Whistleblowing
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<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen<br />
de lege lata et ferenda<br />
Michael Kutschera<br />
Übersicht<br />
Prolog<br />
I. Der Begriff des „<strong>Whistleblowing</strong>“<br />
II. <strong>Whistleblowing</strong> in Österreich<br />
A. Allgemeines<br />
B. <strong>Whistleblowing</strong>artige Anzeige- und Meldepflichten in Österreich<br />
1. Anzeigerecht für Privatpersonen<br />
2. Berufsspezifische Anzeige- und Meldepflichten<br />
3. Die große Kronzeugenregelung nach § 209a StPO<br />
4. Die neue Kronzeugenregelung im Kartellrecht<br />
5. Die kleine Kronzeugenregelung nach § 209b StPO<br />
6. BKMS-System<br />
7. Exkurs: <strong>Whistleblowing</strong>-Hotlines – Tell-me Systeme<br />
C. Schutzmaßnahmen für Whistleblower<br />
1. Allgemeines<br />
2. Exkurs zur Rechtslage des Whistleblowers in den USA<br />
3. Schutzmaßnahmen in Österreich<br />
III. Monetäre Belohnungssysteme für Whistleblower – Überlegungen<br />
de lege ferenda<br />
Prolog<br />
Schon seit vielen Jahren kreuzen sich die beruflichen Wege des Jubilars mit den<br />
meinen, zunächst im Rahmen von M&A Transaktionen, zuletzt in der Schiedsgerichtsbarkeit.<br />
Zu einem runden Geburtstag habe ich Hellwig Torggler einmal<br />
gewünscht, dass er auch weiterhin das in unserem Beruf nötige Quäntchen<br />
Glück haben möge. Er hat darauf sehr liebenswürdig reagiert, das Glück ist ihm<br />
stets treu geblieben und so hoffe ich, dass ihn auch die folgenden Ausführungen<br />
interessieren werden. Sie sollen zeigen, dass es dem potentiellen oder zur Anzeige<br />
verpflichteten Whistleblower in der Regel an einem Quäntchen Glück ge-<br />
697
Michael Kutschera<br />
mangelt hat, denn seine für die Allgemeinheit so wichtige Rolle gereicht ihm<br />
selbst jedenfalls hierzulande im Zweifel eher zum Nachteil.<br />
I. Der Begriff des „<strong>Whistleblowing</strong>“ 1<br />
Der Begriff „<strong>Whistleblowing</strong>“ kommt aus dem anglo-amerikanischen Raum<br />
und steht für die Weiterleitung von Informationen über Rechtsverletzungen<br />
jedweder Art an unternehmensinterne oder externe Stellen. Die Person, die derartige<br />
Informationen weiterleitet, wird „Whistleblower“ genannt.<br />
Der Anglist Anatol Stefanowitsch weist darauf hin, dass sich das Wort<br />
„whistleblowing“ von der englischen Redeweise „to blow a whistle“ ableitet, 2<br />
vom Oxford Dictionary wörtlich als „eine Pfeife blasen“ übersetzt. Die etymologische<br />
Ähnlichkeit dieses Begriffes in der deutschen Sprache zeigt sich schön<br />
an der wohl verwandten Wendung „jemanden verpfeifen“. Der Hintergrund der<br />
Bedeutung des Wortes (ver)pfeifen ist nicht eindeutig geklärt. Als mögliche<br />
Herkunft gilt sowohl die Verwendung von Trillerpfeifen durch englische Polizisten<br />
aber auch von Schiedsrichtern beim Fußball, die dadurch das Spiel vor<br />
allem nach Regelverstößen unterbrechen. 3<br />
<strong>Whistleblowing</strong> ist im anglo-amerikanischen Raum als Rechtsbegriff etabliert.<br />
Teilweise bestehen auch detaillierte Definitionen. <strong>Whistleblowing</strong> gewinnt<br />
aber auch im kontinental-europäischen Rechtsraum an Bedeutung. Eine klare<br />
gesetzliche Regelung existiert für <strong>Whistleblowing</strong> auf EU-Ebene nicht.<br />
II. <strong>Whistleblowing</strong> in Österreich<br />
A. Allgemeines<br />
<strong>Whistleblowing</strong> hat sich mittlerweile auch in Österreich zu einem gern gebrauchten<br />
Begriff etabliert. Er taucht in gewisser Häufigkeit im wirtschaftsstrafrechtlichen<br />
Zusammenhang auf, etwa im Bereich der Korruptionsbekämpfung.<br />
4 Zuletzt erregte der Begriff Aufsehen durch die Einführung eines anonymen<br />
Hinweisgebersystems der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft<br />
(WKStA). 5 Als gesetzlicher Begriff existiert er bisher in Österreich jedoch nicht.<br />
1<br />
Der Autor dankt Herrn RA Dr. Philip Aumüllner und Frau RAA Mag. Magdalena<br />
Zangerl herzlichst für Ihre Unterstützung beim Verfassen der vorliegenden Arbeit.<br />
2<br />
Stefanowitsch, Scilogs Wissenslog, 15.1.2011.<br />
3<br />
Miceli/Near, Blowing the whistle: The organizational and legal implications for companies<br />
and employees (1992) 8.<br />
4<br />
Glaser/Komeda, <strong>Whistleblowing</strong> in Österreich – Gefahren, Probleme und Lösungsmöglichkeiten,<br />
JPR 2012, 207 (208).<br />
5<br />
Siehe dazu unter Punkt 6.<br />
698
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
B. <strong>Whistleblowing</strong>artige Anzeige- und Meldepflichten<br />
in Österreich<br />
<strong>Whistleblowing</strong> muss nicht zwangsläufig aus einem freien Willensimpuls heraus<br />
geschehen. 6 Die österreichische Rechtsordnung sieht punktuell Melde- sowie<br />
Redepflichten vor, die Normunterworfene zum Handeln verpflichten. 7 Die<br />
nachfolgende Auswahl an solchen Bestimmungen soll aber nur Schlaglichter<br />
werfen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<br />
1. Anzeigerecht für Privatpersonen<br />
Für Privatpersonen besteht generell nur ein Anzeigerecht. Es wird ihnen grds<br />
keine Anzeige- und Meldepflicht auferlegt. § 80 StPO definiert dieses Anzeigerecht<br />
wie folgt:<br />
§ 80. (1) Wer von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt,<br />
ist zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt.<br />
Der Privatperson dürfen vom Staat keine Melde- oder Anzeigepflichten auferlegt<br />
werden, die in den freien Entscheidungswillen des Privaten eingreifen würden.<br />
Als Ausnahme ist jedoch § 286 StGB zu nennen. § 286 StGB sanktioniert<br />
denjenigen, der es mit dem Vorsatz unterlässt, dass vorsätzlich gewisse mit Strafe<br />
bedrohte Handlungen begangen werden, ihre unmittelbar bevorstehende<br />
oder schon begonnene Ausführung zu verhindern oder in den Fällen, in denen<br />
eine Benachrichtigung die Verhinderung ermöglicht, der Behörde oder dem Bedrohten<br />
mitzuteilen. Die Pflicht zur Verhinderung einer Straftat besteht nach<br />
§ 286 StGB allerdings nur für unmittelbar bevorstehende oder begonnene Straftaten<br />
und erlischt mit ihrer Beendigung.<br />
2. Berufsspezifische Anzeige- und Meldepflichten<br />
a) Geldwäsche<br />
Für einzelne Berufsgruppen bestehen allein auf Grund ihrer besonderen beruflichen<br />
Stellung gewisse Anzeige- und Meldepflichten. 8 Österreich hat als Maßnahme<br />
zur Umsetzung der dritten Geldwäsche-RL der EU für einzelne Berufsgruppen<br />
im Falle eines Verdachts der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung<br />
umfassende Meldepflichten normiert. 9 Besteht ein Verdachtsfall im<br />
Zusammenhang mit sog geldwäschegeneigten Geschäften, 10 hat eine Meldung<br />
an die Geldwäschestelle des Bundeskriminalamtes zu erfolgen.<br />
6<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 214.<br />
7<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 214.<br />
8<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 214.<br />
9<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 214.<br />
10<br />
Siehe dazu sogleich im Text.<br />
699
Michael Kutschera<br />
Die den Rechtsanwalt nach § 8a ff RAO neben seinen allgemeinen Sorgfalts-,<br />
Identifizierungs-, und Aufbewahrungspflichten treffende Meldepflicht durchbricht<br />
dessen Verschwiegenheitsverpflichtung. 11 Nach §§ 8a ff RAO zählen zu<br />
den geldwäschegeneigten Geschäften:<br />
• Käufe und Verkäufe von Immobilien und Unternehmen,<br />
• Verwaltung von Geld, Wertpapier oder sonstigen Vermögenswerten,<br />
• die Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten,<br />
• die Gründung, der Betrieb oder die Verwaltung von Treuhandgesellschaften,<br />
Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen, wie etwa Trusts oder Stiftungen.<br />
Das Geschäft darf im Falle einer solchen Verdachtsmeldung nicht durchgeführt<br />
werden. Der Rechtsanwalt kann jedoch verlangen, dass das Bundeskriminalamt<br />
sich über die Meldung am folgenden Werktag äußert. 12 Die Meldepflicht besteht<br />
nicht, wenn der Rechtsanwalt die relevanten Informationen im Zuge seiner Beratung<br />
oder Vertretung in einem Gerichtsverfahren erhalten hat. 13<br />
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die EU-Kommission am<br />
5.2.2013 einen Vorschlag für eine vierte Geldwäsche-RL vorgelegt hat. Sie will<br />
damit nicht nur mehr Klarheit und Kohärenz der diesbezüglichen Vorschriften<br />
in den Mitgliedsstaaten erreichen, sondern die Vorschriften auch verschärfen. 14<br />
Die Sorgfaltspflichten sollen neu gefasst und die Angaben zum wirtschaftlich<br />
Berechtigten klarer und zugänglicher gemacht werden. 15 Die Vorschriften zu<br />
den Sanktionen sollen deutlich ausgeweitet und schon Steuerbetrug soll als Vortat<br />
der Geldwäsche beurteilt werden. 16<br />
b) Redepflicht der Abschlussprüfer<br />
An dieser Stelle ist auch die Redepflicht des Abschlussprüfers nach § 273 Abs 2<br />
UGB zu nennen, der bei Wahrnehmung seiner Aufgaben Tatsachen feststellt,<br />
die den Bestand des geprüften Unternehmens oder Konzerns gefährden oder<br />
seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können oder die schwerwiegende<br />
11<br />
Siehe § 9 Abs 5 RAO.<br />
12<br />
Ziehensack/Ruprecht, Berufs- und Standesrecht der Rechtsanwälte³ (2013) 22.<br />
13<br />
Ziehensack/Ruprecht, Berufs- und Standesrecht³, 22.<br />
14<br />
Datev Informationsbüro Brüssel, Kurzbeitrag vom 06.02.2013, www.datev.de/lexinform/0938430<br />
(abgefragt am 13. 6. 2013).<br />
15<br />
Siehe Art 29 f 4. Geldwäsche-Richtlinienvorschlag (Vorschlag vom 5. 2. 2013 für eine<br />
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Nutzung<br />
des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung,<br />
COM[2013] 45 final).<br />
16<br />
Datev Informationsbüro Brüssel, Kurzbeitrag vom 06.02.2013, www.datev.de/lexinform/0938430<br />
(abgefragt am 13. 6. 2013).<br />
700
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
Verstöße der gesetzlichen Vertreter oder von Arbeitnehmern gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag<br />
oder Satzung erkennen lassen; darüber hinaus hat er unverzüglich<br />
über wesentliche Schwächen bei der internen Kontrolle des Rechnungslegungsprozesses<br />
zu berichten. 17 Der Abschlussprüfer hat nach § 273 Abs 3 UGB<br />
auch unverzüglich zu berichten, wenn bei der Prüfung des Jahresabschlusses<br />
das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vermutung eines Reorganisationsbedarfs<br />
(§ 22 Abs 1 Z 1 URG) festgestellt wird. 18 Der Abschlussprüfer hat in den<br />
genannten Fällen schriftliche Berichte zu verfassen, diese eigenhändig zu unterschreiben<br />
und den gesetzlichen Vertretern sowie den Mitgliedern des Aufsichtsrats<br />
der Gesellschaft vorzulegen. 19 Eine über das Vorstehende hinausgehende<br />
Redepflicht trifft den Bankprüfer nach § 63 Abs 3 BWG, wobei in diesen Fällen<br />
Anzeige (gegebenenfalls über einen Prüfungsverband) bei der FMA und der<br />
Österreichischen Nationalbank zu erstatten ist.<br />
c) Anzeigepflicht von Behörden<br />
Auch Behörden und öffentliche Dienststellen trifft nach § 78 StPO eine Anzeigepflicht<br />
an die Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei. Diese Meldepflicht<br />
trifft die Behörde, nicht den einzelnen Beamten. 20 Beamte haben nach § 53 Abs 1<br />
BDG ihrem Dienstleiter Rechtsverstöße jeglicher Art umgehend zu melden,<br />
dieser erstattet Anzeige bzw informiert die zur Anzeige berufene Stelle. Sollte<br />
es der Dienstleiter unterlassen, Anzeige zu erstatten, berechtigt der Gesetzgeber<br />
den Beamten dazu, die zuständige Behörde eigenständig zu informieren.<br />
Gleichzeitig kann der Dienstleiter sich des Missbrauchs der Amtsgewalt durch<br />
Unterlassen strafbar machen. 21<br />
d) Anzeigepflicht im Gesundheitswesen<br />
Auch für im Gesundheitswesen tätige Personen bestehen Melde- und Anzeigepflichten.<br />
Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern und Psychotherapeuten<br />
sind verpflichtet, Missstände, sowie auch gefährliche Krankheiten und Geschlechtskrankheiten<br />
zu melden. 22 Innerhalb dieser Berufsgruppe erregte der<br />
Fall einer deutschen Krankenpflegerin für Aufsehen, die ihrem Dienstgeber solche<br />
Missstände meldete, dieser jedoch untätig blieb und sie in Folge fristlos<br />
kündigte. Der EGMR entschied am 21.07.2011 zu Gunsten der Altenpflegerin<br />
und sprach ihr eine Entschädigung nach Art 41 EMRK zu. 23<br />
17<br />
Vgl Müller/Wiedermann in Straube, UGB II 3 (2011) § 273 Rz 22 ff.<br />
18<br />
Vgl Müller/Wiedermann in Straube, UGB II 3 § 273 Rz 56 ff.<br />
19<br />
Vgl Müller/Wiedermann in Straube, UGB II 3 § 273 Rz 65 ff.<br />
20<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 215.<br />
21<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 215.<br />
22<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 215.<br />
23<br />
EGMR 21.7.2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland.<br />
701
Michael Kutschera<br />
3. Die große Kronzeugenregelung nach § 209a StPO<br />
Whistleblower und Kronzeugen ähneln einander hinsichtlich ihrer Tätigkeit.<br />
Wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass der Whistleblower lediglich<br />
Informationen über Rechtsverletzungen Dritter besitzt, der Kronzeuge jedoch<br />
meist an dem Gesetzesverstoß in irgendeiner Form beteiligt war. Der<br />
rechtliche Status des Kronzeugen wird durch die neue große Kronzeugenregelung<br />
bestimmt.<br />
Mit 01.01.2011 trat die bis 31.12.2016 befristete große Kronzeugenregelung<br />
in Kraft, die als „Diversionslösung“ ausgestaltet wurde. 24 Die neue Kronzeugenregelung<br />
soll für Straftaten gelten, die der Zuständigkeit der WKStA oder<br />
des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht unterliegen. 25 Die<br />
Kronzeugendiversion ist nicht anwendbar, wenn der Kronzeuge selbst in Straftaten<br />
mit Todesfolge oder in Sexualdelikte verwickelt ist. 26<br />
Die neue Regelung soll es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, die<br />
Aufklärung von Straftaten sowie die Ausforschung von kriminellen Vereinigungen<br />
und Organisationen zu steigern und zu verbessern. Dem Kronzeugen wird<br />
im Gegenzug eine „goldene Brücke“ zum Ausstieg aus der Kriminalität gebaut. 27<br />
Dazu sind folgende Voraussetzungen nötig:<br />
• Der Kronzeuge muss sein Wissen freiwillig offenbaren.<br />
• Die genannten Tatsachen dürfen noch nicht Gegenstand eines gegen ihn geführten<br />
Ermittlungsverfahrens sein.<br />
• Die Informationen müssen die Aufdeckung einer kronzeugenfähigen Straftat<br />
entscheidend fördern. 28<br />
Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, um den Informanten als<br />
Kronzeugen zu qualifizieren. Der Kronzeuge hat nach Kooperation mit der<br />
Staatsanwaltschaft eine Geldbuße zu leisten. 29 Obgleich als Diversionslösung<br />
ausgestaltet, kann im Rahmen der großen Kronzeugenregelung der Höchstrahmen<br />
der diversionellen Maßnahme von 180 Tagessätzen überschritten werden,<br />
weil der Kronzeuge gegebenenfalls eine Geldbuße mit bis zu 240 Tagessätzen<br />
leisten muss. 30<br />
Gemäß § 209a Abs 4 StPO kann das Verfahren gegen den Kronzeugen wieder<br />
aufgenommen werden, wenn die Mitwirkungspflicht an der Aufklärung<br />
24<br />
Schroll in WK StPO (2011) § 209a Rz 1.<br />
25<br />
Paulitsch, Die Saulus-zu-Paulus Wandlung, ÖJZ 2010/113.<br />
26<br />
Vgl § 209a StPO.<br />
27<br />
Paulitsch, ÖJZ 2010/113.<br />
28<br />
Schwaighofer, Anmerkungen zum strafrechtlichen Kompetenzpaket, JSt 2010, 203 (209).<br />
29<br />
Paulitsch, ÖJZ 2010/113.<br />
30<br />
Paulitsch, ÖJZ 2010/113.<br />
702
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
verletzt wurde, von ihm beigebrachte Unterlagen falsch waren oder keinen wesentlichen<br />
Beitrag zur Strafaufdeckung zu liefern vermochten. 31<br />
4. Die neue Kronzeugenregelung im Kartellrecht<br />
Auch im Kartellrecht 32 gibt es eine Kronzeugenregelung, die dem Informanten<br />
über einen Kartellrechtsverstoß unter bestimmten Voraussetzungen einen besonderen<br />
Status verleiht.<br />
§ 11 Abs 3 WettbG wird in seinem Anwendungsbereich präzisiert und die<br />
Kronzeugenregeln werden näher an den ECN-Standard herangeführt. 33 Die<br />
Bilanz der ersten sechs Jahre seit Einführung der Kronzeugenregelung spricht<br />
klar für ihre Effektivität und Bedeutung im österreichischen Kartellrechtsvollzug.<br />
34 Die vorgenommenen Ergänzungen enthalten primär Konkretisierungen<br />
einzelner, bislang in abstrakter Form dargestellter Konzepte. 35<br />
Bei den Präzisierungen handelt es sich im Wesentlichen um<br />
• die Konkretisierung des Geltungsbereichs der Kronzeugenregelung,<br />
• die Präzisierung der Kooperationsverpflichtung, sowie<br />
• den Erlass der Geldbuße bzw deren Minderung.<br />
Die neue Regelung weitet den Geltungsbereich auf Wettbewerbsbeschränkungen<br />
auf vertikaler Ebene oder bestimmte Horizontalvereinbarungen aus. In seiner<br />
bisherigen Fassung bezog sich der Geltungsbereich des § 11 Abs 3 WettbG<br />
nur auf geheime horizontale Kartellabsprachen. Außerdem ist erstmals ein vollständiger<br />
Geldbußenerlass auch dann noch möglich, wenn der Sachverhalt der<br />
BWB an sich bereits bekannt ist, aber lediglich gewisse zusätzliche Informationen<br />
bzw Beweismittel fehlen. 36<br />
Ein Vorgehen nach § 11 Abs 3 WettbG kommt demnach nur in Betracht,<br />
wenn sämtliche der nachstehenden Voraussetzungen erfüllt sind:<br />
• Einstellung der Mitwirkung an einer Zuwiderhandlung (gegen § 1 KartG<br />
2005 oder Art 101 AEUV);<br />
• Vorlage von Informationen und Beweismitteln, die es der BWB ermög lichen,<br />
unmittelbar wegen des Verdachts einer Zuwiderhandlung einen begrün<br />
31<br />
Maritzen, Die große Kronzeugenregelung, ÖZW 2011, 44 (45).<br />
32<br />
Vgl auf EU-Ebene auch die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die<br />
Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl C 2006/298, 17.<br />
33<br />
Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht² (2013) 11.<br />
34<br />
Hölzl/Lukaschek, Das neue Handbuch zur Kronzeugenregelung: „Lessons learned“,<br />
ÖZK 2012, 13 (13).<br />
35<br />
Hölzl/Lukaschek, ÖZK 2012, 13.<br />
36<br />
Hoffer/Barbist, Kartellrecht², 11.<br />
703
Michael Kutschera<br />
deten Antrag auf Anordnung einer Hausdurchsuchung zu stellen (Bußgelderlass<br />
nach § 11 Abs 3 Z 1 lit a WettbG);<br />
• uneingeschränkte und zügige Zusammenarbeit mit der BWB zur vollständigen<br />
Aufklärung des Sachverhalts.<br />
Bisher kam das zweite tätig werdende Unternehmen nicht in den Vorteil einer<br />
Bußgeldreduktion. Die neue Kronzeugenregelung zieht eine Bußgeldreduktion<br />
auch für Unternehmen in Betracht, die wesentliche Informationen als zweites<br />
Unternehmen anzeigen. Das Bußgeld kann ihnen nicht komplett erlassen werden,<br />
weil sie die Kooperation nur als zweites Unternehmen erbringen. Jedoch<br />
kann das Bußgeld entsprechend Priorität und Mehrwert reduziert werden, jedenfalls<br />
erforderlich ist ein „erheblicher Mehrwert“ der offenbarten Tatsachen. 37<br />
Als aktuelles Beispiel für die Effizienz der Kronzeugenregelung sei das Verfahren<br />
zum Schienenkartell erwähnt, in das die voestalpine AG verwickelt war<br />
und das von deutschen Stellen nach, den österreichischen vergleichbaren Bestimmungen<br />
abgeführt wurde. Ein verbundenes Unternehmen der voestalpine<br />
AG war in der Vergangenheit an kartellrechtswidrigen Vereinbarungen beteiligt,<br />
stellte sich nach deren Hervorkommen im Rahmen interner Untersuchungen<br />
seiner Verantwortung und erstattete Selbstanzeige. 38 Aufgrund der Selbstanzeige<br />
wurde dem Unternehmen im Kartellverfahren der Kronzeugenstatus<br />
zuerkannt. Das von voestalpine AG zu leistende Bußgeld wurde letztendlich<br />
mit 8,5 Millionen Euro bemessen, während dem Unternehmen Thyssen-Krupp<br />
im selben Verfahren eine Geldstrafe von 103 Millionen Euro auferlegt wurde.<br />
5. Die kleine Kronzeugenregelung nach § 209b StPO<br />
Da bei Verstößen gegen das Kartellrecht häufig auch Straftatbestände berührt<br />
werden, nimmt § 209b StPO eine diesbezügliche Sonderregelung vor. Wenn ein<br />
Unternehmen die Kronzeugenregelung nach § 11 Abs 3 WettbG in Anspruch<br />
nimmt, besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiter dadurch selbst belasten und ein<br />
Strafverfahren gegen sich selbst geradezu heraufbeschwören. 39 Für derartige<br />
Fälle sieht die Sonderregelung vor, dass Mitarbeiter der Unternehmen, die sich<br />
durch Informationen möglicherweise selbst belastet haben, nicht selbst aktiv<br />
werden müssen, um den Kronzeugenstatus zu erlangen. Es obliegt dem Bundeskartellanwalt,<br />
den Wert der Informationen zu beurteilen und gegebenenfalls<br />
der StA Mitteilung zu machen. Das Verfahren gegen den Kronzeugen wird unter<br />
Vorbehalt der späteren Strafverfolgung eingestellt.<br />
37<br />
Hoffer/Barbist, Kartellrecht², 11.<br />
38<br />
DiePresse vom 29.4.2013, Kartell: Voest kauft sich reine Weste.<br />
39<br />
Schwaighofer, JSt 2010, 210.<br />
704
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
6. BKMS-System<br />
Zur effektiveren Bekämpfung von Wirtschaftsstrafdelikten hat die WKStA im<br />
März 2013 für eine Probezeit von zwei Jahren ein anonymes Hinweisgebersystem<br />
eingerichtet. Es soll ein effektives Werkzeug für die Bekämpfung von Wirtschafts-<br />
und Korruptionsdelikten sein. 40 Dieses Hinweisgebersystem, das auch<br />
die Bezeichnung <strong>Whistleblowing</strong>-Hotline trägt, vereinfacht es Personen, Informationen<br />
über etwaige Wirtschaftsstrafdelikte preiszugeben. Durch das System<br />
wird die Möglichkeit geboten, anonym Informationen oder Hinweise an die<br />
WKStA abzugeben. Dem Hinweisgeber steht es aber auch frei, auf die Anonymität<br />
bei der Informationsabgabe an die WKStA zu verzichten.<br />
7. Exkurs: <strong>Whistleblowing</strong>-Hotlines – Tell-me Systeme<br />
Von großer Bedeutung für die Entwicklung des <strong>Whistleblowing</strong> ist der in den<br />
USA geltende Sarbanes-Oxley Act von 2002, der als Reaktion auf die Bilanzskandale<br />
von Unternehmen wie Enron und Worldcom erlassen wurde. Sein Ziel<br />
war es, das Vertrauen der Anleger in die Richtigkeit und Verlässlichkeit der veröffentlichten<br />
Finanzdaten von Unternehmen wiederherzustellen, die den USamerikanischen<br />
Rechtsvorschriften unterliegen. Neben einer Neuregelung der<br />
Verantwortlichkeiten von Managern und einer verschärften Haftung der Wirtschaftsprüfer<br />
sieht der Sarbanes-Oxley Act auch strengere Vorschriften für die<br />
Richtigkeit von veröffentlichten Finanzdaten vor. Durch den Act wurde außerdem<br />
das Public Company Oversight Accounting Board (PCAOB), eine Aufsichtsbehörde<br />
zur Überwachung von Wirtschaftsprüfgesellschaften, geschaffen.<br />
41<br />
Der Sarbanes Oxley Act verlangt unter anderem auch die Implementierung<br />
eines funktionsfähigen internen Kontrollsystems für Unternehmen. Als notwendiger<br />
Teil eines solchen Kontrollsystems wurde schließlich auch ein unternehmensinternes<br />
Hinweisgebersystem erkannt, in dem Mitarbeiter, aber auch<br />
externe Personen, unternehmensinterne Missstände anonym melden können.<br />
Durch ihn kam es zu einer vermehrten Einführung von unternehmensinternen<br />
<strong>Whistleblowing</strong>-Hotlines, die teilweise auch in Österreich Einzug in die unternehmerische<br />
Praxis gefunden haben. Allgemein gilt, dass die Etablierung einer<br />
internen „Compliance Kultur“ gerade auch im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts<br />
von der Geschäftsführung initiiert und kontinuierlich an die Mitarbeiter<br />
kommuniziert werden muss. 42 Implementiert ein österreichisches Unternehmen<br />
40<br />
WKStA, Information über die Einrichtung eines Hinweisgebersystems, März 2013.<br />
41<br />
KPMG, Sarbanes Oxley Act, www.kpmg.de/Themen/1439.htm (abgefragt am 13.6.2013).<br />
42<br />
Barbist/Albiez, Wirtschaftsstrafrecht und Compliance, in Barbist/Ahammer (Hrsg),<br />
Compliance in der Unternehmenspraxis (2009) 79 (85).<br />
705
Michael Kutschera<br />
ein <strong>Whistleblowing</strong>-System, sei es als <strong>Whistleblowing</strong>-Hotline oder als EDV-<br />
Dienst, so muss dieses System vorab bei der Datenschutzkommission gemeldet<br />
werden, weil durch diese Systeme personenbezogene Daten im Sinne von § 4 Z 1<br />
DSG 2000 von Arbeitnehmern innerhalb eines Unternehmens, oftmals auch innerhalb<br />
eines Konzerns, bearbeitet und weitergegeben werden. 43 In ihrer Entscheidung<br />
vom 08.12.2012 44 hat die Datenschutzkommission die Einführung<br />
eines <strong>Whistleblowing</strong>-Systems an die Auflage geknüpft, dass die Mitarbeiter<br />
nicht nur im Arbeitsvertrag, sondern auch durch generelle Weisungen zur Einhaltung<br />
der Compliance-Richtlinie zum „Hinweisgebersystem“ verpflichtet<br />
sind. 45<br />
Siemens gilt – nach eigenen bitteren Erfahrungen – als Vorzeigebeispiel für<br />
die Einsetzung eines solchen <strong>Whistleblowing</strong>-Systems und hält eine Vorreiterstellung<br />
bezogen auf die Entwicklung des internen Compliance Helpdesk. 46 Seit<br />
2007 haben die Mitarbeiter von Siemens weltweit die Möglichkeit, per E-Mail<br />
Fragen an einen anonymen Helpdesk zum Compliance Programm, seiner Auslegung<br />
und praktischen Anwendung zu stellen. 47 Der Compliance Helpdesk übt<br />
Funktionen im Bereich der Vorbeugung, bei der Aufdeckung von Compliance-<br />
Verstößen und bei der kontinuierlichen Fortentwicklung des Programms aus. 48<br />
Durch eine eigene Software werden die Meldungen an den zuständigen Compliance-Beauftragten<br />
weitergeleitet, dieser bearbeitet die Meldungen und entscheidet<br />
darüber, ob der Vorwurf weiter verfolgt wird.<br />
In Österreich hat etwa die voestalpine AG im Jahr 2011 ihre Aktivitäten<br />
im Bereich Compliance verstärkt, Fokus ist vor allem der Schutz des freien<br />
Wett bewerbs sowie die Vermeidung von Korruption. 49 Seit 1995 hatte die voestalpine<br />
AG ihre Compliance Aktivitäten kontinuierlich ausgebaut und eine flächendeckende<br />
Compliance-Struktur geschaffen. Die nun bestehende Compliance-Organisation<br />
sieht vor, dass sowohl auf Konzernebene als auch in jeder<br />
Division jeweils ein Compliance-Verantwortlicher bestellt ist. 50 Dieser dient als<br />
interne Anlaufstellen für alle Themenstellungen und Fragen im Bereich „Verhaltensregeln<br />
im Wirtschaftsleben“. Die voestalpine verfügt auch über ein web<br />
43<br />
Aschauer, <strong>Whistleblowing</strong> in der Unternehmenspraxis, CFOaktuell 2013, 64.<br />
44<br />
DSK 14.12.2012, K600.320-005/0003-DVR/2012.<br />
45<br />
Aschauer, CFOaktuell 2013, 65.<br />
46<br />
Moosmayer/Sölle/Toifl, Das Compliance-Programm von Siemens, in Petsche/Mair<br />
(Hrsg), Handbuch Compliance (2010) 403 (407).<br />
47<br />
Moosmayer/Sölle/Toifl in Petsche/Mair 407.<br />
48<br />
Moosmayer/Sölle/Toifl in Petsche/Mair 407.<br />
49<br />
Zu finden unter folgendem Link: www.voestalpine.com/group/de/konzern/compliance<br />
(abgefragt am 13. 6. 2013).<br />
50<br />
Zu finden unter folgendem Link: www.voestalpine.com/group/de/konzern/compliance<br />
(abgefragt am 13. 6. 2013).<br />
706
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
basiertes Hinweisgebersystem innerhalb dessen Compliance-Verstöße anonym<br />
gemeldet werden können.<br />
Die Telekom Austria führte im Jahr 2012 eine Whistleblower-Hotline ein,<br />
das sog „tell.me.“ Sie kann direkt über die Homepage der Telekom Austria aufgerufen<br />
werden und soll Mitarbeitern wie auch Marktbeobachtern die Möglichkeit<br />
geben, anonym Missstände im Unternehmen zu melden. Meldungen, die in<br />
das System eingehen, werden nach dem Vier-Augen-Prinzip bearbeitet. Der<br />
Whistleblower entscheidet selbst, ob er anonym bleiben will. 51 Es besteht auch<br />
die Möglichkeit, direkt Unterlagen mit dem System mitzuschicken.<br />
C. Schutzmaßnahmen für Whistleblower<br />
1. Allgemeines<br />
Der Whistleblower setzt sich durch seine Tätigkeit zahlreichen potentiellen<br />
Nachteilen und Risiken aus, zumal er Informationen über Rechtsverletzungen<br />
preisgibt, die Dritte belasten können, ja sollen. Je nach betroffenem Personenkreis<br />
kann dies für den Whistleblower unterschiedliche Konsequenzen nach<br />
sich ziehen.<br />
Der Whistleblower könnte durch seine Informationspreisgabe mit Verfolgung<br />
wegen übler Nachrede, Kreditschädigung oder Verleumdung konfrontiert<br />
werden. Er könnte unternehmensintern Mobbing, Bossing, im schlimmsten<br />
Fall einer (fristlosen) Kündigung ausgesetzt sein oder faktische Nachteile erleiden<br />
(wie zB Rufschädigung). Der Whistleblower benötigt deshalb gesetzlich<br />
geregelten Schutz, der ihn generell vor Nachteilen aber auch vor strafrechtlichen,<br />
faktischen und arbeitsrechtlichen Gefahren bewahrt.<br />
2. Exkurs zur Rechtslage des Whistleblowers<br />
in den USA<br />
In Sachen <strong>Whistleblowing</strong> nehmen die USA schon seit Langem eine Vorreiterrolle<br />
ein. Einige dieser gesetzlichen Regelungen könnten als Denkanstoß für<br />
Österreich dienen.<br />
An dieser Stelle ist insb der sog „Federal False Claims Act“ zu nennen, die<br />
wichtigste Handhabe der US-Regierung zur Abwehr unberechtigter, vor allem<br />
betrügerisch geltend gemachter Ansprüche Dritter gegen die US-Regierung. 52<br />
Seinen Ursprung hat der Federal False Claims Act im amerikanischen Bürgerkrieg<br />
(deswegen auch „Lincoln Law“ genannt). Anlassfall waren die damals<br />
häufigen Betrugsfälle, bei denen sich das Unionsheer mit ungerechtfertigten<br />
51<br />
Wirtschaftsblatt vom 10.12.2012, Telekom startet Anti-Korruptionsplattform.<br />
52<br />
Buxbaum/Cailteux, Federal False Claims Act, ecolex 2010, 28 (28).<br />
707
Michael Kutschera<br />
Zahlungsansprüchen von Verkäufern altersschwacher Pferde, schadhafter Gewehre<br />
oder Ähnlichem konfrontiert sah. 53 Wesentlicher Inhalt des Act ist die<br />
Haftung natürlicher und juristischer Personen für die missbräuchliche Geltendmachung<br />
von Zahlungsansprüchen gegen die US-Regierung oder für die betrügerische<br />
Unterlassung von der US-Regierung gebührenden Zahlungen. Der<br />
Federal False Claims Act sieht hierfür Geldstrafen oder auch ein mehrjähriges<br />
Verbot weiterer Vertragsabschlüsse mit der US-Regierung vor. 54<br />
Mit der Novellierung des Federal False Claims Act durch den US-Kongress<br />
im Jahr 2009 wurde das Haftungsrisiko noch in mehrerer Hinsicht erhöht. 55<br />
Das Risiko einer Haftung auf Grundlage des Federal False Claims Act wird<br />
auch aufgrund einer Bestimmung erhöht, die Dritte berechtigt, eine Klage wegen<br />
eines angeblichen Verstoßes gegen den Federal False Claims Act einzubringen,<br />
sog „Qui-Tam Kläger“ oder „Whistleblower“. Es obliegt nach Einbringung<br />
der Klage der US-Regierung, ob sie die Klage übernimmt oder von einer derartigen<br />
Übernahme absieht. Je nachdem, ob die US-Regierung die Klagsführung<br />
übernimmt oder ablehnt, gebührt dem Whistleblower im Falle eines erfolgreichen<br />
Prozessverlaufs ein bestimmter Prozentsatz der letztlich zugesprochenen<br />
oder vereinbarten Straf- oder Vergleichszahlung. 56 Der Betrag variiert zwischen<br />
15 und 25 Prozent einer späteren Straf- oder Vergleichszahlung.<br />
Im Jahr 1989 wurde in den USA auf Bundesebene der sog „Whistle Blower<br />
Protection Act“ eingeführt. Dieser soll Regierungsangestellten Schutz vor Vergeltungsakten<br />
bzw vor deren Androhung bieten, wenn sie regierungsinterne<br />
Gesetzesverstöße aufdecken.<br />
In der Vergangenheit kam es dennoch zu Vergeltungsakten, die auch eigentümliche<br />
Blüten trugen. Als Beispiel sei Joseph C. Wilson genannt: Wilson hatte<br />
vor Ausbruch des Irakkriegs aufgrund der von ihm dazu gewonnenen Erkenntnisse<br />
öffentlich verbreitet, dass Saddam Hussein kein atomwaffenfähiges<br />
Material gekauft hätte. Daraufhin deckte die US Regierung in gesetzwidriger<br />
Weise die Agententätigkeit seiner Ehefrau auf. 57<br />
Im November 2012 wurde der sog „Whistle Blower Enhancement Act“ erlassen,<br />
dieser reformiert den Whistle Blower Protection Act von 1989. Der Akt<br />
schließt Schlupflöcher und weitet insb den Geltungsbereich des Schutzes von<br />
Regierungsangestellten aus.<br />
53<br />
Buxbaum/Cailteux, ecolex 2010, 28.<br />
54<br />
Buxbaum/Cailteux, ecolex 2010, 29.<br />
55<br />
Buxbaum/Cailteux, ecolex 2010, 28.<br />
56<br />
Buxbaum/Cailteux, ecolex 2010, 29.<br />
57<br />
Cooper/Calabresi/Dickerson, A war on Wilson? Time Magazine vom 17.7.2003.<br />
708
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
3. Schutzmaßnahmen in Österreich<br />
<strong>Whistleblowing</strong> wird schnell mit den negativ besetzten Begriffen Vernadern,<br />
Verraten und Verpfeifen verbunden. Die erste Assoziation gilt dem kleinkarierten<br />
Denunzianten, der andere aus niedrigen Motiven hinter ihrem Rücken unwichtiger<br />
oder erfundener Rechtsverletzungen bezichtigt und diese vielleicht<br />
auch an die zuständigen Behörden meldet, etwa der Nachbar, der mit der Uhr in<br />
der Hand auf Ruhestörung wartet. In eine andere Kategorie fällt das Hintergehen<br />
von Menschen, die Loyalität erwarten dürfen. Wir denken an den unaufrichtigen<br />
Karrieristen, der sich stets freundlich zu seinen Vorgesetzten und Kollegen<br />
gibt, sie aber hinterrücks ohne jeden oder aus nichtigem Anlass herabsetzt.<br />
Ganz unterschwellig mischt sich damit die Erinnerung, dass Denunziation<br />
auch in unseren Breiten stets ein wesentliches Element in der Unterdrückungsmaschinerie<br />
totalitärer Systeme darstellte. Personen wurden durch die Anzeige<br />
von Verhalten ans Messer geliefert, das zwar durch Gesetz verboten, aber von<br />
jedem verständigen Menschen in Wahrheit als nicht zu ahndend angesehen wurde,<br />
etwa Witze über Exponenten des Regimes oder Zweifel an den von ihm angekündigten<br />
Siegen. Und noch schlimmer, solche Denunziation wurde zur<br />
Pflicht, deren Verletzung selbst schwer bestraft wurde.<br />
Damit aber haben die Anlässe für Meldepflichten, wie sie heute bestehen,<br />
ebenso wenig zu tun, wie jene Fälle, in denen Anreize geschaffen werden,<br />
Rechtsverstöße aufzuzeigen und dafür in gewissen Fällen (Kronzeugenregelung)<br />
mildere Ahndung eigenen Fehlverhaltens zu erlangen. Geldwäsche, Korruption<br />
oder Kartellverstöße sind im 21. Jahrhundert keine gesellschaftlich akzeptierten<br />
Petitessen, deren Ahndung dem Großteil der Bevölkerung in Wahrheit<br />
ohnehin kein Anliegen ist. 58 Berufskollegen sollen vertrauensvoll und<br />
pfleglich miteinander umgehen. Das bewusste Wegsehen bei am gemeinsamen<br />
Arbeitsplatz begangenen Straftaten ist aber falsch verstandene Kameraderie.<br />
Ungeahndete, achselzuckend hingenommene, unaufgeklärte (Wirtschafts-)Kriminalität<br />
schreckt Investoren ab, lähmt die Wirtschaft, fördert unterschwellig<br />
Kriminalität und riskiert letztlich, alle Bürger zu korrumpieren und damit den<br />
Rechtsstaat selbst zu gefährden. Die Verhinderung oder das Aufdecken schwerwiegender<br />
Rechtsverstöße sind Ziele unserer Rechtsordnung wie einige der<br />
oben behandelten Bestimmungen (§ 286 StGB, §§ 8a ff RAO, § 273 Abs 2 UGB,<br />
§ 63 Abs 3 BWG, §§ 209 ff StPO, § 11 Abs 3 WettbG) zeigen. Das Verhalten des<br />
Anzeigers ist in diesen Fällen gewollt und schutzwürdig.<br />
58<br />
Siehe auch die IBA Anti-Corruption Resolution 2010 und die kürzlich beschlossene<br />
Anti-Corruption Guidance for Bar Associations der IBA.<br />
709
Michael Kutschera<br />
Bis dato existiert zum Schutz des Whistleblowers aber lediglich eine gesetzliche<br />
Bestimmung:<br />
Nach § 53a Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG) dürfen Beamte, 59 die<br />
im guten Glauben den begründeten Verdacht einer in § 4 Abs 1 des Bundesgesetzes<br />
über die Einrichtung und Organisation des Bundesamts zur Korruptionsprävention<br />
und Korruptionsbekämpfung 60 genannten strafbaren Handlung 61<br />
melden, durch die Vertreterin oder den Vertreter des Dienstgebers als Reaktion<br />
auf eine solche Meldung nicht benachteiligt werden. Dasselbe gilt, wenn sie von<br />
ihrem Melderecht gemäß § 5 des Bundesgesetzes über die Einrichtung und Organisation<br />
des Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung<br />
Gebrauch machen. 62 § 53a BDG ordnet – kurz gesagt – also an,<br />
dass Whistleblower nicht benachteiligt werden dürfen.<br />
Das bedeutet Schutz vor der Auflösung des Dienstverhältnisses, aber auch<br />
vor negativen Reaktionen der Vorgesetzten oder Vertreter des Dienstgebers, wie<br />
etwa Versetzung oder Bossing. 63 Die Bestimmung (§ 53a BDG) könnte daher<br />
durchaus auch Pate stehen für andere Bereiche.<br />
Darüber hinaus schützen den Whistleblower vor allem Hinweissysteme, die<br />
es ihm ermöglichen, anonym zu bleiben. Allerdings wird je nach den Umständen<br />
der Kreis der möglichen Wissensträger so klein sein, dass die von der Anzeige<br />
betroffenen Personen Rückschlüsse auf die Identität des Anzeigers werden<br />
ziehen können. Bei der Verfolgung des organisierten Verbrechens bleibt oft kein<br />
anderer Weg, als demjenigen durch Zeugenschutzprogramme 64 eine neue Existenz<br />
zu verschaffen, der wagt, aus dem System auszubrechen.<br />
Das Spannungsverhältnis zwischen den Bildern des privaten Wahrers der<br />
Rechtsordnung und dem hinterhältig vorgehenden Denunzianten ist nicht leicht<br />
aufzulösen. Auch wenn niemand Femegerichte oder totalitäre Spitzelsysteme<br />
zurück haben möchte – bedenken wir, welchem Wertewandel über die Zeit jene<br />
unterlagen, die den Mut hatten, sich totalitären Unrechtssystemen verschwörerisch<br />
entgegen zu stellen. Sie galten oft länger als dies heute in Erinnerung sein<br />
mag als untreue Verräter bis sich endlich die Erkenntnis durchsetzte, dass ihnen<br />
in Wahrheit Vorbildcharakter zukommt und zwar auch weil und obwohl sie oft<br />
59<br />
Vgl auch für Vertragsbedienstete § 5 Abs 1 VBG.<br />
60<br />
BGBl I 2009/72.<br />
61<br />
Darunter fallen etwa Missbrauch der Amtsgewalt, Bestechlichkeit oder Vorteilsannahme.<br />
62<br />
Gemäß § 5 des Bundesgesetzes über die Einrichtung und Organisation des Bundesamts<br />
zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung haben die Sicherheitsbehörden<br />
oder -dienststellen, die von einer Straftat im Sinne des § 4 Abs 1 leg cit Kenntnis erlangen,<br />
diese unbeschadet ihrer Berichtspflichten nach der StPO unverzüglich schriftlich<br />
dem Bundesamt zu berichten (Meldepflicht).<br />
63<br />
Glaser/Komeda, JPR 2012, 220.<br />
64<br />
Siehe in diesem Zusammenhang § 22 Abs 1 Z 5 SPG.<br />
710
<strong>Whistleblowing</strong> – Überlegungen de lege lata et ferenda<br />
zunächst dem Regime nicht so fern standen, das sie letztlich mit vollem persönlichen<br />
Risiko zu stürzen versuchten.<br />
Ohne ein gewisses Maß an Zivilcourage und Sendungsbewusstsein wird also<br />
kein Whistleblower den Entschluss zur Anzeige fassen, es sei denn, das wäre die<br />
einzige Möglichkeit, ihm selbst Strafe zu ersparen oder ihr Ausmaß zu mindern.<br />
Es bleibt abzuwarten, ob der generelle Zugang zu <strong>Whistleblowing</strong> – hoffentlich<br />
– dorthin führen wird, dass am Whistleblower, der schweres Unrecht aufdeckt,<br />
nicht der geringste schale Beigeschmack der Illoyalität haften bleibt.<br />
III. Monetäre Belohnungssysteme für Whistleblower –<br />
Überlegungen de lege ferenda<br />
Da sich also auch beim mutigsten und lautersten Whistleblower der unterschwellige<br />
Verdacht mangelnder Verlässlichkeit einschleichen kann, muss damit<br />
gerechnet werden, dass das eigene berufliche Fortkommen des Whistleblowers<br />
durch seine Aufdeckungen erschwert wird. Loyalität gehört schließlich zu einer<br />
Kerntugend im Berufsleben.<br />
Daher stellt sich die Frage, ob dem Whistleblower die Unbill monetär abgegolten<br />
werden soll, der er sich durch seine Meldung auch in ganz klaren Szenarien<br />
aussetzt. In den USA ist dies, wie oben gezeigt, für gewisse Fälle sogar gesetzlich<br />
vorgesehen.<br />
Allerdings bestehen Unterschiede zwischen dem dortigen und unserem<br />
Rechtssystem, die dabei bedacht werden wollen. Zunächst kennt das amerikanische<br />
Rechtssystem die Einrichtung sog „punitive damages“. Kurz gesprochen<br />
wird unter diesem Titel einer geschädigten Partei mehr an Geld zugesprochen<br />
als es zur Abgeltung ihres tatsächlich erlittenen Schadens braucht, zuweilen sogar<br />
ein Mehrfaches davon. Ein Motiv dafür ist wohl, Anreize für jedes Rechtssubjekt<br />
zu schaffen, Unrecht im Wege von Gerichtsverfahren zu verfolgen.<br />
Der zur Zeit populärste Whistleblower dürfte der frühere UBS-Banker<br />
Bradley Birkenfeld sein. Birkenfeld gab Informationen preis, wie sein Arbeitgeber<br />
reichen Amerikanern half, Steuern zu hinterziehen. Er kassierte durch<br />
seinen Tipp 104 Millionen Dollar Belohnung von der US-Steuerbehörde. Es ist<br />
die höchste Provision, die jemals von den US-Behörden an einen Whistleblower<br />
ausbezahlt wurde. Die Zusammenarbeit mit den US-Behörden war aber für<br />
Birkenfeld keinesfalls nur profitabel. Birkenfeld selbst wurde aufgrund seiner<br />
Informationen zu 40 Wochen Gefängnis wegen Betrugs verurteilt, von den<br />
104 Millionen Dollar blieben ihm nach Abzug von Steuern und Anwaltskosten<br />
schlussendlich (immerhin) 40 Millionen Dollar. 65<br />
65<br />
Die Presse vom 12.9.2012, USA belohnen Ex-UBS-Banker mit 104 Mio Dollar.<br />
711
Michael Kutschera<br />
Dem steht unser eher obrigkeitlicher Zugang gegenüber, das Strafmonopol<br />
den Strafgerichten und Verwaltungsbehörden einzuräumen. Hier ist nicht der<br />
Platz um über Sinn, Unsinn und Missbrauch des amerikanischen Zugangs zu<br />
philosophieren, der sich auch an Einrichtungen wie quota litis oder Sammelklagen<br />
manifestiert. Klar ist aber, dass hierzulande eine allfällige monetäre Belohnung<br />
aus dem zugesprochenen Schadenersatz primär zu Lasten des Geschädigten<br />
gehen müsste, auch wenn dies dadurch gerechtfertigt werden könnte,<br />
dass der Geschädigte ohne Whistleblower gar keinen Ersatz erhielte, ja seinen<br />
Schaden in der Regel nicht einmal wahrnähme (zB im Fall geheimer Kartellabsprachen).<br />
Würde hingegen dem Whistleblower ein eigener Anspruch auf Belohnung<br />
gegen den Schädiger eingeräumt, kommt dem wohl aus der Perspektive<br />
des Schädigers Strafcharakter zu und wäre vom Konzept her rechtliches Neuland.<br />
Tendenziell ist zu erwarten, dass sich der Trend in Richtung Förderung des<br />
<strong>Whistleblowing</strong> fortsetzen wird und sich dabei unweigerlich die Frage finanzieller<br />
Anreize für Whistleblower stellen wird. Werden Schritte in diese Richtung<br />
erwogen, sollte dies nicht ohne grundsätzliche Überlegung dazu geschehen, ob<br />
und in welcher Form dem Einzelnen mehr Möglichkeiten und Anreize zur<br />
Durchsetzung der Rechtsordnung im Allgemeinen gegeben werden sollen. Derzeit<br />
wird dafür hierzulande fast alleine auf Interessensverbände aller Art gesetzt.<br />
Auch wenn der sehr stark auf individuelle Rechtsverfolgung setzende<br />
amerikanische Zugang manchen Missbrauch hervorgerufen hat, sollte nicht<br />
übersehen werden, dass er auch als Ausdruck der Wertschätzung und Zuordnung<br />
großer individueller Freiheit und Verantwortung verstanden werden muss.<br />
712