Agrarreformen in regionaler Perspektive - LernWerkstatt Geschichte ...
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Schneider, <strong>Agrarreformen</strong> 9<br />
und Zusammenlegungen (Verkoppelungen). 43 H<strong>in</strong>sichtlich der Allmendeaufteilungen<br />
(Geme<strong>in</strong>heitsteilungen) verwies er auf den <strong>in</strong>zwischen fortgeschrittenen Stand der Reform,<br />
die allerd<strong>in</strong>gs bei den verbliebenen Flächen angesichts der Nachteile für die kle<strong>in</strong>en<br />
Stellen nur noch zurückhaltend betrieben wurde. Insbesondere im Südwesten gab<br />
es 1895 noch nennenswerte, wenngleich bezogen auf die Gesamtflächen, kle<strong>in</strong>e Allmendegebiete<br />
(im Großherzogtum Baden <strong>in</strong>sgesamt 3,6 % der Gesamtanbaufläche). Ähnliche<br />
Unterschiede gab es auch bei den Zusammenlegungen: hier lag der Süden deutlich<br />
h<strong>in</strong>ter dem Osten (und man kann h<strong>in</strong>zufügen auch dem Norden) Deutschlands zurück.<br />
Dies führte dazu, dass bis <strong>in</strong> das 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>sichtlich der Flurzersplitterung<br />
große Unterschiede bestanden: 44 Sie lassen sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dreiteilung der (alten)<br />
Bundesrepublik erkennen: <strong>in</strong> den nördlichen und mittleren Gebieten hatten nur bis zu<br />
20 % der Betriebe mehr als 10 Teilstücke, im Südwesten dagegen lag dieser Wert bei<br />
40 % und mehr, im Südosten (Bayern) wiederum bestanden „norddeutsche“ Verhältnisse.<br />
Dabei gab es e<strong>in</strong>e enge Übere<strong>in</strong>stimmung zwischen Betriebsgröße und Grad der Flurzersplitterung:<br />
es waren gerade die kle<strong>in</strong>eren Betriebe, welche viele und entsprechend<br />
kle<strong>in</strong>e Parzellen bewirtschafteten.<br />
Das hier zu Tage tretende Problem ist deshalb auffällig, weil es der Annahme widerspricht,<br />
dass die Individualisierung der Feldnutzung im 19. Jahrhundert abgeschlossen<br />
worden sei. Vielmehr blieb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Regionen Deutschlands e<strong>in</strong> wichtiges Ziel der Reform,<br />
die Schaffung größerer und weniger Parzellen je Betrieb, nur e<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Regionen<br />
erreichtes Ziel. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Flurzusammenlegung<br />
nicht im 19. Jahrhundert endete, sondern im 20. Jahrhundert mit der Preußischen Umlegungsverordnung<br />
von 1920 und der Reichsumlegungsordnung von 1936 Nachfolger gefunden<br />
hat. 45 Damit blieb e<strong>in</strong> Teil der frühneuzeitlichen <strong>Agrarreformen</strong>, die Schaffung<br />
größerer und leichter zu bewirtschaftender Parzellen, bis <strong>in</strong> das 20. Jahrhundert, ja bis <strong>in</strong><br />
die Nachkriegszeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe der Agrarpolitik. Wenn das aber so war,<br />
stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieser Reformen unter den veränderten Bed<strong>in</strong>gungen<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dustriellen Gesellschaft.<br />
ZWISCHENBILANZ<br />
Wie lassen sich diese Befunde <strong>in</strong> die Agrargeschichte des 19. Jahrhunderts e<strong>in</strong>ordnen?<br />
Die <strong>Agrarreformen</strong> der Zeit zwischen 1750 und 1850 konnten von relativ e<strong>in</strong>fachen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
ausgehen, und darauf e<strong>in</strong> ebenfalls grundsätzlich e<strong>in</strong>faches Reformmodell<br />
aufbauen: feudale wie genossenschaftliche Strukturen sollten abgebaut, <strong>in</strong>dividuelle<br />
Wirtschaft und Produktion für den Markt sollten gefördert werden. Neben den<br />
feudalen Beschränkungen waren es gerade die genossenschaftlichen Strukturen, die viele<br />
Kritiker fanden. Dennoch bewiesen letztere e<strong>in</strong>e zähe Überlebenskraft, die offenbar<br />
dort am stärksten war, wo die Geme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e besondere Stärke besaßen. In den nord-<br />
43 Werner Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im neunzehnten und im Anfang des 20. Jahrhunderts. 6.<br />
Auflage Berl<strong>in</strong> 1923, 348 f.<br />
44 Dazu Abel, Wilhelm, Agrarpolitik, 3. Auflage, 1967, S. 284. Besonders Abb. „Die Flurzersplitterung <strong>in</strong><br />
Westdeutschland“, S. 284 und Tab. „Betriebsgrößen und Flurzersplitterung <strong>in</strong> den Ländern der Bundesrepublik<br />
(1960)“, S. 285. Vgl. auch Kluge, Agrarpolitik, 72.<br />
45 Abel, Agrarpolitik, 293. Als Überblick: Friedhelm Berkenbusch, Die Rechtsgeschichte der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />
<strong>in</strong> Deutschland. Diss. Gött<strong>in</strong>gen 1972, 151-155.