VI.5. 1945 und wir
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Hitler-Junge Günter Gaus gesprochen hatte, noch ehe sich ein nur wenig älterer<br />
Helmut Kohl damit in Israel blarnierte. 9<br />
Von Kohl zu Schröder<br />
Doch das ist 20 Jahre her. Seitdem sind weitere Verkündungen des "Endes der<br />
Nachkriegszeit" ins Land gegangen, <strong>und</strong> der Nachfolger im Kanzleramt des "neuen<br />
Deutschland" (auch dies schon ein Kohl-Wort von damals) kann vieles äußern, was<br />
einem Vorgänger noch reichlich übel genommen worden wäre – zum Beispiel den<br />
bei Amtsantritt formulierten Wunsch nach einem Holocaust-Denkmal, zu dem die<br />
Menschen" gerne hingehen". 10 Wenn Gerhard Schröder im Irakkonflikt einen<br />
selbstbewussten "deutschen Weg“ bezeichnet, wenn er auf einem ständigen Sitz im<br />
UN-Sicherheitsrat beharrt – für Deutschland, nicht für Europa – <strong>und</strong> in der Normandie<br />
aus Anlass des 60. Jahrestages der alliierten Invasion postuliert, für eine Nation zu<br />
sprechen, die "den Weg zurück in den Kreis der zivilisierten Völkergemeinschaft"<br />
gef<strong>und</strong>en hat, 11 dann ist das alles keineswegs nur die Konsequenz einer durch den<br />
Epochenbruch von 1989/90 objektiv veränderten politischen Lage. Es ist vielmehr<br />
auch Ausdruck einer subjektiv als derart groß erlebten Distanz zum "alte[nl<br />
Deutschland jener finsteren Jahre", dass sogar ein neues Spiel auf der Klaviatur des<br />
symbolpolitisch wieder für attraktiv gehaltenen Patriotismus erlaubt zu sein scheint.<br />
Gerhard Schröder, Halbwaise, Jahrgang 1944, aufgewachsen in prekären materiellen<br />
Verhältnissen, hat beste Aussichten, zum heimlichen Repräsentanten jener<br />
rasch sich ausbreitenden Erinnerungsgemeinschaft der Kriegskinder12 zu werden,<br />
deren Selbsterfindung <strong>wir</strong> gerade erleben: "Das Grab meines Vaters, eines Soldaten,<br />
der in Rumänien fiel, hat meine Familie erst vor vier Jahren gef<strong>und</strong>en. Ich habe<br />
meinen Vater nie kennen lernen dürfen." - Wer als Staatsmann in diesem Modus des<br />
Privaten über die Geschichte spricht, der bekennt sich damit nicht nur zu einer<br />
kohortentypischen " Schicksalslage " (Helmut Schelsky), der <strong>wir</strong>kt auch mit an einer<br />
Umcodierung der Vergangenheit. In deren Mittelpunkt schieben sich nun: die<br />
Deutschen als Opfer.<br />
Dort aber liegen auch die Intentionen jenes "Zentrums gegen Vertreibungen", dessen<br />
Errichtung die Vorsitzende des B<strong>und</strong>es der Vertriebenen, Erika Steinbach, Jahrgang<br />
1943, seit einiger Zeit mit aller Macht verfolgt. Die beträchtliche mediale Resonanz 13 ,<br />
die das Projekt im Zeichen des Übergangs<br />
9 Kohl benutzte die von Gaus geprägte Wendung am 24.1.1984 zur Eröffnung einer Ansprache vor der<br />
Knesset: "Ich rede vor Ihnen als einer, der in der Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die<br />
Gnade der späten Geburt <strong>und</strong> das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat.<br />
10 So Gerhard Schröder am 1.11.1998 in einem Interview mit dem Fernsehsender SAT1.<br />
11 Rede des B<strong>und</strong>eskanzlers am 6.6.2004 in Caen, dokumentiert in: "Blätter", 7/2004, S. 895 f.<br />
12 Vgl. Sabine Bode, Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen, Stuttgart<br />
2004; Hilke Lorenz, Kriegskinder. Das Schicksal einer Generation, München 2003.<br />
13<br />
Sowohl ARD als auch ZDF haben das Thema mit mehrteiligen Dokumentationen <strong>und</strong><br />
Begleitbüchern aus der Perspektive der Zeitzeugen aufgegriffen. Aus der Fülle der aktuellen Literatur<br />
vgl. Helga Hirsch, Schweres Gepäck. Flucht <strong>und</strong> Vertreibung als Lebensthema, Hamburg 2004.<br />
Exemplarisch für das demagogische Spiel mit angeblichen Tabus: Klaus Rainer Röhl, Verbotene<br />
Trauer. Ende der deutschen Tabus. Mit einem Vorwort von Erika Steinbach, München 2002.