Kunstvervalsingen in Europa Art Forgery in Europe - Johan Meijering
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„Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung“, Feuilleton, Freitag, 30. September 2011, Seite 33 <strong>Kunstvervals<strong>in</strong>gen</strong> <strong>in</strong> Duitsland 31<br />
Nach dem jetzigen Stand erwartet Wolfgang Beltracci sta der drohenden Freiheitsstrafe von bis zu zehn<br />
höchstens e<strong>in</strong>e von sechs Jahren, se<strong>in</strong>e Frau Helene bekäme etwa vier, Schulte-Kell<strong>in</strong>ghaus maximal fünf Jahre,<br />
Helenes Schwester Jeanee würde wohl mit zwei Jahren auf Bewährung davonkommen. Das s<strong>in</strong>d, wenn man<br />
die Möglichkeit e<strong>in</strong>er vorzeigen Entlassung wegen guter Führung und die e<strong>in</strong>es offenen Vollzugs mit e<strong>in</strong>rechnet,<br />
sehr milde Strafen – die außer den Geschädigten aber niemand für ungerecht zu halten sche<strong>in</strong>t.<br />
Nun s<strong>in</strong>d Kunsälscher unter allen Verbrechern tradionell die beliebtesten: Moralisch <strong>in</strong>tegrer kann man<br />
sechzehn Millionen Euro nicht ergaunern. Kunsälscher verkaufen ke<strong>in</strong> Hero<strong>in</strong>, sie ermorden niemanden, sie<br />
h<strong>in</strong>tergehen bloß e<strong>in</strong> System, für das ohneh<strong>in</strong> die wenigsten Sympathien haben. Selbst die renommierte Gerichtsreporter<strong>in</strong><br />
Gisela Friedrichsen betont, dass „im Unterschied zu betrügerischen Bankern Beltracchi und<br />
se<strong>in</strong>e Mitangeklagten nicht gutgläubige e<strong>in</strong>fache Leute um ihr Erspartes gebracht" häen, sondern Menschen,<br />
die vielleicht auch getäuscht häen werden wollen, daher seien „die Strafen nicht unangemessen milde. Im<br />
Gegenteil". Sie steht mit ihrer Sichtweise nicht alle<strong>in</strong>e da. Wie kommt es, dass den Betrügern die Herzen nur<br />
so zufliegen?<br />
Liegt es daran, dass unsere Sicht auf Del<strong>in</strong>quenten <strong>in</strong> der Kunstwelt von Hollywoodfilmen geprägt ist – daran,<br />
dass wir seit „The Thomas Crowne Affair" und „Mickey Blue Eyes – Mafioso wider Willen" Kunstgangster als<br />
Helden vorgeführt bekommen und lieben gelernt haben? Wolfgang Beltracchi tri nicht nur wie e<strong>in</strong> Filmstar<br />
auf, er sieht nicht nur wie e<strong>in</strong> Mischung aus D’<strong>Art</strong>agnan und e<strong>in</strong>er hippiesken Glamourversion des jungen<br />
Rembrandt aus – se<strong>in</strong>e Geschichte vere<strong>in</strong>t alle Ingredienzien des Helden e<strong>in</strong>es klassischen Hollywoodfilms:<br />
E<strong>in</strong>e Biographie mit Brüchen, e<strong>in</strong>e große Liebe, das Schicksal e<strong>in</strong>es Ausgestoßenen, der mit se<strong>in</strong>em Können am<br />
Ende doch noch das Establishment auffliegen lässt.<br />
Beltracchi wurde 1951 <strong>in</strong> Geilenkirchen als Wolfgang Fischer geboren, erst später hat er den Namen se<strong>in</strong>er<br />
Frau angenommen; der Vater war Kirchenmaler und Restaurator. Mit vierzehn habe er e<strong>in</strong>en Picasso <strong>in</strong> nur<br />
zwei Stunden kopiert, aber das sei der e<strong>in</strong>zige gewesen, da könne Werner Spies aufatmen – e<strong>in</strong> für e<strong>in</strong> Geständnis<br />
gewagter Scherz auf Kosten des Picasso-Experten Spies, der sieben von Beltracchi gefälschte Max-<br />
Ernst-Werke gutgläubig als echt zerfizieret hae (F.A.Z. vom 18. Juni). Mit achtzehn wurde Beltracchi auf der<br />
Werkkunstschule Aachen aufgenommen, fuhr Harley Davidson, bummelte als Hippie durch <strong>Europa</strong>, wohnte<br />
bei Freunden, denen er zum Dank erosche Monumentalgemälde h<strong>in</strong>terließ. 1992 lernt er Helene Beltracchi<br />
kennen, die Liebe se<strong>in</strong>es Lebens. E<strong>in</strong> Jahr später heirateten sie, kurze Zeit später wurde ihre Tochter geboren.<br />
Wolfgang Fischer-Beltracchi will für se<strong>in</strong>e Familie sorgen; er ist wütend, dass man se<strong>in</strong>e handwerkliche Brillanz<br />
nicht wertschätzt. Er ers<strong>in</strong>nt den Plan, Fälschungen <strong>in</strong> den Markt zu br<strong>in</strong>gen. Auf Ankmärkten kau er alte<br />
Le<strong>in</strong>wände und malt darauf etwas, das er als „fehlende Meisterwerke" bezeichnet. Er perfekoniert, dar<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em protokrim<strong>in</strong>ellen Konzeptkünstler ähnlich, die Kunstgeschichte. Se<strong>in</strong>e Frau und Schulte-Kell<strong>in</strong>ghaus erzählen<br />
den Opfern die Geschichte von den Sammlungen ihrer Großväter Jägers und Knops – Sammlungen, die<br />
es nie gab. E<strong>in</strong> paar Jahre später kann Beltracchi für zwei Millionen Euro e<strong>in</strong> Anwesen <strong>in</strong> Südfrankreich kaufen,<br />
dann e<strong>in</strong> Grundstück <strong>in</strong> Freiburg, wo er e<strong>in</strong>e Villa bauen lässt; die Familie lebt aber weiter <strong>in</strong> Südfrankreich. Das<br />
Städtchen Mèze liegt am Mielmeer, am Etang de Thau, es ist nicht weit nach Marseillan. Dort, am Hafen, wo<br />
über e<strong>in</strong>em der Häuser e<strong>in</strong>e schwarze Piratenflagge weht, habe Wolfgang Beltracchi – so erzählt es e<strong>in</strong>e Galerisn,<br />
die ihn dort traf – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bar gesessen und lauthals auf das Establishment des Kunstmarkts geschimp.<br />
Helene habe versucht, ihn zu beruhigen, ohne viel Erfolg.<br />
Wolfgang Beltracchis Vater, eigentlich Restaurator und Kirchenmaler, musste sich später als Anstreicher durchschlagen,<br />
Beltracchi selbst wurde als Künstler lange nicht ernst genommen. Dass die Fälschungen begeistert<br />
aufgenommen wurden, muss ihm e<strong>in</strong>e große Genugtuung gewesen se<strong>in</strong>: Er konnte se<strong>in</strong>e große Liebe f<strong>in</strong>anzieren.<br />
Er hae das System überlistet, das ihn ausgeschlossen hae. „Ich mochte den Kunstmarkt und die<br />
Galeristen nicht besonders", sagt Beltracchi <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Geständnis, er sehe sich „am Anfang e<strong>in</strong>er durch Gier<br />
und Unredlichkeit geprägten Handelskee". Henrik Hanste<strong>in</strong>, Chef des Aukonshauses Lempertz, habe, so die<br />
Behauptung der Beltracchis, ihnen etwa gesagt, er habe e<strong>in</strong>en externen Kunden für e<strong>in</strong> Pechste<strong>in</strong>-Gemälde,<br />
der bereit wäre, das mit e<strong>in</strong>em Schätzpreis von 400 000 Mark <strong>in</strong> die Aukon gegangene, aber liegengebliebene<br />
Bild für rund 300 000 zu kaufen. Hanste<strong>in</strong> habe aber, wie sie erst später erfahren häen, das Bild <strong>in</strong> Wirklichkeit<br />
selbst angekau, liegen gelassen und später, so die Behauptung, mit enormem Aufschlag weitervertrieben.<br />
(siehe auch Feuilleton S. 36).<br />
Dass Beltracchi jetzt alle Schuld auf sich nimmt, um se<strong>in</strong>e Frau zu entlasten, gibt dem Geständnis e<strong>in</strong>e fast<br />
romansche Note und befeuert die Sympathien im Gerichtssaal: Beltracchi ist nicht bloß e<strong>in</strong> übler Betrüger