Vervollständigung von Märkten - RealWWZ

Vervollständigung von Märkten
Optionen und Risikoallokation
Naheliegenderweise wird man die Hauptfunktion von Optionsmärkten in der Umverteilung des
systematischen Risikos zwischen den Wirtschaftsakteuren vermuten. Risiken werden gegen
Leistung des Optionspreises von den Hedgern zu den Spekulanten transferiert. Ganz allgemein
verbessern Optionen die Risikoallokation in der Wirtschaft, weil durch sie Risiken in kleinere
Einheiten zerlegt werden können und handelbar werden.
Es lässt sich zeigen, dass durch einfache Puts und Calls, respektive durch Puts und Calls auf
effiziente Portfolios, unvollständige Märkte auf einfache Weise vervollständigt werden können
(Ross 1976). So können mit Hilfe von Optionen viele Zahlungsstrukturen nachgebildet werden.
Dadurch lassen sich manchmal Instrumente replizieren, welche auf dem Finanzmarkt nicht verfügbar,
nicht liquid oder vielleicht auch durch Regulierung ausgeschlossen sind.
Catch 22 der Optionsbewertung
Die Funktion der Risikoallokation folgt nicht zwingend aus den Annahmen der klassischen Optionspreistheorie.
Diese beruht ja auf der Prämisse, dass Optionen redundante Anlagen darstellen
und demzufolge durch bestehende Anlagen repliziert werden können. So ist eine wesentliche
Implikation der Arbitragebewertungstheorie von Optionen, dass eine Calloption (Putoption)
äquivalent ist mit einer long (short) Position in der Basisanlage und einer short (long) Position
in einem festverzinslichen Instrument. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich letztlich die
Frage, wozu überhaupt Optionen benötigt werden.
Es besteht zwischen dem Arbitragebewertungsansatz der Optionsbewertung und der marktvervollständigen
Rolle von Optionen ein erheblicher Widerspruch (“the catch 22 of option pricing”,
Hakansson 1979). Wenn Optionen redundante Anlagen sind, können sie keine allokativen Effekte
haben, welche nicht auch durch originäre Anlagen – d.h. Anlagen, welche die Optionen zu
replizieren vermögen – erreicht werden können. Letztlich steht man vor dem Dilemma, dass
entweder die Preisbildung “einfach” ist und dafür die allokative Bedeutung von Optionen unklar
bleibt, oder dass man gute Gründe für die ökonomische Bedeutung von Optionsmärkten kennt,
aber dafür die Preisbildung nicht aufgrund der konventionellen Arbitrageansätze erfolgen kann.
Vervollständigung der Finanzmärkte
Grundlage für die risiko-allokative Rolle von Optionen bildet die Beobachtung, dass Optionen
unvollständige Finanzmärkte vervollständigen. Vollständige Märkte sind Märkte, in denen es ein
vollständiges Set von Elementaranlagen 1 gibt. Um zu zeigen, dass mit Optionen Märkte vervollständigt
werden können, genügt es zu zeigen, dass sich mit Optionen ein solches vollständiges
Set von Elementaranlagen erzeugen lässt. Dabei können Elementaranlagen im Einperiodenfall
aus den ursprünglichen Anlagen genau dann eindeutig konstruiert werden, wenn es
gleich viele nicht-redundante Anlagen wie Zustände gibt.
Synthetische Elementaranlagen lassen sich beispielsweise durch sog. (long) Butterfly-Spreads
konstruieren. Dies sind Optionsstrategien, bei denen Calloptionen derselben Laufzeit mit drei
verschiedenen Ausübungspreisen gleichzeitig gekauft und verkauft werden. Die Calloption mit
dem “mittleren” Ausübungspreis wird verkauft, während die Calloption mit dem “höheren” und
“tieferen” Ausübungspreis gekauft werden. Können nun Optionskontrakte mit sämtlichen möglichen
Ausübungspreisen gehandelt werden (d.h. die Abstufung der Ausübungspreise entspricht
dem Spektrum der möglichen Kurse im Verfallzeitspunkt), so lässt sich ein vollständiges Set
von Elementaranlagen erzeugen. Der Kapitalmarkt ist damit vollständig.
Populär formuliert bedeutet die Vervollständigung der Märkte, dass durch Optionen das Risiko-
/Rendite-Spektrum der bestehenden Anlagemöglichkeiten so erweitert wird, wie das nur durch
dynamische Portfoliostrategien möglich wäre. Der Grund liegt darin, dass sich Optionen durch
dynamische Portfoliostrategien mit bestehenden Anlagen replizieren lassen. Mit der Einführung
von Optionskontrakten erübrigt sich die Implementation dieser Strategie. Damit stellt sich die
1
Eine Elementaranlage ist im State-Preference-Modell eine Anlage, welche in genau einem Zustand einen Payoff von Eins abwirft,
und in den übrigen Zuständen nichts.
Simon K. Basler 1998

Frage, unter welchen Voraussetzungen Optionen dynamischen Strategien vorgezogen werden.
Drei Gesichtspunkte stehen im Vordergrund:
• Bei der periodischen Adjustierung des replizierenden Portfolios fallen Transaktionskosten
an, was eine laufende Anpassung teuer und letztlich unrealistisch macht. Eine perfekte Replikation
der Option setzt jedoch voraus, dass das Portfolio laufend angepasst werden
kann.
• Derivatmärkte verfügen aufgrund der schnelleren und billigeren Abwicklung oft über aktuellere
Preisinfomationen, wodurch auch die Preisfindung auf den zugrunde liegenden Kassamärkten
verbessert wird.
• Damit Optionen dynamisch repliziert werden können, muss der stochastische Preisprozess
des Underlyings bekannt sein. Im einfachsten Fall (Black-Scholes-Merton-Modell) erfordert
dies die Kenntnis der Volatilität der Preisänderungen des Underlyings. Diese Annahme
kann aus verschiedenen Gründen verletzt sein, gerade wenn dynamische Replikationsstrategien
ausgiebig verwendet werden (→ Informationsexternalität). Wenn die Volatilität von
Kassamärkten von der Verbreitung dynamischer Absicherungsstrategien abhängig ist (z.B.
aufgrund eines fehlenden liquiden Marktes für längerfristige Call- und Putoptionen), aber
das Ausmass der Verbreitung bei der Implementation unbekannt ist, so kann die Volatilität
des Kassamarktes nur schwer durch subjektive Erwartungen abgeschätzt werden. Damit
besteht die Gefahr, dass Replikationen auf Volatilitätserwartungen ausgerichtet werden,
welche u.U. mit einem späteren Marktgleichgewicht nicht konsistent sind.
Wenn demgegenüber börsengehandelte Optionen für die Absicherung gebraucht werden,
wird der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage nach Absicherungsmöglichkeiten über
einen Marktmechanismus koordiniert und äussert sich nicht in unerwarteten Aktienkäufen
oder -verkäufen, sondern in den Preisen und somit in den impliziten Volatilitäten. Marktinformationen
können dadurch sofort in die Entscheidungen der Marktteilnehmer einfliessen.
Dieser Ausgleichsmechanismus fehlt bei einer ausschliesslichen Implementation dynamischer
Strategien weitgehend, da in diesem Fall die Entscheidungen auf subjektiven Erwartungen
beruhen müssen. So liegt denn auch eine zentrale ökonomische Funktion von Optionsmärkten
in der Aggregation von Volatilitätserwartungen. Durch Optionsmärkte verfügt
man über Institutionen, über deren Preissystem später potentielle Ungleichgewichte des
Kassamarktes ex ante erkannt und abgeschwächt werden können. Durch einen Optionsmarkt
wird somit die Volatilität des zugrunde liegenden Kassamarktes in Form von Finanzkontrakten
handelbar und mit einem Marktpreis versehen.
Simon K. Basler 1998