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Die Völkermordkonvention der Vereinten Nationen (1948)

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<strong>Die</strong> <strong>Völkermordkonvention</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Vereinten</strong> <strong>Nationen</strong> (<strong>1948</strong>)<br />

Dr. Peter Wassertheurer<br />

1 Regelung vor <strong>1948</strong><br />

Geschichte & Sozialkunde /<br />

Politische Bildung<br />

Oberstufe<br />

<strong>Die</strong> Geschichte <strong>der</strong> menschlichen Zivilisation kennt auf allen Kontinenten bis in die Gegenwart Kriege und Gewalttaten<br />

gegen Menschen mit an<strong>der</strong>er Hautfarbe, Abstammung, Sprache, Kultur und Religion. Dabei wurden<br />

immer wie<strong>der</strong> Gräueltaten an <strong>der</strong> Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen verübt o<strong>der</strong> sogar Volksgruppen<br />

ganz o<strong>der</strong> teilweise vernichtet.<br />

Bis in die Neuzeit gab es zwischen den Krieg führenden Parteien keine Regeln, die Gewaltverbrechen wie Vergewaltigungen,<br />

Lynchjustiz, Plün<strong>der</strong>ungen, Brandschatzungen, die Ermordung von Zivilisten und Zivilistinnen, die<br />

Ermordung von Min<strong>der</strong>heiten o<strong>der</strong> die willkürliche Hinrichtung von Kriegsgefangenen untersagten.<br />

Erst ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden durch die Gründung des Roten Kreuzes (1863) und die<br />

Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 international gültige Verhaltensregeln vereinbart, die eine Humanisierung<br />

<strong>der</strong> Kriegsführung möglich machen sollten.<br />

<strong>Die</strong> HLKO stellt ein Abkommen über die Ordnung <strong>der</strong> Gesetze und Gebräuche des Landkriegs dar. Sie regelt<br />

die Behandlung von Kriegsgefangenen, den Einsatz bestimmter Kampfmittel und Kampfmethoden – sie verbietet<br />

etwa den Einsatz von Giftgas und den Beschuss unverteidigter Orte und Wohnstätten –, bekräftigt<br />

die Bürgerrechte und stellt das Privateigentum unter Schutz:<br />

II. Abschnitt, 1. Kapitel,<br />

Art. 22<br />

<strong>Die</strong> Kriegsführenden haben kein unbeschränktes<br />

Recht in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Mittel zur Schädigung des<br />

Feindes.<br />

Art. 23<br />

Abgesehen von den durch Son<strong>der</strong>verträge aufgestellten<br />

Verboten, ist namentlich untersagt:<br />

a. die Verwendung von Gift o<strong>der</strong> vergifteten<br />

Waffen,<br />

b. die meuchlerische Tötung o<strong>der</strong> Verwundung<br />

von Angehörigen des feindlichen Volkes o<strong>der</strong><br />

Heeres,<br />

c. die Tötung o<strong>der</strong> Verwundung eines die Waffen<br />

streckenden o<strong>der</strong> wehrlosen Feindes, <strong>der</strong> sich<br />

auf Gnade o<strong>der</strong> Ungnade ergeben hat,<br />

d. die Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird,<br />

e. <strong>der</strong> Gebrauch von Waffen, Geschossen o<strong>der</strong><br />

Stoffen, die geeignet sind, unnötig Leiden zu<br />

verursachen,<br />

f. <strong>der</strong> Missbrauch <strong>der</strong> Parlamentärflagge, <strong>der</strong> Nationalflagge<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> militärischen Abzeichen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Uniform des Feindes sowie <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Abzeichen des Genfer Abkommens,<br />

g. die Zerstörung o<strong>der</strong> Wegnahme feindlichen<br />

Eigentums außer in den Fällen, wo diese Zerstörung<br />

o<strong>der</strong> Wegnahme durch die Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

des Krieges dringend erheischt wird,<br />

h. die Aufhebung o<strong>der</strong> zeitweilige Außerkraftsetzung<br />

<strong>der</strong> Rechte und For<strong>der</strong>ungen von<br />

Angehörigen <strong>der</strong> Gegenpartei o<strong>der</strong> die Ausschließung<br />

ihrer Klagbarkeit.<br />

(amtliche Schweizer Übersetzung)<br />

2 Völkermord: Definition<br />

Der Tatbestand des Völkermords (dt. Genozid, engl. genocide) fand erst zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts durch<br />

die Arbeiten des polnischen Juristen Raphael Lemkin Eingang in das internationale Recht. Der Begriff Genozid<br />

setzt sich aus griechisch genos (Geschlecht) und lat. cae<strong>der</strong>e (töten) zusammen. Lemkin for<strong>der</strong>te 1933 bei <strong>der</strong><br />

Internationalen Konferenz zur Vereinheitlichung des Strafrechts in Madrid die Verurteilung von Taten, die auf<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Völkermordkonvention</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Vereinten</strong> <strong>Nationen</strong> (<strong>1948</strong>)<br />

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Oberstufe<br />

eine Zerstörung von ethnischen, religiösen und sozialen Gruppen abzielen, wobei er die Aufnahme des Völkermordverbots<br />

in die HLKO anregte.<br />

Nach <strong>der</strong> bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reichs waren sich die alliierten Siegermächte darüber<br />

einig, dass die Verantwortlichen für die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes zur Rechenschaft gezogen<br />

werden müssen. Das Internationale Militärtribunal in Nürnberg (Art. 6 lit. c IMTStatut) verurteilte die Gräuel<br />

des NS-Regimes als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und stellte folgende Tatbestände unter Strafe:<br />

Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und an<strong>der</strong>e unmenschliche Handlungen begangen an irgendeiner<br />

Zivilbevölkerung vor o<strong>der</strong> während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen o<strong>der</strong> religiösen<br />

Gründen begangen in Ausführung eines Verbrechens o<strong>der</strong> in Verbindung mit einem Verbrechen, für das <strong>der</strong><br />

Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß,<br />

in dem sie begangen wurde, o<strong>der</strong> nicht.<br />

3 <strong>Völkermordkonvention</strong><br />

In Artikel II <strong>der</strong> <strong>Völkermordkonvention</strong> vom 9. Dezember <strong>1948</strong> bedeutet Völkermord eine Handlung, die in <strong>der</strong><br />

Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, „rassische“ o<strong>der</strong> religiöse Gruppe als solche ganz o<strong>der</strong> teilweise<br />

zu zerstören. Zu den in <strong>der</strong> <strong>Völkermordkonvention</strong> angeführten Handlungen zählen:<br />

Art. 2<br />

a. Tötung von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe;<br />

b. Verursachung von schwerem körperlichen<br />

o<strong>der</strong> seelischen Schaden an Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Gruppe;<br />

c. vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen<br />

für die Gruppe, die geeignet sind,<br />

ihre körperliche Zerstörung ganz o<strong>der</strong> teilweise<br />

herbeizuführen;<br />

d. Verhängung von Maßnahmen, die auf die<br />

Geburtenverhin<strong>der</strong>ung innerhalb <strong>der</strong> Gruppe<br />

gerichtet sind;<br />

e. gewaltsame Überführung von Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Gruppe in eine an<strong>der</strong>e Gruppe.<br />

Es gilt hierbei jedoch zu beachten, dass die in <strong>der</strong> <strong>Völkermordkonvention</strong> angeführten Handlungen erst dann<br />

zum Völkermord werden, wenn sie in <strong>der</strong> Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, „rassische“<br />

o<strong>der</strong> religiöse Gruppe als solche ganz o<strong>der</strong> teilweise zu zerstören. Solange dem Täter eine solche Absicht nicht<br />

nachgewiesen werden kann, kann nicht von Völkermord gesprochen werden. Es muss also die Absicht klar<br />

und deutlich dokumentiert werden können, denn Absicht heißt, dass es den Tätern gerade darauf ankommen<br />

muss, die physische Zerstörung einer ethnischen Gruppe ganz o<strong>der</strong> teilweise herbeizuführen.<br />

4 Völkermord im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

<strong>Die</strong> Forschung unterscheidet zwischen Fällen von eindeutigem Genozid und Fällen mit Genozidverdacht.<br />

Eindeutig als Völkermord gelten <strong>der</strong> Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich (1915), die Genozide<br />

des Dritten Reichs, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Holocaust, <strong>der</strong> Völkermord <strong>der</strong> Hutu an den Tutsi in Ruanda (1994) und<br />

– als jüngstes Beispiel in Europa – das Massaker serbischer Truppen an bosnischen Muslimen in Srebrenica im<br />

ehemaligen Jugoslawien (1995).<br />

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Oberstufe<br />

Genozidverdacht besteht für das stalinistische Regime in <strong>der</strong> Sowjetunion (1924–1953), die Herrschaft <strong>der</strong> Roten<br />

Khmer in Kambodscha (1975–79), den Konflikt in Ost-Timor (1975–1999) und das chinesische Regime in Tibet<br />

(seit 1950). Völkerrechtsexpertinnen und -experten sind <strong>der</strong> Meinung, dass hier die Absicht zum Völkermord<br />

nicht eindeutig nachweisbar ist.<br />

1. Welche Taten verurteilt man nach <strong>der</strong> Konvention <strong>der</strong> UN als Völkermord?<br />

2. Welche Voraussetzung muss gegeben sein, damit bestimmte Taten als Völkermord gelten?<br />

5 Beispiel: Völkermord an den Armenierinnen und<br />

Armeniern<br />

Der Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern im Jahr 1915 muss im Zusammenhang mit den armenischen<br />

Unabhängigkeitsbestrebungen und dem türkischen Nationalismus gesehen werden. Das Osmanische<br />

Reich war an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gezogen und kämpfte gemeinsam mit dem<br />

Deutschen Reich und Österreich-Ungarn gegen die Entente. Der Entente gehörten Großbritannien, Frankreich<br />

und Russland an.<br />

Jungtürkische Bewegung<br />

Im Jahr 1909 waren im Osmanischen Reich die Jungtürken an die Macht gekommen, die sich 1876 als liberales<br />

Gegengewicht zum absoluten Machtanspruch des Sultans formiert hatten. <strong>Die</strong> Armenier und Kurden waren<br />

als ethnische Min<strong>der</strong>heiten anfangs für die Jungtürken eingetreten, da letztere auf Basis eines konstitutionellen<br />

Systems einen Ausgleich mit den ethnischen Min<strong>der</strong>heiten anstrebten. <strong>Die</strong>ser Ausgleich konnte aber nur<br />

ansatzweise verwirklicht werden, weil sich die außenpolitische Situation für die Hohe Pforte zunehmend verschlechterte:<br />

Noch vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Osmanische Reich die nordafrikanische Provinz Tripolis<br />

verloren und einige Inseln in <strong>der</strong> Ägäis an Italien abgeben müssen. <strong>Die</strong>se Gebietsverluste führten zum Sturz <strong>der</strong><br />

jungtürkischen Bewegung. Aber auch die konservativen Gegenkräfte mussten nach dem Ersten Balkankrieg<br />

(1912–1913) aufgeben. <strong>Die</strong> Jungtürken nutzten diese Schwäche zum neuerlichen Machtantritt und etablierten<br />

nach dem Zweiten Balkankrieg (1913) ein zentralistisch geführtes Regime.<br />

Weitere Entwicklung<br />

Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938) errichtete als Führer<br />

<strong>der</strong> jungtürkischen Bewegung und späterer Staatsgrün<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Türkei ein republikanisches Regierungssystem<br />

mit laizistischer Ausrichtung. <strong>Die</strong> Jungtürken<br />

setzten darüber hinaus auf einen stark ausgeprägten<br />

Nationalismus. Sie waren bestrebt, die nichttürkischen<br />

Volksgruppen zu assimilieren.<br />

Militärische Katastrophe<br />

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs versuchte die jungtürkische<br />

Regierung in <strong>der</strong> direkten Konfrontation mit<br />

Russland, die verlorenen Gebiete teilweise zurück-<br />

Unter Laizismus versteht man die Trennung von<br />

Staat und Religion. Über diese Ordnung wacht<br />

seit Beginn <strong>der</strong> Staatsgründung das Militär (1923<br />

Ausrufung <strong>der</strong> Türkischen Republik).<br />

WebTipp<br />

Mehr zu Kemal Atatürk unter: www.whoswho.de.<br />

WHO‘S WHO Online veröffentlicht Biografien<br />

international bedeuten<strong>der</strong> Persönlichkeiten aus<br />

Geschichte und Gegenwart.<br />

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zuerobern. <strong>Die</strong>ses Unternehmen endete in einer militärischen Katastrophe. Den christlichen Armeniern wurde<br />

vorgeworfen, mit dem Feind (Russland) kollaboriert zu haben. <strong>Die</strong>ser Vorwurf traf die gesamte armenische<br />

Volksgruppe, obwohl er nur für wenige Teile zutraf, die eine Unabhängigkeit Armeniens vom Osmanischen<br />

Reich anstrebten.<br />

Wege <strong>der</strong> Deportation<br />

© Gautschi, Peter/Meyer, Helmut: Vergessen o<strong>der</strong> erinnern?<br />

Lehrmittelverlag des Kantons Zürich 2002.<br />

Völkermord<br />

Zwischen Februar und Mai 1915 wurden armenische Intellektuelle und Soldaten willkürlich verhaftet und größtenteils<br />

hingerichtet. In <strong>der</strong> nächsten Phase zwischen Mai und September 1915 wurde die gesamte armenische<br />

Bevölkerung in die nordsyrische Wüste am oberen Euphrat deportiert. <strong>Die</strong> Grundlage dazu bot das Deportationsgesetz<br />

vom 27. Mai 1915.<br />

Meist wurden die Männer<br />

von den Frauen und Kin<strong>der</strong>n<br />

getrennt. Viele starben an<br />

Hunger und Erschöpfung, viele<br />

wurden auf dem Weg beraubt<br />

und umgebracht. Nur etwa<br />

die Hälfte erreichte das angebliche<br />

Siedlungsgebiet und<br />

wurde dort in Lager gesteckt.<br />

<strong>Die</strong> meisten starben bald o<strong>der</strong><br />

wurden<br />

getötet. Den Besitz <strong>der</strong> Armenier<br />

und Armenierinnen eignete<br />

sich <strong>der</strong> osmanische Staat an.<br />

Ungefähr 1,4 Millionen Menschen<br />

wurden deportiert, davon<br />

kam über eine Million ums<br />

Leben. Der Großteil <strong>der</strong> Opfer<br />

starb an Seuchen und Hunger. © Archiv Gerstenberg/ullsteinbild/picturedesk.com<br />

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Urteile <strong>der</strong> Gegenwart<br />

In <strong>der</strong> Türkei ist <strong>der</strong> Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern ein Tabuthema. Der Schriftsteller und<br />

Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk (geb. 1952) spricht sich gegen die Verdrängung des Massenmordes an<br />

<strong>der</strong> armenischen Bevölkerung aus und verlangt eine kritische Vergangenheitsbewältigung in <strong>der</strong> Öffentlichkeit.<br />

<strong>Die</strong>se For<strong>der</strong>ung kann jedoch eine strafrechtliche Verfolgung wegen „Beleidigung des Türkentums“ nach sich<br />

ziehen. So begeben sich kritische Journalistinnen und Journalisten immer wie<strong>der</strong> in Gefahr, verurteilt zu werden.<br />

<strong>Die</strong> türkische Regierung weigert sich jedoch, die Verbrechen von 1915 als Völkermord anzuerkennen. Sie sieht<br />

keine nachweisbare Absicht zum Völkermord, weshalb die <strong>Völkermordkonvention</strong> auch nicht zur Anwendung<br />

kommen könne.<br />

<strong>Die</strong> Meinung <strong>der</strong> offiziellen Türkei findet im Ausland keine ungeteilte Zustimmung. So erkannte die Französische<br />

Nationalversammlung 2001 den Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern an. Außerdem verabschiedete<br />

sie eine Resolution, in <strong>der</strong> die Leugnung des Völkermords an den Armenierinnen und Armeniern unter<br />

Strafe gestellt werden sollte.<br />

In Deutschland legten die Unionsparteien CDU/CSU im April 2005 im Bundestag eine Entschließung vor, in <strong>der</strong><br />

die Türkei aufgefor<strong>der</strong>t wurde, sich zu den Massakern am armenischen Volk von 1915 zu bekennen. <strong>Die</strong>ser Antrag<br />

wurde im Juli 2005 vom Bundestag ohne Gegenstimme verabschiedet.<br />

Internet-Recherche<br />

Bilden Sie Kleingruppen und gehen Sie folgenden Fragen nach:<br />

1. Was geschah mit den Überlebenden des Völkermordes?<br />

2. Wurden die Verantwortlichen des Völkermordes verurteilt?<br />

3. Wie sieht die Situation in Armenien heute aus?<br />

Literaturtipp<br />

In seinem Roman „<strong>Die</strong> 40 Tage des Musa Dagh“ (1933) schil<strong>der</strong>t <strong>der</strong> österreichische Schriftsteller Franz Werfel<br />

(1890–1945) auf eindrückliche Weise die Verfolgung <strong>der</strong> Armenier während des Ersten Weltkriegs und<br />

ihren Wi<strong>der</strong>stand. Franz Werfel, <strong>der</strong> aus einer jüdischen Familie stammte, musste selber vor <strong>der</strong> Verfolgung<br />

durch die Nationalsozialisten fliehen und starb im Exil in den USA.<br />

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Thema „UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung<br />

von Völkermord“<br />

<strong>Die</strong> UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord wurde am 9. Dezember <strong>1948</strong> verabschiedet.<br />

Beschäftigt man sich mit Geschichte, stößt man zwangsläufig auf abschreckende Seiten <strong>der</strong> Vergangenheit;<br />

die Erinnerung an Völkermorde gehört zweifellos dazu. Unsere Informations- bzw. Arbeitsblätter entstanden<br />

in <strong>der</strong> Absicht, den Schülerinnen und Schülern bewusst zu machen, dass Machtinteressen stets kritisch zu<br />

hinterfragen sind. Darüber hinaus sollen sie über ihre Bereitschaft nachdenken, den Mitmenschen auch bei<br />

Konflikten mit Toleranz und Humanität zu begegnen.<br />

Methodische Hinweise<br />

<strong>Die</strong> Schülerinnen und Schüler können zu einer Partner- bzw. Gruppenarbeit mit bis zu drei Schülerinnen/<br />

Schülern angeregt werden. Vor allem die Recherchearbeiten sollten in Partner- o<strong>der</strong> Gruppenarbeit erledigt<br />

werden. An die Erledigung <strong>der</strong> jeweiligen Arbeitsaufträge schließt sich eine Präsentation an, bei <strong>der</strong> jede<br />

Gruppe ihr Thema vorstellt.<br />

Lösungen zu Seite 3:<br />

1. Welche Taten verurteilt man nach <strong>der</strong> Konvention <strong>der</strong> UN als Völkermord?<br />

b. Tötung von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe<br />

c. Verursachung von schwerem körperlichen o<strong>der</strong> seelischen Schaden an Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe<br />

d. vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche<br />

Zerstörung ganz o<strong>der</strong> teilweise herbeizuführen<br />

e. Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhin<strong>der</strong>ung innerhalb <strong>der</strong> Gruppe gerichtet<br />

sind<br />

f. gewaltsame Überführung von Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gruppe in eine an<strong>der</strong>e Gruppe<br />

2. Welche Voraussetzung muss gegeben sein, damit bestimmte Taten als Völkermord gelten?<br />

Voraussetzung ist die deutliche Absicht, eine nationale, ethnische, „rassische“ o<strong>der</strong> religiöse Gruppe als<br />

solche ganz o<strong>der</strong> teilweise zu zerstören. Nur wenn die Absicht nachgewiesen werden kann, wird von Völkermord<br />

gesprochen.<br />

Lösungen zu Seite 5:<br />

1. Was geschah mit den Überlebenden des Völkermordes?<br />

Zwischen 1915 und 1917 erfuhr die Bevölkerung an <strong>der</strong> russisch-osmanischen Front unbeschreibliches Leid.<br />

Rückten die russischen Truppen vor, führte dies zu Flucht und Massakern an <strong>der</strong> islamisch-türkischen Bevölkerung;<br />

drangen die osmanischen Truppen vor, folgten Flucht und Massaker an den Armeniern. 1917 endete<br />

als Folge <strong>der</strong> Oktober-Revolution das Zarenreich. Im russisch-armenischen Gebiet entstand für kurze Zeit ein<br />

unabhängiger armenischer Staat (1918–1920: Demokratische Republik Armenien). 1920 rückten von Westen<br />

osmanische Truppen und von Norden die Rote Armee ein. Im November 1920 wurde Armenien Teil <strong>der</strong><br />

Transkaukasischen Sowjetrepublik im Rahmen <strong>der</strong> Sowjetunion.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Völkermordkonvention</strong><br />

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2. Wurden die Verantwortlichen des Völkermordes an den Armenierinnen und Armeniern verurteilt?<br />

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bestanden die Siegerstaaten Frankreich und Großbritannien auf einem<br />

Prozess vor dem Kriegsgericht, um die Verantwortlichen des Völkermordes zu bestrafen. <strong>Die</strong>s war <strong>der</strong> erste<br />

Versuch in <strong>der</strong> Geschichte, Verantwortliche für Staats- und Kriegsverbrechen auf dem Rechtsweg zur Verantwortung<br />

zu ziehen. In dem Prozess von 1919–1921 bewies das Kriegsgericht in Istanbul, dass die Verbrechen systematisch<br />

und von einer zentralen Stelle aus vorbereitet wurden. Es gab 17 Todesurteile, drei wurden vollstreckt.<br />

Nach 1921 än<strong>der</strong>te sich die politische Lage: General Mustafa Kemal Atatürk übernahm die Führung. Er begnadigte<br />

alle des Völkermordes Verdächtigten. Da Frankreich und Großbritannien eine gute Beziehung zur neuen<br />

türkischen Regierung anstrebten, fanden sie sich mit den Begnadigungen ab. Einige Verantwortliche flohen,<br />

wurden jedoch später von Armeniern in einem Racheakt ermordet.<br />

3. Wie sieht die Situation in Armenien heute aus?<br />

1990 stimmten 95 Prozent <strong>der</strong> armenischen Bürgerinnen und Bürger für die Unabhängigkeit Armeniens von <strong>der</strong><br />

in Auflösung befindlichen UdSSR. <strong>Die</strong> heutige Republik Armenien entstand nach <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong> Unabhängigkeit<br />

1991; die Hauptstadt heißt Jerewan. Bald kam es zu Spannungen mit dem Nachbarstaat Aserbaidschan;<br />

vor allem das mehrheitlich armenisch besiedelte Gebiet von Berg-Karabach war/ist umstritten.<br />

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