Hereditäre Tubulopathien mit Diuretika-ähnlichem Salzverlust
Hereditäre Tubulopathien mit Diuretika-ähnlichem Salzverlust
Hereditäre Tubulopathien mit Diuretika-ähnlichem Salzverlust
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Arnold Köckerling<br />
Martin Konrad<br />
Hannsjörg W. Seyberth<br />
Key words: Hereditary tubulopathy, Bartter syndrome,<br />
salt loss, ion transport, Indometacin<br />
Inherited salt-losing tubulopathies – often referred to as<br />
Bartter syndrome – must be considered in cases of severe<br />
fluid and electrolyte disturbance in the neonate. These disorders<br />
include a number of genetically and pathophysiologically<br />
distinct entities caused by different defects of tubular<br />
ion transport. Three groups of hereditary salt wasting can be<br />
M E D I Z I N<br />
AKTUELL<br />
<strong>Hereditäre</strong><br />
<strong>Tubulopathien</strong> <strong>mit</strong><br />
<strong>Diuretika</strong>-<strong>ähnlichem</strong><br />
<strong>Salzverlust</strong><br />
ZUSAMMENFASSUNG<br />
Stichwörter: <strong>Hereditäre</strong> <strong>Tubulopathien</strong>, Bartter-<br />
Syndrom, <strong>Salzverlust</strong>, Ionentransport, Indometacin<br />
Angeborene <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong> – bisher häufig<br />
unter dem Begriff Bartter-Syndrom zusammengefaßt –<br />
müssen insbesondere in der Neonatalperiode als Ursache<br />
für Entgleisungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts in<br />
Betracht gezogen werden. Neue molekulargenetische und<br />
pharmakologische Studien konnten nachweisen, daß es<br />
sich um mehrere, pathophysiologisch eigenständige Erkrankungen<br />
des tubulären Ionentransportes handelt. Klinisch<br />
können drei Gruppen <strong>mit</strong> hereditärem<br />
renalem <strong>Salzverlust</strong> unterschieden<br />
werden. Dabei gleichen Symptomatik sowie biochemische<br />
und pharmakologische Merkmale dem Bild einer<br />
Langzeitbehandlung <strong>mit</strong> Schleifendiuretika, Thiaziden<br />
oder Kalium-sparenden <strong>Diuretika</strong>. Die Therapie der<br />
<strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong> umfaßt neben einer adäquaten<br />
Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution die Suppression<br />
der sekundär erhöhten Prostaglandinsynthese <strong>mit</strong> Indometacin.<br />
SUMMARY<br />
distinguished. The clinical appearances as well<br />
as biochemical and pharmacological characteristics<br />
resemble long-term exposure to loop diuretics, thiazide<br />
diuretics, and potassium-saving diuretics, respectively. The<br />
treatment of these salt-losing tubulopathies includes adequate<br />
supplementation with fluid and electrolytes as well<br />
as suppression of secondary prostaglandin formation with<br />
indometacin.<br />
Bartter beschrieb Anfang der<br />
sechziger Jahre zwei Patienten<br />
<strong>mit</strong> kongenitalem renalem<br />
<strong>Salzverlust</strong>, normotensiver<br />
Hyperreninämie, Hyperaldosteronismus<br />
und hypokaliämischer Alkalose<br />
(4). Wenige Jahre später berichtete<br />
Gitelman über ein ähnliches Krankheitsbild<br />
<strong>mit</strong> den zusätzlichen Merkmalen<br />
einer Hypomagnesiämie und<br />
Hypokalziurie (18). Im weiteren Verlauf<br />
wurden insbesondere von pädiatrischen<br />
Arbeitsgruppen (15, 39, 48)<br />
mehrere Varianten des Bartter-Syndroms<br />
<strong>mit</strong> pränataler Manifestation<br />
publiziert. Die Nomenklatur dieser<br />
hereditären <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong><br />
erfolgte dabei nach den als jeweils<br />
charakteristisch angesehenen klinischen<br />
Symptomen oder biochemischen<br />
Merkmalen. Durch die unterschiedlichen<br />
Vorstellungen zur Pathogenese<br />
entstand so eine Vielzahl<br />
von zumeist deskriptiven Bezeichnungen<br />
für einige klinisch sehr ähnliche<br />
Krankheitsbilder (57) (Tabelle 1).<br />
Schließlich gelang es <strong>mit</strong> Hilfe der<br />
Abteilung für Allgemeine Kinderheilkunde<br />
(Leiter: Prof. Dr. med. Hannsjörg W.<br />
Seyberth), Universitäts-Kinderklinik, Marburg.<br />
Molekulargenetik, verschiedene epitheliale<br />
Transportdefekte als primäre<br />
Ursache für eine <strong>Salzverlust</strong>-Tubulopathie<br />
zu identifizieren (10, 27, 53, 54,<br />
55, 58). In Anlehnung an das jeweils<br />
defekte Transportprotein erhielten<br />
diese Erkrankungen in der Folge zusätzlich<br />
molekularbiologische Bezeichnungen<br />
(Tabelle 1).<br />
Da es sich bei den hereditären<br />
<strong>Tubulopathien</strong> um seltene Erkrankungen<br />
handelt (Inzidenz etwa 1 :<br />
50 000), ist für die medizinische Betreuung<br />
einzelner Patienten sowie für<br />
die Durchführung wissenschaftlicher<br />
Studien eine Kooperation verschiedener<br />
Kliniken und Fachrichtungen<br />
wichtig. Die dazu erforderliche Kommunikation<br />
zwischen Geburtshelfern,<br />
Neonatologen, Nephrologen, Epithelphysiologen<br />
und Genetikern kann<br />
durch eine einheitliche, klinisch-pathophysiologisch<br />
ausgerichtete Klassifikation<br />
deutlich verbessert werden.<br />
Unter diesem Aspekt erscheint die<br />
Einteilung der <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong><br />
in einen Furosemid-Typ, einen<br />
Thiazid-Typ und einen Amilorid-Typ<br />
sinnvoll.<br />
Furosemid-Typ<br />
Der Furosemid-Typ (FSLT: Furosemide-like<br />
salt-losing tubulopathy)<br />
wird bisher als Hyperkalziurisches<br />
Bartter-Syndrom, Hyper-Prostaglandin-E-Syndrom<br />
oder Antenatales<br />
Bartter-Syndrom bezeichnet (13, 15,<br />
39, 48). Es handelt sich typischerweise<br />
um ein schweres Krankheitsbild, daß<br />
sich bereits pränatal manifestiert (Tabelle<br />
2). Die fetale Polyurie führt gegen<br />
Ende des zweiten Schwangerschafts-Trimenons<br />
zur Ausbildung eines<br />
Polyhydramnions und da<strong>mit</strong> zur<br />
Frühgeburtlichkeit. Postpartal zeigt<br />
sich ein exzessiver renaler Kochsalzverlust<br />
<strong>mit</strong> Iso- oder Hyposthenurie<br />
und einer massiven Polyurie. Dagegen<br />
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998 (33)<br />
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M E D I Z I N<br />
AKTUELL<br />
ist die renale Kaliumexkretion initial<br />
noch normal (29). In dieser ersten<br />
Phase steht eine hyponatriämische<br />
Dehydratation im Vordergrund, so<br />
daß differentialdiagnostisch auch eine<br />
<strong>Salzverlust</strong>-Tubulopathie vom Amilorid-Typ<br />
(Pseudohypoaldosteronismus)<br />
erwogen werden muß. Im weiteren<br />
Verlauf tritt jedoch regelmäßig eine<br />
Hyperkaliurie <strong>mit</strong> unterschiedlich<br />
stark ausgeprägter hypokaliämischer<br />
Alkalose auf. Charakteristisch für<br />
die FSLT ist eine Hyperkalziurie, die<br />
zumeist schon innerhalb der ersten<br />
Lebenswochen zur Nephrokalzinose<br />
führt (13, 15, 39, 48, 52).<br />
Polyurie und <strong>Salzverlust</strong> korrelieren<br />
<strong>mit</strong> einer massiv erhöhten renalen<br />
Ausscheidung von Prostaglandin E 2<br />
(PGE 2<br />
) und dessen Hauptmetaboliten<br />
PGE-M (48). Die erhöhte PGE 2<br />
-Biosynthese<br />
ist außerdem <strong>mit</strong> einer normotensiven<br />
Hyperreninämie und einem<br />
sekundären Hyperaldosteronismus<br />
assoziiert. Häufig treten – vermutlich<br />
durch PGE 2<br />
ver<strong>mit</strong>telt – systemische<br />
Symptome wie Fieber, Erbrechen,<br />
sekretorische Diarrhö und<br />
Osteopenie auf (49). In der Folge wird<br />
oft eine Wachstumsretardierung beobachtet<br />
(47).<br />
Primäre Ursache für die FSLT ist<br />
eine defekte Chloridresorption im Bereich<br />
des dicken aufsteigenden Schenkels<br />
der Henleschen Schleife (TALH).<br />
Dieser elektrogene epitheliale Ionentransport<br />
basiert auf folgenden<br />
zellulären Mechanismen (Grafik 1).<br />
Die in der basolateralen Membran<br />
lokalisierte Na + -K + -ATPase erzeugt<br />
einen steilen elektrochemischen<br />
Gradienten für Natrium von extranach<br />
intrazellulär. Angetrieben durch<br />
diesen Gradienten, fördert der in<br />
der apikalen Membran gelegene Furosemid-sensitive<br />
Kotransporter Na +<br />
zusammen <strong>mit</strong> K + und 2Cl - vom<br />
Tubuluslumen in die Zelle. Essentiell<br />
für das Funktionieren des<br />
Na + -K + -2Cl - -Kotransporters ist ein<br />
ständiges K + -Recycling in das tubuläre<br />
Lumen durch spezifische K + -Kanäle<br />
vom ROMK-Typ. Chlorid dagegen<br />
verläßt die Zelle durch cAMP-abhängige<br />
basolaterale Cl - -Kanäle in das Interstitium<br />
und wird so<strong>mit</strong> im Nettoeffekt<br />
resorbiert. Durch die Chloridresorption<br />
wird über dem Epithel eine<br />
elektrische Spannung aufgebaut. Diese<br />
Spannung wiederum ist der Antrieb<br />
Tabelle 1<br />
Einteilung der hereditären <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong><br />
für die parazelluläre Resorption von<br />
Ca ++ und Mg ++ durch das kationenselektive<br />
Schlußleistennetz (20, 32).<br />
Ist nun eine der genannten Transportkomponenten<br />
defekt, kommt es<br />
zum Erliegen der elektrogenen Chloridresorption<br />
und da<strong>mit</strong> zum typischen<br />
klinischen Bild einer Furosemid-ähnlichen<br />
Tubulopathie <strong>mit</strong> Salurese, Polyurie,<br />
Hyperkalziurie und Hypermagnesiurie<br />
sowie einem Verlust der renalen<br />
Konzentrationsfähigkeit (20, 30).<br />
Klassifizierung Synonyme Transportdefekt<br />
Furosemid-Typ (FSLT)<br />
Thiazid-Typ (TSLT)<br />
Hyperkalziurisches Bartter-Syndrom<br />
Antenatales Bartter-Syndrom<br />
Hyper-Prostaglandin-E-Syndrom<br />
Gitelman-Syndrom<br />
Hypokalziurisches Bartter-Syndrom<br />
Familiäre hypokaliämische<br />
Hypomagnesiämie<br />
NKCC2 oder<br />
ROMK<br />
NCCT<br />
Amilorid-Typ (ASLT) Pseudohypoaldosteronismus Typ 1 ENaC<br />
Sammelbegriffe<br />
Bartter-Syndrom<br />
Idiopathische hyperkaliurische<br />
Hypokaliämie<br />
Klassisches Bartter-Syndrom<br />
Tabelle 2<br />
Klinische und biochemische Merkmale der hereditären <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong><br />
Furosemid-Typ Thiazid-Typ Amilorid-Typ<br />
Transportdefekt NKCC2 ROMK NCCT ENaC<br />
Polyhydramnion + + – +<br />
Polyurie + + (+) +<br />
Salurese () <br />
Urin-Osmolalität < 300 < 300 500–800 ca. 300<br />
Kalziurese ¯ ()<br />
Nephrokalzinose + + – (+)<br />
PGE 2<br />
/PGE-M () <br />
Renin/Aldosteron () <br />
Serum-Na + (¯) (¯) « ¯<br />
Serum-Cl - ¯ ¯ ¯ (¯)<br />
Serum-Mg ++ (¯) (¯) ¯ «<br />
Serum-K + ¯ (¯) ¯ <br />
Base Excess + (+) + –<br />
A-1842<br />
(34) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998
M E D I Z I N<br />
AKTUELL<br />
Molekulargenetisch wurden bei<br />
Patienten <strong>mit</strong> FSLT bisher Mutationen<br />
im Na + -K + -2Cl - -Kotransporter<br />
(NKCC2-Gen auf Chromosom 15q15-<br />
21) und im renalen K + -Kanal ROMK<br />
(KCNJ1-Gen auf Chromosom 11q24-<br />
Grafik 1<br />
Lumen<br />
(apikal)<br />
Interstitium<br />
(basolateral)<br />
K +<br />
Furosemid<br />
C1 -<br />
Na +<br />
2C1 - 3Na<br />
K +<br />
+ ATP<br />
2K +<br />
K + C1 -<br />
cAMP<br />
Ca ++<br />
Mg ++ ATP<br />
AC G i EP 3 PGE 2<br />
Proximaler<br />
Tubulus<br />
Henlesche<br />
Schleife<br />
Distaler<br />
Tubulus<br />
Protein, die zelluläre cAMP-Konzentration<br />
und bewirkt so<strong>mit</strong> eine zusätzliche<br />
Hemmung der basolateralen Chlorid-Resorption<br />
(Grafik 1). Am Sammelrohr<br />
inhibiert PGE 2<br />
die Natriumresorption<br />
und antagonisiert den<br />
ADH-abhängigen Wassertransport (9,<br />
24, 34). Dieser PGE 2<br />
-Effekt resultiert<br />
in einer weiteren Verminderung der tubulären<br />
Konzentrationsfähigkeit <strong>mit</strong><br />
hyposthenurischer Polyurie.<br />
Die Suppression der sekundär erhöhten<br />
PGE 2<br />
-Synthese <strong>mit</strong> Cyclooxygenase-(COX-)Inhibitoren<br />
ist derzeit<br />
Hauptangriffspunkt in der therapeutischen<br />
Intervention bei der FSLT.<br />
Erst kürzlich wurde erstmals über<br />
eine erfolgreiche pränatale Indometacintherapie<br />
nach molekulargenetischer<br />
Diagnose an Amnionzellen berichtet.<br />
Dabei konnte eine Reduktion<br />
des Polyhydramnions sowie eine Verlängerung<br />
der Schwangerschaft erreicht<br />
werden (29). Postpartal steht jedoch<br />
zunächst eine sofortige Substitution<br />
von Flüssigkeit und Elektrolyten<br />
im Vordergrund. Die Therapie <strong>mit</strong> einem<br />
COX-Inhibitor, in der Regel Indometacin,<br />
sollte nach Sicherung der<br />
Diagnose einschleichend erfolgen.<br />
Diese Behandlung erfordert insbesondere<br />
bei sehr unreifen Frühgeborenen<br />
ein engmaschiges Monitoring von Körpergewicht,<br />
Serum- und Urinelektrolyten,<br />
renaler Prostaglandinexkretion<br />
und Medikamentenspiegeln, da aufgrund<br />
der geringen therapeutischen<br />
Breite von Indometacin in diesem Alter<br />
die Gefahr eines akuten Nierenversagens<br />
und schwerwiegender intestinaler<br />
Komplikationen relativ hoch ist (29,<br />
37, 43). Ein optimales perinatales Management<br />
unter Vermeidung von Dehydratationszuständen<br />
und Elektrolytimbalancen<br />
trägt nicht nur zum guten<br />
Gedeihen der Kinder bei, sondern<br />
kann möglicherweise auch das Auftreten<br />
einer Nephrokalzinose verhindern<br />
oder deren Ausprägung abschwächen<br />
(29, 36, 38). Jenseits der Neonatalperiode<br />
ist <strong>mit</strong> zunehmendem Alter häufig<br />
eine Steigerung der Indometacindosis<br />
(beispielsweise 1 bis 3 mg/kg/d) erforderlich,<br />
um die Prostaglandinausscheidung<br />
ausreichend zu supprimieren. In<br />
diesem Alter ist aber auch die Gefahr<br />
renaler und intestinaler Nebenwirkungen<br />
deutlich geringer. Allerdings müssen<br />
die Eltern darüber aufgeklärt werden,<br />
daß Indometacin als Antipyreti-<br />
Sammelrohr<br />
Mechanismus der Furosemid-sensitiven Elektrolyt-Reabsorption in der Henleschen Schleife: Die basolaterale<br />
Na + -K + -ATPase erzeugt einen elektrochemischen Gradienten für den Einstrom von Na + in die Zelle. Angetrieben<br />
durch diesen Gradienten, erfolgt die Na + -Aufnahme aus dem Tubuluslumen zusammen <strong>mit</strong> K + und 2Cl - durch einen<br />
Furosemid-sensitiven Kotransporter. Die Funktion des Na + -K + -2Cl - -Kotransporters ist an ein K + -Recycling<br />
durch apikale K + -Kanäle (ROMK) gekoppelt. Cl - verläßt die Zelle basolateral durch cAMP-abhängige Cl - -Kanäle<br />
und einen K + -Cl - -Kotransporter. Die Cl - -Resorption generiert eine transepitheliale Potentialdifferenz und treibt<br />
da<strong>mit</strong> die parazelluläre Resorption von Ca ++ und Mg ++ an. PGE 2<br />
hemmt – ver<strong>mit</strong>telt durch einen EP 3<br />
-Rezeptor<br />
und ein inhibitorisches G-Protein (G i<br />
) – die Adenylatcyclase (AC). Daraus resultiert eine verminderte zelluläre<br />
cAMP-Konzentration und so<strong>mit</strong> eine Inhibition der Cl - -Reabsorption. Als Ursache für eine FSLT wurden bisher keine<br />
Mutationen des luminalen Na + -K + -2Cl - -Kotransporters und des luminalen K + -Kanals (ROMK) identifiziert.<br />
25) nachgewiesen (27, 53, 54). Für<br />
Mutationen im KCNJ1-Gen konnte in<br />
Expressionsstudien der Verlust der<br />
K + -Kanal-Funktion belegt werden<br />
(12). Interessant ist die Beobachtung,<br />
daß bedrohliche Hypokaliämien bei<br />
Patienten <strong>mit</strong> NKCC2-Mutationen<br />
häufiger auftreten als bei Patienten<br />
<strong>mit</strong> KCNJ1-Mutationen (12). Letztere<br />
profitieren möglicherweise davon,<br />
daß ROMK-Isoformen auch an der<br />
Aldosteron-induzierten Kaliumsekretion<br />
im Sammelrohr beteiligt sind (23,<br />
33) (Grafik 4). Der ROMK-Defekt<br />
verhindert so<strong>mit</strong> einen zusätzlichen,<br />
aufgrund des sekundären Hyperaldosteronismus<br />
zu erwartenden renalen<br />
Kaliumverlust.<br />
Für das pathophysiologische Verständnis<br />
der hereditären <strong>Salzverlust</strong>-<br />
<strong>Tubulopathien</strong> – und insbesondere der<br />
FSLT – ist neben dem primären tubulären<br />
Transportdefekt vor allem die<br />
sekundär erhöhte Prostaglandin-E 2<br />
-<br />
Synthese von außerordentlicher Bedeutung<br />
(Grafik 2). Die gestörte Elektrolytresorption<br />
im TALH-Segment<br />
<strong>mit</strong> nachfolgendem renalem <strong>Salzverlust</strong><br />
und chronischer Volumenkontraktion<br />
resultiert in einer Reduktion von<br />
glomerulärer Filtrationsrate und renalem<br />
Blutfluß. Als Gegenregulation<br />
wird zur Aufrechterhaltung der Nierenfunktion<br />
vasodilatatorisches PGE 2<br />
freigesetzt (34, 35). Direkte Stimulation<br />
durch PGE 2<br />
und tubuloglomuläres<br />
Feedback aktivieren das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System<br />
(3, 34, 57).<br />
Die obligate Hyperreninämie verhindert<br />
einen arteriellen Hypotonus; der<br />
sekundäre Hyperaldosteronimus reduziert<br />
einerseits den renalen Natriumverlust,<br />
ist andererseits jedoch für die<br />
Hypokaliämie verantwortlich (15, 39).<br />
Die exzessive Freisetzung von PGE 2<br />
aggraviert außerdem ganz wesentlich<br />
den tubulären Elektrolyt- und Wasserverlust.<br />
An der Henleschen Schleife<br />
reduziert PGE 2<br />
, ver<strong>mit</strong>telt durch EP 3<br />
-<br />
Rezeptoren und ein inhibitorisches G-<br />
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998 (35)<br />
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M E D I Z I N<br />
AKTUELL<br />
kum Infektionskrankheiten maskieren<br />
kann. Zusätzlich zur Therapie <strong>mit</strong><br />
COX-Inhibitoren ist in jedem Lebensalter<br />
auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr<br />
und Elektrolytsubstitution<br />
<strong>mit</strong> NaCl und gegebenenfalls auch KCl<br />
zu achten. In der Dauerbetreuung der<br />
FSLT-Patienten sind mindestens halbjährliche<br />
Verlaufskontrollen zur Therapieüberwachung<br />
(unter anderem renale<br />
Prostaglandin-Ausscheidung<br />
und Indometacin-Serumspiegel)<br />
erfor-<br />
Grafik 2<br />
derlich (49). Da die Nebenwirkungen<br />
einer lebenslangen<br />
Indometacinbehandlung,<br />
insbesondere<br />
in Hinsicht auf eine Analgetika-Nephropathie,<br />
bei<br />
FSLT-Patienten bisher<br />
nicht bekannt sind, sollte<br />
die Indometacindosis so<br />
niedrig wie möglich liegen<br />
und regelmäßig den individuellen<br />
Bedürfnissen angepaßt<br />
werden.<br />
Die Prognose einer<br />
FSLT hängt derzeit wesentlich<br />
vom Grad der<br />
Frühgeburtlichkeit und<br />
von der Optimierung des<br />
perinatalen Managements<br />
ab. Postpartale Entgleisungen<br />
des Salz- und Wasserhaushalts<br />
sowie allgemeine<br />
Probleme der extremen<br />
Frühgeburtlichkeit<br />
sind wahrscheinliche<br />
Ursachen für eine psychomotorische<br />
Retardierung<br />
bei einigen FSLT-Patienten<br />
(46, 47, 49). Bei Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen<br />
wurde vereinzelt<br />
über eine chronisch<br />
progrediente Niereninsuffizienz<br />
berichtet (2, 46, 60). Dabei<br />
bleibt allerdings unklar, ob diese durch<br />
die Langzeitbehandlung <strong>mit</strong> COX-<br />
Inhibitoren oder primär durch die<br />
Grunderkrankung verursacht wurde.<br />
Thiazid-Typ<br />
Prävention<br />
eines Hypotonus<br />
Der Thiazid-Typ (TSLT: Thiazide-like<br />
salt-losing tubulopathy) ist<br />
bisher unter den Bezeichnungen<br />
Gitelman-Syndrom, Hypokalziurisches<br />
Bartter-Syndrom oder familiäre<br />
Tubulärer Transportdefekt (NKCC2/ROMK)<br />
Verminderte Reabsorption von Chlorid, Natrium, Kalzium<br />
<strong>Salzverlust</strong><br />
TGF<br />
Volumenkontraktion<br />
Abfall von<br />
GFR RBF<br />
PGE 2<br />
Renin-Angiotensin-Aldosteron<br />
Korrektur der<br />
Hyponatriämie<br />
Hyperkaliurie<br />
Hypokaliämie<br />
Isosthenurie<br />
„ADH-Antagonist“<br />
hypokaliämische Hypomagnesiämie<br />
bekannt (Tabelle 1) (18, 42, 44, 59). Im<br />
Gegensatz zur FSLT wird die Erkrankung<br />
häufig erst im späten Kindesoder<br />
frühen Erwachsenenalter diagnostiziert<br />
und zeigt in der Regel einen<br />
milderen Verlauf. Die Patienten<br />
fallen durch Müdigkeit, Obstipation,<br />
Muskelschwäche oder -krämpfe, Gelenkbeschwerden<br />
(Chondrokalzinose)<br />
und gelegentlich durch einen Minderwuchs<br />
auf (49, 56). In anderen Fällen<br />
wird die Diagnose beispielsweise<br />
bei einer präoperativen Elektrolyt-<br />
Bestimmung oder im Rahmen einer<br />
Enuresis-Abklärung gestellt. Die typische<br />
Konstellation von Laborparametern<br />
liegt jedoch bereits im Säuglingsalter<br />
vor (Tabelle 2). Bei nur<br />
leichtem renalem Kochsalzverlust ist<br />
die tubuläre Konzentrationsfähigkeit<br />
fast vollständig erhalten. Die Diurese<br />
ist nur mäßig erhöht oder sogar normal.<br />
Pathognomonisch ist eine Hypokalziurie<br />
(< 0,1 mol/mol Kreatinin) in<br />
Kombination <strong>mit</strong> einer hypermagnesiurischen<br />
Hypomagnesiämie (5, 49).<br />
Letztere ist für das Auftreten muskulärer<br />
Symptome verantwortlich,<br />
kann aber selbst bei sehr niedrigen Serumkonzentrationen<br />
(Mg ++ ✜ 0,3<br />
mmol/l) asymptomatisch bleiben.<br />
Ähnlich wie bei der FSLT findet man<br />
auch hier eine sekundäre hypokaliämische<br />
Alkalose als Zeichen<br />
einer Stimulation<br />
des Renin-Angiotensin-<br />
Aldosteron-Systems. Dagegen<br />
ist die renale Prostaglandinexkretion<br />
bei<br />
der TSLT häufig nur<br />
leicht oder mäßig erhöht<br />
(19, 35).<br />
Als primärer Defekt<br />
konnten bei Patienten<br />
<strong>mit</strong> TSLT verschiedene<br />
Mutationen im Thiazidsensitiven<br />
Na + -Cl - -Kotransporter<br />
(NCCT-Gen<br />
auf Chromosom 16q13)<br />
identifiziert werden (55).<br />
Diese gehen <strong>mit</strong> einer gestörten<br />
Kochsalzresorption<br />
im distalen Tubulus<br />
einher. Im Detail basiert<br />
dieser epitheliale Transport<br />
auf folgenden Mechanismen<br />
(Grafik 3).<br />
Ähnlich wie in den<br />
übrigen Tubulusabschnitten<br />
hält die basolaterale<br />
Na + -K + -ATPase die intrazelluläre<br />
Na + -Konzentration<br />
niedrig und trägt<br />
zur Aufrechterhaltung des<br />
Membranpotentials bei.<br />
Nephrokalzinose<br />
Hyposthenurie<br />
Schematische Darstellung der pathophysiologischen Abläufe bei der FSLT. TGF: tubuloglomeruläres<br />
Feedback; GFR: glomeruläre Filtrationsrate; RBF: renaler Blutfluß; ADH:<br />
antidiuretisches Hormon.<br />
Der elektrochemische<br />
Gradient für Natrium von<br />
extra- nach intrazellulär<br />
ist wiederum Antriebskraft<br />
für die luminale Kochsalzaufnahme<br />
durch den Thiazid-sensitiven Na + -<br />
Cl - -Kotransporter (20). Ein Defekt<br />
dieses Kotransporters resultiert nicht<br />
nur in einer verminderten NaCl-Resorption,<br />
sondern immer auch in einer<br />
gesteigerten Kalziumresorption (16).<br />
Anders als in der Henleschen Schleife<br />
erfolgt die Kalziumresorption im distalen<br />
Tubulus transzellulär (Grafik 3).<br />
Kalzium strömt durch spannungsabhängige<br />
Ca ++ -Kanäle aus dem Lumen<br />
in die Zelle und wird basolateral im<br />
Austausch gegen Natrium in das Inter-<br />
A-1844<br />
(36) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998
M E D I Z I N<br />
AKTUELL<br />
stitium resorbiert. Der 3Na + -Ca ++ -Antiporter<br />
konkurriert dabei <strong>mit</strong> der luminalen<br />
Kochsalzaufnahme; das heißt,<br />
ein Defekt des Thiazid-sensitiven Kotransporters<br />
führt über eine Abnahme<br />
der intrazellulären Na + -Konzentration<br />
zur vermehrten Aktivität des 3Na + -<br />
Ca ++ -Antiporters und so<strong>mit</strong> zur gesteigerten<br />
Kalziumresorption <strong>mit</strong> charakteristischer<br />
Hypokalziurie (7, 51). Die<br />
Grafik 3<br />
Proximaler<br />
Tubulus<br />
Henlesche<br />
Schleife<br />
Distaler<br />
Tubulus<br />
Sammelrohr<br />
pathophysiologische Basis der hypermagnesiurischen<br />
Hypomagnesiämie<br />
bei TSLT-Patienten ist dagegen noch<br />
weitgehend ungeklärt. Diskutiert wird<br />
ein kompetitives Verhalten von Natrium-<br />
und Magnesiumresorption im kortikalen<br />
Sammelrohr (14). Dort liegt<br />
wegen des Transportdefektes im vorgeschalteten<br />
distalen Tubulussegment<br />
eine hohe luminale NaCl-Konzentration<br />
vor. Möglicherweise induziert der<br />
sekundäre Hyperaldosteronismus in<br />
dieser Situation im Sammelrohr eine<br />
besonders effektive Natriumrückresorption<br />
auf Kosten eines ausgeprägten<br />
Magnesiumverlustes.<br />
Die Therapie der TSLT ist symptomatisch,<br />
da sich der bekannte<br />
Transportdefekt nicht beheben läßt.<br />
Wichtig ist eine ausreichende Substi-<br />
Lumen<br />
(apikal)<br />
3Na + ATP<br />
2K +<br />
Na +<br />
C1 -<br />
Thiazide<br />
C1 -<br />
Ca ++ Ca ++ ATP<br />
3Na +<br />
Ca ++<br />
Interstitium<br />
(basolateral)<br />
Mechanismus der Thiazid-sensitiven Elektrolyt-Reabsorption im distalen Tubulus: Die Kochsalzaufnahme aus dem Tubuluslumen<br />
erfolgt in diesem Segment durch einen Thiazid-sensitiven Na + -Cl - -Kotransporter. Die Antriebskraft für<br />
diesen Transport ist wiederum der durch die basolaterale Na + -K + -ATPase erzeugte elektrochemische Na + -Gradient<br />
von extra- nach intrazellulär. Cl - wird auf der basolateralen Seite durch einen selektiven Cl - -Kanal ausgeschleust.<br />
Ca ++ wird im distalen Tubulus transzellulär resorbiert. Die Aufnahme aus dem Lumen erfolgt via Ca ++ -Kanäle, der<br />
basolaterale Transport via Ca ++ -ATPase oder 3Na + -Ca ++ -Antiporter. Thiazide erhöhen – vermutlich durch eine Abnahme<br />
der zellulären Na + -Konzentration – die Antriebskraft für den 3Na + -Ca ++ -Antiporter. Als Ursache für eine TSLT<br />
wurden bisher Mutationen des luminalen Na + -Cl - -Kotransporters identifiziert.<br />
tution <strong>mit</strong> Kaliumchlorid. Außerdem<br />
sollte eine Therapie <strong>mit</strong> Magnesiumpräparaten<br />
erfolgen. Allerdings ist<br />
selbst eine hochdosierte Magnesiumsubstitution<br />
häufig nicht ausreichend<br />
oder muß wegen intestinaler Nebenwirkungen<br />
(Diarrhö) reduziert werden<br />
(19). Eine Besserung der Hypokaliämie<br />
und gelegentlich auch der<br />
Hypomagnesiämie kann durch zusätzliche<br />
Gabe eines Aldosteron-<br />
Antagonisten (zum Beispiel Spironolacton)<br />
oder Na + -Kanalblockers<br />
(zum Beispiel Amilorid) erreicht<br />
werden (11, 14). Je nach Ausprägung<br />
der sekundären Hyperprostaglandinurie<br />
ist eine Behandlung <strong>mit</strong> dem<br />
COX-Inhibitor Indometacin indiziert.<br />
Hierdurch werden sowohl die<br />
direkten PGE 2<br />
-Effekte als auch der<br />
sekundäre Hyperaldosteronismus<br />
supprimiert.<br />
Die Prognose der TSLT bezüglich<br />
physischer und mentaler Entwicklung<br />
ist nach dem derzeitigen<br />
Wissensstand gut (6, 49). Bei Langzeittherapie<br />
<strong>mit</strong> COX-Inhibitoren<br />
muß allerdings auf Zeichen einer<br />
Analgetikanephropathie geachtet werden.<br />
Die Patienten sollten darüber<br />
informiert werden, daß in Situationen<br />
<strong>mit</strong> erhöhten Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlusten<br />
(wie Diarrhö, Fieber,<br />
vermehrtes Schwitzen, operative Eingriffe)<br />
eine Anpassung der Substitutionstherapie<br />
erforderlich ist.<br />
Amilorid-Typ<br />
Die hereditäre <strong>Salzverlust</strong>-Tubulopathie<br />
vom Amilorid-Typ (ASLT:<br />
Amiloride-like salt-losing tubulopathy)<br />
wird ebenfalls durch einen<br />
epithelialen Transportdefekt verursacht<br />
und entspricht dem Pseudohypoaldosteronismus<br />
Typ I. Bisher wurden<br />
eine autosomal rezessive und eine<br />
autosomal dominante Variante beschrieben<br />
(21, 31).<br />
Klinisch gleicht das Bild der autosomal<br />
rezessiven ASLT zunächst<br />
dem Furosemid-Typ. Die Erkrankung<br />
manifestiert sich ebenfalls pränatal<br />
und ist durch einen schweren<br />
Verlauf gekennzeichnet (Tabelle 2).<br />
Wie bei der FSLT kann der fetale<br />
Salz- und Flüssigkeitsverlust <strong>mit</strong> einem<br />
Polyhydramnion und Frühgeburtlichkeit<br />
assoziiert sein (1, 28).<br />
Postpartal resultiert die anhaltend<br />
hohe Salurese in einer häufig lebensbedrohlichen<br />
hyponatriämischen<br />
Dehydratation (1, 21, 28). Im Gegensatz<br />
zu den anderen <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong><br />
entwickeln sich trotz Hyperaldosteronismus<br />
innerhalb kurzer<br />
Zeit eine ausgeprägte Hyperkaliämie<br />
und eine metabolische Azidose (40).<br />
Neben einer massiven Stimulation<br />
des Renin-Angiotensin-Aldosteron-<br />
Systems findet man bei der ASLT<br />
auch eine deutlich gesteigerte Prostaglandinfreisetzung<br />
(41, 50) sowie<br />
eine Hyperkalziurie <strong>mit</strong> Nephrokalzinose<br />
(50).<br />
Pathophysiologisch liegt ein Defekt<br />
der Aldosteron-abhängigen Natriumresorption<br />
im Sammelrohr vor<br />
(Grafik 4). In diesem Segment ist<br />
die Na + -Permeabilität der apikalen<br />
Membran der li<strong>mit</strong>ierende Resorptionsfaktor.<br />
Anders als in der Henleschen<br />
Schleife oder im distalen Tubulus<br />
erfolgt die Aufnahme aus dem<br />
Tubuluslumen nicht <strong>mit</strong>tels Kotransporter,<br />
sondern durch den Amiloridsensitiven<br />
epithelialen Na + -Kanal<br />
(ENaC) (17, 20). Im Gegenzug wird<br />
Kalium durch spezifische luminale<br />
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998 (37)<br />
A-1845
M E D I Z I N<br />
AKTUELL<br />
Kanäle – vermutlich vom ROMK-<br />
Typ (23) – sezerniert. Der für den<br />
Na + -Einstrom erforderliche Konzentrationsgradient<br />
wird wiederum<br />
durch die basolaterale Na + -K + -ATPase<br />
aufrechterhalten. Der gesamte<br />
Transportmechanismus wird durch<br />
Aldosteron stimuliert. Das Mineralokortikoid<br />
bindet an einen zytosolischen<br />
Rezeptor und erhöht über eine<br />
Steigerung der Proteinsynthese die<br />
Anzahl luminaler Na + -Kanäle und<br />
basolateraler Na + -K + -Pumpen (25).<br />
Grafik 4<br />
Proximaler<br />
Tubulus<br />
Henlesche<br />
Schleife<br />
Distaler<br />
Tubulus<br />
Sammelrohr<br />
Bei Patienten <strong>mit</strong> autosomal rezessiver<br />
ASLT wurden Mutationen<br />
verschiedener Untereinheiten des<br />
Amilorid-sensitiven Na + -Kanals ENaC<br />
als primäre Ursache für die Erkrankung<br />
nachgewiesen (-Untereinheit<br />
auf den Chromosomen 12p13.1-pter; -<br />
und -Untereinheit auf Chromosom<br />
16p12.2-13.11) (10, 58). Da der epitheliale<br />
Na + -Kanal auch in anderen Aldosteron-sensitiven<br />
Organen exprimiert<br />
wird, können neben der renalen Symptomatik<br />
auch der Respirationstrakt,<br />
die Kolonmukosa und die Schweißdrüsen<br />
betroffen sein (21, 26, 40). In diesen<br />
Fällen gleicht das klinische Bild dem einer<br />
Mukoviszidose (22). Die autosomal<br />
dominante Form der ASLT verläuft<br />
weniger dramatisch. Die renalen<br />
Salz- und Flüssigkeitsverluste nehmen<br />
<strong>mit</strong> zunehmendem Alter ab, extrarenale<br />
Symptome fehlen häufig<br />
(21). Als primäre Ursache wird ein<br />
Defekt des Aldosteron-Rezeptors<br />
diskutiert, allerdings steht der molekulargenetische<br />
Nachweis für diese<br />
Hypothese noch aus (31).<br />
Therapeutisch steht zunächst eine<br />
adäquate Natrium- und Flüssigkeitssubstitution<br />
im Vordergrund (1,<br />
40, 41). Hierdurch kann oft auch eine<br />
Lumen<br />
(apikal)<br />
Na +<br />
Amilorid<br />
R<br />
ALDO<br />
Proteinsynthese<br />
Interstitium<br />
(basolateral)<br />
K + 3Na + ATP<br />
2K +<br />
Mechanismus der Amilorid-sensitiven Na + -Reabsorption im Sammelrohr: Auch im Sammelrohr generiert die<br />
basolaterale Na + -K + -ATPase einen zelleinwärts gerichteten elektrochemischen Gradienten für Na + . Entlang<br />
dieses Gradienten wird Na + durch Amilorid-sensitive Na + -Kanäle (ENaC) aus dem Lumen resorbiert. Im Gegenzug<br />
wird K + durch selektive apikale K + -Kanäle in das Lumen sezerniert. Na + -Reabsorption und K + -Sekretion<br />
werden durch Aldosteron (ALDO) stimuliert. Dabei erhöht Aldosteron nach Bindung an den zytosolischen<br />
Mineralokortikoidrezeptor (R) die Zahl der apikalen Na + -Kanäle und basolateralen Na + -K + -Pumpen. Als Ursache<br />
für eine ASLT wurden bisher Mutationen des Amilorid-sensitiven Na + -Kanals (ENaC) identifiziert.<br />
ALDO<br />
Steigerung der renalen Kalium-<br />
Exkretion erreicht werden. Treten<br />
trotzdem bedrohliche Hyperkaliämien<br />
auf, ist die rektale oder orale Gabe<br />
von Ionenaustauschern (Natriumsalze!)<br />
indiziert. Ein weiterer Ansatzpunkt<br />
in der Behandlung ist die Supression<br />
der sekundär gesteigerten<br />
PGE 2<br />
-Freisetzung (8, 41). PGE 2<br />
hemmt den Chloridtransport in der<br />
Henleschen Schleife und so<strong>mit</strong> auch<br />
die Kalziumresorption in diesem Tubulussegment<br />
(Grafik 1). Daraus resultieren<br />
bei der ASLT zusätzliche<br />
<strong>Salzverlust</strong>e und in einigen Fällen eine<br />
Nephrokalzinose, die <strong>mit</strong> Indometacin<br />
erfolgreich behandelt werden<br />
kann (50).<br />
Die Prognose der ASLT hängt<br />
wesentlich von einer Prävention neonataler<br />
Dehydratationszustände und<br />
Elektrolytentgleisungen sowie vom<br />
Ausmaß der Beteiligung weiterer Organsysteme<br />
ab.<br />
Resümee<br />
Neue molekulargenetische Erkenntnisse<br />
und pharmakologische<br />
Untersuchungen haben im Laufe der<br />
letzten zwei Jahre wesentlich zur Aufklärung<br />
der Pathogenese hereditärer<br />
<strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong> beigetragen.<br />
Allerdings lag bisher keine einheitliche<br />
Nomenklatur für diese Erkrankungen<br />
vor. Die von uns hier vorgeschlagene<br />
Einteilung in Furosemid-<br />
Typ, Thiazid-Typ und Amilorid-Typ<br />
erfolgte in Anlehnung an die allgemein<br />
bekannten Effekte dieser <strong>Diuretika</strong><br />
auf den tubulären Ionentransport.<br />
Da<strong>mit</strong> beinhaltet diese neue<br />
Klassifikation erstmals auch die pathophysiologischen<br />
Aspekte der entsprechenden<br />
<strong>Tubulopathien</strong>.<br />
Unter Berücksichtigung der in<br />
dieser Übersicht dargestellten molekularbiologischen<br />
Defekte, pathophysiologischen<br />
Mechanismen und<br />
klinischen Merkmale ist eine weitere<br />
Optimierung des klinischen Managements<br />
der <strong>Salzverlust</strong>-<strong>Tubulopathien</strong><br />
anzustreben. Eine entscheidende Voraussetzung<br />
hierfür ist – insbesondere<br />
bei pränataler Manifestation (FSLT<br />
und ASLT) – die gute Kooperation<br />
verschiedener Fachrichtungen. Aus<br />
diesem Grund sollte die Betreuung<br />
der Patienten nach Möglichkeit in<br />
Absprache <strong>mit</strong> einem spezialisierten<br />
Zentrum erfolgen.<br />
Zitierweise dieses Beitrags:<br />
Dt Ärztebl 1998; 95: A-1841–1846<br />
[Heft 30]<br />
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf<br />
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck<br />
beim Verfasser und über die Internetseiten<br />
(unter http: /www.aerzteblatt.de)<br />
erhältlich ist.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. med. Arnold Köckerling<br />
Universitäts-Kinderklinik<br />
Deutschhausstraße 12<br />
35033 Marburg<br />
A-1846<br />
(38) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 30, 24. Juli 1998