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Klavierwerke von Leoš Janácek<br />

„Janácek ist durch und durch ein Eigener, <strong>de</strong>r nur mit seinem eigenen Maß<br />

gemessen wer<strong>de</strong>n will”, schrieb Max Brod, <strong>de</strong>r große jüdische Dichter und<br />

Publizist, zu Beginn <strong>de</strong>r zwanziger Jahre über <strong>de</strong>n dam<strong>als</strong> bekanntesten<br />

tschechischen Komponisten. „Durch jahrzehntelanges Sich-Versenken in <strong>de</strong>n<br />

Schatz <strong>de</strong>r mährischen Volksmelodien hat er das Geheimnis eines neuen, ebenso<br />

natürlichen wie hinreißend akzentreichen Ausdrucks gehoben. Seine Rhythmen<br />

von verzehren<strong>de</strong>r, oft barbarischer Kraft, seine großen Melodien, seine dunkel<br />

gefärbte Harmonik... das sind Neuerungen von prinzipieller Tragweite.” In seiner<br />

Autobiografie berichtete Leoš Janácek, dass ihn schon in jungen Jahren groß<br />

besetzte Vokal- und Instrumentalwerke mehr beeindruckten <strong>als</strong> Klavierund<br />

Kammermusik, mit <strong>de</strong>r die traditionelle Ausbildung eines Musikers in <strong>de</strong>r Regel<br />

beginnt. Weil er eine schöne Sopranstimme hatte, nahm man ihn <strong>als</strong><br />

Sängerknaben in das Stift <strong>de</strong>s Klosters in Brünn auf. Die Stiftszöglinge bil<strong>de</strong>ten<br />

ein aus 70 Schülern bestehen<strong>de</strong>s Orchester und einen großen Chor. Damit<br />

konnte man Sinfonien und Messen aufführen. „Welch eine musikalische Bildung<br />

setzte dies alles voraus! Tag für Tag wur<strong>de</strong> das Singen geübt, das Spiel <strong>de</strong>r<br />

gewählten Instrumente und <strong>de</strong>s Klaviers. ... Je<strong>de</strong>n Tag Tafelmusik und je<strong>de</strong>n<br />

Sonntag Instrumentalmusik zu Ehren Gottes.” Das Klavier spielte dabei jedoch<br />

eine eher untergeordnete Rolle, dieses Instrument lernte „einer vom an<strong>de</strong>ren”.<br />

Als Janácek 12 Jahre alt war, starb sein Vater, und die Familie blieb mittellos<br />

zurück. Deshalb konnte er sich nicht einmal ein Klavier leisten, <strong>als</strong> er 1874 in die<br />

Prager Orgelschule aufgenommen wur<strong>de</strong>: „Mit Krei<strong>de</strong> malte ich Klaviertasten auf<br />

<strong>de</strong>n Tisch. Die Finger lernten nach Bachs Präludien und Fugen über diese ‚Tasten’<br />

zu laufen. Wie qualvoll, dürstete ich doch nach <strong>de</strong>m lebendigen Ton! Ein Klavier<br />

leihen? Wo sollte ich das Geld hernehmen? Aber eines Tages, wie vom Himmel<br />

gefallen, stand das Klavier in meinem Zimmerchen ... Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schuljahrs<br />

verschwand das Klavier aus meiner Wohnung, ebenso unauffällig.”<br />

Ein Ausweg aus dieser schwierigen Lage kam von ganz unerwarteter Seite:<br />

Janácek hatte sich nämlich in seine zehn Jahre jüngere Schülerin Z<strong>de</strong>nka<br />

Schulzová verliebt, <strong>de</strong>ren wohlhaben<strong>de</strong> Familie ihm nun die Fortsetzung seines<br />

Studiums in Leipzig und Wien finanzierte – auch mit <strong>de</strong>m Hintergedanken, ihn<br />

auf diese Weise für eine Weile von ihrer noch sehr jungen Tochter fernzuhalten.<br />

Am Leipziger Konservatorium legte man Wert auf gutes Klavierspiel, aber <strong>de</strong>r<br />

mittlerweile Fünfundzwanzigjährige interessierte sich ja schon längst eher für<br />

Orchesterwerke und Opern <strong>als</strong> für Klaviermusik: „Ein reisen<strong>de</strong>r Virtuos ... will ich<br />

und wer<strong>de</strong> ich niem<strong>als</strong> sein ... ich glaube, dass mein Wirken das Komponieren<br />

sein wird und dann wird mir wohl wenig am Klavierspiel liegen.” Trotz<strong>de</strong>m<br />

komponierte er in Leipzig sein erstes be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Klavierwerk – ein Thema mit<br />

sieben Variationen, das er seiner Braut widmete. In einem <strong>de</strong>r ungefähr<br />

fünfhun<strong>de</strong>rt Briefe, die Janácek während seines fünfmonatigen Aufenthalts in<br />

Leipzig an Z<strong>de</strong>nka schrieb, schil<strong>de</strong>rte er <strong>de</strong>n Beginn dieser Komposition: „Heute<br />

war ich schon bald auf. Um 7 1/2 machte ich schon, obwohl ungewaschen noch,<br />

ein Thema zu Variationen... Es fiel mir das Thema im Bett ein, ich sprang auf,<br />

warf mir die Uhr auf die Er<strong>de</strong>, sie ist aber ganz geblieben, reiste [sic!] mir die<br />

Hose, die [ich] anziehen wollte beinahe total entzwei, nehme eine an<strong>de</strong>re und –<br />

schrieb das Thema auf; es ist nett und wird sich gut variieren lassen.” Diese<br />

noch in <strong>de</strong>r spätromantischen Tradition stehen<strong>de</strong>n Klaviervariationen bestan<strong>de</strong>n


auch nach <strong>de</strong>m Abschluss <strong>de</strong>r dreiwöchigen Arbeit vor <strong>de</strong>r außergewöhnlich<br />

strengen Selbstkritik <strong>de</strong>s Komponisten – er versah sie mit <strong>de</strong>r Opuszahl 1.<br />

Nach <strong>de</strong>r Rückkehr <strong>de</strong>s nur zwei Monate währen<strong>de</strong>n Studienaufenthaltes in Wien<br />

heiratete Janácek die gera<strong>de</strong> sechzehnjährige Z<strong>de</strong>nka. Das Hochzeitsgeschenk<br />

war eine vollständig eingerichtete Wohnung, zu <strong>de</strong>r auch ein Ehrbar-Flügel<br />

gehörte. Ab 1881 wur<strong>de</strong> er für fast vier Jahrzehnte Leiter <strong>de</strong>r Orgelschule in<br />

Brünn – <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten musikalischen Ausbildungsstätte in Mähren. Seine<br />

pädagogischen Ambitionen galten dort aber we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Orgel (er komponierte in<br />

seinem ganzen Leben nur zwei kleine Stücke für Orgel) noch <strong>de</strong>m Klavier,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Musiktheorie und <strong>de</strong>m Kompositionsunterricht.<br />

Dass Janácek zu einem noch heute hochgeschätzten Opernkomponisten wur<strong>de</strong>,<br />

verdankte er seiner Sensibilität für die unterschiedlichsten<br />

Ausdrucksmöglichkeiten <strong>de</strong>r menschlichen Stimme, mit <strong>de</strong>r er sich in seiner<br />

„Theorie <strong>de</strong>r Sprachmelodie” intensiv auseinan<strong>de</strong>rgesetzt hat. Die daraus<br />

abgeleitete kleingliedrige Motivik und insistente Rhythmik hat sich dann auch<br />

befruchtend auf seine Instrumentalwerke ausgewirkt, wie z.B. in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />

Sätzen <strong>de</strong>r Klaviersonate 1905, <strong>de</strong>ren Initialfunke <strong>de</strong>r nationalpatriotischen<br />

Haltung <strong>de</strong>s Komponisten entsprang: in Brünn existierte zu jener Zeit nur eine<br />

<strong>de</strong>utsche, aber keine tschechische Universität, wie sie von <strong>de</strong>r tschechischen<br />

Bevölkerung gefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>. Als am 1. Oktober 1905 eine Resolution<br />

verabschie<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, die die Gründung einer tschechischen Universität endgültig<br />

untersagte, war das <strong>de</strong>r Anlass für Straßenschlachten zwischen <strong>de</strong>utschen und<br />

tschechischen Bevölkerungsteilen, in <strong>de</strong>ren Verlauf ein tschechischer Arbeiter<br />

erstochen wur<strong>de</strong>. Janácek war Augenzeuge <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s; unter <strong>de</strong>m Eindruck<br />

dieses Erlebnisses entstand ein dreisätziges Klavierwerk, die Sonate von <strong>de</strong>r<br />

Straße – 1. X. 1905. Janácek war jedoch mit seiner Komposition nicht zufrie<strong>de</strong>n<br />

und vernichtete <strong>de</strong>n dritten Satz, später sogar auch noch die bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Sätze. Glücklicherweise blieben diese aber in einer Abschrift, die die Interpretin<br />

<strong>de</strong>r Uraufführung besaß, erhalten.<br />

Janácek hat sich nicht einmal hier zu pathetischen Ausbrüchen verleiten lassen –<br />

die bei<strong>de</strong>n Sätze sind wie alle seine Klavierkompositionen emotional anrühren<strong>de</strong><br />

Charakterstücke. Der erste Satz Vorahnung ist ein Sonatensatz, <strong>de</strong>r mit einem<br />

zarten Motiv g im Pianissimo beginnt und sich dann in <strong>de</strong>r Durchführung zu einer<br />

erregten Szene entwickelt. Eine Coda leitet mit elegischen Schlussakkor<strong>de</strong>n<br />

gedanklich bereits zum folgen<strong>de</strong>n Adagio (Tod) über, das vollständig von einem<br />

einzigen Grundmotiv beherrscht wird. Es verleiht <strong>de</strong>r Klage über das tragische<br />

Ereignis vor allem durch harmonische Nuancierungen sinnfälligen Ausdruck.<br />

Auf verwachsenem Pfa<strong>de</strong> längst vergangener Erinnerungen schritt Janácek<br />

eigenen Angaben zufolge in seinem populären Zyklus subtiler Klavierminiaturen.<br />

In welchem Maße außermusikalische Assoziationen tatsächlich Auslöser für diese<br />

Kompositionen waren, bleibe dahingestellt – Janácek hat die Satzüberschriften<br />

je<strong>de</strong>nfalls erst nachträglich hinzugefügt. Wichtiger war für ihn die Wahrhaftigkeit<br />

<strong>de</strong>s musikalischen Ausdrucks: „Ich will in je<strong>de</strong>m Ton Spuren davon, dass er ...<br />

durch die Feueresse <strong>de</strong>s Herzens ging.”<br />

Beate Schrö<strong>de</strong>r-Nauenburg

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