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Grundlagen der Bewegungslehre

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<strong>Grundlagen</strong> <strong>der</strong> <strong>Bewegungslehre</strong><br />

von<br />

Andreas Huberth<br />

für das Ausbildungsseminar:<br />

Biomechanics meets sports<br />

Mai 2008


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Begriffsbestimmungen 3<br />

1.1 Bewegung & Motorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1.2 Bewegungswissenschaft & <strong>Bewegungslehre</strong> . . . . . . . . . . . . . 3<br />

2 Bewegungsanalyse in <strong>der</strong> Sportwissenschaft 5<br />

2.1 Die biomechanische Bewegungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

2.1.1 Biomechanische Merkmale und Messmethoden . . . . . . . 6<br />

2.1.2 Der counter movement jump (CMJ) . . . . . . . . . . . . . 7<br />

2.1.3 Biomechanische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

2.2 Die biomechanische Technikanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

2.3 Die morphologische Bewegungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

3 Sportmotorik 14<br />

3.1 Physiologische <strong>Grundlagen</strong> <strong>der</strong> Motorik . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

3.1.1 Sensorische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

3.1.2 Motorische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

3.2 Einige theoretische Ansätze <strong>der</strong> Motorik . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

3.2.1 Open loop bzw. closed loop-Kontrolle . . . . . . . . . . . . 21<br />

1


INHALTSVERZEICHNIS 2<br />

3.2.2 Die GMP-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

3.3 Koordinative Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

4 Sportmotorisches Lernen 24<br />

5 Literatur 26


1 Begriffsbestimmungen<br />

1.1 Bewegung & Motorik<br />

Der zentrale Begriff <strong>der</strong> <strong>Bewegungslehre</strong> ist die Bewegung. Aus physikalischer<br />

Sicht steht Bewegung für die zeitliche Ortsän<strong>der</strong>ung eines Objekts in einem beliebigen<br />

Bezugssystem. In an<strong>der</strong>em Zusammenhang wird Bewegung jedoch auch<br />

als allgemeiner Ausdruck für Verän<strong>der</strong>ung verwendet (z.B. Freiheitsbewegung,<br />

Studentenbewegung). Für die <strong>Bewegungslehre</strong> als Teil <strong>der</strong> Sportwissenschaft wird<br />

Bewegung jedoch in seiner physikalisch-mechanistischen Bedeutung zur Beschreibung<br />

von Ortsän<strong>der</strong>ungen des menschlichen Körpers o<strong>der</strong> <strong>der</strong> einzelnen Köperpartien<br />

benutzt.<br />

Die einzelnen physiologischen und psychischen Prozesse die zu einer Bewegung des<br />

menschlichen Körpers führen, wie Muskelkontraktion, sensorische Bewegungskontrolle<br />

o<strong>der</strong> auch gedankliche Bewegungsplanung, werden dabei unter dem Überbegriff<br />

<strong>der</strong> Motorik zusammengefasst und sportwissenschaftlich untersucht.<br />

1.2 Bewegungswissenschaft & <strong>Bewegungslehre</strong><br />

Die <strong>Bewegungslehre</strong> befasst sich ganz allgemein mit <strong>der</strong> Bewegung des menschlichen<br />

Körpers im obigen Sinne und allen beteiligten Teilfunktionen des menschlichen<br />

Organismus. Die Begriffe <strong>Bewegungslehre</strong> und Bewegungswissenschaft wer-<br />

3


KAPITEL 1. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN 4<br />

den dabei in <strong>der</strong> Literatur weitestgehend synonym verwendet.<br />

Teilweise soll mit <strong>der</strong> Begriffsverwendung <strong>Bewegungslehre</strong> eine eher phänomenologisch<br />

und anwendungsorientierte Betrachtungsweise von Bewegung zum Ausdruck<br />

gebracht werden. Dem gegenüber basiert die Bewegungswissenschaft auf<br />

einer grundlagenwissenschaftlichen Herangehensweise, wobei Methoden <strong>der</strong> verschiedenen<br />

mit (menschlicher) Bewegung befassten Wissenschaftszweige (z.B.<br />

Physik, Medizin, Psychologie, Arbeitswissenschaften, Biologie etc.) zur Anwendung<br />

kommen.


2 Bewegungsanalyse in <strong>der</strong><br />

Sportwissenschaft<br />

Um Bewegungen im Sport zu analysieren, ist es zweckmäßig die Bewegungsabläufe<br />

in Bestandteile (z.B. verschiedenene Bewegungsphasen) zu unterglie<strong>der</strong>n,<br />

um diese einzeln und in ihrem Zusammenspiel zu untersuchen. Je nach Zielstellung<br />

einer Bewegungsanalyse und je nach den angewandten Untersuchungsmethoden<br />

aus den oben genannten <strong>Grundlagen</strong>wissenschaften können Bewegungsabläufe<br />

dabei aus sehr verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Beispielsweise<br />

findet bei <strong>der</strong> funktionell-anatomischen Bewegungsanalyse primär <strong>der</strong> medizinischanatomische<br />

Betrachtungswinkel Berücksichtigung. Weitere wichtige Konzepte<br />

sind die biomechanische, die morphologische und die funktionale Bewegungsanalyse.<br />

2.1 Die biomechanische Bewegungsanalyse<br />

Bei <strong>der</strong> biomechanischen Bewegungsanalyse werden Bewegungen durch die Gesetzmäßigkeiten<br />

und Methoden <strong>der</strong> Mechanik beschrieben und untersucht. Auch<br />

<strong>der</strong> biologische Aspekt <strong>der</strong> Mechanik, z.B. die Steuerungs- und Regelungsprozesse<br />

bei <strong>der</strong> Muskelkontraktion, wird von einigen Autoren <strong>der</strong> biomechanischen<br />

Bewegungsanalyse zugeordnet.<br />

5


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 6<br />

Abbildung 2.1: Untersuchungsziele <strong>der</strong> Biomechanik des Sports<br />

Die Biomechanik des Sports wird im Allgmeinen in drei Teilgebiete aufgeteilt:<br />

1. Leistungsbiomechanik<br />

2. anthropometrische Biomechanik<br />

3. präventive Biomechanik<br />

2.1.1 Biomechanische Merkmale und Messmethoden<br />

In <strong>der</strong> Biomechanik des Sports werden Zeitmerkmale sowie biokinematische und<br />

biodynamische Merkmale unterschieden. Abbildung 2.2 gibt eine Übersicht über<br />

die zugeordneten Messgrößen.<br />

Zur Bestimmung biodynamischer Merkmale ist die Messung von Kräften notwendig.<br />

Beispielsweise kommen hierfür dynamometrische Plattformen zum Einsatz,<br />

die unter Ausnutzung des piezoelektrischen Effekts, eine Kraftmessung bei<br />

Absprung-, Lande- und Laufbewegungen ermöglichen. Eine wichtige Rolle in <strong>der</strong>


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 7<br />

Abbildung 2.2: Übersicht biomechanischer Merkmale<br />

biodynamischen Bewegungsanalyse spielt auch die Körperschwerpunktsbestimmung.<br />

In <strong>der</strong> Regel wird <strong>der</strong> Körperschwerpunkt aus den gemessenen Positionen<br />

<strong>der</strong> einzelnen Körperteile und ihrem Anteil am Gesamtkörpergewicht berechnet<br />

(vgl. Abb. 2.4). Dabei kommen verschiedene Modelle betreffend Gewichtsanteilen<br />

und Schwerpunkten <strong>der</strong> einzelnen Körperglie<strong>der</strong> zur Anwendung (z.B. vgl.<br />

Abb. 2.3). Die Körperschwerpunktsbestimmung wird duch die Verwendung von<br />

Videometrie und entsprechen<strong>der</strong> Software deutlich erleichtert.<br />

2.1.2 Der counter movement jump (CMJ)<br />

Viele Konzepte aus <strong>der</strong> Bewegungsanalyse kann man sich am relativ einfachen<br />

Beispiel des sogenannten counter movement jump (CMJ), einem beidbeinigen<br />

vertikalen Sprung mit Ausholbewegung, verdeutlichen. Zielstellung des CMJ ist<br />

die maximale vertikale Verlagerung des Körperschwerpunkts. In Abb. 2.5 sind die<br />

vertikalen Weg-Zeit-, Geschwindigkeits-Zeit- und Kraft-Zeit-Verläufe bei einem<br />

solchen Sprung dargestellt.


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 8<br />

Abbildung 2.3: Teilmassen und Schwerpunktradien<br />

Abbildung 2.4: Berechnung des Körperschwerpunkts aus relativen Teilmassen und<br />

Lagen <strong>der</strong> Teilkörperschwerpunkte


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 9<br />

Abbildung 2.5: Vertikale Weg-Zeit-, Geschwindigkeits-Zeit- und Kraft-Zeit-<br />

Verläufe beim counter movement jump; P 1 Ausholkraftstoß ,P 2 Bremskraftstoß,<br />

P 3 &P 4 Beschleunigungskraftstoß<br />

2.1.3 Biomechanische Prinzipien<br />

Nach Hochmuth können die folgenden sechs biomechanische Prinzipien beobachtet<br />

werden:<br />

1. Prinzip <strong>der</strong> Anfangskraft<br />

2. Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges<br />

3. Prinzip <strong>der</strong> optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf<br />

4. Prinzip <strong>der</strong> zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen<br />

5. Prinzip <strong>der</strong> Gegenwirkung<br />

6. Prinzip <strong>der</strong> Impulserhaltung<br />

Prinzip <strong>der</strong> Anfangskraft Als Anfangskraft wird die Kraft bezeichnet, die<br />

am Ende einer Ausholbewegung zum Zeitpunkt des Beginns des Beschleunigungskraftstoßes<br />

wirkt. Sie führt zu einem im Vergleich zu einem Bewegungsablauf ohne


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 10<br />

Ausholphase vergrößerten Kraftstoß und damit zu einer größeren Endgeschwindigkeit<br />

(Beispiel: counter movement jump (CMJ)).<br />

Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges Abhängig von <strong>der</strong> Köperstellung<br />

und <strong>der</strong> jeweiligen sportlichen Bewegung ergibt sich ein optimaler, geradlinger<br />

o<strong>der</strong> stetig gekrümmter Beschleunigungsweg (Beispiele: Hammerwerfen,<br />

Kugelstoßen, CMJ).<br />

Prinzip <strong>der</strong> optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf Je nach<br />

Zielstellung <strong>der</strong> sportlichen Bewegung, sind verschiedene Beschleunigungs-Zeit-<br />

Verläufe als optimal anzusehen. Soll die Bewegung möglichst wenig Zeit beanspruchen<br />

so ist eine hohe Beschleunigung zu Beginn zweckmäßig (Beispiel: 100m-<br />

Lauf). Ist eine hohe Endgeschwindigkeit das Ziel, so sollte die größte Beschleunigung<br />

im letzten Bewegungsdrittel stattfinden (Beispiel: Weitsprung).<br />

Prinzip <strong>der</strong> zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen Um einen optimalen<br />

Bewegungsablauf zu gewährleisten müssen die Beschleunigungskraftstöße<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Teilbewegungen optimal aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt sein (Beispiel:<br />

CMJ, Tennisaufschlag).<br />

Prinzip <strong>der</strong> Gegenwirkung Entsprechend dem 3. Newtonschen Gesetz besteht<br />

zu einer Wirkung auch immer eine entgegengesetzte, gleich große Gegenwirkung<br />

(Beispiel: Köperverwringung beim Laufen, Weitsprung).<br />

Prinzip <strong>der</strong> Impulserhaltung Nach dem Impulserhaltungssatz bleibt <strong>der</strong> Gesamt(dreh)impuls<br />

eines geschlossenen Systems erhalten (Beispiel: Salto, Pirouette).


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 11<br />

Abbildung 2.6: Prinzip <strong>der</strong> Gegenwirkung beim Weitsprung<br />

Abbildung 2.7: Teilweiten <strong>der</strong> Sprungweite W<br />

2.2 Die biomechanische Technikanalyse<br />

Wie bereits <strong>der</strong> Begriff verrät zielt die biomechanische Technikanalyse auf die Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Bewegungstechnik eines Sportler ab und stützt sich auf biomechanische<br />

Messwerte. Hierzu werden aus den verschiedenen biomechanischen Merkmalen<br />

zunächst durch statistische Auswertung <strong>der</strong> Messwerte mehrerer Sportler<br />

jene bestimmt, die einen Einfluss auf die sportliche Leistung haben. Im nächsten<br />

Schritt wird den einzelnen Einflussgrößen eine geschätzte Einflusshöhe zugeordnet.<br />

Schließlich werden die individuellen technischen Defizite im Bewegungsablauf<br />

durch Vergleich mit den Untersuchungsergebnissen an<strong>der</strong>er Sportler identifiziert.<br />

Beispielhaft finden sich in den Abbildungen 2.7 und 2.8 einige in <strong>der</strong> biomechanischen<br />

Technikanalyse identifizierte Einflussgrößen für den Weitsprung.


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 12<br />

Abbildung 2.8: Biomechanische Einflussgrößen <strong>der</strong> Flugweite W 2<br />

2.3 Die morphologische Bewegungsanalyse<br />

In <strong>der</strong> morphologischen Bewegungsanalyse von (griechisch µoρϕη, morphe = Gestalt,<br />

Form) werden Bewegungsabläufe in direkt wahrnehmbare Merkmale <strong>der</strong><br />

äußeren Form o<strong>der</strong> Gestalt zerlegt und ihre wechselseitigen Beziehungen untersucht.<br />

Nach Schnabel lassen sich neun morphologische Bewegungsmerkmale unterscheiden.


KAPITEL 2. BEWEGUNGSANALYSE IN DER SPORTWISSENSCHAFT 13<br />

Merkmale<br />

Bewegungsaspekte<br />

Struktur sportlicher Bewegungsakte Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Bewegung in Vorbereitungs-,<br />

Bewegungsrhythmus<br />

Bewegungskopplung<br />

Haupt- und (stabilisierende) Endphase<br />

Zeitliche Ordnung in einer Bewegung<br />

Bewegungsfluss<br />

Bewegungspräzision<br />

Bewegungskonstanz<br />

Schwungübertragung, zeitliche Kopplung von Teilbewegungen,<br />

Formen des Rumpfeinsatzes, Steuerungsfunktion<br />

des Kopfes<br />

Grad <strong>der</strong> Kontinuität in einer Bewegung<br />

Grad <strong>der</strong> Übereinstimmung einer Bewegung mit<br />

dem geplanten Verlauf o<strong>der</strong> Ziel<br />

Grad <strong>der</strong> Übereinstimmung von wie<strong>der</strong>holten Bewegungen<br />

o<strong>der</strong> Teilbewegungen in Bezug auf das<br />

Bewegungsumfang<br />

Bewegungstempo<br />

Bewegungsergebnis und Merkmale <strong>der</strong> Bewegung<br />

Räumliche Ausdehnung o<strong>der</strong> Amplitude einer Bewegung<br />

Schnelligkeit und Frequenz <strong>der</strong> (Teil-)Bewegungen<br />

Bewegungsstärke<br />

Tabelle 2.1: Morphologische Bewegungsmerkmale nach Schnabel und ihre zugehörigen<br />

Bewegungsaspekte


3 Sportmotorik<br />

Alle an sportlichen Bewegungen beteiligten Teilprozesse und Teilsysteme des<br />

menschlichen Organismus werden unter dem Oberbegriff Sportmotorik betrachtet.<br />

3.1 Physiologische <strong>Grundlagen</strong> <strong>der</strong> Motorik<br />

3.1.1 Sensorische Systeme<br />

Das visuelle System Auge, Sehbahn und Sehrinde bilden das visuelle System<br />

(vgl. Abb.3.1). Das Auge nimmt optische Reize auf und wandelt sie in elektrische<br />

Aktionspotentiale <strong>der</strong> Netzhautzellen um. Über Nervenleitungsbahnen (Sehbahn<br />

incl. Sehnerv) werden diese Aktionspotentiale an verschiedene Instanzen des zentralen<br />

Nervensystems weitergeleitet (primäre und sekundäre Sehrinde), wo die<br />

Nervensignale verarbeitet und interpretiert werden. Die Funktionsweise des visuellen<br />

Systems ist dabei hochkomplex. So werden allein die Bewegungen <strong>der</strong> Augen<br />

durch je 6 verschiedene Muskeln erzielt (vgl. Abb.3.2). Je nach Koordination <strong>der</strong><br />

einzelnen Muskeln lassen sich Fixationen, Saccaden, Folgebewegungen, Vergenzund<br />

Akkomodationsbewegungen unterscheiden, wobei jede Bewegungsart auch<br />

unterschiedliche Funktionen für die visuelle Wahrnehmung im Sport erfüllt.<br />

14


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 15<br />

Abbildung 3.1: Die Bestandteile des visuellen Systems


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 16<br />

Abbildung 3.2: Die Augenmuskulatur<br />

Das vestibuläre System Neben <strong>der</strong> Cochlea (Hörschnecke) befindet sich im<br />

Innenohr <strong>der</strong> sogenannte Vestibulärapparat(vgl. Abb.3.3). Der Vestibulärapparat<br />

besteht aus fünf Einzelorganen, wobei die 3 Bogengangsorgane zur Registierung<br />

rotatorischer und die zwei Maculaorgane zur Registrierung translatorischer<br />

Kopfbewegungen (eigentlich werden Beschleunigungen gemessen) dienen<br />

(vgl. Abb.3.4). Die in den Einzelorganen aufgenommenen Signale werden nach<br />

Weiterleitung über Nervenbahnen im zentralen Nervensystem verarbeitet. Vestibularapparat,<br />

zugehörige Nervenbahnen und Anteile des zentralen Nervensystems<br />

bilden das vestibuläre System, welches entscheidend für den Gleichgewichtssinn<br />

sind. Aber natürlich gehen auch visuelle Informationen und Informationen über<br />

die Körperhaltung in das Gleichgewichtsempfinden ein.<br />

Das Muskellängensystem Muskelspindeln sind Sinnesorgane in den Muskeln<br />

(vgl. Abb.3.5), die den Dehnungszustand <strong>der</strong> Skelettmuskulatur erfassen<br />

und somit über komplexe Steuerungsmechanismen im zentralen Nervensystem<br />

die Steuerung <strong>der</strong> Muskellängen ermöglichen (Muskellängensystem).


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 17<br />

Abbildung 3.3: Die anatomische Lage des Innenohrs<br />

Abbildung 3.4: Der Vestibularapparat: Die Macula- und Bogengangsorgane(Cupulae)<br />

dienen als Beschleunigungssensoren.


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 18<br />

Abbildung 3.5: Schematischer Aufbau und Funktion einer Muskelspindel<br />

3.1.2 Motorische Systeme<br />

Die sogenannten motorischen Systeme haben die Funktion, Bewegungen des Körpers<br />

zu starten, auszuführen, zu überwachen, das Bewegungsergebnis zu bewerten und<br />

die Ausführungsvorschriften dieser Prozesse zu speichern. Die motorischen und<br />

die sensorischen Systeme sind in ihren Funktionen für das Bewegen untrennbar<br />

verbunden.<br />

Muskelkontraktion Körperbewegungen entstehen durch Muskelkontraktionen,<br />

also Muskelverkürzungen. Skelettmuskeln werden von speziellen Nervenzellen,<br />

den im Rückenmark o<strong>der</strong> im Stammhirn liegenden Motoneuronen, über Nervenfasern<br />

gesteuert. Jedes Motoneuron innerviert dabei mehrere Muskelzellen (je nach<br />

Aufgabe des Muskels von 10 bis mehrere Tausend). Das Motoneuron mit seinen<br />

versorgten Muskelzellen nennt man auch eine motorische Einheit. Die Kon-


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 19<br />

Abbildung 3.6: Der Muskeldehnungsreflex<br />

traktionskraft eines Muskels wird über die Frequenz <strong>der</strong> Muskelzellenerregung<br />

und die Anzahl <strong>der</strong> angesteuerten motorischen Einheiten bestimmt.<br />

Dehnungsreflex Der Reflex stellt die einfachste Form eines motorischen Programms<br />

dar und liefert eine festgeschriebene motorische Reaktion auf einen bestimmten<br />

Umwelteinfluss.<br />

Beim Dehnungsreflex wird die Längenzunahme des Muskels von den Muskelspindeln<br />

registriert, über Nervenfasern direkt an die den Muskel innervierenden Motoneuronen<br />

gemeldet, woraufhin diese eine Kontraktion <strong>der</strong> zugehörigen Muskelfasern<br />

veranlassen und somit die Länge des Muskels stabilisieren (vgl. Abb.3.6). Im<br />

Stand wirkt <strong>der</strong> Dehnungsreflex als Antischwerkraftreflex und ist am Aufrechthalten<br />

des Körpers beteiligt, indem er dem Beugen <strong>der</strong> unteren Extremitäten<br />

entgegen wirkt.<br />

Stützmotorik<br />

Zur Aufrechthaltung des Menschen bedarf es einer ständigen<br />

Regulation <strong>der</strong> Kontraktionskraft von Bein- und Rumpfmuskulatur. Unter Stütz-


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 20<br />

Abbildung 3.7: Bodenreaktionskräfte beim beidbeinigen Stehen: Gewichtskraft<br />

<strong>der</strong> Versuchsperson 615N. Die periodischen Ausschläge <strong>der</strong> F z -Kurve stammen<br />

von vertikalen Massenverlagerungen des Herzens (Herzschlag). Das Vorzeichen<br />

<strong>der</strong> F x - bzw. <strong>der</strong> F y -Kurve zeigt die Kraftrichtung rechts-links bzw. vorwärtsrückwärts<br />

an.<br />

motorik versteht man den hierfür verantwortlichen Teil <strong>der</strong> Motorik.<br />

Der menschliche Körper ist dann im motorischen Gleichgewicht, wenn die Summe<br />

aller wirkenden Kräfte bzw. Drehmomente bestimmte Grenzen nicht überschreiten<br />

(vgl. Abb.3.7). Diese Grenzen sind abhängig von <strong>der</strong> gestellten Aufgabe sowie<br />

von individuellen und äußeren Voraussetzungen.<br />

Zielmotorik Unter Zielmotorik werden diejenigen motorischen Teilsysteme und<br />

-prozesse zusammengefasst, die für die Steuerung geplanter Bewegungen verantwortlich<br />

sind. Die Hauptzentren <strong>der</strong> Zielmotrik liegen in <strong>der</strong> Hirnrinde (Motorkortex<br />

und Assoziationskortex), im Kleinhirn und in den Basalganglien.


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 21<br />

Abbildung 3.8: Open loop und closed loop-Kontrolle<br />

3.2 Einige theoretische Ansätze <strong>der</strong> Motorik<br />

3.2.1 Open loop bzw. closed loop-Kontrolle<br />

Open loop-kontrollierte Bewegungen basieren auf Muskelinstruktionen, die vor<br />

Bewegungsbeginn vollständig festgelegt sind. Die sensorischen Rückmeldungen<br />

während eines Bewegungsablaufs werden dabei nicht bewegungskorrigierend wirksam<br />

(keine Rückkopplung).<br />

Bei closed loop-kontrollierten Bewegungen wird <strong>der</strong> Bewegungsablauf durch sensorische<br />

Rückmeldungen schon während <strong>der</strong> Bewegung überprüft und korrigiert<br />

(Rückkopplung).<br />

Ein Beispiel für ein closed loop-Modell ist das Koordinationsmodell von Schnabel<br />

(vgl. Abb. 3.9).<br />

Bei <strong>der</strong> open loop-Kontrolle wird davon ausgegangen, dass alle Details einer<br />

Bewegung schon vor ihrer Ausführung als motorisches Programm festgelegt sind.<br />

Für die Annahme <strong>der</strong> Existenz solcher motorischer Programme sprechen vor allem


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 22<br />

Abbildung 3.9: Vereinfachtes Koordinationsmodell nach Schnabel<br />

drei Gründe:<br />

1. Bewegungsausführungen sind auch ohne sensorische Rückmeldungen möglich.<br />

2. Closed loop-Prozesse sind zu langsam für schnelle Bewegungen.<br />

3. Je nach Komplexität von Bewegungen variieren die Reaktionszeiten.<br />

Gegen die Annahme einer 1:1-Speicherung von Bewegungen im motorischen Programmen<br />

sprechen <strong>der</strong> große Speicherbedarf und die fehlende Möglichkeit zur<br />

Ausführung neuer Bewegungen.<br />

3.2.2 Die GMP-Theorie<br />

Die Theorie von den generalisierten motorischen Programmen (GMP) nimmt<br />

an, dass ein GMP eine ganze Klasse von Bewegungen steuert, die durch bewegungsübergreifende<br />

konstante Merkmale und bewegungsspezifische variable Merkmale<br />

gekennzeichnet sind. Die konstanten Merkmale eines GMP sind dabei or<strong>der</strong>


KAPITEL 3. SPORTMOTORIK 23<br />

Abbildung 3.10: Merkmale <strong>der</strong> sportlichen Gewandheit<br />

of events, phasing und relative force. Variable Merkmale eines GMP sind overall<br />

duration, overall force und muscle selection.<br />

3.3 Koordinative Fähigkeiten<br />

Koordinative Fähigkeiten sind relativ verfestigte allgemeine koordinative Leistungsvoraussetzungen<br />

für die Bewältigung motorischer Aufgaben, in Unterscheidung<br />

von erlernten Bewegungs- und Koordinationsmustern (Fertigkeiten). Es<br />

existieren verschiedene Konzepte koordinativer Fähigkeiten, beispielsweise das<br />

Modell von Hirtz (vgl. Abb 3.10).


4 Sportmotorisches Lernen<br />

Unter sportmotorischem Lernen versteht man die umgebungsbezogene, relativ<br />

zeitüberdauernde Ausbildung und Korrektur eines sportmotorischen Gedächtnisses.<br />

Im Gedächtnis werden die für das sportmotorische Lernen wichtigen Informationen<br />

verarbeitet und gespeichert. Dabei werden das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis<br />

unterschieden (vgl. Abb. 4.1). Als drei Phasen des motorischen<br />

Lernens werden unterschieden:<br />

1. Entwicklung <strong>der</strong> Grobkoordination<br />

2. Entwicklung <strong>der</strong> Feinkoordination<br />

3. Stabilisierung <strong>der</strong> Feinkoordination und Ausprägung <strong>der</strong> variablen Verfügbarkeit<br />

(→ erfolgreiches Bewegungsergebnis auch unter schwierigen Bedingungen).<br />

24


KAPITEL 4. SPORTMOTORISCHES LERNEN 25<br />

Abbildung 4.1: Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis


5 Literatur<br />

• <strong>Grundlagen</strong> <strong>der</strong> Bewegungswissenschaft- und lehre. N.Olivier und U.Rockmann.<br />

Verlag Karl Hofmann 2003.<br />

(Abbildungen 2.1-2.5, 2.7&2.8 und 3.7-4.1)<br />

• Allgemeine <strong>Bewegungslehre</strong>. E.Loosch. Limpert Verlag 1999.<br />

(Abbildung 2.6)<br />

• Handbuch Bewegungswissenschaft - <strong>Bewegungslehre</strong>. Hrsg. H.Mechling und<br />

J.Munzert. Verlag Karl Hofmann 2003.<br />

• http://fara.cs.uni-potsdam.de/∼enke/skript-bewegungswiss.pdf<br />

• Atlas <strong>der</strong> Anatomie des Menschen Band 1 / Sobotta, Hrsg. R. Putz und R.<br />

Pabst, 20. Auflage, Urban & Schwarzenberg, 1993.<br />

(Abbildung 3.3)<br />

• Lehrbuch <strong>der</strong> Physiologie, Hrsg. R. Klinke und S. Silbernagl, 2.Auflage,Georg<br />

Thieme Verlag, 1996.<br />

(Abbildungen 3.1&3.2 und 3.4-3.6)<br />

26


Abbildungsverzeichnis<br />

2.1 Untersuchungsziele <strong>der</strong> Biomechanik des Sports . . . . . . . . . . 6<br />

2.2 Übersicht biomechanischer Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

2.3 Teilmassen und Schwerpunktradien . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

2.4 Berechnung des Körperschwerpunkts aus relativen Teilmassen und<br />

Lagen <strong>der</strong> Teilkörperschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

2.5 Vertikale Weg-Zeit-, Geschwindigkeits-Zeit- und Kraft-Zeit-Verläufe<br />

beim counter movement jump . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

2.6 Prinzip <strong>der</strong> Gegenwirkung beim Weitsprung . . . . . . . . . . . . 11<br />

2.7 Teilweiten <strong>der</strong> Sprungweite W . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

2.8 Biomechanische Einflussgrößen <strong>der</strong> Flugweite W 2 . . . . . . . . . 12<br />

3.1 Die Bestandteile des visuellen Systems . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

3.2 Die Augenmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

3.3 Die anatomische Lage des Innenohrs . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

3.4 Der Vestibularapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

3.5 Schematischer Aufbau und Funktion einer Muskelspindel . . . . . 18<br />

3.6 Der Muskeldehnungsreflex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

3.7 Bodenreaktionskräfte beim beidbeinigen Stehen . . . . . . . . . . 20<br />

27


ABBILDUNGSVERZEICHNIS 28<br />

3.8 Open loop und closed loop-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

3.9 Vereinfachtes Koordinationsmodell nach Schnabel . . . . . . . . . 22<br />

3.10 Merkmale <strong>der</strong> sportlichen Gewandheit . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

4.1 Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 25

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