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SCHWERPUNKT: MARKEN _VOLKSBÜHNE<br />
Die<br />
Zielgruppe<br />
bin ich<br />
110 BRAND EINS 02/05
SCHWERPUNKT: MARKEN<br />
Wie macht man ein antikapitalistisches<br />
Avantgarde-Theater zu einer starken Marke?<br />
Indem man alle gängigen Regeln der Markenführung ignoriert.<br />
Die Agentur LSD führt an der Berliner Volksbühne vor,<br />
wie das geht.<br />
Text: Peter Laudenbach<br />
Foto: Heji Shin<br />
BRAND EINS 02/05<br />
111
SCHWERPUNKT: MARKEN _VOLKSBÜHNE<br />
„Der Unterschied zwischen<br />
Erfolg und Misserfolg<br />
ist Penetranz.“<br />
Ivan Nagel, Theaterwissenschaftler und früherer<br />
Theater-Intendant<br />
Oben: Die Agentur LSD. Von links: Jürgen Fehrmann, Bert Neumann<br />
und Lenore Blievernicht<br />
Vorige Seiten: Plakate und Logo der Volksbühne<br />
• Wenn in Aufführungen der Berliner Volksbühne die Welt der<br />
Waren und Marken ins Spiel kommt, bleiben gezielte Geschmacklosigkeiten<br />
nicht aus. Da tänzelt eine Schauspielerin als lebende<br />
McDonald’s-Fritten-Packung über die Bühne. Schauspieler spielen<br />
armselige Arbeitslose, die T-Shirts mit groß aufgedruckten<br />
Marken-Logos tragen, von Chanel bis Deutsche Bank – es sieht<br />
aus, als trügen sie ihre geplatzten Lebensträume vor sich her.<br />
Manchmal erklärt sich auch ein Schauspieler selbst zur Ware,<br />
dann brüllt er ins Publikum: „Ich will mich verkaufen!“ Und wenn<br />
eine Plakatwand mit Werbung für Luxusartikel auf der Bühne auftaucht,<br />
ist das garantiert hämisch gemeint, erst recht, wenn die<br />
Wand plötzlich zur Leinwand wird, auf der ein Hardcore-Porno<br />
läuft. Im Volksbühnen-Universum ist Werbung nicht hip, sondern<br />
obszön, Kapitalismus eine Zumutung, und Marken sind absolut<br />
das Letzte.<br />
Das hat die Volksbühne allerdings nicht daran gehindert, sich<br />
selbst zu einer starken Marke zu machen. Wer sich auch nur vage<br />
für Kultur interessiert, kennt zumindest den Namen der Berliner<br />
Institution. Und hat davon gehört, dass es sich um das extremste<br />
Theater Deutschlands handeln soll, wo auch mal Obdachlose auftreten<br />
oder Diskussionsabende mit dem Titel „Kapitalismus und<br />
Depression“ stattfinden. In der Sprache der Volksbühne nennt<br />
man das allerdings nicht Markenbildung, sondern „Gesamtkunstwerk“,<br />
und statt Zielgruppe heißt es „Szene“. Dabei ist die starke<br />
Marke ein Ergebnis klar definierter Entscheidungen. Kein anderes<br />
Theater in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren<br />
so konsequent als Label inszeniert, keine andere Bühne hat so früh<br />
und deutlich auf eine klar umrissene Zielgruppe gesetzt und ganz<br />
nebenbei neue, mittlerweile oft kopierte Formen des Theatermarketings<br />
entwickelt – von Kinowerbung bis zu Give-aways,<br />
etwa Streichholzschachteln oder Kondomen in Verpackungen mit<br />
der hilfreichen Aufschrift „Rein-Raus“.<br />
Ein nicht unwichtiger Nebeneffekt der Markenbildung war<br />
die Verringerung des Risikos: Indem sich die Volksbühne als aufregendes<br />
Gesamtkunstwerk inszenierte, konnte sie verunglückte<br />
Theaterproduktionen besser auffangen als Bühnen, die sich nur<br />
über den Erfolg der jeweiligen Premieren definieren. „Ich kenne<br />
kein anderes Theater, das schon Anfang der neunziger Jahre im<br />
Marketing so konsequent auf das Gesamt-Image des Hauses<br />
gesetzt hat und nicht auf ein einzelnes Produkt, also eine Insze-<br />
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SCHWERPUNKT: MARKEN<br />
nierung“, sagt die Expertin für Kulturmanagement Birgit Mandel<br />
von der Universität Hildesheim. „Viele andere Theater haben<br />
inzwischen begonnen, mit Image-Werbung zu arbeiten. Doch die<br />
Volksbühne hat das als Erste gemacht. Vielleicht weil sie als Erste<br />
gespürt hat, dass sich die Zielgruppe heute anders definiert. Das<br />
klassische Theaterpublikum, das Bildungsbürgertum, ist dabei,<br />
auszusterben.“<br />
Es geht im Theater und in der Werbung um<br />
dasselbe: ein ehrliches Kommunikationsangebot<br />
Weil die Volksbühne von Anfang an auf ein anderes Publikum<br />
zielte – Szenegänger, Jugendliche, Leute, die eher ins Kino oder<br />
in Clubs gehen – war sie gezwungen, neue Kommunikationswege<br />
zu entwickeln, zum Beispiel mit Plakaten, die aussehen, als<br />
kündigten sie Rockkonzerte oder politische Demonstrationen an.<br />
Und weil solche Plakate schwarz geklebt glaubwürdiger wirken<br />
als auf bezahlten Werbeflächen, plakatiert die Volksbühne am<br />
liebsten in der halb legalen Grauzone.<br />
Seit 13 Jahren, seit dem Neubeginn an der Volksbühne unter<br />
der Intendanz von Frank Castorf, prägt die Berliner Graphikagentur<br />
LSD das Image des Theaters. Das neue Büro von LSD<br />
(„Last Second Design“), eine winzige Ladenwohnung im Szeneviertel<br />
Prenzlauer Berg, ist bei unserem Treffen noch nicht eingerichtet,<br />
das Gespräch findet auf dem Boden sitzend statt. Im<br />
Keller stapeln sich Archivkisten und Bücherberge des Synwolt<br />
Verlags, einem Seitenprojekt der LSD-Mitgründerin Lenore<br />
Blievernicht.<br />
Ihre Entstehung verdankt die Agentur der Tatsache, dass die<br />
Verantwortlichen der Volksbühne mit dem, was die Werbeprofis<br />
von Springer & Jacoby bei einem ersten Arbeitstreffen erzählten,<br />
nicht viel anfangen konnten. Also entwarf Bert Neumann, der<br />
Chefbühnenbildner und neben Castorf wichtigste Mann der<br />
Volksbühne, selbst Plakate und gründete zusammen mit Lenore<br />
Blievernicht, seiner Frau, LSD. Neben Neumann, einem höflichen<br />
Mann, dem man ansieht, dass er entschieden zu viel arbeitet, und<br />
Lenore Blievernicht, einer so energischen wie herzlichen Frau, die<br />
dauernd neue Ideen entwickelt und die LSD-Philosophie gern mit<br />
kämpferischen Statements erklärt, gehört heute Jürgen Fehrmann<br />
zur Kernmannschaft, ein schweigsamer Mensch und der einzige<br />
gelernte Grafiker im Grafikbüro.<br />
„Uns hat interessiert, mit massenhaft verbreiteten Postern<br />
etwas in der Stadt zu kommunizieren. Über Wirkungsmechanismen<br />
haben wir uns keine großen Gedanken gemacht“, sagt Neumann<br />
über die Anfänge. Daran, dass ihn Wirkungsmechanismen,<br />
also der einzige Zweck normaler Werbung, nicht weiter inte- 3<br />
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SCHWERPUNKT: MARKEN _VOLKSBÜHNE<br />
Das Büro von LSD. Der LSD-Mitgründer Bert Neumann<br />
sagt über die Mitarbeiter der Agentur: „Ich finde den Begriff Amateur<br />
ganz gut. Der Profi macht es, weil es sein Beruf ist, der Amateur<br />
macht es aus Liebe.“<br />
ressieren, hat sich nichts geändert. Für Dinge wie Marktforschung,<br />
Zielgruppenanalysen oder Effizienz von Kampagnen haben die<br />
LSD-Erfinder Blievernicht und Neumann bestenfalls Verachtung<br />
übrig. Letztlich wollen sie vor allem Leute mit einem ähnlichen<br />
Geschmack ansprechen – andere könnten mit dem Theater der<br />
Volksbühne vermutlich ohnehin nicht viel anfangen. Weil es um<br />
ein ehrliches Kommunikationsgebot geht und nicht um das möglichst<br />
geschickte Abschöpfen von Kaufkraft auf dem Erlebnismarkt,<br />
will man im LSD-Büro von den üblichen Marketing-Instrumenten<br />
nichts wissen.<br />
„Man muss sich gegen ein Denken in Statistiken wehren. Ein<br />
Künstler fragt auch nicht, bevor er anfängt zu malen, wem sein<br />
Bild wohl gefallen wird. Die Werbung der Volksbühne war von<br />
Anfang an eine Behauptung, keine irgendwie clever ausgedachte<br />
Strategie“, sagt Lenore Blievernicht, und es klingt nicht, als hätte<br />
sie Lust, sich bei ihren Auftraggebern anzubiedern. „Was wir<br />
machen, ist extrem subjektiv. Das ist auch das Einzige, was ich<br />
kann. Für das Schauspielhaus Bochum haben wir eine ganz andere<br />
Werbung gemacht als für die Volksbühne, weil der damalige Intendant,<br />
Leander Haußmann, ein ganz anderer Mensch ist als<br />
Castorf. Das Logo, das wir für Bochum entworfen haben, war<br />
ein rotes Herz, das passte zu Leander Haußmann. In Basel hat<br />
uns die Schweizer Typografie beeinflusst, das haben wir aufgenommen,<br />
als wir für das Theater Basel gearbeitet haben. Aber<br />
meine Marktforschung sah in Basel so aus, dass ich in der Stadt<br />
rumgelaufen und Straßenbahn gefahren bin.“<br />
Die Konzepte des Theaters und des Marketings<br />
haben eine Quelle: die Pädogogik der DDR<br />
www.volksbuehne-berlin.de<br />
www.lsd-berlin.com<br />
www.synwolt-verlag.de<br />
Literatur:<br />
Lenore Blievernicht, Jürgen Fehrmann, Bert Neumann (Hrsg.):<br />
LSD Berlin, Gebrauchsgrafik und Fotografie.<br />
Synwolt Verlag; Berlin, 2004; 600 Seiten; 31,50 Euro<br />
Die üblichen Diskussionen mit Kunden, die Rituale der Abnahmen,<br />
Korrekturen und Präsentationen werden von LSD am liebsten ignoriert.<br />
Blievernicht: „Wenn die Marketingchefin eines Auftraggebers<br />
sich blaue Schrift auf dem Plakat wünscht, würde ich sie gerne in<br />
die nächste Boutique schicken, damit sie sich ein schönes blaues<br />
Kleid kaufen kann und mich mit ihrem Blau in Ruhe lässt. Die soll<br />
meine Entwürfe nehmen oder es lassen. Ich will nicht von jedem<br />
geliebt werden, ich bin kein Dienstleister. Mitte der Neunziger gab<br />
es ab und zu Anfragen aus der Industrie, aber die haben wir abgelehnt.<br />
Das hätte nicht funktioniert. Weil wir klein geblieben sind,<br />
können wir uns das leisten. Wenn du eine große Agentur hast,<br />
musst du sehen, dass der Umsatz stimmt. In so eine Situation will<br />
ich mich nicht begeben.“ Das würde LSD auch daran hindern, eine<br />
alte Idee der Werbung umzudrehen. Tut die Werbung seit den achtziger<br />
Jahren so, als wäre sie Kunst, benutzen die LSD-Künstler<br />
Werbemedien, um ihre Art von Kunst zu verbreiten.<br />
Eine typische Image-Kampagne für die Volksbühne bestand<br />
aus Plakaten, auf denen trostlose Stadtlandschaften zu sehen<br />
waren, Brachen, urbane Nicht-Orte, menschenleere Hochhaussiedlungen.<br />
Kein Hinweis auf Theateraktivitäten, stattdessen stand<br />
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