24.11.2013 Aufrufe

3. Erkenntnisse zur Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 18 ...

3. Erkenntnisse zur Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 18 ...

3. Erkenntnisse zur Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 18 ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

65<br />

<strong>3.</strong>2. Themen und ausgewählte Ergebnisse heutiger<br />

historisch-demographischer Forschung<br />

Auch <strong>in</strong> der Frühen Neuzeit war die Mortalität und mit ihr die Mortalität der Säugl<strong>in</strong>ge -<br />

entgegen der E<strong>in</strong>schätzung vieler Zeitgenossen 1 - nicht ausschließlich "widerfahrene Biologie"<br />

2 , e<strong>in</strong>e von Menschen unbee<strong>in</strong>flußbare Größe, sondern e<strong>in</strong>e Determ<strong>in</strong>ante der Bevölkerungsentwicklung,<br />

die, <strong>im</strong> Wechselspiel mit anderen demographischen sowie wirtschaftlichen<br />

und sozialen Faktoren, <strong>in</strong> hohem Grad historischer Bed<strong>in</strong>gtheit unterlag. Dies erkannten<br />

bereits - trotz konträrer Grundpositionen - beide "Väter" der Historischen Demographie:<br />

J.P. Süßmilch und Th.R. Malthus 3 . In se<strong>in</strong>em "first essay" 4 , den er später ergänzte, <strong>in</strong> Teilen<br />

revidierte 5 , nahm Malthus allerd<strong>in</strong>gs noch e<strong>in</strong>en naturgesetzlich-biologischen Standpunkt<br />

e<strong>in</strong>. Von diesem Standpunkt aus stellte er die bis heute viel beachtete These auf, daß<br />

Mortalität, <strong>in</strong>sbesondere Krisenmortalität, e<strong>in</strong> notwendiges Übel sei, daß <strong>im</strong> Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

Bevölkerungsprizipes, das Naturgesetzmäßigkeiten folgt, die Funktion habe, <strong>in</strong> Form von<br />

"positive checks" (wie z.B. Kriegen oder Seuchen) die Menschheit vor Überbevölkerung und<br />

den daraus resultierenden Katastrophen zu bewahren. Demgegenüber hatte Süßmilchs Ruf<br />

nach Sozialreformen und gerechter E<strong>in</strong>kommensverteilung bereits sechzig Jahre zuvor die<br />

Überzeugung vorausgesetzt, daß Mortalität sozial determ<strong>in</strong>iert sei 6 . Diese Beobachtung<br />

besitzt bis heute gerade mit Blick auf die <strong>Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit</strong> so une<strong>in</strong>geschränkte<br />

Gültigkeit, daß IM-Werte als sensible Indikatoren für den sozialen und ökonomischen<br />

Entwicklungsstand von Staaten ständiger Beobachtung unterliegen 7 .<br />

Wie so oft <strong>im</strong> Falle historisch-demographischer Forschung durchbricht die Frage nach den<br />

Ursachen des differentiellen Säugl<strong>in</strong>gstodes <strong>in</strong> der Frühen Neuzeit die Fachgrenzen<br />

wissenschaftlicher Diszipl<strong>in</strong>en. Entsprechend umfangreich ist die Fachliteratur, mit der sich<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Vgl. dazu z.B. die Sterbetopoi <strong>in</strong> Leichenpredigten. Zur Quellengattung der Leichenpredigten und <strong>zur</strong><br />

Auswertung derselben <strong>in</strong> Zusammenhang mit dem Tod von K<strong>in</strong>dern vgl. I.E. Kloke, "Das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />

Leichenpredigt" (1984). Zur Geschichte des (k<strong>in</strong>dlichen) Todes vgl. auch: Ph. Ariès, L'Enfant et la vie<br />

familiale sous l'Ancien Rég<strong>im</strong>e, Paris 1960 und Ders., Essais sur l'histoire de la mort en Occident du<br />

moyen âge à nos jours, Paris 1975 sowie A.E. Imhof, Ars Moriendi, Wien 1991 und S. Wollgast, Zum<br />

Tod <strong>im</strong> späten Mittelalter und <strong>in</strong> der Frühen Neuzeit... (1992).<br />

"Darunter verstehen wir Ersche<strong>in</strong>ungen, bei denen das re<strong>in</strong> Biologische <strong>im</strong> Vordergrund steht, wo der<br />

Mensch nur am Rande <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt, wo er selbst nicht handelt, nicht e<strong>in</strong>mal reagiert, sondern wo<br />

er <strong>in</strong> Mitleidenschaft gezogen wird, wo er se<strong>in</strong>em Körper und der ihn umgebenden Biologie ausgeliefert<br />

ist." Dieses Zitat <strong>zur</strong> Kapitelüberschrift "Widerfahrene Biologie" ist dem Band von A.E. Imhof (Hrsg.),<br />

Biologie des Menschen <strong>in</strong> der Geschichte... (1978) entnommen.<br />

Obwohl Süßmilchs Bevölkerungslehre <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hauptwerk (Die göttliche Ordnung... [1741]) e<strong>in</strong>e<br />

metaphysische Fundierung hat, st<strong>im</strong>mt se<strong>in</strong>e praktische Forschungstätigkeit mit den Maßstäben und<br />

Methoden der heutigen Demographie erstaunlich übere<strong>in</strong>. H. Birg ("Johann Peter Süssmilch und<br />

Thomas Robert Malthus..." [1989], 71) ist der Überzeugung, daß Süßmilch "den modernen Gedanken<br />

der Interdependenz zwischen ökonomischen, sozialen und demographischen Faktoren und den<br />

Gedanken der Homöostasie bei der Erklärung der Bevölkerungsveränderung vorweggenommen hat".<br />

P. Marschalck (Bevölkerungsgeschichte <strong>Deutschland</strong>s... [1984], 14) schreibt Malthus das Verdienst zu,<br />

und zwar besonders deutlich <strong>in</strong> der <strong>18</strong>03 erschienenen 2. Auflage des "Essay on the Pr<strong>in</strong>ciple of<br />

Population..." (1. Auflage 1798), auf die "sozialen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Bevölkerungswachstum, für<br />

Fruchtbarkeit und Sterblichkeit" h<strong>in</strong>gewiesen zu haben. Zuletzt setzte sich Marschalck mit den sozialen<br />

Unterschieden bei Sterblichkeit und Fruchtbarkeit <strong>im</strong> Denken von Süßmilch und Malthus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Beitrag "Kont<strong>in</strong>uitäten und Brüche <strong>im</strong> bevölkerungswissenschaftlichen und bevölkerungspolitischen<br />

Denken <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> während der letzten zwei Jahrhunderte", <strong>in</strong>: Acta Demographica 1992, 117-130,<br />

ause<strong>in</strong>ander, bes. Seite 119f.<br />

Th.R. Malthus, 1. Auflage der Streitschrift "An Essay on the Pr<strong>in</strong>ciple of Population..." (1798).<br />

Th.R. Malthus, 2. Auflage des "An Essay on the Pr<strong>in</strong>ciple of Population..." (<strong>18</strong>03), hrsg. von P. James<br />

1989.<br />

Vgl. hierzu nochmals H. Birg, " Johann Peter Süßmilch und Thomas Robert Malthus... (1989), 70.<br />

Jährlich veröffentlicht z.B. die Weltbank (Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) IM-<br />

Zahlen aus den Industrie- und Entwicklungsländern <strong>im</strong> Weltentwicklungsbericht.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!