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VON NOMADEN UND SESSHAFTEN

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DIE KULTUR<strong>NOMADEN</strong><br />

Kulturschaffende pflegen nicht erst seit heute einen nomadischen<br />

Lebensstil. Schliesslich sind sie auf andersartige<br />

Erfahrungen, aber auch neue «Weideplätze» angewiesen. In<br />

der globalisierten Welt sind sie geradezu Trendsetter von<br />

Mobilität und Flexibilität.<br />

von DaviD Signer<br />

Seite 26 – 28<br />

RUBA AMIRA SALAMEH<br />

Künstlerin aus Palästina im Gästeatelier Krone<br />

Fotografien<br />

Seite 30 / 31<br />

EIN KÜNSTLERVERBAND STREBT<br />

NACH SESSHAFTIGKEIT<br />

visarte.aargau wird im Trudelhaus Baden sesshaft.<br />

von Patrizia Keller<br />

Seite 38<br />

eXiL/LOG<br />

StePhan Müller auS new aarau<br />

Seite 29<br />

FeDeRLeSeN<br />

albin brun unD JohanneS Muntwyler<br />

über DaS unterwegSSein<br />

aufgezeichnet von angela wittwer<br />

Seite 32 / 33<br />

BiLDSCHiRM<br />

SanDra Senn<br />

Seite 34 – 37<br />

tAUCHSieDeR<br />

go oDer nogo, DaS iSt hier Die frage<br />

von bruno Maurer<br />

Seite 37<br />

KLeiN & FeiN<br />

KronetalK<br />

von Sibylle greuter<br />

Seite 39<br />

RÜBeZAHL<br />

zu KriMinalität, Strafrecht unD rechtSPflege<br />

von Pino DietiKer unD anna Deér<br />

Seite 40<br />

NR<br />

26<br />

HiNweiSe<br />

Seite 41<br />

25<br />

<strong>VON</strong> <strong>NOMADEN</strong><br />

<strong>UND</strong> <strong>SESSHAFTEN</strong><br />

Als Nomaden werden Menschen und Gesellschaften<br />

bezeichnet, die aus kulturellen oder ökonomischen<br />

Gründen keine sesshafte Lebensweise führen. Aus der<br />

Perspektive von Sesshaften und staatlichen Ordnungen<br />

verkörpern sie allzu oft das Rückständige, Fremde<br />

und Bedrohliche, obwohl sie anpassungsfähig sind<br />

und im Umgang mit ungünstigen Bedingungen Flexibilität<br />

zeigen. Denn Nomaden verstehen es, nachhaltig<br />

mit knappen Ressourcen zu wirtschaften und wissen,<br />

wie die Bedürfnisse an die Umwelt anzupassen sind,<br />

um in Kargheit zu überleben.<br />

Mobilität und Flexibilität sind in den gegenwärtigen<br />

Diskurslandschaften zu Gemeinplätzen geworden und<br />

äussern sich in ständig wechselnden Arbeitsverhältnissen,<br />

in Projekten an unterschiedlichen Orten und<br />

in der Freizeitgestaltung. Nomaden gibt es heute überall.<br />

Erfolgreiche – vor allem die privilegierten Arbeitskader<br />

internationaler Firmen – und weniger erfolgreiche.<br />

Wer sich entwickeln will, macht sich selbst flexibel<br />

nutzbar und definiert sein Leben nomadisch.<br />

Nicht erst seit Beuys, der bei einem Flugzeugabsturz<br />

von Nomaden mit Fett und Filz gepflegt worden sein<br />

soll, beschäftigen sich Künstler mit der Idee des Nomadischen<br />

und der damit verbundenen Lebensform,<br />

sich den Raum wandernd zu denken. Mehr noch: Sie<br />

gehen auf Tourneen, vergleichbar mit Nomaden, die<br />

sich auf die Suche nach neuen Weideplätzen begeben,<br />

darauf angewiesen, die Kunstproduktionen immer<br />

wieder einem neuen Publikum zeigen zu können. Sie<br />

bleiben so lange an einem Ort, wie sie dem Ort etwas<br />

abgewinnen können und wie es sich auf irgendeine Art<br />

lohnt, dann ziehen sie weiter.<br />

Neue Werteorientierungen, ökologische Veränderungen<br />

oder staatliche Massnahmen können Auslöser<br />

dafür sein, dass Nomaden sesshaft werden. Doch die<br />

einen gibt es nicht ohne die andern. Die Beziehungen<br />

zwischen Nomaden und Sesshaften sind daher geprägt<br />

von gegenseitiger Abhängigkeit. Was sie verbindet,<br />

ist der Handel, der Austausch. Wir blicken deshalb<br />

gespannt auf das Trudelhaus in Baden, die neue<br />

«Karawanserei», wo sich visarte.aargau niedergelassen<br />

hat und die Kunstnomaden in Zukunft ihre Arbeiten<br />

zeigen können.<br />

Das ist ein wenig eine verkürzte Wahrnehmung,<br />

trotzdem gefällt sie uns. Gerade jetzt, wo wir uns<br />

schon auf die Sommerferien freuen. Auf den kurzen<br />

Ausbruch aus dem Alltag, das Umherschweifen,<br />

auf laue Sommerabende am See. Im Zelt. Oder neuerdings<br />

auch in der Jurte. Aber bitte, schönes Wetter! –<br />

Schöne Ferien, wenn sie dann da sind.<br />

Die Redaktion, Andrina Jörg und Madeleine Rey


Kürzlich beantragte ich ein «Multiple Entry»­Visum<br />

für Indien. Das Formular erschien mir sehr offen und<br />

fortschrittlich. Unter «Geschlecht» konnte man zwischen<br />

drei Möglichkeiten wählen: Männlich, weiblich<br />

und Transgender. Als Beruf schrieb ich «Writer».<br />

«Werden Sie über Indien schreiben?», fragte mich<br />

der Beamte.<br />

Ich musste schriftlich bestätigen, dass ich das nicht<br />

tun würde. Aber am Ende bekam ich doch nur,<br />

entgegen meinem Wunsch, ein Visum für eine einzige<br />

Einreise.<br />

«Journalisten bekommen immer nur ein «Single<br />

Entry»­Visum», lautete die Erklärung.<br />

«Sind wir nicht auch Menschen?», dachte ich.<br />

Aber vielleicht liegen die Autoritäten ja richtig mit<br />

ihrem Misstrauen. Journalisten, Schriftstellerinnen,<br />

Künstlerinnen, Musiker, Schauspieler, Tänzerinnen,<br />

Fotografinnen gelten nicht nur, sondern sind unstet,<br />

unfassbar, unberechenbar. Sie stehen in der Tradition<br />

der Vaganten, Schaustellerinnen und Zigeuner, und<br />

leicht werden aus Künstlern Spioninnen, Aufrührer,<br />

Sittenverderber oder Schmugglerinnen. Den ausländischen<br />

Prostituierten gibt man hierzulande ein Tänzerinnen­Visum,<br />

in Österreich eine Aufenthaltsgenehmigung<br />

als «Künstlerin». Umgekehrt verdächtigte<br />

man Künstlerinnen immer schon gerne der lockeren<br />

Sitten oder gar der Hurerei.<br />

26<br />

KULTUR­<br />

<strong>NOMADEN</strong><br />

von DaviD Signer<br />

Kulturschaffende pflegen häufig – und<br />

nicht erst seit heute – einen nomadischen<br />

Lebensstil. Schliesslich sind sie auf andersartige<br />

Erfahrungen, aber auch neue<br />

«Weideplätze» angewiesen. In der globa lisierten<br />

Welt sind sie geradezu Trend setter<br />

von Mobilität und Flexibilität.<br />

Die suspekten Heimatlosen<br />

Wohl seit Urzeiten blicken Sesshafte scheel auf Menschen<br />

ohne festen Wohnsitz oder klare Herkunft:<br />

Auf Fahrende, Juden, Hirten, Landstreicherinnen,<br />

Flüchtlinge, Bänkelsängerinnen, Theatertruppen,<br />

Zirkusleute, Wanderarbeiter, Händler und Hausier ­<br />

erinnen.<br />

Heute ist die Situation paradox: Obwohl noch nie<br />

so viele Menschen unterwegs waren und man nicht<br />

nur von den Billigarbeitern, sondern auch von Hochqualifizierten<br />

Mobilitätsbereitschaft erwartet, ist<br />

das Misstrauen den Nomaden gegenüber nicht verschwunden.<br />

Es hat sich nur differenziert.<br />

Was soll der Grenzbeamte denn denken, wenn er<br />

fragt: «Was tun Sie im Land?» und die Fremde antwortet:<br />

«Ich lasse mich inspirieren» oder «Ich werde<br />

am Strand eine Performance aufführen»? Die Frau<br />

ist weder Touristin, noch Angestellte, noch Asylsuchende,<br />

noch Pilgerin. Für sie ist auf dem Formular<br />

kein Kästchen vorgesehen. Sie lässt sich nicht leicht<br />

identifizieren/identifixieren.<br />

Vom französischen Philosophen Gilles Deleuze<br />

stammt der Begriff der Deterritorialisierung. Immer<br />

häufiger lösen sich kulturelle Vorstellungen von<br />

bestimmten Orten, machen sich auf die Wanderschaft,<br />

lassen sich woanders nieder und gehen neue Verwurzelungen<br />

oder Vermischungen ein. Die Kunst spielt<br />

bei diesen Transfers eine wesentliche Rolle.


Natürlich gibt es handfeste Gründe, warum Kulturschaffende<br />

viel unterwegs sind. Musiker gehen auf<br />

Tournee, Schriftstellerinnen auf Lesereisen oder auf<br />

Recherche, Künstler richten Ausstellungen ein,<br />

Cineastinnen reisen an Drehorte. Aber es gibt noch<br />

eine tiefere Ursache für die Wurzellosigkeit: Kunst<br />

hat mit dem Aufreissen des Gewohnten zu tun. Dazu<br />

sind Bewegung und Ortsveränderung nötig.<br />

Das befreiende Weggehen<br />

Nun ist allerdings nicht jeder reisende Künstler automatisch<br />

ein Ethnologe, der sich tief mit den jeweiligen<br />

Gegebenheiten am neuen Ort auseinandersetzt. Das<br />

ist bei rastlosem Unterwegssein gar nicht möglich. Und<br />

nicht jede Schauspielerin auf Tournee oder jeder<br />

Musiker in einem Austauschprogramm ist automatisch<br />

ein Kulturvermittler. Künstler können manchmal<br />

auch furchtbar ich­bezogen, blind, unkommunikativ<br />

und oberflächlich sein, wenn es um fremde Gesellschaften<br />

geht.<br />

Aber vielleicht geht es beim Kulturnomadismus gar<br />

nicht so sehr um das Ankommen, um den neuen,<br />

andern Ort, sondern um das Weggehen, um die Distanz<br />

zum Vertrauten, um das Kappen der Taue. So, wie<br />

Jesus und andere Sinnsucher in die Wüste meditieren<br />

gingen, um vorerst einmal Nicht­Sinn, Leere, Verlorenheit<br />

zu finden. Zurück an den Anfang, um von vorne<br />

zu beginnen.<br />

Wie kann man sich – für einen Moment nur – freimachen;<br />

von dem, was man ist, was man zu sein glaubt,<br />

was einen die andern glauben machen, zu sein?<br />

Von den angeblichen «Voraussetzungen», den «Koordinaten»?<br />

Das ist für einen Künstler die Grundfrage,<br />

die dem Werk selbst, dem Aufbruch in Neuland,<br />

vorausgeht.<br />

Diese Rückkehr zum Nullpunkt ist eine psychische<br />

Arbeit. Aber sie hat ihre Basis in einer höchst realen,<br />

archaischen Tätigkeit – der Rodung.<br />

«Die Schaffung eines nackten, leeren und wieder<br />

jungfräulichen Feldes ist die älteste Arbeit der<br />

menschlichen Welt», schreibt der französische Philosoph<br />

Michel Serres. «Agrikultur und Kultur haben<br />

denselben Ursprung oder dieselbe Grundfläche, ein<br />

27<br />

leeres Feld, das einen Bruch des Gleichgewichts<br />

herbeiführt, eine saubere, durch Vertreibung geschaffene<br />

Fläche... Es ist ratsam, diesen leeren Raum, der<br />

in den vorzeitlichen Savannen auftauchte, diesen Riss<br />

inmitten ihrer fliessenden Stabilität, zu begreifen.<br />

Haben wir in den Augenblicken, da die Geschichte sich<br />

plötzlich verzweigt, jemals andere Objekte geschaffen?»<br />

Tabula rasa. Der radikale, unwahrscheinliche<br />

Anfang, der sich der so viel wahrscheinlicheren chaotischen<br />

Überwucherung entgegenstellt, um dem<br />

einen, seltenen Samen Platz zu geben und seinen Keimling<br />

zu schützen vor dem brutalen Einbruch des allzu<br />

bekannten, simplen Einerlei­Allerlei­Unkrauts.<br />

Das Problem ist, dass Reinemachen so schwierig<br />

ist. Alles wirkt ihm entgegen: Angst, Sicherheitsbedürfnis,<br />

Passivität, Gewöhnung, Gemütlichkeit. Wie<br />

John Lennon sagte:<br />

«Du glaubst, wenn du was gefunden hast, das sei das<br />

Leben – aber meist klammerst du dich an einen Strohhalm.<br />

Ich glaube, Künstler haben es da gut, weil ihnen<br />

der Strohhalm immer wieder aus der Hand geblasen<br />

wird. Das Dumme aber ist, dass die meisten Menschen<br />

einen Halm finden, und sich daran festklammern...<br />

Ich meine, das ist Zeitverschwendung. Das Beste ist,<br />

wenn man immer in Bewegung bleibt und die Kleider<br />

wechselt. Es geht nur um eins: ständige Veränderung.»<br />

Den Spiegelgarten verlassen<br />

John Lennon ist nicht mehr in Bewegung, und seine<br />

Äusserung liegt schon eine ganze Weile zurück. Inzwischen<br />

ist das Modell des Menschen als Künstler –<br />

immer unterwegs, beweglich, kreativ, innovativ, offen,<br />

lernend – viel verbreiteter als damals. Beschleunigung<br />

und Globalisierung machen den allzu Sess haften<br />

das Leben schwer. «Der flexible Mensch» ist zum Must<br />

geworden in der sich immer rascher wandelnden<br />

Weltwirtschaft. Ist der deterritorialisierte Künstler<br />

inzwischen vielleicht gar nicht mehr Avantgarde,<br />

sondern Mainstream, ja reaktionär? Läge die wahre<br />

Subversion heutzutage im Stillstand, in der Weigerung,<br />

permanent von einer Stadt in die andere zu flitzen?<br />

Die Frage ist wahrscheinlich nicht so sehr, ob<br />

Nomadisieren, sondern wie. Auch für Kulturschaffende


kann Reisen zur Routine werden. In einem Tross<br />

von Gleichgesinnten eingepanzert, kann ein Künstler<br />

von einer Institution zur andern fliegen, ohne auch<br />

nur eine einzige Minute der Befremdung zu riskieren.<br />

Er unterscheidet sich dann kaum vom sattsam bekannten<br />

Neckermann­Pauschaltouristen. Anstatt seine<br />

Vorstellungen in Frage zu stellen, zementiert er sie<br />

durch seine Reiserei sogar, weil ihn die vorgefer tigten<br />

Erfahrungen in der Ansicht bestätigen, es sei überall<br />

so wie in seiner eigenen kleinen Welt. Eigentlich zirkuliert<br />

er in einem Spiegelgarten, auch wenn er Tausende<br />

von Kilometern zurücklegt. Da erlebt sein<br />

Kollege im Appenzellerland, der sich Zeit für Gespräche<br />

mit dem Bauern nebenan nimmt, möglicherweise<br />

eine radikalere Bewusstseinserweiterung.<br />

Trotzdem bleibt es dabei, dass Kreativität mit dem<br />

Infrage­Stellen des Vertrauten, mit Loslösung und<br />

Elastizität zu tun hat. Wie Henri Michaux so schön sagte:<br />

«Zu einem neuen Wissen braucht es ein neues Hindernis.<br />

Sorge in regelmässigen Abständen dafür, dir<br />

selbst Hindernisse in den Weg zu legen; Hindernisse,<br />

für die du eine Form der Abwehr finden musst... und<br />

eine neue Intelligenz.» Diese Aufrauhung der Gewöhnung<br />

hat nichts mit dem Stand des Flugmeilen­Kontos<br />

zu tun. Mit dem Kontakt zu Fremdem allerdings<br />

durchaus. Man darf nicht vergessen, dass gemäss dem<br />

Ethnologen Lévi­Strauss die Kultur eigentlich mit<br />

dem Inzest­ Verbot begann. Da die Menschen gezwungen<br />

waren (und sind), ihre Partner und Partnerinnen ausser ­<br />

halb der eigenen Gruppe zu finden, gingen sie Beziehungen<br />

mit Aussenstehenden, mit Andern ein. So<br />

entstanden Tauschbeziehungen, die sich nicht auf<br />

Sexualität beschränken. Kultur eben. Kultur ist gemäss<br />

Lévi­Strauss immer Kulturaustausch. Austausch<br />

zwischen Verschiedenen, notabene, und insofern immer<br />

ein kreatives Wagnis. Ansonsten macht Austausch ja<br />

gar keinen Sinn.<br />

28<br />

Und etwas vom erotischen Untergrund dieser<br />

Transfers spürt man noch immer bei jedem Ausbruch<br />

aus allzu Familiärem, bei jedem Aufbruch in unbekannte<br />

Fremde.<br />

David Signer ist Ethnologe, Journalist und Schriftsteller,<br />

zuletzt erschien von ihm der Roman «Die nackten Inseln»,<br />

Salis­Verlag 2010.<br />

Die Fotografien zeigen den Gitarristen Mats Scheidegger auf<br />

seinen Konzerttourneen durch die Mongolei.<br />

Mats Scheidegger ist freischaffender Musiker und Pädagoge.<br />

Seit seinem Gitarrenstudium in Winterthur, Bern und<br />

New York befasst er sich vorwiegend mit der Interpretation<br />

zeitgenössischer Musik. Seine Konzerttätigkeit führte ihn<br />

u. a. mehrere Male in die Mongolei. Die Fotografien zeigen<br />

ihn an Konzerten – oft unter freiem Himmel gespielt.<br />

«Justierung» nennt er in einem Wort den Gewinn seiner<br />

Reisen in die Mongolei.<br />

Seite 26: Bayangobi, Elsentasarkhai, 2009.<br />

Foto: Mats Scheidegger<br />

Seite 27: Bayangobi, Elsentasarkhai, 2009. Foto: Gary Berger<br />

Mörön, 2006. Foto: Maria Zehnder<br />

Seite 28: Kloster Erdene Zuu bei Kharakorum, 2011.<br />

Foto: Susanne Bopp<br />

Open Air Khatgal, 2006. Foto: Maria Zehnder


StepHAN MÜLLeR<br />

AUS New AARAU<br />

5. Mai 2012<br />

Für einmal aus dem Ausland schreiben. Doch wo ist das<br />

Ausland? Für alle Ausländer ist die Schweiz Ausland,<br />

aus deren Perspektive gehört unser Land zum Ausland.<br />

So, wie für uns alle Länder der Welt zum Ausland gehören,<br />

ausser das eigene.<br />

Somit gehört Aarau für die überwiegende Mehrheit<br />

der Welt zum Ausland. Was lässt sich von dort berichten?<br />

Welche weltbewegenden Ereignisse finden dort, im<br />

ausländischen Aarau statt? Und hat das die Welt zu<br />

interessieren?<br />

Es gab kürzlich in Berichten aus Uruguay von Nueva<br />

Helvecia zu lesen, einer Stadt, die soeben ihr 150­jähriges<br />

Bestehen feierte. Der Ort wurde am 25. April 1862<br />

von schweizerischen Auswanderern gegründet. Schweizerische<br />

mittellose Migranten und Migrantinnen siedelten<br />

sich im Ausland, in Feindesland, in Uruguay an. Und<br />

noch heute wird in dieser Umgebung der meiste Käse in<br />

ganz Uruguay produziert.<br />

Auch New Aarau hat es einmal gegeben. Auswanderer<br />

aus Aarau gründeten New Helvetia/New Aarau 1844<br />

im Osage County im Bundesland Missouri USA. Wegen<br />

Streit, Krankheit und Erschöpfung erreichten nur 7 Erwachsene<br />

und 11 Kinder das gekaufte Gebiet. Bericht<br />

aus New Aarau? Die Siedlung ist frühzeitig eingegangen<br />

und damit die neue Identität von Aarau ebenfalls.<br />

So berichte ich also auch aus dem Ausland, aber von<br />

Old Aarau. Dessen Herzstück ist die Altstadt, eben frisch<br />

renoviert, zumindest die Strassen. Viele Leute halten<br />

sich dort auf, tagsüber, nachtüber. Und das ist umstritten.<br />

Man diskutiert darüber, wie viele Leute dort die Kultur<br />

erträgt, tagsüber, nachtüber. Es wird gesprochen von<br />

Schlafkultur, von Barkultur, von Streitkultur und von<br />

weiteren Kulturen.<br />

Dieser Bericht aus Old Aarau ist für viele vielleicht<br />

wenig spannend. Es gäbe wohl spannendere Berichte aus<br />

dem Ausland als aus Old Aarau. Trotz aller Rhetorik von<br />

Fortschritt erscheint Old Aarau nämlich vor allem als<br />

Stillstand, vor allem denkerisch.<br />

Darum fällt der Bericht aus dieser Region des Auslandes<br />

etwas mager aus. Vielleicht lässt sich noch sagen,<br />

dass die Leute dieser Stadt beseelt seien, etwas Beson­<br />

exil / log<br />

29<br />

deres in der Welt zu sein. Was sie aber keineswegs sind,<br />

oder dann nicht wirklich im positiven Sinne.<br />

Man erachtet den Maienzug (ein Fest und Umzug Anfang<br />

Sommer) in Old Aarau als immaterielles Weltkulturerbe,<br />

es wurde zumindest provisorisch auf eine nationale<br />

Liste der immateriellen Güter gesetzt. Der Kulturgüterschutz<br />

ist in Aarau jedoch Teil des Zivilschutzes.<br />

Was Sinn macht in diesem ausländischen Land, woher<br />

ich ins Inland berichte.<br />

Ob Old Aarau eine touristische Attraktion ist? Von<br />

den vielen Zielen im Ausland, die sich als Touristenorte<br />

eignen, ist Old Aarau sicher nicht der wichtigste, noch<br />

der berühmteste. Aber die bemalten Giebel der Altstadthäuser<br />

sollen überregional bekannt sein, wie Leute aus<br />

der Stadt berichten. Und der Fluss sei schön und breit.<br />

Und im Sommer badeten die Menschen zuweilen im<br />

Fluss. Wobei es keine Flussbadeanstalt mehr gebe wie<br />

in früheren Zeiten.<br />

Die grosse Zeit von Old Aarau scheint schon eine<br />

Weile vorbei zu sein.<br />

Erst kürzlich machte die Stadt Schlagzeilen, weil der<br />

Kanton Budget und Steuerfuss verordnen musste, weil<br />

die Stadt nicht selbst zu dieser Arbeit fähig war. Auch<br />

die städtische Schulpflege muss neu durch den Kanton<br />

«begleitet» werden, da sie sich ausserstande sah, ihre<br />

Arbeit korrekt selbst zu tun. Und auch der Stadtbach,<br />

der stolz durch die neuen Altstadtgassen fliessen sollte,<br />

war zuweilen ein karges Rinnsal, weil die Stadt auch ein<br />

halbes Jahr nach der Einweihung noch immer überfordert<br />

war, das Wasser wie gewünscht fliessen zu lassen.<br />

Eine Stadt im Niedergang? Es gibt sicher viele Städte<br />

im Ausland, bei denen mehr von Niedergang zu sprechen<br />

wäre. Doch die Stadt Aarau ist wohl ein Symbol, wie eine<br />

immer noch sehr reiche Kleinstadt mit viel Vermögen<br />

ihr geistig­kulturelles Kapital verspielt. Dieses Jahr<br />

schaffte sie nicht nur das traditionelle städtische Kulturfest<br />

ab, sondern kürzte zusätzlich flächendeckend<br />

Kulturvereinen die Beiträge um 5%. Der städtische Kulturminister<br />

lobte sein eigenes Engagement für die<br />

Kultur.<br />

Das ist also aus dem ausländischen Old Aarau in die<br />

Heimat zu berichten. Was wohl aus New Aarau geworden<br />

wäre?<br />

Stephan Müller ist Szenograf, ehemaliger Einwohnerrat und<br />

Berichterstatter aus dem Ausland.


RUBA AMIRA SALAMEH<br />

Ruba Amira Salameh, bildende Künstlerin aus Palästina,<br />

ist für ein halbes Jahr von Januar bis Ende Juni<br />

2012 Artist in Residence im Gästeatelier Krone in<br />

Aarau.<br />

Sie steht auf dem Feld, wo noch Schnee liegt. Im<br />

Aarauer Schachen. Und mit ihr ist die Kälte da, die<br />

Anfang Jahr lange anhielt. Hat sie damit gerechnet?<br />

– Und mit der Einsamkeit? Sie wird am neuen Ort<br />

in erster Linie auf sich selbst gestellt sein. Zeit wird sie<br />

haben. Was wird sie mit sich selber anfangen? Sie ist<br />

gespannt. Sie findet zuerst, was sie kennt und womit sie<br />

sich beschäftigt: mit ihrer eigenen Identität. Das<br />

Fremdsein am neuen Ort kann ebenso auf das Fremdsein<br />

in der eigenen Kultur bezogen werden.<br />

fotogr afiSche arbeiten, 2012. Seite 30 / 31<br />

31<br />

In die Mitte gerückt in ähnlicher Position, auf der<br />

Treppe, auf dem Boden im Atelier, nackt, der schlafende,<br />

weisse Hund und die junge Frau. – Tier und<br />

Mensch, genauer Frau, sie selbst.<br />

Ruba Amira Salameh stellt ihre Arbeiten, die während<br />

ihres Aufenthalts in Aarau entstanden sind, im<br />

Forum Schlossplatz vor. Ausserdem werden mit Ruba<br />

weitere Künstlerinnen und Künstler aus den verschiedenen<br />

Gastateliers in der Schweiz ihre Arbeiten zeigen.<br />

Vernissage: Freitag, 15. Juni, 18.30 Uhr,<br />

Forum Schlossplatz Aarau.


feDerleSen<br />

ALBiN BRUN <strong>UND</strong> JOHANNeS<br />

MUNtwyLeR ÜBeR<br />

DAS UNteRweGSSeiN<br />

nachgefragt unD aufgezeichnet von angela wittwer<br />

Albin Brun, du wirkst als Musiker<br />

in mehreren Ensembles und<br />

Bands, hast Auftritte im In-<br />

und Ausland. Johannes Muntwyler,<br />

du bist seit 2004 Direktor<br />

des Circus Monti, der an rund<br />

45 Spielorten jährlich auftritt.<br />

Zwischen welchen Destinationen<br />

treffe ich euch an?<br />

JohanneS Muntwyler Wir sind gerade<br />

aus Reinach nach Mellingen gekommen.<br />

Unsere Reisen sind nicht so<br />

spektakulär wie die von Albin – sie<br />

beschränken sich mit wenigen Ausnahmen<br />

auf die Schweiz. Im Frühling<br />

sind wir in erster Linie im Aargau<br />

unterwegs.<br />

albin brun Ich bin letzte Woche von<br />

Südkorea heimgekommen, bin aber<br />

auch mehrheitlich in der Schweiz<br />

unterwegs und nur ab und zu im<br />

Ausland. Es sind eher die Rosinen,<br />

wenn es ins Ausland geht.<br />

Guido Muntwyler oder Clown<br />

Monti gründete den Zirkus<br />

Monti und gab seine Arbeit als<br />

Lehrer für die Zirkusarbeit auf.<br />

Wie kam es dazu?<br />

JohanneS Muntwyler Die Zirkuswelt<br />

strahlte für meinen Vater eine enorme<br />

Faszination aus. In seiner Jugendzeit<br />

führte er Theaterprojekte durch und<br />

stellte immer wieder Zirkusprojekte<br />

auf die Beine. 1977, als ein Zirkus für<br />

ein Dorffest nach Wohlen kam, war er<br />

die Kontaktperson zwischen Schule<br />

und Zirkus. So erhielten wir – meine<br />

drei Geschwister, meine Eltern und<br />

ich – die Gelegenheit, in den Sommerferien<br />

in den Zirkus zu gehen. Daraus<br />

sind bis 1979 drei Jahre geworden. Als<br />

wir damals zurückkehrten und mein<br />

Vater wieder dieselbe Stelle als Lehrer<br />

erhielt, zog es ihn wieder zum Zirkus<br />

zurück. Er fand, mit rund 50 Jahren,<br />

nun wäre die letzte Gelegenheit, etwas<br />

ganz anderes zu machen.<br />

Gab es für euch einen Moment<br />

der Entscheidung, euren Weg<br />

mit seinen Konsequenzen und<br />

Unsicherheiten einzuschlagen?<br />

JohanneS Muntwyler Nicht bewusst.<br />

Ich bin zu einem gewissen Grad reingerutscht.<br />

Als ich die Schule abschloss<br />

und mich dazu entschied,<br />

Jongleur zu werden, überlegte ich<br />

mir nicht, welche Konsequenzen dieser<br />

Entscheid hat. Ich dachte, wenn<br />

es nicht klappt, wird es eine Lösung<br />

für etwas anderes geben. Dieses<br />

Grundvertrauen zieht sich durch<br />

mein ganzes Leben. Damit bin ich<br />

meistens gut gefahren.<br />

albin brun Ich zog nie in Betracht, etwas<br />

Geregeltes zu machen, staune<br />

selber aber oft, dass es überhaupt<br />

funktioniert. Bei mir ist es aber anders<br />

als bei Johannes; er ist für seine<br />

Mitarbeiter/innen verantwortlich<br />

und seine Entscheidungen haben ein<br />

ganz anderes Gewicht. Man muss na­<br />

32<br />

türlich bereit sein, die Konsequenzen<br />

zu tragen. Als Musiker führe ich<br />

kein Leben in Luxus, habe aber viel<br />

Lebensqualität und kann das tun,<br />

wofür mein Herz schlägt.<br />

Wo seht ihr Abweichungen zum<br />

romantischen Bild des Zir kus-<br />

und des Musikerlebens?<br />

albin brun Beim Schleppen von Material<br />

gibt es schon Momente, wo wir<br />

unter Kollegen und Kolleginnen ironisch<br />

sagen: «Vorsicht bei der Berufswahl!»<br />

oder: «Musiker/in – ein<br />

Traumberuf?». (lacht) Für mich ist<br />

es gleichwohl ein Traumberuf und<br />

ich möchte nichts anderes machen.<br />

Ich habe das Glück, dass es gut läuft<br />

und ich Mitmusiker/innen habe, mit<br />

denen ich mich gut verstehe – dafür<br />

bin ich sehr dankbar, denn es ist<br />

nicht selbstverständlich.<br />

JohanneS Muntwyler Es wäre verklärend,<br />

den Beruf des Zirkusdirektors<br />

als Traumberuf zu bezeichnen. Zirkusdirektor<br />

zu sein, hat sehr viele<br />

schöne Seiten und magische Momente,<br />

der Kontakt mit dem Publikum<br />

gehört dazu. Daneben gibt es administrative<br />

Aufgaben, die auch sein<br />

müssen. Damit tue ich mich manchmal<br />

schwer, weil ich finde, dass Zirkusdirektor<br />

ein möglichst kreativer<br />

Beruf sein sollte. Mehr und mehr wird<br />

er bürokratisiert. Selbstverständlich<br />

müssen wir uns an Gesetze und Regeln<br />

halten, aber man darf den Zirkus<br />

nicht dermassen einschränken, dass<br />

er zu einem Unternehmen wie jedes<br />

andere wird. Trotzdem finde ich Zirkusdirektor<br />

einen hochspannenden<br />

Beruf und ich möchte ihn nicht wechseln.<br />

Er dürfte manchmal ein bisschen<br />

weniger intensiv sein.<br />

albin brun Auch ich verbringe einen<br />

(zu) grossen Teil meiner Zeit vor dem<br />

Computer, obwohl ich lieber Musik<br />

machen oder schreiben möchte.<br />

Manchmal bleibt wenig Zeit dafür.<br />

Der organisatorische und administrative<br />

Aufwand, den ich als selbständiger<br />

Musiker leisten muss, ist gross<br />

und hat nach meinem Empfinden in<br />

den letzten Jahren zugenommen.


Ist das Leben im Zirkus oder<br />

das Unterwegssein mit einer<br />

Band eine temporäre Gemeinschaft,<br />

die herstellt, was an<br />

Stabilität fehlt?<br />

JohanneS Muntwyler Ich habe, auch<br />

wenn das nicht so aussehen mag, ein<br />

relativ stabiles Leben. Während der<br />

Saison sind wir dort zuhause, wo der<br />

Zirkus steht. Auch unsere Freunde<br />

sehen wir in dieser Zeit häufiger,<br />

weil sie immer genau wissen, wo wir<br />

gerade sind. Der Zirkus ist aber keine<br />

grosse Familie. Mein Ziel als Zirkusdirektor<br />

ist es, mit 65 Leuten unterwegs<br />

zu sein, während acht Monaten<br />

am gleichen Strick zu ziehen und<br />

dem Publikum zu ermöglichen,<br />

zweieinhalb gute Stunden im Zirkus<br />

zu verbringen. Um diese Idee mitzutragen,<br />

müssen alle ihren Beitrag<br />

leisten. Das kittet zusammen.<br />

albin brun Ich wohne in Luzern, habe<br />

eine Familie und bin nicht immer<br />

unterwegs. Wenn man ein­ oder<br />

zweimal im Jahr länger weg ist und<br />

mit Mitmusiker/innen auf Tournee<br />

geht, entsteht schon ein Zusammengehörigkeitsgefühl.<br />

Ich geniesse es<br />

sehr, gemeinsam unterwegs zu sein<br />

und Konzerte zu spielen. Musik machen<br />

ist ja auch eine Form von Kommunikation.<br />

Das Üben auf dem Instrument<br />

hingegen und das Komponieren<br />

sind eine einsame Arbeit, da<br />

ist man ganz alleine.<br />

feDerleSen<br />

Albin, du spannst deine Musikprojekte<br />

zwischen Jazz, Volksmusik<br />

und Weltmusik auf.<br />

Interessiert dich das Nahe im<br />

Fernen oder das Ferne im<br />

Nahen, wo die Unterscheidung<br />

nicht mehr greift?<br />

albin brun Ja. Früher, als ich oft an<br />

Festen auftrat, spielte ich Tanzmusik,<br />

die von überall herkam – aber<br />

nie aus der Schweiz. Das Verbinden<br />

mit den eigenen Wurzeln ist in den<br />

letzten Jahren vermehrt ein Thema<br />

geworden, jedoch nicht in musealer<br />

Weise. Mir geht es darum, meine eigene<br />

Musik zu kreieren, die sich aus<br />

ganz verschiedenen Einflüssen zusammensetzt.<br />

In der Verbindung mit<br />

dem Schweizerischen und auch im<br />

Austausch mit Musiker/innen aus<br />

anderen Kulturen, ergeben sich<br />

spannende Kombinationen, wo Unterschiedliches<br />

zusammenkommt<br />

und sich etwas völlig Neues ergibt.<br />

Ist diese Aufhebung der Trennungen<br />

beim Circus Monti<br />

ähnlich? Monti verzichtet ja<br />

bewusst auf ein Tierprogramm,<br />

setzt dafür den Fokus<br />

auf theatrale Vorstellungen.<br />

JohanneS Muntwyler Für mich kennt<br />

Zirkus keine Grenze zum Theater<br />

oder Varieté. Unter den Traditionalisten,<br />

von denen es einige in der<br />

Schweiz gibt, sind viele der Meinung,<br />

dass ein Zirkus aus drei Teilen be­<br />

33<br />

steht: aus Tieren, Artisten und Artistinnen<br />

sowie Clowns. Ich behaupte,<br />

dass im Zirkus viel mehr Platz hat.<br />

Zirkus ist eine Form von Unterhaltung<br />

und Kultur, die sehr vielseitig<br />

und vielschichtig ist. Heute erfolgreiche<br />

Zirkusformen konnte man vor<br />

20 Jahren noch nicht als solche<br />

wahrnehmen. Der traditionelle Zirkus,<br />

sofern er sorgfältig gemacht und<br />

gepflegt wird, ist nach wie vor enorm<br />

reizvoll. Traditionen sind ein Teil<br />

unserer Kultur, unseres Lebens. Das<br />

darf allerdings nicht daran hindern,<br />

Neues auszuprobieren.<br />

Das dauernde Unterwegssein<br />

ist auch eine gesellschaft-<br />

liche Realität. Wie seht ihr Eure<br />

Lebens weise in diesem Zu -<br />

sam menhang?<br />

albin brun Als Musiker/in geht man zu<br />

den Leuten, zieht von Stadt zu Stadt,<br />

das war immer schon so. Es hat für<br />

mich etwas Verheissungsvolles, unterwegs<br />

zu einem neuen Ort zu sein<br />

und nicht recht zu wissen, was einen<br />

erwartet. Das fand ich als Kind schon<br />

spannend. Meine Mutter hat mich<br />

früher immer Zigeuner genannt.<br />

JohanneS Muntwyler Zirkus muss rollen,<br />

ganz klar. Es gibt aber Dörfer, wo<br />

wir der Meinung sind, dass die Leute<br />

auch ein paar Kilometer zu uns fahren<br />

können, man ist ja mobiler heute.<br />

Während es eine Zeiterscheinung ist,<br />

dass alles in Bewegung ist, versuchen<br />

wir im Gegenteil den Rhythmus etwas<br />

zurückzunehmen und haben die<br />

Zahl der Spielorte von 90 auf 45 reduziert.<br />

Es ist schön und wichtig,<br />

wenn der Zirkus ins Dorf kommt –<br />

sofern es auch für uns machbar ist.<br />

Albin Brun ist freier Musiker und Saxophonlehrer.<br />

Er spielt unter anderem<br />

in folgenden Ensembles und Bands:<br />

Albin Brun Alpin Ensemble, Albin<br />

Brun’s NAH Trio, Albin Brun & Bruno<br />

Amstad, Kazalpin.<br />

Johannes Muntwyler ist Zirkusdirektor<br />

und Artist des Circus Monti.<br />

www.albinbrun.ch<br />

www.circus­monti.ch


ilDSchirM<br />

HOMe<br />

Die Bilder der Künstlerin Sandra Senn verführen – und<br />

irritieren. Spätestens beim zweiten Augenschein entlarven<br />

die vermeintlich fotografischen Abbilder ihre künstliche<br />

Verfasstheit. Bunt fantasierte Objekte und seltsam<br />

angelegte Ordnungen provozieren denn auch eine genaue<br />

Prüfung des Realitätsgehalts. Noch lieber gibt sich<br />

aber der Blick vertrauensselig den gekonnt konstruierten<br />

Sehnsuchtsmomenten hin, lässt sich fesseln von den<br />

Naturphänomenen oder der Andersartigkeit der Gebäude,<br />

in denen immer wieder Vertrautes aufscheint.<br />

Wer mit den Augen in der Bildlandschaft umherschweift,<br />

entdeckt verspielte Details, Anfänge von Geschichten<br />

vielleicht. Die Architekturen und Landschaften, die so<br />

sein könnten, aber irgendwie auch doch wieder nicht,<br />

entziehen der Gewissheit den Boden, kollidieren mit vorgefassten<br />

Erwartungen oder beglücken durch ihre in der<br />

Schwebe gehaltene Existenz.<br />

Arbeiten von Sandra Senn sind aktuell zu sehen in:<br />

Galerie Trudelhaus, Baden, «EinTrudeln»,<br />

30. Mai – 11. August 2012<br />

Ausstellungsraum Artespace, Lessingstrasse 1– 3, Zürich,<br />

Vernissage: 24. August 2012<br />

www.sandrasenn.com<br />

Bild Seite 34 / 35: Sandra Senn, ohne Titel,<br />

Pigmentprint, 100x80cm, 2012<br />

Bild Seite 36: Sandra Senn, ohne Titel,<br />

Pigmentprint, 110x90cm, 2012<br />

Hinweis zum Bildschirm von Victorine Müller im<br />

letzten Magazin (JULI, Mai 2012):<br />

Victorine Müller zeigt im Rahmen des Stadtfestes Baden eine<br />

Performance. Dienstag, 21. August 2012, 21 Uhr, Bühne am<br />

Theaterplatz<br />

Nicht verpassen!<br />

37<br />

tauchSieDer<br />

GO ODeR NOGO,<br />

DAS iSt<br />

HieR Die FRAGe<br />

von bruno Maurer<br />

Haben wir nicht alle schon mal davon geträumt, alles liegen<br />

und stehen zu lassen? Noch mal von vorne zu beginnen? Auf<br />

ins Neue! Auf ins Unbekannte!<br />

Und wenn wir dann genug vom Neuen haben, weil das<br />

Neue schon wieder alt und langweilig geworden ist, dann machen<br />

wir es einfach gleich noch mal!<br />

Aufs Neue! Auf ins Unbekannte! Und wenn wir dann vor<br />

lauter Neuem nicht mehr wissen, wer wir mal waren und wo<br />

unsere Wurzeln geblieben sind, dann werden wir einfach so<br />

lange sesshaft, bis wir zumindest wieder wissen, wer wir sicher<br />

nicht sind und ziehen weiter.<br />

Schön wärs, wenn wir so vogelfrei durch das Leben flattern<br />

könnten.<br />

Ja, die Nomaden, die Vorreiter der Globalisierung, wie wir<br />

sie vom Hörensagen kennen, die gibt es kaum mehr. Und nur<br />

weil wir schon mal den Wohnort gewechselt haben oder ab und<br />

zu in die Ferien fahren, sind wir noch lange keine Nomaden.<br />

Angsthasen sind wir. Angebunden an unsere Arbeit, unser<br />

Haus und unsere Freunde. Das gibt Sicherheit im Leben. Und<br />

auch wenn uns das Leben lehrt, dass es mit Sicherheit keine<br />

Sicherheit gibt, so haben wir doch den Gagg in der Hose, einfach<br />

mal alles liegen zu lassen und weiterzuziehen.<br />

Das lassen wir uns aber nicht anmerken, denn wir freien<br />

Vögel haben schon auch Eier. Wir sind keine Weicheier und<br />

haben kurzerhand den Nomadismus, das Nomadentum oder<br />

wie man dem auch immer sagt, falls man dem überhaupt so<br />

sagt, aber Sie wissen bestimmt, was ich meine, in viele kleine<br />

Sparten unterteilt. So sind einige von uns zum Beispiel sogenannte<br />

Jobnomaden. Das sind diejenigen, die sich nicht an einen<br />

Job binden, sondern immer wieder was Neues ausprobieren,<br />

damit es ihnen nicht langweilig wird. Die Jet­Set­Nomaden.<br />

Die sind immer überall. Oder die Liebesnomaden. Wer<br />

will sich denn heute noch für immer und ewig binden? Lieber<br />

nur Lebensabschnittspartner.<br />

So haben wir alle einen kleinen Nomaden in uns, der uns<br />

das Gefühl gibt, gar nicht so wahnsinnig fest an irgendwas angebunden<br />

zu sein. So können wir doch noch machen, was wir<br />

wollen. Zumindest es bizeli. Es bizeli vogelfrei. Um die Häuser<br />

ziehen und so. Von einer Beiz zur anderen. Und wenn wir mit<br />

50 nicht immer noch bei Mami und Papi wohnen, sind wir<br />

schon weit rumgekommen. Ha!<br />

Und obwohl wir wissen, dass wir, wenn wir die Freiheit für<br />

die Sicherheit aufgeben, grad beides verlieren, stecken wir lieber<br />

den Kopf in den Sand statt durch die Luft zu fliegen und<br />

alles mal von aussen zu betrachten. Ist halt eben sicherer.<br />

Komische Vögel sind wir.<br />

Bruno Maurer ist Komiker. «Die letzte Reise des Philibaster<br />

Gent» ist sein erstes Soloprogramm. – Er war 12 Jahre<br />

mit Pasta del Amore unterwegs. In dieser Zeit hat er<br />

diverse Projekte auf der Bühne, im Film und in der Musik<br />

realisiert. Er lebt auf dem Land in der Nähe von Oberkulm.


EIN KÜNSTLER­<br />

VERBAND STREBT<br />

NACH SESS HAF­<br />

TIGKEIT<br />

von Patrizia Keller<br />

visarte.aargau, die Regionalgruppe des<br />

Berufsverbandes für visuelle Kunst, wird<br />

im Trudelhaus Baden sesshaft.<br />

Mobilität – ein Schlagwort der heutigen Realität: Die<br />

Kunst und ihr Publikum ist heute mobiler denn je.<br />

Die Zwischennutzung, ein Improvisieren in temporären,<br />

urbanen Räumen hat Konjunktur. Weshalb entscheidet<br />

sich nun gerade ein Künstlerverband gegen diesen<br />

Trend unserer Zeit?<br />

Nach fast siebenjähriger Ausstellungstätigkeit in<br />

der Buchhandlung «Goldenes Kalb» in Aarau bespielt<br />

visarte.aargau ab Frühling 2012 die Galerie im Trudelhaus<br />

Baden. Anfang Sommer letzten Jahres sah sich<br />

die Stiftung Hans­Trudel­Haus aus finanziellen Gründen<br />

zum Hausverkauf gezwungen. Einmal mehr sollte<br />

eine Kulturinstitution im Aargau verloren gehen. Es<br />

gründete sich die IG Trudelhaus, um das Haus als<br />

Kultur ort im Kanton zu bewahren. Mit dem Kauf von<br />

Anteilscheinen wurde das Projekt durch zahlreiche<br />

Kulturinteressierte unterstützt. Ende 2011 erhielt die<br />

IG von der Stiftung Hans­Trudel­Haus den Zuschlag<br />

für den Hauskauf. Im März dieses Jahres folgte<br />

schliesslich die offizielle Gründungsveranstaltung der<br />

Genossenschaft Trudelhaus.<br />

Nach der Ära «Goldenes Kalb» fand die erste Ausstellung<br />

von visarte.aargau im Jahr 2012 als Koproduktion<br />

mit dem Kunstraum Baden in dessen Räumlichkeiten<br />

statt. Mit «Mobile Territorien» wurde ein<br />

Thema aufgegriffen, das für unsere Gesellschaft und<br />

zugleich für die damalige Situation der visarte Ausstellungsgruppe<br />

– ohne festes Heim – symptomatisch<br />

war. Gegenüber der Möglichkeit, umherzuziehen und<br />

verschiedene Ausstellungsorte im Kanton zu bespielen,<br />

wurde allerdings die Aussicht auf einen festen Standort<br />

bald bevorzugt. Vorübergehend genutzte Räume<br />

sind zeitgemäss und bieten sicherlich Vorteile. Sie<br />

ermöglichen Kunstschaffenden, auf den Ort zu reagieren.<br />

Sie zeigen Kunst, die in dieser Umgebung funktioniert<br />

und verändern zugleich die Vorstellung, wie<br />

Kunst präsentiert werden muss. Fixe Ausstellungsorte<br />

laufen Gefahr, sich letztendlich zu starren Apparaten<br />

mit mangelnder Innovationsfreude zu entwickeln.<br />

Flüchtigkeit ist ein Zeitphänomen. Galerien und kulturelle<br />

Einrichtungen schliessen oder wechseln ihren<br />

Standort. Junge Kunstschaffende ziehen nicht zuletzt<br />

zu Ausbildungszwecken in die grösseren Schweizer<br />

Städte oder in ausländische Metropolen. Der geografische<br />

Standort des Kantons Aargau bietet eine eher<br />

schwierige Ausgangslage. Insbesondere die Nähe zu<br />

38<br />

Zürich, als eines der momentan dynamischsten Kunstzentren<br />

Europas, begünstigt diese Entwicklung zusätzlich.<br />

Mit den zahlreichen neu hinzugekommenen<br />

Galerien und Off­Spaces bietet dies gerade für junge<br />

Kunst erfolgversprechende Möglichkeiten.<br />

Doch der Aargau als Kulturkanton darf auf eine<br />

lange Tradition zurückblicken. So fand beispielsweise<br />

in den 1970er­Jahren die Auseinandersetzung mit<br />

den neusten Tendenzen der internationalen Kunst, das<br />

Erkunden neuer Ausstellungsformen und die gleichzeitige<br />

Einbindung des schweizerischen Kunstschaffens,<br />

mitunter auch in Aarau statt. Spätestens seit damals<br />

wissen wir, dass die Grossstadt keine unbedingte Voraussetzung<br />

für Kreativität bildet. Zu jener Zeit verabschiedete<br />

der Kanton Aargau zudem eines der grosszügigsten<br />

Stipendienprogramme der Schweiz. Auch heute<br />

agiert der Kanton hinsichtlich seines Engagements<br />

in der Kulturförderung im vorderen Mittelfeld. Mit dem<br />

Umzug ins Trudelhaus lässt sich visarte.aargau in<br />

einer traditionsreichen Kulturinstitution nieder, die für<br />

Ausstellungen qualitativ hochstehender zeitgenössischer<br />

Kunst bekannt ist. Nebst Ressourceneinsparung<br />

bietet der feste Ausstellungsort die Möglichkeit, sich<br />

intensiv auf die Vielfalt des künstlerischen Schaffens<br />

im weitläufigen Kanton zu konzentrieren und diese<br />

längerfristig zu fördern. Mit der Eröffnungsausstellung<br />

«einTrudeln», als Gruppenpräsentation konzipiert,<br />

legt visarte.aargau den Fokus explizit auf diese Breite<br />

und Qualität des Aargauer Kunstschaffens. Gemeinsam<br />

mit den übrigen bereits bestehenden oder vorübergehend<br />

entstehenden kulturellen Stätten können der<br />

Kunststandort Baden sowie die kantonale Kunstszene<br />

gestärkt und der Aargau auch in Zukunft dem Bild als<br />

Kulturkanton gerecht werden.<br />

Patrizia Keller ist Kunsthistorikerin und schreibt derzeit an<br />

ihrer Dissertation an der Universität Zürich. Sie ist Co­Präsidentin<br />

von visarte.aargau und Kuratorin in der Ausstellungsgruppe<br />

von visarte.aargau. Sie lebt in Zürich.


Die KRONe<br />

ALLeR tALKS<br />

von Sibylle greuter<br />

Die Begeisterung am Gesprächeführen sind bei Marianne<br />

Klopfenstein und Walter Vogt schon nach kurzem<br />

Wortwechsel spürbar. Die beiden haben vor acht Jahren<br />

den Kronetalk initiiert. Ausschlaggebend war, dass die<br />

Aarauer Altstadt am Sonntagmorgen wie ausgestorben<br />

scheint. Walter Vogt hatte die Idee, dass man mit einem<br />

Unterhaltungsangebot der bedrückenden Stimmung entgegenwirken<br />

könnte. Gemeinsam mit Marianne Klopfenstein<br />

entwarf er ein Projekt, bei dem Personen aus<br />

der regionalen Wirtschaft, Politik und Kultur zum moderierten<br />

Gespräch eingeladen werden sollten. Damit<br />

fügten sie zwei Dinge zu einem Ganzen: Jeweils am ersten<br />

Sonntagmorgen im Monat wird im Restaurant Krone<br />

in Aarau ein Talk zur allgemeinen Unterhaltung angeboten<br />

und die beiden aus der Organisationsberatung<br />

kommenden Geschäftspartner setzen in kulturellen Veranstaltungen<br />

um, was sie gerne tun und was sie können<br />

– Gespräche führen.<br />

Klein & fein<br />

39<br />

Ein Gesprächsleiter, Gäste, Gläser mit Wasser, Stühle,<br />

ein Publikum und eine grosse Sanduhr. Das ist der Kronetalk.<br />

Das Essenzielle jedoch ist das Gespräch, welches<br />

jeweils von einem der beiden Initianten moderiert wird<br />

– direkt, respektvoll, mit einer Spur Humor und immer<br />

anregend. Im Vordergrund steht das Interesse am Menschen.<br />

«Wir setzen dem Gast die Krone auf», meint Walter<br />

Vogt. Dabei erfolgt die Wahl der Gesprächspartner<br />

jeweils aus persönlichem Interesse und nicht aufgrund<br />

aktueller Vorkommnisse.<br />

Ein Blick auf die Website verrät, wer schon im Kronetalk<br />

zu Gast war: Andy Egli, Pascale Bruderer, Claudia<br />

Storz, Johannes Muntwyler, ja sogar Mike Müller, nebst<br />

vielen anderen. Auch Selma und Klaus Merz haben schon<br />

als Paar am Talk teilgenommen. Oftmals werden jedoch<br />

zwei Gäste aus ganz unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern<br />

eingeladen. So kam es schon vor, dass ein Polizist und<br />

ein Geistheiler oder ein Nationalrat mit einer Vize­Miss­<br />

Schweiz auf den Stühlen sassen. Spannend fanden Marianne<br />

Klopfenstein und Walter Vogt auch das Gespräch<br />

mit dem damaligen Kunsthausdirektor Beat Wismer und<br />

Urs(us) Wehrli, der sich im Zusammenhang mit seinem<br />

Buch «Kunst aufräumen» selbst als «Scherholder» bezeichnete.<br />

Schnittstellen innerhalb der Tätigkeiten und<br />

gemeinsame Interessen lassen sich immer finden. «Wir<br />

stellen im Voraus bewusst nur wenig Recherchen über<br />

eine Person an», verraten die beiden Gastgeber. Man<br />

treffe sich jedoch mit den Eingeladenen eine Viertelstunde<br />

vor der Veranstaltung, trinke Kaffee, bespreche<br />

kurz das Vorgehen und lerne sich kennen.<br />

Frühestens eine halbe Stunde nach Beginn des Talks<br />

wird das Publikum eingeladen, sich einzumischen. Damit<br />

ergibt sich die Möglichkeit, dem Gespräch eine neue<br />

Wendung zu geben. Ein Ende wird der Runde nach fünfviertel<br />

Stunden durch die Sanduhr gesetzt. Es kann anschliessend<br />

beim Apéro weiterdiskutiert werden.<br />

Verändert an der Form, am Ablauf, habe sich in all<br />

den Jahren nicht viel. Kindertalks habe es schon gegeben,<br />

mal habe man einen Talk zwölf Stunden aneinander<br />

moderiert und irgendeinmal habe man beschlossen,<br />

auch Personen einzuladen, die national bekannt sind.<br />

Und wie geht es weiter beim Kronetalk? Viele wurden<br />

schon gekrönt und an Ideen für Gesprächspartner fehle<br />

es weiterhin nicht. Zu Beginn habe man davon gesprochen,<br />

die Veranstaltungsreihe zehn Jahre lang durchzuführen,<br />

doch sei noch nichts festgelegt. Wer jedoch in<br />

der letzten Veranstaltung auf den Stühlen der Gäste sitzen<br />

wird, das wissen Marianne Klopfenstein und Walter<br />

Vogt schon heute – sie selber.<br />

Die nächsten Kronetalks finden am 3. Juni (mit Gabi Wartmann,<br />

reformierte Pfarrerin, und Stephan Reinhardt, Polizeikommandant)<br />

und am 16. September (mit Susanne Hochuli)<br />

jeweils um 11 Uhr im Restaurant Krone Aarau statt.<br />

www.klopfenstein­vogt.ch<br />

Sibylle Greuter wohnt in Suhr und studiert Germanistik,<br />

Kunstgeschichte und Publizistik.


Das Statistische Jahrbuch des Kantons Aargau 2011 informiert<br />

über die aktuellen Entwicklungen anhand von 21 Themenbereichen<br />

der öffentlichen Statistik. Anna Deér und Pino Dietiker haben<br />

in der fünften Folge das Kapitel 19 zu «Kriminalität, Strafrecht<br />

und Rechtspflege», Seiten 199–210, illustrativ und textlich<br />

verarbeitet.<br />

DAS KANtONALe<br />

VeRBReCHeN<br />

von Pino DietiKer, text, unD anna Deér, illuStration<br />

Im Aargau, sagte der Richter, sind achttausend einhundertdreiundneunzig<br />

Verbrecher. Im Aargau, sagte der<br />

Richter zum Angeklagten, wird alle sechzehn Minuten<br />

und vier Sekunden gegen das Strafgesetzbuch verstossen,<br />

alle drei Stunden und siebzehn Minuten, sagte der<br />

Richter zum Angeklagten, wird im Aargau eingebrochen.<br />

Das kantonale Verbrechen, sagte der Richter zum Angeklagten,<br />

es droht in Bahnhofsunterführungen, auf Raserstrecken<br />

und Strassenstrichen, in den Wäldern der<br />

Notzucht lauert es, in den Winkeln und Nischen des<br />

Rauschgifthandels braut es sich zusammen und in den<br />

Strickschlingen, auf den Schienensträngen der Selbsttötung,<br />

es gärt in Vorstädten, Seitengassen, Hinterhöfen<br />

und da, wo der Rechtsstaat bröckelt, wo die Gesellschaft<br />

ausfranst: das interkommunale, bezirksübergreifende,<br />

kantonsweite Verbrechen.<br />

Im Aargau, sagte der Richter, sind achttausend einhundertdreiundneunzig<br />

Verbrecher. Im Aargau, sagte<br />

der Richter zum Angeklagten, wird alle zwei Stunden<br />

und fünfzehn Minuten gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />

verstossen, alle drei Tage und dreiundzwanzig Stun­<br />

rübezahl<br />

40<br />

den, sagte der Richter zum Angeklagten, wird im Aargau<br />

geraubt. Das kantonale Verbrechen, sagte der Richter<br />

zum Angeklagten, es harrt in Vollzugsanstalten aus, es<br />

sammelt sich hinter Stahltüren, Stacheldrähten, Gitterstäben<br />

und durch Gefängnishöfe, durch Hochsicherheitstrakte<br />

schleicht es sich, es schweigt sich in Verhörzimmern<br />

aus und in den Schachtelsätzen der Gerichtskorrespondenz<br />

verbirgt es sich, in den Schnörkelphrasen<br />

der Kanzleisprache und da, wo die Gesetzeslücken klaffen,<br />

wo die Dunkelziffern schummern: das interkommunale,<br />

bezirksübergreifende, kantonsweite Verbrechen.<br />

Im Aargau, sagte der Richter, sind achttausend einhundertdreiundneunzig<br />

Verbrecher. Im Aargau, sagte<br />

der Richter zum Angeklagten, wird alle zwei Tage und<br />

zwölf Stunden ein Selbstmord versucht, alle dreissig<br />

Tage und zehn Stunden, sagte der Richter zum Angeklagten,<br />

wird im Aargau getötet. Das kantonale Verbrechen,<br />

sagte der Richter zum Angeklagten, es krallt sich<br />

an den Tastballen der Taschendiebe fest, es beizt sich<br />

in die Windungen und Verzweigungen ihrer Papillarleisten,<br />

in die Lederhautrillen ihrer Fingerkuppen ein und<br />

durch die Hirnrinden der Zechpreller, durch die Scheitellappen<br />

der Meuchelmörder frisst es sich, es nistet sich<br />

in Sinneszellen, Nervenfasern, Hinterhauptsgruben ein<br />

und da, wo die Gewissensbisse nagen, wo die Beweislast<br />

erdrückt: das interkommunale, bezirksübergreifende,<br />

kantonsweite Verbrechen.<br />

Anna Deér macht den Gestalterischen Vorkurs. Sie lebt in<br />

Luzern und Beinwil am See.<br />

Pino Dietiker schreibt und studiert Geschichte und Deutsch.<br />

Er lebt in Aarau.


iDeeN GeSUCHt FÜR<br />

tRiNAtiONALe KULtURpROJeKte<br />

AM OBeRRHeiN<br />

Die Schweizer Kulturstiftung<br />

Pro Helvetia initiiert ein grenzüberschreitendesKulturaustauschprogramm<br />

in Partnerschaft<br />

mit verschiedenen Städten<br />

und Gebietskörperschaften<br />

in Baden­Württemberg, dem Elsass,<br />

dem Territorium von Belfort<br />

und der Nordwestschweiz,<br />

darunter auch dem Kanton Aargau.<br />

Diesen Sommer können<br />

professionelle kulturelle Veranstalter<br />

im Rahmen einer Ausschreibung<br />

trinationale Projekt ­<br />

ideen für Ende 2013 / Anfang<br />

2014 eingeben.<br />

Nähere Informationen zu<br />

den Kriterien und Eingabefristen<br />

finden sich ab Ende<br />

Juni 2012 auf:<br />

www.prohelvetia.ch und<br />

www.kulturkanton.ch.<br />

LANDJäGeR –<br />

60 StReiFZÜGe DURCH<br />

Die SCHweiZ<br />

Die luftgetrocknete Deutschschweizer<br />

Rohwurst hat sich<br />

auf die Pirsch ins Schweizer<br />

Hinterland begeben und die<br />

kulturelle Vielfalt anhand von<br />

Dörfern aus allen Landesteilen<br />

der Schweiz erkundet. Ganz<br />

nach dem Motto: Hinaus an die<br />

frische Luft, hinein in die Provinz<br />

und ran an den Stammtisch.<br />

«Landjäger – 60 Streifzüge<br />

durch die Schweizer Dorflandschaft»,<br />

in der 3. Auflage<br />

als praktisches Taschenbuchformat<br />

erschienen, macht 60<br />

Dörfer, die nicht mehr als 2500<br />

Einwohner haben, bekannt.<br />

Dörfer fernab von Agglomerationswuchs<br />

und touristischer Belagerung,<br />

die bis in die heutige<br />

Zeit einen eigenständigen Charakter<br />

bewahren konnten, und<br />

die gerade deshalb eine spannende<br />

Mischung an Authentizität<br />

und Neuentdeckungen zu<br />

bieten haben.<br />

www.landjagd.ch<br />

Erhältlich u. a. in den<br />

Buchhandlungen Librium<br />

Baden und Mattmann AG<br />

Zofingen.<br />

VeRwALteteS LeBeN – Die<br />

«KiNDeR DeR LANDStRASSe»<br />

<strong>UND</strong> iHRe AKteN<br />

Die Aktion «Kinder der Landstrasse»<br />

der Stiftung Pro Juventute<br />

ist eines der dunkelsten Kapitel<br />

in der Schweizer Geschichte<br />

und steht für die Diskriminierung<br />

der fahrenden Minderheit.<br />

Zwischen 1926 und 1973<br />

brachte die Stiftung mit Hilfe<br />

der Behörden Kinder aus sogenannten<br />

«Vagantenfamilien»<br />

in Pflegefamilien, Heimen und<br />

Anstalten unter. Die Kinder und<br />

ihre Eltern wurden beobachtet<br />

und bewertet, ihr Leben in Akten<br />

verwaltet. Die Ausstellung<br />

zeigt, was Akten bewirken können,<br />

und sie soll dazu beitragen,<br />

dass das Geschehene nicht<br />

in Vergessenheit gerät. Die Ausstellung<br />

ermöglicht einen multimedialen<br />

Zugang zur Thematik.<br />

Für Schulklassen werden<br />

spezielle Workshops angeboten,<br />

für Gruppen Führungen sowie<br />

Gespräche mit einem ehemaligen<br />

«Kind der Landstrasse».<br />

Haus zum Rech, Neumarkt<br />

4, Zürich, Montag bis Freitag<br />

8–18 Uhr, Samstag<br />

10–16 Uhr, Feiertage<br />

geschlossen. Bis 14. Juli<br />

2012, Eintritt frei.<br />

CLAUDiA wALDNeR<br />

iM SCHAU!FeNSteR<br />

FÜR AKtUeLLe KUNSt<br />

iN SACHSeLN<br />

Die zwei Schaufenster und ein<br />

Zimmer des alten Hauses an<br />

der Bahnhofstrasse 6 in Sachseln,<br />

Kanton Obwalden, werden<br />

in jährlich vier Ausstellungen<br />

mit aktueller Kunst aus dem<br />

In­ und Ausland bespielt. So<br />

wird an der von Pendlerinnen<br />

und Pendlern, aber auch von<br />

zahlreichen Spaziergängerinnen<br />

und Spaziergängern, rege<br />

begangenen Strasse Raum für<br />

Begegnung und Auseinandersetzung<br />

mit zeitgenössischer<br />

Kunst geschaffen. Aktuell sind<br />

noch bis 15. Juli 2012 Arbeiten<br />

von Claudia Waldner zu sehen.<br />

schau!fenster, Bahnhofstrasse<br />

6 in Sachseln<br />

Täglich offen von 6–23 Uhr<br />

www.bahnhofstrasse6.ch<br />

www.claudiawaldner.com<br />

hinweiSe<br />

41<br />

OFFeNe BÜHNe <strong>UND</strong><br />

OFFeNe LeiNwAND<br />

iM ODeON BRUGG<br />

Reif für die Bühne sind Nachwuchstalente<br />

aus den Bereichen<br />

Kleinkunst, Musik und Literatur<br />

mit eigenen Produktionen, Kompositionen<br />

und Texten. Sie stellen<br />

ihr Können am Freitag, 8.<br />

Juni 2012 ab 18 Uhr im Kulturhaus<br />

Odeon unter Beweis. Genug<br />

im Keller gejammt oder in<br />

der Küche geslammt! Der maximal<br />

15­minütige Auftritt wird<br />

vom Publikum und von einer<br />

Jury bewertet. Als Gewinn lockt<br />

ein Auftritt mit Gage im ODE­<br />

ON in der kommenden Saison!<br />

Und am Sonntag, 10. Juni<br />

2012 zeigt das Cinema Odeon<br />

ab 17 Uhr zum siebten Mal<br />

Kurzfilme aus dem Publikum.<br />

Wer einen Film gemacht hat,<br />

der maximal 20 Minuten lang<br />

ist, erhält damit die Gelegenheit,<br />

diesen mal auf der grossen<br />

Leinwand zu zeigen. Die Filmemacher/innen<br />

sind anwesend.<br />

Eintritt frei.<br />

www.odeon­brugg.ch<br />

weMAKeit.CH –<br />

CROwDF<strong>UND</strong>iNG MADe<br />

iN SwitZeRLAND<br />

Seit Anfang Februar ist die erste<br />

Schweizer Crowdfunding­Plattform<br />

für Kunst­, Musik­, Film­,­<br />

Design­ und Crossover projekte<br />

online. Crowdfunding, ist ein internetbasiertesFinanzierungsmodell,<br />

bei dem Fans, Freunde<br />

und Bekannte mit kleinen<br />

Geldbeiträgen für ein Projekt<br />

aufkommen. Als Dank erhalten<br />

sie individuelle Belohnungen<br />

wie Einladungen, signierte Bücher,<br />

limitierte Editionen von<br />

Bildern und Fotografien, was<br />

immer sich die Künstlerinnen<br />

ausgedacht haben. Crowdfunding<br />

ist somit eine Ergänzung<br />

zur öffentlichen Kulturförderung.<br />

Die Plattform eignet sich<br />

für kleinere kreative Projekte.<br />

Aus einer Idee kann in wenigen<br />

Tagen ein Projekt entstehen<br />

und online gebracht werden.<br />

wemakeit.ch wurde von<br />

Jürg Lehni, Johannes Gees<br />

und Rea Eggli gegründet.<br />

www.wemakeit.ch<br />

ZwiSCHeN NOMA -<br />

DiSMUS <strong>UND</strong> SeSSHAFtiGKeit:<br />

DAS ASO<br />

In der kommenden Saison feiert<br />

das Aargauer Symphonie Orchester<br />

sein 50­Jahr­Jubiläum<br />

mit besonderen Veranstaltungen<br />

und Projekten. Für alle, die<br />

mit ihrem Instrument einmal<br />

am Konzertbetrieb teilnehmen<br />

möchten, öffnet das ASO am 1.<br />

September 2012 seine Türen:<br />

In einer öffentlich zugänglichen<br />

Orchesterprobe werden Ausschnitte<br />

aus dem sinfonischen<br />

Repertoire einstudiert. Zudem<br />

gibt es neben dem Jubiläumskonzert<br />

eine Wandersausstellung<br />

und eine CD­Einspielung,<br />

die das Aargauer Musikschaffen<br />

zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

dokumentiert. Dieter Ammann<br />

ist als ausgezeichneter zeitgenössischer<br />

«Komponist der Saison»<br />

während des Jubeljahrs mit<br />

verschiedenen Werken präsent.<br />

Es werden namhafte Solistinnen<br />

und Solisten auftreten.<br />

www.aso­ag.ch<br />

SpUCKeN VeRBOteN!<br />

<strong>UND</strong> wANDeRN AUF DeR<br />

BARMeLweiD<br />

Am 1. Juli 1912 öffnete die Volksheilstätte<br />

Barmelweid ihre Tore,<br />

um den Kampf gegen die Tuberkulose<br />

mit Liegekuren und Sonnenbädern<br />

aufzunehmen. Die<br />

Tuberkulose, damals eine weitver<br />

breitete Volkskrankheit, ist<br />

heute selten geworden. Eine<br />

Ausstellung schickt die Besucher<br />

auf eine Reise durch die 100­jährige<br />

Geschichte der Klinik. Ob<br />

Schneckensirup oder neue Antibiotika<br />

wirkten und wie man<br />

mit einer rigiden Hausordnung<br />

eine verbesserte Spuckdisziplin<br />

zu erreichen versuchte, erfährt<br />

man bis Ende Jahr in der<br />

Ausstellung «Spucken verboten».<br />

Die Klinik hat die Wanderparcours<br />

in ihrer Umgebung<br />

neu beschildert und im Wanderführer<br />

«Naturwandern auf der<br />

Barmelweid» zusammengefasst.<br />

14 Wanderrouten laden ein, die<br />

Umgebung zu erwandern.<br />

Spucken verboten!, täglich<br />

von 8–20 Uhr, Klinik Barmelweid<br />

Der Wanderführer ist in<br />

der Klinik erhältlich.


Der Literaturklassiker auf dem<br />

Bauernmarkt, im Spannungsfeld zwischen<br />

heiler Welt und moderner Schweiz.<br />

Vorverkauf: www.spielträume.ch<br />

ALLe VeRANStALtUNGeN AUF<br />

www.JULiMAGAZiN.CH<br />

IM SOMMER<br />

8. August – 15. September 2012<br />

Von den Höhepunkten der Kirchenmusik über Mahlers «Auferstehungssinfonie»<br />

bis zu Schönbergs Oper «Moses und Aron»: Unter dem Motto<br />

«Glaube» erkundet LUCERNE FESTIVAL im Sommer das Verhältnis von<br />

Musik, Religion und Spiritualität.<br />

Bestellen Sie unser Programm<br />

und sichern Sie sich jetzt Ihre Tickets unter<br />

www.lucernefestival.ch<br />

Zürcher Fachhochschule<br />

Zürcher Hochschule<br />

für Angewandte Wissenschaften<br />

Info-Veranstaltung<br />

MAS Arts Management<br />

Dienstag, 12. Juni 2012, 18.15 Uhr<br />

Stadthausstrasse 14, SC 05.77, 8400 Winterthur<br />

Start der 14. Durchführung: 18. Januar 2013<br />

School of<br />

Management and Law<br />

ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur<br />

Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 54<br />

www.zkm.zhaw.ch<br />

Building Competence. Crossing Borders.<br />

Zürcher Fachhochschule


ANDREAS RÖSLI<br />

Betriebsökonom HWV / Kulturmanager CAS<br />

Pemag Treuhand AG<br />

Stahlrain 6 / 5201 Brugg<br />

+41 (0)56 442 95 28 andreas.roesli@pemag.ch<br />

Mitglied des Schweizerischen Treuhänder-Verbandes STV/USF<br />

www.kulturmanagement.org<br />

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geben wir den Ton an.<br />

Mit Energie bereit für morgen<br />

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Tel. Küttigen<br />

062 827 03 30<br />

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www.effingerhof.ch


Von Cattelan bis Zurbarán<br />

Manifeste des prekär Vitalen<br />

01 juni–02 sept.<br />

2012<br />

Heimplatz 1<br />

offen Sa/So/Di 10–18<br />

Mi/Do/Fr 10–20<br />

Urs Fischer, Noisette, 2009<br />

Collection of Anne Faggionato, Monaco<br />

© Urs Fischer<br />

www.kunsthaus.ch

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