong>ch</strong> ∇ X nur in Eigens<strong>ch</strong>aft (5) von der Lieableitung L X unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Aus (2) und (3) ergibt si<strong>ch</strong> insbesondere, dass ∇ X au<strong>ch</strong> die Produktregel<br />

für Übers<strong>ch</strong>iebungen Cν µ (A ⊗ B) erfüllt. Ist zum Beispiel g ein (2, 0)–Tensorfeld,<br />

und sind Y, Z ∈ V Vektorfelder, dann ist g(Y, Z) die Funktion<br />

Na<strong>ch</strong> (2) und (3) folgt dann<br />

g(Y, Z) = C1 1 C2 2 (g ⊗ Y ⊗ Z).<br />

X(g(Y, Z)) = (∇ X g)(Y, Z) + g(∇ X Y, Z) + g(Y, ∇ X Z), (14.6.1)<br />

und das ist eine explizite Bes<strong>ch</strong>reibung von ∇ X g.<br />

Für ein (r, s)–Tensorfeld A definiert man ein (r + 1, s)–Tensorfeld ∇A dur<strong>ch</strong> die<br />

über C ∞ (M) multilineare Abbildung (siehe 6.7)<br />

∇A : V × . . . × V × V ∗ × . . . × V ∗ → C ∞ (M),<br />

(∇A)(X 1 , . . ., X r+1 , α 1 , . . . , α s )<br />

:= (∇ Xr+1 A)(X 1 , . . . , X r , α 1 , . . . , α s ).<br />

(14.6.2)<br />

∇A heißt die kovariante Ableitung von A. Wir betra<strong>ch</strong>ten Spezialfälle. Zunä<strong>ch</strong>st<br />

ist für Funktionen f ∈ C ∞ (M) offenbar (∇f)(X) = ∇ X f = Xf = df(X), also ist<br />

∇f = df,<br />

unabhängig von der Wahl des Zusammenhanges ∇.<br />

(2, 0)–Tensorfeld ∇α gegeben dur<strong>ch</strong><br />

Für Eins–Formen α ist das<br />

(∇α)(X, Y ) = (∇ Y α)(X)<br />

= ∇ Y (α(X)) − α(∇ Y X)<br />

= Y (α(X)) − α(∇ Y X).<br />

(14.6.3)<br />

137


Da mit A au<strong>ch</strong> ∇A ein Tensorfeld ist, kann man höhere kovariante Ableitungen<br />

bilden. So ist etwa die zweite kovariante Ableitung ∇ 2 A = ∇(∇A) eines (r, s)–<br />

Tensorfeldes A ein (r + 2, s)–Tensorfeld.<br />

14.7. Lokale Koordinaten. Seien ∂ i = ∂/∂x i die Basisfelder einer Karte und dx i<br />

die dazu dualen Eins–Formen. Na<strong>ch</strong> Definition der Christoffelsymbole in (14.4.1)<br />

haben wir zunä<strong>ch</strong>st<br />

∇ ∂i ∂ j = Γ ij k ∂ k . (14.7.1)<br />

Dur<strong>ch</strong> kovariante Differentiation der Glei<strong>ch</strong>ung dx j (∂ k ) = δ j k<br />

(∇ ∂i dx j )(∂ k ) = −dx j (∇ ∂i ∂ k ) = −Γ j ik , und folgli<strong>ch</strong><br />

ergibt si<strong>ch</strong> daraus<br />

∇ ∂i dx j = −Γ ik j dx k . (14.7.2)<br />

Die Beziehungen (14.7.1) und (14.7.2) ermögli<strong>ch</strong>en es, mit Hilfe der Produktregel<br />

für das Tensorprodukt die kovariante Ableitung ∇ ∂i A für ein beliebiges Tensorfeld<br />

j<br />

A = A 1...j s<br />

i1...i r<br />

dx i1 ⊗ . . . ⊗ dx ir ⊗ ∂ j1 ⊗ . . . ⊗ ∂ js<br />

zu bere<strong>ch</strong>nen. Für die Komponenten von ∇A bezügli<strong>ch</strong> lokaler Koordinaten verwenden<br />

wir die S<strong>ch</strong>reibweise A i1...i r<br />

j 1...j s ,k , so dass<br />

A i1...i r<br />

j 1...j s ,k = (∇A) i1...i rk j1...js<br />

= (∇A)(∂ i1 , . . . , ∂ ir , ∂ k , dx j1 , . . . , dx js )<br />

= (∇ ∂k A)(∂ i1 , . . . , ∂ ir , dx j1 , . . . , dx js )<br />

= ∂ k (A(∂ i1 , . . . , ∂ ir , dx j1 , . . . , dx js ))<br />

r∑<br />

− A(∂ i1 , . . . , ∇ ∂k ∂ iϱ , . . . , ∂ ir , dx j1 , . . . , dx js )<br />

−<br />

ϱ=1<br />

s∑<br />

A(∂ i1 , . . . , ∂ ir , dx j1 , . . . , ∇ ∂k dx jσ , . . . , dx js ).<br />

σ=1<br />

Mit (14.7.1) und (14.7.2) ergibt si<strong>ch</strong> als Resultat<br />

für die Komponenten von<br />

j<br />

A 1...j s j<br />

i1...i r ,k = ∂ k (A 1...j s i1...i r<br />

)<br />

r∑<br />

− Γ l j kiϱ A 1...j s<br />

i1...i ϱ−1 l i ϱ+1...i r<br />

ϱ=1<br />

(14.7.3)<br />

s∑<br />

j<br />

+ Γ σ j kl A 1...j σ−1 l j σ+1...j s i1...i r<br />

σ=1<br />

∇A = A i1...i r<br />

j 1...j s ,k dx i1 ⊗ . . . ⊗ dx ir ⊗ dx k ⊗ ∂ j1 ⊗ . . . ⊗ ∂ js .<br />

138


Speziell für die kovariante Ableitung von Eins–Formen α = α i dx i erhalten wir<br />

∇α = α i,j dx i ⊗ dx j = (∂ j α i − Γ ji k α k ) dx i ⊗ dx j . (14.7.4)<br />

Die Komponenten höherer kovarianter Ableitungen ∇ m A bezei<strong>ch</strong>nen wir unter Weglassen<br />

einiger Kommas mit<br />

A i1...i r<br />

j 1...j s ,k1...k m<br />

anstelle von A i1...i r<br />

j 1...j s ,k1,...,k m<br />

. Mit etwas Mühe, aber ohne S<strong>ch</strong>wierigkeiten lassen<br />

si<strong>ch</strong> der Glei<strong>ch</strong>ung (14.7.3) entspre<strong>ch</strong>ende Formeln für diese Komponenten herleiten.<br />

14.8. Hesses<strong>ch</strong>e und Torsionstensor. Wir betra<strong>ch</strong>ten eine mit einem Zusammenhang<br />

∇ ausgestatteten Mannigfaltigkeit M. Die Hesses<strong>ch</strong>e einer differenzierbaren<br />

Funktion f auf M ist definiert als die zweite kovariante Ableitung<br />

∇ 2 f = ∇(∇f) = ∇(df).<br />

Sie ist also ein (2, 0)–Tensorfeld auf M. Für Vektorfelder X, Y ∈ V ist na<strong>ch</strong> (14.6.3)<br />

(∇df)(X, Y ) = Y (df(X)) − df(∇ Y X) = Y Xf − (∇ Y X)f.<br />

Insbesondere ist ∇df ni<strong>ch</strong>t notwendig symmetris<strong>ch</strong>, sondern mit der Lieklammer<br />

[X, Y ] = XY − Y X gilt<br />

(∇df)(X, Y ) − (∇df)(Y, X) = df(∇ X Y ) − df(∇ Y X) − [X, Y ]f<br />

= df(∇ X Y − ∇ Y X − [X, Y ]).<br />

Lemma. Die dur<strong>ch</strong><br />

T (X, Y ) = ∇ X Y − ∇ Y X − [X, Y ] (14.8.1)<br />

definierte Abbildung T : V × V → V ist bilinear über C ∞ (M), also na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

6.7 ein (2, 1)–Tensorfeld auf M.<br />

Das Tensorfeld T heißt der Torsionstensor des Zusammenhanges ∇. Zum Beweis<br />

des Lemmas bere<strong>ch</strong>nen wir für f ∈ C ∞ (M)<br />

T (fX, Y ) = ∇ fX Y − ∇ Y (fX) − [fX, Y ]<br />

= f∇ X Y − (Y f) X − f∇ Y X − f[X, Y ] + (Y f) X<br />

= f T (X, Y ).<br />

Dabei haben wir Lemma 2 aus Abs<strong>ch</strong>nitt 7.3 verwendet. Entspre<strong>ch</strong>end behandelt<br />

man T (X, fY ). QED<br />

Mit dieser Definition ergibt si<strong>ch</strong> für die Hesses<strong>ch</strong>e<br />

(∇df)(X, Y ) − (∇df)(X, Y ) = df(T (X, Y )). (14.8.2)<br />

139


Korollar. Die Hesses<strong>ch</strong>e ∇(df) ist genau dann für jede Funktion f ∈ C ∞ (M)<br />

symmetris<strong>ch</strong>, wenn der Zusammenhang ∇ torsionsfrei ist, wenn also T = 0 gilt.<br />

In lokalen Koordinaten haben wir df = ∂ i f dx i , und daher na<strong>ch</strong> (14.7.4) für die<br />

Hesses<strong>ch</strong>e<br />

∇df = (∂ j ∂ i f − Γ ji k ∂ k f) dx i ⊗ dx j . (14.8.3)<br />

Für die Komponenten T ij k = dx k (T (∂ i , ∂ j ) des Torsionstensor ergibt si<strong>ch</strong><br />

T ij k = Γ ij k − Γ ji k . (14.8.4)<br />

k<br />

Der Torsionstensor vers<strong>ch</strong>windet also genau dann, wenn die Christoffelsymbole Γ ij<br />

in ihren beiden unteren Indizes symmetris<strong>ch</strong> sind. Man nennt deshalb Zusammenhänge<br />

mit T = 0 au<strong>ch</strong> symmetris<strong>ch</strong>.<br />

14.9. Der Levi–Civita–Zusammenhang. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit.<br />

Ein Zusammenhang ∇ auf M heißt mit g verträgli<strong>ch</strong>, wenn ∇g = 0<br />

ist, also wenn ∇ X g = 0 für alle X ∈ V(M). Na<strong>ch</strong> (14.6.1) ist das glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />

mit<br />

X(g(Y, Z)) = g(∇ X Y, Z) + g(Y, ∇ X Z) (14.9.1)<br />

für alle Vektorfelder X, Y, Z ∈ V(M). Grundlegend für die Riemanns<strong>ch</strong>e Geometrie<br />

ist der folgende<br />

Satz. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit. Dann existiert genau ein<br />

torsionsfreier, mit g verträgli<strong>ch</strong>er Zusammenhang ∇ auf M.<br />

Man nennt ∇ den Levi–Civita–Zusammenhang von (M, g). Der Satz und sein<br />

Beweis gelten genauso, wenn g eine pseudo–Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik ist. Pseudo–<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken sind (2, 0)–Tensorfelder g mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für jeden<br />

Punkt p ∈ M die Bilinearform g(p) auf T p M symmetris<strong>ch</strong> und ni<strong>ch</strong>t ausgeartet ist.<br />

Dabei heißt g(p) ni<strong>ch</strong>t ausgeartet, wenn g(p)(X, Y ) = 0 für alle Y ∈ T p M impliziert,<br />

dass X = 0 ist. Diese Bedingung ist äquivalent dazu, dass in lokalen Koordinaten<br />

die Matrix der Tensorkomponenten g ij (p) invertierbar ist. Im Unters<strong>ch</strong>ied zu Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Metriken wird also auf die positive Definitheit verzi<strong>ch</strong>tet.<br />

Zum Beweis der Eindeutigkeit nehmen wir an, ein Zusammenhang ∇ erfülle T = 0<br />

und ∇g = 0. Dann gilt für X, Y, Z ∈ V(M)<br />

g(∇ X Y, Z) + g(Y, ∇ X Z) = Xg(Y, Z)<br />

g(∇ Y Z, X) + g(Z, ∇ Y X) = Y g(Z, X)<br />

g(∇ Z X, Y ) + g(X, ∇ Z Y ) = Zg(X, Y ).<br />

Wir addieren die beiden ersten Glei<strong>ch</strong>ungen und subtrahieren die dritte. Mit der<br />

Torsionsfreiheit ∇ X Y = ∇ Y X + [X, Y ] folgt<br />

2g(∇ X Y, Z) − g([X, Y ], Z)+g([X, Z], Y ) + g([Y, Z], X)<br />

= Xg(Y, Z) + Y g(X, Z) − Zg(X, Y )<br />

140


und damit<br />

g(∇ X Y, Z) = 1 (<br />

Xg(Y, Z) + Y g(X, Z) − Zg(X, Y )<br />

2<br />

)<br />

+ g([X, Y ], Z) − g([Y, Z], X) + g([Z, X], Y ) .<br />

(14.9.2)<br />

Da Z ∈ V(M) beliebig ist und g ni<strong>ch</strong>t ausgeartet, ist ∇ X Y dur<strong>ch</strong> diese Glei<strong>ch</strong>ung<br />

eindeutig bestimmt. Um die Existenz von ∇ zu beweisen, definiert man ∇ X Y<br />

als das eindeutig bestimmte Vektorfeld, wel<strong>ch</strong>es für alle Z ∈ V(M) die Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(14.9.2) erfüllt und re<strong>ch</strong>net dann na<strong>ch</strong>, dass ∇ ein Zusammenhang ist mit T = 0 und<br />

∇g = 0. Zum Beweis der Torsionsfreiheit etwa zeigt man, dass g(T (X, Y ), Z) = 0<br />

ist für alle X, Y, Z ∈ V(M). QED<br />

Setzt man in (14.9.2) speziell Basisfelder einer Karte ein, und zwar X = ∂ i , Y = ∂ j ,<br />

Z = ∂ l ein, dann folgt<br />

g ml Γ ij m = g(Γ ij m ∂ m , ∂ l ) = 1 2 (∂ ig jl + ∂ j g il − ∂ l g ij ).<br />

Multiplikation beider Seiten mit g kl und Summation liefert wegen g kl g ml = δ k m<br />

Γ ij k = 1 2 gkl (∂ i g jl + ∂ j g il − ∂ l g ij ). (14.9.3)<br />

Der Verglei<strong>ch</strong> mit (11.8.3) zeigt, dass die dort definierten Christoffelsymbole diejenigen<br />

des Levi–Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform der Flä<strong>ch</strong>e sind.<br />

Und unser Beweis des Satzes ist im Wesentli<strong>ch</strong>en identis<strong>ch</strong> zur Herleitung der Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(11.8.3). Der in Abs<strong>ch</strong>nitt 14.5 eingeführte Zusammenhang muss also der<br />

Levi–Civita–Zusammenhang der ersten Fundamentalform sein. Wir werden das<br />

nun au<strong>ch</strong> in allgemeinerem Kontext zeigen.<br />

14.10. Levi–Civita–Zusammenhang von Untermannigfaltigkeiten. Sei<br />

M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit der Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit (N, h), und<br />

sei ι M : M → N die Inklusion. Dann ist der Pullback g = ι ∗ M h eine Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik auf M, die auf M induzierte Metrik. Sei<br />

Π : (T N)| M → T M<br />

die faserweise orthogonale Projektion, d.h. für alle p ∈ M ist die Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

Π| TpN : T p N → T p M die orthogonale Projektion bezügli<strong>ch</strong> des Skalarproduktes<br />

h(p) auf T p N. Man sieht lei<strong>ch</strong>t, dass Π differenzierbar ist.<br />

Lemma. Ist ∇ N der Levi–Civita–Zusammenhang von (N, h), dann ist der Levi–<br />

Civita–Zusammenhang der auf M induzierten Metrik g = ι ∗ M h gegeben dur<strong>ch</strong><br />

∇ M X Y = Π ◦ ∇N X Y (14.10.1)<br />

141


für X, Y ∈ V(M).<br />

Beweis. Zu zeigen ist, das die dur<strong>ch</strong> (14.10.1) definierte Abbildung ∇ M ein torsionsfreier<br />

und mit g verträgli<strong>ch</strong>er Zusammenhang auf M ist. Die Zusammenhangseigens<strong>ch</strong>aften<br />

(1) bis (4) aus Abs<strong>ch</strong>nitt 14.1 verifiziert man ohne Mühe, ebenso die<br />

Verträgli<strong>ch</strong>keit von ∇ mit g: Für X, Y, Z ∈ V(M) ist h(Y, Z) = g(Y, Z). Aus<br />

Xh(Y, Z) = h(∇ N X Y, Z) + h(Y, ∇N X Z),<br />

folgt daher<br />

Xg(Y, Z) = Xh(Y, Z) = h(∇ N XY, Z) + h(Y, ∇ N XZ)<br />

= h(Π ◦ ∇ N XY, Z) + h(Y, Π ◦ ∇ N XZ)<br />

= g(∇ M X Y, Z) + g(Y, ∇M X Z).<br />

Zum Beweis der Torsionsfreiheit seien ˜X, Ỹ und ˜Z differenzierbare Vektorfelder auf<br />

N, deren Eins<strong>ch</strong>ränkungen auf M mit X, Y, Z übereinstimmen (siehe Satz 8.5). Da<br />

∇ N torsionsfrei ist, gilt<br />

∇ Ñ XỸ − ∇Ñ ˜X − [ ˜X, Ỹ ] = 0.<br />

Y<br />

Die Eins<strong>ch</strong>ränkung auf M und Anwendung von Π ergeben<br />

Das na<strong>ch</strong>folgende Lemma impliziert<br />

und der Beweis ist beendet. QED<br />

∇ M X Y − ∇M Y X − Π ◦ [ ˜X, Ỹ ]∣ ∣<br />

M<br />

= 0.<br />

Π ◦ [ ˜X, Ỹ ]∣ ∣<br />

M<br />

= Π ◦ [X, Y ] = [X, Y ],<br />

Lemma. Sei M ⊆ N eine Untermannigfaltigkeit der differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

N, und seien ˜X, Ỹ ∈ V(N) Vektorfelder, deren Eins<strong>ch</strong>ränkungen ˜X| M = X<br />

und Ỹ | M = Y tangentiell an M sind, also Elemente von V(M). Dann gilt<br />

[ ˜X, Ỹ ]∣ ∣<br />

M<br />

= [X, Y ]. (14.10.2)<br />

Beweis. Sei (ϕ, U) eine an M angepasste Karte von N, also<br />

M ∩ U = {p ∈ U | x m+1 (p) = · · · = x n (p) = 0}.<br />

Dann ist ˜X| U = ∑ n<br />

i=1 ˜X i ∂ i und X| M∩U = ∑ m<br />

i=1 Xi ∂ i | M , wobei<br />

˜X i | M =<br />

{<br />

X<br />

i<br />

für i = 1, . . . , m;<br />

0 für i > m.<br />

142


Entspre<strong>ch</strong>endes gilt für Y . Für p ∈ M ∩ U folgt mit der S<strong>ch</strong>reibweise X p := X(p)<br />

[ ˜X, n Ỹ ](p) = ∑ ( ˜Xp Ỹ i − Ỹp ˜X i) ∣<br />

∂ ∣p i<br />

=<br />

=<br />

i=1<br />

n∑ (<br />

Xp (Ỹ i | M ) − Y p ( ˜X i | M ) ) ∣<br />

∂ ∣p i<br />

i=1<br />

m∑<br />

(X p Y i − Y p X i ) ∂ i | p<br />

i=1<br />

= [X, Y ](p).<br />

Ein zweiter Beweis des Lemmas ergibt si<strong>ch</strong> aus Glei<strong>ch</strong>ung (7.7.1),<br />

[X, Y ](p) = lim<br />

t→0<br />

(T φ −t )Y φt(p) − Y p<br />

t<br />

und der entspre<strong>ch</strong>enden Glei<strong>ch</strong>ung für [ ˜X, Ỹ ](p), indem man bea<strong>ch</strong>tet, dass für jeden<br />

Punkt p ∈ M die Flusslinie ˜φ t (p) von ˜X in M verläuft und mit der Flusslinie φ t (p)<br />

des Vektorfeldes X übereinstimmt. QED<br />

14.11. Zusammenhänge in Vektorraumbündeln. (r, s)–Tensorfelder auf M<br />

sind, wie wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 6.8 gesehen haben, S<strong>ch</strong>nitte des Vektorbündels T s r M<br />

der (r, s)–Tensoren. Die kovariante Ableitung von Tensorfeldern ordnet si<strong>ch</strong> dem<br />

allgemeinen Begriff des Zusammenhanges auf einem Vektorbündel unter, auf den<br />

wir nun no<strong>ch</strong> kurz eingehen. Sei E (genauer: (E, M, π)) ein Vektorbündel über<br />

M, und sei Γ(E) = Γ(M, E) die Menge seiner differenzierbaren S<strong>ch</strong>nitte. Ein<br />

Zusammenhang auf E ist eine Abbildung<br />

∇ : V(M) × Γ(E) → Γ(E)<br />

mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Für alle Vektorfelder X, Y ∈ V(M), alle ξ, ζ ∈ Γ(E)<br />

und alle f ∈ C ∞ (M) gilt<br />

(1) ∇ X (ξ + ζ) = ∇ X ξ + ∇ X ζ<br />

(2) ∇ X+Y ξ = ∇ X ξ + ∇ Y ξ<br />

(3) ∇ fX ξ = f∇ X ξ<br />

(4) ∇ X (fξ) = (Xf) ξ + f∇ X ξ<br />

Zusammenhänge auf M im Sinne von 14.1 sind in dieser Terminologie Zusammenhänge<br />

auf dem Tangentialbündel T M. Der S<strong>ch</strong>nitt ∇ X ξ heißt die kovariante<br />

Ableitung von ξ na<strong>ch</strong> X. Die Eigens<strong>ch</strong>aften aus 14.3 übertragen si<strong>ch</strong> ohne weiteres<br />

auf diese allgemeinere Situation. Eine lokale Bes<strong>ch</strong>reibung dur<strong>ch</strong> Christoffelsymbole<br />

ist wie folgt mögli<strong>ch</strong>: Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U, auf der<br />

S<strong>ch</strong>nitte σ 1 , . . . , σ m ∈ Γ(U, E) des einges<strong>ch</strong>ränkten Bündels E| U existieren, die in<br />

143


jedem Punkt q ∈ U eine Basis des Vektorraumes E q bilden. Ein S<strong>ch</strong>nitt σ ∈ Γ(E)<br />

besitzt auf U eine Darstellung als Linearkombination ξ| U = ∑ ξ µ σ µ mit gewissen<br />

Komponentenfunktionen ξ µ ∈ C ∞ (M). Wenn man U nötigenfalls no<strong>ch</strong> verkleinert,<br />

so ist U au<strong>ch</strong> Definitionsberei<strong>ch</strong> einer Karte von M, die dann Basisvektorfelder ∂ i<br />

liefert. Definiert man Christoffelsymbole dur<strong>ch</strong><br />

∇ ∂i σ µ = Γ iµ ν σ ν ,<br />

dann hat man die der Glei<strong>ch</strong>ung (14.3.2) entspre<strong>ch</strong>ende Beziehung<br />

(∇ X ξ) ∣ = ( X(ξ µ ) + X i ξ µ ν<br />

Γ ) iµ σ ν .<br />

U<br />

Aufgaben<br />

1. Standardzusammenhang. Zeigen Sie, dass der Standardzusammenhang ∇<br />

auf R n der Levi–Civita–Zusammenhang der Standardmetrik ḡ = ∑ dx i ⊗ dx i ist.<br />

2. Raum aller Zusammenhänge. Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 6.7 sind (2, 1)–Tensorfelder A<br />

auf einer Mannigfaltigkeit M dasselbe wie Abbildungen A : V × V → V, die bilinear<br />

über C ∞ (M) sind. Zeigen Sie:<br />

(a) Ist ∇ ein Zusammenhang auf M und A ein (2, 1)–Tensorfeld, dann ist ∇ + A,<br />

definiert als (∇ + A)(X, Y ) = ∇ X Y + A(X, Y ), ein Zusammenhang auf M.<br />

(b) Sind ∇ und ∇ ′ Zusammenhänge auf M, dann ist A = ∇ − ∇ ′ ein (2, 1)–<br />

Tensorfeld.<br />

(c) Die Menge aller Zusammenhänge auf M ist ein affiner Raum, dessen unterliegender<br />

Vektorraum der Raum aller differenzierbaren (2, 1)–Tensorfelder auf M<br />

ist.<br />

3. Kein kanonis<strong>ch</strong>er Zusammenhang. Zeigen Sie, dass es keine Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

gibt, jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit M einen Zusammenhang ∇ M dergestalt<br />

zuzuordnen, dass folgendes gilt: Ist φ : M → N ein Diffeomorphismus, dann<br />

gilt für alle X, Y ∈ V(M)<br />

φ ∗ (∇ M X Y ) = ∇ N φ ∗Xφ ∗ Y .<br />

4. Produktregel. Zeigen Sie, dass für die kovariante Ableitung von Tensorfeldern<br />

folgende Form der Produktregel gilt:<br />

(A i1,...,i r<br />

j 1...,j s<br />

B k1,...,k p<br />

l 1...,l q<br />

) ,m = A i1,...,i r<br />

j 1...,j s ,m B k1,...,k p<br />

l 1...,l q<br />

144<br />

+ A i1,...,i r<br />

j 1...,j s<br />

B k1,...,k p<br />

l 1...,l q ,m .


5. Vorges<strong>ch</strong>riebene Torsion. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, und<br />

sei A : V × V → V ein differenzierbares (2, 1)–Tensorfeld mit A(X, Y ) = −A(Y, X)<br />

für alle Vektorfelder X, Y ∈ V. Zeigen Sie: Es existiert genau ein Zusammenhang<br />

∇ auf M mit ∇g = 0, dessen Torsionstensor mit A übereinstimmt.<br />

6. Normalenbündel. Na<strong>ch</strong> Aufgabe 6 von Kapitel 6 ist das Normalenbündel<br />

T M ⊥ ⊆ T N einer Untermannigfaltigkeit M ⊆ N einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

N ein Vektorbündel. Sei Π ⊥ : T N| M → T M ⊥ die faserweise orthogonale<br />

Projektion, und sei ∇ der Levi–Civita–Zusammenhang von N. Dann definiert<br />

∇ ⊥ X ξ = Π⊥ ◦ ∇ X ξ<br />

für X ∈ V(M) und ξ ∈ Γ(T M ⊥ ) einen Zusammenhang ∇ ⊥ auf dem Bündel T M ⊥ .<br />

Man bezei<strong>ch</strong>net ∇ ⊥ als den normalen Zusammenhang auf T N ⊥ .<br />

145


15. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

Ein Zusammenhang ∇ auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M ermögli<strong>ch</strong>t<br />

es, Tangentialvektoren entlang gegebener Kurven parallel zu vers<strong>ch</strong>ieben. Man<br />

erhält auf diese Weise für jede Kurve c Vektorraumisomorphismen zwis<strong>ch</strong>en den<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Tangentialräumen T c(t) M. Diese Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs Kurven<br />

stellt also einen “Zusammenhang” her zwis<strong>ch</strong>en den sonst unabhängigen Tangentialräumen<br />

an vers<strong>ch</strong>iedenen Punkten, und das ist au<strong>ch</strong> der Ursprung der zunä<strong>ch</strong>st<br />

wenig naheliegenden Terminologie.<br />

In diesem Kapitel führen wir zunä<strong>ch</strong>st den Begriff des Vektorfeldes längs einer Kurve<br />

in M ein und erklären dann, wie man sol<strong>ch</strong>e Vektorfelder kovariant differenziert. Mit<br />

Hilfe dieser kovarianten Ableitung definieren wir dann die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs<br />

Kurven. Es ergibt si<strong>ch</strong> eine Version der Taylorformel für Vektorfelder längs Kurven,<br />

und eine Deutung der Bedingung ∇g = 0 mit Hilfe der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung.<br />

Dana<strong>ch</strong> gehen wir auf den Begriff der Geodätis<strong>ch</strong>en eines Zusammenhanges ein.<br />

Das Kapitel s<strong>ch</strong>ließt mit einer kurzen Erläuterung der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung in allgemeinen<br />

Vektorbündeln.<br />

15.1. Vektorfelder längs Kurven. Sei I ⊆ R ein Intervall, und sei c : I → M<br />

eine differenzierbare Kurve in einer Mannigfaltigkeit M. Ein differenzierbares Vektorfeld<br />

längs c ist eine differenzierbare Abbildung X : I → T M mit π◦X = c. Dabei<br />

bezei<strong>ch</strong>net π : T M → M die Projektion des Tangentialbündels von M, so dass also<br />

X(t) ∈ T c(t) M ist für alle t ∈ I. Ist allgemeiner A eine Menge und ϕ : A → M<br />

eine Abbildung, dann bezei<strong>ch</strong>net man Abbildungen X : A → T M mit π◦X = ϕ als<br />

Vektorfelder längs der Abbildung ϕ.<br />

Beispiele. (a) Ist Y ∈ V(M), dann ist Y ◦c ein Vektorfeld längs c.<br />

(b) Das Tangentialvektorfeld t ↦→ ċ(t) ist ein Vektorfeld längs c. In lokalen Koordinaten<br />

(ϕ, U) gilt na<strong>ch</strong> (4.4.1)<br />

ċ(t) = d(ϕi ◦c)<br />

(t)<br />

dt<br />

∂<br />

∂x i ∣<br />

∣∣∣c(t)<br />

.<br />

Ist ∇ ein Zusammenhang auf M, dann ist für Y ∈ V(M) au<strong>ch</strong><br />

ein Vektorfeld längs c.<br />

∇ċ Y : t ↦→ ∇ċ(t) Y<br />

Satz. Seien ∇ ein Zusammenhang auf M und c : I → M eine differenzierbare<br />

Kurve. Dann existiert genau eine Abbildung X ↦→ ∇X/dt des Raumes der differenzierbaren<br />

Vektorfelder längs c in si<strong>ch</strong> mit den folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften:<br />

(1)<br />

Version: 18. Februar 2000<br />

∇(X + Y )<br />

dt<br />

= ∇X<br />

dt<br />

146<br />

+ ∇Y<br />

dt


(2)<br />

∇(fX)<br />

dt<br />

= df<br />

dt X + f ∇X<br />

dt<br />

für alle differenzierbaren Vektorfelder X, Y längs c und alle f ∈ C ∞ (I, R), und<br />

∇(Y ◦c)<br />

(3)<br />

= ∇ċ Y.<br />

dt<br />

für alle Vektorfelder Y ∈ V(U), die auf einer offenen Menge U ⊇ c(I) definiert sind.<br />

Beweis. Man kann annehmen, dass c(I) im Definitionsberei<strong>ch</strong> einer Karte enthalten<br />

ist. Sind ∂ i = ∂/∂x i die Basisfelder dieser Karte, dann ist X = X i ∂ i ◦ c mit<br />

Komponentenfunktionen X i ∈ C ∞ (I, R). Wenn eine Abbildung ∇/dt mit den<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften (1)–(3) für c existiert, dann ist notwendig<br />

∇X<br />

dt<br />

= ∇ dt (Xi ∂ i ◦c)<br />

= dXi<br />

dt<br />

= dXk<br />

dt<br />

= dXk<br />

dt<br />

∂ i ◦c + X i ∇ dt (∂ i◦c)<br />

∂ k ◦c + X i ∇ċ ∂ i<br />

∂ k ◦c + X i d(ϕj ◦c)<br />

dt<br />

∇ ∂j ◦c ∂ i ,<br />

also mit c j = ϕ j ◦c und ∇ ∂j◦c ∂ i = (Γ ji k ∂ k )◦c<br />

∇X<br />

dt<br />

( dX<br />

k<br />

=<br />

dt<br />

)<br />

+ dci<br />

∂<br />

dt Xj Γ k ij ◦c ◦c (15.1.1)<br />

∂xk Insbesondere ist ∇X/dt dur<strong>ch</strong> die Eigens<strong>ch</strong>aften (1)—(3) eindeutig bestimmt. Definiert<br />

man umgekehrt ∇X/dt bezügli<strong>ch</strong> einer Karte dur<strong>ch</strong> (15.1.1), so sieht man<br />

lei<strong>ch</strong>t, dass die Bedingungen (1)—(3) erfüllt sind, und dass die Definition ni<strong>ch</strong>t von<br />

der Wahl der Karte abhängt. QED<br />

Beispiel. Ist die Kurve c konstant, c(I) = {p}, dann ist X : I → T p M in lokalen<br />

Koordinaten gegeben dur<strong>ch</strong><br />

X(t) = X i (t)<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

und die kovariante Ableitung (15.1.1) reduziert si<strong>ch</strong> auf die gewöhnli<strong>ch</strong>e Ableitung<br />

der vektorraumwertigen Funktion X : I → T p M,<br />

∇X dXk<br />

(t) =<br />

dt dt (t)<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣p<br />

.<br />

15.2. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M. Ein Vektorfeld<br />

X längs der differenzierbaren Kurve c : [a, b] → M heißt parallel (längs c) wenn<br />

∇X/dt = 0 ist.<br />

147


Proposition. (a) Zu jedem Tangentialvektor X a ∈ T c(a) M existiert genau ein paralleles<br />

Vektorfeld X längs c mit X(a) = X a .<br />

(b) Die Abbildung<br />

P c b,a : T c(a) M → T c(b) M<br />

mit P c b,a (X a) := X(b) ist ein Vektorraumisomorphismus.<br />

(c) Parameterunabhängigkeit: Ist σ : [a ′ , b ′ ] → [a, b] eine C ∞ –Abbildung, und ist<br />

c ′ = c ◦ σ, dann gilt P c′<br />

b ′ ,a ′ = P c b,a .<br />

Die Abbildung Pb,a c heißt die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs c von c(a) na<strong>ch</strong> c(b)—oder<br />

genauer: von a na<strong>ch</strong> b. Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs stückweise differenzierbarer<br />

Kurven ist in der naheliegenden Weise definiert, und man setzt<br />

P c a,b := ( P c b,a) −1.<br />

Beweis. Man kann annehmen, dass eine Karte (ϕ, U) existiert mit c([a, b]) ⊆ U<br />

(andernfalls unterteile man c). Dann ist die Bedingung ∇X/dt = 0 äquivalent zum<br />

linearen Differentialglei<strong>ch</strong>ungssystem<br />

dX k<br />

dt<br />

+ dci<br />

dt Xj Γ ij k ◦c = 0. (15.2.1)<br />

Die Behauptung (a) folgt aus dem Existenz– und Eindeutigkeitsatz in Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

9.5. Zum Beweis der Linearität der Abbildung Pb,a c bemerken wir zunä<strong>ch</strong>st, dass<br />

für parallele Vektorfelder X und Y längs c und Konstanten λ, µ ∈ R au<strong>ch</strong> das<br />

Vektorfeld λX + µY längs c parallel ist. Es folgt<br />

P c b,a(<br />

λ X(a) + µ Y (a)<br />

)<br />

= λ X(b) + µ Y (b)<br />

= λ Pb,a c (X(a)) + µ P b,a c (Y (a)).<br />

Die Abbildung Pb,a c ist injektiv, da die Lösung der Differentialglei<strong>ch</strong>ung (15.2.1)<br />

dur<strong>ch</strong> den Anfangswert X(a) eindeutig bestimmt ist. Aus Dimensionsgründen ist<br />

sie folgli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> surjektiv. Ist s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> X parallel längs c, so ist X ′ := X ◦ σ<br />

parallel längs der Kurve c ′ = c ◦ σ, wie aus (15.2.1) mit Hilfe der Kettenregel folgt.<br />

Damit ist<br />

wie behauptet. QED<br />

Pb c′<br />

′ c′<br />

,a′X(a) = Pb ′ ,a ′X′ (a ′ ) = X ′ (b ′ ) = X(b) = Pb,a c X(a),<br />

15.3. Taylors<strong>ch</strong>e Formel. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M, und sei X ein<br />

Vektorfeld längs der differenzierbaren Kurve c : I → M. Wir s<strong>ch</strong>reiben abkürzend<br />

( ∇<br />

) kX<br />

X (k) =<br />

dt<br />

148


für die k–te kovariante Ableitung. Dann gilt für alle t, t 0 ∈ I und m ∈ N<br />

mit dem Restglied<br />

P c t 0,t X(t) − X(t 0) =<br />

R m+1 = (t − t 0) m+1<br />

m!<br />

∫ 1<br />

0<br />

m∑ (t − t 0 ) k<br />

X (k) (t 0 ) + R m+1 (15.3.1)<br />

k!<br />

k=1<br />

Dabei ist t s = t 0 + s(t − t 0 ). Insbesondere gilt<br />

(1 − s) m P c t 0,t s<br />

(<br />

X (m+1) (t s ) ) ds. (15.3.2)<br />

∇X<br />

dt (t 0) = lim<br />

t→t0<br />

P c t 0,tX(t) − X(t 0 )<br />

t − t 0<br />

. (15.3.3)<br />

Man bea<strong>ch</strong>te, dass in (15.3.2) eine Funktion mit Werten im Vektorraum T c(t0)M<br />

integriert wird. Glei<strong>ch</strong>ung (15.3.3), die man mit der entspre<strong>ch</strong>enden Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(7.7.1) für die Lieableitung L X Y verglei<strong>ch</strong>en sollte, zeigt insbesondere, dass die<br />

Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs Kurven den Zusammenhang ∇ eindeutig bestimmt.<br />

Man kann daher au<strong>ch</strong> umgekehrt vorgehen und Zusammenhänge definieren als Familien<br />

{P c } linearer Abbildungen, wobei der Index c eine differenzierbare Kurve in<br />

M ist und P c ein Vektorraumisomorphismus zwis<strong>ch</strong>en den Tangentialräumen im<br />

Anfangs– und Endpunkt von c, so dass gewisse Bedingungen erfüllt sind. Wir<br />

verfolgen diesen Gedanken hier ni<strong>ch</strong>t weiter.<br />

Zum Beweis der Taylorformel sei E 1 (a), . . . , E n (a) eine Basis von T c(a) M. Dann<br />

bilden die Vektoren<br />

E j (t) := P c t,a E j(a)<br />

eine Basis von T c(t) M, und es gilt ∇E j /dt = 0. Die E j bilden also ein paralleles<br />

Basisfeld längs c. Für X gilt dann X(t) = X j (t) E j (t) mit Komponentenfunktionen<br />

X j ∈ C ∞ (I, R), und die kovarianten Ableitungen von X reduzieren si<strong>ch</strong> auf die<br />

Ableitungen dieser Komponenten:<br />

Außerdem ist<br />

( ∇ kX d =<br />

dt) k X j<br />

dt k E j. (15.3.4)<br />

Pt c X(t) − X(t 0,t 0) = X j (t) Pt c E 0,t j(t) − X j (t 0 ) E j (t 0 )<br />

= X j (t) E j (t 0 ) − X j (t 0 ) E j (t 0 )<br />

= ( X j (t) − X j (t 0 ) ) E j (t 0 ).<br />

Die Behauptung folgt nun aus der Taylorformel für reelle Funktionen, angewandt<br />

auf die Komponenten X j . Diese lautet<br />

f(t) − f(t 0 ) =<br />

m∑ (t − t 0 ) k<br />

f (k) (t 0 ) + R m+1<br />

k!<br />

k=1<br />

149


mit Restglied in Integralform<br />

R m+1 = (t − t 0) m+1<br />

m!<br />

∫ 1<br />

0<br />

(1 − s) m f (m+1) (t s ) ds.<br />

Wegen E j (t 0 ) = P c t 0,t s<br />

E j (t s ) ergibt si<strong>ch</strong> im vorliegenden Fall<br />

R m+1 = (t − t 0) m+1<br />

m!<br />

= (t − t 0) m+1<br />

m!<br />

= (t − t 0) m+1<br />

m!<br />

∫ 1<br />

0<br />

∫ 1<br />

0<br />

∫ 1<br />

und damit die Behauptung. QED<br />

0<br />

(1 − s) m dm+1 X j<br />

dt m+1 (t s) ds E j (t 0 )<br />

( d<br />

(1 − s) m Pt c m+1 X j )<br />

0,t s<br />

dt m+1 (t s) E j (t s ) ds<br />

(1 − s) m P c t 0,t s<br />

(<br />

X (m+1) (t s ) ) ds,<br />

15.4. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung von Tensorfeldern. Ein Tensorfeld längs c : I →<br />

M ist eine Abbildung A : I → Tr s M mit Werten in einem der Tensorbündel von M,<br />

und mit der Eigens<strong>ch</strong>aft π ◦ A = c. Sie ordnet also jedem Parameter t einen Tensor<br />

an der Stelle c(t) zu. Die zunä<strong>ch</strong>st auf Vektorfeldern definierte Ableitung ∇/dt lässt<br />

si<strong>ch</strong> eindeutig zu einer R-linearen Abbildung des Raumes der Tensorfelder längs c<br />

in si<strong>ch</strong> fortsetzen mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften:<br />

(1) Auf (0, 0)–Tensoren längs c, also Funktionen in C ∞ (I, R), ist ∇/dt die gewöhnli<strong>ch</strong>e<br />

Ableitung.<br />

(2) ∇/dt vertaus<strong>ch</strong>t mit allen Kontraktionen.<br />

(3) Es gilt die Produktregel<br />

∇<br />

∇A<br />

(A ⊗ B) =<br />

dt dt ⊗ B + A ⊗ ∇B<br />

dt .<br />

Wir geben eine explizite Bes<strong>ch</strong>reibung der zugehörigen Parallelvers<strong>ch</strong>iebung von<br />

Tensorfeldern längs c. Seien dazu E 1 , . . . , E n parallele Basisvektorfelder längs c wie<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 15.3, und sei<br />

θ 1 (t), . . . , θ n (t)<br />

die zu E 1 (t), . . . , E n (t) duale Basis des Kotangentialraumes Tc(t) ∗ M. Dann sind die<br />

Eins–Formen θ 1 , . . . , θ n längs c parallel. Ein (r, s)–Tensorfeld A längs c läßt si<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>reiben<br />

A(t) = A i1...i r<br />

j 1...j s<br />

(t) θ i1 ⊗ · · · ⊗ θ ir ⊗ E j1 ⊗ · · · ⊗ E js<br />

∣<br />

∣t (15.4.1)<br />

j<br />

mit Komponentenfunktionen A 1...j s i1...i r<br />

(t). Das Tensorfeld ist parallel längs c<br />

genau dann, wenn diese Komponenten konstant sind. Und allgemeiner ist die kovariante<br />

Ableitung von A wie in (15.3.4) gegeben dur<strong>ch</strong> die Ableitung der Komponenten<br />

A 1...j s i1...i r<br />

j<br />

(t).<br />

150


Lemma. Sei A Tensorfeld auf M. Dann gilt für die kovariante Ableitung ∇A = 0<br />

genau dann, wenn<br />

∇<br />

dt (A◦c) = 0<br />

ist für alle differenzierbaren Kurven c in M.<br />

Die kovariante Ableitung vers<strong>ch</strong>windet also genau dann, wenn A längs jeder Kurve<br />

parallel ist, oder anders gesagt: wenn A unter Parallelvers<strong>ch</strong>iebung “invariant” ist.<br />

Aus diesem Grund bezei<strong>ch</strong>net man Tensorfelder mit ∇A = 0 au<strong>ch</strong> als parallele<br />

Tensorfelder. Das Lemma folgt unmittelbar aus der Glei<strong>ch</strong>ung<br />

( ∇<br />

dt (A◦c) )<br />

(t) = ∇ċ(t) A.<br />

Bemerkung. Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung von Tensoren längs einer Kurve c : [a, b] →<br />

M läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> wie folgt auffassen: Man hat zunä<strong>ch</strong>st einen Vektorraumisomorphismus<br />

Pb,a c : T c(a)M → T c(b) M zwis<strong>ch</strong>en den Tangentialräumen. Nun induziert<br />

jeder Isomorphismus zwis<strong>ch</strong>en Vektorräumen auf kanonis<strong>ch</strong>e Weise einen<br />

Isomorphismus zwis<strong>ch</strong>en den entspre<strong>ch</strong>enden (r, s)–Tensorräumen. Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

von Tensoren ist der dur<strong>ch</strong> Pb,a c induzierte Isomorphismus.<br />

15.5. Proposition. Seien ∇ ein Zusammenhang und g eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik<br />

auf M. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.<br />

(a) ∇g = 0<br />

(b) Für jede differenzierbare Kurve c : I → M und alle Vektorfelder X, Y längs c<br />

ist<br />

d<br />

( ∇X<br />

) (<br />

dt g(X, Y ) = g dt , Y + g X, ∇Y )<br />

. (15.5.1)<br />

dt<br />

(c) Für jede differenzierbare Kurve c : I → M ist die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung Pb,a c :<br />

T c(a) M → T c(b) M eine lineare Isometrie.<br />

Dabei ist eine lineare Isometrie zwis<strong>ch</strong>en euklidis<strong>ch</strong>en Vektorräumen ein Vektorraumisomorphismus<br />

φ, wel<strong>ch</strong>er Skalarprodukte erhält: 〈φX, φY 〉 = 〈X, Y 〉.<br />

Beweis. Für Vektorfelder X und Y längs einer Kurve c gilt<br />

d<br />

∇(g◦c)<br />

( ∇X<br />

) (<br />

g(X, Y ) = (X, Y ) + g<br />

dt dt<br />

dt , Y + g X, ∇Y )<br />

.<br />

dt<br />

Die Äquivalenz von (a) mit (b) folgt daher aus<br />

∇(g◦c)<br />

(t) = ∇ċ(t) g.<br />

dt<br />

Wird (b) vorausgesetzt, dann ist für parallele Vektorfelder X, Y längs c die Funktion<br />

t ↦→ g(X, Y )(t) konstant. Daher ist<br />

g ( P c b,a X(a), P c b,a Y (a)) = g ( (X(b), Y (b) ) = g ( (X(a), Y (a) ) ,<br />

151


und damit Pb,a c eine lineare Isometrie. Wir beweisen s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die Implikation<br />

(c)⇒(b). Sei E 1 , . . . , E n paralleles Basisfeld entlang c mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, daß<br />

die Vektoren E 1 (a), . . . , E n (a) orthonormal sind. Na<strong>ch</strong> Voraussetzung sind dann<br />

E 1 (t), . . . , E n (t) orthonormal für jeden Wert t ∈ [a, b]. Mit X = X i E i und Y =<br />

Y j E j folgt<br />

d<br />

dt g(X, Y ) = d ( ∑<br />

n X i Y i)<br />

dt<br />

i=1<br />

n∑ dX i<br />

= Y i + X i dY i<br />

dt<br />

dt<br />

i=1<br />

( dX<br />

i )<br />

= g<br />

dt E i, Y j E j + g<br />

(X i E i , dY j )<br />

E j<br />

dt<br />

( ∇X<br />

) (<br />

= g<br />

dt , Y + g X, ∇Y )<br />

. QED<br />

dt<br />

15.6. Die Geodätis<strong>ch</strong>en eines Zusammenhanges. Sei ∇ ein Zusammenhang<br />

auf M. Eine differenzierbare Kurve c : I → M heißt eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇, wenn<br />

das Vektorfeld ċ parallel (längs c) ist, wenn also gilt<br />

∇ċ<br />

dt = 0.<br />

Die Ableitung ∇ċ/dt heißt die kovariante Bes<strong>ch</strong>leunigung von c. Die Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

des Levi–Civita–Zusammenhanges einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit bezei<strong>ch</strong>net<br />

man kurz als die Geodätis<strong>ch</strong>en der Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit. Setzt man in<br />

Glei<strong>ch</strong>ung (15.5.1) speziell X = Y = ċ, dann ergibt si<strong>ch</strong>:<br />

Lemma. Ist (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, und ist ∇ ein Zusammenhang<br />

auf M mit ∇g = 0, dann sind die Geodätis<strong>ch</strong>en c von ∇ proportional zur<br />

Bogenlänge parametrisiert, d.h. es gilt ‖ċ‖ = const.<br />

Beispiel. Sei ∇ X Y = Π ◦ ∇ X Y (siehe Abs<strong>ch</strong>nitt 14.10) der Levi–Civita–Zusammenhang<br />

einer Untermannigfaltigkeit M n ⊆ R n+k bezügli<strong>ch</strong> der auf M induzierten<br />

Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik, der ersten Fundamentalform. Seien weiter ∂/∂x j die Standardbasisfelder<br />

von R n+k . Für Vektorfelder<br />

n+k<br />

∑<br />

X(t) = X j (t)<br />

längs einer Kurve c : I → M ist dann<br />

j=1<br />

∂<br />

∂x j ∣<br />

∣∣∣c(t)<br />

∇X<br />

( ∇X<br />

) ( n+k<br />

dt (t) = Π dt (t) ∑ dX j<br />

= Π<br />

dt (t)<br />

j=1<br />

152<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣c(t) )<br />

∂x j .


Speziell für das Vektorfeld X = ċ mit den Komponenten X j = dc j /dt folgt<br />

∇ċ<br />

( d 2<br />

dt (t) = Π c j<br />

dt 2 (t)<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣c(t) )<br />

∂x j .<br />

Die kovariante Bes<strong>ch</strong>leunigung von c ist also die orthogonale Projektion der euklidis<strong>ch</strong>en<br />

Bes<strong>ch</strong>leunigung auf T M. Daher ist die Kurve c eine Geodätis<strong>ch</strong>e in M<br />

genau dann, wenn ihre euklidis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>leunigung senkre<strong>ch</strong>t auf M steht. Man<br />

erhält als Folgerung: Bewegt si<strong>ch</strong> ein Massenpunkt “kräftefrei”—also frei von kovarianter<br />

Bes<strong>ch</strong>leunigung—auf einer Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 , dann ist seine Bahnkurve eine<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e der Flä<strong>ch</strong>e.<br />

Entspre<strong>ch</strong>end ergibt si<strong>ch</strong> in der allgemeineren Situation von Untermannigfaltigkeiten<br />

M ⊆ N beliebiger Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten<br />

∇ M ċ<br />

dt<br />

= Π ◦ ∇N ċ<br />

dt . (15.6.1)<br />

Die kovariante Bes<strong>ch</strong>leunigung einer Kurve in M ergibt si<strong>ch</strong> also dur<strong>ch</strong> orthogonale<br />

Projektion ihrer kovarianten Bes<strong>ch</strong>leunigung als Kurve in N.<br />

15.7. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung auf Flä<strong>ch</strong>en. Sei M ⊆ R 3 eine Flä<strong>ch</strong>e im R 3 ,<br />

versehen mit der ersten Fundamentalform und ihrem Levi–Civita–Zusammenhang.<br />

Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs einer Geodätis<strong>ch</strong>en c : I → M lässt si<strong>ch</strong> wie folgt<br />

bes<strong>ch</strong>reiben. Das Tangentialvektorfeld ċ ist parallel längs c. Ist weiter X ein<br />

paralleles Vektorfeld längs c, dann ist na<strong>ch</strong> Proposition 15.5 das Skalarprodukt<br />

g(X(t), ċ(t)) konstant. Folgli<strong>ch</strong> bleibt die zu ċ senkre<strong>ch</strong>te Ri<strong>ch</strong>tung unter Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

erhalten. Da au<strong>ch</strong> die Länge von Vektoren erhalten bleibt und die<br />

Tangentialräume Tċ(t) M zweidimensional sind, ist dadur<strong>ch</strong> die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

längs c eindeutig festgelegt. Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs beliebiger, ni<strong>ch</strong>t notwendig<br />

geodätis<strong>ch</strong>er Kurven, lässt si<strong>ch</strong> daraus geometris<strong>ch</strong> konstruieren, indem man<br />

sie dur<strong>ch</strong> geodätis<strong>ch</strong>e Polygonzüge approximiert und zu einem Grenzwert übergeht.<br />

Wir betra<strong>ch</strong>ten als Beispiel die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung auf der Einheitssphäre S 2 im<br />

R 3 . Sei ∇ der Levi–Civita–Zusammenhang der ersten Fundamentalform von S 2 .<br />

Die na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisierten Großkreise sind offenbar Geodätis<strong>ch</strong>e.<br />

Vers<strong>ch</strong>iebt man einen Vektor vom Nordpol (0, 0, 1) längs eines Meridians zum Äquator<br />

x 3 = 0, dann ein Stück weit entlang des Äquators, und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> längs eines<br />

zweiten Meridians zurück zum Nordpol, so bildet der parallelvers<strong>ch</strong>obene Vektor<br />

mit dem ursprüngli<strong>ch</strong>en einen Winkel, der der auf dem Äquator zurückgelegten Distanz<br />

proportional ist. Man sieht daran insbesondere, dass die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

längs zweier vers<strong>ch</strong>iedener Kurven mit demselben Anfangs- und Endpunkt im allgemeinen<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Resultate liefert. Wir werden im nä<strong>ch</strong>sten Kapitel sehen,<br />

dass diese Wegabhängigkeit der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung mit der Gaußkrümmung der<br />

Sphäre zusammenhängt.<br />

15.8. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung in Vektorbündeln. Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung von<br />

Vektoren und die von Tensoren längs Kurven in Mannigfaltigkeiten sind Spezialfälle<br />

153


der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung in Vektorbündeln, auf die wir abs<strong>ch</strong>ließend kurz eingehen.<br />

Wir knüpfen dabei an die Bemerkungen in Abs<strong>ch</strong>nitt 14.11 an. Sei E, oder genauer<br />

(E, M, π) ein Vektorrraumbündel über M, und sei c : I → M eine differenzierbare<br />

Kurve. Ein S<strong>ch</strong>nitt längs c ist eine Abbildung ξ : I → E mit π ◦ ξ = c. Ist<br />

ein Zusammenhang ∇ auf dem Bündel E gegeben, dann hat man eine kovariante<br />

Ableitung<br />

ξ ↦→ ∇ξ<br />

dt<br />

mit den zu (1),(2) und (3) in Abs<strong>ch</strong>nitt 15.1 analogen Eigens<strong>ch</strong>aften. Ein S<strong>ch</strong>nitt<br />

ξ längs c heißt parallel längs c, wenn ∇ξ/dt = 0 ist. Wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 15.2 erhält<br />

man Parallelvers<strong>ch</strong>iebungen P c b,a : E a → E b , die Vektorraumisomorphismen zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Fasern E a und E b des Bündels sind. Neben den in diesem Kapitel behandelten<br />

Fällen E = T M und allgemeiner E = T s r M tritt in der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Geometrie au<strong>ch</strong> die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung im Normalenbündel T M ⊥ von Untermannigfaltigkeiten<br />

M ⊆ N Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten auf. Der dabei in T N ⊥<br />

verwendete Zusammenhang ist der in Aufgabe 6 von Kapitel 14 definierte normale<br />

Zusammenhang ∇ ⊥ .<br />

Ist U ⊆ M eine offene Teilmenge, auf der sowohl lokale Koordinaten (mit Basisvektorfelder<br />

∂ i ) als au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>nitte σ 1 , . . . , σ m ∈ Γ(U, E) des einges<strong>ch</strong>ränkten Bündels<br />

E| U existieren, die in jedem Punkt q ∈ U eine Basis von E q bilden, dann hat man<br />

wie in 14.11 auf U Christoffelsymbole Γ iµ ν mit<br />

∇ ∂i σ µ = Γ iµ ν σ ν .<br />

Wenn das Bild der Kurve c in U enthalten ist, dann ist die kovariante Ableitung<br />

eines S<strong>ch</strong>nittes ξ(t) = ξ µ (t) σ µ (c(t)) in Verallgemeinerung von Glei<strong>ch</strong>ung (15.1.1)<br />

gegeben dur<strong>ch</strong><br />

∇ξ<br />

( dξ<br />

µ<br />

)<br />

dt = dt + dci<br />

dt ξν Γ ν iµ ◦c σ ν ◦c, (15.8.1)<br />

und die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs c führt au<strong>ch</strong> hier auf ein lineares System gewöhnli<strong>ch</strong>er<br />

Differentialglei<strong>ch</strong>ungen für die Komponenten ξ µ (t).<br />

Aufgaben<br />

1. Geodätis<strong>ch</strong>e Krümmung. Sei M eine F̷lä<strong>ch</strong>e im R 3 , versehen mit ihrer ersten<br />

Fundamentalform. Zeigen Sie, dass für die in Abs<strong>ch</strong>nitt 12.1 definierte geodätis<strong>ch</strong>e<br />

Krümmung κ g einer Kurve c : I → M gilt<br />

κ g = ± ∥ ∇ċ<br />

∥<br />

∥.<br />

ds<br />

2. Höhere Ableitungen. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M, und sei X ein Vektorfeld<br />

(oder allgemeiner: ein Tensorfeld) auf M mit ∇ k X = 0 für eine natürli<strong>ch</strong>e<br />

Zahl k ≥ 1. Zeigen Sie: Wenn M kompakt ist, dann folgt ∇X = 0. Hinweis: Untersu<strong>ch</strong>en<br />

Sie das Verhalten von X längs Kurven c : R → M mit Hilfe der Taylors<strong>ch</strong>en<br />

Formel (15.3.1).<br />

154


16. Krümmung und Fla<strong>ch</strong>heit von Zusammenhängen<br />

Auf die Krümmung eines Zusammenhanges ∇ stößt man, wenn man die Vertaus<strong>ch</strong>barkeit<br />

zweiter und höherer kovarianter Ableitungen untersu<strong>ch</strong>t. Man erhält beim<br />

Vertaus<strong>ch</strong>en einen Fehlerterm ∇ X ∇ Y Z − ∇ Y ∇ X Z, der si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einen Tensor R<br />

bes<strong>ch</strong>reiben lässt, den Krümmungstensor von ∇. Es zeigt si<strong>ch</strong>, dass die Ni<strong>ch</strong>tvertaus<strong>ch</strong>barkeit<br />

damit zusammenhängt, dass man bei der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung eines<br />

Vektors von p na<strong>ch</strong> q ∈ M längs vers<strong>ch</strong>iedener Wege im allgemeinen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Resultate erhält. Diese Wegabhängigkeit der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung liefert eine geometris<strong>ch</strong>e<br />

Deutung des Krümmungstensors, auf die wir in Abs<strong>ch</strong>nitt 16.4 und Aufgabe<br />

4 ausführli<strong>ch</strong> eingehen. Insbesondere ergeben si<strong>ch</strong> in 16.5 notwendige und<br />

hinrei<strong>ch</strong>ende Bedingungen die “Fla<strong>ch</strong>heit” von ∇, d.h. für das Vers<strong>ch</strong>winden von<br />

R. Wir bemerken, dass si<strong>ch</strong> die Definitionen und Resultate der Abs<strong>ch</strong>nitte 16.1 bis<br />

16.6 ohne S<strong>ch</strong>wierigkeiten auf Zusammenhänge in beliebigen Vektorbündeln über<br />

M verallgemeinern lassen.<br />

Vers<strong>ch</strong>windet ni<strong>ch</strong>t nur der Krümmungstensor R von ∇, sondern au<strong>ch</strong> der Torsionstensor,<br />

dann ist (M, ∇) lokal “isomorph” zum R n , versehen mit dem Standardzusammenhang<br />

∇. Der dabei verwendete Isomorphiebegriff ist die affine Diffeomorphie,<br />

auf die wir in 16.7 eingehen. Ans<strong>ch</strong>ließend spezialisieren wir die Situation<br />

weiter auf den Fall des Levi–Civita–Zusammenhanges einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g). In Abs<strong>ch</strong>nitt 16.9 zeigen wir, dass der Levi–Civita–Zusammenhang<br />

genau dann fla<strong>ch</strong> ist, wenn (M, g) lokal isometris<strong>ch</strong> zum euklidis<strong>ch</strong>en Raum ist.<br />

Im Folgenden bezei<strong>ch</strong>net V = V(M) die Menge der differenzierbaren Vektorfelder<br />

auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M, und V ∗ = V ∗ (M) die Menge der<br />

differenzierbaren 1–Formen.<br />

16.1. Der Krümmungstensor. Die Abbildung<br />

mit<br />

R : V × V × V → V, (X, Y, Z) ↦→ R(X, Y )Z<br />

R(X, Y )Z = ∇ X ∇ Y Z − ∇ Y ∇ X Z − ∇ [X,Y ] Z (16.1.1)<br />

heißt der Krümmungstensor von ∇. Die spezielle Klammersetzung mit R(X, Y )Z<br />

anstelle von R(X, Y, Z) wird in Abs<strong>ch</strong>nitt 16.4 begründet.<br />

Bemerkung. Na<strong>ch</strong> dieser Definition ist R also streng genommen kein Tensorfeld.<br />

Mit den in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.3 behandelten Eigens<strong>ch</strong>aften der Lieklammer re<strong>ch</strong>net man<br />

aber lei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> (Aufgabe 1), dass die Abbildung R in allen drei Variablen X, Y<br />

und Z linear über C ∞ (M) ist. Dasselbe gilt für die dur<strong>ch</strong> R induzierte Abbildung<br />

Version 16. Mai 2000<br />

R : V × V × V × V ∗ → C ∞ (M)<br />

R(X, Y, Z, α) = α(R(X, Y )Z).<br />

155


Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 6.7 definiert daher R ein (3, 1)–Tensorfeld auf M. Wir werden im<br />

Folgenden R, R und das dadur<strong>ch</strong> definierte (3, 1)–Tensorfeld mit demselben Bu<strong>ch</strong>staben<br />

R bezei<strong>ch</strong>nen und im Allgemeinen ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>eiden. Aus dem Kontext<br />

wird dann jeweils ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> sein, was gemeint ist.<br />

16.2. Komponenten des Krümmungstensors. Speziell für Basisfelder ∂ i =<br />

∂/∂x i einer Karte gilt [∂ i , ∂ j ] = 0, so dass R(∂ i , ∂ j ) die Vertaus<strong>ch</strong>barkeit der kovarianten<br />

Ableitungen ∇ ∂i und ∇ ∂j misst. Nun ist<br />

mit<br />

R = R ijk l dx i ⊗ dx j ⊗ dx k ⊗ ∂ l<br />

R ijk l = R(∂ i , ∂ j , ∂ k , dx l ) = dx l( R(∂ i , ∂ j )∂ k<br />

)<br />

,<br />

und das ist die l–te Komponente des Vektorfeldes R(∂ i , ∂ j )∂ k . Die R ijk l sind also<br />

bestimmt dur<strong>ch</strong> die Glei<strong>ch</strong>ung<br />

R(∂ i , ∂ j )∂ k = R ijk l ∂ l . (16.2.1)<br />

Mit den dur<strong>ch</strong> ∇ ∂i ∂ j = Γ ij k ∂ k definierten Christoffelsymbolen bere<strong>ch</strong>net man daraus<br />

für die Komponenten des Krümmungstensors<br />

R ijk l = ∂ i Γ jk l − ∂ j Γ ik l + Γ jk m Γ im l − Γ ik m Γ jm l . (16.2.2)<br />

Bemerkung. Im Fall einer Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 ist uns diese Glei<strong>ch</strong>ung bereits in<br />

(12.7.4) begegnet. Die dort verwendeten Γ k ij sind na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 14.9 die Christoffelsymbole<br />

des Levi–Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform von M.<br />

l<br />

Die in (12.7.4) eingeführten R ijk sind also die Komponenten des Krümmungstensors<br />

des Levi–Civita–Zusammenhanges der ersten Fundamentalform. Für die<br />

Gaußkrümmung der Flä<strong>ch</strong>e M ergibt (12.7.5)<br />

K =<br />

R l 122 g l1<br />

g 11 g 22 − (g 12 ) 2 = g( )<br />

R(∂ 1 , ∂ 2 )∂ 2 , ∂ 1<br />

‖∂ 1 ‖ 2 ‖∂ 2 ‖ 2 − g(∂ 1 , ∂ 2 ) 2 . (16.2.3)<br />

16.3. Ein Lemma. Sei H : [0, 1] × [a, b] → M, (s, t) ↦→ H(s, t) differenzierbar.<br />

Wir definieren Vektorfelder ∂H/∂s und ∂H/∂t längs der Abbildung H wie folgt:<br />

∂H/∂s (s, t) ist der Tangentialvektor der Kurve σ ↦→ H(σ, t) an der Stelle σ = s,<br />

und entspre<strong>ch</strong>end ist ∂H/∂t (s, t) derjenige von τ ↦→ H(s, τ) an der Stelle τ = t. Es<br />

ist also, mit der Ableitung T H von H,<br />

∂H<br />

( ∂<br />

∂s (s, t) = (T H) )<br />

∂s∣ (s,t)<br />

∂H<br />

( ∂<br />

∂t (s, t) = (T H) )<br />

∂t∣ .<br />

(s,t)<br />

156


Ist ∇ ein Zusammenhang auf M, und ist X ein Vektorfeld längs H, dann bezei<strong>ch</strong>net<br />

∇X<br />

(s, t)<br />

∂s<br />

die kovariante Ableitung des Vektorfeldes σ ↦→ X(σ, t) längs der Kurve σ ↦→ H(σ, t)<br />

an der Stelle σ = s im Sinne von Abs<strong>ch</strong>nitt 15.1. Dann ist ∇X/∂s ein Vektorfeld<br />

längs H. Entspre<strong>ch</strong>end ist ∇X/∂t definiert.<br />

Lemma. Sei X ein Vektorfeld längs H, und sei R der Krümmungstensor von ∇.<br />

Dann gilt<br />

∇ ∇X<br />

− ∇ ∇X<br />

( ∂H<br />

∂s ∂t ∂t ∂s = R ∂s , ∂H )<br />

X. (16.3.1)<br />

∂t<br />

Beide Seiten dieser Glei<strong>ch</strong>ung sind Vektorfelder längs H. Man beweist die Beziehung<br />

dur<strong>ch</strong> Na<strong>ch</strong>re<strong>ch</strong>nen in lokalen Koordinaten mittels (15.1.1) und (16.2.2).<br />

16.4. Geometris<strong>ch</strong>e Deutung von R. Für Tangentialvektoren X, Y ∈ T p M ist<br />

die Abbildung R(X, Y ) : T p M → T p M mit<br />

Z ↦→ R(X, Y )Z<br />

ein Vektorraumendomorphismus von T p M. Wir geben eine Deutung dieser Abbildung<br />

R(X, Y ). Sei dazu H : [0, 1] × [0, 1] → M, H = H(s, t) eine differenzierbare<br />

Abbildung mit H(0, 0) = p,<br />

∂H<br />

∂s (0, 0) = X und ∂H<br />

(0, 0) = Y.<br />

∂t<br />

Dabei sind ∂H/∂s und ∂H/∂t die in 16.3 definierten Vektorfelder längs H. Für<br />

fixierte Werte 0 ≤ s ≤ 1 und 0 ≤ t ≤ 1 bezei<strong>ch</strong>ne P s,t : T p M → T p M die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

entlang der aus vier Teilen zusammengesetzten ges<strong>ch</strong>lossenen Kurve<br />

c = c 1 · c 2 · c 3 · c 4 , wobei<br />

c 1 (σ) = H(σ, 0), 0 ≤ σ ≤ s<br />

c 2 (τ) = H(s, τ), 0 ≤ τ ≤ t<br />

c 3 (σ) = H(s − σ, τ), 0 ≤ σ ≤ s<br />

c 4 (τ) = H(0, t − τ), 0 ≤ τ ≤ t .<br />

Man erhält auf diese Weise eine differenzierbare Abbildung<br />

P : [0, 1] × [0, 1] → Aut(T p M) ⊆ End(T p M),<br />

(s, t) ↦→ P s,t<br />

in die Gruppe Aut(T p M) der Vektorraumautomorphismen von T p M, die ihrerseits<br />

eine offenen Teilmenge des Vektorraums End(T p M) aller Endomorphismen ist. Offenbar<br />

ist P 0,t = I und P s,0 = I, also insbesondere P 0,0 = I. Ausserdem vers<strong>ch</strong>winden<br />

157


in (0, 0) die partiellen Ableitungen ∂P/∂s, ∂ 2 P/∂s 2 , ∂P/∂t und ∂ 2 P/∂t 2 . Wir untersu<strong>ch</strong>en<br />

nun die gemis<strong>ch</strong>te Ableitung ∂ 2 P/∂s ∂t.<br />

Satz. Es gilt<br />

∂ 2 P<br />

(0, 0) = −R(X, Y ) (16.4.1)<br />

∂s ∂t<br />

P s,t = I − st R(X, Y ) + O(3). (16.4.2)<br />

Insbesondere gilt<br />

R(X, Y ) = − lim<br />

t→0<br />

P t,t − I<br />

t 2 . (16.4.3)<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net das “Landaus<strong>ch</strong>e Symbol” O(3) eine Funktion mit Werten im Vektorraum<br />

T p M und mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass der Quotient O(3)/(s 2 + t 2 ) 3/2 in einer<br />

Umgebung von (s, t) = (0, 0) bes<strong>ch</strong>ränkt ist. Man bea<strong>ch</strong>te, dass diese Bedingung<br />

unabhängig von der Wahl einer Norm auf T p M ist.<br />

Beweis. Na<strong>ch</strong> dem Taylors<strong>ch</strong>en Satz, angewandt auf die vektorraumwertige Funktion<br />

(s, t) ↦→ P s,t , sind die Beziehungen (16.4.1) und (16.4.2) glei<strong>ch</strong>bedeutend. Um<br />

nun (16.4.2) zu beweisen, setzen wir X und Y zu Vektorfeldern längs H fort dur<strong>ch</strong><br />

die Definitionen<br />

X(σ, τ) = ∂H<br />

∂σ<br />

∂H<br />

(σ, τ) und Y (σ, τ) = (σ, τ).<br />

∂τ<br />

Sei Z ein weiteres differenzierbares Vektorfeld längs H. Für i = 1, 2, 3, 4 bezei<strong>ch</strong>ne<br />

P i die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs der Kurve c i von ihrem Anfangspunkt zu ihrem<br />

Endpunkt. Wir setzen abkürzend ∇ s = ∇/∂s. Die Auswertung eines Vektorfeldes<br />

längs H in den vier Ecken des Re<strong>ch</strong>tecks [0, s] × [0, t], also an den Stellen (0, 0),<br />

(s, 0), (s, t) und (0, t), bezei<strong>ch</strong>nen wir in dieser Reihenfolge dur<strong>ch</strong> Ans<strong>ch</strong>reiben eines<br />

Index 0, 1, 2 und 3. Es ist also zum Beispiel<br />

Z 2 = Z(s, t) und ∇ s Z 3 = (∇ s Z)(0, t).<br />

Wir ma<strong>ch</strong>en wiederholt Gebrau<strong>ch</strong> von der Taylorformel (15.3.1) in der Form<br />

P c 0,tZ(t) − Z(0) = t ∇ t Z(0) + t2 2 ∇ t∇ t Z(0) + O(3)<br />

mit vers<strong>ch</strong>iedenen Kurven c. Mit diesen Festlegungen ist<br />

P s,t Z 0 − Z 0 = P 4 P 3 P 2 P 1 Z 0 − Z 0<br />

= P 4 P 3 P 2 (P 1 Z 0 − Z 1 ) + P 4 P 3 (P 2 Z 1 − Z 2 )<br />

+ P 4 (P 3 Z 2 − Z 3 ) + P 4 Z 3 − Z 0<br />

158


= P 4 P 3 P 2( )<br />

− s ∇ s Z 1 + s2<br />

2 ∇ s∇ s Z 1 + O(3))<br />

+ P 4 P 3( )<br />

− t ∇ t Z 2 + t2 2 ∇ t∇ t Z 2 + O(3)<br />

+ P 4( )<br />

s ∇ s Z 3 + s2<br />

2 ∇ s∇ s Z 3 + O(3)<br />

+ t ∇ t Z 0 + t2 2 ∇ t∇ t Z 0 + O(3).<br />

Die in s und t linearen Terme behandeln wir wie folgt:<br />

−s P 4 (P 3 P 2 ∇ s Z 1 − ∇ s Z 3 ) − t (P 4 P 3 ∇ t Z 2 − ∇ t Z 0 )<br />

= − s P 4( P 3 (P 2 ∇ s Z 1 − ∇ s Z 2 ) + P 3 ∇ s Z 2 − ∇ s Z 3<br />

)<br />

− t ( P 4 (P 3 ∇ t Z 2 − ∇ t Z 3 ) + P 4 ∇ t Z 3 − ∇ t Z 0<br />

)<br />

= − s P 4( P 3 (−t ∇ t ∇ s Z 2 + O(2)) + s ∇ s ∇ s Z 3 + O(2) )<br />

− t ( P 4 (s∇ s ∇ t Z 3 + O(2)) + t ∇ t ∇ t Z 0 + O(2) )<br />

= st P 4 P 3 ∇ t ∇ s Z 2 − st P 4 ∇ s ∇ t Z 3<br />

− s 2 P 4 ∇ s ∇ s Z 3 − t 2 ∇ t ∇ t Z 0 + O(3) .<br />

(∗)<br />

Nun bea<strong>ch</strong>ten wir, dass für jedes differenzierbare Vektorfeld W längs H die mit den<br />

Parallelvers<strong>ch</strong>iebungen P j na<strong>ch</strong> (0, 0) vers<strong>ch</strong>obenen Werte W 1 , W 2 und W 3 bis auf<br />

Terme der Ordnung O(1) mit W 0 übereinstimmen. So ist zum Beispiel<br />

und ebenso gilt<br />

P 4 P 3 W 2 − W 0 = P 4 (P 3 W 2 − W 3 ) + P 4 W 3 − W 0<br />

= P 4 (s ∇ s W 3 + O(2)) + t ∇ t W 0 + O(2)<br />

= O(1),<br />

P 4 P 3 P 2 W 1 − P 4 W 3 = P 4( P 3 (P 2 W 1 − W 2 ) + P 3 W 2 − W 3<br />

)<br />

= O(1).<br />

Setzt man daher (∗) in den für P s,t Z 0 − Z 0 erhaltenen Ausdruck ein, so heben si<strong>ch</strong><br />

die ∇ s ∇ s und ∇ t ∇ t enthaltenden Terme bis auf Ausdrücke der Ordnung O(3) weg,<br />

und es bleibt<br />

wie behauptet. QED<br />

P s,t Z 0 − Z 0 = −st(∇ s ∇ t Z 0 − ∇ t ∇ s Z 0 ) + O(3)<br />

= −st R(X 0 , Y 0 )Z 0 + O(3),<br />

159


Korollar. Ist ∇ mit einer Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g verträgli<strong>ch</strong>, dann ist für alle<br />

X, Y ∈ T p M der Endomorphismus R(X, Y ) : T p M → T p M s<strong>ch</strong>iefsymmetris<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong><br />

g, also<br />

g(R(X, Y )Z, W ) = −g(R(X, Y )W, Z) (16.4.4)<br />

für alle Z, W ∈ T p M.<br />

Beweis. Na<strong>ch</strong> (16.4.3) ist<br />

R(X, Y ) = − lim<br />

t→0<br />

P t,t − I<br />

t 2<br />

= − d dt∣ P √ τ, √ τ .<br />

τ=0<br />

Da na<strong>ch</strong> Proposition 15.5 die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung isometris<strong>ch</strong> ist, gilt<br />

g(p)(P √ τ, √ τ Z, P √ τ, √ τ W ) = g(p)(Z, W ).<br />

Das Korollar ergibt si<strong>ch</strong>, indem man diese Beziehung na<strong>ch</strong> τ differenziert und τ = 0<br />

setzt. QED<br />

16.5. Fla<strong>ch</strong>e Zusammenhänge. Ein Zusammenhang ∇ heißt fla<strong>ch</strong>, wenn sein<br />

Krümmungstensor vers<strong>ch</strong>windet, wenn also R = 0 ist. Um die geometris<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />

dieser Bedingung zu erläutern, führen wir zunä<strong>ch</strong>st folgende Begriffe ein.<br />

Definition. Zwei differenzierbare Kurven c 0 und c 1 : [a, b] → M mit denselben<br />

Anfangs- und Endpunkten c 0 (a) = c 1 (a) = p und c 0 (b) = c 1 (b) = q heißen differenzierbar<br />

homotop (mit festen Endpunkten), wenn eine differenzierbare Abbildung<br />

H : [0, 1] × [a, b] → M<br />

existiert mit H(s, a) = p und H(s, b) = q für alle s ∈ [0, 1], und mit H(0, t) = c 0 (t)<br />

und H(1, t) = c 1 (t) für alle t ∈ [a, b]. Die Abbildung H bezei<strong>ch</strong>net man dann als<br />

eine differenzierbare Homotopie von c 0 na<strong>ch</strong> c 1 .<br />

Man stellt si<strong>ch</strong> eine sol<strong>ch</strong>e Homotopie meist als eine Familie c s (t) = H(s, t) von<br />

Kurven c s vor, die alle denselben Anfangs- und denselben Endpunkt haben, und<br />

dur<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>e die Kurve c 0 in die Kurve c 1 “deformiert” wird. Anstelle differenzierbarer<br />

Kurven und Homotopien ist es oft von Vorteil, stetige oder stückweise<br />

differenzierbare Kurven und Homotopien zuzulassen. Dabei heißt H stückweise differenzierbar,<br />

wenn H stetig ist und es Unterteilungen 0 = s 0 < s 1 < . . . < s k = 1<br />

und a = t 0 < t 1 < . . . < t m = b gibt dergestalt, dass die Eins<strong>ch</strong>ränkung von H auf<br />

jedes der Re<strong>ch</strong>tecke [s i , s i+1 ] × [t j , t j+1 ] differenzierbar ist.<br />

Definition. Ein Repèrefeld auf M ist ein n–Tupel X 1 , . . . , X n differenzierbarer<br />

Vektorfelder auf M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass X 1 (p), . . . , X n (p) für jeden Punkt<br />

p ∈ M eine Basis des Tangentialraumes T p M ist. Repèrefelder werden au<strong>ch</strong> als<br />

bewegli<strong>ch</strong>e n–Beine bezei<strong>ch</strong>net, im Englis<strong>ch</strong>en als frame field.<br />

160


Satz. Sei ∇ ein Zusammenhang auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M.<br />

Folgende Aussagen sind äquivalent.<br />

(a) Der Zusammenhang ∇ ist fla<strong>ch</strong>.<br />

(b) Für alle p, q ∈ M und alle homotopen differenzierbaren Kurven c 0 und c 1 :<br />

[a, b] → M mit c 0 (a) = c 1 (a) = p und c 0 (b) = c 1 (b) = q gilt P c0<br />

b,a = P c1<br />

b,a .<br />

(c) Zu jedem Punkt p ∈ M und jedem Vektor X p ∈ T p M existieren eine Umgebung<br />

U von p und ein differenzierbares Vektorfeld X ∈ V(U) mit X(p) = X p und mit<br />

∇X = 0 auf U.<br />

(d) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p und ein paralleles<br />

Repèrefeld X 1 , . . . , X n ∈ V(U), also ein Repèrefeld mit ∇X i = 0 für i = 1, . . . , n.<br />

Bedingung (b) bedeutet, ungenau gespro<strong>ch</strong>en, die “Wegunabhängigkeit der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung”<br />

bei homotopen Kurven, (c) ist die “lokale Fortsetzbarkeit” von<br />

Vektoren zu parallelen Vektorfeldern, und (d) die “lokale” Existenz paralleler Basisfelder.<br />

Beweis. (a)⇒(b) Sei H eine Homotopie von c 0 na<strong>ch</strong> c 1 , und sei X p ∈ T p M. Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

von X längs der Kurven t ↦→ H(s, t) liefert ein Vektorfeld X(s, t)<br />

längs H mit ∇X/∂t = 0. Wir zeigen, dass X(s, b) konstant ist, so dass insbesondere<br />

folgt<br />

P c0<br />

b,a X p = X(0, b) = X(1, b) = P c1<br />

b,a X p.<br />

Na<strong>ch</strong> Lemma 16.3 gilt wegen R = 0<br />

∇ ∇X<br />

∂t ∂s = ∇ ∇X<br />

( ∂H<br />

+ R<br />

∂s ∂t ∂t , ∂H )<br />

X = 0.<br />

∂s<br />

Also ist das Vektorfeld t ↦→ (∇X/∂s)(s, t) parallel längs der Abbildung t ↦→ H(s, t).<br />

Wegen X(s, a) = X p für s ∈ [0, 1] ist<br />

∇X<br />

∂s<br />

∂X<br />

(s, a) = (s, a) = 0.<br />

∂s<br />

Die kovariante Ableitung reduziert si<strong>ch</strong> dabei auf die gewöhnli<strong>ch</strong>e, weil X(s, a) ∈<br />

T p M ist für alle s. Es folgt<br />

∂X<br />

∂s<br />

∇X<br />

(s, b) = (s, b) = 0.<br />

∂s<br />

(b)⇒(c) Sei X p ∈ T p M. Wir wählen eine Karte (ϕ, U) mit ϕ(p) = 0 und dergestalt,<br />

dass ϕ(U) = B(0, 1) der Ball vom Radius 1 um den Ursprung ist. Auf U definieren<br />

wir nun ein Vektorfeld X ∈ V(U) dur<strong>ch</strong> “radiale” Parallelvers<strong>ch</strong>iebung des Vektors<br />

X p von p aus wie folgt. Für q ∈ U sei c q : [0, 1] → M die Kurve c q (t) = ϕ −1 (tϕ(q)).<br />

Wir definieren<br />

X(q) = P cq<br />

1,0 X p.<br />

161


Für das so definierte Vektorfeld zeigen wir nun ∇X = 0. Dazu genügt es, zu<br />

beweisen, dass X ◦ c längs jeder Kurve c ∈ C ∞ ([0, 1], U) parallel ist. Für festes<br />

t ∈ [0, 1] ist die Eins<strong>ch</strong>ränkung c| [0,t] homotop zur Zusammensetzung γ 1 · γ 2 zweier<br />

radialer Kurven, und na<strong>ch</strong> Konstruktion ist X parallel entlang γ 1 und γ 2 . Da na<strong>ch</strong><br />

Voraussetzung die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung von X(c(0)) längs c| [0,t] und längs γ 1 · γ 2<br />

dasselbe ergibt, folgt<br />

Also ist X ◦ c parallel längs c.<br />

P c t,0X(c(0)) = P γ2 P γ1 X(c(0)) = X(c(t)).<br />

(c)⇒(d) Man wählt eine Basis X 1 (p), . . . , X n (p) von T p M und wendet (c) auf jeden<br />

der Vektoren X i (p) an, um das gewüns<strong>ch</strong>te Repèrefeld auf U zu erhalten.<br />

(d)⇒(a) Sei X 1 , . . . , X n ein paralleles Repèrefeld auf U ⊆ M. Na<strong>ch</strong> Definition des<br />

Krümmungstensors ist dann R(X i , X j )X k = 0. Da die Vektorfelder X i an jeder<br />

Stelle von U eine Basis des Tangentialraumes bilden, vers<strong>ch</strong>windet R auf U. QED<br />

Bemerkung. Zum Beweis der Implikation (b)⇒(c) sei bemerkt, dass si<strong>ch</strong> die<br />

Kurve γ 1 · γ 2 als C ∞ –Kurve parametrisieren lässt und dann C ∞ –homotop zu c| [0,t]<br />

ist. Um die etwas mühsame Dur<strong>ch</strong>führung zu vermeiden, könnte man stattdessen<br />

stückweise differenzierbare Kurven und Homotopien betra<strong>ch</strong>ten und Aussage (b)<br />

entspre<strong>ch</strong>end modifizieren.<br />

16.6. Ein zweiter Beweis. Wir skizzieren no<strong>ch</strong> einen zweiten Beweis für die<br />

Implikation (a)⇒(b), der die Beziehung (16.4.2) verwendet. Sei<br />

H : A = [0, 1] × [0, 1] → M<br />

eine differenzierbare Abbildung, p = H(0, 0) und q = H(1, 1). Mit P : T p M → T q M<br />

bezei<strong>ch</strong>nen wir die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs der Kurve c 1 (s) = H(s, 0) und dann<br />

längs c 2 (t) = H(1, t); mit P ′ : T p M → T q M die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung entlang<br />

c 3 (t) = H(0, t), gefolgt von der längs c 4 (s) = H(s, 1). Wir zeigen P ′ = P .<br />

Dazu unterteilen wir das Quadrat A in m 2 Teilquadrate A 1 , . . . , A m 2 der Seitenlänge<br />

1/m und ändern den Weg γ 0 := c 1 · c 2 na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> ab in Wege γ 1 , γ 2 , . . . , γ m 2<br />

dergestalt, dass si<strong>ch</strong> γ i+1 von γ i nur dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet, dass das Quadrat A i+1<br />

“anders herum” umfahren wird (Skizze). Na<strong>ch</strong> m 2 sol<strong>ch</strong>er Änderungen erhalten wir<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die Kurve γ m 2 = c 3 · c 4 . Bezei<strong>ch</strong>net P i die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung entlang<br />

γ i von p na<strong>ch</strong> q, dann ist P 0 = P und P m 2 = P ′ , und na<strong>ch</strong> (16.4.1) gilt wegen R = 0<br />

( 1<br />

)<br />

P −1<br />

i+1 ◦ P i = I + O<br />

m 3<br />

da 1/m die Seitenlänge von A i ist. Daraus folgt<br />

( 1<br />

)<br />

P i+1 − P i = O<br />

m 3<br />

162


und insgesamt<br />

P ′ − P = ∑ m 2<br />

( 1<br />

)<br />

(P i − P i−1 ) = m 2 O<br />

i=1 m 3 ,<br />

und der Grenzübergang m → ∞ liefert P ′ − P = 0.<br />

16.7. Affine Diffeomorphismen. Seien (M, ∇) und (M ′ , ∇ ′ ) Mannigfaltigkeiten<br />

mit Zusammenhängen. Ein Diffeomorphismus ψ : M → M ′ heißt ein affiner Diffeomorphismus,<br />

wenn für alle Vektorfelder X, Y ∈ V(M) gilt<br />

ψ ∗ (∇ X Y ) = ∇ ′ ψ ∗X ψ ∗Y. (16.7.1)<br />

Dabei ist ψ ∗ X das Vektorfeld ψ ∗ X = (T ψ) ◦ X ◦ ψ −1 auf M ′ . Affine Diffeomorphismen<br />

von (M, ∇) auf si<strong>ch</strong> selbst bezei<strong>ch</strong>net man au<strong>ch</strong> als affine Transformationen.<br />

Mit Zusammenhängen versehene Mannigfaltigkeiten heißen affin diffeomorph, wenn<br />

es einen affinen Diffeomorphismus zwis<strong>ch</strong>en ihnen gibt.<br />

Bemerkungen. (a) Affine Diffeomorphie ist offenbar eine Äquivalenzrelation. Sie<br />

ist der natürli<strong>ch</strong>e Isomorphiebegriff für Mannigfaltigkeiten, die mit einem Zusammenhang<br />

ausgestattet sind.<br />

(b) Die affinen Transformationen des mit dem Standardzusammenhang ∇ versehenen<br />

Raumes R n sind genau die Abbildungen der Gestalt x ↦→ Ax + b mit einer<br />

Matrix A ∈ GL(n, R) und mit b ∈ R n . Setzt man nämli<strong>ch</strong> in (16.7.1) für X und<br />

Y die Standardbasisfelder ∂ i , ∂ j des R n ein und bea<strong>ch</strong>tet ∇ ∂i ∂ j = 0, dann ergibt<br />

si<strong>ch</strong>, dass die zweiten partiellen Ableitungen aller Komponentenfunktionen von ψ<br />

vers<strong>ch</strong>winden. Der Taylors<strong>ch</strong>e Satz ergibt dann die Behauptung.<br />

(c) Sei ψ : M → M ′ ein Diffeomorphismus. Ist (ϕ, U) eine Karte von M, dann ist<br />

(ϕ◦ψ −1 , ψ(U)) eine Karte von M ′ . Seien Γ ij k ∈ C ∞ (U) die Christoffelsymbole von<br />

∇, und seien Γ ′ ij k ∈ C ∞ (ψ(U)) diejenigen von ∇ ′ bezügli<strong>ch</strong> dieser Karten. Dann<br />

gilt: ψ ist ein affiner Diffeomorphismus genau dann, wenn für alle sol<strong>ch</strong>en Karten<br />

gilt<br />

Γ ij k = Γ ′ ij k ◦ ψ. (16.7.2)<br />

Der Beweis ergibt si<strong>ch</strong> aus der Definition der Christoffelsymbole, wenn man bea<strong>ch</strong>tet,<br />

dass für die Basisfelder der Karten ψ ∗ ∂ i = ∂ ′ i ist.<br />

(d) Ist ψ : M → M ′ ein affiner Diffeomorphismus, dann gilt für die Krümmungstensoren<br />

R von ∇ und R ′ von ∇ ′<br />

ψ ∗ (R(X, Y )Z) = R ′ (ψ ∗ X, ψ ∗ Y )ψ ∗ Z. (16.7.3)<br />

Das ergibt si<strong>ch</strong> sofort aus der Definition von R, Glei<strong>ch</strong>ung (16.7.1) und der Beziehung<br />

ψ ∗ [X, Y ] = [ψ ∗ X, ψ ∗ Y ] für die Lieklammer (Aufgabe 5 in Kapitel 7).<br />

16.8. Fla<strong>ch</strong>e torsionsfreie Zusammenhänge. Der Standardzusammenhang ∇<br />

des R n ist fla<strong>ch</strong> und torsionsfrei, erfüllt also R = 0 und T = 0. Wir zeigen nun,<br />

163


dass für jeden Zusammenhang ∇ mit R = 0 und T = 0 auf einer Mannigfaltigkeit<br />

M das Paar (M, ∇) lokal affin diffeomorph zu (R n , ∇) ist.<br />

Satz. Sei ∇ ein Zusammenhang auf M mit Krümmungstensor R und Torsionstensor<br />

T . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.<br />

(a) Es gilt R = 0 und T = 0.<br />

(b) Zu jedem Punkt p ∈ M existiert eine Karte (ϕ, U) mit p ∈ U und mit der<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft, dass die Christoffelsymbole auf U vers<strong>ch</strong>winden, also Γ ij k = 0 ist.<br />

(c) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p, eine offene Teilmenge<br />

V ⊆ R n und ein affiner Diffeomorphismus φ : (U, ∇) → (V, ∇), wobei ∇<br />

den Standardzusammenhang des R n bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Beweis. (a)⇒(b) Ist R = 0, dann existiert na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 16.5 ein paralleles Repèrefeld<br />

X 1 , . . . , X n auf einer Umgebung U 0 von p. Aus der Torsionsfreiheit folgt, dass<br />

die Lieklammern der Vektorfelder X i vers<strong>ch</strong>winden:<br />

0 = T (X i , X j )<br />

= ∇ Xi X j − ∇ Xj X i − [X i , X j ]<br />

= −[X i , X j ].<br />

Na<strong>ch</strong> Satz 7.8 existiert eine Karte (ϕ, U) mit p ∈ U ⊆ U 0 und mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass X i = ∂ i ist. Daraus folgt<br />

0 = ∇ Xi X j = ∇ ∂i ∂ j = Γ ij k ∂ k .<br />

(b)⇒(a) Die Formel (16.2.2) für die Komponenten R ijk<br />

l<br />

des Krümmungstensors<br />

und die Beziehung T ij k = Γ ij k − Γ ji k zeigen, dass R und T vers<strong>ch</strong>winden, wenn<br />

Γ ij k = 0 ist.<br />

(b)⇒(c) Ist (ϕ, U) eine Karte mit Γ ij k = 0, dann setze man ψ = ϕ und V = ϕ(U).<br />

Na<strong>ch</strong> der dem Satz vorausgehenden Bemerkung (c) ist ψ ein affiner Diffeomorphismus.<br />

(c)⇒(b) Sei ψ : U → V ein affiner Diffeomorphismus wie in (c). Verwendet man<br />

(ψ, U) als Karte, dann gilt für die entspre<strong>ch</strong>enden Christoffelsymbole na<strong>ch</strong> derselben<br />

Bemerkung Γ k ij = 0. QED<br />

16.9. Fla<strong>ch</strong>e Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit<br />

(M, g) heißt fla<strong>ch</strong>, wenn ihr Levi–Civita–Zusammenhang fla<strong>ch</strong> ist. Auf<br />

diesen Zusammenhang ist dann insbesondere das Resultat aus 16.8 anwendbar. Wir<br />

zeigen nun, dass fla<strong>ch</strong>e Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten lokal isometris<strong>ch</strong> zum mit<br />

der Standardmetrik ḡ versehenen R n sind.<br />

Satz. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit. Dann sind folgende Aussagen<br />

äquivalent.<br />

164


(a) (M, g) ist fla<strong>ch</strong>.<br />

(b) Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine Umgebung U von p und eine Isometrie<br />

φ : (U, g| U ) → (V, ḡ| V ) auf eine offene Teilmenge V ⊆ R n .<br />

Beweis. Ist (M, g) fla<strong>ch</strong>, dann findet man wie im Beweis von Satz 16.8 ein paralleles<br />

Repèrefeld<br />

X 1 =<br />

∂<br />

∂x 1 , . . . , X n =<br />

∂<br />

∂x n ,<br />

wel<strong>ch</strong>es aus den Basisfeldern einer Karte (ϕ, U) besteht. Wählt man dabei für<br />

X 1 (p), . . . , X n (p) eine Orthonormalbasis von T p M, dann sind diese Vektorfelder in<br />

jedem Punkt von U orthonormal, weil sie parallel sind und Parallelvers<strong>ch</strong>iebung<br />

na<strong>ch</strong> 15.5 isometris<strong>ch</strong> ist. Setzt man ψ = ϕ, dann gilt mit den Standardbasisfeldern<br />

e 1 , . . . , e n des R n für q ∈ U<br />

ḡ((T ψ)X i (q), (T ψ)X j (q)) = ḡ(e i (ψ(q)), e j (ψ(q))<br />

= δ ij<br />

= g(X i (q), X j (q)),<br />

und folgli<strong>ch</strong> ψ ∗ ḡ = g. Also ist ψ eine Isometrie. Zum Beweis der umgekehrten Implikation<br />

(b)⇒(a) bea<strong>ch</strong>tet man, dass Isometrien zwis<strong>ch</strong>en Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten<br />

au<strong>ch</strong> affine Diffeomorphismen bezügli<strong>ch</strong> der zugehörigen Levi–Civita–<br />

Zusammenhänge sind (Aufgabe 2). Die Behauptung R = 0 folgt nun aus Bemerkung<br />

(d) in Abs<strong>ch</strong>nitt 16.7. QED<br />

Aufgaben<br />

1. Krümmungstensor. Verifizieren Sie, dass die in (16.1.1) definierte Abbildung<br />

R in allen drei Variablen linear über dem Ring C ∞ (M) ist.<br />

2. Affine Diffeomorphismen. Zeigen Sie, dass jede Isometrie zwis<strong>ch</strong>en Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeiten ein affiner Diffeomorphismus bezügli<strong>ch</strong> der Levi–Civita–<br />

Zusammenhänge ist. Hinweis: Verwenden Sie die Eindeutigkeit des Levi–Civita–<br />

Zusammenhanges.<br />

3. Geodätis<strong>ch</strong>e und affine Diffeomorphismen. Zeigen Sie, dass affine Diffeomorphismen<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e in Geodätis<strong>ch</strong>e abbilden: Ist ψ : (M, ∇) → (M ′ , ∇ ′ ) ein<br />

affiner Diffeomorphismus, und ist c : I → M eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇, dann ist<br />

c ′ = ψ ◦ c eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇ ′ . Gilt die Umkehrung?<br />

4. Wegabhängigkeit der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung. Sei ∇ ein Zusammenhang auf<br />

einer Mannigfaltigkeit M, und sei H : [0, 1] × [a, b] → M eine differenzierbare<br />

Abbildung. Mit P s,t werde die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung entlang der Kurve c s = H(s, ·)<br />

von t na<strong>ch</strong> b bezei<strong>ch</strong>net. Es ist also<br />

P s,t = P cs<br />

b,t : T H(s,t)M → T H(s,b) M<br />

165


mit der in 15.2 eingeführten Notation. Weiter bezei<strong>ch</strong>ne R s,t die lineare Abbildung<br />

( ∂H ∂H<br />

)<br />

R s,t = P s,t ◦ R (s, t),<br />

∂t ∂s (s, t) ◦ (P s,t ) −1<br />

von T H(s,b) M in si<strong>ch</strong>. Sei X ein Vektorfeld längs H mit ∇X/∂t = 0 auf [0, 1] × [a, b]<br />

und mit (∇X/∂s)(s, a) = 0 für 0 ≤ s ≤ 1.<br />

(a) Zeigen Sie, dass gilt<br />

∫<br />

∇X<br />

b<br />

∂s (s, b) = R s,t dt X(s, b).<br />

a<br />

(∗)<br />

(b) Verwenden Sie diese Glei<strong>ch</strong>ung, um einen Beweis der Implikation (a)⇒(b) in<br />

Satz 16.5 zu geben.<br />

Anleitung zu (a): Das Integral ∫ b<br />

a R s,t dt ist ein Vektorraumendomorphismus von<br />

T H(s,b) M, der auf den Vektor X(s, b) angewandt wird. Zeigen Sie mit Hilfe von<br />

(16.3.1) zunä<strong>ch</strong>st, dass gilt<br />

d<br />

(<br />

∇X<br />

) ( ∇<br />

P s,t<br />

dt ∂s (s, t) ∇X<br />

)<br />

= P s,t<br />

∂t ∂s (s, t) = R s,t X(s, b) . (∗∗)<br />

5. ∗ Homotopie. Zeigen Sie, dass stückweise differenzierbare Homotopie eine<br />

Äquivalenzrelation auf der Menge der stückweise differenzierbaren Kurven c : [a, b]<br />

→ M ist. Zeigen Sie dann, dass dasselbe für die differenzierbare Homotopie differenzierbarer<br />

Kurven gilt. Zeigen Sie s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>, dass differenzierbare Kurven, die<br />

stetig homotop sind, au<strong>ch</strong> differenzierbar homotop sind.<br />

166


17. Geodätis<strong>ch</strong>e und Exponentialabbildung<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e eines Zusammenhanges sind Kurven, deren kovariante Bes<strong>ch</strong>leunigung<br />

vers<strong>ch</strong>windet. In lokalen Koordinaten führt diese Bedingung auf ein System gewöhnli<strong>ch</strong>er<br />

Differentialglei<strong>ch</strong>ungen, und der Existenz– und Eindeutigkeitssatz für sol<strong>ch</strong>e<br />

Systeme liefert einen entspre<strong>ch</strong>enden Satz für die Geodätis<strong>ch</strong>en: Zu jedem Tangentialvektor<br />

X gibt es eine eindeutig bestimmte Geodätis<strong>ch</strong>e c X mit Anfangsges<strong>ch</strong>windigkeit<br />

ċ X (0) = X. Die Abbildung X ↦→ c X (1), die jedem Tangentialvektor<br />

den Wert der zugehörigen Geodätis<strong>ch</strong>en an der Stelle t = 1 zuordnet, heisst die<br />

Exponentialabbildung von ∇. Sie kann unter anderem zur Einführung spezieller Koordinatensysteme<br />

in M verwendet werden. Wir bes<strong>ch</strong>ließen das Kapitel mit einem<br />

wi<strong>ch</strong>tigen Spezialfall, dem des kanonis<strong>ch</strong>en Zusammenhanges und der Exponentialabbildung<br />

einer Liegruppe.<br />

Im Folgenden bezei<strong>ch</strong>net ∇ einen Zusammenhang auf einer n–dimensionalen differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit M. Tangentialvektoren an Kurven werden gelegentli<strong>ch</strong><br />

mit dem Symbol d/dt angedeutet, also etwa ċ(0) = d/dt ∣ 0<br />

c. Mit Differenzierbarkeit<br />

ist immer Differenzierbarkeit von der Klasse C ∞ gemeint.<br />

17.1. Geodätis<strong>ch</strong>e. Eine differenzierbare Kurve c : I → M heißt na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

15.6 eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇, wenn die kovariante Bes<strong>ch</strong>leunigung ∇ċ/dt = 0 ist.<br />

Ist (ϕ, U) eine Karte und gilt c(I) ⊆ U, dann dann lautet diese Glei<strong>ch</strong>ung wegen<br />

(15.1.1)<br />

d 2 c k<br />

dt 2<br />

+ Γ ij k ◦ c dci dc j<br />

dt dt<br />

= 0 (k = 1, . . . , n). (17.1.1)<br />

Für die Kurve x(t) = ϕ(c(t)) im R n und mit ¯Γ ij k = Γ ij k ◦ϕ −1 ist das ein System<br />

ni<strong>ch</strong>tlinearer gewöhnli<strong>ch</strong>er Differentialglei<strong>ch</strong>ungen zweiter Ordnung<br />

d 2 x k<br />

dt 2<br />

+ ¯Γ ij k ◦x dxi<br />

dt<br />

dx j<br />

dt<br />

= 0, (17.1.2)<br />

wel<strong>ch</strong>es wir dur<strong>ch</strong> Einführen neuer Variablen X k auf ein System erster Ordnung<br />

reduzieren:<br />

dx k<br />

dt (t) = Xk (t)<br />

(17.1.3)<br />

dX k<br />

dt (t) = −¯Γ k ij (x(t)) X i (t) X j (t) .<br />

17.2. Satz. (a) Zu jedem Vektor X ∈ T M existieren ein offenes Intervall J um 0<br />

und eine Geodätis<strong>ch</strong>e c ∈ C ∞ (J, M) mit ċ(0) = X.<br />

(b) Sind c 1 : J 1 → M und c 2 : J 2 → M zwei Geodätis<strong>ch</strong>e mit ċ 1 (0) = ċ 2 (0) = X,<br />

dann stimmen c 1 und c 2 auf dem Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt J 1 ∩ J 2 ihrer Definitionsintervalle<br />

Version 30. Mai 2000<br />

167


überein. Insbesondere gibt es eine eindeutig bestimmte Geodätis<strong>ch</strong>e c X mit maximalem<br />

Definitionsintervall J X und ċ X (0) = X.<br />

(c) Für jede reelle Zahl a ist die Geodätis<strong>ch</strong>e c aX gegeben dur<strong>ch</strong> c aX (t) = c X (at)<br />

mit dem maximalen Definitionsberei<strong>ch</strong><br />

J aX = 1 a J X =<br />

falls a ≠ 0 ist, und J aX = R sonst.<br />

{ 1<br />

a t ∣ ∣∣ t ∈ JX<br />

}<br />

,<br />

Im Folgenden bezei<strong>ch</strong>net c X die Geodätis<strong>ch</strong>e mit ċ X (0) = X und maximalem Definitionsintervall<br />

J X . Na<strong>ch</strong> Teil (c) haben die Geodätis<strong>ch</strong>en c X und c aX dasselbe<br />

Bild, werden aber mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Ges<strong>ch</strong>windigkeit dur<strong>ch</strong>laufen.<br />

Beweis. (a) Sei etwa X ∈ T p M. Wir wählen eine Karte (ϕ, U) an p. Ist bezügli<strong>ch</strong><br />

dieser Karte<br />

X = ∑ ∣<br />

X j ∂ ∣∣∣ϕ(p)<br />

0<br />

∂x j ,<br />

dann sind die X j 0 die Komponenten des Bildes (T ϕ)X ∈ T ϕ(p)R n . Na<strong>ch</strong> dem<br />

Existenz– und Eindeutigkeitsatz für gewöhnli<strong>ch</strong>e Differentialglei<strong>ch</strong>ungen gibt es<br />

genau eine Lösung (x(t), X(t)) des Systems (17.1.3) mit dem Anfangswert<br />

(x(0), X(0)) = (ϕ(p), X 0 ) ∈ R n × R n .<br />

Für diese Lösung ist die Kurve c = ϕ ◦ x eine Geodätis<strong>ch</strong>e in M mit ċ(0) = X.<br />

(b) Zum Beweis der Eindeutigkeitsaussage (b) zeigen wir, dass die ni<strong>ch</strong>tleere Menge<br />

{t ∈ J 1 ∩ J 2 | ċ 1 (t) = ċ 2 (t)}<br />

zuglei<strong>ch</strong> offen und abges<strong>ch</strong>lossen im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt J 1 ∩ J 2 ist. Da dieser Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt<br />

zusammenhängend ist, muss sie dann mit J 1 ∩ J 2 übereinstimmen. Die<br />

Abges<strong>ch</strong>lossenheit folgt unmittelbar aus der Stetigkeit von ċ 1 und ċ 2 . Um die Offenheit<br />

zu beweisen, ist zu zeigen, dass aus ċ 1 (t 0 ) = ċ 2 (t 0 ) folgt, dass ċ 1 und ċ 2 au<strong>ch</strong><br />

auf einer Umgebung von t 0 übereinstimmen. Das ergibt si<strong>ch</strong>, indem man lokale<br />

Koordinaten um den Punkt c 1 (t 0 ) = c 2 (t 0 ) einführt, aus der Eindeutigkeitsaussage<br />

für Systeme (17.1.3). Die maximale Geodätis<strong>ch</strong>e c X erhält man s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> als<br />

Vereinigung aller Geodätis<strong>ch</strong>en c mit ċ(0) = X.<br />

(c) Mit c ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jede Kurve γ : t ↦→ c(at) eine Geodätis<strong>ch</strong>e, und es<br />

gilt ˙γ(0) = a ċ(0). Folgli<strong>ch</strong> ist γ = c aX . QED<br />

Wir werden nun die “Reduktion” der Differentialglei<strong>ch</strong>ung der Geodätis<strong>ch</strong>en auf ein<br />

System erster Ordnung wie folgt interpretieren: c ist eine Geodätis<strong>ch</strong>e genau dann,<br />

wenn die Kurve ċ : I → T M Integralkurve eines gewissen Vektorfeldes X auf T M<br />

168


ist. Mit dieser Deutung ergibt si<strong>ch</strong> der Existenz– und Eindeutigkeitssatz 17.2 au<strong>ch</strong><br />

als Folgerung von Satz 1 in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.5 über Integralkurven.<br />

17.3. Vorbetra<strong>ch</strong>tung über T T M. Jede Karte (ϕ, U) für M induziert na<strong>ch</strong><br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 4.6 eine Karte ¯ϕ : T M| U → ϕ(U) × R n mit<br />

(<br />

¯ϕ X i<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂x i = (x 1 , . . . , x n , X 1 , . . . , X n ),<br />

wobei x i = ϕ i (p) ist. Unter Verwendung der Projektion π : T M → M wird das zu<br />

¯ϕ(X) = (ϕ 1 ◦π(X), . . . , ϕ n ◦π(X), dx 1 (X), . . . , dx n (X)).<br />

Sind ∂/∂x i und ∂/∂X i die Basisfelder einer sol<strong>ch</strong>en Karte ( ¯ϕ, T M| U ), dann lassen<br />

si<strong>ch</strong> Elemente des zweiten Tangentialbündels T T M = T (T M) s<strong>ch</strong>reiben als Linearkombination<br />

n∑<br />

i=1<br />

a i<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣X<br />

+<br />

n∑<br />

i=1<br />

A i<br />

∂<br />

∂X i ∣ ∣∣∣X<br />

∈ T X (T M),<br />

und man erhält eine Karte ( ¯ϕ, T T M| U ) für T T M, die diesen Vektor abbildet auf<br />

(x 1 , . . . , x n , X 1 , . . . , X n , a 1 , . . . , a n , A 1 , . . . , A n ).<br />

Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass das Symbol ∂/∂x i nun zwei vers<strong>ch</strong>iedene Vektorfelder bezei<strong>ch</strong>net,<br />

eines auf U und eines auf T M| U . Ist c : I → M eine differenzierbare<br />

Kurve mit c(I) ⊆ U, dann ist ċ : I → T M eine differenzierbare Kurve in T M. Deren<br />

Tangentialvektorfeld ¨c : I → T T M bes<strong>ch</strong>reiben wir nun in lokalen Koordinaten.<br />

Lemma. Sei C ∈ C ∞ (I, T M) eine differenzierbare Kurve in T M mit C(I) ⊆ T M| U ,<br />

so dass<br />

n∑<br />

∣<br />

C(t) = Y i ∂ ∣∣∣c(t)<br />

(t)<br />

∂x i<br />

i=1<br />

mit Komponenten Y i ∈ C ∞ (I) und der na<strong>ch</strong> M projizierten Kurve c(t) = π(C(t)).<br />

Dann gilt<br />

n∑<br />

C(t) ˙ =<br />

i=1<br />

d(ϕ i ◦c)<br />

(t)<br />

dt<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣C(t)<br />

∂x i + dY i<br />

dt (t)<br />

∂<br />

∂X i ∣<br />

∣∣∣C(t)<br />

(17.3.1)<br />

Ist speziell C = ċ das Tangentialvektorfeld einer Kurve c : I → U ⊆ M, dann gilt<br />

mit c i := ϕ i ◦ c<br />

¨c(t) =<br />

n∑<br />

i=1<br />

dc i<br />

dt (t)<br />

∣<br />

∂<br />

∂x<br />

∣∣∣ċ(t) i + d2 c i<br />

dt 2 (t)<br />

∂<br />

∂X i ∣<br />

∣∣∣ċ(t)<br />

. (17.3.2)<br />

169


Beweis. Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 4.4 ist<br />

˙ C(t) =<br />

2n∑<br />

i=1<br />

d( ¯ϕ i ◦C)<br />

(t)<br />

dt<br />

∂<br />

∂z i ∣<br />

∣∣∣C(t)<br />

,<br />

wobei ∂/∂z i die Basisfelder der Karte ¯ϕ sind. Daraus folgt (17.3.1), und (17.3.2)<br />

ist ein Spezialfall mit<br />

C(t) = ċ(t) =<br />

n∑<br />

i=1<br />

dc i<br />

dt (t)<br />

∂<br />

∂x i ∣<br />

∣∣∣c(t)<br />

.<br />

17.4. Der geodätis<strong>ch</strong>e Fluss. Wir verwenden die Notation aus Abs<strong>ch</strong>nitt 17.3.<br />

Lemma. Sei (ϕ, U) eine Karte an p ∈ M, und sei<br />

X = X i<br />

Wir definieren X (X) ∈ T X M dur<strong>ch</strong><br />

X (X) = X k<br />

∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

∈ T p M.<br />

∂<br />

∂x k ∣ ∣∣∣X<br />

− Γ ij k (p) X i X j<br />

∂<br />

∂X k ∣ ∣∣∣X<br />

. (17.4.1)<br />

Dann ist X (X) unabhängig von der Wahl der Karte, und die so definierte Abbildung<br />

X : T M → T T M ist ein differenzierbares Vektorfeld auf T M.<br />

Beweis. Das Lemma in 17.3 zeigt, dass für die Geodätis<strong>ch</strong>e c X mit ċ X (0) = X gilt<br />

X (X) = ¨c X (0). Da ¨c X (0) ni<strong>ch</strong>t von der Wahl einer Karte abhängt, gilt dasselbe für<br />

X (X). Die Differenzierbarkeit des Vektorfeldes X ergibt si<strong>ch</strong> aus der Differenzierbarkeit<br />

seiner Komponenten bezügli<strong>ch</strong> der Basisfelder ∂/∂x i und ∂/∂X i der Karten<br />

( ¯ϕ, T M| U ),<br />

X = ¯ϕ n+k ∂<br />

∂x k − Γ ij k ◦π ¯ϕ n+i ¯ϕ n+j ∂<br />

∂X k . (17.4.2)<br />

Definitionen. Das Vektorfeld X heißt der geodätis<strong>ch</strong>e Spray des Zusammenhangs<br />

∇. Der Fluss φ von X heißt der geodätis<strong>ch</strong>e Fluss. Ein Zusammenhang ∇ heißt<br />

vollständig, wenn der geodätis<strong>ch</strong>e Spray X ein vollständiges Vektorfeld im Sinne<br />

von Abs<strong>ch</strong>nitt 7.5 ist, wenn also der geodätis<strong>ch</strong>e Fluss φ auf ganz R × T M definiert<br />

ist.<br />

Satz. Eine Kurve c in M ist eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇ genau dann, wenn ihr Tangentialvektorfeld<br />

ċ eine Integralkurve des geodätis<strong>ch</strong>e Sprays ist. Ist C : I → T M eine<br />

beliebige Integralkurve des geodätis<strong>ch</strong>e Sprays, dann ist c = π ◦ C eine Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

mit ċ = C.<br />

170


Beweis. Die Kurve ċ ist genau dann eine Integralkurve von X , wenn sie ¨c(t) =<br />

X (ċ(t)) erfüllt. Na<strong>ch</strong> (17.3.2) und der Definition von X ist das genau dann der Fall,<br />

wenn c eine Geodätis<strong>ch</strong>e ist. Sei nun C eine Integralkurve von X , und sei X = C(0).<br />

Die Geodätis<strong>ch</strong>e c X liefert na<strong>ch</strong> dem s<strong>ch</strong>on Bewiesenen eine weitere Integralkurve<br />

ċ X , und zwar ebenfalls mit ċ X (0) = X. Wegen der Eindeutigkeit von Integralkurven<br />

folgt ċ X = C, also c X = π ◦ C. QED<br />

Wegen des Satzes ist ∇ genau dann vollständig, wenn alle Geodätis<strong>ch</strong>en c X den<br />

maximalen Definitionsberei<strong>ch</strong> J X = R haben. Die Wirkung des Flusses φ auf Punkte<br />

X ∈ T M kann man si<strong>ch</strong> folgendermaßen verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en: Ist X ∈ T M gegeben,<br />

so nimmt man die Geodätis<strong>ch</strong>e c X mit ċ X (0) = X. Dann ist φ t (X) = ċ X (t). Und<br />

da ċ X ein paralleles Vektorfeld längs c X ist, gilt mit der Parallelvers<strong>ch</strong>iebung P cX<br />

t,0<br />

̷längs c X au<strong>ch</strong><br />

φ t (X) = ċ X (t) = P cX<br />

t,0 (X).<br />

17.5. Die Exponentialabbildung eines Zusammenhanges. Für X ∈ T M<br />

bezei<strong>ch</strong>net J X das maximale Definitionsintervall der Geodätis<strong>ch</strong>en c X wie in 17.2.<br />

Satz. (a) Sei ˜T M = {X ∈ T M | 1 ∈ J X }. Dann ist ˜T M eine offene Umgebung<br />

des Nulls<strong>ch</strong>nittes 0 M := {0 p ∈ T p M | p ∈ M}.<br />

(b) Die dur<strong>ch</strong><br />

exp(X) = c X (1)<br />

definierte Abbildung exp : ˜T M → M ist differenzierbar.<br />

Beweis. (a) Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> enthält ˜T M alle Nullvektoren 0 p . Na<strong>ch</strong> Satz 1 in Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

7.5 ist<br />

U :=<br />

⋃<br />

J X × {X}<br />

X∈T M<br />

eine offene Teilmenge von R×T M, da J X das maximale Definitionsintervall der Integralkurve<br />

ċ X des geodätis<strong>ch</strong>en Sprays ist. Die Menge ˜T M = {X ∈ T M | (1, X) ∈<br />

U} ist das Urbild der offenen Menge U unter der stetigen Abbildung X ↦→ (1, X)<br />

von T M na<strong>ch</strong> R × T M, also selbst offen.<br />

(b) Es gilt exp(X) = c X (1) = π(ċ X (1)) = π(φ(1, X)), wobei φ den geodätis<strong>ch</strong>en<br />

Fluss bezei<strong>ch</strong>net und π die Projektion T M → M. Na<strong>ch</strong> Satz 1 in Abs<strong>ch</strong>nitt 7.5 ist<br />

φ von der Klasse C ∞ . QED<br />

Die Abbildung exp heißt die Exponentialabbildung des Zusammenhanges ∇. Ihre<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung exp p := exp | TpM auf den Tangentialraum T p M nennt man die Exponentialabbildung<br />

im Punkt p ∈ M. Na<strong>ch</strong> 17.2(c) gilt<br />

exp(tX) = c tX (1) = c X (t).<br />

Die Kurve t ↦→ exp(tX) ist also die Geodätis<strong>ch</strong>e mit Anfangsges<strong>ch</strong>windigkeit X.<br />

Die Bezei<strong>ch</strong>nung als “Exponentialabbildung” entstammt einem Spezialfall (17.8.2),<br />

auf den wir am Ende dieses Kapitels eingehen werden.<br />

171


Beispiel. Sei M = S n ⊆ R n+1 die Standardsphäre, versehen mit dem Levi–Civita–<br />

Zusammenhang ∇ ihrer ersten Fundamentalform. Die Geodätis<strong>ch</strong>en von ∇ sind die<br />

proportional zur Bogenlänge parametrisierten Großkreise (siehe Abs<strong>ch</strong>nitt 15.6).<br />

Für p ∈ M ist die Abbildung exp p injektiv auf dem offenen Ball B(0, π) ⊆ T p M.<br />

Der gesamte Rand ∂B(0, π) dieses Balles wird auf den p gegenüberliegenden Punkt<br />

−p abgebildet, die Sphären ∂B(0, ρ) mit 0 < ρ < π auf “Breitenkreise” zwis<strong>ch</strong>en p<br />

und −p.<br />

17.6. Normalkoordinaten. Zwis<strong>ch</strong>en den Tangentialräumen T v V eines reellen<br />

Vektorraumes V und dem Raum V selbst bestehen kanonis<strong>ch</strong>e Vektorraumisomorphismen<br />

ι v : V → T v V , die dur<strong>ch</strong><br />

ι v (w) = d dt ∣ (v + tw) (17.6.1)<br />

0<br />

gegeben sind. Dabei steht auf der re<strong>ch</strong>ten Seite der Tangentialvektor an die Kurve<br />

t ↦→ v + tw im Punkt t = 0.<br />

Lemma. Die Ableitung T 0 exp p : T 0 T p M → T p M der Exponentialabbildung exp p ist<br />

der kanonis<strong>ch</strong>e Isomorphismus ι −1<br />

0 : T 0 T p M ∼ = T p M. Insbesondere bildet exp p eine<br />

offene Umgebung U ⊆ T p M des Nullpunktes diffeomorph auf eine offene Umgebung<br />

V = exp p (U) ⊆ M von p ab.<br />

Beweis. Für X ∈ T p M gilt<br />

(T 0 exp p )ι 0 X = (T 0 exp p ) d dt∣ (tX) = d 0<br />

dt∣ exp p (tX) = X,<br />

0<br />

also in der Tat (T 0 exp p ) = ι −1<br />

0 . Die zweite Behauptung folgt aus dem Satz über<br />

inverse Funktionen 4.2(c). QED<br />

Mit Hilfe des Isomorphismus ι v identifiziert man oft die Vektorräume V und T v V ,<br />

wenn keine Missverständnisse zu befür<strong>ch</strong>ten sind. Die erste Aussage des Lemmas<br />

lautet dann einfa<strong>ch</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t ganz korrekt,<br />

T 0 exp p = id TpM .<br />

Sind 0 ∈ U ⊆ T p M und V = exp p (U) ⊆ M wie im Lemma, und ist A : T p M → R n<br />

ein Vektorraumisomorphismus, dann ist<br />

ϕ = A ◦ (exp | U ) −1 : V → R n<br />

eine Karte. Jede sol<strong>ch</strong>e Karte heißt ein Normalkoordinatensystem mit Zentrum p.<br />

Normalkoordinaten bilden also die Geodätis<strong>ch</strong>en c(t) = exp p tX dur<strong>ch</strong> p in Geraden<br />

ϕ(c(t)) = t AX dur<strong>ch</strong> den Ursprung im R n ab.<br />

172


Bemerkung. Für Normalkoordinaten mit Zentrum p gilt Γ ij k (p) = −Γ ji k (p). Ist<br />

insbesondere der Zusammenhang ∇ torsionsfrei, dann gilt Γ ij k (p) = 0.<br />

Beweis. Die Geodätenglei<strong>ch</strong>ung<br />

d 2 (ϕ k ◦c)<br />

dt 2<br />

+ Γ k ij ◦c d(ϕi ◦c) d(ϕ j ◦c)<br />

= 0<br />

dt dt<br />

liefert in Normalkoordinaten (ϕ, V ) für c(t) = exp p (tX)<br />

Γ ij k (p) (AX) i (AX) j = 0.<br />

Also gilt Γ ij k (p) Y i Y j = 0 für alle Y ∈ R n , und daraus folgt, indem man Y dur<strong>ch</strong><br />

Y + Z ersetzt, Γ ij k (p) + Γ ji k (p) = 0. Ist ∇ torsionsfrei, dann gilt na<strong>ch</strong> (14.8.4)<br />

zusätzli<strong>ch</strong><br />

Γ ij k (p) − Γ ji k (p) = T ij k (p) = 0,<br />

also insgesamt Γ ij k (p) = 0. QED<br />

17.7. π × exp und der Injektivitätsradius. Sei exp die Exponentialabbildung<br />

eines Zusammenhanges ∇ auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M. Das folgende<br />

Lemma besagt, dass die Abbildung π × exp auf dem Nulls<strong>ch</strong>nitt von T M<br />

maximalen Rang hat.<br />

Lemma. Für jeden Punkt p ∈ M ist die Ableitung<br />

der Abbildung<br />

im Nullpunkt 0 p von T p M bijektiv.<br />

T 0p (π × exp) : T 0p T M → T p M × T p M<br />

π × exp : ˜T M → M × M<br />

X ↦→ (π(X), exp(X))<br />

Beweis. Wir wählen eine Karte (ϕ, U) mit ϕ(p) = 0 und betra<strong>ch</strong>ten die dadur<strong>ch</strong><br />

induzierte Karte ( ¯ϕ, T M| U ) an 0 p ∈ T M. Seien ∂/∂x i und ∂/∂X i die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Basisvektorfelder wie in 17.3. Bezei<strong>ch</strong>net e i den i–ten Standardbasisvektor des<br />

R 2n , dann ist für i = 1, . . . , n<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣0p<br />

T (π × exp)<br />

∂x i = T (π × exp) d dt∣ ¯ϕ −1 (te i )<br />

0<br />

= d dt∣ (π × exp) ( ¯ϕ −1 (te i ) )<br />

0<br />

= d dt∣ (π × exp) ( )<br />

0 ϕ −1 (te i)<br />

0<br />

= d ( dt∣ ϕ −1 (te i ), ϕ −1 (te i ) )<br />

0<br />

=<br />

( ∂<br />

∂x i ∣ ∣∣∣p<br />

,<br />

173<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

∂x i .


Außerdem ist<br />

T (π × exp)<br />

∣<br />

∂ ∣∣∣0p<br />

∂X i = d dt∣ (π × exp) ( ¯ϕ −1 (t e n+i ) )<br />

0<br />

= d ( ∣ ∂ ∣∣∣p )<br />

dt∣ (π × exp) t<br />

0<br />

∂x i<br />

= d (<br />

dt∣ p, exp p t ∂ ∣ ∣∣∣p )<br />

0<br />

∂x i<br />

( ∣<br />

∂ ∣∣∣p )<br />

= 0,<br />

∂x i .<br />

Bezügli<strong>ch</strong> der Basis ∂/∂x i | 0p , ∂/∂X i | 0p von T 0p T M und der Basis (∂/∂x i | p , 0),<br />

(0, ∂/∂X i | p ) von T p M × T p M ∼ = T (p,p) (M × M) entspri<strong>ch</strong>t T 0p (π × exp) also die<br />

invertierbare 2n × 2n–Matrix ( )<br />

I 0<br />

.<br />

I I<br />

Satz 1. Zu jedem Punkt p ∈ M existieren eine offene Umgebung U ⊆ M von p<br />

und eine offene Umgebung W ⊆ T M von 0 p ∈ T p M mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften.<br />

(a) Zu je zwei Punkten q, r ∈ U gibt es genau eine Geodätis<strong>ch</strong>e c qr : [0, 1] → M mit<br />

c qr (0) = q und c qr (1) = r und ċ qr (0) ∈ W .<br />

(b) Die dur<strong>ch</strong> (q, r) ↦→ ċ qr (0) gegebene Abbildung U × U → T M ist differenzierbar.<br />

(c) Für alle q ∈ U ist exp q | W ∩TqM eine Einbettung.<br />

Aussage (a) lässt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> wie folgt formulieren: Zu je zwei Punkten q, r ∈ U existiert<br />

ein eindeutig bestimmter Tangentialvektor X q ∈ T q M ∩ W mit exp(X q ) = r.<br />

Beweis. Wir wählen W und U so, dass π × exp die Umgebung W diffeomorph<br />

auf U × U abbildet. Sol<strong>ch</strong>e Umgebungen existieren aufgrund des letzten Lemmas,<br />

und Teil (a) und (b) folgen unmittelbar. Zum Beweis von (c) bemerkt man, dass<br />

(π × exp)| W eine Einbettung ist. Da allgemein Eins<strong>ch</strong>ränkungen von Einbettungen<br />

auf Untermannigfaltigkeiten wieder Einbettungen sind, ist au<strong>ch</strong><br />

(π × exp)| W ∩TqM = const q × (exp | W ∩TqM)<br />

eine Einbettung. Dabei bezei<strong>ch</strong>net const q die konstante Abbildung W ∩T q M → {q}.<br />

QED<br />

Wir geben no<strong>ch</strong> eine Variante des Satzes für Mannigfaltigkeiten mit Riemanns<strong>ch</strong>er<br />

Metrik. Dabei bezei<strong>ch</strong>net B(p, ε) den Ball<br />

B(p, ε) = {q ∈ M | d(p, q) < ε}<br />

174


wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 10.5, und es ist B(0 q , ϱ) = {X ∈ T q M | ‖X‖ < ϱ}.<br />

Satz 2. Seien ∇ ein Zusammenhang auf M und g eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik. Zu<br />

jedem Punkt p ∈ M existieren Zahlen ε > 0 und ϱ > 0 mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften.<br />

(a) Zu je zwei Punkten q, r ∈ B(p, ε) gibt es einen eindeutig bestimmten Tangentialvektor<br />

X ∈ T q M mit ‖X‖ < ϱ und mit exp X = r.<br />

(b) Die dur<strong>ch</strong> (q, r) ↦→ X gegebene Abbildung B(p, ε) × B(p, ε) → T M ist differenzierbar.<br />

(c) Für jeden Punkt q ∈ B(p, ε) ist die Eins<strong>ch</strong>ränkung exp q | B(0q,ϱ) der Exponentialabbildung<br />

eine Einbettung.<br />

Beweis. Man wählt zunä<strong>ch</strong>st ϱ und ε ′ > 0 so klein, dass die Menge<br />

W ′ = {X ∈ T M | π(X) ∈ B(p, ε ′ ) und ‖X‖ < ϱ}<br />

dur<strong>ch</strong> π × exp diffeomorph auf ihr Bild U ′ ⊆ M abgebildet wird. Dann wählt man<br />

0 < ε < ε ′ so klein, dass B(p, ε) × B(p, ε) ⊆ U ′ ist. Mit diesem ϱ und ε gelten<br />

offenbar (a) und (b), und (c) folgt wie bei Satz 1. QED<br />

Definition. Sei ∇ ein Zusammenhang auf der Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g), und sei exp die Exponentialabbildung von ∇. Dann heißt für p ∈ M die<br />

Zahl<br />

∣<br />

inj(p) := sup{ ρ | exp ∣B(0p,ρ) p ist definiert und eine Einbettung }<br />

der Injektivitätsradius von exp im Punkt p. Ist speziell ∇ der Levi–Civita–Zusammenhang<br />

von (M, g), dann heißt inj(q) der Injektivitätsradius der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g) im Punkt p.<br />

Der Injektivitätsradius inj(p) ist also das Supremum aller Zahlen ρ, für wel<strong>ch</strong>e die<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung exp p | B(0p,ρ) Normalkoordinaten mit Zentrum p liefert. Wegen Satz<br />

2(c) hat die Funktion inj : M → R auf jeder kompakten Teilmenge von M eine<br />

positive untere S<strong>ch</strong>ranke.<br />

17.8. Kanonis<strong>ch</strong>er Zusammenhang und Exponentialabbildung einer Liegruppe.<br />

Eine Liegruppe ist eine differenzierbare Mannigfaltigkeit G, die dergestalt<br />

mit einer Gruppenstruktur versehen ist, dass die Gruppenoperation µ : G × G → G<br />

und die Inversion ι : G → G differenzierbare Abbildungen sind (siehe Aufgabe 3<br />

zu Kapitel 2). Es ist allgemein bei Gruppen übli<strong>ch</strong>, die Gruppenoperation µ ni<strong>ch</strong>t<br />

explizit hervorzuheben. Man s<strong>ch</strong>reibt also oft a · b oder au<strong>ch</strong> nur ab anstelle von<br />

µ(a, b), wenn hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Gruppenstruktur µ keine Zweifel bestehen.<br />

Für a ∈ G bezei<strong>ch</strong>ne L a : G → G die Linksmultiplikation L a (b) = ab. Dann ist L a<br />

ein Diffeomorphismus mit inverser Abbildung (L a ) −1 = L a −1. Ein Vektorfeld X<br />

auf G heißt linksinvariant, wenn für alle a, b ∈ G gilt<br />

(T L a )X(b) = X(ab),<br />

175


wenn also in der Notation aus Abs<strong>ch</strong>nitt 7.7 gilt<br />

L a∗ X = T L a ◦ X ◦ L −1<br />

a = X.<br />

Da die Gruppenoperation µ differenzierbar ist, ist jedes linksinvariante Vektorfeld<br />

differenzierbar. Ist e ∈ G das neutrale Element und ist X e ∈ T e G, dann existiert<br />

genau ein linksinvariantes Vektorfeld X auf G mit X(e) = X e , definiert dur<strong>ch</strong><br />

X(a) = (T L a )X e<br />

für a ∈ G. Wählt man eine Basis X 1 (e), . . . , X n (e) von T e G, dann liefert die<br />

Definition X j (a) = (T L a )X j (e) ein linksinvariantes Repèrefeld X 1 , . . . , X n auf G.<br />

Lemma 1. Es existiert genau ein Zusammenhang ∇ 0 auf G mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass jedes linksinvariante Vektorfeld X parallel ist, also ∇ 0 X = 0 gilt.<br />

Beweis. Sei X 1 , . . . , X n ein linksinvariantes Repèrefeld auf G und seien Y, Z ∈ V(G).<br />

Dann ist Z = Z i X i mit Komponentenfunktionen Z i ∈ C ∞ (G). Wenn ∇ 0 existiert,<br />

dann ist notwendig ∇ 0 Y Z = Y (Zi )X i + Z i ∇ 0 Y X i = Y (Z i )X i , also<br />

∇ 0 Y Z =<br />

n∑<br />

Y (Z i ) X i . (17.8.1)<br />

i=1<br />

Damit ist die Eindeutigkeit von ∇ 0 gezeigt. Umgekehrt sieht man lei<strong>ch</strong>t, dass<br />

na<strong>ch</strong> Wahl eines linksinvarianten Repèrefeldes dur<strong>ch</strong> (17.8.1) ein Zusammenhang<br />

definiert wird, für den alle linksinvarianten Vektorfelder parallel sind. Wegen der<br />

Eindeutigkeit ist dieser Zusammenhang unabhängig von der Wahl des linksinvarianten<br />

Repèrefeldes. QED<br />

Lemma 2. Eine differenzierbare Kurve c : I → G ist genau dann eine Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

von ∇ 0 , wenn c Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes X ∈ V(G) ist.<br />

Beweis. Ist c eine Integralkurve von X, also ċ = X ◦ c, dann gilt na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

15.1<br />

∇ 0 ċ<br />

dt<br />

= ∇0 (X ◦ c)<br />

dt<br />

= ∇ 0 ċ X = 0.<br />

Also ist c eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇ 0 . Nun sei umgekehrt c eine Geodätis<strong>ch</strong>e, t 0 ∈ I<br />

und a = c(t 0 ). Sei X das linksinvariante Vektorfeld mit X(a) = ċ(t 0 ), und sei<br />

γ : J → G die maximale Integralkurve von X mit γ(t 0 ) = a. Na<strong>ch</strong> dem bereits<br />

Bewiesenen ist γ eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇ 0 , und es gilt<br />

˙γ(t 0 ) = X(γ(t 0 )) = X(a) = ċ(t 0 ).<br />

Die Eindeutigkeitsaussage für Geodätis<strong>ch</strong>e aus Satz 17.2(b) zeigt nun, dass c = γ| I<br />

gilt. Also ist c Integralkurve des linksinvarianten Vektorfeldes X. QED<br />

176


Lemma 3. Jedes linksinvariante Vektorfeld X ∈ V(G) ist vollständig.<br />

Beweis. Ist γ eine Integralkurve von X, dann au<strong>ch</strong> jede Kurve aγ = L a ◦ γ für<br />

a ∈ G, denn<br />

(aγ)˙(t) = (T L a ) ˙γ(t) = (T L a )X(γ(t)) = X(aγ(t)).<br />

Ist daher ein Intervall (−ε, ε) im Definitionsberei<strong>ch</strong> der Integralkurve γ mit γ(0) = e<br />

enthalten, dann ist dieses Intervall im Definitionsberei<strong>ch</strong> jeder Integralkurve von X<br />

enthalten. Der Definitionsberei<strong>ch</strong> des Flusses φ von X enthält also die Menge<br />

(−ε, ε) × G. Na<strong>ch</strong> Aufgabe 4(a) in Kapitel 7 ist X vollständig. QED<br />

Als Folgerung aus Lemma 2 und 3 ergibt si<strong>ch</strong>, dass der Zusammenhang ∇ 0 im Sinne<br />

von Abs<strong>ch</strong>nitt 7.4 vollständig ist. Seine Exponentialabbildung exp : T G → G ist<br />

also auf ganz T G definiert.<br />

Definitionen. Die Exponentialabbildung der Liegruppe G, exp : T e G → G, ist die<br />

Eins<strong>ch</strong>ränkung der Exponentialabbildung von ∇ 0 auf den Tangentialraum T e G im<br />

neutralen Element. Eine Einparameteruntergruppe von G ist ein differenzierbarer<br />

Gruppenhomomorphismus (R, +) → G, also eine differenzierbare Kurve c : R → G<br />

mit den Eigens<strong>ch</strong>aften c(s + t) = c(s)c(t) und c(−t) = c(t) −1 .<br />

Satz. Sei c : R → G eine differenzierbare Kurve mit c(0) = e. Dann sind folgende<br />

Aussagen äquivalent.<br />

(a) c ist eine Einparameteruntergruppe von G.<br />

(b) c ist Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes X.<br />

(c) Es gilt c(t) = exp(tv) für einen Vektor v ∈ T e G.<br />

Beweis. Die Äquivalenz von (b) und (c) ergibt si<strong>ch</strong> aus Lemma 2, weil die Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

des Zusammenhangs ∇ 0 mit c(0) = e genau die Kurven der Gestalt c(t) =<br />

exp(tv) sind. Sei nun c ein Gruppenhomomorphismus wie in (a). Bezei<strong>ch</strong>net X das<br />

linksinvariante Vektorfeld mit X(e) = ċ(0), dann gilt<br />

ċ(s) = d dt∣ c(s + t) = d 0<br />

dt∣ c(s)c(t)<br />

0<br />

= (T L c(s) )ċ(0) = (T L c(s) )X(e)<br />

= X(c(s)).<br />

Also ist c Integralkurve eines linksinvarianten Vektorfeldes. Ist umgekehrt c Integralkurve<br />

eines linksinvarianten Vektorfeldes X, dann sind sowohl t ↦→ c(s + t) als<br />

au<strong>ch</strong> t ↦→ c(s)c(t) Integralkurven von X, die für t = 0 übereinstimmen. Also gilt<br />

c(s + t) = c(s)c(t), und c ist ein Gruppenhomomorphismus. QED<br />

Beispiel. Sei G = GL(n, R) die Gruppe der invertierbaren n × n–Matrizen, und<br />

sei e = I die Einheitsmatrix. Dann ist G eine offene Teilmenge des Vektorraumes<br />

177


Mat(n, R) der reellen n × n–Matrizen. Man kann daher den Tangentialraum T e G<br />

kanonis<strong>ch</strong> mit Mat(n, R) identifizieren. Die Exponentialabbildung der Liegruppe G<br />

wird damit zu einer Abbildung exp : Mat(n, R) → GL(n, R). Für X ∈ Mat(n, R)<br />

ist die Exponentialreihe<br />

e X =<br />

∞∑<br />

k=0<br />

1<br />

k! Xk = I + X + 1 2 X2 + . . .<br />

für jede Wahl einer Norm auf Mat(n, R) absolut konvergent, und man sieht lei<strong>ch</strong>t,<br />

dass c(t) = e tX ein differenzierbarer Homomorphismus (R, +) → G ist mit ċ(0) =<br />

X. Der Satz zeigt nun, dass e tX = exp(tX) ist. Insbesondere gilt<br />

exp(X) = e X . (17.8.2)<br />

Kommentar: Liegruppen und Liealgebren. Sind X und Y linksinvariante<br />

Vektorfelder auf einer Liegruppe G, dann ist au<strong>ch</strong> [X, Y ] linksinvariant, da na<strong>ch</strong><br />

Aufgabe 5 zu Kapitel 2 gilt<br />

L a∗ [X, Y ] = [L a∗ X, L a∗ Y ] = [X, Y ].<br />

Die Menge G aller linksinvarianten Vektorfelder auf G bildet deshalb bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Lieklammer eine Liealgebra, und zwar eine Unteralgebra der Liealgebra aller C ∞ –<br />

Vektorfelder auf G (siehe 7.3). Man nennt G die Liealgebra der Liegruppe G. Da<br />

die Auswertungsabbildung X → X(e) ein Vektorraumisomorphismus von G auf<br />

T e G ist, bezei<strong>ch</strong>net man oft au<strong>ch</strong> T e G mit der von G dur<strong>ch</strong> diesen Isomorphismus<br />

induzierten Lieklammer als die Liealgebra von G. Man erhält, indem man G mit<br />

T e G identifiziert, eine Exponentialabbildung<br />

exp : G → G,<br />

mit deren Hilfe si<strong>ch</strong> Eigens<strong>ch</strong>aften der Gruppe G in Eigens<strong>ch</strong>aften der Liealgebra<br />

G übersetzen lassen. Insbesondere lässt si<strong>ch</strong> die Gruppenoperation in dur<strong>ch</strong> exp<br />

definierten Normalkoordinaten bes<strong>ch</strong>reiben dur<strong>ch</strong> die Liealgebrastruktur auf G ∼ =<br />

T e G mittels der Campbell–Hausdorff–Formel<br />

(<br />

exp(X) exp(Y ) = exp X + Y + 1 2 [X, Y ]<br />

+ 1<br />

12 [X, [X, Y ]] + 1 [Y, [Y, X]]<br />

12<br />

− 1<br />

1<br />

)<br />

[X, [Y, [X, Y ]]] −<br />

48 48 [Y, [X, [X, Y ]]] + . . .<br />

(17.8.3).<br />

Dabei stehen auf der re<strong>ch</strong>ten Seite der Glei<strong>ch</strong>ung die ersten Glieder einer unendli<strong>ch</strong>en<br />

Reihe, die für alle X und Y aus einer Umgebung von 0 ∈ T e G absolut konvergiert.<br />

Au<strong>ch</strong> die weggelassenen Reihenglieder sind mehrfa<strong>ch</strong>e Lieklammern von X<br />

und Y , und zwar von mindestens vierter Ordnung in X und Y . Die Korrespondenz<br />

178


zwis<strong>ch</strong>en Liegruppen und Liealgebren liefert eines der wi<strong>ch</strong>tigsten Hilfsmittel zur<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung von Liegruppen.<br />

Aufgaben<br />

1. Geodätis<strong>ch</strong>e. Zeigen Sie, dass die Bilder der Geodätis<strong>ch</strong>en in der hyperbolis<strong>ch</strong>en<br />

Ebene (M, g) aus Aufgabe 6 in Kapitel 10 genau die Halbkreise und Halbgeraden<br />

sind, die auf der x–A<strong>ch</strong>se senkre<strong>ch</strong>t stehen. Zeigen Sie au<strong>ch</strong>, dass (M, g)<br />

vollständig ist.<br />

2. Liegruppen. Sei G eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer differenzierbaren<br />

Gruppenstruktur. Die Gruppenoperation µ : G × G → G sei differenzierbar.<br />

Zeigen Sie, dass dann au<strong>ch</strong> die Inversion ι : G → G differenzierbar, also G eine<br />

Liegruppe ist. Hinweis: Wenden Sie den Satz über implizite Funktionen auf die<br />

Glei<strong>ch</strong>ung µ(a, b) = e an.<br />

*3. Homomorphismen. Man kann zeigen, dass jeder stetige Homomorphismus<br />

zwis<strong>ch</strong>en Liegruppen sogar differenzierbar (von der Klasse C ∞ ) ist. Wir betra<strong>ch</strong>ten<br />

die reelle A<strong>ch</strong>se R als Liegruppe bezügli<strong>ch</strong> der Addition. Zeigen Sie, dass es<br />

unstetige Gruppenisomorphismen von R auf si<strong>ch</strong> selbst gibt.<br />

4. Matrixgruppe. Sei G = GL(n, R) mit Liealgebra G ∼ = T e G ∼ = Mat(n, R).<br />

(a) Sei A ∈ Mat(n, R). Bere<strong>ch</strong>nen Sie dasjenige linksinvariante Vektorfeld X auf<br />

G, für wel<strong>ch</strong>es X(e) = A ist. Bea<strong>ch</strong>ten Sie dazu, dass G eine offene Teilmenge von<br />

Mat(n, R) = R n×n ist, so dass mit den Standardbasisfeldern ∂/∂x jk von Mat(n, R)<br />

gilt<br />

n∑<br />

X = X jk ∂<br />

∂x jk .<br />

j,k=1<br />

Zu bestimmen sind die Funktionen X jk .<br />

(b) Zeigen Sie, dass die Liealgebrastruktur unter der Identifikation G ∼ = Mat(n, R)<br />

für X, Y ∈ Mat(n, R) gegeben ist dur<strong>ch</strong> den Matrixkommutator<br />

[X, Y ] = XY − Y X.<br />

5. Repèrefelder. Sei X 1 , . . . , X n ein Repèrefeld auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

M.<br />

(a) Zeigen Sie, dass dur<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung (17.8.1) ein fla<strong>ch</strong>er Zusammenhang ∇ 0 auf M<br />

definiert wird, für dessen Torsionstensor T gilt T (X i , X j ) = −[X i , X j ].<br />

(b) Zeigen Sie, dass die Geodätis<strong>ch</strong>en von ∇ 0 genau die Integralkurven der parallelen<br />

Vektorfelder sind.<br />

(c) Zeigen Sie: Ein Diffeomorphismus φ von M auf si<strong>ch</strong> selbst ist genau dann affin<br />

bezügli<strong>ch</strong> ∇ 0 , wenn gilt φ ∗ X i = a k i X k mit einer konstanten Matrix (a k i ).<br />

179


18. Erste Variation der Bogenlänge<br />

Die Geodätis<strong>ch</strong>en einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit M, also die Geodätsi<strong>ch</strong>en<br />

des Levi–Civita–Zusammenhanges der Metrik, sind ni<strong>ch</strong>t nur Kurven vers<strong>ch</strong>windender<br />

kovarianter Bes<strong>ch</strong>leunigung, also in diesem Sinne “geradeste Linien”. Sie lassen<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>arakterisieren, dass sie unter gewissen Eins<strong>ch</strong>ränkungen die<br />

kürzesten Kurven sind, die ihre Endpunkte verbinden. Dass dabei Eins<strong>ch</strong>ränkungen<br />

erforderli<strong>ch</strong> sind, zeigt s<strong>ch</strong>on das Beispiel der Großkreise auf der Standardsphäre im<br />

R 3 : Abs<strong>ch</strong>nitte eines Großkreises, die länger als ein Halbäquator sind, liefern offenbar<br />

ni<strong>ch</strong>t die kürzeste Verbindung ihrer Endpunkte. In die genaue Formulierung<br />

(Satz 2 in 18.4) geht der Injektivitätsradius inj(p) ein, den wir bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

17.7 eingeführt haben. Dabei wird—über das sogenannte Gauß–Lemma—die erste<br />

Variationsformel verwendet, die, grob gespro<strong>ch</strong>en, bes<strong>ch</strong>reibt, wie si<strong>ch</strong> die Länge<br />

einer Kurve bei kleinen Deformationen in erster Ordnung ändert.<br />

In diesem Kapitel ist (M, g) eine n–dimensionale Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit.<br />

Wir betra<strong>ch</strong>ten Geodätis<strong>ch</strong>e und die Exponentialabbildung exp ihres Levi–Civita–<br />

Zusammenhanges ∇. Mit d bezei<strong>ch</strong>nen wir die dur<strong>ch</strong> die Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik induzierte<br />

Abstandsfunktion (10.4.2). Eine differenzierbare Kurve c : [a, b] → M heißt<br />

proportional zur Bogenlänge parametrisiert, wenn ‖ċ‖ konstant ist. Da der Zusammenhang<br />

∇ mit der Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g verträgli<strong>ch</strong> ist, ist das insbesondere für<br />

die Geodätis<strong>ch</strong>en c(t) = exp(tX) der Fall, und für deren Länge gilt<br />

L(c) =<br />

∫ b<br />

a<br />

‖ċ(t)‖ dt =<br />

∫ b<br />

a<br />

∥ P<br />

c<br />

t,0 ċ(0) ∥ dt = ‖X‖ (b − a).<br />

18.1. Erste Variationsformel. Sei c : [a, b] → M eine differenzierbare Kurve.<br />

Eine Variation von c ist eine differenzierbare Abbildung<br />

H : (−ε, ε) × [a, b] → M<br />

mit H(0, t) = c(t) für alle t ∈ [a, b]. Wie in Abs<strong>ch</strong>nitt 16.3 bezei<strong>ch</strong>nen wir mit<br />

∂H/∂s(s, t) ∈ T H(s,t) M den Tangentialvektor der Kurve s ↦→ H(s, t), und definieren<br />

∂H/∂t entspre<strong>ch</strong>end. Dann sind ∂H/∂s und ∂H/∂t Vektorfelder längs der Abbildung<br />

H. Das Vektorfeld V (t) = ∂H/∂s(0, t) längs c nennt man das Variationsvektorfeld<br />

von H.<br />

Lemma. Es gilt<br />

∇ ∂H<br />

∂s ∂t = ∇ ∂H<br />

∂t ∂s . (18.1.1)<br />

Version 30. Mai 2000<br />

180


Beweis. In lokalen Koordinaten (ϕ, U) ist mit H k := ϕ k ◦ H<br />

also na<strong>ch</strong> (15.1.1)<br />

∂H<br />

∂t = ∂Hk ∂<br />

∂t ∂x k ◦H,<br />

∇ ∂H<br />

( ∂ 2<br />

∂s ∂t = H k<br />

∂s∂t + ∂Hi ∂H j ) ∂<br />

∂s ∂t Γ ij k ◦H<br />

∂x k ◦Hk .<br />

Die Behauptung folgt aus der Torsionsfreiheit Γ ij k = Γ ji k . QED<br />

Satz (Erste Variationsformel). Sei H eine Variation der proportional zur Bogenlänge<br />

parametrisierten differenzierbaren Kurve c, und sei L(c s ) die Länge der Kurve<br />

c s (t) = H(s, t). Dann gilt<br />

d<br />

ds ∣ L(c s ) = 1 (<br />

∫ g(V, ċ) ∣ b b<br />

0<br />

‖ċ‖<br />

− a<br />

a<br />

(<br />

g<br />

V, ∇ċ<br />

dt<br />

) )<br />

dt . (18.1.2)<br />

Dabei ist<br />

g(V, ċ) ∣ ∣ b a = g( V (b), ċ(b) ) − g ( V (a), ċ(a) ) .<br />

Beweis. Mit Glei<strong>ch</strong>ung (15.5.1) ergibt si<strong>ch</strong><br />

d<br />

ds L(c s) = d ds<br />

=<br />

und wegen des Lemmas gilt<br />

Speziell für s = 0 ist<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

( ∂H<br />

g<br />

( ∂H<br />

g<br />

∂t , ∂H ) 1/2dt<br />

∂t<br />

∂t , ∂H<br />

∂t<br />

( ∇ ∂H<br />

g<br />

∂s ∂t , ∂H ) ( ∇ ∂H<br />

= g<br />

∂t ∂t ∂s , ∂H )<br />

∂t<br />

= ∂ ( ∂H<br />

∂t g ∂s , ∂H<br />

∂t<br />

) −1/2g ( ∇ ∂H<br />

∂s ∂t , ∂H )<br />

dt,<br />

∂t<br />

) ( ∂H<br />

− g<br />

∂s , ∇ ∂t<br />

∂H<br />

)<br />

.<br />

∂t<br />

∂H<br />

∂H<br />

(0, t) = ċ(t),<br />

∂t<br />

und die Behauptung folgt. QED<br />

(0, t) = V (t),<br />

∂s<br />

18.2. Stückweise differenzierbare Kurven. Wir betra<strong>ch</strong>ten nun allgemeiner<br />

stückweise differenzierbare Kurven c : [a, b] → M und ihre Variationen. Die Kurve<br />

181


c sei also stetig, und es gebe eine Unterteilung a = t 0 < t 1 < · · · < t m = b des<br />

Intervalls [a, b] in endli<strong>ch</strong> viele Teilintervalle dergestalt, dass die Eins<strong>ch</strong>ränkungen<br />

c| [ti,t i+1] differenzierbar sind. Sei H : [−ε, ε) × [a, b] → M eine stückweise differenzierbare<br />

Variation von c in folgendem Sinne: H ist eine stetige Abbildung<br />

mit H(0, t) = c(t), und alle Eins<strong>ch</strong>ränkungen H| (−ε,ε)×[ti,t i+1] sind differenzierbar.<br />

Dann ist das Variationsvektorfeld V (t) = ∂H/∂s(0, t) ein stückweise differenzierbares<br />

Vektorfeld längs c, und es existieren die links– und re<strong>ch</strong>tsseitigen Ableitungen<br />

ċ(t − i ) = lim<br />

t↑t i<br />

ċ(t)<br />

ċ(t + i ) = lim<br />

t↓t i<br />

ċ(t).<br />

Für die Kurven c s (t) = H(s, t) erhält man<br />

L(c s ) =<br />

m−1<br />

∑<br />

i=0<br />

( ∣ )<br />

L c ∣[ti,t s i+1]<br />

.<br />

Summiert man die ersten Variationsformeln für die Teilkurven c ∣ [ti,t i+1]<br />

ergibt si<strong>ch</strong>:<br />

auf, dann<br />

Satz (Erste Variationsformel). Sei c : [a, b] → M stückweise differenzierbar mit<br />

‖ċ‖ = const > 0, und sei H(s, t) = c s (t) eine stückweise differenzierbare Variation<br />

von c. Dann gilt<br />

d<br />

ds ∣ L(c s ) = 1 (<br />

g ( V (b), ċ(b) ) − g ( V (a), ċ(a) )<br />

s=0<br />

‖ċ‖<br />

∑<br />

g ( V (t i ), ċ(t − i ) − ċ(t+ i )) −<br />

m−1<br />

+<br />

i=1<br />

∫ b<br />

a<br />

(<br />

g<br />

V, ∇ċ<br />

dt<br />

) )<br />

dt .<br />

(18.2.1)<br />

Die gegenüber (18.1.2) hinzugekommenen Terme g ( V (t i ), ċ(t − i ) − ċ(t+ i )) haben eine<br />

einfa<strong>ch</strong>e ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e Deutung: Variation in Ri<strong>ch</strong>tung des “Knicks” ċ(t − i ) − ċ(t+ i )<br />

vergrößert die Bogenlänge.<br />

Lemma. Sei c : [a, b] → M (stückweise) differenzierbar, und sei V ein (stückweise)<br />

differenzierbares Vektorfeld längs c. Dann existiert eine (stückweise) differenzierbare<br />

Variation H : (−ε, ε) × [a, b] → M der Kurve c mit Variationsvektorfeld<br />

∂H/∂s(0, t) = V (t).<br />

Beweis. Wir definieren H(s, t) = exp c(t) sV (t). Für hinrei<strong>ch</strong>end klein gewähltes ε ><br />

0 ist (−ε, ε)×[a, b] im Definitionsberei<strong>ch</strong> von H enthalten, da der Definitionsberei<strong>ch</strong><br />

von exp eine offene Teilmenge von T M ist, wel<strong>ch</strong>e die Menge {0} × [a, b] enthält.<br />

QED<br />

182


Korollar 1. Sei c : [a, b] → M eine stückweise differenzierbare, proportional zur<br />

Bogenlänge parametrisierte Kurve. Gilt L(c) = d ( c(a), c(b) ) , dann ist c eine Geodätis<strong>ch</strong>e,<br />

also insbesondere differenzierbar.<br />

Beweis. Wir betra<strong>ch</strong>ten zunä<strong>ch</strong>st das Variationsvektorfeld<br />

V (t) = ϕ(t) ∇ċ<br />

dt (t)<br />

mit einer differenzierbaren Funktion ϕ, die an allen Punkten t i (i = 0, . . . , m)<br />

vers<strong>ch</strong>windet und sonst positiv ist. Für die Kurven c s (t) = H(s, t) = exp c(t) sV (t)<br />

gilt dann c s (a) = c(a), c s (b) = c(b), und daher L(c s ) ≥ d(c(a), c(b)) = L(c). Die<br />

Funktion L(c s ) hat also ein Minimum an s = 0, und mit Satz 2 folgt<br />

0 = d ∣ L(c s ) = − 1<br />

ds 0 ‖ċ‖<br />

∫ b<br />

ϕ(t)<br />

∇ċ<br />

2<br />

∥ dt ∥ dt.<br />

Also ist ∇ċ/dt = 0, und alle Teilkurven c| [ti,t i+1] sind Geodätis<strong>ch</strong>e. Nun wählen wir<br />

ein Variationsvektorfeld V mit V (a) = 0, mit V (b) = 0 und<br />

V (t i ) = ċ(t − i ) − ċ(t+ i ).<br />

Dann zeigt die erste Variationsformel wegen ∇ċ/dt = 0, dass ċ(t − i ) − ċ(t+ i ) = 0<br />

ist. Folgli<strong>ch</strong> ist c ∈ C 1 ([a, b], M). Da alle Teilstücke c| [ti,t i+1] Geodätis<strong>ch</strong>e sind<br />

und Geodätis<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> ihren Anfangstangentialvektor eindeutig bestimmt sind, ist<br />

c eine Geodätis<strong>ch</strong>e, insbesondere differenzierbar von der Klasse C ∞ . QED<br />

Korollar 2. Seien N 1 und N 2 Untermannigfaltigkeiten von M mit positivem Abstand<br />

dist(N 1 , N 2 ) := inf{d(p 1 , p 2 ) | p i ∈ M i }. (18.2.2)<br />

Die stückweise differenzierbare, proportional zur Bogenlänge parametrisierte Kurve<br />

c : [a, b] → M sei eine kürzeste Verbindung von N 1 na<strong>ch</strong> N 2 , es gelte also c(a) ∈ N 1 ,<br />

c(b) ∈ N 2 und L(c) = dist(N 1 , N 2 ). Dann ist c eine Geodätis<strong>ch</strong>e, die auf N 1 und<br />

N 2 senkre<strong>ch</strong>t steht:<br />

ċ(a) ⊥ T c(a) N 1<br />

a<br />

ċ(b) ⊥ T c(b) N 2 .<br />

Beweis. Wegen L(c) = dist(N 1 , N 2 ) ≤ d(c(a), c(b)) und Korollar 1 ist c eine<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e. Sei nun X 1 ∈ T c(a) N 1 . Wir zeigen, dass g(X 1 , ċ(a)) = 0 ist. Dazu<br />

konstruieren wir eine Variation H von c mit Variationsvektorfeld V und mit den<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften V (a) = X 1 , H(s, a) ∈ N 1 und H(s, b) = c(b) für alle s. Insbesondere<br />

ist dann V (b) = 0. Um eine sol<strong>ch</strong>e Variation H zu erhalten, konstruiert<br />

man zunä<strong>ch</strong>st mit Hilfe eines an N 1 angepaßten Koordinatensystems um c(a) ein<br />

Vektorfeld X ∈ V(M) mit kompaktem Träger und mit X(c(a)) = X 1 , dessen Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

auf N 1 tangentiell an N 1 ist (verglei<strong>ch</strong>e Satz 8.5). Ist Φ der Fluß von<br />

X, dann definiert man H(s, t) = Φ s (c(t)).<br />

183


Wegen der Minimalität von c ist L(c s ) ≥ L(c) für alle s, und wegen ∇ċ/dt = 0<br />

ergibt die erste Variationsformel<br />

0 = d ds∣ L(c s )<br />

0<br />

= 1 ( )<br />

g(V (b), ċ(b)) − g(V (a), ċ(a))<br />

‖ċ‖<br />

= − 1<br />

‖ċ‖ g( X 1 , ċ(a) ) .<br />

Also gilt ċ(a) ⊥ T c(a) N 1 , wie behauptet. QED<br />

18.3. Das Gauß–Lemma. Für X ∈ T p M sei ι X : T p M → T X T p M der kanonis<strong>ch</strong>e<br />

Isomorphismus aus (17.6.1). Das Skalarprodukt g(p) auf T p M induziert mittels<br />

dieser Isomorphismen ι X ein Skalarprodukt auf jedem der Räume T X T p M, also<br />

eine (fla<strong>ch</strong>e) Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf T p M. Für die entspre<strong>ch</strong>enden Normen gilt<br />

dann ‖ι X Y ‖ = ‖Y ‖. Die Vektoren der Gestalt λ ι X (X) ∈ T X T p M mit λ ∈ R<br />

bezei<strong>ch</strong>nen wir als radiale Vektoren.<br />

Lemma. Die Ableitung T exp der Exponentialabbildung bildet radiale Vektoren<br />

längentreu na<strong>ch</strong> T M ab:<br />

‖(T exp)ι X (X)‖ = ‖X‖ .<br />

Beweis. Mit c X (t) = exp(tX) ist<br />

∥<br />

‖(T exp)ι X (X)‖ = ∥(T exp) d dt∣ (X + tX) ∥<br />

0 = ∥ d dt∣ exp(X + tX) ∥<br />

0 = ∥ d dt∣ exp(tX) ∥<br />

1<br />

= ‖ċ X (1)‖ = ‖ċ X (0)‖<br />

= ‖X‖.<br />

Gauß–Lemma. Sei X ∈ T p M \{0} im Definitionsberei<strong>ch</strong> der Exponentialabbildung<br />

exp enthalten, und sei v ∈ T X T p M orthogonal zum radialen Vektor w = ι X (X).<br />

Dann ist au<strong>ch</strong> (T exp)v orthogonal zu (T exp)w in T exp(X) M, also<br />

g ( (T exp)v, (T exp)w ) = 0.<br />

184


Beweis. Sei Y (s) eine Kurve in T p M mit Y (0) = X, Ẏ (0) = v und mit konstanter<br />

Norm ‖Y (s)‖ = ‖X‖. Sei weiter H : (−ε, ε) × [0, 1] → M die Variation<br />

H(s, t) = exp p t Y (s). Dabei ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass für hinrei<strong>ch</strong>end kleines ε > 0<br />

alle Vektoren t Y (s) im Definitionsberei<strong>ch</strong> der Exponentialabbildung liegen. Alle<br />

Kurven c s = H(s, ·) sind Geodätis<strong>ch</strong>e derselben Länge L(c s ) = ‖Y (s)‖ = ‖X‖. Für<br />

das Variationsvektorfeld V (t) = ∂H/∂s(0, t) längs c 0 gilt V (0) = 0 und<br />

V (1) = d ds∣ exp(Y (s)) = (T exp)Ẏ (0) = (T exp)v.<br />

0<br />

Außerdem ist<br />

ċ 0 (1) = d dt∣ exp(tX)<br />

1<br />

= d dt∣ exp((1 + t)X)<br />

0<br />

( d )<br />

= (T exp)<br />

dt∣<br />

∣ (X + tX)<br />

0<br />

= (T exp)w.<br />

Die erste Variationsformel ergibt nun<br />

0 = d ds∣ L(c s )<br />

0<br />

= 1 (<br />

g(V (1), ċ0 (1)) − g(V (0), ċ 0 (0)) )<br />

‖X‖<br />

= 1<br />

‖X‖ g( (T exp)v, (T exp)w ) ,<br />

wie behauptet. QED<br />

18.4. Minimaleigens<strong>ch</strong>aft von Geodätis<strong>ch</strong>en. Sei ˜Tp M := T p M ∩ ˜T M der<br />

Definitionsberei<strong>ch</strong> der Exponentialabbildung exp p = exp | TpM im Punkt p.<br />

Satz 1. Sei ˜c : [a, b] → ˜T p M eine stückweise differenzierbare Kurve mit Anfangspunkt<br />

˜c(a) = 0 und Endpunkt X = ˜c(b). Sei c die Kurve c = exp ◦ ˜c in M,<br />

und sei γ : [0, 1] → M die Geodätis<strong>ch</strong>e γ(t) = exp(tX). Dann gilt<br />

L(γ) = ‖X‖ ≤ L(c).<br />

Falls L(γ) = L(c) gilt und die Ableitung (T exp p )˜c(s) für alle s ∈ [a, b] invertierbar<br />

ist, dann existiert eine stückweise differenzierbare Funktion u : [a, b] → [0, 1] mit<br />

Ableitung u ′ ≥ 0 dergestalt, dass gilt<br />

˜c(s) = u(s)X.<br />

185


Die Kurve c ist also eine monotone Umparametrisierung der Geodätis<strong>ch</strong>en γ.<br />

Wir bemerken, dass die Voraussetzung über die Invertierbarkeit von T exp p insbesondere<br />

dann erfüllt ist, wenn das Bild ˜c([a, b]) in einem Ball B p (0, ϱ) ⊆ T p M<br />

enthalten ist, dessen Radius ϱ kleiner ist als der Injektivitätsradius inj(p) an p<br />

(siehe Abs<strong>ch</strong>nitt 17.7).<br />

Beweis. Indem man, falls nötig, zu einer Eins<strong>ch</strong>ränkung von ˜c auf ein Teilintervall<br />

[a 1 , b] ⊆ [a, b] übergeht, kann man annehmen, dass ˜c(s) ≠ 0 ist für alle s > a. Für<br />

s ∈ (a, b] ist dann ˜c(s) = u(s)X(s), wobei die Funktion u(s) := ‖˜c(s)‖ / ‖X‖ positiv<br />

und stückweise differenzierbar ist, und der Vektor<br />

X(s) :=<br />

‖X‖<br />

‖˜c(s)‖ ˜c(s)<br />

konstante Norm ‖X(s)‖ = ‖X‖ hat. Mit Ausnahme der endli<strong>ch</strong> vielen Stellen, an<br />

denen ˜c ni<strong>ch</strong>t differenzierbar ist, gilt<br />

ċ(s) = (T exp p )˜c(s) ˙˜c(s).<br />

Nun gilt allgemein für den Tangentialvektor einer Kurve Y (s) in einem Vektorraum<br />

E stets<br />

Ẏ (s) = ι Y (s) Y ′ (s) ∈ T Y (s) E,<br />

wobei Y ′ (s) ∈ E die übli<strong>ch</strong>e Ableitung und ι Y (s) den kanonis<strong>ch</strong>en Isomorphismus<br />

E ∼ = T Y (s) E bezei<strong>ch</strong>net. Im vorliegenden Fall ergibt si<strong>ch</strong> mit ˜c(s) = u(s)X(s)<br />

ċ(s) = (T exp)˜c(s) ι˜c(s) ˜c ′ (s)<br />

= (T exp)˜c(s) ι˜c(s)<br />

(<br />

u ′ (s)X(s) + u(s)X ′ (s) )<br />

= (T exp)˜c(s)<br />

(<br />

u ′ (s) ι˜c(s) X(s) + u(s) ι˜c(s) X ′ (s) ) .<br />

Der Vektor ι˜c(s) X(s) ist radial im Sinne von Abs<strong>ch</strong>nitt 18.3, und wegen ‖X(s)‖ =<br />

const ist ι˜c(s) X ′ (s) orthogonal zur radialen Ri<strong>ch</strong>tung. Mit den beiden Lemmata aus<br />

18.3 folgt für s ∈ (a, b]<br />

‖ċ(s)‖ =<br />

(<br />

|u ′ (s)| 2 ‖X(s)‖ 2 + ∥ ∥(T exp p )˜c(s)<br />

(<br />

u(s)ι˜c(s) X ′ (s) )∥ ∥ 2 ) 1/2<br />

≥ |u ′ (s)| ‖X(s)‖<br />

≥ u ′ (s) ‖X‖ .<br />

(∗)<br />

Integration liefert für ε > 0<br />

∫ b<br />

ε<br />

‖ċ(s)‖ ds ≥ (u(b) − u(ε)) ‖X‖ ,<br />

186


und im Grenzwert für ε → 0 folgt L(c) ≥ ‖X‖ = L(γ), wie behauptet.<br />

L(c) = ‖X‖, dann muss in (∗) die Glei<strong>ch</strong>heit gelten, und daher insbesondere<br />

Gilt<br />

(T exp p )˜c(s)<br />

(<br />

u(s)ι˜c(s) X ′ (s) ) = 0.<br />

Aus der Bedingung an die Ableitung (T exp p )˜c(s) und wegen u(s) > 0 ergibt si<strong>ch</strong>,<br />

dass X ′ (s) = 0 ist für alle s. Also ist X(s) = const = X, und damit<br />

˜c(s) = u(s)X.<br />

Die Glei<strong>ch</strong>heit in (∗) ergibt weiter, dass u ′ (s) = |u ′ (s)| ist. Daher ist u ′ ≥ 0, wie<br />

behauptet. QED<br />

Satz 2. Sei γ : [a, b] → M eine Geodätis<strong>ch</strong>e mit Anfangspunkt p = γ(a) und<br />

Endpunkt q = γ(b). Gilt L(γ) < inj(p), dann ist<br />

L(γ) = d(p, q).<br />

Jede stückweise differenzierbare Kurve c : [α, β] → M mit c(α) = p und c(β) = q<br />

und L(c) = d(p, q) entsteht aus γ dur<strong>ch</strong> monotone Umparametrisierung. Es ist also<br />

c(s) = γ(u(s)) für eine stückweise differenzierbare Funktion u : [α, β] → [a, b] mit<br />

u ′ ≥ 0.<br />

Für Tangentialvektoren X ∈ T p M mit Norm ‖X‖ < inj(p) gilt also<br />

d(exp p X, p) = ‖X‖ . (18.4.1)<br />

Insbesondere folgt (Aufgabe 2), dass für Radien r < inj(p) die Abstandssphären<br />

S(p, r) := {q ∈ M | d(p, q) = r} (18.4.2)<br />

differenzierbare Untermannigfaltigkeiten von M sind, und zwar diffeomorphe Bilder<br />

der Sphären<br />

S p (0, r) := {X ∈ T p M | ‖X‖ = r} (18.4.3)<br />

um den Ursprung im Tangentialraum T p M unter exp p .<br />

Kurven γ : [a, b] → M, deren Länge mit dem Abstand ihrer Endpunkte übereinstimmt,<br />

für die also L(γ) = d(γ(a), γ(b)) ist, nennt man Kürzeste. Der Satz besagt<br />

also: Genügend kurze Abs<strong>ch</strong>nitte von Geodätis<strong>ch</strong>en sind Kürzeste, und zwar bis<br />

auf monotone Umparametrisierungen die einzigen kürzesten Verbindungen ihrer<br />

Endpunkte.<br />

Beweis. Man kann annehmen, dass [a, b] = [0, 1] ist. Dann ist γ(t) = exp(tX) mit<br />

dem Vektor X = ˙γ(0), dessen Norm ‖X‖ = L(γ) < inj(p) erfüllt. Sei c : [α, β] → M<br />

stückweise differenzierbar mit c(α) = p und c(β) = q, und sei ϱ eine Zahl mit<br />

187


L(γ) < ϱ < inj(p). Falls nun c([α, β]) im Bild exp p B p (0, ϱ) enthalten ist, dann<br />

folgen die Behauptungen aus dem vorhergehenden Satz, angewandt auf die Kurve<br />

˜c := ( (exp p )| Bp(0,ϱ)) −1<br />

◦ c.<br />

Falls ni<strong>ch</strong>t, dann existiert ein Wert s ∈ (α, β) mit c(s) ∈ exp p ∂B p (0, ϱ). Dabei<br />

bezei<strong>ch</strong>net ∂B p (0, ϱ) den Rand des Balles B p (0, ϱ), also eine kompakte Menge. Sei<br />

s 0 die kleinste sol<strong>ch</strong>e Zahl s. Aus Satz 1 folgt dann L(c) ≥ L(c| [α,s0]) ≥ ϱ > L(γ).<br />

QED<br />

Aufgaben<br />

1. Torsionstensor. Zeigen Sie, dass die Verallgemeinerung von Glei<strong>ch</strong>ung (18.1.1)<br />

für Zusammenhänge mit ni<strong>ch</strong>t notwendig vers<strong>ch</strong>windendem Torsionstensor lautet<br />

∇ ∂H<br />

∂s ∂t − ∇ ∂H<br />

( ∂H<br />

∂t ∂s = T ∂s , ∂H )<br />

.<br />

∂t<br />

2. Abstandssphären. Sei (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, und sei p ∈<br />

M. Zeigen Sie, dass für die Abstandssphären<br />

mit Radius r < inj(p) und die Sphären<br />

S(p, r) = {q ∈ M | d(p, q) = r}<br />

S p (0, r) = {X ∈ T p M | ‖X‖ = r}<br />

um den Ursprung im Tangentialraum T p M gilt<br />

exp p (S p (0, r)) = S(p, r).<br />

3. Kurven ohne Umwege. Eine stetige Kurve c : [a, b] → M in einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit heiße eine Kurve ohne Umwege, wenn für alle a ≤ t 1 ≤<br />

t 2 ≤ t 3 ≤ b gilt<br />

d(c(t 1 ), c(t 3 )) = d(c(t 1 ), c(t 2 )) + d(c(t 2 ), c(t 3 )).<br />

Zeigen Sie: Ist c eine Kurve ohne Umwege, dann ist c([a, b]) im Bild einer Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

enthalten.<br />

Hinweis: Betra<strong>ch</strong>ten Sie zunä<strong>ch</strong>st den Fall d(c(a), c(b)) < inj(c(a)).<br />

188


19. Vollständigkeit, konvexe Umgebungen<br />

Typis<strong>ch</strong>e Fragen der Riemanns<strong>ch</strong>en Geometrie im Großen oder der globalen Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Geometrie sind sol<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Zusammenhängen zwis<strong>ch</strong>en der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Struktur und der topologis<strong>ch</strong>en Gestalt der unterliegenden Mannigfaltigkeit.<br />

Beispiele für entspre<strong>ch</strong>ende Sätze haben wir in Kapitel 13 über Eiflä<strong>ch</strong>en bereits kennengelernt:<br />

Dort konnte etwa aus der Positivität der Gaußkrümmung ges<strong>ch</strong>lossen<br />

werden, dass eine Flä<strong>ch</strong>e diffeomorph zur 2–Sphäre ist. Ähnli<strong>ch</strong>e Resultate gibt es<br />

im allgemeineren Rahmen der Riemanns<strong>ch</strong>en Geometrie.<br />

Nun zeigt bereits die Betra<strong>ch</strong>tung offener Teilmengen des R n , dass au<strong>ch</strong> die “einfa<strong>ch</strong>sten”<br />

Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten, nämli<strong>ch</strong> die fla<strong>ch</strong>en, von sehr komplizierter<br />

topologis<strong>ch</strong>er Struktur sein können. Um zu sinnvollen Fragestellungen zu<br />

gelangen, erlegt man daher den betra<strong>ch</strong>teten Räumen zusätzli<strong>ch</strong>e Bedingungen auf,<br />

so wie wir s<strong>ch</strong>on bei den Eiflä<strong>ch</strong>en deren Kompaktheit vorausgesetzt haben. Die<br />

wi<strong>ch</strong>tigste dieser Bedingungen ist die der Vollständigkeit einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit.<br />

In diesem Kapitel führen wir den Begriff der Vollständigkeit ein und<br />

beweisen den grundlegenden Satz von Hopf und Rinow, der vers<strong>ch</strong>iedene Charakterisierungen<br />

der Vollständigkeit zum Gegenstand hat. Ans<strong>ch</strong>ließend vertiefen wir<br />

unser Studium der Normalkoordinaten im Riemanns<strong>ch</strong>en Fall und beweisen die<br />

Existenz konvexer Umgebungen.<br />

In diesem Kapitel bezei<strong>ch</strong>nen weiterhin (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit,<br />

d ihre Abstandfunktion, ∇ ihren Levi–Civita–Zusammenhang, und exp : ˜T M → M<br />

die Exponentialabbildung von ∇ mit ihrem maximalen Definitionsberei<strong>ch</strong> ˜T M.<br />

19.1. Surjektivität der Exponentialabbildung. Für p ∈ M und ϱ > 0 betra<strong>ch</strong>ten<br />

wir die Bälle<br />

B p (0, ϱ) = {X ∈ T p M | ‖X‖ < ϱ}<br />

in T p M und<br />

B(p, ϱ) = {q ∈ M | d(p, q) < ϱ}<br />

in M. Da die Geodätis<strong>ch</strong>e c : [0, 1] → M mit c(t) = exp p tX die Punkte p und<br />

exp p X verbindet und die Länge L(c) = ‖X‖ hat, gilt<br />

und daher ist<br />

d(exp p X, p) ≤ ‖X‖ ,<br />

exp p (B p (0, ϱ) ∩ ˜T M) ⊆ B(p, ϱ).<br />

Diese Inklusion ist im allgemeinen e<strong>ch</strong>t, wie man si<strong>ch</strong> am Beispiel offener Teilmengen<br />

M ⊆ R n klarma<strong>ch</strong>t. Der folgende Satz besagt aber, dass zwis<strong>ch</strong>en diesen Mengen<br />

Glei<strong>ch</strong>heit besteht, sobald B p (0, ϱ) ⊆ ˜T M ist.<br />

Version 5. Juni 2000<br />

189


Satz. Sei B p (0, ϱ) ⊆ T p M im Definitionsberei<strong>ch</strong> ˜T M der Exponentialabbildung<br />

exp p enthalten. Dann existiert zu jedem Punkt q ∈ B(p, ϱ) eine na<strong>ch</strong> der Bogenlänge<br />

parametrisierte Kürzeste c : [0, l] → M, c(t) = exp p (tX) mit c(l) = q. Insbesondere<br />

ist<br />

exp B p (0, ϱ) = B(p, ϱ). (19.1.1)<br />

Beweis. Sei q ∈ B(p, ϱ), und sei l := d(p, q) der Abstand von p und q. Wir wählen<br />

eine Zahl ε mit 0 < ε < min{inj(p), l}. Da die Abstandssphäre (verglei<strong>ch</strong>e Kapitel<br />

18, Aufgabe 2)<br />

S(p, ε) = exp S p (0, ε) = {r ∈ M | d(r, p) = ε}<br />

kompakt ist, existiert ein Punkt p 1 ∈ S(p, ε) mit minimalem Abstand zu q, also<br />

d(p 1 , q) = min{d(x, q) | x ∈ S(p, ε)}.<br />

Sei X ∈ T p M der Einheitsvektor mit exp(εX) = p 1 , und sei c : [0, l] → M die Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

c(t) = exp p (tX). Dann ist c na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert. Wir<br />

werden zeigen, dass c(l) = q ist. Wegen L(c) = l = d(p, q) ist dann c eine Kürzeste<br />

von p na<strong>ch</strong> q.<br />

Um c(l) = q zu zeigen, betra<strong>ch</strong>ten wir die Menge A ⊆ [0, l] derjenigen t, für die gilt<br />

d(c(t), q) = l − t.<br />

(∗)<br />

Diese Menge ist offenbar abges<strong>ch</strong>lossen. Sie enthält ε, denn da jede Verbindungskurve<br />

von p na<strong>ch</strong> q die Abstandssphäre S(p, ε) s<strong>ch</strong>neiden muss, gilt<br />

l = d(p, q)<br />

= ε + min d(x, q)<br />

x∈S(p,ε)<br />

= ε + d(p 1 , q)<br />

= ε + d(c(ε), q).<br />

Sei t 0 das Maximum von A. Dann ist jedenfalls t 0 ≥ ε. Wir zeigen t 0 = l. Daraus<br />

folgt dann d(c(l), q) = 0, wie behauptet.<br />

Wir nehmen dazu an, t 0 sei kleiner als l. Sei p 2 = c(t 0 ). Dann ist p 2 ≠ q. Wir<br />

wählen eine Zahl δ mit 0 < δ < min{inj(p 2 ), d(p 2 , q)}, und einen Punkt p 3 ∈ S(p 2 , δ)<br />

mit<br />

d(p 3 , q) = min{d(x, q) | x ∈ S(p 2 , δ)}.<br />

Wie vorher folgt d(p 2 , q) = δ + d(p 3 , q). Wegen t 0 ∈ A gilt d(p 2 , q) = l − t 0 , und<br />

daher<br />

d(p 3 , q) = l − t 0 − δ.<br />

(∗∗)<br />

190


Daraus folgt zunä<strong>ch</strong>st d(p, p 3 ) ≥ d(p, q) − d(q, p 3 ) = t 0 + δ. Andererseits hat die<br />

stückweise differenzierbare Kurve ˜c : [0, t 0 + δ] → M, bestehend aus c| [0,t0] gefolgt<br />

von der kürzesten Geodätis<strong>ch</strong>en σ von p 2 na<strong>ch</strong> p 3 , die Länge t 0 + δ und verbindet p<br />

mit p 3 . Also ist ˜c eine Kürzeste, und damit na<strong>ch</strong> Korollar 1 in Abs<strong>ch</strong>nitt 18.3 eine<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e. Folgli<strong>ch</strong> ist ˜c = c| [0,t0+δ] und daher c(t 0 + δ) = p 3 . Nun liefert (∗∗)<br />

d(c(t 0 + δ), q) = l − (t 0 + δ).<br />

Also ist t 0 + δ ∈ A, aber das widerspri<strong>ch</strong>t der Maximalität von t 0 . QED<br />

19.2. Der Satz von Hopf und Rinow. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit (oder<br />

ihre Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik) heißt vollständig, wenn ihr Levi–Civita–Zusammenhang<br />

vollständig ist, wenn also der Definitionsberei<strong>ch</strong> ˜T M der Exponentialabbildung exp<br />

mit ganz T M übereinstimmt.<br />

Satz. Sei (M, g) eine zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit.<br />

sind folgende Aussagen äquivalent.<br />

Dann<br />

(a) Es existiert ein Punkt p ∈ M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass T p M im Definitionsberei<strong>ch</strong><br />

von exp enthalten ist.<br />

(b) Jede abges<strong>ch</strong>lossene bes<strong>ch</strong>ränkte Teilmenge A ⊆ M ist kompakt (Heine–Borel–<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft).<br />

(c) (M, d) ist eine vollständiger metris<strong>ch</strong>er Raum, d.h.<br />

konvergieren.<br />

(d) (M, g) ist eine vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit.<br />

Wenn die Aussagen (a)–(d) zutreffen, dann gilt au<strong>ch</strong><br />

alle Cau<strong>ch</strong>yfolgen in M<br />

(e) Je zwei Punkte von M können dur<strong>ch</strong> eine kürzeste Geodätis<strong>ch</strong>e verbunden werden.<br />

Insbesondere ist exp(T p M) = M für jeden Punkt p ∈ M.<br />

Bemerkungen. (i) Kompakte metris<strong>ch</strong>e Räume sind vollständig. Aus dem Satz<br />

folgt daher, dass auf einer kompakten Mannigfaltigkeit jede Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik<br />

vollständig ist.<br />

(ii) Abges<strong>ch</strong>lossene Untermannigfaltigkeiten N ⊆ M vollständiger Riemans<strong>ch</strong>er<br />

Mannigfaltigkeiten M sind bezügli<strong>ch</strong> der induzierten Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik selbst<br />

vollständig. Das liegt daran, dass si<strong>ch</strong> die Heine Borel–Eigens<strong>ch</strong>aft von M auf N<br />

überträgt: Für die Abstandsfunktion d N auf N gilt offenbar d N (p, q) ≥ d(p, q) für<br />

alle p, q ∈ N. Ist daher A ⊆ N abges<strong>ch</strong>lossen und bezügli<strong>ch</strong> d N bes<strong>ch</strong>ränkt, so ist<br />

A au<strong>ch</strong> in M abges<strong>ch</strong>lossen und bezügli<strong>ch</strong> d bes<strong>ch</strong>ränkt, also kompakt.<br />

(iii) Das Beispiel der offenen Einheitskreiss<strong>ch</strong>eibe B(0, 1) ⊆ R 2 mit der Standardmetrik<br />

zeigt, dass Eigens<strong>ch</strong>aft (e) des Satzes ni<strong>ch</strong>t die anderen Eigens<strong>ch</strong>aften impliziert.<br />

Entfernt man aus der Standardsphäre S 2 eine sphäris<strong>ch</strong>e Kreiss<strong>ch</strong>eibe,<br />

deren Radius kleiner ist als der einer Hemisphäre, dann erhält man eine Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit mit folgender Eigens<strong>ch</strong>aft: Je zwei Punkte können dur<strong>ch</strong><br />

eine Geodätis<strong>ch</strong>e verbunden werden, aber ni<strong>ch</strong>t notwendig dur<strong>ch</strong> eine Kürzeste.<br />

191


(iv) Die Aussagen des Satzes lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ohne weiteres auf andere Zusammenhänge<br />

übertragen. Sei etwa ∇ 0 der kanonis<strong>ch</strong>e Zusammenhang einer Liegruppe<br />

G. Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 17.8 ist ∇ 0 vollständig. Denno<strong>ch</strong> ist die Exponentialabbildung<br />

exp : T e G → G au<strong>ch</strong> für zusammenhängende G ni<strong>ch</strong>t immer surjektiv. Sei etwa<br />

G = GL + (2, R) = {a ∈ GL(2, R) | det(a) > 0}.<br />

Dann ist G zusammenhängend, aber der Punkt<br />

( )<br />

−2 0<br />

a =<br />

0 −1<br />

ist ni<strong>ch</strong>t im Bild von exp e enthalten. Wäre nämli<strong>ch</strong> a = exp X, dann hätte man<br />

a = exp( 1 2 X) exp( 1 2 X) = b2 mit einem b ∈ GL(2, R), woraus man lei<strong>ch</strong>t einen<br />

Widerspru<strong>ch</strong> herleitet. Andererseits zeigt man mit Hilfe der Jordans<strong>ch</strong>en Normalform<br />

uns<strong>ch</strong>wer, dass die Exponentialabbildung der Liegruppe GL(n, C) surjektiv<br />

ist.<br />

Wir kommen zum Beweis des Satzes.<br />

(d)⇒(e) Da M wegzusammenhängend ist, gilt M = ⋃ ϱ>0<br />

B(p, ϱ). Die Behauptung<br />

folgt aus dem Satz in 19.1.<br />

(a)⇒(b) Sei A ⊆ M abges<strong>ch</strong>lossen und bes<strong>ch</strong>ränkt. Da A bes<strong>ch</strong>ränkt ist, gilt<br />

A ⊆ B(p, ϱ) für hinrei<strong>ch</strong>end große Radien ϱ. Und da A abges<strong>ch</strong>lossen ist, ist au<strong>ch</strong><br />

das Urbild exp −1<br />

p (A) abges<strong>ch</strong>lossen in T pM. Folgli<strong>ch</strong> ist à := exp−1 p (A) ∩ ¯B(0, ϱ)<br />

eine bes<strong>ch</strong>ränkte und abges<strong>ch</strong>lossene Teilmenge von T p M, also kompakt. Na<strong>ch</strong> 19.1<br />

ist exp(Ã) = A, also ist A als Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen<br />

Abbildung ebenfalls kompakt.<br />

(b)⇒(c) Jede Cau<strong>ch</strong>yfolge (p n ) n∈N ist bes<strong>ch</strong>ränkt. Folgli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> der Abs<strong>ch</strong>luss<br />

der Menge {p n | n ∈ N} bes<strong>ch</strong>ränkt und zuglei<strong>ch</strong> abges<strong>ch</strong>lossen, also na<strong>ch</strong> (b) kompakt.<br />

Daher besitzt (p n ) eine konvergente Teilfolge. Da Cau<strong>ch</strong>yfolgen hö<strong>ch</strong>stens<br />

einen Häufungspunkt haben können, ist die Folge (p n ) selbst konvergent.<br />

(c)⇒(d) Sei X ∈ T M, und sei J X ⊆ R das maximale Definitionsintervall der Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

c(t) = exp tX. Wir zeigen J X = R. Wegen J aX = aJ X (siehe 17.2) kann<br />

man annehmen, dass ‖X‖ = 1 ist. Dann ist c na<strong>ch</strong> der Bogenlänge parametrisiert.<br />

Wir führen die Annahme eines endli<strong>ch</strong>en Supremums t 0 := sup(J X ) < ∞ zu einem<br />

Widerspru<strong>ch</strong>. Sei dazu t j ∈ J X eine Folge mit lim j→∞ t j = t 0 . Dann gilt<br />

d ( c(t j ), c(t k ) ) ≤ L ( c| [tj,t k ])<br />

= |tj − t k | .<br />

Also ist c(t j ) eine Cau<strong>ch</strong>yfolge in M. Sei q ihr Grenzwert, und sei ε > 0 so klein<br />

gewählt, dass der abges<strong>ch</strong>lossene Ball B := ¯B(q, ε) kompakt ist. Na<strong>ch</strong> 19.1 ist das<br />

der Fall, wenn für ein ε ′ > ε der Ball B(0, ε ′ ) ⊆ T q M im Definitionsberei<strong>ch</strong> von<br />

exp q enthalten ist. Indem man ε nötigenfalls verkleinert, kann man annehmen, dass<br />

die Menge<br />

{X ∈ T M | π(X) ∈ B und ‖X‖ < ε}<br />

192


in ˜T M enthalten ist. Geodätis<strong>ch</strong>e γ mit γ(0) ∈ B und ‖ ˙γ(0)‖ = 1 sind also<br />

zumindest auf dem Intervall (−ε, ε) definiert. Wir wählen t ′ mit t 0 − ε 2 < t′ < t 0 .<br />

Dann ist c(t ′ ) ∈ B, weil<br />

d(c(t ′ ), q) = lim<br />

i→∞<br />

d(c(t ′ ), c(t i )) ≤ lim<br />

i→∞<br />

|t ′ − t i | < ε/2.<br />

Sei γ : (−ε, ε) → M die Geodätis<strong>ch</strong>e mit ˙γ(0) = ċ(t ′ ). Dann ist die Kurve<br />

{<br />

c(t), falls 0 ≤ t ≤ t<br />

′<br />

˜c(t) =<br />

γ(t − t ′ ), falls t ′ ≤ t < t ′ + ε<br />

eine auf [0, t ′ +ε) definierte Fortsetzung von c. Es folgt t ′ + ε 2 ∈ J X, im Widerspru<strong>ch</strong><br />

zu t ′ + ε 2 > t 0 = sup J X .<br />

(d)⇒(a) Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. QED<br />

19.3. Konvexe Umgebungen. Da der Torsionstensor des Levi–Civita–Zusammenhanges<br />

vers<strong>ch</strong>windet, ist die Hesses<strong>ch</strong>e ∇df jeder Funktion f ∈ C ∞ (M) (siehe<br />

14.8) ein symmetris<strong>ch</strong>es (2, 0)–Tensorfeld. Die Funktion f heißt konvex auf M, wenn<br />

(∇df)(p) für jeden Punkt p ∈ M positiv semidefinit ist. Sie heißt streng konvex,<br />

wenn ∇df überall positiv definit ist.<br />

Lemma 1. Eine Funktion f ∈ C ∞ (M) ist genau dann streng konvex, wenn für<br />

jede ni<strong>ch</strong>tkonstante Geodätis<strong>ch</strong>e c in M gilt<br />

d 2<br />

(f ◦c) > 0.<br />

dt2 Beweis. Zunä<strong>ch</strong>st ist die erste Ableitung (d/dt)f(c(t)) = df(ċ(t)). Nun verwenden<br />

wir die kovariante Ableitung von Tensorfeldern längs Kurven aus 15.4:<br />

Die Behauptung folgt. QED<br />

d 2<br />

dt 2 f(c(t)) = ∇ ( )<br />

df(ċ(t))<br />

dt<br />

= ∇(df) ( ∇ċ<br />

)<br />

(ċ(t)) + df<br />

dt<br />

dt (t)<br />

= ( ∇ċ(t) df ) (ċ(t))<br />

= (∇df)(ċ(t), ċ(t)).<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Normalkoordinaten mit Zentrum p ∈ M sind lokale Koordinatensysteme<br />

ϕ : B(p, ϱ) → R n der Form<br />

( ∣ −1<br />

ϕ = A ◦ exp ∣Bp(0,ϱ)) p (19.3.1)<br />

193


mit einer linearen Isometrie A : T p M → R n . Dabei ist der Radius ϱ hö<strong>ch</strong>stens<br />

glei<strong>ch</strong> dem Injektivitätsradius inj(p) der Exponentialabbildung im Punkt p, und<br />

der Definitionsberei<strong>ch</strong> von ϕ ist na<strong>ch</strong> (19.1.1) der Ball B(p, ϱ).<br />

Lemma 2. Sei p ∈ M und sei ϱ = inj(p). Dann ist die Funktion f(q) = (d(p, q)) 2<br />

differenzierbar auf dem Ball B(p, ϱ). Es existiert ein Radius ϱ 1 ≤ inj(p) dergestalt,<br />

dass f auf B(p, ϱ 1 ) streng konvex ist.<br />

Für ϱ 1 lassen si<strong>ch</strong> explizite Werte angeben, in die ausser inj(p) die Krümmungseigens<strong>ch</strong>aften<br />

der Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik eingehen. Wir werden später auf diesen<br />

Punkt zurückkommen.<br />

Beweis. Seien ϕ : B(p, ϱ) → R n Riemanns<strong>ch</strong>e Normalkoordinaten wie in (19.3.1).<br />

In diesen Koordinaten gilt na<strong>ch</strong> (18.4.2)<br />

f ◦ ϕ −1 (x) = ‖x‖ 2 = ∑ n<br />

i=1 (xi ) 2 . (19.3.2)<br />

Also ist f differenzierbar auf B(p, ϱ). Mit Glei<strong>ch</strong>ung (14.8.3) ergibt si<strong>ch</strong><br />

∇df = (∂ i ∂ j f − Γ ij k ∂ k f) dx i ⊗ dx j<br />

= 2(δ ij − Γ ij k x k ) dx i ⊗ dx j .<br />

Die Christoffelsymbole sind stetige Funktionen, also insbesondere bes<strong>ch</strong>ränkt auf<br />

kompakten Umgebungen von p. Der Term Γ ij k x k konvergiert deshalb mit x glei<strong>ch</strong>mäßig<br />

gegen Null. Für hinrei<strong>ch</strong>end klein gewählte Radien ϱ 1 ≤ inj(p) ist daher die<br />

Hesses<strong>ch</strong>e ∇df positiv definit auf B(p, ϱ 1 ). QED<br />

Eine Teilmenge A ⊆ M heißt stark konvex, wenn folgende Bedingung erfüllt ist:<br />

Für je zwei Punkte p, q ∈ A existiert genau eine Geodätis<strong>ch</strong>e c : [0, l] → M in M<br />

mit c(0) = p, c(l) = q, ‖ċ‖ = 1 und L(c) = d(p, q), und das Bild c([0, l]) dieser<br />

Geodätis<strong>ch</strong>en ist in A enthalten.<br />

Etwas ungenau formuliert bedeutet diese Bedingung: Je zwei Punkte in A können<br />

dur<strong>ch</strong> genau eine kürzeste Geodätis<strong>ch</strong>e in M verbunden werden, und diese liegt<br />

in A. Wir weisen darauf hin, dass in der Literatur inäquivalente Definitionen des<br />

Begriffes des starken Konvexität existieren.<br />

Satz 1. Zu jedem Punkt p ∈ M existiert eine Zahl ϱ 0 > 0 mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass für jeden Radius ϱ ≤ ϱ 0 der Ball B(p, ϱ) stark konvex ist.<br />

Beweis. Na<strong>ch</strong> Satz 2 in Abs<strong>ch</strong>nitt 17.7 existieren Zahlen ϱ 2 und δ > 0 mit folgenden<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften: Für alle q ∈ B(p, ϱ 2 ) ist der Injektivitätsradius inj(q) ≥ δ, und zu je<br />

zwei Punkten q, r ∈ B(p, ϱ 2 ) existiert genau ein Vektor X ∈ T q M mit ‖X‖ < δ und<br />

exp q (X) = r. Wegen δ ≤ inj(q) und Glei<strong>ch</strong>ung (18.4.1) ist dann ‖X‖ = d(q, r) <<br />

2ϱ 2 . Wir erhalten damit als vorläufiges Resultat:<br />

194


Zu jedem Punkt p ∈ M existiert ein Radius ϱ 2 > 0 dergestalt, dass<br />

je zwei Punkte q, r ∈ B(p, ϱ 2 ) dur<strong>ch</strong> genau eine Kürzeste c in M<br />

miteinander verbunden werden können.<br />

Mit ϱ 2 hat offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> jede Zahl 0 < ϱ ≤ ϱ 2 diese Eigens<strong>ch</strong>aft. Es bleibt<br />

zu zeigen, dass na<strong>ch</strong> eventueller Verkleinerung von ϱ 2 die Kürzesten c ganz im Ball<br />

B(p, ϱ 2 ) verlaufen.<br />

Sei ϱ 1 > 0 ein Radius wie in Lemma 2, so dass die quadrierte Abstandsfunktion<br />

f(q) = (d(p, q)) 2 auf B(p, ϱ 1 ) streng konvex ist. Wir zeigen, dass die Zahl<br />

ϱ 0 := min{ϱ 1 /3, ϱ 2 }<br />

die im Satz behauptete Eigens<strong>ch</strong>aft hat. Sei dazu ϱ ≤ ϱ 0 . Dann können je zwei<br />

Punkte q, r ∈ B(p, ϱ) dur<strong>ch</strong> eine kürzeste Geodätis<strong>ch</strong>e c : [a, b] → M verbunden<br />

werden. Wegen L(c) = d(q, r) < 2ϱ und d(p, q) < ϱ ist c ganz im Ball B(0, 3ϱ) ⊆<br />

B(0, ϱ 1 ) enthalten. Mit Lemma 1 folgt<br />

d 2<br />

f(c(t)) > 0.<br />

dt2 Die Funktion f(c(t)) = (d(c(t), p)) 2 nimmt daher ihr Maximum in einem der Randpunkte<br />

a oder b an. In diesen Punkten hat sie Werte < ϱ 2 . Also ist d(c(t), p) < ϱ<br />

auf [a, b], und damit c in B(p, ϱ) enthalten. QED<br />

Die folgende Erweiterung von Satz 1 besagt, dass si<strong>ch</strong> ein Radius ρ 0 wie in Satz 1<br />

für alle Punkte einer kompakten Teilmenge von M gemeinsam wählen lässt.<br />

Satz 2. Zu jeder kompakten Teilmenge A ⊆ M existiert eine Zahl ϱ 0 > 0 mit der<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für jeden Radius ϱ ≤ ϱ 0 und jeden Punkt p ∈ A der Ball B(p, ϱ)<br />

stark konvex ist.<br />

Der Beweis folgt dem von Satz 1. Dabei ist zu überprüfen, dass si<strong>ch</strong> die Zahlen ϱ 1 , ϱ 2<br />

und δ für alle Punkte p ∈ A gemeinsam wählen lassen. Für ϱ 2 und δ ergibt si<strong>ch</strong> das<br />

ohne weiteres aus 17.7. Für den Radius ρ 1 aus Lemma 2 benötigt man glei<strong>ch</strong>mässige<br />

obere S<strong>ch</strong>ranken für Ausdrücke Γ ij k x k , und zwar mit Christoffelsymbolen, die zu<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Normalkoordinatensystemen mit Zentren p ∈ A gehören. Auf offenen<br />

Teilmengen U von M, auf wel<strong>ch</strong>en ein differenzierbares orthonormales Repèrefeld<br />

X 1 , . . . , X n existiert, kann man wie folgt vorgehen: Für p ∈ U sei A p : T p M →<br />

R n die lineare Isometrie, wel<strong>ch</strong>en X 1 (p), . . . , X n (p) in die Standardbasis des R n<br />

abbildet. Dann hat man Normalkoordinaten<br />

ϕ p = A p ◦ (exp p | Bp(0,δ)) −1<br />

mit Zentrum p. Seien Γ ij k (p, q) die Christoffelsymbole zur Karte ϕ p , ausgewertet<br />

an der Stelle q. Dann ist die Funktion (p, q) ↦→ Γ ij k (p, q) differenzierbar auf ihrem<br />

195


Definitionsberei<strong>ch</strong>, insbesondere also bes<strong>ch</strong>ränkt auf kompakten Teilen. Man erhält<br />

die gewüns<strong>ch</strong>ten S<strong>ch</strong>ranken auf U, und damit au<strong>ch</strong> auf jedem Kompaktum.<br />

Aufgaben<br />

1. Starke Konvexität. Für wel<strong>ch</strong>e Radien ϱ sind Abstandsbälle B(p, ϱ) auf einem<br />

Kreiszylinder oder einem Kreiskegel mit Öffnungswinkel α im R3 stark konvex?<br />

2. Vollständige Metriken. Zeigen Sie, dass auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken existieren. Hinweis: Einbettungssatz<br />

von Whitney.<br />

3. Konvexe Bälle. Führen Sie die Einzelheiten des skizzierten Beweises von Satz<br />

2 aus.<br />

4. Bes<strong>ch</strong>ränkte Vektorfelder. Ein Vektorfeld X auf einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g) heißt bes<strong>ch</strong>ränkt, wenn die Funktion ‖X‖ = g(X, X) 1/2 auf M<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt ist. Zeigen Sie, dass eine Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit M genau dann<br />

vollständig ist, wenn jedes bes<strong>ch</strong>ränkte Vektorfeld auf M vollständig ist.<br />

5. Divergente Kurven. Eine Kurve c : [0, ∞) → M heisse divergent, wenn sie<br />

eine eigentli<strong>ch</strong>e Abbildung ist (Kapitel 4, Aufgabe 4), wenn also das Urbild c −1 (A)<br />

jeder kompakten Teilmenge A ⊆ M kompakt ist. Zeigen Sie: Eine Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit M ist genau dann vollständig, wenn jede divergente differenzierbare<br />

Kurve in M unendli<strong>ch</strong>e Länge hat.<br />

196


20. Krümmung Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten<br />

Als Krümmungstensor R einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit (M, g) bezei<strong>ch</strong>net<br />

man den Krümmungstensor ihres Levi–Civita–Zusammenhanges. Er besitzt Symmetrieeigens<strong>ch</strong>aften,<br />

die zur Folge haben, dass R si<strong>ch</strong> vollständig dur<strong>ch</strong> eine reellwertige<br />

Funktion bes<strong>ch</strong>reiben lässt, die S<strong>ch</strong>nittkrümmung K von (M, g). Diese<br />

Funktion K, wel<strong>ch</strong>e die Gaußkrümmung einer Flä<strong>ch</strong>e im R 3 verallgemeinert, ist<br />

allerdings ni<strong>ch</strong>t auf M selbst definiert, sondern auf der Menge aller zweidimensionalen<br />

Untervektorräume sämtli<strong>ch</strong>er Tangentialräume T p M. Dur<strong>ch</strong> Spurbildung<br />

erhält man aus dem Krümmungstensor ein symmetris<strong>ch</strong>es (2, 0)–Tensorfeld Ric,<br />

den Riccitensor, wel<strong>ch</strong>er zuerst dur<strong>ch</strong> sein Auftreten in den Feldglei<strong>ch</strong>ungen der<br />

Gravitation Prominenz erlangt hat. Dur<strong>ch</strong> erneute Kontraktion entsteht aus Ric<br />

die Skalarkrümmung.<br />

Na<strong>ch</strong> der Behandlung dieser allgemeinen Begriffe gehen wir auf die zweite Fundamentalform<br />

und die Krümmung von Untermannigfaltigkeiten Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten<br />

ein. Indem wir die Resultate auf den Fall von Hyperflä<strong>ch</strong>en, also<br />

Untermannigfaltigkeiten der Kodimension eins, spezialisieren, s<strong>ch</strong>ließen wir an die<br />

Krümmungstheorie der Flä<strong>ch</strong>en aus Kapitel 12 an.<br />

Im Folgenden ist (M, g) eine n–dimensionale Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, ∇ ihr<br />

Levi–Civita–Zusammenhang, und R der Krümmungstensor von ∇. Wir s<strong>ch</strong>reiben<br />

gelegentli<strong>ch</strong> 〈X, Y 〉 = g(X, Y ) für das dur<strong>ch</strong> die Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik gegebene<br />

Skalarprodukt von Vektoren oder Vektorfeldern X und Y .<br />

20.1. Krümmungsidentitäten. Sei R der Krümmungstensor der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g). Dann gilt für alle Vektorfelder X, Y, Z ∈ V(M)<br />

(a)<br />

R(X, Y )Z = −R(Y, X)Z<br />

(b) g(R(X, Y )Z, W ) = −g(R(X, Y )W, Z)<br />

(c) g(R(X, Y )Z, W ) = g(R(Z, W )X, Y )<br />

(d) R(X, Y )Z + R(Y, Z)X + R(Z, X)Y = 0<br />

(e) (∇ X R)(Y, Z) + (∇ Y R)(Z, X) + (∇ Z R)(X, Y ) = 0.<br />

Dabei ist, entspre<strong>ch</strong>end der Produktregel für ∇ X , die Abbildung (∇ X R)(Y, Z) :<br />

V(M) → V(M) gegeben dur<strong>ch</strong><br />

(∇ X R)(Y, Z)W =∇ X (R(Y, Z)W ) − R(∇ X Y, Z)W<br />

− R(Y, ∇ X Z)W − R(Y, Z)∇ X W.<br />

Die Identität (a) gilt allgemeiner für beliebige Zusammenhänge, und (b) für sol<strong>ch</strong>e,<br />

die mit g verträgli<strong>ch</strong> sind. Beziehungen (d) und (e) gelten für beliebige torsionsfreie<br />

Version 26. Juni 2000<br />

197


Zusammenhänge, und (c) für den Levi–Civita–Zusammenhang der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Metrik. Glei<strong>ch</strong>ung (d) heißt die erste, (e) die zweite Bian<strong>ch</strong>i–Identität. Die beiden<br />

Bian<strong>ch</strong>i–Identitäten, die wir hier nur im Na<strong>ch</strong>hinein verifizieren, ers<strong>ch</strong>einen auf<br />

natürli<strong>ch</strong>e Weise bei der Behandlung von Zusammenhängen im Kalkül der Differentialformen.<br />

Beweis. (a) folgt sofort aus der Definition<br />

R(X, Y )Z = ∇ X ∇ Y Z − ∇ Y ∇ X Z − ∇ [X,Y ] Z,<br />

und (b) wurde in (16.4.4) bewiesen. Den Na<strong>ch</strong>weis von (d) und (e) vereinfa<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong><br />

mit folgendem<br />

Standardargument: Um die Identität zweier Tensoren na<strong>ch</strong>zuweisen,<br />

genügt es, zu zeigen, dass ihre Komponenten im Zentrum von Normalkoordinaten<br />

übereinstimmen.<br />

Zum Beweis von (e) sei etwa p ∈ M. Wir wählen Normalkoordinaten mit Zentrum<br />

p. Da ∇ torsionsfrei ist, gilt Γ ij k (p) = 0, und für die Komponenten von ∇R in p<br />

folgt na<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ung (14.7.3)<br />

R ijk<br />

l ,m (p) = ∂ m R ijk l (p).<br />

Zu zeigen ist, dass die Komponenten der linken Seite von (e) vers<strong>ch</strong>winden, dass<br />

also gilt<br />

R ijl<br />

m ,k + R jkl<br />

m ,i + R kil<br />

m ,j = 0. (20.1.1)<br />

Im Punkt p ist mit (16.2.2)<br />

R ijl<br />

m<br />

,k = ∂ k R ijl<br />

m<br />

= ∂ k (∂ i Γ jl m − ∂ j Γ il m + Γ jl q Γ iq m − Γ il q Γ jq m )<br />

= ∂ k ∂ i Γ jl m − ∂ k ∂ j Γ il m .<br />

Die Behauptung (20.1.1) folgt ohne Mühe. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ergibt si<strong>ch</strong> (c) aus (a), (b)<br />

und (d). Wir s<strong>ch</strong>reiben dazu abkürzend XY ZW := g(R(X, Y )Z, W ). Na<strong>ch</strong> der<br />

ersten Bian<strong>ch</strong>i–Identität (d) gilt<br />

XY ZW + Y ZXW + ZXY W = 0<br />

Y ZW X + ZW Y X + W Y ZX = 0<br />

ZW XY + W XZY + XZW Y = 0<br />

W XY Z + XY W Z + Y W XZ = 0.<br />

Addition dieser Glei<strong>ch</strong>ungen liefert ZXY W + Y W XZ = 0 und damit (c). QED<br />

20.2. Ergänzungen zur Tensorre<strong>ch</strong>nung. Sei zunä<strong>ch</strong>st ∇ ein beliebiger Zusammenhang<br />

auf M. Bereits in 14.6 haben wir die kovariante Ableitung von Tensorfeldern<br />

kennengelernt. Ist zum Beispiel A ein (2, 1)–Tensorfeld, dann ist ∇A ein<br />

(3, 1)–Tensorfeld mit Komponenten<br />

A i1i 2<br />

j ,k = ∂ k A i1i 2 j − Γ ki1 l A li2 j − Γ ki2 l A i1l j + Γ kl j A i1i 2 l .<br />

198


Ist insbesondere ∇ torsionsfrei, dann gilt im Zentrum p von Normalkoordinaten<br />

Γ ij k (p) = 0, und die kovariante Ableitung reduziert si<strong>ch</strong> in p auf die gewöhnli<strong>ch</strong>e<br />

Ableitung der Komponentenfunktionen. Die Produktregel<br />

lautet in Komponenten<br />

∇ X (A ⊗ B) = (∇ X A) ⊗ B + A ⊗ (∇ X B)<br />

(A i1i 2<br />

j 1<br />

B i3<br />

j 2<br />

) ,k = A i1i 2<br />

j 1,k<br />

B i3<br />

j 2<br />

+ A i1i 2<br />

j 1<br />

B i3<br />

j 2,k<br />

und da alle Kontraktionen mit kovarianter Ableitung vertaus<strong>ch</strong>en, kann man unzweideutig<br />

A ij<br />

i<br />

,k<br />

für die Komponenten des Tensorfeldes ∇C1 1A = C1 1∇A s<strong>ch</strong>reiben. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> bemerken<br />

wir no<strong>ch</strong>, dass Symmetrien unter kovarianter Ableitung erhalten bleiben:<br />

A ij = A ji impliziert A ij,k = A ji,k , weil mit dem Tensor B ij = A ij − A ji au<strong>ch</strong> die<br />

kovariante Ableitung B ij,k vers<strong>ch</strong>windet.<br />

Sei nun g eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik. Das Skalarprodukt g(p) auf T p M induziert<br />

ein Skalarprodukt ǧ(p) auf dem Dualraum Tp ∗ M, das dur<strong>ch</strong> folgende Eigens<strong>ch</strong>aft<br />

eindeutig bestimmt ist: Ist e 1 , . . . , e n eine Orthonormalbasis von T p M, dann ist die<br />

duale Basis e ∗1 , . . . , e ∗n eine Orthonormalbasis von Tp ∗ M bezügli<strong>ch</strong> ǧ(p).<br />

Lemma. (a) Ist in lokalen Koordinaten g = g ij dx i ⊗ dx j , dann gilt ǧ = g ij ∂ i ⊗ ∂ j ,<br />

wobei g ij die zu g ij inverse Matrix ist.<br />

(b) Gilt ∇g = 0, dann ist au<strong>ch</strong> ∇ǧ = 0.<br />

Beweis. (a) Seien ǧ ij die Komponenten von ǧ. Wir zeigen g ij ǧ jk = δ i k . Zu diesem<br />

Zweck betra<strong>ch</strong>ten wir die (unabhängig vom Koordinatensystem wohldefinierten)<br />

Tensorfelder A = g ij ǧ jk dx i ⊗ ∂ k und E = δ i k dx i ⊗ ∂ k und zeigen, dass A = E<br />

ist. Sei dazu p ∈ M. Dann existiert ein Koordinatensystem an p, so dass für die<br />

entspre<strong>ch</strong>enden Komponenten von g gilt g jk (p) = δ jk . Dann ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

ǧ jk = δ jk , und es folgt A(p) = E(p).<br />

(b) Na<strong>ch</strong> der Produktregel gilt<br />

0 = (g ij g jk ) ,l<br />

= g ij ,l g jk + g ij g jk,l<br />

= g ij ,l g jk .<br />

Multiplikation beider Seiten mit g km mit ans<strong>ch</strong>ließender Summation über k ergibt<br />

0 = g im ,l, und mit (a) folgt ǧ im ,l = 0. QED<br />

Sei nun etwa<br />

A = A ij k dx i ⊗ dx j ⊗ ∂ k<br />

199


ein (2, 1)–Tensorfeld auf (M, g). Dann sind<br />

C 2 1(ǧ ⊗ A) = g il A lj k ∂ i ⊗ dx j ⊗ ∂ k<br />

C 1 1(g ⊗ A) = g kl A ij l dx i ⊗ dx j ⊗ dx k<br />

ebenfalls Tensorfelder, deren Komponenten man kurz mit<br />

A i j k := g il A lj<br />

k<br />

A ijk := g kl A ij<br />

l<br />

und<br />

(20.2.1)<br />

bezei<strong>ch</strong>net. Sol<strong>ch</strong>e Operationen nennt man das Herauf- bzw. Herunterziehen eines<br />

Index. Man bea<strong>ch</strong>te, dass g ij selbst dur<strong>ch</strong> zweimaliges Heraufziehen eines Index<br />

aus g ij entsteht—die Notation ist insofern konsistent, wird aber unbrau<strong>ch</strong>bar, wenn<br />

ni<strong>ch</strong>t klar ist, wel<strong>ch</strong>e Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g verwendet wird. Im Zweifelsfall wird<br />

man daher auf Abkürzungen wie in (20.2.1) verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

Bemerkung. Gilt ∇g = 0, dann vertaus<strong>ch</strong>t das Herauf- und Herunterziehen von<br />

Indizes mit der kovarianten Ableitung. Denn es ist zum Beispiel<br />

∇(C1 2 (ǧ ⊗ A)) = C2 1 ∇(ǧ ⊗ A) = C2 1 (ǧ ⊗ ∇A)<br />

weil au<strong>ch</strong> ∇ǧ = 0 ist. Falls ∇g ≠ 0 ist, dann ist eine S<strong>ch</strong>reibweise wie A i j k ,l<br />

zweideutig, weil ni<strong>ch</strong>t klar ist, ob zuerst kovariant abgeleitet und dann der Index<br />

heraufgezogen werden soll oder umgekehrt, ob also g mi A mj<br />

k ,l gemeint ist oder<br />

(g mi A mj k ) ,l . Aus diesem Grund werden wir diese Notation in Zukunft nur bei Re<strong>ch</strong>nungen<br />

verwenden, in denen auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> der Levi–Civita–Zusammenhang von g<br />

vorkommt.<br />

Beispiele: Gradient, Divergenz, Laplaceoperator. (a) Der Gradient gradf ∈<br />

V(M) einer Funktion f ist dadur<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>arakterisiert, dass für alle Vektorfelder X auf<br />

M gilt<br />

g(grad f, X) = (df)(X). (20.2.2)<br />

In lokalen Koordinaten ist gradf = f , k ∂ k wobei die f , k aus den Komponenten f ,k =<br />

∂ k f des Differentials df dur<strong>ch</strong> Heraufziehen des Index entstehen:<br />

f , k = g jk f ,j<br />

(b) Die Spur der zweiten kovarianten Ableitung von Funktionen f ∈ C ∞ (M) liefert<br />

den Laplace–Operator<br />

∆f = −Spur g (∇df) = −g jk f ,jk . (20.2.3)<br />

Bezei<strong>ch</strong>net<br />

div(X) = Spur ∇X = X k ,k (20.2.4)<br />

200


die Divergenz eines Vektorfeldes X, dann gilt offenbar<br />

∆f = −f ,k k = −f ,<br />

k k = −div gradf. (20.2.5)<br />

Wir bespre<strong>ch</strong>en abs<strong>ch</strong>ließend das Skalarprodukt von Tensoren auf einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit. Die Metrik g(p) induziert ein Skalarprodukt auf dem Raum<br />

T s<br />

r (T pM) = ⊗ r<br />

T<br />

∗<br />

p M ⊗ ⊗ s<br />

Tp M,<br />

wel<strong>ch</strong>es dur<strong>ch</strong> folgende Eigens<strong>ch</strong>aft eindeutig bestimmt ist: Ist e 1 , . . . , e n eine Orthonormalbasis<br />

von T p M und ist e ∗1 , . . . , e ∗n die duale Basis von Tp ∗ M, dann bilden<br />

die Tensoren<br />

e ∗i1 ⊗ · · · ⊗ e ∗ir ⊗ e i1 ⊗ · · · ⊗ e is<br />

eine Orthonormalbasis von T s<br />

r (M). Man sieht lei<strong>ch</strong>t, dass das Skalarprodukt zweier<br />

(r, s)–Tensoren A und B dur<strong>ch</strong> ihre Komponenten bezügli<strong>ch</strong> lokaler Koordinaten<br />

gegeben ist dur<strong>ch</strong><br />

〈A, B〉 = A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

B i1···ir j 1···j s<br />

= A i1···i r<br />

j 1···j s<br />

B k1···k r<br />

l 1···l s<br />

g i1k1 · · · g irkr g j1l 1<br />

· · · g jsl s<br />

.<br />

(20.2.6)<br />

Bezügli<strong>ch</strong> dieser Skalarprodukte ist das Heben und Senken von Indizes isometris<strong>ch</strong>,<br />

erhält also die Norm eines Tensors. Insbesondere gilt für Differential und Gradient<br />

einer Funktion ‖df‖ = ‖gradf‖ = f ,i f , i .<br />

20.3. Riccitensor und Skalarkrümmung. Sei R der Krümmungstensor von<br />

(M, g). Dann heißt das aus R dur<strong>ch</strong> Kontraktion über den ersten unteren und den<br />

oberen Index entstehende symmetris<strong>ch</strong>e (2, 0)–Tensorfeld Ric = C1 1 R der Riccitensor<br />

der Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit. Es gilt also<br />

Ric(X, Y ) = Spur(R(·, X)Y ), (20.3.1)<br />

und in lokalen Koordinaten ist Ric = R ij dx i ⊗ dx j mit den Komponenten<br />

R ij = R kij k . (20.3.2)<br />

Man sieht mit Hilfe der Krümmungsidentitäten aus 20.1 lei<strong>ch</strong>t ein, dass die anderen<br />

mögli<strong>ch</strong>en Kontraktionen von R entweder Null oder bis auf ein Vorzei<strong>ch</strong>en ebenfalls<br />

Ric ergeben. Dur<strong>ch</strong> Spurbildung bezügli<strong>ch</strong> der Metrik g erhält man aus Ric eine<br />

Funktion<br />

scal = Spur g Ric = g ij R ij . (20.3.3)<br />

Dabei sind g ij wie in 20.2 die Koeffizienten der zu g ij inversen Matrix. Die Funktion<br />

scal heißt die Skalarkrümmung von (M, g).<br />

201


Ist speziell g die erste Fundamentalform einer Flä<strong>ch</strong>e M ⊆ R 3 , dann zeigt Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(12.7.5) für die Gaußkrümmung K, dass der Riccitensor Ric = Kg ist und scal =<br />

2K.<br />

Lemma. (a) Für die kovariante Ableitung des Riccitensors gilt<br />

R ij, j = 1 2 scal ,i. (20.3.4)<br />

(b) Ist Ric = ϱ g mit einer Funktion ϱ auf M, dann gilt scal = nϱ. Ist außerdem<br />

die Dimension n ≥ 3 und ist M zusammenhängend, dann ist ϱ konstant.<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken g, für die Ric = ϱ g gilt mit einer Konstanten ϱ, heißen Einsteinmetriken.<br />

Es ist ni<strong>ch</strong>t bekannt, ob auf jeder differenzierbaren Mannigfaltigkeit<br />

der Dimension ≥ 5 sol<strong>ch</strong>e Metriken existieren.<br />

Beweis. Die zweite Bian<strong>ch</strong>i–Identität 20.1(e) lautet in lokalen Koordinaten<br />

Man erhält<br />

R ijk<br />

m ,l + R jlk<br />

m ,i + R lik<br />

m ,j = 0.<br />

scal ,l = g jk R jk,l<br />

und damit (a). Ist Ric = ϱ g, dann gilt<br />

= g jk R ijk<br />

i<br />

,l<br />

= −g jk (R jlk<br />

i ,i + R lik<br />

i ,j )<br />

= −g jk g im (R jlkm,i + R likm,j )<br />

= g jk g im (R jlmk,i + R ilkm,j )<br />

= g im R lm,i + g jk R lk,j<br />

= 2R lk,<br />

k<br />

scal = g jk R jk = g jk ϱ g jk = nϱ.<br />

Daraus folgt scal ,i = n ϱ ,i . Andererseits impliziert (a)<br />

scal ,i = 2R ij , j = 2g kj R ij,k = 2g kj ϱ ,k g ij<br />

= 2ϱ ,i .<br />

Insgesamt folgt (n − 2)ϱ ,i = 0, und daraus dϱ = 0, falls n ≥ 3 ist. Also ist ϱ<br />

konstant. QED<br />

20.4. Kommentar: Gravitation. Eine Pseudo–Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf einer<br />

Mannigfaltigkeit M ist ein differenzierbares (2, 0)–Tensorfeld g mit der Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dass für jeden Punkt p ∈ M die Bilinearform g(p) auf T p M symmetris<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>t<br />

202


ausgeartet und von konstantem Index ist. Dabei ist der Index einer symmetris<strong>ch</strong>en<br />

Bilinearform die maximale Dimension eines Untervektorraumes, auf dem sie negativ<br />

definit ist. Pseudo–Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken vom Index Null sind also Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metriken, und sol<strong>ch</strong>e vom Index 1 nennt man Lorentzmetriken. Pseudo–<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten (M, g) sind differenzierbare Mannigfaltigkeiten mit<br />

einer pseudo–Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik, und sol<strong>ch</strong>e mit einer Lorentzmetrik nennt man<br />

Lorentzmannigfaltigkeiten. Wie in 14.9 ist jeder Pseudo–Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g<br />

ein eindeutig bestimmter torsionsfreier Zusammenhang mit ∇g = 0 zugeordnet, der<br />

Levi–Civita–Zusammenhang von g.<br />

Die allgemeine Relativitätstheorie bes<strong>ch</strong>reibt das Universum, genauer die Raumzeit,<br />

als eine zusammenhängende, vierdimensionale Lorentzmannigfaltigkeit (M, g).<br />

Frei im “Gravitationsfeld” fallende Partikel bewegen si<strong>ch</strong> auf Weltlinien in M, die<br />

zeitartige Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇ sind—das sind Geodätis<strong>ch</strong>e c mit g(ċ, ċ) < 0. Diese<br />

Weltlinien—etwa von Satelliten in einer Erdumlaufbahn —sind also “Geraden” im<br />

Sinne der Lorentzgeometrie.<br />

Die Lorentzmetrik hängt mit dem sogenannten Energie–Impulstensor T dur<strong>ch</strong> die<br />

Einsteins<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

Ric − 1 scal · g = 8πT (20.4.1)<br />

2<br />

zusammen. Im leeren Raum (oder weit entfernt von Materie) ist insbesondere T = 0,<br />

und der Verglei<strong>ch</strong> mit Teil (b) des Lemmas in 20.3 liefert Ric = 0. Teil (a) dieses<br />

Lemmas liefert<br />

T ij, j = 0.<br />

eine Aussage, die si<strong>ch</strong> als Energieerhaltungssatz interpretieren lässt.<br />

20.5. S<strong>ch</strong>nittkrümmung. Sei E ≤ T p M ein zweidimensionaler Untervektorraum<br />

des Tangentialraumes in p. Bilden X, Y ∈ T p M eine Basis von E, dann hängt die<br />

Zahl<br />

〈R(X, Y ), Y, X〉<br />

K(E) := K(X, Y ) :=<br />

‖X‖ 2 ‖Y ‖ 2 (20.5.1)<br />

− 〈X, Y 〉 2<br />

nur von E, ni<strong>ch</strong>t von der Wahl der Basis ab. Man verifiziert das ohne S<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />

mit Hilfe der Krümmungsidentitäten aus Abs<strong>ch</strong>nitt 20.1. Die Funktion E ↦→ K(E)<br />

heißt die S<strong>ch</strong>nittkrümmung der Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit (M, g). Sie hat als<br />

Definitionsberei<strong>ch</strong> die Menge Gr 2 (T M) der zweidimensionalen Untervektorräume<br />

aller Tangentialräume T p M, die man au<strong>ch</strong> als (ein) Grassmannbündel über M bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Man kann zeigen (Aufgabe 7), dass diese Menge Gr 2 (T M) die Struktur<br />

eines differenzierbaren Faserbündels über M trägt.<br />

Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, für die K konstant ist, heißt ein Raum konstanter<br />

Krümmung.<br />

Bemerkungen. (a) Im Nenner von (20.5.1) steht das Quadrat des Flä<strong>ch</strong>eninhalts<br />

des von X und Y aufgespannten Parallelogramms.<br />

203


(b) Der Verglei<strong>ch</strong> mit (12.7.5) zeigt, dass für Flä<strong>ch</strong>en M ⊆ R 3 und E = T p M die<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmung K(E) der ersten Fundamentalform mit der Gaußkrümmung im<br />

Punkt p übereinstimmt.<br />

(c) Riccikrümmung und Skalarkrümmung lassen si<strong>ch</strong> (abgesehen von einem Faktor)<br />

als gemittelte S<strong>ch</strong>nittkrümmungen deuten. Ist nämli<strong>ch</strong> e 1 , . . . , e n eine Orthonormalbasis<br />

von T p M, dann gelten offenbar<br />

Ric(e j , e j ) =<br />

scal(p) =<br />

∑<br />

k=1,...,n<br />

∑<br />

j=1,...,n<br />

〈R(e k , e j )e j , e k 〉 =<br />

Ric(e j , e j ) =<br />

∑<br />

j,k=1...,n<br />

k≠j<br />

∑<br />

k=1,...,n<br />

k≠j<br />

K(e k , e j )<br />

K(e j , e k ).<br />

(20.5.2)<br />

Proposition. (S<strong>ch</strong>nittkrümmung bestimmt R). Für alle Vektorfelder X, Y, Z, W ∈<br />

V(M) gilt<br />

〈R(X, Y )Y, Z〉 = 1 4<br />

(<br />

〈R(X+Z, Y )Y, X+Z〉 − 〈R(X−Z, Y )Y, X−Z〉<br />

)<br />

〈R(X, Y )Z, W 〉 = 1 6(<br />

〈R(X, Y +Z)(Y +Z), W 〉 − 〈R(X, Y −Z)(Y −Z), W 〉<br />

− 〈R(Y, X+Z)(X+Z), W 〉 + 〈R(Y, X−Z)(X−Z), W 〉 ) .<br />

Insbesondere ist der Krümmungstensor R in jedem Punkt dur<strong>ch</strong> das Skalarprodukt<br />

g = 〈 , 〉 und die Funktion (X, Y ) ↦→ K(X, Y ) bestimmt. Die Metrik ist genau dann<br />

fla<strong>ch</strong>, wenn ihre S<strong>ch</strong>nittkrümmung vers<strong>ch</strong>windet.<br />

Beweis. Beide Glei<strong>ch</strong>ungen ergeben si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>nung. Dabei werden<br />

nur die Multilinearität von 〈R(X, Y, )Z, W 〉 und die Krümmungsidentitäten<br />

(a)–(d) aus Abs<strong>ch</strong>nitt 20.1 verwendet. Zum Na<strong>ch</strong>weis von (b) verwenden wir die<br />

Kurzs<strong>ch</strong>reibweise XY ZW = 〈R(X, Y )Z, W 〉. Mit der Linearität in jeder der Variablen<br />

und den Krümmungsidentitäten aus 20.1 ergibt si<strong>ch</strong><br />

X(Y +Z)(Y +Z)W − X(Y −Z)(Y −Z)W<br />

−Y (X+Z)(X+Z)W + Y (X−Z)(X−Z)W<br />

wie behauptet. QED<br />

= X(Y Y +ZY +Y Z+ZZ)W − X(Y Y −ZY −Y Z+ZZ)W<br />

− Y (XX+ZX+XZ+ZZ)W + Y (XX−ZX−XZ+ZZ)W<br />

= 2(XZY W + XY ZW − Y ZXW − Y XZW )<br />

= 2(XZY W + XY ZW + ZY XW + XY ZW )<br />

= 2(−Y XZW + 2XY ZW ) (Bian<strong>ch</strong>i–Identität)<br />

= 6 XY ZW,<br />

204


20.6. Der Satz von S<strong>ch</strong>ur.<br />

Lemma. Sei p ∈ M. Wenn alle Ebenen E ≤ T p M im Punkt p dieselbe S<strong>ch</strong>nittkrümmung<br />

K(E) =: κ(p) haben, dann gilt für alle X, Y, Z ∈ T p M<br />

R(X, Y )Z = κ(p) ( 〈Y, Z〉X − 〈X, Z〉Y ) . (20.6.1)<br />

Glei<strong>ch</strong>ung (20.6.1) gilt insbesondere für alle zweidimensionalen Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten<br />

und für Räume konstanter (S<strong>ch</strong>nitt-)Krümmung K. Speziell für Basisfelder<br />

X = ∂ i , Y = ∂ j und Z = ∂ k einer Karte ergibt si<strong>ch</strong> daraus<br />

R ijk l = κ(g jk δ i l − g ik δ j l ). (20.6.2)<br />

Beweis. Wir definieren eine trilineare Abbildung S : T p M × T p M × T p M → T p M<br />

dur<strong>ch</strong> die re<strong>ch</strong>te Seite von (20.6.1), also dur<strong>ch</strong><br />

S(X, Y, Z) = κ(p)(〈Y, Z〉X − 〈X, Z〉Y ).<br />

Dann erfüllt S die Krümmungsidentitäten (a)–(d) aus Abs<strong>ch</strong>nitt 20.1, und man<br />

verifiziert, dass für alle X, Y ∈ T p M gilt<br />

〈R(X, Y )Y, X〉 = 〈S(X, Y, Y ), X〉.<br />

Der Beweis der Proposition in 20.5, in dem nur die genannten Krümmungsidentitäten<br />

verwendet wurden, zeigt nun, dass für alle W ∈ T p M gilt<br />

Die Behauptung folgt. QED<br />

〈R(X, Y )Z, W 〉 = 〈S(X, Y, Z), W 〉.<br />

Satz von S<strong>ch</strong>ur. Sei M zusammenhängend und von der Dimension n ≥ 3. Wenn<br />

es eine Funktion κ auf M gibt mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für jeden Punkt p ∈ M<br />

alle Ebenen E ≤ T p M dieselbe S<strong>ch</strong>nittkrümmung K(E) = κ(p) haben, dann ist κ<br />

konstant. Also ist (M, g) ein Raum konstanter Krümmung.<br />

Hängt also die S<strong>ch</strong>nittkrümmung K(E) nur vom Fußpunkt p von E ab, dann ist sie<br />

überhaupt konstant. Die Aussage ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> für n = 2.<br />

Beweis. Wegen des Lemmas gilt für den Riccitensor<br />

R jk = R ijk<br />

i<br />

= κ(g jk δ i i − g ik δ j i )<br />

= κ(ng jk − g jk )<br />

= κ (n − 1)g jk ,<br />

205


also Ric = κ(n − 1)g. Die Behauptung folgt aus dem Lemma in Abs<strong>ch</strong>nitt 20.3.<br />

QED<br />

20.7. Zweite Fundamentalform von Untermannigfaltigkeiten. Sei M ⊆<br />

¯M eine Untermannigfaltigkeit der Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit ( ¯M, ḡ), und sei<br />

ι M : M → ¯M die Inklusionsabbildung. Dann ist der Pullback g = ι ∗ M h die auf<br />

M induzierte Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik. Für die Levi–Civita–Zusammenhänge ∇ und ¯∇<br />

von g und ḡ gilt na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 14.10<br />

∇ X Y = Π ◦ ¯∇ X Y<br />

wobei X und Y Vektorfelder auf M sind und π die faserweise orthogonale Projektion<br />

T ¯M| M → T M bezei<strong>ch</strong>net. Sei<br />

V ⊥ (M) = { Z ∈ C ∞ (M, T ¯M) | Z(p) ∈ (T p M) ⊥ für alle p ∈ M }<br />

die Menge der differenzierbaren Normalenfelder auf M. Die zweite Fundamentalform<br />

von M in ¯M ist die dur<strong>ch</strong><br />

definierte Abbildung<br />

s(X, Y ) = ( ¯∇ X Y ) ⊥ (20.7.1)<br />

s : V(M) × V(M) → V ⊥ (M).<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net X ⊥ = X − Π(X) die zu T M orthogonale Komponente eines<br />

Vektors X. Für Vektorfelder X, Y ∈ V(M) auf M gilt also<br />

¯∇ X Y = ∇ X Y + s(X, Y ). (20.7.2)<br />

Lemma. (a) Die zweite Fundamentalform ist symmetris<strong>ch</strong>, es gilt also s(X, Y ) =<br />

s(Y, X) für alle X, Y ∈ V(M).<br />

(b) Die Abbildung s ist bilinear über C ∞ (M). Insbesondere hängt für p ∈ M der<br />

Wert s(X, Y )(p) nur von X(p) und Y (p) ab, und man erhält eine symmetris<strong>ch</strong>e<br />

bilineare Abbildung<br />

s(p) : T p M × T p M → (T p M) ⊥ .<br />

Beweis. Die Symmetrie von s folgt aus der Torsionsfreiheit von ¯∇ und aus (14.10.2)<br />

wegen<br />

s(X, Y ) − s(Y, X) = ( ¯∇ X Y − ¯∇ Y X) ⊥<br />

= ( ¯T (X, Y ) + [X, Y ]) ⊥<br />

= 0.<br />

Die Bilinearität in (b) ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, und die letzte Aussage ergibt si<strong>ch</strong> mit<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 6.7. QED<br />

206


Eine Untermannigfaltigkeit M ⊆ ¯M heißt total geodätis<strong>ch</strong> im Punkt p ∈ M, wenn<br />

ihre zweite Fundamentalform in p vers<strong>ch</strong>windet, wenn also s(p) = 0 ist. Sie heißt<br />

total geodätis<strong>ch</strong>, wenn sie in jedem ihrer Punkte total geodätis<strong>ch</strong> ist.<br />

Lemma. Jede Geodätis<strong>ch</strong>e von ¯M, deren Bild in M enthalten ist, ist eine Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

von M. Die Untermannigfaltigkeit M ⊆ ¯M ist genau dann total geodätis<strong>ch</strong>,<br />

wenn jede Geodätis<strong>ch</strong>e in M au<strong>ch</strong> Geodätis<strong>ch</strong>e in ¯M ist.<br />

Beweis. Wegen der Eindeutigkeitsaussage in Satz 15.1 gilt für die kovarianten<br />

Ableitungen längs Kurven c in M<br />

¯∇ċ<br />

dt = ∇ċ + s(ċ, ċ). (20.7.3)<br />

dt<br />

Dabei ist ∇ċ/dt tangentiell an M und s(ċ, ċ) orthogonal zu M. Ist ¯∇ċ/dt = 0,<br />

dann folgt insbesondere ∇ċ/dt = 0 und s(ċ, ċ) = 0. Die zweite Aussage folgt ohne<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten. QED<br />

20.8. Krümmung von Untermannigfaltigkeiten. Sei weiterhin M ⊆ ¯M eine<br />

Untermannigfaltigkeit, und seien R und ¯R die Krümmungstensoren von M und ¯M.<br />

Für Vektorfelder X, Y, Z, W ∈ V(M) gilt na<strong>ch</strong> (20.7.2)<br />

und damit<br />

¯R(X, Y )Z = ¯∇ X ¯∇Y Z − ¯∇ Y ¯∇X Z − ¯∇ [X,Y ] Z<br />

= ¯∇ X (∇ Y Z + s(Y, Z)) − ¯∇ Y (∇ X Z + s(X, Z))<br />

− ∇ [X,Y ] Z − s([X, Y ]), Z)<br />

= ∇ X ∇ Y Z + s(X, ∇ Y Z) + ¯∇ X (s(Y, Z)<br />

− ∇ Y ∇ X Z − s(Y, ∇ X Z) − ¯∇ Y (s(X, Z))<br />

− ∇ [X,Y ] Z − s([X, Y ], Z)<br />

¯R(X, Y )Z = R(X, Y )Z + ¯∇ X (s(Y, Z)) − ¯∇ Y (s(X, Z)) (20.8.1)<br />

Das Skalarprodukt mit W ergibt wegen<br />

die Gaußglei<strong>ch</strong>ung<br />

+ s(X, ∇ Y Z) − s(Y, ∇ X Z) − s([X, Y ], Z).<br />

〈 ¯∇ X (s(Y, Z)), W 〉 = X〈s(Y, Z), W 〉 − 〈s(Y, Z), ¯∇ X W 〉<br />

= −〈s(Y, Z), ( ¯∇ X W ) ⊥ 〉<br />

= −〈s(Y, Z), s(X, W )〉<br />

〈R(X, Y )Z, W 〉 = 〈 ¯R(X, Y )Z, W 〉<br />

+ 〈s(Y, Z), s(X, W )〉 − 〈s(X, Z), s(Y, W )〉.<br />

(20.8.2)<br />

207


Setzt man speziell X = W und Y = Z, dann ergibt si<strong>ch</strong> die Gaußglei<strong>ch</strong>ung für die<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmungen von M und ¯M<br />

K(X, Y ) = ¯K(X, Y ) +<br />

〈s(X, X), s(Y, Y )〉 − ‖s(X, Y )‖2<br />

‖X‖ 2 ‖Y ‖ 2 − 〈X, Y 〉 2 . (20.8.3)<br />

Im Spezialfall einer Flä<strong>ch</strong>e M im R 3 ist ¯K = 0, und (20.8.3) reduziert si<strong>ch</strong> auf die<br />

in Abs<strong>ch</strong>nitt 12.4 gegebene Glei<strong>ch</strong>ung für die Gaußkrümmung.<br />

Riemanns Deutung der S<strong>ch</strong>nittkrümmung. Sei E ⊆ T p M ein zweidimensionaler<br />

Unterraum. Dann ist für Radien ϱ ≤ inj(p) das Bild M E := exp(E ∩ B p (0, ϱ))<br />

eine Untermannigfaltigkeit von M, deren Tangentialraum im Punkt p mit der Ebene<br />

E übereinstimmt. Wählt man Normalkoordinaten für M mit Zentrum p so, dass<br />

E von den Basisvektoren ∂ 1 und ∂ 2 aufgespannt wird, so ist für i, j ∈ {1, 2} wegen<br />

Γ ij k (p) = 0 die zweite Fundamentalform<br />

s(∂ i | p , ∂ j | p ) = (∇ ∂i ∂ j ) ⊥ (p) = 0.<br />

Die Untermannigfaltigkeit M E ist also im Punkt p total geodätis<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> (20.8.3)<br />

stimmt daher die S<strong>ch</strong>nittkrümmung K(E) mit der S<strong>ch</strong>nittkrümmung der Flä<strong>ch</strong>e<br />

M E im Punkt p überein.<br />

“Um dem Krümmungsmass einer nfa<strong>ch</strong> ausgedehnten Mannigfaltigkeit<br />

in einem gegebenen Punkte und einer gegebenen dur<strong>ch</strong> ihn gelegten<br />

Flä<strong>ch</strong>enri<strong>ch</strong>tung eine greifbare Bedeutung zu geben, muss man davon<br />

ausgehen, dass eine von einem Punkte ausgehende kürzeste Linie völlig<br />

bestimmt ist, wenn ihre Anfangsri<strong>ch</strong>tung gegeben ist. Hiena<strong>ch</strong> wird<br />

man eine bestimmte Flä<strong>ch</strong>e erhalten, wenn man sämmtli<strong>ch</strong>e von dem<br />

gegebenen Punkte ausgehenden und in dem gegebenen Flä<strong>ch</strong>enelement<br />

liegenden Anfangsri<strong>ch</strong>tungen zu kürzesten Linien verlängert, und diese<br />

Flä<strong>ch</strong>e hat in dem gegebenen Punkte ein bestimmtes Krümmungsmass,<br />

wel<strong>ch</strong>es zuglei<strong>ch</strong> das Krümmungsmass der nfa<strong>ch</strong> ausgedehnten Mannigfaltigkeit<br />

in dem gegebenen Punkte und der gegebenen Flä<strong>ch</strong>enri<strong>ch</strong>tung<br />

ist.”<br />

Bernhard Riemann, “Über die Hypothesen, wel<strong>ch</strong>e der Geometrie zugrunde<br />

liegen”, vorgetragen in Göttingen am 10. Juni 1854.<br />

20.9. Hyperflä<strong>ch</strong>en. Sei nun speziell n = dim(M) = dim( ¯M) − 1. Wir nehmen<br />

an, dass es auf M ein Einheitsnormalenfeld ν gibt—sollte das ni<strong>ch</strong>t der Fall sein,<br />

dann gehen wir zu einer offenen Teilmenge von M über, auf der ein sol<strong>ch</strong>es Feld<br />

existiert. Wir definieren eine Abbildung II : V(M) × V(M) → C ∞ (M) dur<strong>ch</strong><br />

s(X, Y ) = II(X, Y ) ν. (20.9.1)<br />

208


Dann ist<br />

II(X, Y ) = 〈s(X, Y ), ν〉 = 〈 ( ¯∇ X Y ) ⊥ , ν〉 = 〈 ¯∇ X Y, ν〉<br />

= X〈Y, ν〉 − 〈Y, ¯∇ X ν〉<br />

= −〈Y, ¯∇ X ν〉<br />

Mit der Weingartenabbildung L : T M → T M, die dur<strong>ch</strong><br />

definiert ist, gilt also<br />

L(X) = − ¯∇ X ν (20.9.2)<br />

II(X, Y ) = 〈LX, Y 〉. (20.9.3)<br />

Der Verglei<strong>ch</strong> mit Abs<strong>ch</strong>nitt 15.4 zeigt, dass II im Fall von Flä<strong>ch</strong>en im R 3 mit der<br />

dort definierten zweiten Fundamentalform übereinstimmt. Wegen der Symmetrie<br />

von II ist die Weingartenabbildung L p := L| TpM selbstadjungiert bezügli<strong>ch</strong> g(p),<br />

also reell diagonalisierbar. Die Eigenwerte κ 1 (p), . . . , κ n (p) von L p nennt man die<br />

Hauptkrümmungen von M ⊆ ¯M im Punkt p.<br />

20.10. Hyperflä<strong>ch</strong>en im R n+1 . Wir gehen no<strong>ch</strong> etwas näher auf den Fall von<br />

Hyperflä<strong>ch</strong>en im R n+1 ein. In diesem Fall ist die S<strong>ch</strong>nittkrümmung ¯K = 0, und<br />

daher na<strong>ch</strong> der Gaußglei<strong>ch</strong>ung (20.8.3)<br />

K(X, Y ) =<br />

II(X, X) II(Y, Y ) − II(X, Y )2<br />

‖X‖ 2 ‖Y ‖ 2 − 〈X, Y 〉 2 (20.10.1)<br />

in Übereinstimmung mit Abs<strong>ch</strong>nitt 12.4. Außerdem ist der Krümmungstensor ¯R =<br />

0, also na<strong>ch</strong> (20.8.1)<br />

0 = ¯R(X, Y )Z<br />

= R(X, Y )Z + X(II(Y, Z)) ν + II(Y, Z) ¯∇ X ν<br />

− Y (II(X, Z)) ν + II(X, Z) ¯∇ Y ν<br />

+ II(X, ∇ Y Z) ν − II(Y, ∇ X Z) ν − II([X, Y ], Z) ν.<br />

Der an M tangentielle und der zu M normale Anteil der re<strong>ch</strong>ten Seite müssen beide<br />

vers<strong>ch</strong>winden. Für den tangentiellen Teil ergibt si<strong>ch</strong> mit ¯∇ X ν = −LX die Glei<strong>ch</strong>ung<br />

von Gauß<br />

R(X, Y )Z = 〈LY, Z〉LX − 〈LX, Z〉LY. (20.10.2)<br />

Der normale Anteil liefert wegen<br />

X(II(Y, Z)) = (∇ X II)(Y, Z) + II(∇ X Y, Z) + II(Y, ∇ X Z)<br />

und wegen T (X, Y ) = 0 die Codazzi–Mainardi–Glei<strong>ch</strong>ung<br />

(∇ X II)(Y, Z) − (∇ Y II)(X, Z) = 0. (20.10.3)<br />

209


Im Fall n = 2 spezialisieren si<strong>ch</strong> (20.10.2) und (20.10.3) auf die Glei<strong>ch</strong>ungen (12.7.1)<br />

und (12.7.2) für Flä<strong>ch</strong>en.<br />

Beispiel: Sphären. Wit betra<strong>ch</strong>ten die Sphäre M = S n r ⊆ R n+1 vom Radius r<br />

um den Ursprung,<br />

S n r = { x ∈ Rn+1 | (x 1 ) 2 + . . . + (x n+1 ) 2 = r 2 }<br />

mit der von R n+1 induzierten Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik g, also der ersten Fundamentalform.<br />

Sei ν die äußere Normale, und sei X ∈ T p S n r . Dann gilt na<strong>ch</strong> Definition<br />

des Standardzusammenhangs ¯∇ von R n+1<br />

Sei c(t) eine Kurve in S n r<br />

¯∇ X ν = ∑ n+1<br />

i=1 X(νi ) ∂<br />

∂x i .<br />

mit ċ(0) = X. Für i = 1, . . . , n + 1 ist dann<br />

ν i (c(t)) = 1 r ci (t),<br />

weil der Ortsvektor eines Punktes p ∈ Sr<br />

n senkre<strong>ch</strong>t auf dem Tangentialraum T pSr<br />

n<br />

steht. Damit ist<br />

LX = − ¯∇ X ν = d ∣ dt ∣ ν i ∂ ∣∣∣p<br />

(c(t))<br />

0<br />

∂x i = 1 r ċ(0) = 1 r X.<br />

Für den Krümmungstensor von S n r<br />

ergibt (20.10.2) nun<br />

R(X, Y )Z = 1 r 2 (<br />

〈Y, Z〉X − 〈X, Z〉Y<br />

)<br />

,<br />

und die S<strong>ch</strong>nittkrümmung ist konstant K = 1/r 2 .<br />

Aufgaben<br />

1. Bian<strong>ch</strong>i–Identität. Geben Sie direkte Beweise der beiden Bian<strong>ch</strong>i–Identitäten<br />

20.1(d)(e) ohne Einführung lokaler Koordinaten. Wie lauten die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Beziehungen für Zusammenhänge mit Torsion?<br />

2. Isometrien. Zeigen Sie, dass Isometrien f : M → M ′ Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten<br />

deren S<strong>ch</strong>nittkrümmungsfunktionen ineinander abbilden, dass also gilt<br />

K M ′ ◦ f ∗ = K M , wenn f ∗ die auf den Grassmannbündeln induzierte Abbildung<br />

bezei<strong>ch</strong>net. Verifizieren Sie die entspre<strong>ch</strong>ende Aussage für die zweiten Fundamentalformen<br />

von Untermannigfaltigkeiten N ⊆ M und f(N) ⊆ M ′ .<br />

210


3. Fixpunktmengen von Isometrien. Sei f eine Isometrie einer Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit (M, g), und sei<br />

M f = {p ∈ M | f(p) = p}<br />

die Menge ihrer Fixpunkte. Zeigen Sie, dass jede Zusammenhangskomponente<br />

von M f eine total geodätis<strong>ch</strong>e Untermannigfaltigkeit von (M, g) ist mit Tangentialräumen<br />

T p M f = {X ∈ T p M | (T p f)X = X} = Kern(T p f − id).<br />

Hinweis: Ist p ∈ M f und ist U ⊆ T p M ein Ball um den Ursprung, der dur<strong>ch</strong> exp p<br />

diffeomorph auf eine offene Teilmenge V von M abgebildet wird, dann ist<br />

f| V = exp p ◦T p f ◦ (exp p | U ) −1 .<br />

In Normalkoordinaten mit Zentrum p ist f also dur<strong>ch</strong> die lineare Abbildung T p f<br />

gegeben.<br />

4. Hyperbolis<strong>ch</strong>er Raum. Das Ballmodell des n–dimensionalen hyperbolis<strong>ch</strong>en<br />

Raumes ist die Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit (D n , g), wobei D n = {x ∈ R n | |x| <<br />

1} der Einheitsball im R n ist und<br />

2 ∑<br />

n<br />

g(x) =<br />

1 − |x| 2 dx i ⊗ dx i .<br />

Dabei ist |x| = ( ∑ n<br />

i=1 (xi ) 2) 1/2<br />

die euklidis<strong>ch</strong>e Norm. Zeigen Sie, dass (D n , g) eine<br />

vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit konstanter Krümmung K = −1 ist.<br />

5. Synge–Unglei<strong>ch</strong>ung. Sei M ⊆ ¯M eine Untermannigfaltigkeit der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit ( ¯M, ḡ), versehen mit der induzierten Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik.<br />

Sei c : I → ¯M eine Geodätis<strong>ch</strong>e, deren Bild in M liegt. Zeigen Sie, dass für die<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmungen von Ebenen E ⊆ T c(t) M ⊆ T c(t) ¯M mit ċ(t) ∈ E gilt<br />

i=1<br />

K(E) ≤ ¯K(E).<br />

6. Grassmannmannigfaltigkeiten. Die Menge aller k–Tupel linear unabhängiger<br />

Vektoren im R n nennt man die Stiefelmannigfaltigkeit V k,n . Sie kann offenbar<br />

mit einer offenen Teilmenge des Raumes der reellen n×k–Matrizen identifiziert werden.<br />

Die Menge aller k–dimensionalen Untervektorräume des R n heißt die Grassmannmannigfaltigkeit<br />

Gr k,n . Man hat eine Abbildung σ : V k,n → Gr k,n , die jedem<br />

k–Tupel seinen Spann zuordnet. Wir versehen die Grassmannmannigfaltigkeit mit<br />

der Quotiententopologie zu dieser Abbildung. Zeigen Sie: Auf Gr k,n existiert genau<br />

eine C ∞ –Struktur, für die σ eine Submersion ist.<br />

7. Grassmannbündel. Sei M eine n–dimesnsionale differenzierbare Mannigfaltigkeit.<br />

Zeigen Sie, dass die Menge Gr k (T M) der k–dimensionalen Untervektorräume<br />

aller Tangentialräume T p M die Struktur eines differenzierbaren Faserbündels über<br />

M trägt, dessen Faser die Grassmannmannigfaltigkeit Gr k,n ist.<br />

211


21. Zweite Variation der Bogenlänge<br />

Um festzustellen, ob eine Geodätis<strong>ch</strong>e c = c 0 einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

unter den Kurven einer Variation c s = H(s, ·) die Bogenlänge L(c s ) minimiert,<br />

kann man die zweite Ableitung der Funktion L(c s ) an der Stelle s = 0 untersu<strong>ch</strong>en.<br />

Diese Ableitung ist dur<strong>ch</strong> die zweite Variationsformel gegeben, die wir im<br />

ersten Abs<strong>ch</strong>nitt des Kapitel behandeln. In diese Formel geht der Krümmungstensor<br />

in Gestalt der S<strong>ch</strong>nittkrümmung ein. Wir verwenden diesen Umstand, um<br />

für Mannigfaltigkeiten mit positiv definitem Riccitensor eine Beziehung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Krümmung und Dur<strong>ch</strong>messer herzuleiten, den Satz von Bonnet und Myers. Ans<strong>ch</strong>ließend<br />

gehen wir auf eine wi<strong>ch</strong>tige Klasse von Beispielen positiv gekrümmter<br />

Riemanns<strong>ch</strong>er Metriken ein, die biinvarianten Metriken auf Liegruppen.<br />

In diesem Kapitel ist (M n , g) eine n–dimensionale Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit<br />

und ∇ ihr Levi–Civita–Zusammenhang.<br />

21.1. Zweite Variationsformel. Sei c : [a, b] → M eine proportional zur Bogenlänge<br />

parametrisierte, ni<strong>ch</strong>tkonstante differenzierbare Kurve. Sei weiter H ∈<br />

C ∞ ((−ε, ε) × [a, b], M), (s, t) ↦→ H(s, t) eine Variation von c, also H(0, t) = c(t) für<br />

alle t ∈ [a, b]. Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 18.1 gilt für die Länge der Kurven c s (t) = H(s, t) die<br />

erste Variationsformel<br />

d<br />

ds∣ L(c s ) = 1 (〈V, ċ〉 ∣ ∫ 1<br />

b<br />

0<br />

‖ċ‖<br />

a − 〈V, ∇ċ )<br />

dt 〉 dt . (21.1.1)<br />

Dabei ist V (t) = ∂H/∂s (0, t) das Variationsvektorfeld längs der Kurve c = c 0 .<br />

Wir bere<strong>ch</strong>nen nun die zweite Ableitung d 2 /ds 2∣ ∣<br />

0<br />

L(c s ). Dabei verwenden wir die<br />

abkürzenden S<strong>ch</strong>reibweisen<br />

∂ s H = ∂H<br />

∂s , ∂ tH = ∂H<br />

∂t<br />

0<br />

und<br />

∇ s W = ∇W<br />

∂s , ∇ tW = ∇W<br />

∂t<br />

für Vektorfelder (s, t) ↦→ W (s, t) längs H. Na<strong>ch</strong> (18.1.1) und (16.3.1) gelten<br />

Man bere<strong>ch</strong>net zunä<strong>ch</strong>st<br />

∇ t ∂ s H = ∇ s ∂ t H<br />

∇ s ∇ t W − ∇ t ∇ s W = R(∂ s H, ∂ t H)W.<br />

d<br />

ds L(c s) = d ds<br />

=<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

〈∂ t H, ∂ t H〉 1/2 dt<br />

1<br />

‖∂ t H‖ 〈∇ s∂ t H, ∂ t H〉 dt,<br />

(21.1.2)<br />

Version 30. Juni 2000<br />

212


und damit<br />

d 2<br />

∫ b<br />

ds 2 L(c 1 1<br />

s) = −<br />

‖∂ t H‖ 2 ‖∂ t H‖ 〈∇ s∂ t H, ∂ t H〉 2 dt<br />

+<br />

+<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

1<br />

‖∂ t H‖ 〈∇ s∇ s ∂ t H, ∂ t H〉 dt<br />

1<br />

‖∂ t H‖ 〈∇ s∂ t H, ∇ s ∂ t H〉 dt.<br />

Im ersten und dritten Integral verwenden wir nun die Beziehung ∇ s ∂ t H = ∇ t ∂ s H.<br />

Den zweiten Integranden s<strong>ch</strong>reiben wir wie folgt:<br />

〈∇ s ∇ s ∂ t H, ∂ t H〉 = 〈∇ s ∇ t ∂ s H, ∂ t H〉<br />

= 〈∇ t ∇ s ∂ s H, ∂ t H〉 + 〈R(∂ s H, ∂ t H)∂ s H, ∂ t H〉<br />

= ∂ t 〈∇ s ∂ s H, ∂ t H〉 − 〈∇ s ∂ s H, ∇ t ∂ t H〉<br />

+ 〈R(∂ s H, ∂ t H)∂ s H, ∂ t H〉.<br />

Speziell für s = 0 ist (∂ s H)(0, t) = V (t) und (∂ t H)(0, t) = ċ(t), und da ‖ċ‖ konstant<br />

ist, ergibt si<strong>ch</strong><br />

∣<br />

d 2 ∣∣∣0<br />

ds 2 L(c s ) = − 1 ∫ b<br />

‖ċ‖ 3 〈∇ t V, ċ〉 2 dt<br />

a<br />

+ 1<br />

‖ċ‖ 〈∇ s∂ s H, ċ〉 ∣ (0,b)<br />

(0,a)<br />

− 1<br />

‖ċ‖<br />

+ 1<br />

‖ċ‖<br />

+ 1<br />

‖ċ‖<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

〈∇ s ∂ s H(0, t), ∇ t ċ〉 dt<br />

〈R(V, ċ)V, ċ〉 dt<br />

〈∇ t V, ∇ t V 〉 dt.<br />

(21.1.3)<br />

Bezei<strong>ch</strong>net man die zum Tangentialvektor ċ senkre<strong>ch</strong>te Komponente von V mit V ⊥ ,<br />

also<br />

〈<br />

V ⊥ ċ<br />

〉 ċ<br />

= V − V,<br />

‖ċ‖ ‖ċ‖ , (21.1.4)<br />

dann ist wegen der Krümmungsidentitäten (a) und (b) aus 20.1<br />

〈R(V, ċ)V, ċ〉 = 〈R(V ⊥ , ċ)V ⊥ , ċ〉.<br />

Wir setzen nun zusätzli<strong>ch</strong> voraus, dass c eine Geodätis<strong>ch</strong>e ist. Dann gilt ∇ t ċ = 0,<br />

und (∇ t V ) ⊥ = ∇ t (V ⊥ ) =: ∇ t V ⊥ . Daraus folgt<br />

〈∇ t V, ∇ t V 〉 − 1<br />

‖ċ‖ 2 〈∇ tV, ċ〉 2 = 〈∇ t V ⊥ , ∇ t V ⊥ 〉.<br />

213


Wir erhalten folgenden Satz.<br />

Satz (zweite Variationsformel). Sei H eine differenzierbare Variation der Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

c : [a, b] → M, und sei c s (t) = H(s, t). Dann gilt<br />

∣<br />

d 2 ∣∣∣0<br />

ds 2 L(c s ) = 1<br />

‖ċ‖ 〈∇ ∣<br />

s∂ s H, ċ〉<br />

+ 1<br />

‖ċ‖<br />

∫ b<br />

a<br />

∣ (0,b)<br />

(0,a)<br />

(<br />

〈∇t V ⊥ , ∇ t V ⊥ 〉 − 〈R(V ⊥ , ċ)ċ, V ⊥ 〉 ) dt.<br />

Bemerkungen. (i) Die in dieser Formel auftretenden Randterme vers<strong>ch</strong>winden,<br />

wenn die Kurven s ↦→ H(s, a) und s ↦→ H(s, b) Geodätis<strong>ch</strong>e sind. Das ist insbesondere<br />

bei Variationen mit festen Endpunkten der Fall, also sol<strong>ch</strong>en Variationen, bei<br />

denen diese Kurven konstant sind. Wenn die Randterme vers<strong>ch</strong>winden, dann hängt<br />

d 2 /ds 2 | 0 L(c s ) nur vom Variationsvektorfeld V , ni<strong>ch</strong>t von der Variation H selbst ab.<br />

(ii) Die zweite Variationsformel gilt offenbar unverändert für stückweise differenzierbare<br />

Variationen.<br />

(iii) Variiert man eine Geodätis<strong>ch</strong>e c bei festgehaltenen Endpunkten in eine Ri<strong>ch</strong>tung<br />

ni<strong>ch</strong>tpositiver Krümmung in dem Sinne, dass die S<strong>ch</strong>nittkrümmung K(V ⊥ , ċ)<br />

auf [a, b] ni<strong>ch</strong>tpositiv ist, dann sind für hinrei<strong>ch</strong>end kleine Parameterwerte s die<br />

Na<strong>ch</strong>barkurven c s länger als c. In der Tat vers<strong>ch</strong>windet die erste Ableitung der<br />

Funktion s ↦→ L(c s ) an der Stelle s = 0, und ihre zweite Ableitung ist na<strong>ch</strong> der<br />

zweiten Variationsformel positiv.<br />

21.2. Der Satz von Bonnet und Myers. Der Dur<strong>ch</strong>messer diam(M, g) einer<br />

zusammenhängenden Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit ist definiert als das Supremum<br />

ihrer Abstandsfunktion,<br />

diam(M, g) = sup{d(p, q) | p, q ∈ M}.<br />

Der Satz 19.2 von Hopf und Rinow zeigt, dass jede vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit<br />

mit endli<strong>ch</strong>em Dur<strong>ch</strong>messer kompakt ist. Ungekehrt ist jede kompakte<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit vollständig und hat, wegen der Stetigkeit der Abstandsfunktion,<br />

au<strong>ch</strong> endli<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>messer.<br />

Satz von Bonnet–Myers. Sei (M n , g) vollständig und zusammenhängend. Es<br />

gebe eine Konstante κ > 0 mit der Eigens<strong>ch</strong>aft Ric ≥ (n−1)κ g. Dann ist M<br />

kompakt mit Dur<strong>ch</strong>messer<br />

diam(M, g) ≤ √ π . κ<br />

Bemerkungen. (i) Die Unglei<strong>ch</strong>ung Ric ≥ (n−1)κg soll bedeuten, dass das symmetris<strong>ch</strong>e<br />

Tensorfeld Ric − (n−1)κg überall positiv definit ist. Glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />

214


damit ist die Forderung, dass alle Einheitsvektoren X ∈ T M der Unglei<strong>ch</strong>ung<br />

Ric(X, X) ≥ (n−1)κ genügen. Diese Voraussetzung ist na<strong>ch</strong> (20.5.2) insbesondere<br />

dann erfüllt, wenn für die S<strong>ch</strong>nittkrümmung K ≥ κ gilt.<br />

(ii) Der Beweis des Satzes zeigt, dass man die Voraussetzung der Vollständigkeit<br />

von (M, g) ersetzen kann dur<strong>ch</strong> die Forderung, dass je zwei Punkte in M dur<strong>ch</strong> eine<br />

kürzeste Geodätis<strong>ch</strong>e verbunden werden können. Man verglei<strong>ch</strong>e aber Aufgabe 2.<br />

(iii) Für die Standardsphäre S n κ vom Radius 1/√ κ, also mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung κ, ist<br />

Ric = (n−1)κg und der Dur<strong>ch</strong>messer diam(S n κ ) = π/ √ κ. In diesem Beispiel besteht<br />

also Glei<strong>ch</strong>heit in der Dur<strong>ch</strong>messerabs<strong>ch</strong>ätzung des Satzes von Bonnet–Myers. Der<br />

Starrheitssatz von Cheng (1975) besagt:<br />

Jede kompakte zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit mit Riccikrümmung<br />

Ric ≥ (n−1)κg und Dur<strong>ch</strong>messer diam = π/ √ κ ist isometris<strong>ch</strong> zu S n κ .<br />

Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Bonnet–Myers. Seien p, q ∈ M.<br />

Wir werden zeigen, dass der Abstand d(p, q) ≤ π/ √ κ ist. Sei c : [0, l] → M<br />

eine kürzeste Geodätis<strong>ch</strong>e von p na<strong>ch</strong> q mit ‖ċ‖ = 1. Eine sol<strong>ch</strong>e Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

existiert na<strong>ch</strong> dem Satz von Hopf und Rinow, da die Mannigfaltigkeit als vollständig<br />

vorausgesetzt ist. Dann ist l = L(c) = d(p, q), und wir zeigen, dass l ≤ π/ √ κ gilt.<br />

Seien dazu e 1 , . . . , e n orthonormale parallele Vektorfelder längs c mit e n = ċ, und<br />

sei für j = 1, . . . , n − 1<br />

( πt<br />

)<br />

V j (t) = sin e j (t).<br />

l<br />

Es gilt V j (0) = 0 und V j (l) = 0. Sei H j die Variation H j (s, t) = exp(sV j (t)). Dann<br />

ist ∂H j /∂s(0, t) = V j (t), und die zweite Variationsformel ergibt<br />

d 2<br />

ds 2 ∣ ∣∣∣0<br />

L(H j (s, ·)) =<br />

=<br />

∫ l<br />

0<br />

∫ l<br />

0<br />

(<br />

〈∇t V j , ∇ t V j 〉 − 〈R(V j , ċ)ċ, V j 〉 ) dt<br />

π 2 ( πt<br />

)<br />

l 2 cos2 l<br />

Summation über j = 1, . . . , n − 1 liefert wegen (20.5.2)<br />

n−1<br />

∑<br />

j=1<br />

d 2<br />

ds 2 ∣ ∣∣∣0<br />

L(H j (s, ·)) = (n−1) π2<br />

l 2 ∫ l<br />

0<br />

∫ l<br />

≤ (n−1) π2<br />

l 2<br />

( π<br />

2<br />

= (n−1)<br />

l 2<br />

0<br />

( cos 2 πt<br />

)<br />

dt −<br />

l<br />

( − sin 2 πt<br />

)<br />

K(e j , ċ) dt.<br />

l<br />

∫ l<br />

(<br />

cos 2 πt<br />

)<br />

dt − (n−1)κ<br />

l<br />

− κ<br />

) ∫ l<br />

0<br />

0<br />

(<br />

cos 2 πt<br />

)<br />

dt.<br />

l<br />

( sin 2 πt<br />

)<br />

Ric(ċ, ċ) dt<br />

l<br />

∫ l<br />

0<br />

( sin 2 πt<br />

)<br />

dt<br />

l<br />

Wäre nun l > π/ √ κ, dann wäre die re<strong>ch</strong>te Seite dieser Unglei<strong>ch</strong>ung negativ, und<br />

daher d 2 /ds 2 | 0 L(H j (s, ·)) < 0 für einen Index j. Die entspre<strong>ch</strong>ende Variation H j<br />

215


enthielte dann Kurven von p na<strong>ch</strong> q, die kürzer wären als c, im Widerspru<strong>ch</strong> zur<br />

Wahl von c. QED<br />

Korollar (zum Beweis). Ist die Geodätis<strong>ch</strong>e c : [0, l] → M mit ‖ċ‖ = 1 kürzeste<br />

Verbindung ihrer Endpunkte, also d(c(0), c(l)) = L(c), und erfüllt die Riccikrümmung<br />

entlang c die Unglei<strong>ch</strong>ung Ric(ċ, ċ) ≥ (n−1)κ > 0, dann ist L(c) ≤ π/ √ κ.<br />

21.3. Invariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken auf Liegruppen. Wir verwenden die<br />

Bezei<strong>ch</strong>nungen aus Abs<strong>ch</strong>nitt 17.8. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g auf einer Liegruppe<br />

G heißt linksinvariant, wenn alle Linkstranslationen L a : G → G Isometrien sind,<br />

wenn also für alle a ∈ G gilt L ∗ ag = g. Die Metrik heißt re<strong>ch</strong>tsinvariant, wenn alle<br />

Re<strong>ch</strong>tstranslationen R a : G → G, R a b = ba Isometrien sind, und biinvariant, wenn<br />

sie zuglei<strong>ch</strong> links- und re<strong>ch</strong>tsinvariant ist. Indem man Cau<strong>ch</strong>yfolgen in G betra<strong>ch</strong>tet,<br />

sieht man lei<strong>ch</strong>t ein (Aufgabe 5), dass jede links- oder re<strong>ch</strong>tsinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik auf einer Liegruppe vollständig ist.<br />

Jedes Element a ∈ G induziert einen Gruppenautomorphismus Inn a : G → G,<br />

Inn a b = aba −1 . (21.3.1)<br />

Sol<strong>ch</strong>e Automorphismen bezei<strong>ch</strong>net man als innere Automorphismen von G. Die<br />

adjungierte Darstellung von G ist die Abbildung<br />

Ad : G → GL(T e G),<br />

wel<strong>ch</strong>e jedem Gruppenelement a ∈ G die Ableitung Ad(a) = Ad a der Abbildung<br />

Inn a = L a R a −1 = R a −1L a im neutralen Element zuordnet. Es ist also<br />

Ad a = T e (Inn a )<br />

= T e (L a ◦ R a −1)<br />

= T a −1L a ◦ T e R a −1.<br />

(21.3.2)<br />

Lemma 1. Die Auswertungsabbildung g ↦→ g(e) ist eine Bijektion zwis<strong>ch</strong>en der<br />

Menge der linksinvarianten Riemanns<strong>ch</strong>en Metriken g auf G und der Menge aller<br />

Skalarprodukte auf dem Tangentialraum T e G im neutralen Element. Dabei ist die<br />

linksinvariante Metrik g genau dann biinvariant, wenn das entspre<strong>ch</strong>ende Skalarprodukt<br />

invariant ist unter der adjungierten Darstellung Ad, wenn also für alle a ∈ G<br />

und alle Vektoren X, Y ∈ T e G gilt<br />

g(e)(Ad a X, Ad a Y ) = g(e)(X, Y ).<br />

Beweis. Ist ein Skalarprodukt g(e) auf T e G gegeben, dann erhält man eine linksinvariante<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g auf G dur<strong>ch</strong> die Festlegung g(a) = L ∗ a −1 (g(e)), also<br />

g(a)(X, Y ) = g(e)((T L a −1)X, (T L a −1)Y )<br />

216


für X, Y ∈ T a G. Die dadur<strong>ch</strong> gegebene Abbildung g(e) ↦→ g ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> invers<br />

zur Auswertungsabbildung, so dass die Bijektivität bewiesen ist. Ist die Metrik g<br />

biinvariant, dann zeigt (21.3.2), dass das Skalarprodukt g(e) unter Ad a invariant<br />

ist. Ist umgekehrt g(e) unter Ad a = T e (Inn a ) invariant, dann ist na<strong>ch</strong> Aufgabe 7<br />

jeder Gruppenautomorphismus Inn a eine Isometrie. Wegen R a = L a −1 ◦ Inn a −1 ist<br />

dann jede Re<strong>ch</strong>tsmultiplikation R a eine Isometrie, also g biinvariant. QED<br />

Lemma 2. Ist V ein endli<strong>ch</strong>dimensionaler reeller Vektorraum, und ist H ≤ GL(V )<br />

eine kompakte Untergruppe der Gruppe GL(V ) der Vektorraumautomorphismen von<br />

V , dann gibt es ein Skalarprodukt 〈·, ·〉 auf V , wel<strong>ch</strong>es unter allen Elementen h ∈ H<br />

invariant ist.<br />

Zum Beweis von Lemma 2, den wir hier ledigli<strong>ch</strong> skizzieren, wählt man ein beliebiges<br />

Skalarprodukt 〈·, ·〉 0 auf V und “mittelt” es über die Gruppe H, indem man definiert<br />

∫<br />

〈v, w〉 = 〈hv, hw〉 0 dµ(h).<br />

H<br />

Bei dieser Integration ist ein re<strong>ch</strong>tsinvariantes Maß (ein sogenanntes Haars<strong>ch</strong>es Maß)<br />

µ auf H zu verwenden, auf dessen Definition wir hier ni<strong>ch</strong>t eingehen. † Man erhält<br />

auf diese Weise ein neues Skalarprodukt 〈·, ·〉 auf V , wel<strong>ch</strong>es unter H invariant ist.<br />

In der Tat gilt für k ∈ H<br />

∫<br />

〈kv, kw〉 = 〈hkv, hkw〉 0 dµ(h)<br />

H<br />

∫<br />

= 〈hkv, hkw〉 0 dµ(hk)<br />

H<br />

∫<br />

= 〈hv, hw〉 0 dµ(h)<br />

H<br />

= 〈v, w〉.<br />

Satz. Auf jeder kompakten Liegruppe G existiert eine biinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik. Dasselbe gilt allgemeiner für jede Liegruppe, deren Bild Ad(G) ⊆ GL(T e G)<br />

unter der adjungierten Darstellung kompakt ist.<br />

Beweis. Wir wenden Lemma 2 an mit V = T e G und H = Ad(G). Man erhält<br />

ein Ad(G)–invariantes Skalarprodukt auf T e G, und na<strong>ch</strong> Lemma 1 eine biinvariante<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf G. QED<br />

† Man erhält ein sol<strong>ch</strong>es Maß etwa auf folgende Weise. Ein bekannter Satz über<br />

Liegruppen besagt, dass jede abges<strong>ch</strong>lossene Untergruppe H einer Liegruppe eine<br />

Untermannigfaltigkeit ist. Bezügli<strong>ch</strong> der dadur<strong>ch</strong> gegebenen C ∞ –Struktur ist dann<br />

offenbar H selbst eine Liegruppe. Insbesondere ist unsere kompakte Gruppe H ≤<br />

GL(V ) also eine Liegruppe. Sie hat daher re<strong>ch</strong>tsinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken<br />

(Lemma 1). Als re<strong>ch</strong>tsinvariantes Maß µ nimmt man das in Abs<strong>ch</strong>nitt 10.7 definierte<br />

Lebesgues<strong>ch</strong>e Maß einer sol<strong>ch</strong>en Metrik.<br />

217


Lemma 3. Sei G eine Liegruppe, und sei X ein linksinvariantes Vektorfeld auf G.<br />

Dann gilt für den Fluss φ : R × G → G von X<br />

φ(t, a) = a exp(tX e ).<br />

Dabei ist exp : T e G → G die Exponentialabbildung (des kanonis<strong>ch</strong>en Zusammenhangs)<br />

von G und X e = X(e).<br />

Den Fluss eines linksinvarianten Vektorfeldes erhält man also dur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tsmultiplikation<br />

mit der entspre<strong>ch</strong>enden Einparameteruntergruppe.<br />

Beweis. Es ist<br />

d<br />

dt∣ a exp(tX e ) = (T L a ) d t0<br />

ds∣ exp((t 0 + s)X e )<br />

0<br />

= (T L a ) d ( ds∣ exp(t0 X e ) exp(sX e ) )<br />

0<br />

= (T L a )(T L exp(t0X e)) X e<br />

= X(a exp(t 0 X e )).<br />

Die Kurve t ↦→ a exp(tX e ) ist also eine Integralkurve des Vektorfeldes X dur<strong>ch</strong> den<br />

Punkt a, und stimmt deshalb mit t ↦→ φ(t, a) überein. QED<br />

21.4. Krümmung biinvarianter Metriken. Ein Vektorfeld X ∈ V(M) auf<br />

einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit (M, g) heißt ein Killingfeld (oder eine “infinitesimale<br />

Isometrie”), wenn sein Fluss φ t aus Isometrien besteht, wenn also gilt<br />

L X g = 0 (siehe 7.9 und Aufgabe 2 in Kapitel 10). Sei G eine Liegruppe. Wie in<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 17.8 bezei<strong>ch</strong>nen wir mit G die Liealgebra von G, also die Menge aller<br />

linksinvarianten Vektorfelder.<br />

Lemma. Sei g eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf G.<br />

(a) Die Metrik g ist genau dann linksinvariant, wenn für alle linksinvarianten Vektorfelder<br />

X, Y ∈ G die Funktion g(X, Y ) konstant ist.<br />

(b) Ist g re<strong>ch</strong>tsinvariant, dann sind alle X ∈ G Killingfelder.<br />

Den Beweis von Teil (a) überlassen wir als einfa<strong>ch</strong>e Übungsaufgabe. Teil (b) ergibt<br />

si<strong>ch</strong> sofort aus Lemma 3 im vorhergehenden Abs<strong>ch</strong>nitt. QED<br />

Satz. Sei g eine biinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik mit Levi–Civita–Zusammenhang<br />

∇ auf einer Liegruppe G. Seien weiter X, Y, Z ∈ G, und sei e 1 , . . . , e n ein linksin-<br />

218


variantes orthonormales Repèrefeld auf G. Dann gilt:<br />

(a) ∇ X Y = 1 2 [X, Y ]<br />

(b) R(X, Y )Z = − 1 [[X, Y ], Z]<br />

4<br />

(c) 〈R(X, Y )Y, X〉 = 1 ‖[X, Y ]‖2<br />

4<br />

(d)<br />

n∑<br />

Ric(X, X) = 〈R(e i , X)X, e i 〉 = 1 4<br />

i=1<br />

Insbesondere hat (G, g) S<strong>ch</strong>nittkrümmung K ≥ 0.<br />

Beweis. Aufgrund des Lemmas gilt<br />

n∑<br />

‖[X, e i ]‖ 2 .<br />

i=1<br />

0 = (L X g)(Y, Z)<br />

= Xg(Y, Z) − g([X, Y ], Z) − g(Y, [X, Z])<br />

= −g([X, Y ], Z) − g(Y, [X, Z]).<br />

(21.4.1)<br />

Die lineare Abbildung ad (X) : G → G, ad (X)Y := [X, Y ] ist also für jedes linksinvariante<br />

Vektorfeld X ∈ G antiselbstadjungiert bezügli<strong>ch</strong> g. Die Formel (14.9.2) für<br />

den Levi–Civita–Zusammenhang ergibt nun wegen Lemma (a)<br />

2〈∇ X Y, Z〉 = g([X, Y ], Z) − g([Y, Z], X) + g([Z, X], Y )<br />

= g([X, Y ], Z) + g(X, [Z, Y ]) + g([Z, X], Y )<br />

= g([X, Y ], Z)<br />

und damit (a). Zum Beweis von (b) bere<strong>ch</strong>net man<br />

R(X, Y )Z = ∇ X ∇ Y Z − ∇ Y ∇ X Z − ∇ [X,Y ] Z<br />

= 1 4 [X, [Y, Z]] − 1 4 [Y, [X, Z]] − 1 [[X, Y ], Z]<br />

2<br />

= − 1 4 [[Y, Z], X] − 1 4 [[Z, X], Y ] − 1 [[X, Y ], Z]<br />

2<br />

= − 1 [[X, Y ], Z].<br />

4<br />

Dabei wurde im letzten S<strong>ch</strong>ritt die Jacobi–Identität verwendet. Glei<strong>ch</strong>ung (c) ergibt<br />

si<strong>ch</strong> aus (b) mittels (21.4.1), und (d) folgt unmittelbar aus (c). QED<br />

Das Zentrum einer Liealgebra G ist definiert als<br />

C(G) = {X ∈ G | [X, Y ] = 0 für alle Y ∈ G}. (21.4.2)<br />

219


Korollar. Ist G eine Liegruppe, deren Liealgebra triviales Zentrum C(G) = {0}<br />

hat, dann hat jede biinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf G positive Riccikrümmung<br />

Ric > 0. Zusammenhängende Liegruppen mit C(G) = {0}, auf denen eine biinvariante<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik existiert, sind kompakt.<br />

Beweis. Die erste Behauptung ergibt si<strong>ch</strong> sofort aus Teil (e) des vorhergehenden<br />

Satzes. Die zweite ergibt si<strong>ch</strong> als Folgerung aus dem Satz von Bonnet–Myers. Sei<br />

dazu G zusammenhängend mit C(G) = {0}, und sei g eine biinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik. Dann ist jedenfalls Ric > 0. Da die Einheitssphäre in T e G kompakt ist,<br />

gibt es eine positive Zahl κ dergestalt, dass für alle Einheitsvektoren X ∈ T e G gilt<br />

Ric(X, X) ≥ (n−1)κ. Da mit der Metrik g au<strong>ch</strong> ihr Riccitensor invariant unter<br />

allen Linkstranslationen L a ist, gilt die Beziehung Ric(X, X) ≥ (n−1)κ dann au<strong>ch</strong><br />

für alle Einheitsvektoren X ∈ T a G:<br />

Ric(X, X) = Ric ( (T L a −1)X, (T L a −1)X ) ≥ (n−1)κ.<br />

Damit sind die Voraussetzungen des Satzes von Bonnet und Myers erfüllt, und G<br />

ist kompakt. QED<br />

Anmerkung. Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass biinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken auf Liegruppen<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmung K ≥ 0 gaben, ist deshalb von Interesse, weil nur relativ<br />

wenige Beispiele von Mannigfaltigkeiten bekannt sind, die eine Metrik mit K ≥ 0<br />

zulassen. Vers<strong>ch</strong>ärft man die Bedingung K ≥ 0 weiter zu 1/4 < K ≤ 1, dann<br />

bleiben kaum no<strong>ch</strong> Beispiele übrig: Der Sphärensatz von Rau<strong>ch</strong>, Berger und Klingenberg<br />

besagt, dass einfa<strong>ch</strong> zusammenhängende vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten<br />

M mit<br />

1/4 < K ≤ 1<br />

zur Sphäre homömorph sind. Beispiele–etwa eine kanonis<strong>ch</strong>e Metrik des komplex<br />

projektiven Raumes–zeigen, dass diese Krümmungss<strong>ch</strong>ranken optimal sind. Es ist<br />

aber ni<strong>ch</strong>t bekannt, ob M unter den genannten Voraussetzungen sogar diffeomorph<br />

zur Sphäre mit ihrer übli<strong>ch</strong>en differenzierbaren Struktur sein muss (verglei<strong>ch</strong>e Bemerkung<br />

1.14(b)). Der differenzierbare Sphärensatz von Gromoll, Calabi, Ruh und<br />

anderen besagt, dass das der Fall ist, wenn man die “Pin<strong>ch</strong>ingbedingung” an die<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmung vers<strong>ch</strong>ärft zur δ < K ≤ 1 mit δ = 0.7.<br />

Aufgaben<br />

1. Zweite Variation. Sei (M,g) eine Mannigfaltigkeit ni<strong>ch</strong>tpositiver Krümmung,<br />

und seien c 1 , c 2 : [0, 1] → M zwei Geodätis<strong>ch</strong>e mit c 1 (0) = c 2 (0) und c 1 (1) = c 2 (1).<br />

Zeigen Sie mit Hilfe der zweiten Variationsformel: Sind c 0 und c 1 differenzierbar<br />

homotop (mit festen Endpunkten, siehe Abs<strong>ch</strong>nitt 16.5), dann ist c 0 = c 1 .<br />

2. Bonnet–Myers. Geben Sie ein Beispiel einer zusammenhängenden Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g) mit folgenden Eigens<strong>ch</strong>aften: Je zwei Punkte in M<br />

220


können dur<strong>ch</strong> eine Geodätis<strong>ch</strong>e verbunden werden, die S<strong>ch</strong>nittkrümmung ist konstant<br />

K = 1, und der Dur<strong>ch</strong>messer ist unendli<strong>ch</strong>. Warum widerspre<strong>ch</strong>en diese<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften ni<strong>ch</strong>t der Bemerkung (ii) zum Satz von Bonnet und Myers? Hinweis:<br />

Umwickeln Sie eine Umgebung des Äquators einer Sphäre mit einem unendli<strong>ch</strong> langen<br />

Streifen.<br />

3. Killingfelder. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g). Zeigen Sie, dass folgende Aussagen äquivalent sind.<br />

(a) X ist ein Killingfeld, also L X g = 0.<br />

(b) Das Feld von Endomorphismen ∇X : T p M → T p M, Y ↦→ ∇ Y X ist in jedem<br />

Punkt p ∈ M antiselbstadjungiert bezügli<strong>ch</strong> g(p), also<br />

g(∇ Y X, Z) = −g(Y, ∇ Z X).<br />

(c) In lokalen Koordinaten gilt X i,j = −X j,i .<br />

4. Satz von Clairaut. (a) Sei X ein Killingfeld auf einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g), und sei c eine Geodätis<strong>ch</strong>e in M. Zeigen Sie, dass das Skalarprodukt<br />

t ↦→ g(X(c(t)), ċ(t)) konstant ist.<br />

(b) Sei nun speziell (M, g) eine Drehflä<strong>ch</strong>e im R 3 , versehen mit ihrer ersten Fundamentalform.<br />

Für p ∈ M sei r(p) der Radius des Breitenkreises dur<strong>ch</strong> den Punkt<br />

p. Sei c eine Geodätis<strong>ch</strong>e in M, und sei θ(t) der Winkel zwis<strong>ch</strong>en ċ(t) und dem<br />

Breitenkreis dur<strong>ch</strong> c(t). Zeigen Sie, dass die Funktion t ↦→ r(c(t)) θ(t) konstant ist<br />

(Satz von Clairaut). Hinweis: Breitenkreise sind tangentiell an ein Killingfeld.<br />

5. Linksinvariante Metriken. Zeigen Sie, dass jede linksinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik auf einer Liegruppe vollständig ist.<br />

6. Adjungierte Darstellung. Sei G eine Liegruppe. Zeigen Sie, dass die Ableitung<br />

der Abbildung Ad : G → GL(T e G) im neutralen Element gegeben ist dur<strong>ch</strong><br />

T e Ad : T e G → T e GL(T e G) ∼ = End(T e G)<br />

(T e Ad)X = ad (X) ∈ End(T e G).<br />

Dabei ist der Vektorraumendomorphismus ad (X) definiert dur<strong>ch</strong><br />

ad (X)Y = [X, Y ]<br />

für X, Y ∈ T e G mit der in 17.8 eingeführten Lieklammer auf T e G ∼ = G.<br />

7. Liegruppen. Sei G eine Liegruppe mit einer linksinvarianten Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Metrik g. Zeigen Sie: Ein differenzierbarer Gruppenautomorphismus von G ist<br />

genau dann eine Isometrie von g, wenn seine Ableitung im neutralen Element eine<br />

lineare Isometrie (d.h. orthogonale Abbildung) von T e G bezügli<strong>ch</strong> des Skalarproduktes<br />

g(e) ist.<br />

221


22. Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerungen<br />

Die Krümmungseigens<strong>ch</strong>aften einer vollständigen Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik lassen in<br />

gewissem Umfang Rücks<strong>ch</strong>lüsse auf die topologis<strong>ch</strong>e Struktur der unterliegenden<br />

Mannigfaltigkeit zu. Der Satz von Bonnet–Myers etwa zeigt, dass strikte Positivität<br />

der Riccikrümmung nur auf kompakten Räumen mögli<strong>ch</strong> ist, und der in 21.4<br />

erwähnte Sphärensatz besagt unter der zusätzli<strong>ch</strong>en Voraussetzung des einfa<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhangs von M, dass Riemanns<strong>ch</strong>e Metriken mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung zwis<strong>ch</strong>en<br />

1/4 und 1 nur auf Mannigfaltigkeiten existieren, die homömorph zur Sphäre<br />

sind. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Resultate, die Aussagen über andere<br />

topologis<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften gestatten.<br />

Was aber sind topologis<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften eines Raumes M? Es sind sol<strong>ch</strong>e, die<br />

topologis<strong>ch</strong> äquivalente, d.h. homöomorphe Räumen gemein haben, die also nur<br />

vom Homöomorphietyp von M abhängen. Man spri<strong>ch</strong>t daher au<strong>ch</strong> von topologis<strong>ch</strong>en<br />

“Invarianten”. Kompaktheit ist eine topologis<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aft, aber au<strong>ch</strong><br />

der Homöomorphietyp selbst. Verfahren, sol<strong>ch</strong>e Invarianten zu ermitteln, liefert die<br />

algebrais<strong>ch</strong>e Topologie. Hier werden den Räumen Objekte algebrais<strong>ch</strong>er Natur, etwa<br />

Homologie- und Homotopiegruppen, zugeordnet, die bei homöomorphen Räumen<br />

isomorph sind. Die Isomorphieklasse einer sol<strong>ch</strong>en Gruppe ist also eine topologis<strong>ch</strong>e<br />

Invariante des Raumes.<br />

Die ersten Abs<strong>ch</strong>nitte dieses Kapitels sind der ersten Homotopiegruppe oder Fundamentalgruppe<br />

und dem damit zusammenhängenden Begriff der Überlagerung gewidmet.<br />

Überlagerungen sind uns bereits in Abs<strong>ch</strong>nitt 13.4 begegnet. Wir bes<strong>ch</strong>ränken<br />

uns auf eine knappe Darstellung und betonen Aspekte, die für die Riemanns<strong>ch</strong>e Geometrie<br />

wi<strong>ch</strong>tig sind. Für eine ausführli<strong>ch</strong>ere Behandlung sei etwa auf das dritte<br />

Kapitel von Glen E. Bredon’s Bu<strong>ch</strong> “Topology and Geometry” verwiesen. Dana<strong>ch</strong><br />

gehen wir auf den Begriff der Riemanns<strong>ch</strong>en Überlagerung ein und geben einfa<strong>ch</strong>e<br />

Anwendungen. Ans<strong>ch</strong>ließend setzen wir die Untersu<strong>ch</strong>ung positiv gekrümmter Mannigfaltigkeiten<br />

mit einem Fixpunktsatz von Weinstein fort, aus dem wir s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

den Satz von Synge über Fundamentalgruppe und Orientierbarkeit von Mannigfaltigkeiten<br />

positiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung erhalten.<br />

22.1. Überlagerungen. Sei M eine zusammenhängende differenzierbare Mannigfaltigkeit.<br />

Eine Überlagerung von M ist eine surjektive differenzierbare Abbildung<br />

π : ¯M → M mit folgender Eigens<strong>ch</strong>aft: Jeder Punkt p ∈ M hat eine offene Umgebung<br />

U dergestalt, dass<br />

π −1 (U) = ⋃ α∈Λ U α (22.1.1)<br />

ist mit disjunkten offenen Teilmengen U α ⊆ ¯M, die dur<strong>ch</strong> π| Uα diffeomorph auf U<br />

abgebildet werden. Derartige offene Teilmengen U ⊆ M nennt man zulässige oder<br />

Version 21. Juli 2000<br />

222


glei<strong>ch</strong>mässig überlagerte Teilmengen. Insbesondere ist also π ein lokaler Diffeomorphismus.<br />

Da M zusammenhängend ist, hängt die Anzahl der Urbilder |π −1 (p)| ∈<br />

N ∪ {∞} eines Punktes p ∈ M ni<strong>ch</strong>t von p ab. Sie heißt die Blätterzahl der<br />

Überlagerung.<br />

In ungenauer Spre<strong>ch</strong>weise bezei<strong>ch</strong>net man oft anstelle der Abbildung π au<strong>ch</strong> den<br />

Raum ¯M als eine Überlagerung von M. Eine zusammenhängende Überlagerung ist<br />

also eine Überlagerung π : ¯M → M, bei der ¯M zusammenhängend ist.<br />

Jede einfa<strong>ch</strong> zusammenhängende Überlagerung π : ˜M → M heißt eine universelle<br />

Überlagerung. Ist insbesondere M selbst einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend, dann ist die<br />

Identität id M : M → M eine universelle Überlagerung. Der folgende Satz, den wir<br />

ohne Beweis angeben, besagt, dass es zu jedem M eine universelle Überlagerung<br />

gibt und dass diese bis auf “fasertreue” Diffeomorphie eindeutig bestimmt ist.<br />

Satz. (a) Zu jeder zusammenhängenden differenzierbaren Mannigfaltigkeit M existiert<br />

eine universelle Überlagerung π : ˜M → M.<br />

(b) Seien π 1 : M 1 → M eine universelle Überlagerung und π 2 : M 2 → M eine Überlagerung<br />

von M. Sind p 1 ∈ M 1 und p 2 ∈ M 2 Punkte mit π 1 (p 1 ) = π 2 (p 2 ), dann<br />

existiert genau eine differenzierbare Abbildung φ : M 1 → M 2 mit π 2 ◦ φ = π 1 und<br />

φ(p 1 ) = p 2 . Ist M 2 zusammenhängend, dann ist diese Abbildung eine Überlagerung.<br />

(c) Seien π 1 : M 1 → M und π 2 : M 2 → M universelle Überlagerungen von M.<br />

Sind p 1 ∈ M 1 und p 2 ∈ M 2 Punkte mit π 1 (p 1 ) = π 2 (p 2 ), dann existiert genau eine<br />

differenzierbare Abbildung φ : M 1 → M 2 mit π 2 ◦ φ = π 1 und φ(p 1 ) = p 2 . Diese<br />

Abbildung ist ein Diffeomorphismus.<br />

Falls M 2 in Teil (b) ni<strong>ch</strong>t zusammenhängend ist, dann kann man M 2 dur<strong>ch</strong> die p 2<br />

enthaltende Zusammenhangskomponente M 2 ′ ersetzen und (b) auf die Überlagerung<br />

π 2 | M ′<br />

2<br />

: M 2 ′ → M anwenden. — Die Aussage in Teil (c) ist eine einfa<strong>ch</strong>e Folgerung<br />

aus (b). In der Tat erhält man aus (b) differenzierbare Abbildungen φ : M 1 → M 2<br />

und, na<strong>ch</strong> Vertaus<strong>ch</strong>en der Rollen von M 1 und M 2 , au<strong>ch</strong> ψ : M 2 → M 1 . Die Abbildung<br />

ψ ◦ φ : M 1 → M 1 erfüllt dann π 1 ◦ (ψ ◦ φ) = π 1 und bildet p 1 auf si<strong>ch</strong> selbst<br />

ab. Dasselbe gilt für die Identitätsabbildung id M1 , und wegen der Eindeutigkeitsaussage<br />

in (b), diesmal angewandt auf M 1 = M 2 , folgt ψ ◦ φ = id M1 . Ebenso zeigt<br />

man φ ◦ ψ = id M2 . Also ist φ ein Diffeomorphismus mit inverser Abbildung ψ.<br />

Korollar. Seien ¯M und M differenzierbare Mannigfaltigkeiten. ¯M sei zusammenhängend<br />

und M einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend. Dann ist jede Überlagerung π :<br />

¯M → M ein Diffeomorphismus.<br />

Beweis. Wendet man Teil (b) des Satzes an auf die universelle Überlagerung id :<br />

M → M und die Überlagerung π : ¯M → M, so erhält man eine Überlagerung<br />

φ : M → ¯M mit π ◦ φ = id M . Aus dieser Glei<strong>ch</strong>ung folgt zunä<strong>ch</strong>st, dass φ injektiv<br />

ist, also ein Diffeomorphismus. Damit ist au<strong>ch</strong> π = φ −1 ein Diffeomorphismus.<br />

QED<br />

223


Beispiel. Die Abbildung π : R → S 1 , π(t) = e it ist eine universelle Überlagerung<br />

von S 1 . S<strong>ch</strong>ränkt man aber π ein auf ein bes<strong>ch</strong>ränktes offenes Intervall, so erhält<br />

man einen lokalen Diffeomorphismus, der keine Überlagerung ist.<br />

22.2. Gruppenoperationen. Eine große Zahl weiterer Beispiele von Überlagerungen<br />

erhält man dur<strong>ch</strong> Quotientenbildung na<strong>ch</strong> freien und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong>en<br />

Gruppenoperationen (Kapitel 11, Aufgabe 5). Wir erinnern zunä<strong>ch</strong>st<br />

an diesen Begriff.<br />

Eine differenzierbare (Links–)Operation einer Gruppe Γ auf einer differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit M ist eine Abbildung µ : Γ × M → M mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass<br />

die Abbildung γ ↦→ µ(γ, ·) ein Gruppenhomomorphismus von Γ in die Diffeomorphismengruppe<br />

von M ist. Wir s<strong>ch</strong>reiben kurz γp anstelle von µ(γ, p), wenn über<br />

die Gruppenoperation µ kein Zweifel besteht. Jede Gruppenoperation definiert eine<br />

Äquivalenzrelation auf M. Deren Äquivalenzklassen sind die Bahnen<br />

Γp = {γp | γ ∈ Γ}<br />

der Punkte p ∈ M. Den Quotientenraum dieser Operation, also die Menge aller<br />

Bahnen, bezei<strong>ch</strong>nen wir mit Γ\M. Dieser Quotient, versehen mit der Quotiententopologie,<br />

trägt im allgemeinen ni<strong>ch</strong>t die Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit.<br />

Eine Gruppenoperation heißt frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong>, wenn gilt:<br />

(a) Jeder Punkt p ∈ M besitzt eine Umgebung U mit U ∩ γU = ∅ für<br />

alle γ ∈ Γ\{e}.<br />

(b) Ist q ∈ M ni<strong>ch</strong>t in der Bahn Γp enthalten, dann existieren Umgebungen<br />

U von p und V von q mit U ∩ γV = ∅ für alle γ ∈ Γ.<br />

Operiert die Gruppe Γ frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> auf der Mannigfaltigkeit<br />

M, dann trägt na<strong>ch</strong> Aufgabe 5 von Kapitel 11 der Quotientenraum Γ\M die<br />

Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit. Man sieht lei<strong>ch</strong>t ein, dass die<br />

kanonis<strong>ch</strong>e Projektion M → Γ\M eine Überlagerung ist.<br />

22.3. Decktransformationen. Sei π : ˜M → M eine universelle Überlagerung.<br />

Eine Decktransformation ist ein Diffeomorphismus φ : ˜M → ˜M mit π ◦ φ = π.<br />

Die Gruppe Deck aller Decktransformationen der Überlagerung bezei<strong>ch</strong>net man als<br />

deren Decktransformationsgruppe, oder kurz Deckgruppe. Satz 22.1(c), angewandt<br />

auf M 1 = M 2 = ˜M, ergibt: Zu je zwei Punkten ˜p, ˜q ∈ ˜M mit π(˜p) = π(˜q) existiert<br />

genau eine Decktransformation φ mit φ(˜p) = ˜q. Daher stimmt die Anzahl der Decktransformationen<br />

einer universellen Überlagerung mit ihrer B̷lätterzahl überein, es<br />

ist also<br />

Blätterzahl = |π −1 (p)| = |Deck|.<br />

Satz. Sei π : ˜M → M eine universelle Überlagerung, Γ = Deck die Gruppe der<br />

Decktransformationen. Dann operiert Γ frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> auf ˜M,<br />

und die Quotientenmannigfaltigkeit Γ\ ˜M ist diffeomorph zu M.<br />

224


Zusammen mit Satz 22.1(a) ergibt si<strong>ch</strong>, dass jede Mannigfaltigkeit diffeomorph ist<br />

zum Quotienten einer einfa<strong>ch</strong> zusammenhängenden Mannigfaltigkeit ˜M na<strong>ch</strong> einer<br />

frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> operierenden Gruppe von Diffeomorphismen.<br />

Beweis. Um zu zeigen, dass die Operation von Γ frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong><br />

ist, sind die Eigens<strong>ch</strong>aften (a) und (b) aus 22.2 zu verifizieren. Sei dazu ˜p ∈ ˜M,<br />

und sei U ⊆ M eine zulässige Umgebung von π(˜p) wie in (22.1.1). Dann ist ˜p ∈ U α<br />

für einen Index α. Wir zeigen, dass die Umgebung U α von ˜p die Bedingung aus (a)<br />

erfüllt, dass also für alle γ ∈ Γ mit γ ≠ id gilt γ(U α ) ∩ U α = ∅. Ist γ(U α ) ∩ U α ≠ ∅,<br />

dann existieren ˜q, ˜r ∈ U α mit γ(˜q) = ˜r. Daraus folgt π(˜q) = π ◦ γ(˜q) = π(˜r), und<br />

da π| Uα injektiv ist, folgt ˜q = ˜r. Also ist γ eine Decktransformation mit γ(˜q) = ˜q,<br />

ebenso wie die Identitätsabbildung id von ˜M, und es folgt γ = id. Damit ist<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft (a) bewiesen, und ein ähnli<strong>ch</strong>es Argument ergibt (b).<br />

Es bleibt zu zeigen, dass der Quotient Γ\ ˜M diffeomorph zu M ist. Die Projektion<br />

π : ˜M → M induziert eine offenbar bijektive Abbildung ¯π : Γ\ ˜M → M. Da die<br />

Abbildungen ˜M → Γ\ ˜M und π : ˜M → M lokale Diffeomorphismen sind, ist das<br />

au<strong>ch</strong> für ¯π der Fall. Also ist ¯π ein bijektiver lokaler Diffeomorphismus, und folgli<strong>ch</strong><br />

ein Diffeomorphismus. QED<br />

22.4. Deckgruppe und Fundamentalgruppe. Wir erinnern zunä<strong>ch</strong>st an den<br />

Begriff der Fundamentalgruppe eines topologis<strong>ch</strong>en Raumes M in einem Punkt<br />

p ∈ M. Eine stetige S<strong>ch</strong>leife an p ist eine stetige Abbildung c : [0, 1] → M mit c(0) =<br />

c(1) = p. Homotopie mit festen Endpunkten definiert eine Äquivalenzrelation ∼ auf<br />

der Menge S(M, p) aller stetigen S<strong>ch</strong>leifen an p. Die Quotientenmenge<br />

π 1 (M, p) = S(M, p)/∼,<br />

also die Menge aller Äquivalenzklassen [c], heißt die Fundamentalgruppe von M in p.<br />

Man erhält eine Gruppenstruktur auf π 1 (M, p), indem man setzt [c 1 ] [c 2 ] = [c 1 ∗ c 2 ]<br />

mit der S<strong>ch</strong>leife<br />

(c 1 ∗ c 2 )(t) =<br />

{<br />

c1 (2t) für 0 ≤ t ≤ 1/2;<br />

c 2 (2t − 1) für 1/2 ≤ t ≤ 1.<br />

Sind p und q ∈ M Punkte, die dur<strong>ch</strong> einen stetigen Weg verbunden werden können,<br />

dann sind die Gruppen π 1 (M, p) und π 1 (M, q) isomorph. Man erhält einen Isomorphismus,<br />

indem man S<strong>ch</strong>leifen an p dur<strong>ch</strong> “Anhängen” des Verbindungsweges<br />

zu S<strong>ch</strong>leifen an q verlängert. Insbesondere ist in einem wegzusammenhängenden<br />

Raum die Fundamentalgruppe π 1 (M, p) bis auf Isomorphie von p unabhängig. Man<br />

spri<strong>ch</strong>t dann etwas ungenau von “der” Fundamentalgruppe von M und s<strong>ch</strong>reibt<br />

π 1 (M) anstelle von π 1 (M, p). Der Raum M ist einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend, wenn<br />

diese Gruppe nur aus dem neutralen Element besteht.<br />

Fundamentalgruppen können verwendet werden, um topologis<strong>ch</strong>e Räume zu unters<strong>ch</strong>eiden,<br />

da zueinander homöomorphe Räume isomorphe Fundamentalgruppen<br />

225


haben (Aufgabe 1). In diesem Sinne ist die Isomorphieklasse der Fundamentalgruppe<br />

eine “topologis<strong>ch</strong>e Invariante” des Raumes, d.h. invariant unter Homöomorphismen.<br />

Der folgende Satz gestattet es oft, die Fundamentalgruppe eines<br />

Raumes zu bestimmen, dessen universelle Überlagerung bekannt ist.<br />

Satz. Die Deckgruppe jeder universellen Überlagerung π : ˜M → M einer zusammenhängenden<br />

Mannigfaltigkeit ist zur Fundamentalgruppe π 1 (M, p) isomorph.<br />

Beweisskizze. Wir definieren einen Gruppenisomorphismus Ψ : Deck → π 1 (M, p)<br />

wie folgt. Sei ˜p ∈ π −1 (p). Für γ ∈ Deck sei c eine Kurve von γ(˜p) na<strong>ch</strong> ˜p. Da ˜M<br />

einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend ist, sind je zwei sol<strong>ch</strong>e Kurven homotop. Dann ist π ◦ c<br />

eine S<strong>ch</strong>leife an p, also [π ◦ c] ∈ π 1 (M, p). Wir setzen Ψ(γ) = [π ◦ c]. Man verifiziert,<br />

dass Ψ ein bijektiver Gruppenhomomorphismus ist. QED<br />

Da die Blätterzahl einer universellen Überlagerung mit der Mä<strong>ch</strong>tigkeit ihrer Deckgruppe,<br />

also mit der Mä<strong>ch</strong>tigkeit von π 1 (M, p) übereinstimmt, ergibt si<strong>ch</strong> als<br />

Folgerung. Die universelle Überlagerung einer kompakten zusammenhängenden<br />

Mannigfaltigkeit M ist genau dann kompakt, wenn die Fundamentalgruppe π 1 (M, p)<br />

endli<strong>ch</strong> ist.<br />

22.5. Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerungen. Eine Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerung ist eine<br />

Überlagerung π : ¯M → M Riemanns<strong>ch</strong>er Mannigfaltigkeiten ( ¯M, ḡ) und (M, g), die<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig eine lokale Isometrie ist, für die also π ∗ g = ḡ gilt. Ist π : ¯M → M eine<br />

Überlagerung einer zusammenhängenden Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit (M, g),<br />

dann wird π mit der Riemanns<strong>ch</strong>en Metrik ḡ := π ∗ g auf ¯M zu einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Überlagerung. Jede Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit (M, g) besitzt also eine Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

universelle Überlagerung ( ˜M, ˜g), und diese ist bis auf fasertreue Isometrie<br />

eindeutig bestimmt.<br />

Für Decktransformationen φ ∈ Deck einer Riemanns<strong>ch</strong>en Überlagerung gilt wegen<br />

π ◦ φ = π<br />

φ ∗˜g = φ ∗ π ∗ g = (π ◦ φ) ∗ g = π ∗ g = ˜g.<br />

Also sind alle Decktransformationen Isometrien der induzierten Metrik ˜g. Mit de<br />

Ergebnissen aus 22.3 und 22.4 ergibt si<strong>ch</strong>:<br />

Folgerung. Jede zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit (M, g) ist isometris<strong>ch</strong><br />

zum Quotienten einer einfa<strong>ch</strong> zusammenhängenden Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

( ˜M, ˜g) na<strong>ch</strong> einer frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> operierenden<br />

Gruppe Γ von Isometrien. Die Gruppe Γ ist isomorph zur Fundamentalgruppe von<br />

M.<br />

Ist umgekehrt Γ eine eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> und frei operierende Gruppe von<br />

Isometrien einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit ( ¯M, ḡ) dann existiert auf der Quotientenmannigfaltigkeit<br />

Γ\ ¯M offenbar genau eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik g, mit der<br />

die kanonis<strong>ch</strong>e Projektion ¯M → Γ\ ¯M zur Riemanns<strong>ch</strong>en Überlagerung wird.<br />

226


Lemma. Sei π : ¯M → M eine Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerung. Dann gilt:<br />

dann vollständig, wenn M vollständig ist.<br />

¯M ist genau<br />

Beweis. Ist ¯M vollständig, dann au<strong>ch</strong> M, weil π als lokale Isometrie Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

in Geodätis<strong>ch</strong>e abbildet. Sei nun umgekehrt M vollständig, und sei ¯c : [0, ε) → ¯M<br />

eine Geodätis<strong>ch</strong>e. Wir zeigen, dass si<strong>ch</strong> ¯c für jede Zahl a > 0 zu einer auf [0, a]<br />

definierten Geodätis<strong>ch</strong>en fortsetzen lässt. Die Kurve π ◦ ¯c =: c eine Geodätis<strong>ch</strong>e in<br />

M, also auf ganz R definiert. Indem man das Kompaktum c([0, a]) dur<strong>ch</strong> endli<strong>ch</strong><br />

viele zulässige Mengen überdeckt, findet man dur<strong>ch</strong> sukzessives “Liften” von c eine<br />

Kurve ˜c : [0, a] → ¯M mit π ◦ ˜c = c| [0,a] und ˜c| [0,ε) = ¯c. Da c eine Geodätis<strong>ch</strong>e ist<br />

und π eine lokale Isometrie, ist au<strong>ch</strong> ˜c eine Geodätis<strong>ch</strong>e. QED<br />

Kommentar über Raumformen. Vollständige zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeiten konstanter (S<strong>ch</strong>nitt-)Krümmung werden traditionell als<br />

Raumformen bezei<strong>ch</strong>net. Die Ergebnisse diese Abs<strong>ch</strong>nittes sind Ansatzpunkt für<br />

eine “Klassifikation” der Raumformen.<br />

Ist (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung K, dann hat<br />

für positives λ ∈ R die Metrik λg S<strong>ch</strong>nittkrümmung K/λ, da g und λg offenbar<br />

denselben Levi–Civita–Zusammenhang haben. Es rei<strong>ch</strong>t daher aus, Räume<br />

der konstanten Krümmung K = 1, K = 0 oder K = −1 zu untersu<strong>ch</strong>en. Wir bemerken<br />

weiter, dass Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerungsräume von Räumen konstanter<br />

Krümung dieselbe konstante Krümmung haben, da Riemanns<strong>ch</strong>e Überlagerungen<br />

lokale Isometrien sind.<br />

Man kann zeigen dass alle einfa<strong>ch</strong> zusammenhängenden Raumformen isometris<strong>ch</strong><br />

zur Standardsphäre, zum euklidis<strong>ch</strong>en Raum oder zum hyperbolis<strong>ch</strong>en Raum (Kapitel<br />

20, Aufgabe 4) sind, je na<strong>ch</strong>dem, ob die Krümmung K = 1, K = 0 oder K = −1<br />

ist. Alle anderen Raumformen erhält man dann als Quotienten dieser drei Standardräume<br />

na<strong>ch</strong> frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> operierenden Untergruppen Γ ihrer<br />

Isometriegruppe. Die entspre<strong>ch</strong>enden Quotientenräume nennt man sphäris<strong>ch</strong>e, euklidis<strong>ch</strong>e<br />

und hyperbolis<strong>ch</strong>e Raumformen. Einzelheiten zu diesem Thema findet man<br />

in J. A. Wolf’s Bu<strong>ch</strong> “Spaces of constant curvature”.<br />

22.6. Eine einfa<strong>ch</strong>e Anwendung.<br />

Satz. Sei (M n , g) eine kompakte und zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit<br />

mit positiver Riccikrümmung Ric > 0. Dann ist die Fundamentalgruppe<br />

von M endli<strong>ch</strong>.<br />

Beweis. Da M kompakt ist, existiert eine Zahl κ > 0 mit Ric ≥ (n−1)κg. Sei<br />

π : ˜M → M eine universelle Überlagerung und sei ˜g = π ∗ g. Dann erfüllt ( ˜M, ˜g) die<br />

Voraussetzungen des Satzes von Bonnet–Myers. Das Lemma in 22.5 si<strong>ch</strong>ert dabei<br />

die Vollständigkeit von ˜g, und die Krümmungss<strong>ch</strong>ranke von (M, g) übertragt si<strong>ch</strong><br />

auf ( ˜M, ˜g), weil π eine lokale Isometrie ist. Na<strong>ch</strong> dem Satz von Bonnet–Myers ist<br />

˜M kompakt, und die Folgerung aus 22.4 liefert die Behauptung. QED<br />

227


Beispiel. Sei M eine kompakte zusammenhängende differenzierbare Mannigfaltigkeit.<br />

Dann existiert auf M × S 1 keine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik mit positiver Riccikrümmung.<br />

Denn die Fundamentalgruppe π 1 (M × S 1 ) ∼ = π 1 (M) × π 1 (S 1 ) enthält<br />

π 1 (S 1 ) ∼ = Z, ist also unendli<strong>ch</strong>. Dagegen ist seit 1992 bekannt † , dass auf jeder<br />

differenzierbaren Mannigfaltigkeit der Dimension ≥ 3 vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metriken mit negativer Riccikrümmung existieren.<br />

Korollar (Satz von Weyl). Sei G eine kompakte zusammenhängende Liegruppe,<br />

deren Liealgebra triviales Zentrum C(G) = {0} hat. Dann ist die Fundamentalgruppe<br />

von G endli<strong>ch</strong>.<br />

Beweis. Na<strong>ch</strong> dem Satz in 21.3 existiert auf G eine biinvariante Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Metrik. Das Korollar in 21.4 besagt, dass jede sol<strong>ch</strong>e Metrik auf G positive Riccikrümmung<br />

hat. Die Behauptung folgt nun aus dem Satz. QED<br />

22.7. Ein Kriterium für Überlagerungen. Um zu s<strong>ch</strong>ließen, dass ein lokaler<br />

Diffeomorphismus eine Überlagerung ist, sind zusätzli<strong>ch</strong>e Voraussetzungen erforderli<strong>ch</strong>.<br />

Für unsere Zwecke ist das folgende Kriterium nützli<strong>ch</strong>.<br />

Satz 1. Seien ¯M ≠ ∅ und M differenzierbare Mannigfaltigkeiten mit Zusammenhängen<br />

¯∇ und ∇. Die Mannigfaltigkeit M sei zusammenhängend. Sei π :<br />

¯M → M ein lokaler Diffeomorphismus, der Geodätis<strong>ch</strong>e in Geodätis<strong>ch</strong>e abbildet.<br />

Ist ¯∇ vollständig, dann ist π eine Überlagerung.<br />

Die Voraussetzung über π ist so zu verstehen: Ist ¯c eine Geodätis<strong>ch</strong>e von ¯∇, dann<br />

ist π ◦ ¯c Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇. Diese Bedingung ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>bedeutend mit<br />

π ◦ exp = exp ◦ T π, (22.6.1)<br />

wenn exp die Exponentialabbildungen von ∇ und ¯∇ bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Beweis. Wir beweisen zunä<strong>ch</strong>st, dass π surjektiv ist. Zu diesem Zweck zeigen wir,<br />

dass das Bild π( ¯M) eine ni<strong>ch</strong>tleere, offene und abges<strong>ch</strong>lossene Teilmenge von M ist.<br />

Daraus folgt dann π( ¯M) = M, also die Surjektivität. Na<strong>ch</strong> dem Satz über inverse<br />

Funktionen 4.2(c) ist das Bild offen, da π ein lokaler Diffeomorphismus ist. Zum<br />

Na<strong>ch</strong>weis der Abges<strong>ch</strong>lossenheit sei π(¯p k ) eine Folge in π( ¯M) mit Grenzwert p. Wir<br />

zeigen, dass dann au<strong>ch</strong> p ∈ π( ¯M) ist. Für jeden hinrei<strong>ch</strong>end großen Index k existiert<br />

eine Geodätis<strong>ch</strong>e c : [0, 1] → M mit c(0) = π(¯p k ) und c(1) = p. Sei ¯c : [0, 1] → ¯M<br />

die Geodätis<strong>ch</strong>e mit<br />

˙¯c(0) = (T¯pk π) −1 ċ(0).<br />

Die Vollständigkeit von ¯∇ stellt si<strong>ch</strong>er, dass ¯c auf ganz [0, 1] definiert ist. Dann<br />

gilt π ◦ ¯c = c, insbesondere π(¯c(1)) = c(1) = p und damit p ∈ π( ¯M). Damit ist die<br />

Surjektivität von π bewiesen.<br />

† J. Lohkamp, Metrics of negative Ricci curvature, Ann. of Math. 140(1994), 655–<br />

683.<br />

228


Wir zeigen nun, dass jeder Punkt p ∈ M ein zulässige Umgebung U im Sinne von<br />

22.1 hat. Sei V ⊆ T p M eine konvexe Umgebung des Nullpunktes, die dur<strong>ch</strong> die<br />

Exponentialabbildung exp p diffeomorph auf eine offene Teilmenge U := exp p (V )<br />

von M abgebildet wird. Sei weiter π −1 (p) = {p α | α ∈ Λ} mit einer Indexmenge Λ,<br />

und sei<br />

V α := (T pα π) −1 (V ) ⊆ T pα ¯M.<br />

Da π Geodätis<strong>ch</strong>e in Geodätis<strong>ch</strong>e abbildet, ist<br />

π ◦ exp pα<br />

= exp p ◦ T pα π.<br />

Folgli<strong>ch</strong> wird V α dur<strong>ch</strong> exp pα<br />

diffeomorph auf die offene Teilmenge<br />

U α := exp pα<br />

(V α ) ⊆ ¯M<br />

abgebildet. Also ist<br />

π ∣ ∣<br />

Uα<br />

= exp p<br />

∣<br />

∣V ◦ T pα π ◦ (exp pα<br />

∣<br />

∣Vα<br />

) −1<br />

ein Diffeomorphismus von U α auf U. Wir beenden den Beweis, indem wir zeigen:<br />

(1) U α ∩ U β ≠ ∅ impliziert α = β<br />

(2) π −1 (U) = ⋃ α∈Λ U α.<br />

Zum Beweis von (1) sei ¯p ∈ U α ∩ U β . Sei c α : [0, 1] → ¯M die eindeutig bestimmte<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e mit c α (0) = ¯p und c α (1) = p α , die ganz in U α verläuft. Ebenso<br />

sei c β : [0, 1] → ¯M die eindeutig bestimmte Geodätis<strong>ch</strong>en von c β (0) = ¯p na<strong>ch</strong><br />

c β (1) = p β , die ganz in U β liegt. Dann sind die Kurven π ◦ c α und π ◦ c β Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

von π(¯p) na<strong>ch</strong> p, die ganz in U enthalten sind. Also gilt π ◦ c α = π ◦ c β ,<br />

und es folgt<br />

(T¯p π) ċ α (0) = (π ◦ c α )·(0)<br />

= (π ◦ c β )·(0)<br />

= (T¯p π) ċ β (0).<br />

Damit ist ċ α (0) = ċ β (0), also c α = c β . Insbesondere folgt p α = c α (1) = c β (1) = p β ,<br />

und daraus α = β.<br />

Zum Beweis von (2): Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ist ⋃ α U α ⊆ π −1 (U). Wir beweisen die umgekehrte<br />

Inklusion. Seien dazu ¯q ∈ π −1 (U) und q := π(¯q). Wir betra<strong>ch</strong>ten die<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e c : [0, 1] → M von c(0) = q na<strong>ch</strong> c(1) = p mit c([0, 1]) ⊆ U, und die<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e ¯c : [0, 1] → ¯M mit Tangentialvektor<br />

˙¯c(0) = (T¯q π) −1 ċ(0).<br />

Dann ist ¯c(0) = ¯q und π ◦ ¯c = c, insbesondere also π(¯c(1)) = c(1) = p. Daher gilt<br />

¯c(1) = p α für einen Index α ∈ Λ, und es folgt ¯q ∈ U α . QED<br />

229


Satz 2. Sei (M, g) eine zusammenhängende vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit,<br />

und sei p ∈ M. Ist exp p : T p M → M ein lokaler Diffeomorphismus, dann<br />

ist exp p eine Überlagerung. Ist zusätzli<strong>ch</strong> M einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend, dann ist<br />

exp p ein Diffeomorphismus.<br />

Beweis. Wir betra<strong>ch</strong>ten die Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik ḡ = exp ∗ p g auf T p M. Die Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit (T p M, ḡ) hat die Eigens<strong>ch</strong>aft, dass die Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

dur<strong>ch</strong> 0 genau die Kurven c(t) = tX mit X ∈ T p M sind. Insbesondere ist die Exponentialabbildung<br />

exp 0 : T 0 (T p M) → T p M auf ganz T 0 (T p M) definiert. Na<strong>ch</strong> dem<br />

Kriterium (a) des Satzes 19.2 von Hopf und Rinow ist (T p M, ḡ) eine vollständige<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit. Satz 1 liefert nun die erste Aussage, und mit dem<br />

Korollar aus 22.1 folgt die zweite. QED<br />

Beispiel. Beim Rotationsparaboloid z = x 2 + y 2 im R 3 ist der S<strong>ch</strong>eitelpunkt<br />

p = (0, 0, 0) der einzige Punkt, der die Voraussetzung des Satzes erfüllt.<br />

22.8. Fixpunktsatz von Weinstein. Sei (M n , g) eine kompakte, zusammenhängende<br />

orientierte Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung K > 0. Sei<br />

f : M → M eine Isometrie. Ist die Dimension n gerade und f orientierungserhaltend,<br />

oder ist n ungerade und f orientierungsumkehrend, dann existiert ein Punkt<br />

p ∈ M mit f(p) = p.<br />

Die Voraussetzungen des Satzes lassen si<strong>ch</strong> anhand der Antipodenabbildung x ↦→<br />

−x der Einheitssphäre S n ⊆ R n+1 illustrieren. Diese Abbildung ist fixpunktfrei,<br />

und sie ist genau dann orientierungserhaltend, wenn die Dimension n ungerade ist.<br />

Für den Beweis des Fixpunktsatzes verwenden wir das folgende Lemma über die<br />

Existenz invarianter Geodätis<strong>ch</strong>er.<br />

Lemma. Sei f : M → M eine Isometrie einer zusammenhängenden Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit (M, g). Die Vers<strong>ch</strong>iebungsfunktion p ↦→ d(p, f(p)) nehme ein<br />

lokales Minimum im Punkt p ∈ M an. Sei c : R → M eine Geodätis<strong>ch</strong>e mit<br />

der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass für eine Zahl l ≥ 0 die Eins<strong>ch</strong>ränkung c| [0,l] eine Kürzeste<br />

von p na<strong>ch</strong> f(p) ist, also c(0) = p, c(l) = f(p) und L(c| [0,l] ) = d(p, f(p)). Dann gilt<br />

(T p f)ċ(0) = ċ(l), und es ist f(c(t)) = c(t + l) für alle t ∈ R.<br />

Beweis. Ist f(p) = p, dann ist c konstant, und die Behauptungen gelten offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />

Sei nun f(p) ≠ p. Wir zeigen zunä<strong>ch</strong>st, dass für alle X ∈ T p M aus dem<br />

orthogonalen Komplement ċ(0) ⊥ gilt<br />

(T p f)X ∈ ċ(l) ⊥ . (∗)<br />

Sei dazu V ein differenzierbares Vektorfeld längs c mit V (0) = X und V (l) =<br />

(T p f)X, und sei H(s, t) = c s (t) = exp(sV (t)). Na<strong>ch</strong> der ersten Variationsformel<br />

(18.1.2) ist dann<br />

d<br />

ds∣ L(c s ) = 1 ∣ ∣∣<br />

0<br />

‖ċ‖ 〈V, ċ〉 l<br />

230<br />

0 = 1<br />

‖ċ‖<br />

〈V (l), ċ(l)〉.


Nun ist c s (0) = exp(sX) und<br />

c s (l) = exp(s(T p f)X) = f(exp(sX)) = f(c s (0)),<br />

da f eine Isometrie ist. Da die Vers<strong>ch</strong>iebungsfunktion ein lokales Minimum an p<br />

hat, folgt für alle s aus einer Umgebung von 0<br />

L(c s ) ≥ d(c s (0), c s (l))<br />

= d(c s (0), f(c s (0))<br />

≥ d(p, f(p))<br />

= L(c 0 ).<br />

Daher ist die Ableitung d/ds| 0 L(c s ) = 0, also 〈V (l), ċ(l)〉 = 0, und die Behauptung<br />

(∗) ist bewiesen.<br />

Da T p f eine lineare Isometrie ist, folgt aus (∗) zunä<strong>ch</strong>st (T p f)ċ(0) = ± ċ(l), und<br />

daraus f(c(t)) = c(l ± t), da sowohl f(c(t)) als au<strong>ch</strong> c(l ± t) Geodätis<strong>ch</strong>e mit demselben<br />

Tangentialvektor an t = 0 sind. Wäre f(c(t)) = c(l − t), dann hätte man<br />

d(c(t), f(c(t))) = ‖ċ‖ · (l − 2t), und p wäre kein lokales Minimum der Vers<strong>ch</strong>iebungsfunktion,<br />

im Widerspru<strong>ch</strong> zur Voraussetzung. Also ist f(c(t)) = c(l + t). QED<br />

Wir kommen nun zum Beweis des Fixpunktsatzes. Da (M n , g) kompakt ist, nimmt<br />

die Vers<strong>ch</strong>iebungsfunktion p ↦→ d(p, f(p)) ihr Minimum in einem Punkt p an. Wir<br />

führen die Annahme p ≠ f(p) zu einem Widerspru<strong>ch</strong>. Sei c : [0, l] → M eine kürzeste<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e von p na<strong>ch</strong> f(p), und sei A : T p M → T p M die lineare Isometrie<br />

A := P0,l c ◦ T pf, wobei P0,l c die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung längs c bezei<strong>ch</strong>net. Wegen<br />

des Lemmas gilt A ċ(0) = ċ(0), also au<strong>ch</strong> A(ċ(0) ⊥ ) ⊆ ċ(0) ⊥ . Nun verwenden wir<br />

folgende<br />

Bemerkung. Sei A : V → V eine orthogonale Abbildung eines m–dimensionalen<br />

euklidis<strong>ch</strong>en Vektorraumes V . Ist m ungerade und die Determinante det(A) > 0,<br />

oder ist m gerade und det(A) < 0, dann existiert ein Vektor X ∈ V \{0} mit<br />

AX = X.<br />

Der Beweis ergibt si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t aus der Normalform orthogonaler Abbildungen: V ist<br />

eine orthogonale direkte Summe von zweidimensionalen Unterräumen, auf denen A<br />

eine Drehung um einen Winkel /∈ Zπ ist, und von Eigenräumen zu Eigenwerten 1<br />

und −1. Die Voraussetzungen sind so bes<strong>ch</strong>affen, dass der Eigenwert 1 vorkommen<br />

muss.<br />

Die Bemerkung, angewandt auf V = ċ(0) ⊥ , impliziert, dass ein Einheitsvektor<br />

X ∈ ċ(0) ⊥ existiert mit AX = X, also mit (T p f)X = Pl,0 c X. Sei<br />

V (t) = P c t,0X ∈ T c(t) M.<br />

Dann ist V ein paralleles Vektorfeld längs c mit V (0) = X und V (l) = (T p f)X. Die<br />

zweite Variationsformel, angewandt auf c s (t) = H(s, t) = exp(sV (t)), ergibt wegen<br />

231


∇ t V = 0 und ∇ s ∂ s H(0, t) = 0<br />

∣<br />

d 2 ∣∣∣0<br />

ds 2 L(c s ) = − 1<br />

‖ċ‖<br />

= −‖ċ‖<br />

∫ l<br />

0<br />

∫ l<br />

Also ist L(c s ) < L(c 0 ) für kleine |s|. Andererseits ist<br />

und damit<br />

c s (l) = exp(sV (l))<br />

0<br />

= exp(s(T p f)X)<br />

= f(exp(sX))<br />

= f(c s (0)),<br />

〈R(V, ċ)ċ, V 〉 dt<br />

K(V, ċ) dt < 0.<br />

d( c s (0), f(c s (0)) ) = L(c s ) < L(c 0 ) = d(p, f(p))<br />

im Widerspru<strong>ch</strong> zur Wahl von p. QED<br />

22.9. Orientierungsüberlagerung und Satz von Synge. Sei M eine zusammenhängende<br />

differenzierbare Mannigfaltigkeit. Wir betra<strong>ch</strong>ten die Menge ¯M aller<br />

Orientierungen (siehe 11.1) aller Tangentialräume an M, also<br />

¯M = { (p, O p ) | p ∈ M, O p ist eine Orientierung von T p M }.<br />

Sei π : ¯M → M die Abbildung π(p, Op ) = p. Dann existieren, wie man lei<strong>ch</strong>t<br />

einsieht, auf ¯M genau eine Topologie und differenzierbare Struktur dergestalt, dass<br />

π eine zweiblättrige Überlagerung wird. Diese Überlagerung π : ¯M → M heißt<br />

die Orientierungsüberlagerung von M. Dur<strong>ch</strong> die Festlegung, dass für alle ¯p =<br />

(p, O p ) ∈ ¯M die Ableitung T¯p π : T¯p ¯M → Tp M bezügli<strong>ch</strong> der Orientierung O p von<br />

T p M orientierungserhaltend ist, wird ¯M zu einer orientierten Mannigfaltigkeit. Man<br />

zieht also die Orientierung O p von T p M mit dem Vektorraumisomorphismus T¯p π<br />

zu einer Orientierung von T¯p ¯M zurück. Bezei<strong>ch</strong>net O<br />

′<br />

p die zu O p entgegengesetzte<br />

Orientierung von T p M, dann ist die dur<strong>ch</strong> flip(p, O p ) = (p, O ′ p) definierte Abbildung<br />

flip : ¯M → ¯M offenbar ein orientierungsumkehrender Diffeomorphismus von ¯M.<br />

Lemma. Die Orientierungsüberlagerung ¯M einer zusammenhängenden Mannigfaltigkeit<br />

M ist genau dann zusammenhängend, wenn M ni<strong>ch</strong>t orientierbar ist. Insbesondere<br />

ist jede einfa<strong>ch</strong> zusammenhängende Mannigfaltigkeit orientierbar.<br />

Beweis. M ist genau dann ni<strong>ch</strong>t orientierbar, wenn es zu jedem Punkt p ∈ M<br />

eine orientierungsumkehrende S<strong>ch</strong>leife c an p gibt, genauer: eine stetige Kurve<br />

¯c : [0, 1] → ¯M,<br />

¯c(t) = (c(t), O c(t) )<br />

232


mit c(0) = c(1) = p und O c(1) = O<br />

c(0) ′ . Die erste Aussage ergibt si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t aus dieser<br />

Feststellung. Da na<strong>ch</strong> dem Korollar in 22.1 einfa<strong>ch</strong> zusammenhängende Mannigfaltigkeiten<br />

keine zweiblättrigen zusammenhängenden Überlagerungsräume haben,<br />

folgt die zweite Aussage aus der ersten. QED<br />

Satz von Synge. Sei (M n , g) eine kompakte zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit mit positiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung K > 0.<br />

(a) Ist n gerade und M orientierbar, dann ist M einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend.<br />

(b) Ist n gerade und M ni<strong>ch</strong>t orientierbar, dann ist die Fundamentalgruppe von M<br />

isomorph zu Z/2Z.<br />

(c) Ist n ungerade, dann ist M orientierbar.<br />

Beweis. (a) Wir zeigen, dass die Fundamentalgruppe von M trivial ist. Sei π : ˜M →<br />

M eine Riemanns<strong>ch</strong>e universelle Überlagerung. Na<strong>ch</strong> 22.4 genügt es, zu zeigen, dass<br />

ihre Deckgruppe Deck trivial ist.<br />

Da M kompakt ist, gibt es eine positive Zahl κ mit K > κ. Dieselbe Unglei<strong>ch</strong>ung<br />

gilt für den Überlagerungsraum ( ˜M, π ∗ g). Na<strong>ch</strong> dem Satz von Bonnet–Myers ist<br />

daher ˜M kompakt und erfüllt die Voraussetzungen des Fixpunktsatzes 22.8 von<br />

Weinstein. Die Mannigfaltigkeit M ist diffeomorph zum Quotienten Deck\ ˜M, und<br />

da M orientierbar ist, ist jede Decktransformation γ ein orientierungserhaltender<br />

Diffeomorphismus von ˜M (verglei<strong>ch</strong>e Aufgabe 6 von Kapitel 11). Der Fixpunktsatz<br />

von Weinstein impliziert nun, dass γ einen Fixpunkt hat. Da andererseits Deck frei<br />

und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong> auf ˜M operiert, hat kein Element γ ≠ id Fixpunkte.<br />

Also besteht Deck nur aus der Identität.<br />

(b) Die Anwendung von (a) auf die Orientierungsüberlagerung π : ¯M → M (mit der<br />

Metrik π ∗ g) ergibt, dass ¯M einfa<strong>ch</strong> zusammenhängend ist. Folgli<strong>ch</strong> ist π : ¯M → M<br />

eine universelle Überlagerung mit Blätterzahl 2, und damit |π 1(M)| = |Deck| = 2.<br />

(c) Die zweifa<strong>ch</strong>e orientierte Überlagerung ¯M ist eine kompakte orientierte Mannigfaltigkeit<br />

positiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung, die einen orientierungsumkehrenden Diffeomorphismus<br />

flip : ¯M → ¯M ohne Fixpunkte zuläßt. Na<strong>ch</strong> dem Fixpunktsatz von<br />

Weinstein ist ¯M unzusammenhängend. Folgli<strong>ch</strong> ist M orientierbar. QED<br />

Aufgaben<br />

1. Fundamentalgruppen. Zeigen Sie, dass zueinander homöomorphe zusammenhängende<br />

topologis<strong>ch</strong>e Räume isomorphe Fundamentalgruppen haben. Hinweis:<br />

Jede stetige Abbildung ϕ : M → N induziert einen Gruppenhomomorphismus<br />

ϕ # : π 1 (M, p) → π 1 (N, ϕ(p)).<br />

2. Produkte. Beweisen Sie mit Hilfe des Satzes in 23.3 folgende Beziehung für<br />

die Fundamentalgruppe eines kartesis<strong>ch</strong>en Produktes:<br />

π 1 (M × N) ∼ = π 1 (M) × π 1 (N)<br />

233


3. Liegruppen. Sei φ : G → H ein differenzierbarer Gruppenhomomorphismus<br />

von Liegruppen G und H. Die Ableitung T e φ : T e G → T e H im neutralen Element<br />

sei ein Vektorraumisomorphismus. Zeigen Sie, dass φ eine Überlagerung ist.<br />

4. Killingfelder. Sei (M, g) eine kompakte Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit mit<br />

positiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung und gerader Dimension. Zeigen Sie, dass jedes Killingfeld<br />

auf M eine Nullstelle hat.<br />

5. Ges<strong>ch</strong>lossene Geodätis<strong>ch</strong>e. Eine Geodätis<strong>ch</strong>e c : [a, b] → M heißt ges<strong>ch</strong>lossen,<br />

wenn c(a) = c(b) und ċ(a) = ċ(b) ist. Sei c eine ges<strong>ch</strong>lossene Geodätis<strong>ch</strong>e in<br />

einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit mit positiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung und gerader<br />

Dimension. Die Parallelvers<strong>ch</strong>iebung T c(a) → T c(b) M längs c sei orientierungserhaltend,<br />

habe also positive Determinante. Zeigen sie: Es existiert eine Variation<br />

c s (t) = H(s, t) von c dur<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>lossene differenzierbare Kurven c s , die kürzer sind<br />

als c. Hinweis: Verwenden Sie die zweite Variationsformel mit einem geeigneten<br />

Vektorfeld V längs c.<br />

234


23. Jacobifelder und Indexlemma<br />

Jacobifelder sind Vektorfelder längs einer Geodätis<strong>ch</strong>en c in einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit M, die der Jacobiglei<strong>ch</strong>ung, einer linearen gewöhnli<strong>ch</strong>en Differentialglei<strong>ch</strong>ung<br />

zweiter Ordnung, genügen. Sie sind <strong>ch</strong>arakterisiert als die Variationsvektorfelder<br />

derjenigen Variationen von c = c 0 , bei denen alle Na<strong>ch</strong>barkurven<br />

c s Geodätis<strong>ch</strong>e sind. Es zeigt si<strong>ch</strong> insbesondere, dass die Ableitung der Exponentialabbildung<br />

exp p auf einfa<strong>ch</strong>e Weise dur<strong>ch</strong> Jacobifelder bes<strong>ch</strong>rieben wird. Da in<br />

die Jacobiglei<strong>ch</strong>ung der Krümmungstensor eingeht, ergeben si<strong>ch</strong> Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Krümmungsverhalten von M und Eigens<strong>ch</strong>aften der Exponentialabbildung.<br />

Als Folgerung erhalten wir den Satz von Hadamard–Cartan über die Struktur<br />

von Mannigfaltigkeiten ni<strong>ch</strong>tpositiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung. Dana<strong>ch</strong> beweisen wir eine<br />

Minimaleigens<strong>ch</strong>aft von Jacobifeldern, das sogenannte Indexlemma, das im nä<strong>ch</strong>sten<br />

Kapitel Verwendung finden wird, und bes<strong>ch</strong>ließen das Kapitel mit dem Jacobikriterium<br />

für die Minimalität von Geodätis<strong>ch</strong>en.<br />

Im Folgenden ist (M, g) eine n–dimensionale Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit mit<br />

Levi–Civita–Zusammenhang ∇ und Exponentialabbildung exp. Soweit ni<strong>ch</strong>ts anderes<br />

festgelegt wird, bezei<strong>ch</strong>net c : [a, b] → M eine Geodätis<strong>ch</strong>e. Wir verwenden<br />

die abkürzende S<strong>ch</strong>reibweise ∇ t = ∇/dt.<br />

23.1. Jacobifelder als Variationsvektorfelder. Ein differenzierbares Vektorfeld<br />

J längs der Geodätis<strong>ch</strong>en c heißt ein Jacobifeld, wenn für alle t ∈ [a, b] die<br />

Jacobiglei<strong>ch</strong>ung<br />

∇ t ∇ t J + R(J, ċ)ċ = 0. (23.1.1)<br />

erfüllt ist. Dabei ist R der Krümmungstensor von (M, g).<br />

Lemma 1. Sei H ∈ C ∞ ((−ε, ε) × [a, b], M) eine Variation von c, und sei V (t) =<br />

∂H/∂s(0, t) das entspre<strong>ch</strong>ende Variationsvektorfeld längs c = c 0 . Sind alle Kurven<br />

c s = H(s, ·) Geodätis<strong>ch</strong>e, dann ist V ein Jacobifeld.<br />

Beweis. Da alle c s Geodätis<strong>ch</strong>e sind, ist ∇ t ∂ t H = 0. Mit den Glei<strong>ch</strong>ungen (18.1.1)<br />

und (16.3.1) ergibt si<strong>ch</strong><br />

∇ t ∇ t ∂ s H = ∇ t ∇ s ∂ t H<br />

= ∇ s ∇ t ∂ t H + R(∂ t H, ∂ s H)∂ t H<br />

= R(∂ t H, ∂ s H)∂ t H.<br />

Für s = 0 ist ∂ t H = ċ und ∂ s H = V , und die Behauptung folgt. QED<br />

Lemma 2. Seien J 0 , J ′ 0 ∈ T c(a)M. Dann existiert genau ein Jacobifeld längs c mit<br />

J(a) = J 0 und (∇ t J)(a) = J ′ 0. Insbesondere ist die Menge der Jacobifelder längs c<br />

ein 2n–dimensionaler Vektorraum.<br />

Version 25. Juli 2000<br />

235


Beweis. Seien V 1 , . . . , V n parallele Vektorfelder längs c, die für jeden Wert t ∈ [a, b]<br />

eine Basis von T c(t) M bilden, und sei J ein Vektorfeld längs c. Dann ist J = J i V i<br />

mit gewissen Komponentenfunktionen J i , und es gilt ∇ t J = (J i ) ′ V i . Außerdem ist<br />

R(V i , ċ)ċ = a i k V k mit Koeffizienten a i k ∈ C ∞ ([a, b]), und damit R(J, ċ)ċ = J i a i k V k .<br />

Die Jacobiglei<strong>ch</strong>ung ist daher äquivalent zum linearen System gewöhnli<strong>ch</strong>er Differentialglei<strong>ch</strong>ungen<br />

(J k ) ′′ + a i k J i = 0 (k = 1, . . . , n). (23.1.2)<br />

Die Behauptung folgt (siehe 9.5). QED<br />

Bemerkung. Ist ∇R = 0 auf M, dann ist R(V i , ċ)ċ ein paralleles Vektorfeld längs<br />

c, und damit sind die Koeffizienten a k i konstant. Das Differentialglei<strong>ch</strong>ungssystem<br />

(23.1.2) läßt si<strong>ch</strong> dann explizit lösen. Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten mit<br />

parallelem Krümmungstensor, also mit ∇R = 0, heißen lokalsymmetris<strong>ch</strong>e Räume.<br />

Beispiele lokalsymmetris<strong>ch</strong>er Räume sind die Räume konstanter Krümmung und<br />

Liegruppen mit biinvarianter Riemanns<strong>ch</strong>er Metrik. Man folgert das lei<strong>ch</strong>t aus den<br />

jeweiligen Formeln für den Krümmungstensor in (20.6.1) und 21.4.<br />

Lemma 3. Seien J 0 , J ′ 0 ∈ T c(a)M, und sei γ : (−ε, ε) → M differenzierbar mit<br />

˙γ(0) = J 0 . Sei H die Variation<br />

H(s, t) = exp γ(s)<br />

(<br />

(t − a)P<br />

γ<br />

s,0 (ċ(a) + sJ ′ 0) ) . (23.1.3)<br />

Dann ist das Variationsvektorfeld J(t) = ∂H/∂s(0, t) das Jacobifeld längs c mit den<br />

Anfangswerten J(a) = J 0 und (∇ t J)(a) = J ′ 0 .<br />

Insbesondere ist also jedes Jacobifeld längs c das Variationsvektorfeld einer Variation<br />

mit geodätis<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>barkurven c s = H(s, ·). Um si<strong>ch</strong>erzustellen, dass H auf<br />

(−ε, ε) × [a, b] definiert ist, muß ε nötigenfalls verkleinert werden, da (M, g) ni<strong>ch</strong>t<br />

als vollständig vorausgesetzt ist.<br />

Beweis. Da die Kurven c s = H(s, ·) Geodätis<strong>ch</strong>e sind, ist J jedenfalls ein Jacobifeld.<br />

Zu zeigen bleibt, dass J(a) = J 0 gilt und (∇ t J)(a) = J ′ 0. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist<br />

J(a) = ∂H (0, a) =<br />

d ∂s<br />

ds ∣ exp γ(s) (0) = d 0<br />

ds∣ γ(s) = J 0<br />

0<br />

und<br />

(∇ t J)(a) = (∇ t ∂ s H)(0, a)<br />

= (∇ s ∂ t H)(0, a)<br />

∣<br />

= ∇ ∣s=0 s P γ s,0 (ċ(a) + sJ 0 ′ )<br />

= 0 + J 0 ′ ,<br />

wie behauptet. QED<br />

236


Korollar. Seien p ∈ M, X, Y ∈ T p M und sei J das Jacobifeld längs der Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

t ↦→ exp(tX) mit J(0) = 0 und (∇ t J)(0) = Y . Dann gilt<br />

J(t) = ( T tX exp p<br />

)<br />

(ιtX tY ). (23.1.4)<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net ι tX<br />

: T p M → T tX T p M den kanonis<strong>ch</strong>en Isomorphismus (17.6.1).<br />

Beweis. Wendet man Lemma 3 mit der konstanten Kurve γ(s) = p an, dann ergibt<br />

si<strong>ch</strong><br />

J(t) = ∂H (0, t)<br />

∂s<br />

= ∂ ∂s∣ exp p (t(X + sY ))<br />

0<br />

= (T tX exp p ) ∂ ∂s∣ t(X + sY )<br />

0<br />

= (T tX exp p )(ι tX<br />

tY ) . QED<br />

Lemma 4. Sei J ein Jacobifeld längs der Geodätis<strong>ch</strong>en c.<br />

(a) Es gilt 〈J(t), ċ(t)〉 = λt + µ mit Konstanten λ, µ ∈ R.<br />

(b) Die an c tangentielle Komponente<br />

J tan =<br />

〈<br />

ċ<br />

〉 ċ<br />

J,<br />

‖ċ‖ ‖ċ‖<br />

und die zu ċ orthogonale Komponente J ⊥ = J − J tan sind ebenfalls Jacobifelder.<br />

(c) Für an c tangentielle Jacobifelder J gilt<br />

J(t) = P c t,a(<br />

J(a) + t(∇t J)(a) ) .<br />

Da die an c tangentielle Komponente eines Jacobifeldes dur<strong>ch</strong> (c) gegeben ist, kann<br />

man si<strong>ch</strong> für viele Zwecke auf die Betra<strong>ch</strong>tung der zu ċ orthogonalen Jacobifelder<br />

bes<strong>ch</strong>ränken.<br />

Beweis. Die erste Aussage ergibt si<strong>ch</strong> aus<br />

〈J, ċ 〉 ′′ = 〈∇ t ∇ t J, ċ 〉 = −〈R(J, ċ)ċ, ċ 〉 = 0.<br />

Für (b) bemerkt man, dass J tan die Jacobiglei<strong>ch</strong>ung erfüllt. Die re<strong>ch</strong>te Seite der<br />

Glei<strong>ch</strong>ung in (c) ist ein Jacobifeld mit denselben Anfangswerten J(a) und ∇ t J(a)<br />

wie J, stimmt also mit J überein. QED<br />

23.2. Jacobifelder in Räumen konstanter Krümmung. In Räumen konstanter<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmung K = κ gilt na<strong>ch</strong> (20.6.1) R(X, Y )Z = κ(〈Y, Z 〉X −〈X, Z 〉Y ),<br />

also<br />

R(J, ċ)ċ = κ(‖ċ‖ 2 J − 〈J, ċ 〉ċ ).<br />

237


Ist speziell 〈J, ċ 〉 = 0, dann lautet die Jacobiglei<strong>ch</strong>ung<br />

∇ t ∇ t J + κ ‖ċ‖ 2 J = 0. (23.2.1)<br />

Sei V 1 , . . . , V n wie im Beweis von 23.1 Lemma 2 ein längs c paralleles Repèrefeld.<br />

Für die dur<strong>ch</strong> J = J i V i definierten Komponenten von J ergibt si<strong>ch</strong> das System<br />

(J k ) ′′ + κ ‖ċ‖ 2 J k = 0.<br />

Mit J(t) = P c t,a(<br />

J k (t)V k (a) ) erhält man die Lösung explizit als<br />

J(t) = P c t,a<br />

(<br />

cos (√ κ ‖ċ‖ (t − a) ) J(a) + sin (√ κ ‖ċ‖ (t − a) ) )<br />

√ (∇ t J)(a)<br />

κ ‖ċ‖<br />

falls κ > 0 ist. Im Fall κ < 0 sind in dieser Formel κ dur<strong>ch</strong> −κ, sin dur<strong>ch</strong> sinh und<br />

cos dur<strong>ch</strong> cosh zu ersetzen, also<br />

J(t) = P c t,a<br />

(<br />

cosh (√ −κ ‖ċ‖ (t − a) ) J(a) + sinh (√ −κ ‖ċ‖ (t − a) )<br />

√ −κ ‖ċ‖<br />

Für κ = 0 s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> lautet die Lösung<br />

J(t) = P c t,a(<br />

J(a) + (t − a)(∇t J)(a) ) .<br />

)<br />

(∇ t J)(a) .<br />

23.3. Konjugierte Punkte und negative Krümmung. Ein Punkt c(t) einer<br />

Geodätis<strong>ch</strong>en c : [a, b] → M heißt zu c(a) konjugiert längs c, oder etwas ungenauer:<br />

ein konjugierter Punkt von c, wenn ein Jacobifeld J ≠ 0 längs c existiert mit J(a) =<br />

0 und J(t) = 0. Wegen Lemma 4(a) in 23.1 ist dann 〈J, ċ 〉 = 0. Aus dem Korollar<br />

in 23.1 ergibt si<strong>ch</strong>:<br />

Lemma. Der Punkt exp p (X) ist genau dann zu p konjugiert längs der Geodätis<strong>ch</strong>en<br />

γ(t) = exp p (tX), wenn Kern(T X exp p ) ≠ {0} ist.<br />

Die Dimension des Raumes der Jacobifelder längs c mit J(a) = 0 und J(t) = 0 nennt<br />

man die Multiplizität des konjugierten Punktes. In der Situation des Lemmas ist<br />

das die Dimension des Kernes von T X exp p .<br />

Proposition. In Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeiten (M, g) mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung<br />

K ≤ 0 haben Geodätis<strong>ch</strong>e keine konjugierten Punkte. Insbesondere ist für jeden<br />

Punkt p ∈ M die Abbildung exp p : ˜T p M → M ein lokaler Diffeomorphismus.<br />

Beweis. Sei J ≠ 0 ein Jacobifeld längs c mit J(a) = 0. Dann ist<br />

〈J, J 〉 ′′ = 2〈∇ t J, J 〉 ′<br />

= 2〈∇ t ∇ t J, J 〉 + 2 ‖∇ t J‖ 2<br />

= −2〈R(J, ċ)ċ, J 〉 + 2 ‖∇ t J‖ 2<br />

≥ 0.<br />

238


Für die Funktion f(t) = 〈J(t), J(t)〉 auf [a, b] gilt also f ′′ ≥ 0. Außerdem ist f(a) =<br />

f ′ (a) = 0 und f ′′ (a) = 〈∇ t J, ∇ t J 〉(a) ≥ 0. Da J ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>windet, ist<br />

∇ t J(a) ≠ 0 und damit f ′′ (a) > 0. Folgli<strong>ch</strong> hat f keine Nullstelle in (a, b], und die<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e c hat keinen zu c(a) konjugierten Punkt. QED<br />

Satz von Hadamard–Cartan. Sei (M, g) eine zusammenhängende, vollständige<br />

Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung K ≤ 0, und sei p ∈ M. Dann<br />

ist die Exponentialabbildung exp p : T p M → M eine Überlagerung. Ist M einfa<strong>ch</strong><br />

zusanmmenhängend, dann ist exp p ein Diffeomorphismus.<br />

Der Satz folgt unmittelbar aus der Proposition und aus Satz 2 in 22.7. Vollständige,<br />

einfa<strong>ch</strong> zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten mit S<strong>ch</strong>nittkrümmung<br />

K ≤ 0 nennt man Hadamard–Mannigfaltigkeiten. Aufgrund des Satzes sind sol<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeiten M diffeomorph zu R n , und je zwei Punkte p, q ∈ M können<br />

dur<strong>ch</strong> eine eindeutig bestimmte Geodätis<strong>ch</strong>e c : [0, 1] → M verbunden werden.<br />

Diese Geodätis<strong>ch</strong>e c hängt differenzierbar von p und q ab. Genauer gesagt, gilt<br />

folgende<br />

Bemerkung. Ist ∇ ein vollständiger Zusammenhang auf einer differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit M, und ist für jeden Punkt p ∈ M die Abbildung exp p : T p M → M<br />

ein Diffeomorphismus, dann ist au<strong>ch</strong> π×exp : T M → M×M ein Diffeomorphismus.<br />

Dabei bezei<strong>ch</strong>net π : T M → M die Projektion des Tangentialbündels. Die Abbildung<br />

π×exp ist na<strong>ch</strong> Voraussetzung bijektiv. Der Beweis des Lemmas in 17.7 liefert,<br />

dass die Ableitung T X (π × exp) = T X π × T X exp invertierbar ist für alle X ∈ T M.<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist π × exp ein bijektiver lokaler Diffeomorphismus, also ein Diffeomorphismus,<br />

und die Bemerkung ist bewiesen. Die eindeutige Verbindbarkeit von Punkten<br />

dur<strong>ch</strong> Geodätis<strong>ch</strong>e hat zur Folge, dass si<strong>ch</strong> viele geometris<strong>ch</strong>e Konstruktionen der<br />

euklidis<strong>ch</strong>en Geometrie au<strong>ch</strong> in Hadamard–Mannigfaltigkeiten dur<strong>ch</strong>führen lassen.<br />

Kommentar. Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 22.5 ist jede zusammenhängende, vollständige Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeit (M, g) mit K ≤ 0 isometris<strong>ch</strong> zum Quotienten Γ\ ˜M<br />

einer Hadamard–Mannigfaltigkeit ( ˜M, ˜g) na<strong>ch</strong> einer frei und eigentli<strong>ch</strong> diskontinuierli<strong>ch</strong><br />

operierenden Gruppe Γ ∼ = π 1 (M) von Isometrien. Da ˜M diffeomorph zu R n<br />

ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Gruppenstruktur von π 1 (M) von großem<br />

Einfluss auf die topologis<strong>ch</strong>e Struktur von M ist. In der Tat gilt der folgende<br />

Starrheitssatz von Farrell und Jones † .<br />

Satz. Seien (M 1 , g 1 ) und (M 2 , g 2 ) kompakte zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e<br />

Mannigfaltigkeiten mit ni<strong>ch</strong>tpositiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung. Die Dimension von M 1<br />

sei ≠ 3, 4. Sind die Fundamentalgruppen isomorph, π 1 (M 1 ) ∼ = π 1 (M 2 ), dann sind<br />

M 1 und M 2 homöomorph.<br />

† F. T. Farrell, L. E. Jones, Topological rigidity for compact nonpositively curved<br />

manifolds, Proceedings of Symposia in Pure Mathematics 54(1993), Part 3, 229–<br />

274<br />

239


Beispiele zeigen, dass in der Formulierung das Wort “homöomorph” ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong><br />

“diffeomorph” ersetzt werden kann.<br />

23.4. Indexform und Indexlemma. Sei V ⊥ c der Raum der stückweise differenzierbaren<br />

Vektorfelder V längs der Geodätis<strong>ch</strong>en c mit 〈V (t), ċ(t)〉 = 0 für alle<br />

t ∈ [a, b]. Die Indexform von c ist die dur<strong>ch</strong><br />

I(V, W ) = 1<br />

‖ċ‖<br />

∫ b<br />

a<br />

(<br />

〈∇t V, ∇ t W 〉 − 〈R(V, ċ)ċ, W 〉 ) dt (23.4.1)<br />

definierte symmetris<strong>ch</strong>e Bilinearform I : V ⊥ c × V ⊥ c → R. Na<strong>ch</strong> der zweiten Variationsformel<br />

gilt für Variationsvektorfelder V von Variationen mit festen Endpunkten<br />

Für Jacobifelder J ist<br />

∫ b<br />

I(V ⊥ , V ⊥ ) = d2<br />

ds 2 ∣ ∣∣∣0<br />

L(c s ). (23.4.2)<br />

I(J, J) = 1 (<br />

∂t 〈∇ t J, J 〉 − 〈∇ t ∇ t J + R(J, ċ)ċ, J 〉 ) dt<br />

‖ċ‖ a<br />

= 1<br />

(23.4.3)<br />

‖ċ‖ 〈∇ tJ, J 〉 ∣ b . a<br />

Lemma. Ist c(t) ni<strong>ch</strong>t konjugiert zu c(a) längs c, dann ist die Randwertabbildung<br />

J ↦→ (J(a), J(t)) ein Isomorphismus des Vektorraums der Jacobifelder längs c auf<br />

den Raum T c(a) M × T c(t) M.<br />

Beweis. Es handelt si<strong>ch</strong> um eine lineare Abbildung zwis<strong>ch</strong>en Vektorräumen derselben<br />

Dimension 2n, deren Kern der Nullraum ist. QED<br />

Satz (Indexlemma). Die Geodätis<strong>ch</strong>e c enthalte keine zu c(a) längs c konjugierten<br />

Punkte. Sei V ∈ Vc<br />

⊥ ein Vektorfeld mit V (a) = 0, und sei J das Jacobifeld längs c<br />

mit denselben Randwerten J(a) = 0 und J(b) = V (b). Dann ist I(J, J) ≤ I(V, V ),<br />

und Glei<strong>ch</strong>heit impliziert V = J.<br />

Bei gegebenen Randwerten V (a) = 0 und V (b) minimieren also Jacobifelder die Indexform.<br />

Für den Beweis treffen wir zunä<strong>ch</strong>st einige Vorbereitungen. Sei Y 1 , . . . , Y n<br />

eine Basis von T c(b) M, und sei J i das Jacobifeld längs c mit Randwerten J i (a) = 0<br />

und J i (b) = Y i .<br />

(a) Für jeden Wert t ∈ (a, b] bilden die Vektoren J 1 (t), . . . , J n (t) eine Basis von<br />

T c(t) M.<br />

Ist nämli<strong>ch</strong> für einen Wert t 0 ∈ (a, b] eine Linearkombination a i J i (t 0 ) = 0, dann ist<br />

˜J(t) := a i J i (t) ein Jacobifeld, das an den Stellen a und t 0 vers<strong>ch</strong>windet. Da c keine<br />

240


konjugierten Punkte hat, folgt ˜J = 0, und insbesondere ˜J(b) = 0. Da die Y i linear<br />

unabhängig sind, ist dann a 1 = · · · = a n = 0, und (a) ist bewiesen.<br />

(b) Es gilt 〈∇ t J i , J k 〉 − 〈J i , ∇ t J k 〉 = 0.<br />

Wir bezei<strong>ch</strong>nen mit f(t) die linke Seite dieser Glei<strong>ch</strong>ung. Mit Hilfe der Jacobiglei<strong>ch</strong>ung<br />

ergibt si<strong>ch</strong> f ′ (t) = 0. Da ausserdem f(0) = 0 ist, folgt f = 0, also die<br />

Behauptung.<br />

Sei nun V ∈ V ⊥ c . Dann gilt V (t) = V i (t)J i (t) mit gewissen stückweise differenzierbaren<br />

Komponentenfunktionen V i auf (a, b]. Diese sind im Punkt a zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t<br />

definiert.<br />

(c) Sei J das Jacobifeld längs c mit Randwerten J(a) = 0 und J(b) = V (b). Dann<br />

gilt J(t) = V i (b)J i (t) für alle t ∈ [a, b].<br />

In der Tat ist die Differenz beider Seiten ein Jacobifeld, das für t = a und t = b<br />

vers<strong>ch</strong>windet. Da c keine konjugierten Punkte hat, vers<strong>ch</strong>windet es auf [a, b].<br />

(d) Ist V ∈ Vc<br />

⊥ ein Vektorfeld mit V (a) = 0, dann können die Komponentenfunktionen<br />

V i : (a, b] → R zu stückweise differenzierbaren Funktionen auf [a, b] fortgesetzt<br />

werden.<br />

Beweis. Für Werte t ∈ (a, b] ist V (t) = V i (t)J i (t), also<br />

P c a,tV (t) = V i (t)P c a,tJ i (t).<br />

Mit der Taylorformel (15.3.1) folgt daraus<br />

V (a) + (t − a)∇ t V (a) + O((t − a) 2 )<br />

und wegen V (a) = J i (a) = 0 ergibt si<strong>ch</strong><br />

= V i (t) ( J i (a) + (t − a)∇ t J i (a) + O((t − a) 2 ) ) ,<br />

∇ t V (a) + O(t − a) = V i (t) ( ∇ t J i (a) + O(t − a) ) . (∗ t )<br />

Nun sind ∇ t J 1 (a), . . . , ∇ t J n (a) linear unabhängig, da andernfalls eine ni<strong>ch</strong>ttriviale<br />

Linearkombination ˜J(t) = a i J i (t) die Bedingungen ˜J(a) = 0 und ∇ t ˜J(a) = 0<br />

erfüllen würde, im Gegensatz zu Aussage (a). Glei<strong>ch</strong>ung (∗ t ) ist daher ein lineares<br />

Glei<strong>ch</strong>ungssystem der Form V i (t)a k i (t) = bk (t) mit Funktionen a k i und b k i , die in<br />

einer Umgebung von a differenzierbar sind, wobei die Matrix ( a k i (a)) invertierbar<br />

ist. Behauptung (d) folgt, indem man dieses System na<strong>ch</strong> den V i (t) auflöst und<br />

V i (0) als die Lösung von (∗ 0 ) definiert. QED<br />

Wir kommen nun zum eigentli<strong>ch</strong>en Beweis des Indexlemmas. Mit<br />

∇ t V = (V i ) ′ J i + V i ∇ t J i =: A + B<br />

241


folgt<br />

I(V, V ) = 1<br />

‖ċ‖<br />

∫ b<br />

a<br />

(<br />

〈A, A〉 + 2〈A, B〉 + 〈B, B〉 − 〈R(V, ċ)ċ, V 〉<br />

)<br />

dt.<br />

Nun ist, unter Verwendung von (b) und der Jacobiglei<strong>ch</strong>ung,<br />

∫ b<br />

a<br />

Wegen (c) ist<br />

〈B, B〉 dt =<br />

und daher mit (23.4.3)<br />

=<br />

=<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

V i V k 〈∇ t J i , ∇ t J k 〉 dt<br />

V i V k( 〈∇ t J i , J k 〉 ′ + 〈R(J i , ċ)ċ, J k 〉 ) dt<br />

(<br />

(V i V k 〈∇ t J i , J k 〉) ′ − (V i ) ′ V k 〈∇ t J i , J k 〉<br />

− V i (V k ) ′ 〈∇ t J i , J k 〉 + 〈R(V, ċ)ċ, V 〉 ) dt<br />

= 〈B, V 〉 ∣ ∫ b<br />

b + ( )<br />

a − 2〈A, B〉 + 〈R(V, ċ)ċ, V 〉 dt.<br />

a<br />

〈B, V 〉 ∣ ∣ b a = 〈 V i (b)∇ t J i (b), V (b) 〉<br />

= 〈 ∇ t J(b), J(b) 〉<br />

I(V, V ) = 1<br />

‖ċ‖ 〈∇ tJ, J 〉 ∣ b a + 1<br />

‖ċ‖<br />

≥ 1<br />

‖ċ‖ 〈∇ tJ, J 〉 ∣ b a<br />

= I(J, J),<br />

∫ b<br />

a<br />

〈A, A〉 dt<br />

wie behauptet. Glei<strong>ch</strong>heit in dieser Unglei<strong>ch</strong>ung impliziert A = 0, also V i = const =<br />

V i (b) und damit wegen (c) au<strong>ch</strong> V = J. QED<br />

23.5. Jacobikriterium. Mit Hilfe konjugierter Punkte lässt si<strong>ch</strong> ein Kriterium<br />

dafür angeben, dass eine Geodätis<strong>ch</strong>e c : [a, b] → M unter den Na<strong>ch</strong>barkurven c s<br />

jeder Variation mit festen Endpunkten die Bogenlänge minimiert. Wir betra<strong>ch</strong>ten<br />

dazu stückweise glatte Variationen H : (−ε, ε) × [a, b] → M, H(s, t) =: c s (t) von<br />

c mit festen Endpunkten, also mit c s (a) = c(a) und c s (b) = c(b) für alle s. Sei<br />

V (t) = ∂H/∂s(0, t) das Variationsvektorfeld.<br />

Satz. (a) Enthält c auf (a, b] keinen zu c(a) konjugierten Punkt, dann gilt für jede<br />

stückweise glatte Variation mit festen Endpunkten und mit V ⊥ ≠ 0<br />

d 2<br />

ds 2 ∣ ∣∣∣0<br />

L(c s ) > 0.<br />

242


Folgli<strong>ch</strong> ist c kürzer als die Na<strong>ch</strong>barkurven c s für alle hinrei<strong>ch</strong>end kleinen s ≠ 0.<br />

(b) Ist c(t 0 ) konjugiert zu c(a) für einen Wert t 0 ∈ (a, b), dann existiert eine stückweise<br />

glatte Variation mit festen Endpunkten und mit<br />

d 2<br />

ds 2 ∣ ∣∣∣0<br />

L(c s ) < 0.<br />

Insbesondere ist dann L(c s ) < L(c) für alle hinrei<strong>ch</strong>end kleinen s ≠ 0, und c ist<br />

keine Kürzeste.<br />

Beweis. (a) Anwendung des Indexlemmas auf V ⊥ und das Jacobifeld J = 0 ergibt<br />

die Unglei<strong>ch</strong>ung<br />

d 2<br />

ds 2 ∣ ∣∣∣0<br />

L(c s ) = I(V ⊥ , V ⊥ ) > I(J, J) = 0.<br />

(b) Sei J ≠ 0 ein Jacobifeld mit J(0) = 0 und J(t 0 ) = 0. Na<strong>ch</strong> Lemma 4(a) in 23.1<br />

ist J orthogonal zu ċ, und wir können ein Vektorfeld Y ∈ Vc<br />

⊥ definieren als<br />

Y (t) =<br />

{<br />

J(t) für a ≤ t ≤ t0<br />

0 für t 0 < t ≤ b.<br />

Dann ist I(Y, Y ) = 0, und für die einseitigen Ableitungen in t 0 gilt<br />

(∇ t Y )(t − 0 ) = (∇ tJ)(t 0 ) ≠ 0, da J ≠ 0<br />

(∇ t Y )(t + 0 ) = 0.<br />

Sei Z ∈ Vc<br />

⊥ ein Vektorfeld mit Z(a) = 0 und Z(b) = 0, und sei V = Y + δZ mit<br />

einer no<strong>ch</strong> zu wählenden Zahl δ ∈ R. Aus I(Y, Y ) = 0 und der Bilinearität der<br />

Indexform folgt<br />

I(V, V ) = 2δ I(Y, Z) + δ 2 I(Z, Z).<br />

Mit der Jacobiglei<strong>ch</strong>ung ∇ t ∇ t Y + R(Y, ċ)ċ = 0 ergibt si<strong>ch</strong><br />

I(Y, Z) = 1<br />

‖ċ‖<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

(<br />

〈∇t Y, ∇ t Z 〉 − 〈R(Y, ċ)ċ, Z 〉 ) dt<br />

= 1 〈∇ t Y, Z 〉 ′ dt<br />

‖ċ‖ a<br />

= 1 ( 〈∇t Y, Z 〉∣<br />

∣ t− 0<br />

‖ċ‖<br />

+ 〈∇ ∣<br />

tY, Z 〉<br />

a<br />

= 1<br />

‖ċ‖ 〈∇ tJ(t 0 ), Z(t 0 ) 〉.<br />

Wegen 〈J, ċ 〉 = 0 ist au<strong>ch</strong> 〈∇ t J, ċ 〉 = 0. Man kann deshalb Z ∈ Vc<br />

⊥ so wählen,<br />

dass Z(t 0 ) = ∇ t J(t 0 ) gilt. Dann ist I(Y, Z) > 0, und für δ < 0 nahe Null folgt<br />

243<br />

∣ b t + 0<br />

)


I(V, V ) < 0. Die Variation H(s, t) = exp c(t) (sV (t)) erfüllt dann die Bedingungen<br />

des Satzes. QED<br />

Aufgaben<br />

1. Jacobifelder mit Torsion. Sei ∇ ein Zusammenhang auf einer differenzierbaren<br />

Mannigfaltigkeit M, und sei c eine Geodätis<strong>ch</strong>e. Sei H(s, t) eine Variation<br />

von c mit der Eigens<strong>ch</strong>aft, dass alle Kurven c s = H(s, ·) Geodätis<strong>ch</strong>e von ∇ sind.<br />

Zeigen Sie, dass das Variationsvektorfeld der verallgemeinerten Jacobiglei<strong>ch</strong>ung<br />

∇ t ∇ t J + R(J, ċ)ċ + ∇ t (T (J, ċ)) = 0<br />

mit dem Krümmungstensor R und dem Torsionstensor T von ∇ genügt.<br />

2. Lokalsymmetris<strong>ch</strong>e Räume. Zeigen Sie, dass Räume konstanter Krümmung<br />

und Liegruppen mit biinvarianter Riemanns<strong>ch</strong>er Metrik lokalsymmetris<strong>ch</strong> sind. Geben<br />

Sie explizite Formeln für die Jacobifelder lokalsymmetris<strong>ch</strong>er Räume, indem Sie<br />

ein paralleles Repèrefeld X 1 , . . . , X n längs der Geodätis<strong>ch</strong>en c verwenden, wel<strong>ch</strong>es<br />

aus Eigenvektoren der selbstadjungierten Abbildung X ↦→ R(X, ċ)ċ besteht.<br />

3. Jacobifelder und Killingfelder. Sei X ein Killingfeld auf einer Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Mannigfaltigkeit. Zeigen Sie, dass für jede Geodätis<strong>ch</strong>e c das Vektorfeld X ◦ c ein<br />

Jacobifeld längs c ist. Folgern Sie: Die Menge der Nullstellen eines Killingfeldes auf<br />

einer vollständigen Mannigfaltigkeit ni<strong>ch</strong>tpositiver S<strong>ch</strong>nittkrümmung ist wegzusammenhängend.<br />

4. Abstandsfunktion. Sei d die Abstandsfunktion einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g), und sei p ∈ M. Wir definieren die Funktion f : M → R als<br />

f(q) = 1 2 d(p, q)2 .<br />

Sei ϱ > 0 kleiner als der Injektivitätsradius inj(p). Zeigen Sie, dass f auf dem Ball<br />

B(p, ϱ) differenzierbar ist mit Gradient<br />

gradf(q) = − exp −1<br />

q (p).<br />

Sei c : [0, 1] → M die eindeutig bestimmte Geodätis<strong>ch</strong>e von p na<strong>ch</strong> q, die ganz in<br />

B(p, ϱ) verläuft. Zeigen Sie, dass für X ∈ T q M gilt<br />

(∇ X gradf)(q) = (∇ t J)(1),<br />

wobei J das Jacobifeld längs c ist mit den Randwerten J(0) = 0 und J(1) = X.<br />

244


24. Verglei<strong>ch</strong>ssatz von Rau<strong>ch</strong><br />

Da in die Jacobiglei<strong>ch</strong>ung (23.1.1) der Krümmungstensor einer Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit<br />

(M, g) eingeht, liegt es nahe, dass aus S<strong>ch</strong>ranken für die Krümmung<br />

Abs<strong>ch</strong>ätzungen für Jacobifelder gewonnen werden können. Eine derartige Aussage<br />

ist Inhalt des Verglei<strong>ch</strong>ssatzes von Rau<strong>ch</strong>, der, grob gespro<strong>ch</strong>en, besagt, dass bei<br />

verglei<strong>ch</strong>baren Ausgangsbedingungen die Jacobifelder einer negativer gekrümmten<br />

Mannigfaltigkeit entlang einer Geodätis<strong>ch</strong>en stärker wa<strong>ch</strong>sen als die einer positiver<br />

gekrümmten. Da Jacobifelder die Ableitung der Exponentialabbildung bes<strong>ch</strong>reiben,<br />

und da man die Jacobifelder der Räume konstanter Krümmung kennt, ergeben si<strong>ch</strong><br />

Folgerungen für die Längenverzerrung dur<strong>ch</strong> Normalkoordinaten und für die Lage<br />

der konjugierten Punkte auf einer Geodätis<strong>ch</strong>en.<br />

24.1. Verglei<strong>ch</strong>ssatz von Rau<strong>ch</strong>. Seien (M, g) und (M ∗ , g ∗ ) Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten<br />

derselben Dimension, und seien c : [a, b] → M und c ∗ : [a, b] → M ∗<br />

Geodätis<strong>ch</strong>e mit ‖ċ‖ = ‖ċ ∗ ‖. Es gelte<br />

(a) c ∗ hat keine zu c ∗ (a) längs c ∗ konjugierten Punkte, und<br />

(b) Für alle t ∈ [a, b] und alle Vektoren X ∈ T c(t) M und X ∗ ∈ T c ∗ (t)M ∗ sind die<br />

S<strong>ch</strong>nittkrümmungen<br />

K(ċ(t), X) ≤ K ∗ (ċ ∗ (t), X ∗ ).<br />

Seien J und J ∗ Jacobifelder längs c und c ∗ mit den Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

(c) 〈J, ċ 〉 = 〈J ∗ , ċ ∗ 〉 = 0,<br />

(d) J(a) = 0 und J ∗ (a) = 0<br />

(e) ‖(∇ t J)(a)‖ = ‖(∇ t J ∗ )(a)‖.<br />

Dann gilt<br />

‖J(t)‖ ≥ ‖J ∗ (t)‖<br />

auf [a, b]. Gilt in dieser Unglei<strong>ch</strong>ung für einen Wert t 0 ∈ (0, a] das Glei<strong>ch</strong>heitszei<strong>ch</strong>en,<br />

dann ist für alle t ∈ [0, t 0 ]<br />

K(ċ(t), J(t)) = K ∗ (ċ ∗ (t), J ∗ (t)).<br />

Ist J ∗ ≠ 0, dann ist J ∗ (t) ≠ 0 für alle t ∈ (a, b], und die Funktion<br />

ist monoton wa<strong>ch</strong>send.<br />

t ↦→ ‖J(t)‖<br />

‖J ∗ (t)‖<br />

Die Aussage des Satzes lässt si<strong>ch</strong> gut am Beispiel von Sphären unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Radien 1/ √ κ verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en. Der Beweis wird zeigen, dass die Voraussetzung<br />

Version 17. Juli 2000<br />

245


glei<strong>ch</strong>er Dimension dur<strong>ch</strong> dim(M) ≤ dim(M ∗ ) ersetzt werden kann. Es gibt eine<br />

Reihe von Verallgemeinerungen dieses Satzes, die alle als Rau<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>e Verglei<strong>ch</strong>ssätze<br />

bezei<strong>ch</strong>net werden. Die Idee ist jedenfalls, aus der Jacobiglei<strong>ch</strong>ung (23.1.1) und<br />

Annahmen über den Krümmungstensor R Abs<strong>ch</strong>ätzungen für J (in Abhängigkeit<br />

von Anfangs- oder Randwerten) zu gewinnen, und damit über das Verhalten der<br />

Geodätis<strong>ch</strong>en auf M.<br />

Beweis. Man kann annehmen, dass J ∗ ≠ 0 ist, da andernfalls ni<strong>ch</strong>ts zu beweisen<br />

ist. Dann gilt J ∗ (t) ≠ 0 für alle t ∈ (a, b], da c ∗ keine zu c ∗ (a) konjugierten Punkte<br />

hat. Sei t 0 ∈ (a, b]. Es existiert eine lineare Isometrie A : T c(a)M → T c ∗ (a)M ∗ mit<br />

A ċ(a) = ċ ∗ (a) und<br />

(<br />

A Pa,t c ‖J(t0 )‖<br />

)<br />

0<br />

J(t 0 ) = Pa,t c∗<br />

0<br />

‖J ∗ (t 0 )‖ J ∗ (t 0 ) .<br />

Wir definieren ein Vektorfeld Y längs c ∗ dur<strong>ch</strong><br />

Dann gilt<br />

Y (t) = (P c∗<br />

t,a ◦ A ◦ P c a,t)J(t).<br />

(∇ t Y )(t) = (P c∗<br />

t,a ◦ A ◦ P c a,t)(∇ t J)(t).<br />

Na<strong>ch</strong> Wahl von A hat Y an der Stelle t = t 0 denselben Wert wie das Jacobifeld<br />

˜J(t) = ‖J(t 0)‖<br />

‖J ∗ (t 0 )‖ J ∗ (t).<br />

Da außerdem Y (a) = 0 = ˜J(a) ist, läßt si<strong>ch</strong> auf Y und ˜J das Indexlemma aus<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 23.4 (für die Kurve c ∗ | [a,t0]) anwenden. In der folgenden Re<strong>ch</strong>nung verwenden<br />

wir die Glei<strong>ch</strong>ung (23.4.3) für I(J, J), die Eigens<strong>ch</strong>aften ‖∇ t Y ‖ = ‖∇ t J‖<br />

und ‖Y ‖ = ‖J‖, die Krümmungsvoraussetzung und das Indexlemma. Mit I bezei<strong>ch</strong>nen<br />

wir sowohl die Indexform der Kurve c| [a,t0] als au<strong>ch</strong> diejenige von c ∗ | [a,t0].<br />

1<br />

2<br />

d<br />

dt∣ ‖J‖ 2 ∣<br />

= 〈J, ∇ t J〉<br />

t0<br />

= I(J, J)<br />

= 1<br />

‖ċ‖<br />

≥ 1<br />

‖ċ ∗ ‖<br />

∫ t0<br />

∣ t0<br />

a<br />

a<br />

∫ t0<br />

a<br />

(<br />

〈∇t J, ∇ t J〉 − 〈R(J, ċ)ċ, J〉 ) dt<br />

(<br />

〈∇t Y, ∇ t Y 〉 − 〈R ∗ (Y, ċ ∗ )ċ ∗ , Y 〉 ) dt<br />

= I(Y, Y )<br />

≥ I( ˜J, ˜J)<br />

( ‖J(t0 )‖<br />

) 2I(J<br />

=<br />

∗ ‖J ∗ , J ∗ )<br />

(t 0 )‖<br />

( ‖J(t0 2 1 d<br />

=<br />

‖J ∗ (t 0 )‖)<br />

2 dt∣ ‖J ∗ ‖ 2 . (24.1.1)<br />

t0<br />

246


Da t 0 ∈ (a, b] beliebig gewählt war, folgt<br />

d<br />

dt<br />

‖J‖ 2<br />

‖J ∗ ‖ 2 ≥ 0<br />

auf (a, b], also ist ‖J‖ / ‖J ∗ ‖ monoton wa<strong>ch</strong>send, wie behauptet. Zweimalige Anwendung<br />

der Regel von de L’Hospital ergibt<br />

lim<br />

t→a<br />

‖J(t)‖ 2<br />

‖J ∗ (t)‖ 2 = lim 〈J, ∇ t J〉<br />

t→a 〈J ∗ , ∇ t J ∗ 〉<br />

= lim<br />

t→a<br />

‖∇ t J‖ 2 + 〈J, −R(J, ċ)ċ 〉<br />

‖∇ t J ∗ ‖ 2 + 〈J ∗ , −R ∗ (J ∗ , ċ ∗ 〉ċ ∗ 〉<br />

= 1,<br />

und damit ‖J‖ ≥ ‖J ∗ ‖ auf [a, b]. Falls für einen Wert t 0 > 0 das Glei<strong>ch</strong>heitszei<strong>ch</strong>en<br />

gilt, dann ist ˜J = J ∗ . In der Unglei<strong>ch</strong>ungskette (24.1.1) muss gelten I(Y, Y ) =<br />

I( ˜J, ˜J), also na<strong>ch</strong> dem Indexlemma Y = ˜J, und außerdem<br />

〈R(J, ċ)ċ, J〉 = 〈R ∗ (Y, ċ ∗ )ċ ∗ , Y 〉<br />

auf dem Intervall [0, t 0 ].<br />

Intervall. QED<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist K(ċ(t), J(t)) = K ∗ (ċ ∗ (t), J ∗ (t)) auf diesem<br />

24.2. Anwendungen des Rau<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>en Satzes. Für κ ∈ R sei s κ die Lösung der<br />

gewöhnli<strong>ch</strong>en Differentialglei<strong>ch</strong>ung f ′′ + κf = 0 mit den Anfangswerten s κ (0) = 0<br />

und s ′ κ (0) = 1. Explizit ist<br />

⎧<br />

√1<br />

⎪⎨ κ<br />

sin( √ κt), falls κ > 0<br />

s κ (t) = t, falls κ = 0<br />

⎪⎩<br />

√1<br />

−κ<br />

sinh( √ (24.2.1)<br />

−κt), falls κ < 0.<br />

Für X ∈ T p M sei ι X<br />

: T p M → T X T p M der kanonis<strong>ch</strong>e Isomorphismus (17.6.1). Wie<br />

in 18.3 definieren wir eine Riemanns<strong>ch</strong>e Metrik auf T p M dur<strong>ch</strong> die Festlegung, dass<br />

für jedes X ∈ T p M die Abbildung ι X<br />

eine lineare Isometrie ist. Damit wird T p M<br />

zu einer fla<strong>ch</strong>en Riemanns<strong>ch</strong>en Mannigfaltigkeit. Die erste Anwendung bes<strong>ch</strong>reibt<br />

die infinitesimale Längenverzerrung der Abbildung exp p : ˜T p M → M.<br />

Satz 1. Seien (M, g) eine Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeit, K ihre S<strong>ch</strong>nittkrümmung,<br />

p ∈ M und X ∈ ˜T p M. Sei w ∈ T X T p M orthogonal zur radialen Ri<strong>ch</strong>tung ι X<br />

X.<br />

(a) Gilt K ≤ ∆ für eine Zahl ∆ ∈ R, und ist im Fall ∆ > 0 zusätzli<strong>ch</strong> ‖X‖ ≤<br />

π/ √ ∆, dann gilt<br />

∥ (TX exp p )w ∥ s ∆ (‖X‖)<br />

≥ ‖w‖ . (24.2.2)<br />

‖X‖<br />

247


(b) Gilt K ≥ δ für eine Zahl δ ∈ R, und hat die Geodätis<strong>ch</strong>e γ : [0, 1] → M,<br />

γ(t) = exp p (tX) keine zu p = γ(0) konjugierten Punkte, dann gilt<br />

∥<br />

∥(T X exp p )w ∥ ∥ ≤ s δ(‖X‖)<br />

‖X‖<br />

‖w‖ . (24.2.3)<br />

Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>nitt 18.3 gilt für radiale Vektoren w ∈ T X T p M, dass ∥ (TX exp p )w ∥ =<br />

‖w‖, und na<strong>ch</strong> dem Gauß–Lemma werden die radiale und die dazu orthogonale Ri<strong>ch</strong>tung<br />

in T X T p M dur<strong>ch</strong> T X exp p in zueinander orthogonale Ri<strong>ch</strong>tungen in T exp(X) M<br />

abgebildet. Daher ist in Satz 1 die Eins<strong>ch</strong>ränkung auf Vektoren orthogonal zur<br />

radialen Ri<strong>ch</strong>tung ni<strong>ch</strong>t gravierend.—Wir haben in (a) der Einfa<strong>ch</strong>heit halber vorausgesetzt,<br />

dass die Krümmungss<strong>ch</strong>ranke K ≤ ∆ überall gilt. Der Beweis zeigt aber,<br />

dass die Forderung K( ˙γ(t), Y ) ≤ ∆ für t ∈ [0, 1] und alle Y ∈ T ˙γ(t) M ausrei<strong>ch</strong>end<br />

ist. Entspre<strong>ch</strong>endes gilt in (b).<br />

Beweis von Satz 1. Na<strong>ch</strong> dem Korollar in 23.1 ist (T X exp p )w = J(1), wobei J das<br />

Jacobifeld längs γ(t) = exp(tX) bezei<strong>ch</strong>net mit J(0) = 0 und ∇ t J(0) = ι −1 X<br />

w. Zum<br />

Beweis von (a) seien (M ∗ , g ∗ ) eine vollständige n–dimensionale Mannigfaltigkeit<br />

konstanter S<strong>ch</strong>nittkrümmung ∆, p ∗ ∈ M und A : T p M → T p ∗M ∗ eine lineare<br />

Isometrie. Sei X ∗ = AX und sei γ∗ : [0, 1] → M ∗ die Geodätis<strong>ch</strong>e γ ∗ (t) = exp(tX ∗ ).<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> sei J ∗ das Jacobifeld längs c ∗ mit J ∗ (0) = 0 und ∇ t J ∗ (0) = A(∇ t J(0)).<br />

Dann gilt na<strong>ch</strong> dem Rau<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>en Satz und den Formeln für Jacobifelder in Räumen<br />

konstanter Krümmung aus Abs<strong>ch</strong>nitt 23.2<br />

‖J(1)‖ ≥ ‖J ∗ (1)‖<br />

= s ∆(‖ ˙γ ∗ ‖)<br />

‖ ˙γ ∗ ‖(∇ t J ∗ )(0)‖<br />

‖<br />

= s ∆(‖X‖)<br />

‖w‖ ,<br />

‖X‖<br />

wie behauptet. Der Beweis von (b) verläuft analog. QED<br />

Korollar 1. (a) Ist K ≤ ∆ mit einer positiven Zahl ∆, dann haben Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

der Länge < π/ √ ∆ keine konjugierten Punkte.<br />

(b) Ist K ≥ δ mit einer positiven Zahl δ, dann haben alle Geodätis<strong>ch</strong>en der Länge<br />

≥ π/ √ δ konjugierte Punkte.<br />

(c) Ist K ≤ 0, dann hat keine Geodätis<strong>ch</strong>e konjugierte Punkte.<br />

Das Korollar folgt sofort aus Satz 1. Teil (c) ist identis<strong>ch</strong> mit der Proposition in<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt 23.3, für die dort ein kurzer Beweis gegeben wurde. Da auf jeder kompakten<br />

Teilmenge von M eine S<strong>ch</strong>ranke K ≤ ∆ existiert, folgt aus (a) insbesondere,<br />

dass eine Geodätis<strong>ch</strong>e c auf jedem kompakten Intervall [a, b] hö<strong>ch</strong>stens endli<strong>ch</strong> viele<br />

zu c(a) konjugierte Punkte enthält.<br />

248


Da na<strong>ch</strong> dem Jacobikriterium (23.5) Geodätis<strong>ch</strong>e mit einem konjugierten Punkt<br />

keine Kürzesten sind, ergibt si<strong>ch</strong> aus (b) eine abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>te Form des Satzes von<br />

Bonnet–Myers: Ist (M, g) vollständig und zusammenhängend, und ist K ≥ δ mit<br />

einer positiven Konstante δ, dann ist M kompakt mit Dur<strong>ch</strong>messer diam(M, g) ≤<br />

π/ √ κ.<br />

Satz 2. Seien (M, g) und (M ∗ , g ∗ ) Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten derselben Dimension,<br />

p ∈ M, p ∗ ∈ M ∗ . Die Zahl ϱ > 0 sei kleiner als der Injektivitätsradius<br />

inj(p), und die Exponentialabbildung exp p ∗ sei auf dem Ball B p ∗(0, ϱ) definiert und<br />

ein lokaler Diffeomorphismus. Sei A : T p M → T p ∗M ∗ eine lineare Isometrie, und<br />

sei F : B(p, ϱ) → B(p ∗ , ϱ) die Abbildung<br />

F = exp p ∗ ◦A ◦ ( exp p<br />

∣<br />

∣B(0,ϱ)<br />

) −1.<br />

(24.2.4)<br />

Für die S<strong>ch</strong>nittkrümmungen aller zweidimensionalen Unterräume E ≤ T q M mit<br />

q ∈ B(p, ϱ) gelte<br />

K(E) ≤ K ∗ ((T F )(E)).<br />

Dann ist<br />

Insbesondere gilt für die Längen aller in B(p, ϱ) ver-<br />

für alle X ∈ T M| B(p,ϱ) .<br />

laufenden Kurven<br />

‖(T F )X‖ ≤ ‖X‖ (24.2.5)<br />

L(F ◦ c) ≤ L(c).<br />

Beweis. Es genügt, die Behauptung für alle X der Gestalt X = (T Y exp p )w<br />

na<strong>ch</strong>zuweisen, wobei Y ∈ B(0, ϱ) ⊆ T p M ist, und wobei w ∈ T Y T p M zur radialen<br />

Ri<strong>ch</strong>tung ι Y<br />

Y orthogonal ist. Seien Y ∗ = AY und w ∗ = (T Y A)w ∈ T Y ∗T p ∗M ∗ .<br />

Dann ist (T Y exp p )w = J(1), wobei J das Jacobifeld längs c(t) = exp p (tY ) ist mit<br />

J(0) = 0 und ∇ t J(0) = τ −1<br />

Y<br />

(w). Ebenso ist (T Y ∗ exp p ∗)w∗ = J ∗ (1), wobei J ∗ das<br />

Jacobifeld längs c ∗ (t) = exp p ∗(tY ∗ ) ist mit J ∗ (0) = 0 und ∇ t J ∗ (0) = τ −1<br />

Y ∗ (w∗ ). Da<br />

exp p ∗ auf dem Ball B p ∗(0, ϱ) ein lokaler Diffeomorphismus ist, hat die Geodätis<strong>ch</strong>e<br />

c ∗ auf [0, 1] keine zu c(0) konjugierten Punkte. Außerdem ist J ⊥ ċ und J ∗ ⊥ ċ ∗ ,<br />

da diese Vektorfelder an 0 vers<strong>ch</strong>winden und w und w ∗ orthogonal zur radialen<br />

Ri<strong>ch</strong>tung sind. Wegen<br />

‖∇ t J)(0)‖ = ‖w‖ = ‖w ∗ ‖ = ‖(∇ t J ∗ )(0)‖<br />

ist der Rau<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>e Verglei<strong>ch</strong>ssatz anwendbar und liefert ‖J(1)‖ ≥ ‖J ∗ (1)‖, also<br />

∥ (TY exp p )w ∥ ∥ ≥<br />

∥ ∥(TY<br />

∗ exp p ) ◦ (T Y A)w ∥ ∥ .<br />

Mit X = (T Y exp p )w folgt daraus<br />

‖X‖ ≥ ∥ ∥ (TY ∗ exp p ) ◦ (T Y A) ◦ (T Y exp p ) −1 X ∥ ∥<br />

= ‖(T F )X‖ ,<br />

249


wie behauptet. QED<br />

Korollar 2. Seien (M, g) und (M ∗ , g ∗ ) Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten derselben<br />

Dimension und derselben konstanten S<strong>ch</strong>nittkrümmung. Seien p ∈ M und p ∗ ∈ M ∗ .<br />

Dann existiert eine Isometrie F : U → U ∗ einer Umgebung U von p auf eine Umgebung<br />

U ∗ von p ∗ .<br />

Dieses Korollar folgt aus Satz 2, indem man ρ < min{inj(p), inj(p ∗ )} wählt und<br />

bea<strong>ch</strong>tet, dass Unglei<strong>ch</strong>ung (24.2.5) sowohl auf F als au<strong>ch</strong> auf F −1 anwendbar ist.<br />

Also ist F ein Diffeomorphismus mit ‖(T F )X‖ = ‖X‖, und damit eine Isometrie.<br />

Im Spezialfall K = 0 ergibt si<strong>ch</strong> erneut Satz 16.9.<br />

Korollar 2 lässt si<strong>ch</strong> zu einem Beweis des bereits in 22.5 erwähnten Satzes verwenden,<br />

dass je zwei vollständige einfa<strong>ch</strong> zusammenhängende Riemanns<strong>ch</strong>e Mannigfaltigkeiten<br />

derselben Dimension und derselben konstanten S<strong>ch</strong>nittkrümmung isometris<strong>ch</strong><br />

sind. Der Beweisgedanke besteht darin, die zunä<strong>ch</strong>st nur lokal definierten<br />

Isometrien F : U → U ∗ unter Ausnutzung der Vollständigkeit entlang Kurven<br />

fortzusetzen. Man verwendet dann die Voraussetzung des einfa<strong>ch</strong>en Zusammenhanges,<br />

also den Umstand, dass je zwei Kurven homotop (mit festen Endpunkten)<br />

sind, um zu zeigen, dass die Fortsetzung ni<strong>ch</strong>t von der Wahl der Kurve abhängt, so<br />

dass si<strong>ch</strong> eine global definierte Isometrie ergibt.<br />

250


Literaturhinweise<br />

Die vorliegende Auswahl berücksi<strong>ch</strong>tigt auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die neuere Literatur und<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> auf Bü<strong>ch</strong>er. Ausführli<strong>ch</strong>ere Verzei<strong>ch</strong>nisse enthalten die Werke von<br />

Kobayashi–Nomizu, Spivak (Band 5), Besse und Sakai.<br />

1. Grundlagen: Topologie und differenzierbare Mannigfaltigkeiten<br />

F.W. Warner, Foundations of Differentiable Manifolds and Lie Groups; Scott, Foresman,<br />

1971; 2. Auflage Springer, 1983.<br />

M. Spivak, A Comprehensive Introduction to Differential Geometry; Band 1, 3. Auflage,<br />

Publish or Perish, 1999; www.mathpop.com.<br />

R.L. Bishop, S. Goldberg, Tensor Analysis on Manifolds; Dover Publications, 1980.<br />

G.E. Bredon, Topology and Geometry; Springer, 1993.<br />

S. Lang, Fundamentals of Differential Geometry; Springer, 1999.<br />

2. Riemanns<strong>ch</strong>e Geometrie<br />

M.P. do Carmo, Riemannian Geometry; Birkhäuser, 1992.<br />

Ausgezei<strong>ch</strong>netes, erprobtes Lehrbu<strong>ch</strong>, das mit geringem te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Aufwand zu<br />

klassis<strong>ch</strong>en Ergebnissen der globalen Riemanns<strong>ch</strong>en Geometrie führt.<br />

T. Sakai, Riemannian Geometry; American Mathematical Society, 1996.<br />

Umfassende, in die Tiefe gehende Monographie, die au<strong>ch</strong> neuere Entwicklungen<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt.<br />

P. Petersen, Riemannian Geometry; Springer, 1998.<br />

Moderner Standpunkt, führt in neue Entwicklungen ein.<br />

I. Chavel, Riemannian Geometry–A Modern Introduction; Cambridge University<br />

Press, 1993.<br />

D. Gromoll, W. Klingenberg, W. Meyer, Riemanns<strong>ch</strong>e Geometrie im Großen; Springer<br />

1968.<br />

Als “GKM” bekannte Lecture Notes, die für eine ganze Generation Riemanns<strong>ch</strong>er<br />

Geometer prägend waren.<br />

M. Gromov, S.M. Bates, Metric Structures for Riemannian and Non–Riemannian<br />

Spaces; Birkhäuser, 1999.<br />

Monographie für Fortges<strong>ch</strong>rittene; enthält eine Fülle von Ideen, die zu verfolgen<br />

si<strong>ch</strong> lohnt. Der Stil ist ungewöhnli<strong>ch</strong>.<br />

Version 20. Juli 2000<br />

251


A. Besse, Einstein Manifolds; Springer, 1987.<br />

Eine spezielles Thema wird zum Anlass genommen, große Teile der Riemanns<strong>ch</strong>en<br />

Geometrie zu entwickeln. Hinter dem Namen Besse verbirgt si<strong>ch</strong> ein Autorenkollektiv.<br />

S. Gallot, D. Hulin, J. Lafontaine, Riemannian Geometry; 2nd ed.; Springer, 1990.<br />

W. Klingenberg, Riemannian Geometry; 2nd ed., de Gruyter, 1995.<br />

3. Differentialgeometrie der Kurven und Flä<strong>ch</strong>en<br />

M.P. do Carmo, Differential Geometry of Curves and Surfaces; Prentice Hall, 1976.<br />

Ausgezei<strong>ch</strong>netes, erprobtes und beliebtes Lehrbu<strong>ch</strong>, etwa ab dem dritten Semester<br />

zu verwenden. Eine stark gekürzte deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung ist ers<strong>ch</strong>ienen als<br />

M.P. do Carmo, Differentialgeometrie von Kurven und Flä<strong>ch</strong>en, Vieweg, 1983.<br />

W. Klingenberg, Eine Vorlesung über Differentialgeometrie, Springer, 1973.<br />

Trotz des äußerli<strong>ch</strong> geringen Umfanges ein bemerkenswert inhaltsrei<strong>ch</strong>es Bu<strong>ch</strong>. Eine<br />

Übersetzung ins Englis<strong>ch</strong>e liegt vor als<br />

W. Klingenberg, A Course in Differential Geometry; Springer, 1978.<br />

J. Jost, Differentialgeometrie und Minimalflä<strong>ch</strong>en; Springer, 1994.<br />

Gibt eine s<strong>ch</strong>nelle Einführung in die Theorie der Minimalflä<strong>ch</strong>en und das Plateauproblem.<br />

4. Differentialgeometrie allgemein<br />

S. Kobayashi, K. Nomizu, Foundations of Differential Geometry I, II; Wiley 1963,<br />

1969.<br />

Kompromisslose und klare Darstellung der Differentialgeometrie vom Standpunkt<br />

der Zusammenhänge in Hauptfaserbündeln. Abstrakt, aber dank sorgfältiger Ausarbeitung<br />

keine s<strong>ch</strong>wierige Lektüre. Gilt als Referenz- und Standardwerk, ni<strong>ch</strong>t als<br />

Lehrbu<strong>ch</strong>.<br />

M. Spivak, A Comprehensive Introduction to Differential Geometry; 5 Bände, 3.<br />

Auflage, Publish or Perish, 1999; www.mathpop.com.<br />

Leserfreundli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ausführli<strong>ch</strong>e und gut motivierte Darstellung.<br />

N. Hicks, Notes on Differential Geometry, van Nostrand, 1965.<br />

S. Sternberg, Lectures on Differential Geometry, 2nd ed., American Mathematical<br />

Society / Chelsea Publishing, 1983.<br />

S.S. Chern (ed.), Global Differential Geometry, The Mathematical Association of<br />

America, 1989.<br />

Es gibt vers<strong>ch</strong>iedene Aufsatzsammlungen, die einen Überblick über die neuere Fors<strong>ch</strong>ung<br />

gestatten. Umfassend und neueren Datums ist<br />

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R. Greene, S.T. Yau (eds.), Differential Geometry I,II,III; Proceedings of Symposia<br />

in Pure Mathematics, American Mathematical Society, 1993.<br />

Die wi<strong>ch</strong>tigste Spezialzeits<strong>ch</strong>rift zur Differentialgeometrie ist das Journal of Differential<br />

Geometry. Viele Resultate werden in thematis<strong>ch</strong> breiter angelegten Zeits<strong>ch</strong>riften<br />

veröffentli<strong>ch</strong>t, etwa den Annals of Mathematics.<br />

Zusammenfassende Darstellungen wi<strong>ch</strong>tiger Entwicklungen in der Mathematik findet<br />

man jeweils in den Tagungsberi<strong>ch</strong>ten zum alle vier Jahre stattfindenden Internationalen<br />

Mathematikerkongress, z.B. in den<br />

Proceedings of the International Congress of Mathematicians Berlin 1998.<br />

5. Beziehungen zur Analysis<br />

J. Jost, Riemannian Geometry and Geometric Analysis, 2nd ed.; Springer, 1998.<br />

T. Aubin, Some Nonlinear Problems in Riemannian Geometry; Springer, 1998.<br />

R. S<strong>ch</strong>oen, S.T. Yau, Lectures on Differential Geometry; International Press, 1994.<br />

Enthält Zusammenstellungen offener Probleme.<br />

I. Chavel, Eigenvalues in Riemannian Geometry; Academic Press, 1984.<br />

6. Beziehungen zur Physik<br />

V. I. Arnold, Mathematical Methods of Classical Me<strong>ch</strong>anics; 2nd ed., Springer 1989.<br />

T. Frankel, The Geometry of Physics; Cambridge University Press, 1997.<br />

W. Thirring, Lehrbu<strong>ch</strong> der Mathematis<strong>ch</strong>en Physik, Band 1 und 2; 2. Auflage,<br />

Springer, 1988.<br />

Es existiert eine englis<strong>ch</strong>e Fassung in einem Band:<br />

W. Thirring, Classical Mathematical Physics, Dynamical Systems and Field Theory;<br />

Springer, 1997.<br />

B. O’Neill, Semi–Riemannian Geometry with Applications to Relativity; Academic<br />

Press, 1983.<br />

R.M. Wald, General Relativity; The University of Chicago Press, 1984.<br />

7. Liegruppen und Differentialgeometrie<br />

S. Kobayashi, Transformation Groups in Differential Geometry; Springer, 1995.<br />

S. Helgason, Differential Geometry, Lie Groups and Symmetric Spaces; Academic<br />

Press, 1978.<br />

R.W. Sharpe, Differential Geometry, Cartan’s Generalization of Klein’s Erlangen<br />

Program; Springer, 1997.<br />

P.L. Olver, Equivalence, Invariants, and Symmetry; Cambridge University Press,<br />

1995.<br />

J. Wolf, Spaces of Constant Curvature; 5th ed., Publish or Perish, 1984.<br />

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