26.11.2013 Aufrufe

Tanzen mit Neele

Eine junge Frau, vielleicht Anfang dreißig, sie war mir vorgestellt worden, saß ei­nige Tische weiter mir gegenüber. Ich meinte, sie gehörte zur Verwandtschaft des Bräutigams, aber selbst dessen war ich mir nicht mehr sicher, geschweige denn, dass ich ihren Namen behalten hätte. Bei der Vorstellung war sie mir gar nicht aufgefallen, aber jetzt sah ich sie eben öfter, und da hob sie sich schon ein wenig ab von den vielen Hinterköpfen und Allerweltsgesichtern, die ich sah. Sie war keine Schönheit, wie man sie in Katalogen mit Gesichtern von Models gefunden hätte, aber ihr ein wenig längliches Gesicht mit den markanten Zü­gen reizte mich schon zum Hinschauen. Der Farbton ihrer mittel- bis hellblon­den Haare schien wie extra für dieses Gesicht kreiert. Bei ihrer leicht sturmver­wehten Frisur schien es sich allerdings nicht um einen Urzustand, sondern wohl eher um ein Kunstwerk eines Meisters der Friseurinnung zu handeln. Sie war sicher eine Schönheit vom Lande. Nein, nein, das passte nicht. Ihr Gesicht strahlte nicht die Weichheit und Milde eines unverdorbenen Bauernkindes aus, dem vielleicht noch die Sommersprossen gefehlt hätten. Sowohl ihre markan­ten Züge, als auch ihr scharfer Blick ließen sie zusammen mit ihrem relativ breiten Mund, den sie manchmal zu einem süffisanten Lächeln verzog, eher als eine intellektuelle Frau erscheinen, vielleicht mit früheren ländlichen Vorfahren. Meine Vorfahren schienen aus geistig dunklen Regionen zu stammen, zumin­dest nach dem, was sie mir vererbt hatten. Ich saß, hier wenige Schritte von dieser Frau entfernt, und rätselte aus der Ferne über ihre Identität. Warum stand ich nicht auf und fragte sie oder forderte sie zum Tanzen auf?

Eine junge Frau, vielleicht Anfang dreißig, sie war mir vorgestellt worden, saß
ei­nige Tische weiter mir gegenüber. Ich meinte, sie gehörte zur
Verwandtschaft des Bräutigams, aber selbst dessen war ich mir nicht mehr
sicher, geschweige denn, dass ich ihren Namen behalten hätte. Bei der
Vorstellung war sie mir gar nicht aufgefallen, aber jetzt sah ich sie eben öfter,
und da hob sie sich schon ein wenig ab von den vielen Hinterköpfen und
Allerweltsgesichtern, die ich sah. Sie war keine Schönheit, wie man sie in
Katalogen mit Gesichtern von Models gefunden hätte, aber ihr ein wenig
längliches Gesicht mit den markanten Zü­gen reizte mich schon zum
Hinschauen. Der Farbton ihrer mittel- bis hellblon­den Haare schien wie extra für dieses Gesicht kreiert. Bei ihrer leicht sturmver­wehten Frisur schien es
sich allerdings nicht um einen Urzustand, sondern wohl eher um ein
Kunstwerk eines Meisters der Friseurinnung zu handeln. Sie war sicher eine Schönheit vom Lande. Nein, nein, das passte nicht. Ihr Gesicht strahlte nicht
die Weichheit und Milde eines unverdorbenen Bauernkindes aus, dem
vielleicht noch die Sommersprossen gefehlt hätten. Sowohl ihre markan­ten
Züge, als auch ihr scharfer Blick ließen sie zusammen mit ihrem relativ breiten
Mund, den sie manchmal zu einem süffisanten Lächeln verzog, eher als eine
intellektuelle Frau erscheinen, vielleicht mit früheren ländlichen Vorfahren.
Meine Vorfahren schienen aus geistig dunklen Regionen zu stammen,
zumin­dest nach dem, was sie mir vererbt hatten. Ich saß, hier wenige
Schritte von dieser Frau entfernt, und rätselte aus der Ferne über ihre
Identität. Warum stand ich nicht auf und fragte sie oder
forderte sie zum Tanzen auf?

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

als Begrenzung für einen so gut wie völlig freien Rücken verjüngte. Das sah ich<br />

erst jetzt. Wo sollte ich denn meine Hand hinlegen. Entweder auf die Haut ihres<br />

Rückens, oder ich hätte sie ihr auf den Po legen müssen, da war ihre Haut<br />

wieder bedeckt. Ein wenig unangenehm war es mir schon. Ich wollte darauf<br />

achten, dass meine Hand auf jeden Fall ganz ruhig liegen blieb, und nicht der<br />

Anschein entstehen konnte, ich würde ihr den Rücken streicheln oder sie<br />

betatschen wollen. Ich tanzte <strong>mit</strong> voller Konzentration auf meine rechte Hand.<br />

Ein sonderbares Tanzerlebnis. Alles andere verlief fast unbemerkt automatisch,<br />

ich war ganz meine Hand. Ich meinte, die Frau zu spüren. Mehr als nur die<br />

Wirbel ihres Rückgrads, die sich unter meiner Handfläche befanden. Der<br />

gesamte langsame Bewegungsablauf ihres Körpers schien sich auf meine<br />

Handfläche zu übertragen. Wie das koordinierte Zusammenspiel der vielen<br />

Glieder einer achtbeinigen Spinne, so meinte ich die rhythmische Koordination<br />

des ganzen Bewegungsapparates dieser Frau an meiner Hand zu spüren. Meine<br />

Gedanken betasteten sie, aber über meine unverrückbar fest liegende Hand.<br />

Sie erschien mir eher immer schwerer und fester an dieser Stelle des Rückens<br />

der Frau zu liegen, obwohl ich kein bisschen den Druck meiner Hand verändert<br />

hatte. Sie lag leicht etwa auf der Mitte ihres freien Rückens. Trotzdem empfand<br />

ich, dass die gegenseitige Berührungsfläche unserer Hautpartien langsam<br />

wärmer zu werden schien. Ein sonderbar tiefes, leicht verwirrendes Erlebnis. Es<br />

war nicht unangenehm, trotzdem fühlte ich mich ein wenig erlöst, als der Tanz<br />

vorüber war.<br />

Gegenseitige Vorstellungen<br />

Wir gingen noch zur Bar. Ich musste ihr ja schließlich erklären, dass der spanische<br />

Pedro Peter Hellwich hieß und außer Barcelona und Bilbao noch nie etwas<br />

von Spanien gesehen hatte. Und ich musste ja schließlich in Erfahrung bringen,<br />

ob sie tatsächlich nicht vom Lande kam oder doch. Auf dem Weg zur Bar<br />

schaute mich <strong>Neele</strong> tief und vielsagend an, aber ich wusste ihren Blick nicht zu<br />

deuten. Sie erklärte auch nichts dazu, sondern atmete nur tief aus. Von den<br />

Empfindungen an meiner Hand auf ihrem Rücken berichtete ich ihr natürlich<br />

nichts. Abgesehen davon hielt ich es auch für albern und unbedeutend. Ich<br />

meinte zwar es so direkt erfahren zu haben, aber im Grunde genommen musste<br />

es ja Unsinn gewesen sein und konnte sich nur um fantastische Spinnereien<br />

in meinem Kopf handeln.<br />

Natürlich war <strong>Neele</strong> keine Bauerntochter, sondern promovierte Germanistin an<br />

der Uni in Köln, die sich zur Zeit in Linguistik <strong>mit</strong> einer Arbeit zur Rhetorik habilitierte,<br />

und dabei bekam sie wohl so schnell keine Sommersprossen. Dass<br />

ich kein Spanier, und auch nicht der Holländer Pit, wie mich manche nannten,<br />

sondern ein stinklangweiliger, staubtrockener kleiner Rechtsanwalt in einer Sozietät<br />

in Köln war, enttäuschte sie. Sie wünschte sich, dass durch Pedro mal ein<br />

wenig Exotik in die Familie Einzug gehalten hätte. „<strong>Neele</strong>, ich bleibe doch der<br />

Pedro. Für die meisten Freunde und Verwandten heiße ich schon immer so.<br />

Und <strong>mit</strong> der Exotik? Na ja, zumindest stellt mein Berufsalltag nicht den Lebensinhalt<br />

dar, <strong>mit</strong> dem ich mich identifiziere. Ich bin mal Anwalt geworden, weil ich<br />

frei sein wollte und nicht in irgendeiner Behörde verkümmern. Jetzt verküm-<br />

<strong>Tanzen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Neele</strong> – Seite 5 von 42

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!