Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 ... - SWR Music
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<strong>Anton</strong> <strong>Bruckner</strong>: <strong>Sinfonie</strong> <strong>Nr</strong>. 3 d-<strong>Moll</strong> <strong>WAB</strong> <strong>103</strong><br />
[Version 1873, <strong>Bruckner</strong>-Gesamtausgabe, Leopold Nowak, 1977]<br />
„Symfonie in D moll, seiner hochwohlgeboren Herrn Richard Wagner, dem<br />
unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst, in<br />
tiefster Ehrfurcht gewidmet<br />
von <strong>Anton</strong> <strong>Bruckner</strong>“<br />
Als <strong>Bruckner</strong> am 31. August 1873 die Skizze des Finales seiner dritten <strong>Sinfonie</strong><br />
beendet hatte, brannte er darauf, Richard Wagner zu begegnen. Am 13. September<br />
besuchte er Wagner, der gerade mit dem Bau des Festspielhauses beschäftigt war.<br />
Wagner ging die ihm vorgelegte zweite und dritte <strong>Sinfonie</strong> durch und nahm<br />
schließlich mit Vergnügen „bei Schnupftabak und Bier“ die Widmung der Dritten an.<br />
<strong>Bruckner</strong> war so erfreut, verwirrt und vielleicht verkatert, dass er am nächsten Tag<br />
nicht mehr wusste, welches Stück nun die „Wagner-<strong>Sinfonie</strong>“ werden sollte und<br />
schrieb jenen berühmten Brief „Symfonie d-<strong>Moll</strong>, wo die Trompete das Thema<br />
beginnt?“ Wagner antwortete: „Ja! Ja! Herzlichen Gruß!“ Die dritte <strong>Sinfonie</strong> wurde<br />
laut Manuskript „Vollständig fertig 31. Dez. 1873 Nachts.“ Im Mai 1874 wurde die<br />
Widmungs-Partitur nach Bayreuth gesandt, wo sie noch heute liegt.<br />
<strong>Bruckner</strong> reichte die dritte <strong>Sinfonie</strong> mehrmals bei den Wiener Philharmonikern zur<br />
Aufführung ein. Sie wurde dreimal abgelehnt. Erst der Dirigent Johann Herbeck<br />
setzte durch, dass er das inzwischen umgearbeitete und gekürzte Werk am 16.<br />
Dezember 1877 würde uraufführen können. Als Herbeck am 28. Oktober unerwartet<br />
starb, wurde <strong>Bruckner</strong> gebeten, die Aufführung zu übernehmen.<br />
Die <strong>Sinfonie</strong> stand am Ende eines dreistündigen Programms mit Werken von<br />
Beethoven, Spohr, Mozart und Winter, und das Publikum verließ noch während der<br />
Aufführung nach und nach den Saal. <strong>Bruckner</strong> war untröstlich. Auch die Kritik war<br />
überwiegend negativ. Eduard Hanslick schrieb: „Weder seine poetischen Intentionen<br />
wurden uns klar – vielleicht eine Vision, wie Beethovens Neunte mit Wagners<br />
,Walküre’ Freundschaft schließt und endlich unter die Hufe ihrer Pferde gerät –,<br />
noch den rein musikalischen Zusammenhang vermochten wir zu fassen.“ Hanslick,<br />
der Wagner nicht ausstehen konnte, muss die weiträumigen Strukturen, die seinem<br />
Formsinn widersprachen, und auch die Wagner- Zitate irritierend gefunden haben.<br />
Er argwöhnte wohl auch ein gewisses Kalkül <strong>Bruckner</strong>s, der im Oktober 1873 dem<br />
Wagner-Verein beigetreten war: Zu augenfällig war der kompositorische Kotau vor<br />
dem bedeutenden Bayreuther, zu verlockend die Chance für einen erfolglosen<br />
Komponisten, einen Förderer bei der Stange zu halten.<br />
<strong>Bruckner</strong> hat in der Tat hörbare Wagner-Zitate eingebaut. Im ersten Satz ist dies<br />
am Ende der Durchführung eine Verarbeitung des Liebestod- Motivs aus Tristan und<br />
Isolde (T. 461ff), gefolgt vom Schlafmotiv aus der Walküre (T. 479ff). Auch<br />
Walthers Preislied aus den Meistersingern spielt eine Rolle (Gesangsperiode des<br />
ersten Satzes). Im langsamen Satz griff <strong>Bruckner</strong> das Schlafmotiv wieder auf (T.<br />
276ff), im Finale das Liebestod- Motiv, diesmal am Ende der Gesangsperiode in der<br />
Exposition (T. 134ff). Außerdem finden sich das Miserere aus <strong>Bruckner</strong>s d-<strong>Moll</strong>-<br />
Messe, die allgemein verbreitete „Marienkadenz“ sowie das „Tonische Kreuz“ aus
Liszts Graner Festmesse. Wie Wolfgang Kühnen 1995 erkannte, bilden diese Zitate<br />
ein „Netz syntaktisch strukturierter Bedeutungen, welches eine zentrale, begrifflich<br />
formulierbare Botschaft vermittelt“ – ein Fürbitten gebet (Miserere) an Christus<br />
(Tonisches Kreuz) und die von <strong>Bruckner</strong> hochverehrte Gottesmutter<br />
(Marienkadenz). Sein Anliegen ist demnach die von <strong>Bruckner</strong> heiß geliebte Mutter<br />
(Tristan-Zitate), deren Tod (Schlafmotiv) den unmittelbaren Anlass zur Entstehung<br />
der <strong>Sinfonie</strong> bot: An ihrem Namenstag (15. Oktober 1872), hatte <strong>Bruckner</strong> erste<br />
Ideen dazu notiert.<br />
Zeitgenossen haben durchaus verstanden, was <strong>Bruckner</strong> in seiner Sinfonik anstrebte<br />
– eine Vermittlung zwischen absolutem und dramatischem Komponieren. So schrieb<br />
Richard Heuberger nach der Uraufführung der Letztfassung im Dezember 1890:<br />
„Zwischen Kirche und Theater hat <strong>Bruckner</strong> mit feinem Instinkt einen<br />
Zusammenhang entdeckt und diesen musikalisch illustriert – das kann kein<br />
Gesetzbuch der Welt verwehren.“ Ein Paradebeispiel dafür bietet die Exposition des<br />
an eine Orgel-Toccata erinnernden Finales mit dem auftrumpfenden, rhythmisch aus<br />
dem <strong>Sinfonie</strong>- Beginn abgeleiteten Hauptthema, der Gesangsperiode, in der sich ein<br />
Bläser-Choral ungeniert auf eine Polka der Streicher legt, und dem aus dem<br />
Scherzo-Beginn abgeleiteten, vorwärts stürmen den Schlussthema. Zeitgenössische<br />
Rezensionen beschrieben <strong>Bruckner</strong>s <strong>Sinfonie</strong>n übereinstimmend als Abfolge von<br />
Szenen und Bildern. <strong>Bruckner</strong> folgte mithin dem Modell der im 19. Jahrhundert<br />
verbreiteten „Charakter-<strong>Sinfonie</strong>“. Verkannt wurde jedoch, dass bei ihm zugleich die<br />
Konstruktion durch die folgerichtige Entwicklung der semantisch aufgeladenen<br />
Themen und Motive, raffinierte Kontrapunktik und sorgsam geprüften Periodenbau<br />
stark und geradezu wissenschaftlich fundiert ist.<br />
Besondere Schwierigkeiten gab <strong>Bruckner</strong> seinen Zeitgenossen mit seiner<br />
monumentalisierten Sonatenform auf: Sie dehnt die Themen der Klassik auf eine<br />
weiträumige, dreiteilige Exposition mit Hauptthemengruppe, Gesangsperiode nebst<br />
Trio und rhythmisch geprägter Schlussgruppe aus. Die Fasslichkeit wird weiter<br />
erschwert, da die Wiederkehr der Themen in der Reprise oft nicht wörtlich, sondern<br />
weiter durchführend (und manchmal auch gar nicht) erfolgt, bis in den späten<br />
<strong>Sinfonie</strong>n Durchführung und Reprise zu einem Komplex verschmolzen sind. Nicht<br />
zuletzt nehmen die Finale-Themen die des Kopfsatzes nochmals verarbeitend auf,<br />
wodurch die Finalsätze zur „Gegen-Durchführung“ des jeweiligen Kopfsatzes<br />
werden. Dabei werden die Motive fortlaufender Mutation und Verarbeitung<br />
unterzogen, aus der die Themen mit größtem Wiedererkennungswert herausragen –<br />
in der dritten <strong>Sinfonie</strong> das Hauptthema mit dem lapidaren Kreuz-Symbol „d-A-A-D“,<br />
das auf den Anfang von Beethovens Neunter anspielt und auch das Finale mit<br />
machtvoller Geste beendet.<br />
Benjamin Gunnar Cohrs