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Semantische und pragmatische Grundlagen - Teil II - UK-Online

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Primus - HS "Partikeln" - SoSe 2004 23<br />

<strong>Semantische</strong> <strong>und</strong> <strong>pragmatische</strong> Gr<strong>und</strong>lagen - <strong>Teil</strong> <strong>II</strong><br />

3. Sprecher- <strong>und</strong> Hörer-Einstellungen<br />

Mehrheitlich vertretene Annahme über die Bedeutung von Modalpartikeln: sie<br />

drücken eine Einstellung von Hörer oder Sprecher zur Proposition aus.<br />

Formal: BEL(s, p) für "Sprecher glaubt (engl. believes), dass p"<br />

Weydt ab 1969; Doherty 1985/87; Thurmair 1989, Jacobs 1991, Lindner 1991,<br />

Meibauer 1994, Autenrieth 2002<br />

Einstellungen als logische Modalitäten<br />

Satzadverbien: Peter kommt sicherlich / vermutlich.<br />

Modalverben: Peter muss / kann kommen.<br />

Einstellungsverben: Ich weiß / glaube, dass Peter kommt.<br />

?Modalpartikeln: Peter wird wohl kommen.<br />

Lit.: Meibauer 1994, Kratzer 1991 (HS-Handapparat); Kiefer, Ferenc. 1987. On<br />

defining modality. Folia Linguistica 21, 67-94.<br />

Die modale Kraft ergibt sich aus der Quantifikation über alle möglichen Welten:<br />

Notwendigkeit: Die Proposition muss in<br />

allen Welten erfüllt sein<br />

Es ist notwendig, dass Peter kommt.<br />

Peter kommt notwendigerweise.<br />

Peter muss kommen.<br />

Ich weiß, dass Peter kommt.<br />

Peter kommt sicherlich.<br />

◊ Möglichkeit: Die Proposition muss in<br />

mindestens einer Welt erfüllt sein<br />

Es ist möglich, dass Peter kommt.<br />

Peter kommt möglicherweise.<br />

Peter kann kommen.<br />

Ich glaube, dass Peter kommt.<br />

Peter kommt vielleicht.<br />

Graduelle Unterschiede: sicherlich > wahrscheinlich > vermutlich > vielleicht.<br />

Analog bei den nominalen Quantoren: alle > viele > mehrere > ein<br />

Beachte: alle - ein, notwenig - möglich, überall - irgendwo sind dual zueinander (d.h.<br />

ein Quantor ist äquivalent mit der dualen Negation des anderen):<br />

Alle kommen. Keiner kommt nicht.<br />

Einer kommt. Nicht alle kommen nicht.<br />

Ich weiß, dass p. Ich glaube nicht, dass nicht p.<br />

Ich glaube, dass p. Ich weiß nicht, dass nicht p.<br />

Typen von Modalitäten (Redehintergr<strong>und</strong>-Typen nach Kratzer):<br />

Peter muss / kann kommen. Wieviele Lesarten haben die Modalverben?


Primus - HS "Partikeln" - SoSe 2004 24<br />

epistemisch: hinsichtlich dessen, was man weiß / glaubt, kommt Peter.<br />

Ich weiß / vermute, dass Peter kommt.<br />

deontisch:<br />

hinsichtlich dessen, was getan werden soll /erlaubt ist, kommt Peter.<br />

Ich befehle / erlaube Peter zu kommen.<br />

dispositionell / physisch: hinsichtlich dessen, was physisch unvermeidbar / möglich ist<br />

(natürliche Notwendigkeit / Disposition).<br />

Ich muss einfach nießen. Peter ist in der Lage, 10 Km zu joggen.<br />

buletisch (boulomaisch): hinsichtlich dessen, was man wünscht ....<br />

Präzisierung von Traugotts (1988) "Subjektivierungs"hypothese bei der diachronen<br />

Entwicklung von Modalverben: dispositionell / physisch > deontisch > epistemisch<br />

Da logische Modalitäten wahrheitskonditional sind, kann man damit die Bedeutung<br />

einiger Modalitätsausdrücke, nicht aber die Funktion der Modalpartikeln erfassen.<br />

Fragetest für Ausdrücke mit wahrheitskonditionaler Bedeutung:<br />

Kommt Peter SICHERLICH? SICHER ist es nicht, aber VERMUTLICH kommt er.<br />

Die Aussagen Peter kommt sicherlich / vermutlich haben nicht dieselben Wahrheitsbedingungen:<br />

Peter kommt vermutlich schließt nicht aus, dass Peter nicht kommt;<br />

Peter kommt sicherlich schließt eine Situation aus, in der Peter nicht kommt<br />

(notwendige Wahrheit). Auch bei einer epistemischen Lesart ist ausgeschlossen, dass<br />

S nicht sicher weiß, dass p.<br />

Zum Unterschied: Peter kommt ja / wohl haben dieselben Wahrheitsbedingungen:<br />

wenn Peter kommt, sind beide Sätze wahr, wenn er nicht kommt, sind sie falsch.<br />

Obwohl ja epistemische Notwendigkeit von seiten des Hörers, dass p, unterstellt,<br />

bleibt der Satz wahr, wenn der Hörer nicht weiß, dass Peter nicht kommt (Man kann<br />

dann höchstens sagen, die Äußerung sei unangemessen).<br />

Plausible Hypothese: Der Bedeutungsbeitrag der Modalpartikeln sind nicht-wahrheitskonditionale<br />

("unterstellte") Einstellungen (konventionelle Implikaturen oder<br />

Präsuppositionen).<br />

4. Einstellungen, Sprechakte [illokutionäre Akte] <strong>und</strong> Satzmodi<br />

Geh hinaus! Geh mal hinaus! Hau bloß ab! *Geh denn hinaus!<br />

Eine Aufforderung vom Sprecher S an den Hörer H, p zu tun, ist vollkommen<br />

gelungen genau dann, wenn 1)-4) erfüllt sind:<br />

1) Die Proposition repräsentiert eine zukünftige Handlung von H (Bedingung des<br />

propositionalen Gehalts)


Primus - HS "Partikeln" - SoSe 2004 25<br />

2) S bzw. seine Äußerung präsupponiert, dass H in der Lage ist, p zu tun (physische<br />

Möglichkeit von H)<br />

3) S wünscht, dass p tut (buletische Einstellung von S)<br />

4) S versucht H dazu zu bringen, P zu tun (deontische Notwendigkeit).<br />

Die Komponenten 3) <strong>und</strong> 4) haben nach Searle / Vanderveken (1985) unterschiedliche<br />

Stärkegrade (vgl. Bitte vs. Befehl). Hypothese: Die Partikel mal schwächt ihn ab, bloß<br />

verstärkt ihn (daher der Name 'Abtönungspartikel').<br />

Die Gelingensbedingungen von illokutionären Akten (mit Ausnahme der Bedingung<br />

des propositionalen Gehalts) beruhen auf Einstellungsmodalitäten von Sprecher oder<br />

Hörer. Die Funktion der Satzmodi (Imperativsatz, Aussagesatz, Fragesatz,<br />

Wunschsatz, Ausrufesatz) liegt laut Mehrheitsmeinung ebenfalls im Bereich der<br />

sprechaktbezogenen Einstellungen (Altmann 1987 u.a.).<br />

Ansätze, die die Funktion der Modalpartikeln im Bereich der Einstellungsmodalitäten<br />

ansiedeln, unterscheiden sich minimal voneinander (vgl. dazu Jacobs 1991):<br />

a) Modalpartikeln modifizieren oder präzisieren die illokutive Komponente einer<br />

Äußerung (Jacobs 1991).<br />

b) Modalpartikeln drücken generell Einstellungen aus, unabhängig davon, ob diese<br />

einen bestimmten Sprechakttyp definieren oder nicht (Thurmair 1989 (weniger<br />

explizit), Meibauer 1994, Autenrieth 2002).<br />

Mit beiden Hypothesen kann man die Interaktion zwischen Modalpartikeln <strong>und</strong><br />

Satzmodi recht gut in den Griff bekommen:<br />

(1) Peter kommt ja zur Party.<br />

(2) Das ist ja fabelhaft!<br />

(3) *Kommt Peter ja zur Party?<br />

(4) Versprichst du mir zu kommen? ?? Ich werde ja kommen.<br />

(5) *Ich erkläre ja hiermit die Sitzung für eröffnet (als Deklaration)<br />

(6) *Komm ja zur Party!<br />

(7) Komm JA zur Party!<br />

Die Modalpartikel ja impliziert nicht-wahrheitskonditional, dass der Sprecher den<br />

propositionalen Gehalt p für unkontrovers hält (Thurmair 1989, Lindner 1991,<br />

Meibauer 1994). Jacobs (1991) präzisiert dies wie folgt: "the speaker expresses the<br />

belief that the addressee does not consider the propositional content to be [possibly]<br />

false". Damit ist ja nur mit solchen Sprechakttypen kompatibel, die die Wahrheit von p<br />

garantieren (Assertiva, Expressiva). Sprechakttypen, mit denen man den Wahrheitswert<br />

von p erfragt (Fragehandlungen), oder die Wahrheit von p erst etablieren will<br />

(Aufforderungen, Versprechen, Deklarationen) sind mit ja inkompatibel.<br />

Welche Probleme werfen (4) <strong>und</strong> (7) auf? Welche Lesarten haben solche Äußerungen?


Primus - HS "Partikeln" - SoSe 2004 26<br />

5. Welche Alternativen bieten andere Ansätze?<br />

Modalpartikeln drücken die Funktion der Proposition im Argumentationsverlauf /<br />

Diskurs aus. Nicht-wahrheitskonditionale Einstellungen sind Folgeerscheinungen ihrer<br />

Diskursfunktion <strong>und</strong> somit nicht immer gegeben (Krivonosov 1989, König 1997).<br />

Diskurs: eine Sequenz bestimmter Informationszustände ("Weltwissenszustände",<br />

"Weltrepräsentationen"), die durch jede neue Äußerung verändert werden kann.<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen (engl. common gro<strong>und</strong>): diejenige Mengen von Propositionen /<br />

Sachverhalten, die vom Hörer <strong>und</strong> Sprecher stillschweigend als wahr akzeptiert<br />

werden, über deren Wahrheit sie sich stillschweigen einig sind.<br />

Das Hintergr<strong>und</strong>wissen kann am Anfang des Diskurses leer sein <strong>und</strong> wird im Laufe<br />

des Diskurses angereichert. Eine Äußerung ist laut Relevanztheorie (Sperber / Wilson<br />

1986f.) relevant genau dann, wenn sie a) unbekannte, neue Information hinzufügt, b)<br />

bereits bestehende Information bestätigt oder c) widerlegt. König (1997) versucht, alle<br />

Modalpartikeln aufgr<strong>und</strong> von a)-c) exhaustiv zu klassifizieren.<br />

Beachte: Die Begriffe 'Hintergr<strong>und</strong>wissen' <strong>und</strong> 'Diskurs' werden auf der Basis<br />

epistemischer Einstellungen definiert, so dass auch Königs (1997) Ansatz zumindest<br />

indirekt auf epistemische Einstellungen von Sprecher <strong>und</strong> Hörer zurückgreift.<br />

Modalpartikeln als Faktizitätsausdrücke: Ormelius-Sandblom (1997) behandelt ja,<br />

doch, schon als Faktizitätsausdrücke (ähnlich wie gewiß, tatsächlich). Faktizität wird<br />

mit der "Gewissheit, mit der eine Proposition p gilt", assoziiert <strong>und</strong> als Operator<br />

FAKT(p) eingeführt. Trotz ihrer Kritik an einstellungsbasierten Ansätzen ist ihr<br />

Faktizitätsbegriff eine Einstellungsmodalität.<br />

Zum Selbststudium: Fokus-Hintergliederung (Informationsstruktur inkl. Thema vs.<br />

Rhema) <strong>und</strong> Satzkzent<br />

Lit.: Meibauer 1994: Kap. 1.4 <strong>und</strong> Kap. 3, Jacobs 1984, 1988

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