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FILM AB!<br />

ZUM SEELEN-<br />

HAUSHALT DER<br />

AARGAUER<br />

ARTHOUSE-KINOS<br />

Multiplex-Kinos schiessen aus dem Boden, technische Erneuerungen<br />

bringen Kinos in Zugzwang. Wie verkraften die kleinen<br />

Aargauer Studiokinos diese Situation? Eine Bestandesaufnahme<br />

VON SASCHA LARA BLEULER<br />

SEITE 32–37<br />

FEDERLESEN<br />

Annette Schindler und Dustin Rees<br />

über Animationsfilme<br />

AUFGEZEICHNET VON EVELYNE BAUMBERGER<br />

SEITE 38/39<br />

BILDSCHIRM<br />

OLIVER LANG<br />

Mit einem Text von Wolfgang Bortlik zum<br />

immateriellen Kulturerbe<br />

SEITE 40–42<br />

KLEINER BILDSCHIRM<br />

ANDREY FEDORCHENKO<br />

SEITE 43<br />

HIMMEL & HÖLLE<br />

Müller auf Abwegen<br />

VON RAPHAEL ZEHNDER<br />

ILLUSTRATION VON NAOMI BÜHLMANN<br />

SEITE 44/45<br />

KLEIN & FEIN<br />

One Minute Festival<br />

VON CORDELIA OPPLIGER<br />

SEITE 46<br />

NR<br />

37<br />

TAUCHSIEDER<br />

An die Gr<strong>als</strong>hüter des Schweizer Filmschaffens<br />

Als Madame Antoine aus Paris Clichy 1913 in Baden mit<br />

dem Kino Radium eines der ersten und stattlichsten<br />

Lichtspieltheater im Kanton gründete, machte der damalige<br />

Gemeinderat der Pariser Dame das Geschäft nicht leicht.<br />

Kinematographische Darbietungen waren in den Augen<br />

der örtlichen Behörde nicht nur anerkannter Nichtsnutz;<br />

nein, die neue Vorführtechnik der Unterhaltungsindustrie<br />

gefährde vor allem die Moral unbescholtener<br />

Bürgerinnen und Bürger. Die Amtswürden sahen sich<br />

gezwungen, rigoros gegen das Laster vorzugehen, um vor<br />

allem die Jugend vor sündhaften Darstellungen wie Mord-<br />

Raub- und Ehebruchszenen zu schützen. Zweifelhafte<br />

Filme wurden deshalb kurzerhand per Reglement verboten.<br />

Die Schikanen, Wildwestmethoden, wie Esther Schneider<br />

sie in ihrer kulturgeschichtlichen Arbeit von 1986 beschreibt<br />

(nachzulesen in der Jubiläumsbroschüre 100<br />

Jahre Royal und in der Buchhandlung LIBRIUM in<br />

Baden erhältlich), waren zur Anfangszeit der Kinogeschichte<br />

vor allem in Baden zahlreich. Verboten<br />

wurde alles, was nicht keusch war.<br />

Madame Antoine ist unterdessen weitergereist – sie hat<br />

wohl irgendwann die Nerven verloren und sich einen<br />

Ort mit mehr Sinn für den Freigeist gesucht. Das Kino<br />

hingegen steht unter dem Namen Royal noch an selber<br />

Stelle und man freut sich, dass der Kulturstätte nochm<strong>als</strong><br />

eine Galgenfrist gewährt wurde.<br />

In den letzten hundert Jahren hat sich in der Kinoszene<br />

einiges getan. Die gesellschaftlichen Vorzeichen und<br />

die technischen Möglichkeiten haben sich verändert, auch<br />

im Bereich der Computeranimation. In dieser JULI-<br />

Ausgabe wird mit verschiedenen Beiträgen ein Blick auf<br />

die hiesige unabhängige Kinoszene, das (Animations)-<br />

Filmschaffen und seine Hotspots geworfen.<br />

Ist die Tradition des gemeinsamen Filmeschauens in<br />

Kinosälen ein immaterielles Kulturgut, eine kulturelle<br />

Praktik, die es zu schützen gilt? Zu Aspekten des immateriellen<br />

Kulturerbes, dieses ominösen Begriffs, macht<br />

sich Wolfgang Bortlik anhand des Bildes des Fotografen<br />

Oliver Lang Gedanken. Lives the American Dream<br />

in a Cadillac! Wir wünschen, egal mit welchen Träumen,<br />

welchen Vehikeln und auf welchen Kontinenten real<br />

oder virtuell unterwegs, gute Reise.<br />

Madeleine Rey, Andrina Jörg<br />

VON MICHAEL LANG<br />

SEITE 47<br />

EXIL/LOG<br />

LUKA POPADIĆ AUS BELGRAD UND BADEN<br />

SEITE 48<br />

31


ZUM SEELEN-<br />

HAUSHALT DER<br />

AARGAUER<br />

ARTHOUSE-KINOS<br />

VON SASCHA LARA BLEULER<br />

Multiplex-Kinos schiessen aus dem Boden<br />

und es weht der kalte Wind finanziell<br />

aufwendiger technischer Erneuerungen.<br />

Wie verkraften die kleinen Aargauer<br />

Studiokinos diese gesellschaftlichen<br />

Veränderungen?<br />

Der Film droht zur Massenware zu verkommen und<br />

man befürchtet – einmal mehr – den Tod des unabhängigen<br />

Kinos. Was für Strategien entwickeln die Kinobetreiber<br />

im sogenannten Kulturkanton, um das<br />

Kino <strong>als</strong> Raum der Begegnung und der siebten Kunst<br />

weiterhin am Leben zu erhalten?<br />

Das Royal<br />

Ich treffe Marc Angst im Volkshaus in Zürich. Der ein s t ige<br />

Treffpunkt für alternative Kunst passt gut zu meinem<br />

Gesprächspartner. Angst ist Mitbegründer des «Kulturortes<br />

Royal», ehem<strong>als</strong> langjähriger Kinobetrieb der<br />

Familie Sterk, den Angst und seine Mitstreiter/innen<br />

2011 mit einer spontanen Unterschriftensammlung<br />

vor dem Abriss bewahrt haben. Das geschichtsträchtige<br />

Gebäude hat nun eine Schonfrist von drei Jahren<br />

erhalten. Für diese Zeit haben sich eine Gruppe von<br />

jungen Kulturinteressierten, denen das Royal <strong>als</strong><br />

Badener Kultur-Institution am Herzen lag, <strong>als</strong> Verein<br />

zusammengeschlossen. Sie arbeiten alle unent -<br />

geltlich und kuratieren dafür ungebunden an kommerzielle<br />

Erfolge. Nach einem grösseren Umbau wurde<br />

das Ex-Kino zu einem multifunktionalen Kulturort mit<br />

Barbetrieb umgestaltet: Die ehemaligen Kinosessel<br />

zieren nun die Künstlergarderobe und die stilvolle<br />

Lounge-Inneneinrichtung. Sie können bei Filmvorführungen<br />

gegen die Leinwand gedreht werden, eine<br />

treppenartige Tribüne bietet Platz für weitere fünfzig<br />

Zuschauer. Neben Performances, Lesungen, Tanz und<br />

Theater findet einmal im Monat ein Filmabend statt:<br />

Es werden trashige, experimentelle und vor allem<br />

unabhängige Filme (oftm<strong>als</strong> auch ohne Verleih) gezeigt.<br />

Eine Plattform für den widerspenstigen Indie-Film,<br />

kuratiert vom selbsternannten «King of Trash» Andi<br />

Hofmann. Das Nischenprodukt steht ausser Konkurrenz<br />

zu Sterks Studiokino, welches die grossen kommerziell<br />

erfolgreichen Arthouse-Filme zeigt. Technisch<br />

könne man, so Angst, mit dem kleinen HD-Beamer, der<br />

Filme meist ab DVDs auf die mittelgrosse Leinwand<br />

projiziert, den anderen Regionalkinos eh nicht das<br />

Wasser reichen.<br />

Im Royal wird der Filmabend durch inhaltliche<br />

wie formale Originalität sowie Diskussionen mit<br />

Künstlern aufgewertet. «Oftm<strong>als</strong> ergibt sich dieses<br />

Gespräch einfach nach dem Film an der Bar, weil<br />

nur fünf Nasen da sind», lacht Angst. Oder es steigt<br />

auch mal der Filmemacher nach der Vorführung<br />

für eine Zugabe mit der elektrischen Gitarre auf die<br />

Bühne. Und wie wird das Geld für die Raummiete<br />

und sonstige Fixkosten reingeholt? Dazu habe sich<br />

die «Leinwand Disco» <strong>als</strong> Publikumsrenner entpuppt:<br />

Zu kultiger Musik werden passende Visu<strong>als</strong> und<br />

montiertes Archivmaterial projiziert und dazu wird<br />

getanzt, dass Boden und Leinwand zittern. Ein<br />

weiteres Kuriosum ist die Video-Jukebox, wo man schon<br />

mit einem 5-Rappenstück einen Film auswählen<br />

kann, der bei mittlerer Lautstärke vom Barhocker aus<br />

gesichtet werden kann. Langfristig soll die Jukebox<br />

<strong>als</strong> Filmarchiv der gezeigten Filmperlen und Installationen<br />

dienen. Erfrischend auch Angsts Idee eines<br />

«Forum zum Weltgeschehen», das die unübersichtlichen<br />

Kanäle der Neuen Medien nutzen soll, um die aktuellen<br />

Ereignisse differenziert zu betrachten und zu diskutieren.<br />

Angelehnt an die Tradition der früheren Wochenschauen,<br />

die man sich im Kinosaal ansah – im Royal<br />

wird man dies vielleicht bald ganz weltmännisch rauchend<br />

vom Fumoir aus tun können.<br />

Das Orient<br />

Das benachbarte Kino in Wettingen, das dieses Jahr<br />

auch bereits seinen 90. Geburtstag feiert, definiert<br />

sich seit 2002 <strong>als</strong> Arthouse Kino. Der Name «Orient»,<br />

der nach Fernweh riecht, ist auch Programm. Hier<br />

locken Filme, die Zuschauer / innen oftm<strong>als</strong> auf eine<br />

Reise in ferne Länder einladen. Alleine im Monat Juni<br />

werden Filme aus allen Himmelsrichtungen gezeigt:<br />

32


Renovierter Royal-Saal mit alten Kinosesseln, Bühne und Leinwand für multimediale Vorhaben. (AH)<br />

Royal-Saal mit Bar (AH)<br />

33


Roaring Twenties: 20er-Jahre-Party im Royal (ME)<br />

Roaring Twenties: Absinth an der Bar (ME)<br />

34


Roaring Twenties: King Pepe und Show (ME)<br />

35


Italien, Israel, Saudi-Arabien, Jordanien, Kenia, Kuba,<br />

Philippinen, USA, Rumänien, Kashmir sind <strong>als</strong><br />

Produktionsländer aufgeführt. Kein Wunder, sitzt<br />

doch Walter Ruggle, der Leiter der Stiftung trigonfilm<br />

an der Quelle für Filme «aus dem Süden». Diese<br />

Doppelfunktion habe sich <strong>als</strong> Glücksfall gezeigt,<br />

bestätigt mir Ruggle am Telefon. Seine Programmarbeit<br />

im Kino und nahe am Publikum habe seine<br />

Sensibilität und Entscheidungsfähigkeit <strong>als</strong> Verleiher<br />

positiv beeinflusst. Es ist Ruggle ein dringliches<br />

Anliegen, nicht am Publikum und dem Verein von 1380<br />

treuen Mitgliedern vorbei zu programmieren. Dass<br />

Arthouse-Filme auch unterhalten und viele Menschen<br />

ins Kino bringen können, beweisen die Erfolgszahlen<br />

des letzten Rekordjahres im Orient. Keine Spur von<br />

Publikumsrückgang – mit einem stolzen Schnitt<br />

von 44 Zuschauern pro Vorstellung kann Ruggle wirklich<br />

nicht klagen. Dass es mit dem Arthouse Kino bergab<br />

gehe – ein überschätzter Mythos <strong>als</strong>o? «Nicht nur», räumt<br />

Ruggle ein, denn manchen kleineren Kinos in der<br />

Region wurden die teuren technischen Neuerungen<br />

zum Verhängnis. Der Verein des Orients hat aber<br />

rechtzeitig und wohlweislich in sein Kino investiert und<br />

bietet nun die technische Qualität, die moderne<br />

Zuschauer / innen von einem Kino erwarten. Projektion<br />

und Soundqualität müssen einwandfrei sein, eine<br />

grosse Leinwand und gutes Lichtdesign – alles Faktoren,<br />

die das Kino zu einem «heimeligen, attraktiven<br />

Begegnungsort» machen. Ruggle weiss, wovon er spricht<br />

und man hört ihm seine ungebrochene Leidenschaft<br />

für das Abenteuer Kino an. Er war <strong>als</strong> späteres Mitglied<br />

des bereits 1959 gegründeten «Filmkreis» der Region<br />

Baden viele Jahre in die Kinopolitik der Region involviert<br />

– eine eingeschworene Gruppe von Cinephilen, die<br />

sich zusammenschloss, um ästhetisch anspruchsvolle<br />

und politisch relevante Filme an die Kinozuschauer /<br />

innen zu bringen. Der Grundgedanke von thematischen<br />

Zyklen und Retrospektiven war dam<strong>als</strong> revolutionär.<br />

Er ist auch heute noch bewährtes Konzept im Orient.<br />

Den Filmkreis gibt es seit 2002 nicht mehr, dafür ein<br />

«Seniorenkino» für ältere Menschen aus der Region,<br />

die das Programm mit Klassikern mitgestalten oder<br />

auch die «Zauberlaterne», die Filme zeigt für die kleineren<br />

Gäste. Ruggle klingt ein bisschen wie ein Familienvater,<br />

der sich wahrlich um alle Altersgruppen der<br />

Grossfamilie Kinogänger kümmern will. Der Kinoabend<br />

soll ein besonderes Erlebnis bleiben. Ein Highlight<br />

war kürzlich ein Filmemacher, der nach der Vorführung<br />

mit seiner Hauptdarstellerin seinen Inszenierungsstil<br />

auf dem Set vorführte. Das Orient zeigt neben dem vorwiegend<br />

fiktionalen Programm auch immer wieder<br />

Dokumentarfilme, die sich sozialkritisch engagieren.<br />

Die Vorführung von «Taste the Waste» von Valentin<br />

Thurn, der sich mit der globalen Lebensmittelverschwendung<br />

und dem desolaten Zustand der Abfallentsorgung<br />

auseinandersetzt, wurde von einem Gespräch mit<br />

einem Ethiker begleitet. Die Zuschauer / innen schätzen<br />

solche Zugaben, das Kino wird so zum Ort kritischer<br />

Reflexion und geht über die passive Konsumhaltung<br />

hinaus. Und natürlich werden die Filme ausschliesslich<br />

in Originalversion mit deutschen Untertiteln gezeigt.<br />

Diese Qualitätssiegel unterscheide das Arthouse Kino<br />

von Muliplex-Anlagen, wo die Besucher ja nur noch<br />

«abgefertigt» werden. Von der medial herumgeisternden<br />

These der Untergangsstimmung des Programm-Kinos<br />

<strong>als</strong>o keine Spur «Im Gegenteil: Das Orient lebt, ist purlimunter,<br />

getragen von einem der grössten Vereine im<br />

Aargau und hat erst wieder einen zehnjährigen Mietvertrag<br />

unterzeichnet», schliesst Ruggle und seine Zuversicht<br />

ist glaubwürdig.<br />

Das Odeon<br />

In diesem Sinne präsentiert sich auch das schmucke<br />

Odeon in Brugg <strong>als</strong> «Kulturhaus am Bahnhof» Mit 190<br />

Plätzen das grösste Studiokino im Aargau und ein<br />

Kinotheater im ursprünglichen Sinn unter der Leitung<br />

von Stephan Filati. Im Odeon sind die Zuschauerzahlen<br />

in den letzten Jahren stetig gestiegen und auch die technischen<br />

Neuerungen hin zur Digitalisierung hat man<br />

seit Herbst 2011 hinter sich. Filati sieht dies positiv:<br />

«Die Digitalisierung hat uns bezüglich des aktuellen<br />

Programms neue Freiheiten und Möglichkeiten gegeben.<br />

Das heisst, man ist flexibler in der Programmstruktur,<br />

kommt schneller an neue Filme und kann einen Film<br />

länger im Programm behalten. Dies war früher durch<br />

die beschränkte Anzahl 35-mm-Kopien viel schwieriger.»<br />

Auch das Odeon funktioniert <strong>als</strong> Begegnungsort und<br />

<strong>als</strong> Schnittstelle zwischen den Kunstformen, wo das<br />

Filmerlebnis durch eine Lesung, Live-Vertonung<br />

oder Diskussion mit Fachpersonen ergänzt wird. Die<br />

Odeon-«Filmnacht» zeigt beispielsweise mehrere<br />

Filme zu einem Thema und serviert dazu die passende<br />

Kulinarik.<br />

Der Freie Film<br />

Und wie geht es dem einzigen Studiokino in der Kantonshauptstadt?<br />

Die Internetseite des Freien Films in<br />

Aarau ist schlicht gehalten. Rot, schwarz und<br />

weiss, die Flaggenfarben der Stadt Aarau, dessen Kulturdepartement<br />

auch einen kleinen Beitrag sponsert,<br />

herrschen vor. Neben Infos zu Struktur und Programm<br />

erfährt man in knappen Sätzen die Geschichte des<br />

Kinos, das seit 1994 seinen festen Standort in der ehemaligen<br />

Sauerländer-Druckerei hat. Jemanden zu<br />

einer Stellungnahme zum derzeitigen Gemütszustand<br />

des Freien Films zu bemühen, gestaltet sich <strong>als</strong><br />

schwieriges Unterfangen: Mails wie Anrufe bleiben<br />

unbeantwortet. Dies ist zu einem gewissen Grade<br />

verständlich, ist ja auch diese Institution aus einem<br />

«Filmclub» hervorgegangen und wird noch heute<br />

von freiwilligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />

betrieben, welche die Filmauswahl während ihrer<br />

begrenzten Freizeit zusammenstellen. Für PR-Arbeit<br />

bleibt da anscheinend wenig Zeit. Programmschwerpunkte<br />

sind auch hier das europäische Autorenkino,<br />

unabhängige Produktionen aus den USA und der<br />

Schweizer Film. Es läuft gerade «Rosie» von Marcel<br />

Gisler, der nach vierzehn Jahren Kampf mit den<br />

36


Förderungsstellen endlich wieder einen Film auf die<br />

Leinwand bringen durfte. Das «One Minute Festival»,<br />

das jährlich während des Sommerlochs im August im<br />

Freien Film gastiert, bietet Raum für Nachwuchs-Regisseure,<br />

die in ihren kurzen Werken ihr Talent unter<br />

Beweis stellen können. Mit solchen Spezialanlässen<br />

grenzt sich auch der Freie Film von der Konkurrenz ab<br />

und bietet den Aarauer Cinephilen neben einem schön<br />

gestalteten Kinosaal mit integrierter Bar ebenfalls seit<br />

Kurzem eine technisch aufgewertete Projektion. Denn<br />

dies muss das unabhängige Kino von heute unbedingt<br />

bieten: Die Schaulust soll aus dem einsamen, abgedunkelten<br />

Erfahrungsraum enthoben und wieder zum<br />

sozialen Erlebnis mit Mehrwert werden. Nur so kann<br />

der Kinoabend befriedigen, was dem Home-Cinema und<br />

den vereinsamten Download-Junkies verloren geht.<br />

Fazit<br />

Den kleinen Programmkinos im Aargau geht es überraschend<br />

gut, sie strotzen nur so vor Leinwandskraft<br />

und werden keinesfalls ihre lang gehegte Tradition<br />

kampflos aufgeben. Sie haben die finanziellen Hürden<br />

der technischen Neuerungen und Digitalisierung<br />

überstanden, haben ihre Säle um- oder ausgebaut und<br />

mit Surround-Lautsprechern ausgestattet, um den<br />

Ansprüchen des Publikums gerecht zu werden. Oder<br />

die Betreiber/innen haben, wie im Royal in Baden, die<br />

Sessel abgeschraubt und das Kino <strong>als</strong> einen multikulturellen<br />

Begegnugsort auf ungewisse Lebenszeit neu<br />

definiert. Es bleibt zu hoffen, dass der Herzschlag dieser<br />

cinephilen Orte manche Operationen überstehen und<br />

noch lange weiter pochen wird.<br />

Royal: Rechts im Hintergrund Jukebox mit 200 Filmen,<br />

die mit analoger Telefondrehscheibe gewählt werden können. (AH)<br />

37<br />

Sascha Lara Bleuler ist Anglistin, Schauspielerin und Filmwissenschafterin.<br />

Sie arbeitet <strong>als</strong> freie Journalistin und<br />

Kuratorin für diverse Filmfestiv<strong>als</strong> (Visions du Reel, Semaine<br />

de la critique Locarno) und lebt in Zürich und Tel Aviv.<br />

Fotos: Andi Hofmann (AH), Marianne Engel (ME)


FEDERLESEN<br />

ANNETTE<br />

SCHINDLER<br />

UND DUSTIN<br />

REES ÜBER<br />

ANIMATIONS-<br />

FILME<br />

NACHGEFRAGT UND AUFGEZEICHNET<br />

VON EVELYNE BAUMBERGER<br />

Dustin, wann hat’s bei dir<br />

«Klick» gemacht und du wusstest:<br />

«Animationsfilm – das ist es!»?<br />

DUSTIN REES Ich machte den Gestalterischen<br />

Vorkurs in Zürich und<br />

dachte, danach würde ich Film studieren.<br />

Bei näherem Hinsehen war<br />

mir das dann aber doch zu «artsyfartsy».<br />

Nach einem Infotag im Studienbereich<br />

Animation an der Hochschule<br />

Luzern bewarb ich mich sofort.<br />

2007 schloss ich das Studium ab.<br />

Gibt es in deiner Arbeit<br />

Meilensteine?<br />

DUSTIN REES Jeder Film ist ein<br />

Meilenstein. Ich mache nicht so viele<br />

Filme, wie ich gerne möchte, weil es<br />

sehr lange dauert, eine Idee zu finden.<br />

Das ist ein langwieriger Prozess,<br />

denn beim Animationsfilm sollte<br />

man nicht einfach drauflos arbeiten.<br />

Wie merkst du, dass eine Idee<br />

gut ist?<br />

DUSTIN REES Ich bin ein TV-Junkie.<br />

Dadurch sehe ich Dinge, an die<br />

ich anknüpfen möchte, habe eine Art<br />

«Bibliothek» im Kopf, wie ich Filme<br />

machen oder auch nicht machen will.<br />

Wann hast du den Animationsfilm<br />

für dich entdeckt, Annette?<br />

ANNETTE SCHINDLER Ich bin über<br />

Fantoche zum Animationsfilm gekommen.<br />

Ich habe das Festival oft besucht,<br />

auch zusammen mit meinem<br />

kleinen Sohn. Dann durfte ich einmal<br />

in der Schweizer Selektionsgruppe<br />

mitarbeiten und habe dort erlebt,<br />

dass das, was schlussendlich gezeigt<br />

wird, nur die Spitze des Eisbergs ist<br />

und dass noch viel, viel mehr produziert<br />

wird. Das Spektrum ist unglaublich<br />

breit. Deswegen habe ich mich<br />

<strong>als</strong> künstlerische Leiterin des Fantoche<br />

beworben, <strong>als</strong> die Stelle ausgeschrieben<br />

wurde.<br />

Hast du einen Lieblingsfilm?<br />

ANNETTE SCHINDLER Mich begeistern<br />

immer wieder neue Filme. Aber<br />

es gibt natürlich Messlatten, die mir<br />

<strong>als</strong> Referenz dienen. Bei uns am Festival<br />

hat der Autorenfilm die zentrale<br />

Rolle inne, doch es gibt auch andere<br />

Anwendungsmöglichkeiten des Animationsfilms,<br />

die wir dieses Jahr am<br />

Fantoche zeigen können. Da ist zum<br />

Beispiel «Ted Ed». «Ted Talk» sind<br />

Vorträge, die im Internet eine riesige<br />

Verbreitung haben. Brillante Zeitgenossen<br />

bringen komplexe wissenschaftliche,<br />

soziale und politische<br />

Sachverhalte allgemein verständlich<br />

rüber. Aus einigen dieser Vorträge<br />

wurden inzwischen animierte Lernfilme<br />

gemacht: «Ted Ed». Animation<br />

kann mit der Vielfalt an visuellen<br />

Sprachen Sachverhalte visuell darstellen,<br />

die mit Worten fast nicht zu beschreiben<br />

sind. Warum gibt es Jahreszeiten,<br />

wie verhalten sich z.B. Moleküle<br />

oder Atome, was läuft im Innern<br />

unseres Körpers bei einer Erkältung<br />

ab? «Ted Ed» ist eine Entdeckung,<br />

die mir Freude macht. Ein anderer<br />

Schwerpunkt ist die neue Zusammenarbeit<br />

mit UNICEF, die in Krisengebieten<br />

Workshops anbietet, in denen<br />

Kinder ihre Wahrnehmung der eigenen<br />

Situation mit Animationsfilmen<br />

ausdrücken können. Auch das finde<br />

ich eine hochinteressante Anwendung<br />

von Animation und eine Bereicherung<br />

unserer sozialen Welt.<br />

Dustin, du gibst immer wieder<br />

Workshops, auch für Kinder.<br />

Welche Erfahrungen machst<br />

du damit?<br />

38<br />

DUSTIN REES Ich gebe an der Hochschule<br />

Luzern Kurse, aber auch in<br />

privaten Klassen, meistens für Kinder.<br />

Diese erfinden zuerst oft Geschichten<br />

wie: «Es kommt ein Gangster,<br />

der hat eine Knarre und schiesst<br />

den anderen tot.» Dann sage ich:<br />

«Das kann man auch filmen. Denk<br />

doch einen Schritt weiter – die Munition<br />

kann zum Beispiel zurückfliegen.<br />

Oder es kommt gar keine Kugel<br />

aus der Waffe, sondern ein Elefant».<br />

Dann blühen die Kinder auf – genau<br />

deswegen gebe ich diese Kurse.<br />

Erziehst du mit deinen Workshops<br />

zukünftige Künstler oder ein<br />

wohlwollendes Publikum?<br />

DUSTIN REES In erster Linie ein<br />

Publikum mit Goodwill. Das andere<br />

ist schwierig zu sagen, da ich mich<br />

selber nicht gerne <strong>als</strong> Künstler bezeichne.<br />

Ich finde diesen Begriff<br />

schrecklich.<br />

Warum?<br />

DUSTIN REES Weil er mit hippen<br />

H<strong>als</strong>tüchern assoziiert wird und damit,<br />

dass man die Hosen hochkrempelt,<br />

wenn man Velo fährt. Dieses<br />

Image hasse ich. Für mich geht es<br />

eher um eine Lebenskunst; darum,<br />

dass man Dinge anders wahrnimmt.<br />

Deswegen bin ich liebend gerne Operateur<br />

im Kino Orient in Wettingen:<br />

Operateure sind Menschen, die im<br />

Hintergrund für etwas verantwortlich<br />

sind, die man aber selten wahrnimmt.<br />

Ich mag es, auch in meinen<br />

Filmen auf solche Menschen und Situationen<br />

aufmerksam zu machen<br />

und damit auch die Perspektive auf<br />

das, was rundherum passiert, zu<br />

verändern.<br />

ANNETTE SCHINDLER Dustin ist<br />

Jahr für Jahr bei Fantoche involviert,<br />

macht Sponsorentrailer und ist auch<br />

bei uns <strong>als</strong> Operateur tätig. Seine Beschreibung<br />

dieser Rolle gefällt mir<br />

sehr, sie gleicht auch der Art und<br />

Weise, wie ich meine Rolle verstehe<br />

– <strong>als</strong> Operateur, der im Hintergrund<br />

die Fäden verbindet und Connections<br />

herstellt. Dieses Jahr wird Dustin einen<br />

der Kinderworkshops leiten, einen<br />

Walk-in-Workshop, für den man<br />

sich nicht anmelden muss.


FEDERLESEN<br />

DUSTIN REES Wir werden dort mit<br />

einfachen visuellen Werkzeugen arbeiten,<br />

wie etwa den verschiedenen<br />

«Tropes» und «Scopes», zum Beispiel<br />

Praxinoscope, Zoetrope, Traumatrope,<br />

drehende Räder, Zylinder und<br />

Spielzeuge mit Bildern aus der Anfangszeit<br />

der Animation. Es geht um<br />

kurze Ideen und Loops.<br />

Annette, bist du <strong>als</strong> Festivalleiterin<br />

in den Produktionsprozess<br />

involviert oder beginnt dein Job<br />

erst, wenn ein Film fertig ist?<br />

ANNETTE SCHINDLER Ein Stück<br />

weit gehört der Einblick in die Produktion<br />

dazu. Wir wollen möglichst<br />

neue Arbeiten zeigen, sind <strong>als</strong>o vor<br />

dem Festival ständig am Abklären, ob<br />

ein Film schon ganz fertig ist. Ich<br />

muss auch abwägen, ab welchem Stadium<br />

ich einen Film zeigen will, ob<br />

ich mit der «Beta-Version» zufrieden<br />

bin oder noch warten möchte. Dann<br />

ist der Film aber vielleicht keine Premiere<br />

mehr. Wir haben auch «Coming<br />

Soon»-Veranstaltungen, wo wir<br />

unserem Publikum einen frühen Einblick<br />

in die Produktion eines Filmes<br />

ermöglichen. Dort werden wir mit<br />

denselben Problemen konfrontiert,<br />

denen ein Film während der Produktion<br />

begegnet.<br />

Du machst nur Kurzfilme,<br />

Dustin. Ist der Langfilm für<br />

dich kein Thema?<br />

DUSTIN REES Meine Filme funktionieren<br />

oft mit einer einzigen Idee.<br />

Ich bin nicht gut darin, Emotionen<br />

hineinzulegen. Das ist wie bei einem<br />

Komiker: Der Witz kann auch nicht<br />

ewig dauern.<br />

Ist der Langfilm die<br />

Königsdisziplin?<br />

ANNETTE SCHINDLER In unserem<br />

Frankreich-Programm werden wir einen<br />

Kurzfilmblock haben, der mit<br />

«Early Promises» beschrieben wird.<br />

Im Kurzfilm beweist ein Filmemacher,<br />

ob er das Medium beherrscht<br />

und eine Geschichte erzählen kann.<br />

Ob sich daraus ein Langfilmemacher<br />

entwickeln kann, ist eine zweite<br />

Frage. Bei den Filmen im Block<br />

«Early Promises» ist dies der Fall,<br />

diese Autoren haben alle später Langfilme<br />

gemacht. Aber wie Dustin sagt,<br />

es sind zwei verschiedene Fähigkeiten:<br />

Etwas zu verdichten, ganz<br />

schnell auf den Punkt zu bringen, im<br />

ersten Satz schon die Aufmerksamkeit<br />

des Publikums zu packen und innert<br />

kurzer Zeit einen Höhepunkt zu<br />

erreichen, ist eine besondere Gabe.<br />

DUSTIN REES Je grösser der Film,<br />

desto mehr Leute braucht es auch.<br />

Ich bin ein Fan von Superhelden. Helden<br />

wie Da Vinci, der alles konnte,<br />

ganz viele unterschiedliche Medien<br />

kombinierte. Heute haben wir nur<br />

noch Spezialisten. Auch bei Kurzfilmen<br />

von sieben Minuten ist ein Team<br />

involviert – und ich mag es, wenn dieses<br />

überschaubar ist und ich die<br />

Leute gut kenne.<br />

Du zeigst deine Filme an internationalen<br />

Festiv<strong>als</strong>. Was<br />

bedeutet Baden noch für dich?<br />

DUSTIN REES Hier trifft sich die<br />

Schweizer Szene. Ich arbeite wie gesagt<br />

meistens auch hier, im Kino oder<br />

im Vorfeld für Sponsorentrailer, kenne<br />

viele Leute. Fantoche ist jedes Jahr für<br />

eine Zeitlang mein Zuhause (lacht).<br />

Umgekehrt habt ihr beim<br />

Fantoche die Welt zu Hause.<br />

Was bedeuten für dich die<br />

einheimischen Filmemacher,<br />

Annette?<br />

ANNETTE SCHINDLER Sie sind der<br />

Boden, auf den wir bauen. Ohne die<br />

hiesigen Filmemacher, die Stadt und<br />

die Verbindungen zur lokalen Szene<br />

funktioniert Fantoche nicht. Wir sind<br />

extrem auf diese Zusammenarbeit<br />

angewiesen, sei es für die Selektion,<br />

für Illustrationen, Animationen von<br />

Sponsorentrailern. Aber auch, um ein<br />

guter Gastgeber zu sein, brauchen<br />

wir Leute vor Ort, die diese Rolle mit<br />

uns teilen. Das kommt an, wie ich<br />

zum Beispiel durch die Reaktionen<br />

der Jurymitglieder merke. Wir sind<br />

nicht alleine auf der Welt – Annecy ist<br />

viel grösser und wichtiger, andere<br />

sind kleiner. Aber es ist Fantoche gelungen,<br />

sich so zu positionieren, dass<br />

es <strong>als</strong> besonderes Festival wahrgenommen<br />

wird, mit Charme und<br />

Ausstrahlung.<br />

3. – 8. September 2013<br />

Fantoche, Baden<br />

Infos und Programm: www.fantoche.ch<br />

Annette Schindler ist seit Anfang 2012<br />

Festivalleiterin von Fantoche. Zuvor<br />

leitete sie u.a. das Kunsthaus Glarus,<br />

das Swiss Institute in New York, das<br />

plug.in-Forum für Medienkunst und<br />

Shift, das Festival für elektronische<br />

Künste in Basel.<br />

Dustin Rees ist Animationsfilmer. Er<br />

hat an der Hochschule Luzern studiert,<br />

wo er jetzt unterrichtet. Er ist in Grossbritannien<br />

geboren und lebt in Zürich.<br />

www.createdindust.ch<br />

Evelyne Baumberger ist Kulturjournalistin.<br />

Sie hat Theorie der Gestaltung<br />

und Kunst an der ZHdK und Kulturmanagement<br />

an der HSLU studiert.<br />

39


BILDSCHIRM<br />

MY BABY<br />

DROVE UP IN<br />

A BRAND NEW<br />

CADILLAC*<br />

VON WOLFGANG BORTLIK<br />

Immaterielles Kulturerbe bezeichnet lebendige, über Generationen<br />

weitergegebene Traditionen und Praktiken, die einer<br />

Gemeinschaft ein Gefühl der Identität und der Kontinuität<br />

vermitteln. So sagt es das Bundesamt für Kultur. Und<br />

die werden das ja wohl wissen.<br />

Zwar klingt der Begriff Immaterielles Kulturerbe ziemlich<br />

genau so, <strong>als</strong> ob er gerade von einem Braintrust an der<br />

Kulturmanagerhochschule oder in einer Sesselgruft der Kulturbürokratie<br />

erfunden worden wäre, weil die Wörter Bräuche,<br />

Brauchtum oder sogar lebendige Traditionen den Herrschern<br />

des kulturellen Diskurses zu volkstümelnd, ja zu fest<br />

Blut und Boden sind. Da schwingt die stete Hoffnung der<br />

Kulturverwalter mit, dass man abgelutschte Inhalte durch<br />

einen Neologismus aufpeppen kann.<br />

Aber was kümmert das die drei Teenager auf dem Foto?<br />

Immaterielles Kulturerbe, aber hallo! Und schon gar nicht<br />

wollen sie so etwas wie Brauchtum. Die drei denken nämlich,<br />

dass sie genau nicht mitmachen wollen bei diesen alten,<br />

ranzligen Bräuchen – verkennend, dass sie selbst gerade an<br />

einem teilnehmen.<br />

Ein Brauch entsteht ja wundersamerweise dann, wenn<br />

die von ihm abgebildete oder symbolisierte Tätigkeit für den<br />

Fortschritt der Gesellschaft nicht mehr gebraucht wird. Das<br />

ist oftm<strong>als</strong> das Fatale, diese Vergangenheit, diese Verklärung<br />

und daher auch die ideologische Befrachtung der Bräuche.<br />

So wird das zu totem Material, zu Folklore, zum Spektakel<br />

der Tourismusindustrie.<br />

Aber wie gesagt, die drei Teenager auf dem Foto, die<br />

kümmert so etwas nicht. Die drei sind nämlich cool. Die drei<br />

wollen sich zeigen und vor einem richtigen Strassenkreuzer<br />

posieren und vielleicht ein bisschen am amerikanischen<br />

Traum schnuppern. Derselbige ist, wie gesagt, schon seit<br />

Längerem zu einem Brauch geworden, er wurde zu oft missbraucht<br />

und ist mittlerweile ein bisschen vergammelt. Aber<br />

okay, er ist immer noch sexy im Vergleich zu anderen Bräuchen,<br />

etwa maskiert im Dorf herumzustolpern, Eier aufzulesen<br />

oder um irgendwelche Feuer herumzustehen.<br />

Die drei Teenager posieren beim American Dream in<br />

Oensingen, einer Schau mit nostalgischen US-amerikanischen<br />

Fortbewegungsmitteln. Oensingen liegt sozusagen<br />

im Wilden Westen des Mittellandes. Hier rauscht der Highway<br />

und ein paar Kilometer weiter vorne sieht es in Egerkingen<br />

von der Landschaftsverbauung her auch richtig<br />

amerikanisch aus.<br />

Sie haben es gut und lustig zusammen, die drei Teenager,<br />

auch wenn das bunte Trio äusserst ambivalent und<br />

nicht ganz stilecht gekleidet ist für seinen Traum. Vor allem<br />

die seltsamen roten Ohrenstecker des Jungen irritieren<br />

merklich. Aber auch die Mode gehört der Jugend.<br />

Man weiss nicht, ob diese Teenager überhaupt schon<br />

den Führerschein haben und den weissen Strassenkreuzer<br />

hinter ihnen über den Highway schaukeln dürften.<br />

Autos bedeuten für die Halbwüchsigen Freiheit, Stil,<br />

Sex, Macht, Bewegung, Farbe, sagte Tom Wolfe in den<br />

1960er-Jahren in seinem Essay «Das bonbonfarbene tangerinrot-gespritzte<br />

Stromlinienbaby», in dem es um «Teenager-Basare»<br />

und massgeschneiderte Autos geht.<br />

Das ist ja etwas, dessen man sich heute gar nicht mehr<br />

bewusst ist, zumindest nicht in bildungsnahen Schichten:<br />

Das Automobil ist ein Versprechen der Freiheit. Ich hab<br />

das <strong>als</strong> junger Mensch noch erlebt, ich war mit einer sozial<br />

eher heterogenen Clique zusammen und wir wohnten alle<br />

noch zuhause oder in erbärmlichen Zimmern in Lehrlingsheimen.<br />

Da war das Auto so eine Art externer Room of<br />

one’s own. Ein Raum, der allen Autoritäten entzogen war,<br />

ein zweites Zimmer für sich, das neben Freiheit auch Sex<br />

versprach. Es ging nicht nur um Tempo und Fluchtbewegung<br />

und je attraktiver die Karre war, umso besser.<br />

Am Eindringen des amerikanischen Traums oder der<br />

amerikanischen Kultur in unsere hehren Gefilde des immateriellen<br />

Kulturerbes sind schliesslich die Teenager<br />

schuld. Das, was nach dem Zweiten Weltkrieg aus dieser<br />

neuen, aufregenden Geschichte geworden ist, nennt man<br />

heute Popkultur. Die Vermarktung des Ganzen, die Entdeckung<br />

des Adoleszenten <strong>als</strong> Konsumenten, hat dann selbstverständlich<br />

auch nicht lange auf sich warten lassen. Aber<br />

nach wie vor geht ein Gespenst um in Europa, der rebellische<br />

Teenager.<br />

Wenn wir schon bei der Popkultur sind, dann doch auch<br />

der Hinweis auf wunderbare Popsongs über das Auto: den<br />

Mercury Blues von David Lindley, Brand New Cadillac von<br />

Vince Taylor, auch von The Clash gecovert, Jaguar and<br />

Thunderbird von Chuck Berry und viele andere mehr. Jede<br />

mythische Automarke ist da verewigt, sozusagen <strong>als</strong> materielles<br />

Kulturerbe.<br />

Sei’s drum, den drei Teenagern wünsche ich weiterhin<br />

ihre Träume.<br />

(* Vince Taylor)<br />

Seite 40 / 41: Oliver Lang, American Dream Oensingen, 2012.<br />

31. August – 6. Oktober 2013<br />

Freitag, 30. August 18.30, Vernissage<br />

Forum Schlossplatz, Aarau<br />

Heisse Öfen & Rüeblitorte<br />

Eine Ausstellung zum Immateriellen Kulturerbe in den Kantonen<br />

Aargau und Solothurn, mit Fotografien von Oliver Lang und<br />

Philipp Künzli und einer Interviewarbeit von Pino Dietiker, die<br />

vier ausgewählte Traditionen zur Sprache bringt.<br />

Wolfgang Bortlik lebt in Riehen bei Basel und schreibt<br />

unter anderem Romane und Sportgedichte. Manchmal staubt<br />

er seine Bücher und Schallplatten ab.<br />

42


KLEINER BILDSCHIRM<br />

UNSINNWELTEN<br />

Alte, ausgetragene Schuhe, Turnschuhe,<br />

Hausschuhe. Sie stehen im<br />

Flur. Sprachlos und sehr hungrig. Bis<br />

einmal nachts vier Fischchen, die<br />

nicht schlafen konnten, aus einem<br />

Aquarium in der Nachbarwohnung<br />

entwichen und durch das Treppenhaus<br />

schwebten und die traurigen<br />

Stimmen und das Weinen der<br />

Schuhe hörten ...<br />

Was wie ein Märchen klingt,<br />

bringt Andrey Fedorchenko detailreich<br />

und akribisch getuscht und in<br />

vielen Schraffuren, Linien, Punkten<br />

schwarz aufs Papier. Es scheint, <strong>als</strong><br />

ob der Zeichner die Welt vergessen<br />

möchte und wie das spielende Kind<br />

darauf besteht, dass die Wirklichkeit,<br />

die für ihn existiert, die seines<br />

Spiels ist. Vor allem ist es die Behauptung<br />

einer eigenen Realität, die<br />

nach wunderlichen Gesetzen funktioniert<br />

und nicht den geringsten<br />

Wert darauf legt, zu gefallen oder<br />

nach aussen allzu verständlich zu<br />

sein. Das ist wahrscheinlich Unsinn,<br />

und in diesem Unsinn entsteht ein<br />

Gefühl von Glück und ein Moment<br />

von Freiheit.<br />

43<br />

Andrey Fedorchenko,<br />

«Die Zeit des Fütterns der Fische»,<br />

2011, 50 × 70 cm, Tusche, Papier.<br />

23. August – 15. September 2013<br />

Galerie Neva, Aarau, Pelzgasse 4,<br />

Aarau: Andrey Fedorchenko.<br />

Die wütenden Puzzles.<br />

www.galerie-neva.ch<br />

Freitag, 23. August 2013, 19 Uhr<br />

Vernissage<br />

Sonntag, 1. September 2013, 16 Uhr<br />

Lesung mit Janos Moser in der<br />

Ausstellung


HIMMEL & HÖLLE<br />

MÜLLER AUF<br />

ABWEGEN<br />

VON RAPHAEL ZEHNDER<br />

Der Müller ist nicht immer im Dienst, zur Zeit eigentlich<br />

gar nicht. Er ist krankgeschrieben. Aber der Müller ist der<br />

Müller und sieht Sachen, die andere Menschen nicht sehen.<br />

Einen Blick hat er, geschärft von 19 Jahren Polizei<br />

Zürich, den kann er nicht einfach schleifen lassen. Die<br />

Tatbestände springen ihn geradezu an. Ist nicht immer<br />

einfach.<br />

Sie kennen den Müller nicht? Ich erkläre ihn kurz:<br />

Müller Benedikt (45) ist wie fast alle Zürcher ursprünglich<br />

Aargauer. Beruf: Polizei Zürich. Und vor einigen Wochen<br />

hat er im Dienst einen erschossen, im Mai, und das geht<br />

nicht. Zwar juristisch voll entlastet, an der Müllerstrasse<br />

war’s. All das Blut und die seltsam verdrehten Glieder, der<br />

Tote war einfach weggerannt. Also, er lebte noch, bevor<br />

der Müller und die Dienstwaffe. Und der Druckpunkt und<br />

«halt!» und BLAMM, der Schuss war draussen und<br />

drinnen.<br />

Seither schläft der Müller miserabel, weil ethisch eingestellt,<br />

er wollte das nicht, will das nicht, auf Menschen<br />

schiessen, und deswegen einmal die Woche zu Herrn Borowski<br />

am Rigiplatz. Psychotherapie. Denkst du: ist für<br />

Bekloppte? Stimmt nicht: ist für Menschen in Not.<br />

Und der Müller, was soll er tun, wo krankgeschrieben?<br />

Zuhause lesen, okay. Macht er. Bücher, ja. Auf dem Balkon<br />

rauchen, okay, macht er. Ein «Müllerbräu», okay, auch.<br />

Aber 19 Jahre Polizei heisst: Die Polizei ist ihm ein genetischer<br />

Bestandteil, tief unter der Haut, neuronalchemisch.<br />

Er muss ermitteln, geht nicht anders, kann sonst<br />

nicht sein.<br />

Weil krankgeschrieben, er arbeitet halb inoffiziell. Der<br />

Chef will ihn reintegrieren, die Kollegen auch. Sonst versinkst<br />

du in Depression und Alkohol, wenn du nichts zu<br />

tun hast. Arbeitsplatz ist auch Sozialleben. Wollen ihm<br />

helfen. Er tut dies und das, ermittelt, vor allem Leib und<br />

Leben.<br />

Und der Müller jetzt unterwegs, Tram 14, von der<br />

Schmiede Wiedikon in Richtung Grosses Polizeihaus. Und<br />

liest die «Zeitung», in der nur der Quatsch und das Nichts<br />

stehen. Und plötzlich «Besame Mucho» im Tram, Massakerversion,<br />

da küsst niemand mehr viel. Verstimmte Gitarre,<br />

Stimme, die mit den Halbtönen Krieg führt. Ein Musiker<br />

im 14er, gleich über ihm das entsprechende Verbotspiktogramm.<br />

Natürlich könnte er jetzt einschreiten. Aber<br />

was soll er den armen Teufel schikanieren. Und hinterher<br />

der Papierkram, steht in keinem Verhältnis. Die Musik erträgt<br />

er aber nicht, deshalb steigt der Müller am Stauffacher<br />

aus. Letzte Meter zu Fuss, obwohl fatale Müllerstrasse<br />

so nah. So macht man das auch bei Flugangst und<br />

Panik vor Hunden: Dem Problem nicht aus dem Weg<br />

gehen, sondern es sachte umkreisen, um es zu tilgen. Philosophisch<br />

gesagt: «Überwindest nicht du das Hindernis,<br />

es pflügt dich unter» (Diodoros).<br />

Aber was sieht er in der Rotwandstrasse? Auto + Mann +<br />

Schraubenzieher = Autoknacker. Der Müller hin, sagt: «Polizei.»<br />

Das reicht. Der Knacker wendet sich zum Müller<br />

um. Es ist Marcel S. (29). Mager, bleich, strähnig das Haar,<br />

aufgeschwollen die Hände, das Gebiss mit ohne Vollständigkeit.<br />

Jetzt in flagranti klar: Art. 139 StGB (Diebstahl),<br />

zumindest Versuch. Kennt der Müller auswendig.<br />

«Oh nein, der Müller!», sagt Marcel S.<br />

Der Müller: «Ach, Marcel S.!»<br />

Kennen sich gut, weil viele Begegnungen und Festnahmen.<br />

Ein Kerbholz mit viel Kleinkram, Drogen, Besitz,<br />

Konsum & Kleinhandel, Diebstähle, Erschleichung von<br />

Dienstleistungen, solche Sachen. Da kommt einer, wenn<br />

drin, nicht mehr raus.<br />

Der Müller: «Was machst du für Sachen, am heiterhellen<br />

Tag, mitten in der Stadt.»<br />

Und Marcel, den Schraubenzieher eingesteckt und die<br />

Arme vorgestreckt. Doch der Müller keine Handschellen<br />

dabei. Schaut Marcel eine Sekunde zu lang an, sieht die<br />

Augen, wo sind «Fenster der Seele» (Augustinus). Und der<br />

Müller hat ein Gefühl in sich. Marcel S. war sicher auch<br />

einmal ein niedliches kleines Baby. Eine Mama und ein<br />

Papa haben ihn geliebt. Oder hatte er nicht? Haben sie<br />

nicht? Wie ist aus dem Baby dieses, nun ja, ausgeglühte<br />

Wesen geworden?<br />

Das Gefühl macht dem Müller manchmal zu schaffen.<br />

Vor allem im Dienst, weil Eid und Reglement und Pflichtenheft<br />

sowie Gesetze. Aber jetzt ja nicht recht im Dienst.<br />

Und der Müller schaut auf das Auto: Uralt-Renault,<br />

schon kaputt. Schaut hinein: «Was wolltest du da rausholen?<br />

Ist ja nicht einmal ein Radio drin.» Und sieht: Arme<br />

von Marcel immer noch vorgestreckt. «Nimm die Arme<br />

runter, ich nehme dich nicht fest», sagt der Müller und<br />

greift in die Hosentasche: «Da, geh etwas essen.» Und<br />

keine Moralpredigt oder so, weil wenn das Leben und<br />

seine Kämpfe einen ruinieren, braucht er keine Be sserwisserworte.<br />

Und Marcel «danke, Müller» und davon, und der Müller<br />

noch mehr Gedanken, sinngemäss: ach, Zürich, ach,<br />

Elend. Du denkst, ihm sprengt’s das Herz. Weil 19 Jahre<br />

Polizei, da siehst du viel, was du nicht in Grossaufnahme<br />

sehen willst. Aber ist Realität. Kann er nicht wie das Brauereiross<br />

Scheuklappen anziehen.<br />

Und jetzt der Müller ins Grosse Polizeihaus. Einrücken.<br />

Briefing. Leib-und-Leben-Delikte. Art. 111–114 und<br />

116 StGB. Da kennt er kein Pardon.<br />

Naomi Bühlmann ist freischaffende visuelle Gestalterin aus<br />

Aarau. In ihrem Studium an der HSLU (Luzern) und am<br />

Shenkar College in Tel Aviv spezialisierte sie sich auf Illustration<br />

und Malerei.<br />

Raphael Zehnder, geboren 1963, aufgewachsen in Birmenstorf,<br />

dann in die Stadt. Romanist, Redaktor bei SRF 2 Kultur.<br />

Sein zweiter Krimi «Müller und die Schweinerei» ist Ende<br />

Mai bei Emons in Köln erschienen.<br />

44


EXIL/LOG<br />

45


KLEIN & FEIN<br />

ONE<br />

MINUTE<br />

FESTIVAL<br />

VON CORDELIA OPPLIGER<br />

«Casablanca»,<br />

«Ben Hur» oder «Der<br />

Pate» neu ver filmen?<br />

In einer Minute?<br />

Der Instant- Video-<br />

Wettbewerb bietet<br />

die Gelegenheit.<br />

Infos unter<br />

www.oneminute.ch<br />

Anmeldeschluss:<br />

16.8.2013<br />

Eine Ameise zerrt einen Brotkrümel über den Tisch,<br />

stöhnt unter dem grossen Gewicht, schnauft. Von hinten<br />

nähert sich eine Hundeschnauze. Zack, das Brot ist<br />

weg. Die Ameise auch. Abspann, Ende. «Frau A. Meise»,<br />

ein Drama in 60 Sekunden.<br />

Nicht alle 350 Filme, die für das diesjährige One<br />

Minute Film & Video Festival in Aarau eingereicht wurden,<br />

sind so packend erzählt. Nicht immer ist der Inhalt<br />

verständlich, die Pointe so treffend. An einem der ersten<br />

schönen, sonnigen Sonntagnachmittage dieses Jahres<br />

sitzt das OK im Untergeschoss einer Altstadtwohnung<br />

in Aarau zusammen. Sechs kinobegeisterte Männer,<br />

acht Stunden Filmmaterial. Die Themen allein in der<br />

Sparte «Spiel- und Dokumentarfilm»<br />

reichen von<br />

Aids bis zur Bienenzucht,<br />

vom Selbstmordversuch<br />

bei Jugendlichen bis zur<br />

heimkehrenden Katze.<br />

Stephan Filati spielt die<br />

Filme ab. Einer ist sechs<br />

Minuten lang. Einer ein<br />

Werbefilm. Einer hat ein<br />

unlesbares Format. Einer<br />

ist pornografisch. Sie alle<br />

werden rausfallen. Da ist<br />

sich das OK einig. Diskutiert dagegen wird, ob es ein<br />

Film in die Auswahl für den Wettbewerb schafft. Man<br />

spürt die Vorlieben der einzelnen. Kurt Dettling etwa<br />

mag Experimentalfilme, ihm gefällt der künstlerische<br />

Umgang mit dem Medium. Silvio Alberti schaut mehr,<br />

ob der Film die technische Voraussetzung für die Kinoleinwand<br />

erfüllt. Das erspart viel Arbeit. Er ist denn<br />

auch froh, dass heutzutage keine Bänder und Super-<br />

8-Formate mehr eingeschickt werden. Für Michael Berger<br />

zählt vor allem, dass der Film unterhält. Er denkt<br />

ans Publikum. Das will eine Geschichte. Wie die von<br />

Frau A. Meise. Eine Geschichte in einer Minute, so wollten<br />

es schon die Gründer.<br />

Vor zehn Jahren gab es Youtube noch nicht. Für die<br />

eigenen Filme von Stephan Filati und Kurt Dettling war<br />

die Hürde an den damaligen Festiv<strong>als</strong> aber zu hoch. Sie<br />

gründeten deshalb ihre eigene Plattform, wo alle, egal<br />

ob Erst-Filmerin oder Profi, ihren Film einreichen konnten.<br />

Die Länge begrenzten sie dafür auf eine Minute.<br />

Diese strenge Vorgabe lässt nichts Überflüssiges zu.<br />

So, findet Johannes Zehnder, komme nie Langweile auf.<br />

Und Zuschauer / innen sind offener für Themen, Stile<br />

und Experimente. Gefällt einem der Film nicht, was<br />

soll’s, 60 Sekunden sind kurz und schnell vergessen.<br />

Manchmal werden aus 60 Sekunden aber auch 90<br />

Minuten: Dann, wenn das Filmfestival <strong>als</strong> Sprungbrett<br />

dient, wie zum Beispiel bei Tobias Nölle. Er gewann 2003<br />

am Festival den ersten Preis – und bringt Ende 2013 seinen<br />

ersten Spielfilm ins Kino. Vom Einminüter ins Kino.<br />

Mehr einminütiges Kino gibt’s am 10. One Minute<br />

Film & Video Festival in Aarau vom 22. bis 25. August<br />

2013.<br />

Cordelia Oppliger arbeitet <strong>als</strong> Projektleiterin in der<br />

Kommunikation des Umwelt- und Gesundheitsschutzes<br />

der Stadt Zürich und wohnt in Aarau.<br />

Foto: Filmstill aus Saturday the 14th,<br />

Wettbewerbsprogramm<br />

46


ANZEIGEN<br />

Zürcher<br />

Theater<br />

Spektakel<br />

15. August bis 1. September 2013<br />

Zürich: Landiwiese, Werft und Rote Fabrik<br />

Veranstalterin: Stadt Zürich Kultur<br />

Tickets: www.theaterspektakel.ch oder www.starticket.ch<br />

spe 10005-07 Inserat_RAUM_KUL-KOLT-JULI-Coucou_92x137.indd 1 13.06.13 11:30<br />

Zürcher Hochschule<br />

für Angewandte Wissenschaften<br />

Zürcher Fachhochschule<br />

School of<br />

Management and Law<br />

Zentrum für<br />

Kulturmanagement<br />

Berufsbegleitende Weiterbildung<br />

– Masterprogramm<br />

Arts Management<br />

– Diplomlehrgang<br />

Fundraising Management<br />

praxisorientiert, wissenschaftlich fundiert<br />

und international anerkannt<br />

www.zkm.zhaw.ch<br />

ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur<br />

Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 54<br />

Building Competence. Crossing Borders.<br />

TAUCHSIEDER<br />

AN DIE GRALSHÜTER<br />

DES SCHWEIZER<br />

FILMSCHAFFENS<br />

VON MICHAEL LANG<br />

Als einst der Unterhaltungsstreifen «Teenage Mutant<br />

Ninja Turtles» Premiere hatte, erteilte mir der<br />

legendäre Zürcher Kinobetreiber Erwin C. Dietrich<br />

eine Lektion. Durchs Foyer tapsten Riesen-Schildkröten;<br />

für mich eine läppische Marketingidee. Der<br />

Hausherr später beim Apéro: «Lieber Herr Lang,<br />

ich steckte selber in einem der Kostüme. Es stank,<br />

war heiss. Aber ich wollte meinem Publikum, meinen<br />

Kunden wieder mal in die Augen schauen.» Die<br />

Peinlichkeit war ganz auf meiner Seite. Der Mann<br />

bewies Haltung.<br />

Apropos Haltung: Als Filmkritiker und damit<br />

Berufsvoyeur bin ich dem Zuschauer mehr verbunden<br />

<strong>als</strong> Filmpolitik betreibenden Funktionären, die<br />

allzu selten befruchtende Inhaltsdiskussion mitgestalten,<br />

geschweige denn anstossen. Jammerschade<br />

für das einheimische Filmwesen, das ohne Subventionen<br />

vom Staat und dem gönnerhaften<br />

Schweizer Fernsehen darben müsste.<br />

Mir fällt auf, dass kluge Cinéphile kafkaesk unfassbar<br />

werden, kaum haben sie ein Pöstchen in<br />

der offiziellen «Filmszene Schweiz» (grauenhafter<br />

Ausdruck!) ergattert. Besonders verhaltensunauffällig<br />

sind diese Kummerbuben und -mädels, wenn<br />

Positionswechsel anstehen. Wie bald, wenn die<br />

Freiburger Staatsrätin Isabelle Chassot am 1. November<br />

2013 das Bundesamt für Kultur übernimmt.<br />

Wetten, dass die in der Futtersuche scheinsolidarische<br />

Branche bereits bei Madame weibelt?<br />

Ich unterstelle: Man will mehr Geld. Einen weiteren<br />

unnötigen Filmpreis. Und man schönt mässig<br />

gelungenes Schaffen mit der Anzahl erhaltener<br />

Festivaleinladungen. Klar auch, dass es an den<br />

Filmtreffs in Locarno, Zürich oder Solothurn Absichtserklärungen<br />

hageln wird.<br />

Auch Filmkunst entsteht durch Konfliktbereitschaft,<br />

Reibung, Lust aufs Unkonventionelle. Leider<br />

bin ich mir sicher, dass das der polittaktisch<br />

agierenden Kultur-Nomenklatura, einigen Produzenten<br />

und TV-Offizieren eher nicht passt. Obwohl<br />

sie ihre Existenzberechtigung den Kreativen verdanken,<br />

auch den unbequemen. Deshalb fordere<br />

ich hofnärrisch mehr Lust zum polarisierenden Dialog,<br />

mehr Blicke in die Augen des Publikums. Das<br />

geht auch ohne Verkleidung!<br />

Der Zeitpunkt passt. Ich wittere im Filmbereich<br />

mehr Talent und Kreativität <strong>als</strong> auch schon.<br />

Und das Fachblatt «Cine-Bulletin» meldet, Kultur<br />

sei eine der grossen Leidenschaften der designierten<br />

Kulturchefin Isabelle Chassot. Bravo! Jetzt gilt<br />

es, ihr die Sparte Film schmackhaft zu machen.<br />

Also, Gr<strong>als</strong>hüter des Schweizer Films: Achtung,<br />

Courage, Haltung!<br />

Michael Lang ist freischaffender Kulturjournalist<br />

und Kulturvermittler. Von 2004 bis 2012<br />

war er Ko-Realisator der von ihm konzipierten,<br />

preisgekrönten 3sat-Porträtreihe «Berg und Geist».<br />

47


EXIL/LOG<br />

LUKA POPADIĆ AUS<br />

BELGRAD UND BADEN<br />

Seit 6 Jahren lebe, arbeite und studiere ich zwischen<br />

Baden, der Stadt in der ich geboren wurde und Belgrad,<br />

der Geburtsstadt meiner Eltern. Zum Film kam ich ein<br />

wenig wie die Jungfrau zum Kind und der Schritt nach<br />

Belgrad erscheint mir im Nachhinein in diesem Prozess<br />

wie eine logische Entscheidung . Nach der Matura an der<br />

Kanti Baden studierte ich Politikwissenschaften und<br />

habe mich <strong>als</strong> Grafiker, Partyorganisator, Rapper und<br />

Callcenter-Outbound-Agent (oder Telefonverkäufer)<br />

durchgeschlagen. Nach der Offiziersschule ging ich nach<br />

Berlin und Chicago. Dort kam ich das erste Mal mit Film<br />

in Kontakt und entschied mich mit 25 Jahren für eine<br />

Regieausbildung, weil mich die Vielseitigkeit des Filmemachens<br />

angezogen hat.<br />

In Serbien gehört die Filmkultur viel stärker zur Allgemeinbildung<br />

<strong>als</strong> in der Schweiz. Tito unterstützte das<br />

Filmschaffen sehr und das ehemalige Jugoslawien hatte<br />

eine lebendige Filmszene mit eigenen Stars und sehr<br />

grossen Produktionen. Belgrad war dam<strong>als</strong> der Hauptproduktionsort<br />

des Films und es kann heute noch vorkommen,<br />

dass man mit einem Taxichauffeur über Fellini<br />

oder Tarkovski spricht. Es wurden künstlerisch anspruchsvolle<br />

Filme gefördert, die bei den Kritikern und<br />

Festiv<strong>als</strong> sehr gut ankamen. Einige von den staatlich geförderten<br />

Filmen waren regimekritisch, was für ein sozialistisches<br />

Land aussergewöhnlich war. Leider kam es<br />

auch unter Tito zu einem Bruch mit den liberalen Filmemachern.<br />

Ein Student wanderte 1971 sogar ins Gefängnis<br />

weil er sich in einem Film über den Staatspräsidenten<br />

lustig machte. Das hat das Fass zum Überlaufen<br />

gebracht und viele freidenkende Filmemacher wurden<br />

aus dem Land gejagt.<br />

Regisseure sind heute in der Öffentlichkeit präsent<br />

und werden <strong>als</strong> Intellektuelle hoch geschätzt, haben ihre<br />

Kolumnen in Zeitschriften und Auftritte in Politsendungen.<br />

Für das Studium in Belgrad habe ich mich entschieden,<br />

weil die Filmuniversität einen sehr guten Ruf geniesst.<br />

Meine Professoren und ihre Filme haben Preise<br />

an allen prestigeträchtigen Festiv<strong>als</strong> der Welt gewonnen<br />

(Karanović in Cannes, Golubović am Sundance Festival,<br />

Arsenijevi an der Berlinale, Novkovićin Locarno, Mar kovićin<br />

Montreal ...).<br />

Die Gesellschaft in Serbien ist durch ein grosses<br />

Trauma gegangen in den letzten 20 Jahren und sie hat<br />

sich immer noch nicht von den Kriegswirren erholt.<br />

Hinzu kommt die Transition vom Sozialismus in den Kapitalismus.<br />

Das widerspiegelt sich in sämtlichen staatlichen<br />

Institutionen, ebenso im Bereich des Filmemachens.<br />

Ich bin sehr glücklich mit der Ausbildung, die ich<br />

in Belgrad geniessen durfte. Die Institution der Universität<br />

wird von sehr engagierten Professoren zusammengehalten,<br />

die oftm<strong>als</strong> ihre private Zeit und ihre Ressourcen<br />

in die Filme der Studierenden investieren. Persönlichen<br />

Rückhalt gab es sehr viel, institutionellen so gut<br />

wie keinen.<br />

Den einzigen Schweizer Film, den ich kannte, bevor<br />

ich nach Serbien zog, war «die Schweizermacher». Er ist<br />

für mich insofern ein Meisterwerk, weil ich, wie die Protagonisten<br />

auch, durch den ganzen Prozess der Einbürgerung<br />

gegangen bin. Es gab eine Revue des Schweizer<br />

Films in Belgrad im Jahre 2005, von der Schweizer Botschaft<br />

mitorganisiert. Die Eröffnung der Revue war ein<br />

3-minütiger Dokumentarfilm. Eine charmante Reporterin<br />

befragt am Zürcher Hauptbahnhof Passanten, ob sie<br />

ihnen einen Schweizer Schauspieler oder Regisseur nennen<br />

können. Es hat niemand auch nur einen Namen gewusst.<br />

Mir wurde erst in Serbien die Stärke des Schweizer<br />

Spiel- und vor allem Dokumentarfilms bewusst.<br />

Auch hat mich erstaunt, dass dieser mehr geschätzt wird<br />

im Ausland <strong>als</strong> in der Schweiz. Das hat vielleicht mit der<br />

Schweizer Bescheidenheit zu tun.<br />

Ich bin 1980 geboren. Als ich anfing, die Medien<br />

wahrzunehmen, habe ich die manipulative Kraft des bewegten<br />

Bildes erfahren. Die einseitige Berichterstattung<br />

in den Kriegen im deutschsprachigen Fernsehen wurde<br />

durch die sehr einseitige Bildauswahl aus Belgrad verstärkt.<br />

Ich wurde während der 90er-Jahre oft von meinen<br />

Mitschülern und sogar auch Lehrern angefeindet,<br />

weil ich serbischstämmig bin.<br />

Ich kämpfe häufig mit meinem Identitätsproblem.<br />

In Serbien bin ich der Schweizer, in der Schweiz der<br />

Serbe. Es hat sich zwar in den letzten paar Jahren etwas<br />

verbessert, doch gibt es immer noch einen starken<br />

latenten Rassismus in der Schweiz. So viel ich Schweizer<br />

sein will, Popadić ist einfach kein altes Glarner Geschlecht.<br />

In sofern tat es gut, in Serbien zu studieren. Ich<br />

musste meinen Namen während des ganzen Studiums nie<br />

buchstabieren.<br />

Oft höre ich von Leuten in der Schweiz, dass ihr Land<br />

nicht interessant sei fürs Filmemachen und dass Serbien<br />

aufgrund seiner Geschichte und der vielen Völker, die<br />

dort leben, viel spannender sei. Dies sehe ich völlig anders.<br />

Die Schweiz ist für mich cineastisch gesehen ein<br />

sehr aufregendes Land. Das habe ich erst realisiert,<br />

nachdem ich nach Serbien gezogen bin und einen neuen<br />

Blick auf eines meiner beiden Heimatländer geworfen<br />

habe. Ich freue mich auf den Abschluss meiner Ausbildung<br />

in Serbien und auf erste professionelle Schritte in<br />

der Schweiz.<br />

Luka Popadić wurde 1980 in Baden geboren. Seit 2007 ist er<br />

<strong>als</strong> Regisseur, Drehbuchautor und Produzent tätig. Mit seinen<br />

Filmen hat er an über 50 Festiv<strong>als</strong> teilgenommen und mehrere<br />

Preise gewonnen. Er lebt in Belgrad und Baden.<br />

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