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Prof. Dr. Gottfried Adolph Die Praxis des handlungsorientierten ...

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

Vorbemerkung<br />

<strong>Die</strong> hier vorliegende Darstellung eines handlungsorientiert strukturierten Lehrganges zur<br />

Einführung in die Elektrotechnik verfolgt mehrere Ziele.<br />

Erstens: An einem konkreten Unterrichtsprojekt soll die Struktur <strong>handlungsorientierten</strong><br />

Unterrichtens beispielhaft demonstriert werden. Obwohl der Lehrgang inhaltlich an Elektrotechnik<br />

gebunden ist, ist zum Erkennen der didaktischen Struktur kein spezielles elektrotechnisches<br />

Vorwissen erforderlich. <strong>Die</strong> Darstellung wendet sich <strong>des</strong>halb an alle, die aus berufdidaktischem<br />

oder allgemein didaktischem Interesse wissen möchten, was es mit der Handlungsorientierung auf<br />

sich hat.<br />

Zweitens: Der vorgestellte Lehrgang soll zeigen, dass Handlungsorientierung nicht bedeutet, alles<br />

Herkömmliche und bewährte über Bord zu werfen und zu behaupten, dass nun endlich die<br />

Methode gefunden sei, mit der man alles pädagogisch Wünschbare erreichen könne.<br />

Es soll vielmehr deutlich werden, dass es hier um ein unterrichtliches Organisationsprinzip geht,<br />

durch das ein hohes Maß an Methodenvariabilität und damit Schülerorientierung im methodischen<br />

Sinne möglich wird.<br />

<strong>Dr</strong>ittens: Der vorgestellte handlungsorientierte Lehrgang ist zugleich verständnisorientiert. <strong>Die</strong>se<br />

Orientierung geht von der Prämisse aus, dass allgemeine berufliche Kompetenzen und<br />

„Schlüsselqualifikationen" nur auf der Basis eines soliden geistig verfügbaren begrifflichen<br />

Wissens zu erreichen sind. Ein solch begriffliches Wissen kann nicht in berufliches und<br />

allgemeines Wissen aufgespaltet werden. Jeder Versuch, berufliche Bildung und allgemeine<br />

Bildung gegenseitig voneinander abzugrenzen und gegeneinander auszuspielen, geht an der<br />

Realität menschlichen Denkens und Wahrnehmens vorbei. <strong>Die</strong> Darstellung <strong>des</strong> konkreten<br />

Unterrichtverlaufs soll zeigen, wie durch eine schülerzentrierte Unterrichtsführung das begriffliche<br />

Wissen sich allmählich aufbaut, verfestigt und geistig verfügbar wird.<br />

Viertens: Im unterrichtlichen Alltag ist es zur Gewohnheit geworden, technischen Lehrgängen<br />

naturwissenschaftlich abstrakte Einführungslehrgänge vorauszuschicken. <strong>Die</strong>ser Gewohnheit liegt<br />

die Vorstellung zugrunde, dass Technik angewandte Naturwissenschaft sei und dass der Lernende<br />

erst einmal die physikalischen Grundbegriffe lernen muss, damit er technische Sachverhalte<br />

überhaupt verstehen kann.<br />

Obwohl es richtig ist, dass z.B. niemand ohne gründliches Verständnis <strong>des</strong> Energiebegriffes einen<br />

technischen Sachverhalt wirklich verstehen kann, so falsch ist es zu behaupten, dass ein solcher<br />

Grundbegriff durch einen dem Technikunterricht vorgeschalteten physikalischen Lehrgang<br />

vermittelt werden müsse.<br />

Es ist nicht richtig zu behaupten, dass sich die das technische Verständnis tragenden<br />

naturwissenschaftlichen Begriffe nur durch naturwissenschaftliche Grundlehrgänge vermitteln<br />

ließen.<br />

Der hier dargestellte Lehrgang zeigt, dass sich die für das funktionale Verständnis von technischen<br />

Sachverhalten erforderlichen naturwissenschaftlichen Grundbegriffe mit sehr großer Klarheit aus<br />

technischen Zusammenhängen erarbeiten lassen, in denen sie eine grundlegende Rolle spielen.<br />

Sie erfüllen – so gelernt - ihre erkenntnisleitende Funktion wesentlich wirkungsvoller.<br />

Fünftens: Wer keine Fragen hat, hat keinen Anlass nachzudenken. Geistige Arbeit wird durch<br />

Fragen in Gang gesetzt und ohne disziplinierte, oft mühevolle geistige Arbeit, ist der Aufbau geistig<br />

verfügbaren Wissens in der Regel nicht möglich.<br />

<strong>Die</strong> Aktivierung von Fragen, die sich dem Lernenden stellen, ihn beunruhigen und dadurch zu<br />

geistiger Arbeit motivieren, ist das schwierigste unterrichtsdidaktische Problem. An vielen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

konkreten Beispielen wird gezeigt, wie Handlungsorientierung denkproduktive Fragen provozieren<br />

kann.<br />

Sechstens: Es gibt keine bessere Motivation zur Denkarbeit als der Denkerfolg. In dem hier<br />

dargestellten Lehrgang soll erkennbar werden, wie sich im Handlungsorientierten Unterricht der<br />

Denkerfolg im Erreichen <strong>des</strong> Handlungszieles erweist.<br />

Es soll aber auch sichtbar werden, dass, wenn das Gewünschte sich auf Anhieb nicht einstellt,<br />

dem Handelnden das Gelingen aber in greifbarer Nähe gerückt ist, die Motivation zur geistigen<br />

Anstrengung einen zusätzlichen Schub erfährt.<br />

<strong>Die</strong> erste Unterrichteinheit<br />

Der Unterrichtsbeginn<br />

Der erste Tag in einer berufsbildenden Schule.<br />

<strong>Die</strong> erste Unterrichtsstunde<br />

Schüler, die zum ersten Mal im Unterricht einer Berufsschule sitzen, haben in der Regel eine lange<br />

Schulkarriere hinter sich. Sie war häufig durch Unlust, Desinteresse, Langeweile und<br />

Misserfolgserlebnisse gekennzeichnet. Viele haben <strong>des</strong>halb Schule restlos satt. Sie erwarten<br />

durch den Eintritt in die Berufswelt, endlich der ungeliebten Schule zu entrinnen. Viele Eltern<br />

berichten, dass ihre „Kinder" mit dem Eintritt in den Ausbildungsbetrieb regelrecht aufleben. Nichts<br />

kann <strong>des</strong>halb für die Berufsschule tödlicher sein, als am ersten Tag in der Berufsschule den<br />

Eindruck entstehen zu lassen: „Schon wieder (diese scheiß) Schule!"<br />

Handlungsorientierung bietet die Chance, diesen Teufelskreis von Unlust und Desinteresse zu<br />

durchbrechen.<br />

Beim Unterrichtsbeginn sollte der Lehrer auf alle eingefahrenen Rituale verzichten. (Das ist sicher<br />

nicht einfach, denn Rituale vermitteln ein Gefühl der Sicherheit.) Vom Schüler hergesehen: „Er<br />

erzählt keinen Scheiß und stellt keine dämlichen Fragen.“<br />

Mit Hilfe von Overhead oder Printsheets und begleitender Rede stellt er einige Objekte vor, ein<br />

mehrgeschossiges Hauses, ein Haus mit kleinem Anbau, ein kleines Gebäude (Gartenhaus,<br />

Garage oder Ähnliches) und eine Werkbank in einem Raum. Er spricht davon, dass er mit ihnen<br />

gemeinsam, eines dieser Objekte oder mehrere „nach allen Regeln der elektrotechnischen Kunst"<br />

elektrifizieren möchte. (In dem mehrgeschossigen Haus müsste vorher ein Teilbereich ausgesucht<br />

werden.) Jetzt müsse entschieden werden, welches Objekt von den Schülern ausgewählt würde.<br />

Es bieten sich mehrere Möglichkeiten an: 1. <strong>Die</strong> ganze Klasse arbeitet an einem Objekt. 2. Zwei<br />

oder mehrere Objekte werden in Gruppen erarbeitet.<br />

„Schaut euch die verschiedenen Objekte gut an. Fragt, wenn ihr Fragen habt. Dann müsst ihr euch<br />

entscheiden.“<br />

[In diesem Entscheidungsprozess kommt der Lehrer mit den Schülern und die Schüler<br />

untereinander zum ersten Mal in ein Gespräch. Es ist wichtig, dass der Lehrer vermitteln kann,<br />

dass die Schüler sich hier wirklich entscheiden können. Deshalb muss alles so offen wie möglich<br />

sein. Jeder, der eine Frage hat und dem etwas zur Sache einfällt, muss sich einbringen können.<br />

Jeder ernst gemeinte Beitrag muss ernst genommen werden. Schüler neigen dazu, für sie<br />

Ungewöhnliches zu verlachen. Hier muss der Lehrer sofort intervenieren. Er muss zeigen, welche<br />

Maßstäbe er im Hinblick auf die Gesprächskultur setzt. Es sollte jeder sagen, was er denkt und<br />

jeder denken, was er sagt.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

<strong>Die</strong> bisherige Erfahrung mit handlungsorientiertem Unterricht hat gezeigt, dass die Schüler dazu<br />

neigen, sich für ein Projekt zu entscheiden, das unter ihrem Blickwinkel einigen Anspruch stellt.<br />

<strong>Die</strong>se Tendenz soll der Lehrer auf jeden Fall unterstützen. Von Anfang an muss klar sein: Bei der<br />

Arbeit am Projekt handelt es sich um ernsthafte Arbeit. Projekte, die diesen Eindruck nicht<br />

vermitteln, sind didaktisch wertlos. Sollte ein Projekt gewählt werden, bei dem sich später<br />

herausstellt, dass die Schüler hängen bleiben, ist das besser, als wenn sie das Gefühl haben, nicht<br />

gefordert zu werden.<br />

Allgemein gilt für vorzuschlagende Objekte: Sie haben ein gewisses Maß an Vertrautheit, d.h., sie<br />

haben etwas mit der Lebenswelt der Schüler zu tun. Ihre Bearbeitung im vom Lehrer<br />

vorgeschlagenen Sinn erscheint ihnen vernünftig (nicht an den Haaren herbeigezogen). Sie haben<br />

das Gefühl in ihren Fähigkeiten weder überfordert, noch unterfordert zu sein.<br />

Für den allerersten Einstieg in die Elektrotechnik eignen sich Objekte aus dem Bereich der<br />

Elektroinstallation. Es gibt keinen Jugendlichen, der noch nicht in irgendeiner Weise mit solchen<br />

Sachverhalten in Berührung gekommen ist. Alle wissen in der Regel, wie man Lampen, Schalter<br />

und Steckdosen „anklemmt“. Nur das Fachmännische fehlt ihnen und darauf kommt es jetzt an.]<br />

Gleichgültig, wie die Entscheidung ausfällt, welche Objekte zur Bearbeitung anstehen, die erste<br />

Frage lautet: Welche Ansprüche sollen unter elektrotechnischem Gesichtspunkt und warum erfüllt<br />

werden? (Was soll die elektrische Anlage und warum leisten?) Das muss diskutiert und<br />

entschieden werden.<br />

Hierbei entwickelt sich eine erste Schwierigkeit. Damit vernünftig miteinander diskutiert werden<br />

kann, müssen die Vorschläge irgendwie dargestellt werden. Aber wie? Mit Wort oder Bild oder mit<br />

beidem? Ohne dass sie lange nachdenken, werden die Schüler spontan bei<strong>des</strong> benutzen. In aller<br />

Regel erfahren sie dabei, dass es gar nicht so einfach ist, die Dinge so darzustellen, dass alle<br />

Beteiligten aus dem Dargestellten die gleiche Information schöpfen.<br />

Der Lehrer greift ein und, indem alle gewissermaßen einen Schritt zurücktreten, macht er ein<br />

Basisproblem jeglicher Kommunikation deutlich. Wenn nicht alle Beteiligten die gleiche Sprache<br />

sprechen, im wörtlichen und übertragenen Sinn, ist eine Verständigung schwierig. Besonders in<br />

der Technik kommt es auf exakte Verständigung an. Das geht nicht ohne verbindliche Festlegung<br />

der Benennungen und bildlichen Darstellungen.<br />

Aus diesem Kontext entwickelt sich ein erstes konkretes Handlungsziel: die fachgerechte<br />

Darstellung <strong>des</strong> zu bearbeitenden Objektes. Wie stellt man Baukörper und Teile davon dar?<br />

Zwei Möglichkeiten bieten sich an: räumliche Darstellung oder Gebäu<strong>des</strong>chnitt. Was ist günstiger?<br />

Bei den hier vorgeschlagenen Objekten ist das unterschiedlich. Bei dem Werktisch kann die<br />

räumliche Darstellung günstig sein. Bei den Baukörpern ist der Gebäu<strong>des</strong>chnitt sicher besser.<br />

<strong>Die</strong> Schüler erhalten den Auftrag, die entsprechende Zeichnung so anzufertigen, dass, im zweiten<br />

Schritt, die ausgewählten elektrischen Betriebsmittel eingetragen werden können.<br />

[Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Frage: „Wie macht man so etwas?“ zu klären. So kann der<br />

Lehrer in einem kurzen Vortrag mit Tafelunterstützung das Wichtigste mitteilen. Er kann aber auch<br />

unter schrittweiser Abfragung vorhandenen Vorwissens so etwas wie fragende Entwicklung<br />

praktizieren. Sind entsprechende Arbeitsmittel vorhanden, müssten die Schüler aber auch in der<br />

Lage sein, sich in Gruppen die erforderliche Information zu erarbeiten. Welche Vermittlungsform<br />

der Lehrer wählt, hängt von zusätzlichen Bedingungen und zusätzlichen Zielen ab.<br />

Ist der Lehrer der Auffassung, dass beim jetzigen Stand und Zustand der Klasse, Gruppenarbeit<br />

wenig Erfolg versprechend ist, muss er eine lehraktive Unterrichtsform wählen. <strong>Die</strong> Frage der zur<br />

Verfügung stehenden Zeit kann zur gleichen Entscheidung führen. Möchte er dagegen die Schüler<br />

möglichst früh an die Selbstinstruktion heranführen und sind dafür die äußeren Bedingungen<br />

gegeben, wählt er sinnvollerweise Gruppenarbeit.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

Wir, (die Verfasser), haben als Unterrichtsmittel für den Kurs: „Einführung in die Elektrotechnik" ein<br />

Schaltungsbuch entwickelt. (Elektrische Gebäudetechnik, Stam 1130 und 1131, 1999). Es ist<br />

sowohl für darbietende als auch für selbsterarbeitende Unterrichtsformen geeignet. Das Buch<br />

enthält die wesentlichen Schaltungen der Gebäudetechnik in einer Darstellungsweise, die es auch<br />

dem Anfänger ermöglicht, sich die gesuchte Information zu verschaffen. Handlungsorientierter<br />

Unterricht kann nicht nach sachsystematischer Ordnung aufgebaut werden. <strong>Die</strong> Sachsystematik<br />

soll Ergebnis <strong>des</strong> Unterrichts sein. Dazu bedarf es zusätzlicher didaktischer Maßnahmen. Eine<br />

Hilfe hierzu bietet ein Aufgabenbuch zum Schaltungsbuch. Mithilfe dieses Aufgabenbuches<br />

können schaltungstechnische Grundmuster systematisch eingeübt werden. Eine weitere<br />

Unterrichtshilfe bietet das kleine Buch: DIN VDE 0100 in Frage und Antwort, Stam 1000.]<br />

Der Lehrer informiert die Schüler, dass alle von ihnen erstellte Dokumente (DIN A4) in einem<br />

Ordner gesammelt werden. <strong>Die</strong> Qualität der Einzeldokumente und der Sammlung wird in die<br />

Bewertung einbezogen.<br />

Jedem Erkennen geht das Fragen voraus. Deshalb sind echte Schülerfragen die wichtigsten<br />

Ereignisse in jedem Unterricht. Deshalb sollte der Lehrer dem „Hervorlocken“ von echten<br />

Fragen seine Hauptaufmerksamkeit widmen. Er sollte sich angewöhnen, in seinen<br />

Reaktionen gute Fragen höher zu werten als gute Antworten. Um dieser Grundhaltung<br />

sichtbaren Ausdruck zu verleihen, sollte schon in der ersten Stunde eine Pinnwand<br />

eingerichtet werden. Neben der Pinnwand liegen beschreibbare Karten. Jeder, der eine<br />

Frage hat, schreibt sie auf und heftet sie an die Pinnwand. <strong>Die</strong> Pinnwand sollte so<br />

angeordnet sein, dass sie ständig im Blickfeld liegt, sodass bei jeder Gelegenheit die<br />

Einträge von Lehrer und Schüler in den Unterricht einbezogen werden können.<br />

[<strong>Die</strong> Festlegung auf DIN A4 führt zum Thema „Maßstab". Unter dem Gesichtspunkt, dass die<br />

Schüler möglichst früh miteinander ins Gespräch kommen sollen, ist es sinnvoll, dass die Schüler<br />

sich mit diesem Sachverhalt selbst auseinander setzen. <strong>Die</strong> vorgeschlagenen Objektbilder<br />

enthalten keine Abmessungen. <strong>Die</strong> Schüler müssen sich also gemeinsam eine Vorstellung darüber<br />

verschaffen, welche üblichen Maße solche Objekte aufweisen. Manche Schüler haben noch keine<br />

rechte Vorstellung davon. Deshalb ist zu erwarten, dass recht unterschiedliche Vorstellungen und<br />

Meinungen aufeinander stoßen. Wie geht man mit unterschiedlichen Meinungen um? Hier hat der<br />

Lehrer die Möglichkeit unter dem Gesichtspunkt: „Aufbau einer Diskussionskultur" bei einem relativ<br />

harmlosen Thema und <strong>des</strong>halb auch harmlosen Konflikten gezielt zu intervenieren.<br />

Liegen die Abmessungen der Objekte fest, ergibt sich wie von selbst die Frage nach dem<br />

Maßstab. Indem die Schüler jetzt, ganz konkret, mit dieser Frage umgehen, erfahren sie, was es<br />

mit Maßstäben auf sich hat. Sie verstehen von nun an, was Maßstäbe bedeuten.]<br />

<strong>Die</strong> erste Unterrichtseinheit endet mit der Fertigstellung der Objektdarstellung.<br />

Mögliche Fragen an der Pinnwand:<br />

„Gibt es genormte Maßstäbe?" „Wer legt die Maßstäbe der Landkarten fest?"<br />

<strong>Die</strong> zweite Unterrichteinheit<br />

Nachdem nun jeder Schüler über eine Darstellung <strong>des</strong> Objektes verfügt (eine Kopie <strong>des</strong> im Ordner<br />

abgelegten Dokumentes) kann es in der Sache weitergehen. Jetzt muss entschieden werden, mit<br />

welchen elektrischen Betriebsmitteln die jeweilige elektrische Anlage ausgerüstet werden soll.<br />

Je<strong>des</strong> gewählte Betriebsmittel muss argumentativ begründet werden.<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong> <strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts 4/14


<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

[Wieder muss der Lehrer entscheiden, ob das im Klassenverband oder in Kleingruppen geschehen<br />

soll. Ob er sich nun so oder so entscheidet: mit der Frage: „Wie stellt man Lampen und<br />

Steckdosen dar"? taucht das Thema „Normung" wiederum zwanglos aus dem<br />

Handlungszusammenhang auf. Es fällt nicht, vom Lehrer gewählt, irgendwie vom Himmel. Für den<br />

Lehrer bietet sich <strong>des</strong>halb eine gute Gelegenheit, das Thema „Normung" allgemein und<br />

systematisch aufzugreifen. Es ist ein sehr umfangreiches und informationsgeladenes Thema.<br />

Deshalb ist es wenig sinnvoll, die Schüler in dieser Informationsmenge hilflos herumstochern zu<br />

lassen. <strong>Die</strong> Methode der direkten Instruktion als schülerorientierter Lehrervortrag erscheint <strong>des</strong>halb<br />

an dieser Stelle die beste Wahl.<br />

Das Thema Normung weist viele Aspekte auf. Hier, an dieser Stelle <strong>des</strong> Unterrichts sollte es unter<br />

dem Aspekt der Kommunikation aufgegriffen werden. <strong>Die</strong> Darstellung <strong>des</strong> Lehrers sollte an die<br />

unmittelbare Erfahrung anknüpfen. Wenn jetzt hier in die Gebäudezeichnungen Steckdosen<br />

eingetragen werden, wie kann sichergestellt werden, dass das von allen gelesen werden kann?<br />

Man könnte an die ausgewählten Orte Zahlen oder Buchstaben eintragen und deren Bedeutung in<br />

einer Legende darstellen. Welche Vorteile, welche Nachteile wären damit verbunden? Warum also<br />

Symbole? Mit dieser Frage könnte der Lehrervortrag für die aktive Schülerbeteiligung geöffnet<br />

werden. Ist für den Lehrer erkennbar, dass die Schüler wirklich verstehen und überzeugt davon<br />

sind, dass mit dem Eintragen von Symbolen sehr viele Vorteile verbunden sind, kann er den<br />

Vortag fortsetzen unter der Fragestellung: „Wer legt fest, welche Symbole für was die einzig<br />

Richtigen sind?<br />

Viele Möglichkeiten für die Integration anderer Fächer bieten sich an. <strong>Die</strong> Frage „wie werden<br />

Normen verbindlich?" kann das Fach Politik aufgreifen. „Mit welchen Kosten ist Normung<br />

verbunden?" könnten die wirtschaftlichen Fächer unter betriebswirtschaftlichem und<br />

volkswirtschaftlichem Aspekt fragen. „Kann durch Normung Marktmacht bewirkt werden?" können<br />

Politik und Wirtschaft gemeinsam untersuchen. In den Sprachfächern (Deutsch, Englisch usf.)<br />

können konkrete Normtexte unter vielfältigen Aspekten untersucht und bearbeitet werden. In allen<br />

diesen Bereichen können die Schüler so wichtige Einsichten in großen Zusammenhängen<br />

gewinnen und so in ihrer Allgemeinbildung wesentlich gefördert werden. (Wie in vielen anderen<br />

Sachbereichen wird auch hier wieder deutlich: Wer von all diesen angesprochenen Dingen nichts<br />

weiß, kann die Welt so, wie sie heute ist, nicht verstehend wahrnehmen. Er ist <strong>des</strong>halb ungebildet.<br />

Der hier beschriebene mögliche Verlauf <strong>des</strong> Unterrichts macht die Rolle <strong>des</strong> Lehrers deutlich. Er<br />

lässt die Schüler nicht allein. Wenn es darum geht, zurück zu treten, Distanz zu gewinnen,<br />

theoretisches Wissen zu entwickeln, muss er sich einbringen. Auf Begriffe, die sich im langen<br />

theoretischen und gesellschaftlichen Erkenntnisbemühen in der Entwicklungsgeschichte der<br />

Technik entwickelt haben, können Schüler nicht von selbst kommen.]<br />

Nach diesem „Ausflug“ oder - im Hinblick auf mitwirkende Fächer parallel dazu - können die<br />

Schüler die konkrete Arbeit an ihrem Objekt wieder aufnehmen. Sie müssen entscheiden, welche<br />

elektrischen Betriebsmittel aus welchen Gründen an welchen Orten ihre jeweilige Anlage haben<br />

sollen. Nachdem die Schüler nun wissen, was es mit der Normung auf sich hat, können sie selbst<br />

herausfinden, welche Symbole für die Eintragung in die Planungsunterlage infrage kommen.<br />

[Unter didaktischem Gesichtspunkt ist es sehr sinnvoll, die Suche nach den richtigen Symbolen<br />

den Schülern zu überlassen. So wie Technik sich verändert, so verändern sich auch die<br />

Darstellungsnormen. <strong>Die</strong> Fähigkeit, die jeweils gültigen Festlegungen herauszufinden, kann man<br />

mit einigem Recht als Schlüsselqualifikation bezeichnen.<br />

Wie nun im Einzelnen der Unterricht verläuft, hängt davon ab, in welchem Rahmen (Kleingruppen<br />

oder Großgruppe) die Diskussion um die beste fachliche Lösung stattfindet.]<br />

<strong>Die</strong> zweite Unterrichtseinheit endet mit der Vorlage <strong>des</strong> fachlich korrekten Installationsplans.<br />

<strong>Die</strong>ser Plan enthält alle gewählten Betriebsmittel ohne Leitungsführung.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

<strong>Die</strong> dritte Unterrichteinheit<br />

Jeder Schüler hat eine Kopie <strong>des</strong> bisherigen Installationsplanes vor sich. (Das Original befindet<br />

sich im Ordner.)<br />

<strong>Die</strong> dritte Einheit beginnt mit der Frage: „Wo kann oder soll die Anlage angeschlossen werden?“<br />

Vereinfacht: „Wo kommt der Saft her?“<br />

[<strong>Die</strong> Schüler mit entsprechendem Vorwissen können sich jetzt „einbringen" oder „hervortun". Es<br />

geht nicht anders: Irgendwie muss die Rede auf Zählerkästen und Abzweigkästen kommen. Da<br />

diese Betriebsmittel in jedem Gebäude zu finden sind, ist es sehr zu empfehlen, sie mit den<br />

Schülern aufzusuchen und, sofern sie nicht plombiert sind, zu öffnen. Wie auch immer, das<br />

Betriebsmittel Sicherung gerät bei solchen Exkursionen in die Aufmerksamkeit.]<br />

Welche Aufgaben haben Sicherungen?<br />

[Da man sich die Antwort zu dieser Frage kaum erdenken kann, hat es hier auch nicht viel Sinn,<br />

die Schüler mit dieser Frage allein zu lassen. Das Prinzip der Schülerorientierung erzwingt hier<br />

geradezu eine lehrergeführte Unterrichtform.<br />

Wenn die Frage bei allen Schülern „angekommen“ ist, wird ein kurzer Lehrervortrag hier wohl die<br />

beste Vermittlungsform sein. ]<br />

Für den weiteren Unterricht ist unabdinglich, dass folgende Informationen „rüberkommen“.<br />

<strong>Die</strong> Sicherungen, mit denen wir es hier zu tun haben, sind Leitungsschutzsicherungen.<br />

Sobald elektrischer Strom fließt, werden Leitungen warm.<br />

Je größer der Strom – umso größer die Erwärmung<br />

Leitungsschutzsicherungen haben die Aufgabe, den jeweiligen Stromkreis abzuschalten,<br />

wenn die Leitungen durch den Strom zu heiß werden oder wenn ein Kurzschluss entsteht.<br />

Für Sicherungen gelten strenge Vorschriften. (Normung)<br />

Elektrische Leitungen sind aus Kupfer. <strong>Die</strong> Leitungen für normale Licht- und Steckerkreise<br />

haben einen Querschnitt von 1,5 mm (hoch 2). In Licht- und Steckerkreisen darf dieser<br />

Querschnitt höchstens mit 16A Sicherungen abgesichert werden. ]<br />

Kurzschlüsse entstehen, wenn die Zuleitungen zu einem Gerät direkt miteinander verbunden<br />

werden.<br />

[<strong>Die</strong>se Informationen genügen, um mit einer <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichtssequenz<br />

fortzufahren.]<br />

<strong>Die</strong> nächste Unterrichtsequenz wird von der Frage bestimmt: „Wie soll „unsere“ Anlage<br />

abgesichert werden?" „Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt?"<br />

[Das Vorwissen der Schüler reicht mit Sicherheit aus, um mit den Fragen zu recht zu kommen und<br />

schließlich vernünftige Entscheidungen zu treffen. Der Lehrer sollte darauf drängen, dass die<br />

Schüler zunächst alle Möglichkeiten herausfinden. Schüler neigen dazu, mit vorzeitigen Wertungen<br />

ihre Kreativität einzuschränken. Es geht also zunächst darum: “Was ist möglich?“ Ob eine<br />

mögliche Lösung gut oder schlecht ist, hängt von zusätzlichen Bedingungen ab. Hier muss der<br />

Lehrer unter Umständen sehr viel reden, bis die Schüler das begreifen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

Da der als Arbeitsunterlage vorliegende Installationsplan Steckdosen und Leuchtkörper aufweist,<br />

ergeben sich folgende Möglichkeiten:<br />

1. Eine Sicherung für alles.<br />

2. Für jede Steckdose und für jede Leuchte je eine Sicherung.<br />

3. Für alle Steckdosen und für alle Lampen je eine Sicherung.<br />

4. Mischformen, in denen bestimmte Steckdosen und bestimmte Leuchten je einer Sicherung<br />

zugeordnet werden.<br />

Wenn diese möglichen Lösungen für alle sichtbar vorliegen, kann darüber gestritten werden,<br />

welche Lösung die beste ist. (Ob in Kleingruppen oder im Klassenverband hängt – wie stets- von<br />

zusätzlichen Bedingungen ab.) <strong>Die</strong> Schüler werden zunächst nicht merken, dass sie „unvernünftig"<br />

streiten, weil sie mit unterschiedlichen Kriterien werten. Hier ist der Lehrer in seiner Steuerfunktion<br />

wieder gefragt. Mit seiner Hilfe muss sich herausschälen, dass zunächst der Gebrauchswert der<br />

Anlage das gemeinsame Wertungskriterium sein soll. „Was geschieht, wenn alles an einer<br />

Sicherung liegt und diese Sicherung auslöst?" „Dann ist alles dunkel." (Das kann in seinen Folgen<br />

anschaulich ausgemalt werden.)“Günstiger ist es also in jedem Fall, wenn beim Auslösen einer<br />

Sicherung noch irgendwo eine Lampe leuchtet." Bei welchen Betriebsmitteln sind Überlastungen<br />

und Kurzschlüsse eher wahrscheinlich?“<br />

„Das ist bei Steckdosen eher der Fall als bei Leuchten".<br />

Nun kann entschieden werden, ob die Steckdosen und die Lampen je an eine Sicherung gelegt<br />

werden oder ob Mischkreise gebildet werden.<br />

Jede dieser Lösungen hat Vor- und Nachteile. Sie sollten von allen erkannt werden.<br />

Deshalb sollte jeder Schüler für jede mögliche und sinnvolle Lösung einen Installationsplan<br />

anfertigen und darunter die erkannten Vor- und Nachteile im Hinblick auf den Gebrauchswert und<br />

die Kosten in einer Tabelle erfassen.<br />

Eine Tabelle zu erfinden, die alles Erforderliche deutlich und übersichtlich zum Ausdruck bringt, ist<br />

wiederum eine wichtige und erkenntnisträchtige handlungsorientierte Unterrichtssequenz. (Da die<br />

Installationspläne schon vorliegen, ist der zeichnerische Aufwand gering. In die Fotokopien muss<br />

nur jeweils das Betriebsmittel Sicherung eingetragen werden und die entsprechenden Linien, die<br />

die jeweilige Zuordnung erkennen lassen.)<br />

Liegen alle diese Unterlagen vor, kann nun endgültig entschieden werden, welche der<br />

Möglichkeiten für das vorliegende Objekt aus welchen Gründen infrage kommt. <strong>Die</strong> Schüler<br />

erkennen, dass diese technische Entscheidung einen Kompromiss darstellt. (Frage für die<br />

Pinnwand: „Gilt das für alle technischen Entscheidungen?")<br />

<strong>Die</strong> dritte Unterrichtseinheit endet mit der Vorlage <strong>des</strong> für das gewählte Objekt gültigen<br />

Installationsplanes, in dem die jeweiligen Betriebsmittel durch jeweils gerade Linien den jeweiligen<br />

Leitungsschutzsicherungen zugeordnet sind.<br />

Mögliche Fragen für die Pinnwand: „Wie funktionieren Sicherungen?" „Welche Arten von<br />

Sicherungen gibt es?" „Was ist der Unterschied zwischen Schmelzsicherungen und Automaten?"<br />

„Welche anderen Leitungsquerschnitte gibt es außer 1,5 mm (hoch 2)?" „Welche Sicherungswerte<br />

sind diesen Querschnitten zugeordnet?".........<br />

<strong>Die</strong> vierte Unterrichteinheit<br />

Das Produkt der dritten Unterrichtseinheit: der gültige Installationsplan mit Leitungsschutz-<br />

Sicherungen und deren Zuordnung zu den Betriebsmitteln liegt jedem Schüler vor.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

Dass es jetzt darum gehen muss, die Betriebsmittel mit Leitungen zu verbinden, den<br />

Leitungsverlauf festzulegen und anzugeben, wie viele „<strong>Dr</strong>ähte" zwischen den Betriebsmitteln<br />

installiert werden müssen, versteht sich fast von selbst.<br />

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der technischen Realisierung. Der Lehrer stellt diese<br />

Möglichkeiten kurz vor. Dabei stellt sich heraus, dass man bei allen kabelähnlichen Leitungen<br />

wissen muss, wie viel „<strong>Dr</strong>ähte“ pro Leitung benötigt werden. Das kann man aber erst, wenn man<br />

die Schaltungen kennt. Nur bei einer Installation in Rohren kann man die <strong>Dr</strong>ähte später einziehen.<br />

Es bietet sich <strong>des</strong>halb an, die Anlage zunächst mit Installationsrohren zu realisieren, sich dann mit<br />

den Schaltungen vertraut zu machen und dann die Zahl der Leiter pro Rohr festzulegen.<br />

[Es ist hier wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die nächsten Arbeitsschritte aus der Sache<br />

heraus entwickeln. Das ist für die Motivation sehr wichtig. Was jetzt getan werden muss, verlangt<br />

die Sache und nicht der Lehrer!]<br />

<strong>Die</strong> Verbindung der Betriebsmittel mit den Leitungsrohren kann mithilfe <strong>des</strong> Tageslichtprojektors<br />

fragend entwickelnd im Klassenverband erfolgen. <strong>Die</strong> Schüler übernehmen die gefundenen<br />

Lösungen unmittelbar in ihre Pläne.<br />

Wie viele „<strong>Dr</strong>ähte“ (Leitungen) müssen nun in die einzelnen Rohrabschnitte eingezogen werden?<br />

[ Um diese Frage beantworten zu können, muss man wissen, wie die Schaltungen funktionieren.<br />

Jetzt beginnt der Einstieg in die „Welt der Schaltungen" - der Einstieg in den Sachbereich der<br />

funktionalen elektrotechnischen Zusammenhänge und deren Darstellung.<br />

Gleichgültig, wie sich in Zukunft die Dinge in der Elektrotechnik entwickeln werden, eines wird<br />

unabdingbar bleiben: <strong>Die</strong> elektrotechnische Fachkraft muss mit den unterschiedlichsten<br />

elektrotechnischen Schaltungsunterlagen zu recht kommen. Je schneller sich die Dinge verändern,<br />

umso wichtiger wird die Fähigkeit, vorliegenden Schaltungsunterlagen die notwendige Information<br />

entnehmen zu können. Für jeden, der mit Elektrotechnik zu tun hat, ist das eine zentrale<br />

Schlüsselqualifikation.<br />

Es wird keinen Schüler geben, der das an dieser Stelle nicht einsieht. Deshalb wird es auch keiner<br />

besonderen Motivationsbemühung bedürfen, die Schüler zu veranlassen, sich „mit den<br />

Schaltungen zu beschäftigen".<br />

Im Umgang mit Schaltungen hat sich eine fachdidaktische Kontroverse entwickelt. Soll im<br />

Unterricht das Lesen von Schaltungen oder das Entwerfen und Zeichnen der Schaltungen im<br />

Unterricht praktiziert und geübt werden?<br />

Es besteht kein Zweifel darüber, dass der Facharbeiter vor allem Schaltungsunterlagen lesen<br />

können muss.<br />

Wir halten den Standpunkt, dass sich der Unterricht <strong>des</strong>halb auf Leseübungen beschränken soll,<br />

für falsch. Beim Lesen einer Schaltung kommt es ja nicht darauf an, die einzelnen<br />

Symbolelemente zu buchstabieren, sondern deren Sinnbedeutung und ihren<br />

Wirkungszusammenhang zu erfassen. Ähnlich wie bei der Sprache sind nicht die Buchstaben das<br />

Grundlegende sondern Worte, Wortbedeutungen und Sätze. Durch aktives Sprechen entwickeln<br />

und verfestigen sich die Grundmuster der Sinnbedeutung. Wer nicht „in Sprache" denken kann,<br />

kann auch nicht lesen. In Schaltungen zu denken wird am besten durch den aktiven<br />

hervorbringenden Umgang mit Schaltungen gelernt. Deshalb halten wir die Schulung der<br />

Fähigkeit, elektrotechnische Funktionszusammenhänge im schaltungstechnischen Symbolsystem<br />

erdenken zu können, als ein wesentliches didaktisches Instrument die Lesefähigkeit zu schulen.]<br />

Nachdem nun jeder Schüler den Installationsplan seines Objektes vor sich liegen hat, bedarf es<br />

keiner großen Überzeugungskraft, die Schüler zu veranlassen, sich mit der Struktur der<br />

Schaltungen erkennend und übend zu befassen. „Um welche Grundschaltungen also geht es?“<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

[Um diese Frage bearbeiten zu können, benötigen die Schüler entsprechende Hilfsmittel.<br />

Geeignet sind alle Veröffentlichungen, in denen die angesprochenen Standardschaltungen<br />

dargestellt und erläutert werden. (Wir verweisen hier wieder auf unsere entsprechenden<br />

Veröffentlichungen.)]<br />

Nachdem die Grundschaltungen im Prinzip erkannt sind, kann das weitere Handlungsziel dieser<br />

Unterrichtseinheit bestimmt werden:<br />

<strong>Die</strong> normgerechte Darstellung der Ausschaltung als Stromlaufplan in zusammenhängender<br />

Darstellung, in aufgelöster Darstellung und in einpoliger Darstellung (Installationsplan) im<br />

Format DIN A4.<br />

[Im Kontext dieser Aufgabe tritt eine Reihe von physikalischen und technischen Sachverhalten in<br />

Erscheinung, die im weiteren Verlauf <strong>des</strong> Unterrichts aufgegriffen und bearbeitet werden müssen.<br />

Im Vordergrund liegt der Begriff <strong>des</strong> technischen, schaltbaren Stromkreises. <strong>Die</strong> Begriffe<br />

elektrischer Strom, elektrische Spannung, Schalter und Verbraucher liegen jetzt gewissermaßen in<br />

der Luft. <strong>Die</strong>ser Sachverhalt ist nicht nebensächlich. Für die aktive Beteiligung der Schüler ist es<br />

ein wichtiger Unterschied, ob Begriffe, Größen und Themen sich aus dem<br />

Handlungszusammenhang ergeben oder vom Lehrer aufgerufen werden.<br />

Bei jeglicher Begriffsbildung ist es wichtig, dass sich beim Lernenden zunächst der<br />

Begriffsinhalt entwickelt. Eine zu frühe Benennung eines Begriffes hat oft eine<br />

Verstehensblockierung zur Folge, weil häufig über den Begriffsnamen in der Vorstellung<br />

<strong>des</strong> Lernenden ein völlig anderer Kontext aufgerufen wird.<br />

<strong>Die</strong> spätere „Begriffsarbeit“ kann bei der Erstellung der normgerechten Darstellung der<br />

Ausschaltung schon vorbereitet werden. <strong>Die</strong> Fragewand sollte <strong>des</strong>halb noch einmal in das<br />

Bewusstsein gerufen werden. Es ist gewünscht, dass alle Fragen, die auftauchen, dort<br />

„niedergelegt“ werden. Vom Lernenden her gesehen gibt es keine dummen Fragen. Wer eine<br />

Frage hat und sie nicht an die Pinwand heftet, handelt nicht kooperativ. Genau so wie derjenige,<br />

der über eine Frage lacht.<br />

Auch der Lehrer nutzt die Pinnwand. Er heftet z.B. an: Haben wir es in unserem Projekt mit Gleichoder<br />

Wechselstrom zu tun? Wodurch unterscheiden die beiden sich? Vielleicht regt das die<br />

Schüler an, ihrerseits ähnliche Fragen, die ihnen bei der Anfertigung der Zeichnung aufstoßen, an<br />

die Pinnwand zu heften. Mögliche und sehr erwünschte Fragen wären: „Was macht eigentlich ein<br />

Schalter?“ „Kann man mit jedem Schalter eine Lampe schalten?“ „Ist es gleichgültig, ob die Lampe<br />

groß oder klein ist?“ „In welcher Leitung liegt der Schalter?“ usf.<br />

Was aber, wenn bei den Schülern gar keine Fragen hochkommen? Während die Schüler in Einzeloder<br />

Kleingruppenarbeit an der Darstellung ihrer Ausschaltung arbeiten, hat der Lehrer genügend<br />

Gelegenheit, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es wäre schon sehr seltsam, wenn dabei keine<br />

Fragen auftauchten.]<br />

Am Ende dieser vierten Unterrichtseinheit kann jeder Schüler ein Blatt vorlegen mit der<br />

normgerechten Darstellung einer Ausschaltung in den drei Darstellungsweisen:<br />

zusammenhängend, aufgelöst und einpolig.<br />

Zwischenschub: Handlungsorientierung und das Problem der Schülerbewertung<br />

Bei jeder Veränderung im Schulbereich gibt es die Tendenz, grundlegende Schwierigkeiten mit<br />

dem Neuen so zu verbinden, als ob sie durch das Neue erst hervorgerufen oder aber im<br />

besonderen Maße verschärft würden.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

Eines sollte von Anfang an hier deutlich gemacht werden: Bei dem Problem der gerechten und<br />

objektiven Bewertung von Schülern handelt es sich um ein offenes Problem, ein Problem also, das<br />

nie endgültig gelöst werden kann. Es gibt keine gerechte und objektive Schülerbewertung. Darüber<br />

hinaus wäre es überhaupt nicht wünschenswert, dass es eine objektive Schülerbewertung je<br />

geben könne. Welche soziale und individuelle Lebensperspektive hätte jemand noch, dem objektiv<br />

und <strong>des</strong>halb unbezweifelbar beurkundet wäre, dass er sich geistig und intellektuell unterhalb <strong>des</strong><br />

Tolerierbaren befindet, dass er also ein amtlich beglaubigter Trottel ist?<br />

Lehrer müssen ihre Schüler bewerten. <strong>Die</strong> Bewertung darf nicht leichtsinnig, willkürlich und<br />

ungerecht sein. Sie muss den Umständen gerecht werden. Lehrerurteile können anspornende<br />

oder <strong>des</strong>truktive Wirkungen haben. Lehrer tragen hier eine besonders große Verantwortung.<br />

Schülerbewertungen haben eine Außen- und eine Binnenwirkung. Bewertungen nach draußen<br />

nennen stets die Leistung im Verhältnis zu den Leistungen der anderen Schüler im gleichen<br />

Bildungsgang und im Verhältnis zu den allgemeinen durchschnittlichen Leistungserwartungen.<br />

<strong>Die</strong> nach innen gerichteten Bewertungen geben dem Schüler einmal die Information, wie sein<br />

Lehrer sein individuelles Lernverhalten einschätzt. Bei<strong>des</strong> sollte für die Schüler gut erkennbar<br />

auseinander gehalten werden. Wenn der Lehrer einen individuellen Lernerfolg lobt, kann es<br />

durchaus sein, dass die gelobte Lernleistung den Vergleichsmaßstäben nicht genügt.<br />

In einem guten, denkproduktiven und auf Verstehen hin ausgerichteten Unterricht muss jeder<br />

sagen können, was er denkt und jeder denken, was er sagt. Solches zu realisieren ist nur möglich,<br />

wenn weite Teile <strong>des</strong> Unterrichtes bewertungsfrei sind. Wer seine Schüler auf den Dauerprüfstand<br />

setzt, provoziert strategisches Verhalten. <strong>Die</strong> Schüler geben dann nur das von sich, von dem sie<br />

annehmen, dass es positive Wirkung auf ihre Bewertung hat und verstecken alles, von dem sie<br />

das Gegenteil vermuten. Mit einer solchen strategischen Haltung werden alle möglichen positiven<br />

Wirkungen eines methodisch Handlungsorientierten Unterrichts verhindert.<br />

Es muss <strong>des</strong>halb im Unterricht Phasen geben, in denen es um die Bewertung geht und solche, die<br />

von jeglicher Bewertung frei sind. Aufgrund ihrer langen Schulerfahrung sind die Schüler sehr<br />

misstrauisch, wenn ihre Lehrer versuchen, bewertungsfreie Unterrichtsphasen einzuführen. Nur<br />

durch eine entsprechende <strong>Praxis</strong> kann dieses Misstrauen allmählich abgebaut werden.<br />

In dem hier dargestellten Beispiel zur methodischen Handlungsorientierung wird vorgeschlagen,<br />

dass die Teilprodukte und das Endprodukt bewertet werden, also alle angefertigten Dokumente<br />

und deren Gesamtheit. Darüber hinaus gibt es Unterrichteinheiten oder Unterrichtssequenzen, in<br />

denen es ausschließlich um die Feststellung <strong>des</strong> Leistungsstan<strong>des</strong> geht.<br />

Im Verlauf <strong>des</strong> bisherigen Lehrganges haben die Schüler schon mehrere Dokumente vorgelegt.<br />

Ob diese Dokumente von Anfang an bewertet werden, hängt von der jeweiligen Situation ab.<br />

Wenn ein Dokument bewertet wird, wie z.B. jetzt hier die schaltungstechnische Darstellung der<br />

Ausschaltung, dann sollten die Schüler die Chance haben, dieses Dokument erneut in<br />

verbesserter Form vorzulegen, um damit ihre Bewertung zum Positiven hin zu beeinflussen.<br />

<strong>Die</strong> fünfte Unterrichteinheit<br />

Der technische Stromkreis: Grundlagen<br />

Ausgangspunkt für diese fünfte Unterrichtseinheit ist das Produkt der vierten Unterrichtseinheit; die<br />

Stromlaufpläne der „einfachen" Ausschaltung. In der vierten Unterrichtseinheit wurden die Schüler<br />

noch einmal aufgefordert alle Fragen, die ihnen in den Sinn kommen, aufzuschreiben und an der<br />

Pinnwand zu veröffentlichen. Hat das aus irgendwelchen Gründen keinen Erfolg gehabt und hat<br />

der Lehrer die Pinnwand auch nicht genutzt, dann muss diese fünfte Einheit damit beginnen,<br />

„vernünftige" Fragen zu sammeln.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

[In der fünften Unterrichtseinheit geht es um die Einführung in die elektrotechnischen<br />

Grundbegriffe. Alle diese Begriffe stehen nicht isoliert voneinander. Irgendwie hängen sie<br />

miteinander zusammen. Der technische elektrische Stromkreis liefert den Kontext. In ihm sind<br />

physikalische und technische Grundbegriffe miteinander „vermengt". So weist ein<br />

Installationsschalter Merkmale auf, die aus physikalischen Gründen so sein müssen (z.B. Abstand<br />

der geöffneten Schaltflächen) und andere, die technischer ökonomischer Art sind (z.B. der<br />

Werkstoff der Kontaktflächen). In jedem elektrischen Gerät gibt es Eigenschaften, die aus<br />

physikalischen Gründen unumgänglich sind und solche, die so oder so „gemacht" sein können. Bei<br />

jeder technischen Realität gibt es „naturwissenschaftliche" Zwänge und Gestaltungsspielräume mit<br />

jeweils anderen Zwängen. <strong>Die</strong>sen Zusammenhang durchschauen zu können, ist ein wesentlicher<br />

Faktor allgemeiner und technischer Bildung. Ein rein physikalischer Zugang zu dem Grundbegriff<br />

elektrischer Stromkreis verfehlt diese allgemeine Bildung.<br />

Eine Einführung in die elektrotechnischen Grundbegriffe kommt ohne Belehrung nicht aus.<br />

Niemand kann aus sich heraus Begriffe entwickeln, die sich in einem langen gesellschaftlichen<br />

Prozess inhaltlich und in ihrer sprachlichen Form entwickelt haben. Das Medium der Begriffe und<br />

deren Begreifen ist die Sprache. Werden die Schüler mit der sprachlichen Form eines Begriffes<br />

konfrontiert, bevor sie <strong>des</strong>sen Inhalt begriffen haben, kommt es häufig zu großen Verwirrungen. Da<br />

alles Gesprochene auf ein Vorverständnis stößt, rufen die Begriffsnamen Vorstellungen in das<br />

Bewusstsein, die in der Regel kaum etwas mit den naturwissenschaftlich-technischen<br />

Begriffsinhalten und den ihnen zugrunde liegenden Phänomenen zu tun haben. <strong>Die</strong> zu<br />

vermittelnden naturwissenschaftlich-ökonomisch-technischen Begriffe sind das Ergebnis eines<br />

langen Forschungsprozesses, und Forschen bedeutet Fragen.<br />

Auch das individuelle Eindringen in neue Wissensstrukturen ist ein Frageprozess. Etwas<br />

verstehen, etwas begreifen ist das Antwortfinden auf eine zuvor gestellte Frage. Wenn Schüler im<br />

Unterricht Schwierigkeiten haben, etwas zu verstehen, dann wissen sie in der Regel nicht, um<br />

welche Frage es bei dem zu Verstehenden geht. <strong>Die</strong>sen Zusammenhang nicht zu erkennen,<br />

kennzeichnet weitgehend den heutigen Mathematikunterricht mit der Folge, dass er in der Regel<br />

bei den Schülern keinerlei Bildungswirkung hinterlässt.<br />

Am Beginn je<strong>des</strong> Verstehensprozesses stehen Fragen. Deshalb muss auch jeder<br />

Belehrungsprozess, bei dem es darum geht, geistig verfügbares Wissen zu vermitteln, mit den<br />

Fragen beginnen, die das Wissen an die Phänomene binden.]<br />

„Was hat ein Stromkreis mit einem Kreis zu tun?“ " " Was ist elektrischer Strom?" „Was ist<br />

Stromstärke?" „Was verbraucht ein Verbraucher?" „Warum sind Leitungen aus Kupfer?" „Wie ist<br />

ein normaler Installationsschalter aufgebaut?" „Wie funktioniert sein Schaltmechanismus?"<br />

„Warum hat er diesen Schaltmechanismus?" „Warum sitzt der Schalter in der L1 Leitung?" „Warum<br />

nicht im Neutralleiter?" „Ist OV gefährlich?" „Was bedeutet Volt?" „Was ist elektrische Spannung?"<br />

oder so ähnlich können die Fragen lauten, um deren Bearbeitung es in der fünften<br />

Unterrichtseinheit geht.<br />

[ Wie sollen diese Fragen nun bearbeitet werden? Fragend entwickelnd? Arbeitsteilig in<br />

Kleingruppen? In Einzelarbeit? Durch Lehrervortrag? Alle diese Wege sind gangbar. Welcher<br />

gewählt wird, hängt von zusätzlichen Variablen ab. Erkennt der Lehrer z.B., dass die Schüler von<br />

der Frage: „Wieso eigentlich Stromkreis, wenn die vorliegende Schaltung, (vor allem in aufgelöster<br />

Darstellung), überhaupt nichts mit einem Kreis zu tun hat?" wirklich erfasst sind, wäre ein guter<br />

Lehrervortrag eine gute Wahl. Ob ein Vortrag gut oder schlecht ist, ist leicht daran zu erkennen, ob<br />

die Zuhörer konzentriert bei der Sache bleiben. Merkt der vortragende Lehrer, dass bei einigen<br />

Schülern während <strong>des</strong> Vortrags Fragen auftauchen, kann er den Vortrag vorsichtig zu fragender<br />

Entwicklung hin öffnen. Geht eine Schülerfrage am Thema vorbei, erkennt der Vortragende, dass<br />

er diesen Zuhörer nicht so erreicht, wie er ihn erreichen wollte. An der Reaktion der anderen<br />

Schüler lässt sich erkennen, ob es nur diesen Schüler oder mehrere betrifft.<br />

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gottfried</strong> <strong>Adolph</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

Es ist eine der schlimmsten Sünden, wenn der vortragende Lehrer eine „daneben liegende“ Frage<br />

in irgendeiner Weise abkanzelt, oder wenn er zulässt, dass andere Schüler spöttische oder<br />

abwertende Bemerkungen machen. Auch der abwegig fragende Schüler ist dem Vortrag gefolgt.<br />

Wenn er das Vorgetragene in einen anderen als den gemeinten Kontext einordnet, dann hat das<br />

Gesprochene eine andere Vorstellung als das Gemeinte hervorrufen. Das ist die Wirkung einer<br />

völlig normalen Gedächtnisfunktion. Je<strong>des</strong> erklärend Gesprochene stößt auf ein Vorverständnis<br />

und die Vorstellungshorizonte von Vortragenden und Zuhörern können sehr weit auseinander<br />

liegen. Der Vortragende muss die Frage <strong>des</strong>halb ernst nehmen und das Problem thematisieren.<br />

Etwa: „Meine Worte sind anders angekommen, als ich sie gemeint habe.“ „Lass mich jetzt erst mal<br />

weiter machen, wir beide werden das dann anschließend klären“, wenn es nur einen Schüler<br />

betrifft. „Ich muss also versuchen, es anders zu sagen“, wenn es mehrere betrifft.]<br />

Inhaltlich geht es um die Entwicklung der Vorstellung, dass es in einem technischen Stromkreis<br />

keinen Anfang und kein Ende gibt. Ausgangspunkt ist die Darstellung der Ausschaltung in<br />

zusammenhängender Darstellung. In kleinen Schritten wird die Schaltung vereinfacht. Nun werden<br />

die Grundelemente je<strong>des</strong> technischen Stromkreises deutlich. Der Stromkreis beginnt in der<br />

Abzweigdose (Klemmen L1 und N). Von L1 geht es zum Schalter und vom Schalter zur Lampe<br />

(Verbraucher) und von der Lampe zur Klemme N in der Abzweigdose. „Was befindet sich<br />

zwischen den Klemmen L1 und N „außerhalb" dieser Schaltung?" „Nehmen wir an, der Stromkreis<br />

würde von einer Batterie versorgt."<br />

[Das Wort versorgt ist hier mit Absicht gewählt. Später wird es „gespeist“ heißen. Bei der<br />

Einführung in neue Sachverhalte sollte man versuchen, die Fachsprache, so weit es geht, noch<br />

nicht in Anspruch zu nehmen. Erst, wenn die Sache klar ist, wird der entsprechende Terminus<br />

eingeführt.<br />

Man sollte es sich immer wieder klar machen: Im Anfangsunterricht werden die entscheidenden<br />

Weichen gestellt. Deshalb sollte man immer wieder versuchen, sich in den Lernenden hinein zu<br />

versetzen. „Wie sieht das Ganze aus, wenn man in seinen Schuhen steht?“) Was dem Lernenden<br />

hier abgefordert wird, ist die Wahrnehmung einer Realität (Abzweigdose, Leitung, Schalter,<br />

Lampe) unter einem sehr stark abstrahierenden Gesichtspunkt. Dass z.B. Farbe und Form von<br />

Abzweigdose, Schalter und Lampe hier keine Rolle spielen, ist dem Lehrenden so<br />

selbstverständlich, dass er es in der Regel nicht wahrnimmt und nicht bedenkt, dass das alles gar<br />

nicht so selbstverständlich ist. Es macht aber den Anfänger aus, dass er nicht weiß, was unter<br />

dieser und jener Fragestellung wichtig und wesentlich ist und was nicht.<br />

Unter denkerzieherischem Gesichtspunkt betrachtet, geht es hier darum, dass die Schüler<br />

allmählich lernen, aus einer sich anschaulich darbietenden Realität heraus, sich das abstrakte<br />

Denkmodell, das abstrakte Denkwerkzeug, den abstrakten Begriff „Stromkreis“ anzueignen. So<br />

etwas kann sich in den Köpfen nicht sprunghaft und plötzlich ereignen. Es ist ein Prozess <strong>des</strong><br />

Allmählichen. Von der Wortwahl <strong>des</strong> Lehrenden hängt es entscheidend ab, ob er diesen Prozess<br />

unterstützend fördert oder nicht.<br />

Erst, wenn die Batterie zwischen den Klemmen L1 und N angeschlossen ist, liegt ein kompletter<br />

Stromkreis vor. „Hier, in unserem Projekt gibt es keine Batterie. Was liegt aber dann zwischen den<br />

Klemmen?" <strong>Die</strong>se Frage ist eine didaktisch-rhetorische. Kein Anfänger kann es wissen. Es ist auch<br />

in der Realität für den Schüler nicht selbstständig zu erforschen. Mithilfe <strong>des</strong> Lehrers kann der<br />

forschende Weg jedoch beschritten werden. „Wo kommen die <strong>Dr</strong>ähte zu L1 und N her?" „Hier, in<br />

unserem Unterrichtsraum gibt es auch eine Ausschaltung und eine dazugehörende Abzweigdose.<br />

Wo kommen die <strong>Dr</strong>ähte dazu her?". In der Regel wissen die Schüler, dass es irgendwo eine<br />

Sicherung geben muss, von der alles seinen Ausgang nimmt. Gut wäre es, wenn der<br />

Sicherungskasten oder die Verteilung aufgesucht werden könnte. „Nun gut, von hieraus geht alles<br />

aus, von wo kommt es aber her?" Es geht nicht anders, man landet beim Hausanschluss. „Und<br />

woher kommt die Zuleitung zum Hausanschluss?" Nun können entsprechende Darstellungen<br />

eingesetzt werden. (z.B. Elektrische Gebäudetechnik, S. 6-9). Es wird erkennbar: Zwischen den<br />

Klemmen L1 und N in der Abzweigdose liegt eine Transformatorspule. Im Prinzip ist das nicht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

anders als im Gleichstromfall. „Was ist der Unterschied zwischen Gleich- und Wechselstrom?"<br />

<strong>Die</strong>se Frage muss zurückgestellt werden. Bevor sie beantwortet werden kann, muss erst einmal<br />

geklärt sein, was Strom überhaupt ist. <strong>Die</strong> Frage wird aufgeschrieben und an die Pinnwand<br />

geheftet. Vom Lehrer her wird ihr viel Bedeutung zugemessen.<br />

Nun wieder zurück zum Stromkreismodell. „Der Name Stromkreis kommt von Kreislauf. In der<br />

Batterie oder in der Transformatorspule wird der elektrische Strom in Bewegung gesetzt.(Deshalb<br />

der Name Stromquelle.) In der Leitung wird er transportiert (<strong>des</strong>halb der Name Leiter.) und in der<br />

Lampe erzeugt er Wärme und Licht. Mit dem Schalter kann der Strom unterbrochen werden. „Und<br />

warum heißt die Lampe Verbraucher?" Auch diese Frage wird an die Pinnwand geheftet.<br />

Es wäre sehr sinnvoll, wenn jetzt ein weiterer realer technischer Stromkreis in die Aufmerksamkeit<br />

käme. Eine Fahrradbeleuchtung eignet sich dafür besonders. Es macht keine besondere Mühe,<br />

ein Fahrrad in den Unterrichtsraum zu bringen und die Beleuchtung in Betrieb zu nehmen.<br />

Ganz wichtige Grundlagen können jetzt gelernt werden. Zunächst die Phänomene: Das<br />

Antriebsrad <strong>des</strong> Dynamos wird in Bewegung gesetzt. Folge: die Lampe leuchtet. Sie leuchtet umso<br />

heller, je schneller gedreht wird. <strong>Die</strong> Lampe wird etwas aus der Fassung gedreht und das<br />

Antriebsrad wieder angetrieben. Hat es eine genügende <strong>Dr</strong>ehzahl erreicht, wird nicht mehr<br />

angetrieben und die Lampe wieder eingeschaltet. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Antrieb<br />

gebremst wird. Zunächst leuchtet die Lampe sehr hell, dann wird sie mit dem Langsamerwerden<br />

<strong>des</strong> Antriebsra<strong>des</strong> dunkler, bis sie schließlich erlicht. Alles das kann nun von Schülern mehrmals<br />

vorgeführt werden. <strong>Die</strong> beobachteten Phänomene werden festgehalten.<br />

<strong>Die</strong> Grundelemente <strong>des</strong> Stromkreises der Fahrradbeleuchtung werden zeichnerisch dargestellt.<br />

Der Dynamo (Spule) ist die Stromquelle. Daran ist die Lampe direkt angeschlossen - ein<br />

Stromkreis in der einfachsten Form. „Warum wird das >Schwungrad< langsamer, wenn die Lampe<br />

eingeschaltet wird?" „Wieso kann die Lampe das >Schwungrad< bremsen?" „Das sind sehr, sehr<br />

schwierige Fragen!", so der Lehrer „und die Menschen haben sehr lange gebraucht, bis sie das<br />

begreifen konnten." „Deshalb zunächst erst mal wieder zu den Tatsachen."<br />

„Um die Lampe zum Leuchten zu bringen, muss jemand das Antriebsrad drehen. Das ist Arbeit.<br />

<strong>Die</strong>se Arbeit wird von der Lampe sofort in Wärme und Licht umgewandelt. Man kann sagen: <strong>Die</strong><br />

Arbeit (Energie), die am Antriebsrad erzeugt wird, wird in der Lampe verbraucht, <strong>des</strong>halb der<br />

Name Verbraucher.“<br />

Man kann den Stromkreis auch als Energiekreis verstehen. Am Eingang wird Energie eingespeist,<br />

in elektrische Energie umgewandelt, von den Leitungen weitergeleitet und im Verbraucher wieder<br />

in andere Energien umgewandelt.<br />

Das, was sich jetzt in den mitdenkenden Köpfen entwickelt, ist der Prototyp eines technischen<br />

Stromkreises. Alle technische, auch großtechnische Stromkreise „funktionieren" so. In den<br />

Kraftwerken werden Dynamos (man nennt sie hier Generatoren - generieren heißt erzeugen)<br />

durch Dampf oder Wasser angetrieben. <strong>Die</strong> so entstehende elektrische Energie wird über die<br />

Leitungen zu den Geräten (Verbraucher) transportiert und dort unmittelbar wieder in andere<br />

Energien umgewandelt.<br />

Für das verstehende Denken haben solche Prototypen eine zentrale Bedeutung. Wer in seinem<br />

Kopf über den Prototyp: Elektrischer Energie-Kreis (anschaulich repräsentiert als Dynamo-Lampe-<br />

Kopplung) nachdenkt, weiß, wie elektrotechnische Energietechnik im Prinzip funktioniert. Deshalb<br />

sollte man gerade im Anfangsunterricht sehr viel Gewicht auf das sorgfältige Entwickeln von<br />

Prototypen legen. <strong>Die</strong> Zeit, die hierfür aufgewendet wird, ist nie verloren. Prototypen sind die<br />

Trittsteine <strong>des</strong> Verstehens im grenzenlosen Meer der Erscheinungen.<br />

Der Kritiker wird nun fragen, was das alles mit methodischer Handlungsorientierung zu tun hat.<br />

Unterricht wird nie darauf verzichten können, Wissen in strukturierter Form zu vermitteln.<br />

Worauf es ankommt, ist, dass sich beim Lernenden geistig verfügbares Wissen aufbaut. Das ist<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>des</strong> <strong>handlungsorientierten</strong> Unterrichts<br />

ohne anstrengende Lernbemühung nicht zu haben. Ohne, dass der Lernende das Wissen, um das<br />

es geht, auch wissen will, geht es nicht. „Auch wenn es Mühe macht, ich will das jetzt wissen."<br />

Wenn sich das beim Schüler nicht ereignet, wird aus ihm kein Lernender. Jedenfalls nicht, wenn es<br />

um geistig verfügbares Wissen geht.<br />

Methodische Handlungsorientierung versucht, den Lernanspruch, die Lernzumutung aus einem<br />

Sinn-Kontext heraus als vernünftig erlebbar zu machen.<br />

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