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Entschärfen, wenn es kracht - Herten erleben

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nachbarn & freunde<br />

24 <strong>Herten</strong> <strong>erleben</strong> 32|2010


Den Streit am Gartenzaun?<br />

Schiedsmann Oskar Kojtka<br />

hilft, dass die Konflikte<br />

dann nicht <strong>es</strong>kalieren.<br />

<strong>Entschärfen</strong>, <strong>wenn</strong> <strong>es</strong> <strong>kracht</strong><br />

Untertage hat er <strong>es</strong> krachen lassen. Auf der Zeche Schlägel<br />

& Eisen war er Sprengbeauftragter. Schießmann, so nannten<br />

die Kumpel den Mann mit dem Sprengstoff. Im Ruh<strong>es</strong>tand ist<br />

Oskar Kojtka Experte für die Entschärfung der alltäglichen Konflikte. Aus dem<br />

Schießmann ist ein Schiedsmann geworden. Seit 20 Jahren schlichtet er Streitereien<br />

in <strong>Herten</strong>-Mitte, Disteln und Süd, bevor <strong>es</strong> vor Gericht geht.<br />

Foto: Christoph van Bürk<br />

Untertage ist Oskar Kojtka irgendwie<br />

immer noch aktiv. Seinen Amtsraum hat der<br />

66-Jährige in den Keller verlegt. Auf wenigen<br />

Quadratmetern setzt er die Streithähne zwischen<br />

konservierten Kohlebriketts, alten Helmen,<br />

Bergmannslampen und Atemschutzgeräten<br />

an einen Tisch. Die heimelige Atmos phäre<br />

soll Entspannung schaffen, wo die Luft mächtig<br />

geladen ist. Der Gewerkschaftsauf kleber ist<br />

Programm: „Band der Solidarität“. Das Schild<br />

von untertage ebenso: „Gefahrengruppe II“<br />

steht da an der Wand. Im Kojtka’schen Keller<br />

geht <strong>es</strong> um den Kleinkrieg am Gartenzaun,<br />

nicht gezahlte Rechnungen, Beleidigungen<br />

oder Körperverletzungen. Erst recht in der Gartensaison,<br />

<strong>wenn</strong> Bäume und Sträucher oder die<br />

Grillparty aus Nachbarn Gegner machen. „Ich<br />

lasse beide Seiten sich erst einmal abreagieren“,<br />

sagt Kojtka. „Die Leute brauchen das. Die<br />

tauschen sich erst richtig aus, <strong>wenn</strong> sie vorher<br />

aufeinander losgegangen sind.“<br />

Die dollsten Dönek<strong>es</strong> kann er erzählen. Von<br />

dem Vater, d<strong>es</strong>sen Sohn der Schiedsmann dazu<br />

bewegen sollte, morgens doch nicht immer<br />

seinen Jogurt wegzu<strong>es</strong>sen. Vom Rentner, der<br />

eine Eimerladung kalten Wassers warf, weil er<br />

fand, der Nachbarssohn spiele zu laut. Und der<br />

als Wiedergutmachung die Kinderparty bezahlen<br />

musste, auf die er dann eingeladen wurde.<br />

Fälle, die schmunzeln lassen oder für Kopfschütteln<br />

sorgen. Er wundere sich über gar<br />

nichts mehr, meint Oskar Kojtka. Selbst <strong>wenn</strong><br />

<strong>es</strong> manchmal schwerfalle, „die Leute wollen<br />

ernst genommen werden, und ich nehme alle<br />

Menschen gleich ernst. Man muss in die Leute<br />

hineinhorchen können, und dann müssen sie<br />

miteinander reden.“ So einfach ist das – oder<br />

kann <strong>es</strong> sein.<br />

Menschenkenntnis darf man bei Kojtka<br />

getrost vermuten. Seit 50 Jahren engagiert er<br />

sich in der Gewerkschaft IGBCE, die Hälfte davon<br />

als Vorsitzender der Ortsgruppe Disteln, er<br />

war Vorsitzender d<strong>es</strong> SPD-Ortsvereins Disteln,<br />

ist Knappschaftsält<strong>es</strong>ter und war insg<strong>es</strong>amt<br />

neun Jahre Schöffe am Landgericht Bochum.<br />

Für sein ehrenamtlich<strong>es</strong> Engagement zeichnete<br />

ihn der Bund<strong>es</strong>präsident 2008 mit dem Bund<strong>es</strong>verdienstkreuz<br />

aus.<br />

Wenn sich die Streithähne also so richtig<br />

aufplustern, in der zweifelhaften Sicherheit,<br />

die Rechtsschutzversicherung werde schon die<br />

Kosten übernehmen, <strong>wenn</strong> <strong>es</strong> vor Gericht gehen<br />

sollte, lässt der 66-Jährige ihnen die Luft raus.<br />

„Nun mal ganz langsam“, ob die Versicherung<br />

später zahle, hänge von den Erfolgsaussichten<br />

ab. Aus Kojtkas Erzählungen spricht eine Mischung<br />

aus unbürokratischer Lockerheit, Fachwissen<br />

und der Autorität der Amtsperson. Man<br />

sage ihm nach, er pflege ein gut<strong>es</strong> Verhältnis<br />

zu den Rechtsanwälten, die die Konfliktparteien<br />

immer häufiger begleiten. Ohne Rechtsanwälte<br />

verhandle er allerdings lieber, weil man<br />

b<strong>es</strong>ser an die Menschen herankomme und eine<br />

andere Atmosphäre herrsche.<br />

Der Schiedsmann gibt nur Empfehlungen.<br />

Es gibt keine Sieger und keine B<strong>es</strong>iegten, <strong>es</strong><br />

geht nicht um Recht oder Unrecht, sondern um<br />

Kompromisse, um die Gerichte zu entlasten.<br />

Den entscheidenden Schritt müssen die Streithähne<br />

und -hennen selber machen: aufeinander<br />

zu und über den Graben, der oft kleiner ist,<br />

als die meisten vorher denken.<br />

Deutlich mehr als die Hälfte seiner Fälle<br />

enden in einer Einigung. Wo Oskar Kojtka zuvor<br />

den Vorsatz erkannt hat, jemandem eine Lektion<br />

erteilen zu wollen, steht nachher ein Kompromiss.<br />

„Wenn hinterher beide gemeinsam in<br />

einem Auto nach Hause fahren, weiß ich: Das<br />

hält. Das ist schon ein erhebend<strong>es</strong> Gefühl.“<br />

Wieder eine Sprengladung entschärft.<br />

Christoph van Bürk<br />

infotipps<br />

Oskar Kojtka<br />

Henry-Dunant-Straße 13, 45699 <strong>Herten</strong><br />

Tel.: 0 23 66 / 3 96 02<br />

32|2010 <strong>Herten</strong> <strong>erleben</strong> 25

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