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Reisen – Fu Shan Hai<br />
Fu<br />
Shan<br />
Hai<br />
Die nordische Zenobia<br />
Text und Fotos: Lars Kirkegard | Übersetzung: Herbert Gfrörer
Reisen – Fu Shan Hai<br />
Mit einer Länge von 225 m und einer<br />
Tonnage von 69.973 BRT besteht die<br />
Fu Shan Hai aus genügend Stahl, um<br />
zehn Eiffeltürme daraus bauen zu<br />
können. Das Schiff deckt eine Fläche<br />
größer als ein Fußballfeld ab.<br />
Es ist Spätsommer auf der Insel<br />
Bornholm und 24 Taucher kommen<br />
zusammen, um dieses neue Wrack<br />
zu erforschen. Ein Wrack mit dem<br />
Potential zur nordischen Zenobia zu<br />
werden.<br />
Die Geschichte der Fu Shan Hai beginnt<br />
nicht in einer dunklen, stürmischen<br />
Nacht, wie das bei vielen anderen<br />
Schiffswracks der Fall ist. Es gibt weder<br />
einen Herbststurm, weit draußen im offenen<br />
Meer, noch eine zornige Crew, die<br />
meutert. Nein, die Geschichte beginnt an<br />
einem klaren und sonnigen Wochentag.<br />
Am 31.Mai 2003 war der riesige Frachter<br />
auf seinem Weg von Lettland zurück in<br />
die chinesische Heimat. Die Treibstofftanks<br />
waren voll und die Reise heimwärts,<br />
wo die aus Düngemitteln bestehend<br />
Fracht gelöscht werden sollte, war<br />
lang. Mit Kurs Nord durch die Baltische<br />
See, näherte sich die Fu Shan Hai langsam<br />
der dänischen Insel Bornholm.<br />
Währenddessen kreuzte der kleine<br />
Frachter Gdynia den Kurs der Fu Shan<br />
Hai. Er befuhr die schnelle Route zwischen<br />
Polen und England. Beide Schiffe<br />
waren kurz davor, das nördliche Ende<br />
der Insel Bornholm zu passieren. Der<br />
2. Diensthabende übernahm die Wache<br />
um 12 Uhr Mittag. Er überprüfte den<br />
Kurs und stellte fest, dass sie ein wenig<br />
zu nahe an den chinesischen Giganten<br />
herankamen. Seiner Beurteilung nach<br />
würde die Gdynia die Fu Shan Hai trotzdem<br />
in einer sicheren Distanz passieren.<br />
Er überprüfte nochmals sorgfältig<br />
das Radar, um sicher zu sein, dass der<br />
richtige Kurs anliegt. Dies beanspruchte<br />
mehrere Minuten. Er schreckte auf, als<br />
er merkte, dass beide Schiffe auf Kollisionskurs<br />
fuhren.<br />
Sofort änderte er die Richtung. Anstatt<br />
die Fu Shan Hai vorne zu passieren, versuchte<br />
er, knapp am Heck vorbeizukommen.<br />
Unglücklicherweise gab es nicht<br />
genügend Spielraum. Die Gdynia fuhr<br />
geradewegs auf die Fu Shan Hai zu.<br />
teiligten Schiffe hatte Funkkontakt zum<br />
anderen.<br />
Die Gdynia krachte geradewegs zwischen<br />
dem ersten und zweiten Frachtraum<br />
in die Fu Shan Hai. Große Wassermassen<br />
drängten sich in den verletzten<br />
Schiffskörper. Weil die Gdynia für den<br />
Warentransport durch arktische Gewässer<br />
extrem stabil gebaut war, wurde nur<br />
ihr Bug verbeult. Der Kapitän der Fu<br />
Shan Hai beurteilte die Situation sorgfältig.<br />
Er nahm mit dem Schiffseigner in<br />
China Kontakt auf und befahl der Crew,<br />
alle Schotten zwischen den Laderäumen<br />
sowie alle Treibstoffventile zu schließen.<br />
Dann verließ er, zusammen mit seiner<br />
Mannschaft das Schiff. Knapp neun<br />
Stunden später versank die Fu Shan Hai<br />
im klaren, kalten Wasser der Baltischen<br />
See.<br />
Tauchverbot<br />
Die Fu Shan Hai liegt in 69 Meter Tiefe.<br />
Normalerweise würde die Regierung<br />
so ein Wrack in Frieden ruhen lassen,<br />
aber einer der größeren Treibstofftanks<br />
bekam ein Leck und ein gewaltiger<br />
Ölteppich bildete sich an der Oberfläche.<br />
Der Wind trieb das Öl an den östlichsten<br />
Punkt Dänemarks, die Christian Inseln.<br />
Dieser Ölteppich ließ die Regierung<br />
Alarm schlagen. Sie fürchteten, auch<br />
Die Besatzung an Bord der Fu Shan Hau<br />
bemerkte, dass die Gdynia immer näher<br />
kam. Unglücklicherweise verhinderte ein<br />
kleineres Schiff an Steuerbord, dass die<br />
Fu Shan Hai ausweichen konnte. Der<br />
Kapitän befahl einen sofortigen Stop der<br />
Maschinen. Gleichzeitig begann er mit<br />
dem Nebelhorn Signale zu geben, um<br />
die Gdynia zu warnen. Keines der bedie<br />
anderen Treibstofftanks könnten leck<br />
schlagen. Eine Umweltkatastrophe wäre<br />
die Folge gewesen. Der Plan war die Öltanks<br />
des Frachters leer zu pumpen. Die<br />
Kosten und der Zeitaufwand, um dieses<br />
Projekt durchzuführen, waren gewaltig.<br />
Währenddessen beeilte sich eine Gruppe<br />
von Tauchern aus Kopenhagen, die<br />
„Dykkeriet“, nach Bornholm zu kommen<br />
und nach dem, wie sie aus dem<br />
Fernsehen wussten, größten Wrack in<br />
skandinavischen Gewässern zu tauchen.<br />
Mit einem Schiffsrumpf in nahezu 70 m<br />
Tiefe bot sich eine perfekte Gelegenheit<br />
für mehrere Mischgastauchgänge und<br />
die Gruppe fieberte den ersten Trimix-<br />
Mischungen entgegen. Ihr Pech – sie<br />
kamen nie zu ihrem Tauchgang…<br />
Auf Bornholm begannen Berufstaucher<br />
bereits mit den Vorbereitungen, die<br />
Öltanks des Wracks zu entleeren. Es<br />
war klar, dass das Wrack viele Taucher<br />
anziehen würde. Alle Türen und Luken<br />
standen offen – ein Paradies für Wracktaucher.<br />
Man musste nur hineintauchen.<br />
Das Risiko eines Unfalls war also<br />
gegenwärtig. Nebenbei befand sich die<br />
Fu Shan Hai inmitten der Schifffahrtsroute.<br />
Die Verwaltungsbehörde entschied<br />
daher, das Tauchen an der Fu Shan Hai<br />
zu verbieten. So etwas hat es bei einem<br />
11 <strong>DiveInside</strong> 06/2007
Reisen – Fu Shan Hai<br />
anderen Wrack noch nie gegeben, es sei<br />
denn, es bestand unmittelbare Gefahr<br />
für den Seeverkehr. „Dykkeriet“ konnte<br />
das Betauchen der Fu Shan Hai daher<br />
vergessen. Zum Glück blieb die Gruppe<br />
hartnäckig – unsere Expedition wäre<br />
sonst nicht möglich gewesen.<br />
Die Ausnahme<br />
Weitere drei Jahre zogen ins Land.<br />
Am 1. Juli 2006 wurden endlich die<br />
Schifffahrtsrouten umgeleitet. Während<br />
der vorangegangenen Jahre hatte die<br />
Gruppe der technischen Taucher um<br />
eine Ausnahmegenehmigung angesucht,<br />
Unterschriften gesammelt und an<br />
lokale Politiker geschrieben. Letztendlich<br />
machten die dänischen Behörden eine<br />
Ausnahme und genehmigte das Tauchen<br />
am Wrack.<br />
Die Sondergenehmigung war mit verschiedenen<br />
Auflagen und Forderungen<br />
verbunden. Zum Beispiel Trimix zu verwenden.<br />
Eine stabile Plattform oder ein<br />
großes Boot muss während aller Tauchgänge<br />
in Position sein. Die Vereinbarung<br />
besagte auch, dass alle Expeditionsteilnehmer<br />
Erfahrung beim Wracktauchen<br />
in diesen Tiefen haben mussten. Die<br />
Gruppe nahm mit DYK Kontakt auf, um<br />
Unterstützung bei der Sponsorensuche,<br />
Medienkooperation und dem generellen<br />
Projektmanagement zu erhalten.<br />
Die Logistik rund um technisches<br />
Tauchen ist recht anspruchsvoll. Alle<br />
Taucher haben Doppelgeräte oder einen<br />
Rebreather. Der Platzbedarf ist um ein<br />
Vielfaches größer als mit normalen<br />
Sporttauchgerät. Daneben benötigen<br />
sie auch eine große Menge Gas. Helium,<br />
der wichtigste Inhaltsstoff in Trimix,<br />
ist ziemlich teuer. Taucher mit offenen<br />
Systemen benötigen hunderte Liter pro<br />
Tauchgang.<br />
Abgesehen davon sind viele technische<br />
Taucher „besondere“ Individualisten.<br />
Von den 24 Teilnehmern, welche sich<br />
für diese Expedition anmeldeten, war<br />
die Mehrheit Ausbilder, Präsidenten<br />
von Tauchclubs, Tauchbasenbesitzer<br />
oder erfahrene Ganzjahrestaucher. Mit<br />
anderen Worten, alle waren es gewohnt<br />
darin, anderen das Tauchen zu lehren.<br />
Jeder hatte seine eigene Methoden und<br />
Vorstellungen. Und jeder hielt starrköpfig<br />
daran fest. Einige waren Unterwasser-<br />
Fotografen, andere DIR-Taucher,<br />
Rebreather-Taucher – eine abenteuerliche<br />
Mischung.<br />
Die Organisation<br />
Der Kutter Britt-Lise aus Helsingor wurde<br />
als Plattform und als Transporter für die<br />
gesamte Tauchausrüstung angemietet.<br />
Mehrere RIBs standen für den Transport<br />
zwischen Basisschiff und Tauchplatz<br />
bereit. Eines davon wurde als Rettungsboot<br />
reserviert.<br />
An Land logierte der Grossteil der Gruppe<br />
nur 300 m vom Hafen Hammar entfernt.<br />
Jede Nacht konnte der Kutter im<br />
Hafen andocken. Die Speicherflaschen<br />
und Befüllungsanlage benötigten den<br />
Grossteil des verfügbaren Platzes auf<br />
dem Landungssteg. Es war es soweit;<br />
die Tauchgänge konnten beginnen.<br />
Ein Gigant<br />
Ich hatte ein etwas flaues Gefühl im Magen,<br />
als ich die Luft aus meinem Wing<br />
herausließ und durch das grüne, klare<br />
Wasser oberhalb des Wracks nach unten<br />
glitt. Nach der Planung für dieses Projekt<br />
über so einen langen Zeitraum war jetzt<br />
die Zeit der Abrechnung gekommen.<br />
Was das Wrack diesen ganzen Aufwand<br />
wert?<br />
Bald hatten wir das 22 Grad warme<br />
Wasser der Oberfläche verlassen und<br />
kamen in deutlich kältere Schichten.<br />
Unsere Sinne schärften sich. Tauchlampen<br />
wurden eingeschaltet. Die Shot-Line<br />
war an einer Leiter am Dach des Wracks<br />
befestigt.<br />
Langsam kam das riesige Oberdeck in<br />
ungefähr 25 m Entfernung in Sicht. An<br />
dieser Position legten wir eine kleine<br />
Rast ein und dachten über unsere<br />
nächsten Schritte nach. Wir schauten<br />
uns gegenseitig an. Laut Plan wollten wir<br />
über den Rand, in nördlicher Richtung<br />
schwimmen. Das Deck wirkte vollkom-<br />
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Reisen – Fu Shan Hai<br />
men quadratisch. Wir waren plötzlich<br />
vollkommen desorientiert - war das Heck<br />
des Schiffes jetzt vorne oder hinten? Das<br />
Hauptdeck lag gut fünf oder sechs Decks<br />
unter uns und deshalb konnten wir uns<br />
durch die Aufbauten nicht orientieren.<br />
Wir entschieden, seitlich weiter nach unten<br />
zu gehen und uns auf Tiefe für eine<br />
Richtung festzulegen.<br />
Eine dünne Schicht blauer Muscheln<br />
bedeckte das Wrack nach den drei Jahren<br />
auf Grund. Die Enden von Schiffstau<br />
über das Wrack baumelnd, von der Strömung<br />
eingefangen, umschlungen von<br />
Muscheln, bildeten eine faszinierende<br />
Kulisse. Weiter unten konnten wir gerade<br />
noch die Farbe der Schiffsunterseite<br />
erkennen. Diese Farbe enthält Giftstoffe<br />
und soll verhindern, dass Muscheln und<br />
andere Lebewesen an der Unterseite<br />
des Rumpfes festmachen. Sogar nach<br />
drei Jahren am Meeresboden war die<br />
Wirkung der Farbe noch erkennbar. Zeitweise<br />
wurde es mir ungemütlich, wenn<br />
ich daran dachte, mit welchen Chemikalien<br />
wir in Kontakt kommen könnten.<br />
gab ich schnell auf, denn es gab kaum<br />
Platz für mich selbst und ich müsste<br />
meine Kamera und schlimmer - die<br />
Stages zurücklassen. Außerdem war der<br />
Maschinenraum noch mindestens 10<br />
Meter weiter unten und das hätte meine<br />
Tauchgangsplanung gefährdet. Deshalb<br />
entschloss ich mich, später noch einmal<br />
herunterzukommen. Ich wollte unbedingt<br />
die gewaltigen Maschinen sehen, welche<br />
diesen Schiffsgiganten antrieben.<br />
Wir beendeten den Tauchgang und verschossen<br />
die letzten Bilder während des<br />
Aufstiegs. Nach 25 Metern ließen wir das<br />
Wrack hinter uns. Jetzt waren wir schon<br />
mitten in unseren Deko-Stops. Es war<br />
ein wirklich gelungener Tauchgang mit<br />
bleibenden Erinnerungen. Was für ein<br />
Schiff - ich konnte nicht einmal einen gesamten<br />
Blick auf das gigantische Wrack<br />
werfen. Nach mehreren Deko-Stops<br />
erreichten wir unsere Deko-Station, wo<br />
ein langer Aufenthalt erforderlich war.<br />
Während wir auf den Moment des weiteren<br />
Aufstiegs warteten, entschied ich<br />
mich vor einem weiteren Tauchgang in<br />
die Tiefe unbedingt die Gangpläne und<br />
Fotografien intensiv zu studieren.<br />
Während der nächsten Tage tauchten<br />
wir fanatisch. Die Tauchteams waren<br />
nicht übermässig organisiert, es gab<br />
immer wieder Leerlauf auf einem Boot<br />
Am Hauptdeck schwammen wir unter<br />
eine der großen Aufbauten. Wasserschläuche<br />
hingen noch immer an der<br />
Wand, fast um zu beweisen, dass die<br />
Decks oft geschrubbt und abgespritzt<br />
wurden. Hier befanden sich auch verschiedene<br />
Schotten. Eine führte in den<br />
Maschinenraum, dessen Lage wir bei<br />
der Planung unserer Tauchvorbereitungen<br />
gesehen hatten. Die Berufstaucher<br />
waren hier gewesen, um nach Lecks in<br />
den Öltanks zu suchen. Der Durchgang<br />
nach unten war ziemlich eng, die Gänge<br />
voll mit Abfall. Ich überlegte kurz, ob<br />
ich die steile Leiter zum Gang hinunter<br />
schwimmen sollte. Aber diese Idee<br />
13 <strong>DiveInside</strong> 06/2007
Reisen – Fu Shan Hai<br />
oder am Kompressor. Es dauerte einige<br />
Zeit, bis wir uns an die Gewohnheiten<br />
und speziellen Abläufe aller Personen<br />
gewöhnt hatten. Glücklicherweise waren<br />
wir in der Lage, uns zusammenzuraufen.<br />
Wir begannen, uns mehr und mehr als<br />
eine richtige Gruppe zu fühlen und nicht<br />
nur als Individualisten. Wir erkannten,<br />
dass jeder Einzelne einmalige Erfahrungen<br />
hatte und jeder vom anderen lernen<br />
konnte. Während jeder freien Minute gab<br />
es Diskussionen bezüglich Tauchausstattung,<br />
Deko-Software und Wrack Expeditionen.<br />
Auch waren wir sehr schnell,<br />
wenn es ums Hänseln der DIR Taucher<br />
ging, allerdings in freundlicher Art. An<br />
den Abenden und mit einem kalten Bier<br />
in der Hand, gab es keine Probleme, die<br />
nicht irgendwie lösbar waren. Die Distanz,<br />
die am Anfang zueinander bestand,<br />
wich zusehends.<br />
Das Wrack wurde bereits zu einem extrem<br />
populären Sportfischergebiet. Dutzende<br />
von Angelschnüren hingen überall<br />
auf den Oberdecks herum – neben der<br />
üblichen Anzahl von Netzen. Glücklicherweise<br />
waren die Netze im Scheinwerferlicht<br />
unserer Lampen leicht zu erkennen.<br />
Verschiedene Angelschnüre sahen wie<br />
lange, dünne Stahlseile aus und das<br />
brachte mich auf den Gedanken, dass<br />
hier in dieser Region das Lachsfischen<br />
recht populär ist. Ich dachte an einen<br />
anderen Tauchgang zurück, den ich in<br />
dieser Gegend vor einigen Jahren absolvierte.<br />
Ein Tauchgang, bei dem ich mich<br />
mit solchen Leinen verhedderte, während<br />
ich mich in einer ziemlichen Tiefe<br />
befand. Instinktiv griff meine Hand nach<br />
der Schere in meiner Tasche, allerdings<br />
wollte ich sie bei diesem Tauchgang<br />
nicht benützen.<br />
Fischernetze sind ein großes Sicherheitsrisiko<br />
für Taucher. Unglücklicherweise<br />
passierte bei dieser Expedition<br />
ebenfalls ein solcher Vorfall. Zwei<br />
Taucher waren mitten im Aufstieg. Einer<br />
der Beiden verhedderte sich in einem<br />
Fischernetz, welches in der Strömung<br />
wogte. Die ersten Bewegungen des<br />
Tauchers um sich zu befreien, machte<br />
die Situation nur noch schlimmer. Sein<br />
Tauchpartner musste ihn mit seinem<br />
Messer aus dem Netz herausschneiden.<br />
Die dazugekommenen Taucher<br />
arbeiteten akribisch und ruhig, bis der<br />
festsitzende Kollege wieder frei war. Ihr<br />
Tauchplan war natürlich vollkommen<br />
im Eimer und sie wurden in Form einer<br />
ziemlich langen Dekozeit „bestraft“.<br />
Was für ein Tag!<br />
Jede Expedition hat einen Tag, an dem<br />
wirklich nichts richtig läuft. Auch wir<br />
waren keine Ausnahme. Das lokale<br />
Fernsehen der Insel hat sein Kommen<br />
angekündigt. Ich hatte zugesagt, mit<br />
einer Kamera der TV-Station zu tauchen,<br />
da sie ihre Abendnachrichten mit einem<br />
Video-Clip des Wracks interessanter<br />
gestalten wollten. Unglücklicherweise<br />
konnte weder der Journalist noch der<br />
Kameramann die Gerätschaften bedienen.<br />
Außerdem vergaßen sie, für<br />
ausreichende Beleuchtung unter Wasser<br />
zu sorgen. Stattdessen mussten wir unsere<br />
Tauchlampen benützen. Ein zweites<br />
Paar Taucher sagte zu, als Models zu<br />
agieren und daher hatten wir den Tauchgang<br />
zusammen akribisch geplant.<br />
Das erste Tauchteam begann zeitig<br />
am Morgen. Unser Plan war, später<br />
am Nachmittag mit den Journalisten zu<br />
tauchen. Aber das Wetter wurde immer<br />
schlechter und es regnete den ganzen<br />
Morgen. Möglicherweise würde es um<br />
die Mittagszeit aufklaren, stattdessen<br />
frischte der Wind auf. Wir überlegten<br />
was zu tun sei. Wir bereiteten unsere<br />
Ausrüstung an Land vor. Im strahlenden<br />
Sonnenschein fuhren wir nordwärts<br />
über die rollenden Wellen. Am Zielort<br />
angekommen, bereiteten wir uns auf<br />
den Sprung ins Wasser vor. Der Kameramann<br />
wollte einen der Taucher bei<br />
den Vorbereitungen filmen, aber beim<br />
Fokussieren durch den Kamerasucher<br />
wurde er seekrank.<br />
Besagter Taucher war schon lange fertig<br />
für den Tauchgang und begann wegen<br />
der Warterei auf den Rest der Gruppe<br />
zu überhitzen. Er entschied sich daher<br />
im Wasser zu warten. Endlich waren wir<br />
alle fertig. Wegen des langen Wartens<br />
in der rauen See, fühlte sich dieser nun<br />
nicht mehr wohl. Wir beeilten uns endlich<br />
abzutauchen.<br />
Während des Abtauchens führte ich<br />
einen Kameratest durch. Zu meiner<br />
Bestürzung merkte ich, dass die Kamera<br />
während der ganzen Ausfahrt eingeschaltet<br />
war. Verzweifelt suchte ich einen<br />
Rückspulknopf. Natürlich gab es keine<br />
solche Funktion am Kameragehäuse –<br />
wird ja normalerweise nur an der Wasseroberfläche<br />
benötigt. Wir stoppten also<br />
den Tauchgang um an Bord das Band<br />
zurückzuspulen. Unterwasseraufnahmen<br />
waren schließlich das Ziel dieses Tauchgangs.<br />
Mit den verbliebenen Gasvorräten<br />
konnten wir noch einen langen und<br />
interessanten Tauchgang in 30 bis 35<br />
Meter Tiefe auf der Brücke des Schiffes<br />
machen. Die Fernsehzuschauer würde<br />
die Tiefe nicht so sehr interessieren und<br />
auch nicht, welchen Teil des Schiffes sie<br />
zu sehen bekommen.<br />
14 <strong>DiveInside</strong> 06/2007
Reisen – Fu Shan Hai<br />
Zurück an der Oberfläche konnte niemand<br />
herausfinden, wie der Film zurückgespult<br />
wird.<br />
Alle begannen mutlos zu werden und<br />
außerdem waren die meisten von uns<br />
bereits seekrank.<br />
Der Taucher, der wegen Überhitzung als<br />
erster ins Wasser sprang, informierte<br />
uns, dass er heute nicht mehr tauchen<br />
würde. Zur gleichen Zeit löste sich die<br />
Leine der Dekoboje von unserer Dekostation.<br />
Das gesamte Konstrukt fiel<br />
aufgrund der immer stärker werdenden<br />
Wellen auseinander. Jetzt konnte man<br />
wirklich von einem komplett mißlungenen<br />
Tag sprechen. Der Kutter fuhr<br />
landwärts, während dieser Zeit standen<br />
wir hinten und verbrachten fast die<br />
ganze Stunde damit, den Rest der Boje<br />
zu bergen und instand zu setzen. Die<br />
Wellen wurden lang und rollend und ich<br />
war komplett geschafft, als wir kurz vor<br />
dem Hafen in das RIB kletterten - zu allem<br />
Überfluss ging nämlich der Treibstoff<br />
unseres Schiffes aus.<br />
Die Journalisten warteten am Landungssteg<br />
um ‚Auf Wiedersehen’ zu sagen.<br />
Sie sagten uns, wie extrem beeindruckt<br />
sie von unseren Anstrengungen waren<br />
und wie professionell wir alles handhabten.<br />
Gut:.. sie hatten eine Kamera, mit<br />
der sie nicht umgehen konnten. Mit diesem<br />
Gedanken konnte ich ihre Bewunderung<br />
akzeptieren.<br />
Die Schiffsschraube<br />
Am Tag nach der desaströsen Kameraausfahrt,<br />
lief alles wieder so geschmiert<br />
wie immer. Verschiedene Tauchpaare<br />
planten, zur Schiffsschraube zu tauchen.<br />
Auf allen Bildern, die wir vom Wrack gesehen<br />
haben, stand das Heck komplett<br />
vertikal. Es wurde schnell klar dass das<br />
gesamte Heck ziemlich eingedrückt war.<br />
Der Schiffsrumpf stand exakt aufrecht,<br />
aber das Heck war im 45° Winkel nach<br />
innen gedrückt. Enorme Kräfte mussten<br />
im Spiel gewesen sein. Das Heck war<br />
annähernd so breit wie der Rest des<br />
Rumpfes – 33 Meter. Die Stahlplatten<br />
mehrere Zentimeter dick. Tonnen von<br />
Stahl wurden sauber nach innen gedrückt.<br />
Das Ganze wirkte so sauber, als<br />
ob das Schiff so gebaut worden war.<br />
Vorsichtig glitten wir über das Heck. Wir<br />
setzten den Weg nach unten über das<br />
acht Meter hohe Ruder fort. Ich musste<br />
wegen der beiden Blitzlicht-Arme der<br />
Kamera extrem vorsichtig sein. Meine<br />
‚Flügelweite’ betrug nahezu 1,5 Meter.<br />
Unter dem hinteren Deck war es extrem<br />
dunkel. Nicht nur das, sondern auch die<br />
Nähe zum Meeresgrund ließ das Wasser<br />
sehr düster wirken. Wir drückten uns<br />
knapp unter dem Ruder durch, während<br />
wir unseren Weg vorwärts und nach<br />
unten ertasteten. Früher oder später<br />
würden wir einen Blick auf die Schiffsschraube<br />
erhaschen. Das Wasser rund<br />
um uns war kalt und ruhig. Es herrschte<br />
eine fast fühlbare Stille. Alles, was wir<br />
hörten, waren unsere eigenen Luftblasen,<br />
die sich verflüchtigten. Sie schwebten<br />
nach oben in Richtung des Hecks<br />
und quirlten entlang der riesigen Stahlplatten.<br />
Schließlich kamen die Luftblasen<br />
frei und schwebten hinauf zur Oberfläche.<br />
Der einzige Beweis, dass sich hier<br />
zwei winzige Individuen gut versteckt<br />
unter dem gigantischen Schiffsrumpf<br />
aus Metall befinden. Ich fühlte mich, als<br />
hätte mich ein gewaltiger Vogel unter<br />
seine Schwingen genommen. Fest am<br />
seinem Körper, geborgen in seinem Federkleid.<br />
Eigentümliche Gedanken - ich<br />
fühlte mich total allein, gleichzeitig aber<br />
unglaublich sicher.<br />
Direkt vor mir schien Peter’s Tauchscheinwerfer<br />
auf eine komplett andere<br />
Legierung. Die Schiffsschraube war<br />
gigantisch. Für einen Moment, bezweifelte<br />
ich, dass es die Schraube war.<br />
Wie vereinbart, schwamm Peter zur<br />
anderen Seite und machte dann kehrt.<br />
Ich beglückwünschte mich zur Wahl des<br />
Weitwinkelobjektivs. Jetzt war ich in der<br />
Lage, nah heran zu kommen. Eine feine<br />
Lage Schlamm hatte sich bereits über<br />
das Stahlgebilde gelegt. Die Sicht war<br />
minimal.<br />
Der Auto-Fokus der Kamera hatte bereits<br />
ein hartes Stück Arbeit zur Scharfstellung.<br />
Normalerweise reichte Peter’s<br />
Lampe als Kontrast, um den Auto-Fokus<br />
zu aktivieren. Unglücklicherweise jetzt<br />
nicht. Ich hörte den Motor, der vor und<br />
zurück drehte, um richtig zu fokussieren.<br />
Ich befürchtete, dass ich möglicherweise<br />
überhaupt kein gutes Bild machen könnte.<br />
Dann bewegte Peter den Scheinwerfer<br />
ganz leicht. Der Auto-Fokus schaffte<br />
endlich die richtige Position. Ich starrte<br />
ängstlich auf den Monitor. Ein scharfes<br />
und ziemlich ordentlich belichtetes Bild<br />
wurde eingeblendet. Mir fiel ein Stein<br />
von Herzen. Ich machte noch einige<br />
Aufnahmen, bevor ich wirklich zufrieden<br />
war.<br />
Laut Plan wollten wir noch nach unten<br />
gehen und den Boden des Rumpfes zu<br />
begutachten. Der Tauchgang war auf 69<br />
Meter ausgelegt. Das war exakt die Tiefe<br />
unter dem Wrack. Einer der Tauchcomputer<br />
zeigte 66,5 Meter und der andere<br />
67,8 Meter an. Wir schauten uns an und<br />
entschieden, dass wir alles gesehen<br />
hatten, was wir sehen wollten. Wir folgten<br />
dem Ruder, so weit wir konnten. Bei<br />
55 Metern schwammen wir entlang der<br />
enorm großen Buchstaben am eingeknickten<br />
Heck – dem Namen Fu Shan<br />
Hai. Hier machten wir noch einige Fotos.<br />
Bevor wir Kurs auf unseren ersten Deko-<br />
Stop nahmen, gab ich dem Wrack einen<br />
freundlichen Klaps und dachte ‚bis zum<br />
nächsten Mal’.<br />
Abschlussprotokoll<br />
Das Schifffahrtsunternehmen, welches<br />
Eigner der Gdynia war, wurde im Frühjahr<br />
2006 verurteilt, für den Untergang<br />
der Fu Shan Hai verantwortlich zu sein.<br />
Das Gericht belegte das Unternehmen<br />
für die Schäden mit einer Strafe von 13,5<br />
Millionen US Dollar. Zusätzlich wurde<br />
es dazu verurteilt, sowohl das dänische<br />
Militärkommando, als auch die schwedische<br />
Küstenwache für die Kosten der<br />
Beseitigung der Umweltschäden zu<br />
entschädigen.<br />
Ende Januar 2007 hoben die dänischen<br />
Behörden das Tauchverbot an der Fu<br />
Shan Hai auf. Nicht zuletzt als Folge<br />
dieser ersten Expedition. Die gute<br />
Dokumentation der Tauchgänge und<br />
die hartnäckigen Nachfragen der Gruppe<br />
„Dykkeriet“ führten schließlich zum<br />
Erfolg. Aktuelle Informationen zu diesem<br />
fantastischen Wrack findet man auf der<br />
Projektseite der Fu Shan Hai:<br />
www.fushanhai.dk<br />
15 <strong>DiveInside</strong> 06/2007