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Das Erdbeben von Lissabon_Bordat.pdf - History-Blog

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kurz: unüberschaubaren Zeit- und Raumhorizont, der in das handlungstheoretische Kalkül des<br />

Einzelnen bzw. der Gemeinschaft einfließen muss.<br />

Verantwortung ist seit jeher ein zentraler Begriff des Nachdenkens über Moralität. Er hat<br />

einen retrospektiven Charakter (in diesem Sinne entspräche er der Rechtfertigung), kann aber<br />

darüber hinaus in prospektiver Hinsicht Bedeutung entwickeln. Insoweit steht er dem<br />

Pflichtbegriff nahe, rückt aber – mehr als dieser – »das Problem der Zurechnung <strong>von</strong><br />

Verpflichtungen an Handlungssubjekte ins Zentrum der Betrachtung« (Werner 2006, 544).<br />

Dieser Blickwinkel der »moralischen Urheberschaft« (Höffe 2007, 253) ist für die Rede vom<br />

Klimawandel mit ihrer Zukunftsorientiertheit und der ungeklärten Zuschreibung konkreter<br />

Verantwortlichkeiten maßgebend, zumal in einer »Epoche [..], in der Begriffe wie<br />

,Menschheit’, ,Kosmos’, ,Natur’, ,Geschichte’ beginnen, so etwas wie ein sittliches Verhältnis<br />

zu bezeichnen, aus dem sittliche Verantwortlichkeiten folgen« (Spaemann 2001, 229),[2] und<br />

in der weiterhin »das veränderte Wesen menschlichen Handelns« (Jonas 1984: 13) in<br />

modernen, technisierten Gesellschaften eine Erweiterung des Verantwortungsbereichs<br />

erforderlich macht, was das Zuschreibungsproblem noch mehr verschärft und die Skepsis<br />

gegenüber der Verantwortungsethik nährt. Ferner zeigt sich aber in der Bindung <strong>von</strong><br />

Verantwortung an Pflicht und Handlungssubjekt auch eine grundsätzliche Konsumerabilität<br />

der Verantwortungsethik mit der christlichen Gebotsethik. Spaemann zeigt die biblischen<br />

Wurzeln des Verantwortungsbegriffs in der Genesis auf: Als Gott den Kain nach dem Mord<br />

an seinem Bruder Abel zur Rechenschaft zieht (die »erste Stelle der Heiligen Schrift, wo<br />

überhaupt des Sittliche thematisiert wird«; 2001, 216), indem Gott ihm nicht das Verbrechen<br />

vorhält, sondern ihn schlicht fragt: »Wo ist dein Bruder Abel?« (Gen 4, 9), weist dieser nicht<br />

die Tat <strong>von</strong> sich, sondern er versucht die Frage zu delegitimieren, indem er ganz allgemein die<br />

Verantwortung für seinen Bruder mit einer Gegenfrage zurückweist: »Bin ich der Hüter<br />

meines Bruders?« (Gen 4, 9). Die sorglose Gleichgültigkeit des Kain, die aus diesen Worten<br />

spricht, legt im negativen Modus die Essenz der Verantwortung frei, denn genau dies ist ihr<br />

Kern: Sorge zu tragen und diese Sorge zur Pflicht zu erheben. Verantwortung heißt in der Tat,<br />

»Hüter meines Bruders« zu sein. Gutes Handeln ist demnach verantwortliches Handeln.<br />

Doch die Frage, die sich uns in der Klimawandeldebatte angesichts des weiten Zeithorizonts<br />

(kommende Generationen) und der großen Raumdiskrepanz <strong>von</strong> »Schuld«/»Sünde« (»Erste<br />

Welt«) und »Sühne«/»Strafe« (»Dritte Welt«) stellt, lautet: Wer ist unser »Bruder«? Was und<br />

wen umfasst der Verantwortungsbegriff? Wir müssen diese Fragen angehen, um den<br />

drohenden Katastrophen im Zuge des Klimawandels wirkungsvoll zu begegnen. Wenn wir sie<br />

als Übel auch nicht verhindern können, so müssen wir doch versuchen, das mit ihnen<br />

verbundene Leid zu minimieren. Die Antwort auf die Ausgangfrage Unde malum lässt sich<br />

jedenfalls nur noch im Regress auf den Menschen und die <strong>von</strong> ihm geschaffene Zivilisation<br />

beantworten.<br />

Anmerkungen<br />

[1] Zum 250. Jahrestag der Katastrophe gab es ebenfalls drei interessante Publikationen:<br />

Günther (2005), Georgi (2005) und das Dossier <strong>Erdbeben</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 1755 der Neue<br />

Zürcher Zeitung vom 29./30. Oktober 2005 mit Beiträgen <strong>von</strong> Wolf R. Dombrowsky, Odo<br />

Marquard, Franz Mauelshagen, Andreas Maurer, Wolfgang Sofsky u.a. Weiterhin hatte die<br />

Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts“, die vom<br />

6. bis 8. Oktober 2005 in Göttingen stattfand, das Thema: <strong>Das</strong> <strong>Erdbeben</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> und<br />

der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert.

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