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Das verlorene Lachen - Die Deutsche Bühne

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34<br />

u SCHWERPUNKT<br />

CHRISTOPH NIX<br />

War traurig, wann ich jung war<br />

Bin traurig nun ich alt<br />

So wann kann ich mal lustig sein?<br />

Es wäre besser bald<br />

BB 1955<br />

Immer war ich zuständig für „bürgerliches<br />

Lachtheater“, wenn wir unsere<br />

Spielpläne entwickelten. Meinen<br />

Mitarbeitern war das Komödiantische<br />

zu banal. Natürlich durfte auch gelacht<br />

werden, aber erst nach entsprechender<br />

Fallhöhe – erst die Karriere, dann das<br />

<strong>Lachen</strong>; erst der Tod, dann die Erlösung;<br />

erst das experimentelle, das tragische,<br />

das programmatische Repertoire, dann<br />

auch die Reihe „Lustig, Lustig“.<br />

<strong>Das</strong> <strong>verlorene</strong> <strong>Lachen</strong><br />

Christoph Nix, Autor dieses Artikels, hat in seinem Leben<br />

mancherlei Erfahrungen mit dem <strong>Lachen</strong> sammeln können:<br />

als Clown beim Zirkus, als Jurist vor Gericht – und als Intendant<br />

der Theater in Nordhausen, Kassel und Konstanz.<br />

1 I<br />

Foto: Detlev Müller<br />

Meine Dramaturgen und auch die Regisseure<br />

haben in Nordhausen und in<br />

Kassel wenig auf die Kraft des <strong>Lachen</strong>s<br />

vertraut. <strong>Das</strong> aufrichtige <strong>Lachen</strong> im<br />

Blochschen Sinne war längst tot. Der<br />

Soziologe Norbert Elias beschreibt in seinem<br />

Grundwerk „Über den Prozess der<br />

Zivilisation“, 1 wie sich beim Übergang<br />

von der höfischen zur zivilisierten Gesellschaft<br />

die Struktur menschlicher<br />

Affekte und ihre Kontrolle verändert<br />

haben. Der Mensch des 20. Jahrhunderts<br />

ist mehr denn je von Langsicht<br />

und Selbstzwang geprägt: äußerlich<br />

freier, ist dennoch die Affektregulierung<br />

restriktiver geworden, ist das <strong>Lachen</strong><br />

zwar Kommunikation geblieben,<br />

aber heute eher der Konvention geschuldet,<br />

nicht mehr unbeherrschbar,<br />

sondern in Formen gepresst. Spontanes<br />

oder naives <strong>Lachen</strong>, eines aus dem<br />

Gefühl heraus, ist selten. Vielmehr<br />

eine Geste im Repertoire des „small<br />

talk“, verkommt es zu einer Attitüde,<br />

mithin ein Mittel zur Verdrängung der<br />

Probleme der Welt, ein Schachzug zur<br />

Verschüttung der Traurigkeit.<br />

<strong>Das</strong> anarchische Element war dem <strong>Lachen</strong><br />

ausgetrieben worden. Schon im<br />

elisabethanischen England gnadenlos<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 10 I 2007


SCHWERPUNKT t<br />

35<br />

verfolgt, hat diese Austreibung vor den<br />

Theatern nicht halt gemacht. Shakespeare<br />

hat hart dagegen gearbeitet,<br />

aber der soziale Tod des Narren war der<br />

Sieg des Puritanischen, der Triumph<br />

der protestantischen Ethik. Auch darin<br />

sind die <strong>Deutsche</strong>n Meister in Europa,<br />

von Reinhardt über Gründgens bis<br />

zu Heinz Hilpert: <strong>Die</strong> Komödie, selbst<br />

wenn es die bissig französische Variante<br />

war, galt auf der Bedeutungsskala<br />

relativ wenig.<br />

Auf der Suche nach dem <strong>Lachen</strong><br />

Glauben Sie mir, ich habe lange nach<br />

dem <strong>Lachen</strong> gesucht. Ich bin durch<br />

die Gerichtssäle als Anwalt und als<br />

Strafverteidiger geeilt, dort, wo die<br />

Traurigkeiten und die menschlichen<br />

Konflikte stranden. Ich bin über die<br />

Probenbühnen der Theater gelaufen,<br />

wo man versucht, diese Traurigkeiten<br />

abzubilden, zu brechen, zu spiegeln,<br />

zu verzerren oder meinetwegen auch<br />

zu konzentrieren. Ich war auf der Suche,<br />

aber ich habe im banalen <strong>Das</strong>ein<br />

eines Intendanten das <strong>Lachen</strong> verloren.<br />

Manchmal, wenn ich hinter den Türen<br />

der Theater, die ich geleitet habe, einen<br />

schrillen Ton hörte, einen Schrei, ein<br />

„Gaggern und Giggern“, ein Krächzen<br />

und Stöhnen, ein schrilles Auf und Ab<br />

menschlicher Töne, dann habe ich die<br />

Tür aufgerissen, glücklich, aber ich<br />

habe sie wieder nur leiden sehen, die<br />

Jungregisseure und ihre Ensembles,<br />

die klugen Dramaturginnen und Assistenten;<br />

fröhlich konnten dann die<br />

Pausen sein, fröhliches Schimpfen in<br />

den Kantinen, fröhliches Zigarettenrauchen<br />

im Flur.<br />

Kantinenlachen<br />

Wohl dem Theater, das eine Kantine<br />

hat! Denn die Kantinen der Theater<br />

sind die schönsten Orte, an denen die<br />

Theaterleute ihre Anekdoten erzählen<br />

und lachen dürfen. Da erinnert<br />

sich einer, wo Ecke Schall im Berliner<br />

Foto: DRAMA<br />

2 I<br />

Ensemble immer gevögelt haben soll,<br />

und man hört, dass der Schuhmacher<br />

einer der erfolgreichsten Frauenhelden<br />

am Staatstheater Kassel sei; man<br />

erzählt und grinst über eingeschlafene<br />

Kritiker, und wie der Intendant sich<br />

beim <strong>Bühne</strong>nball das Fußgelenk brach.<br />

Befreiendes <strong>Lachen</strong> über die da oben:<br />

Generalmusikdirektoren, Technische<br />

Direktoren und vertrottelte Verwaltungsleiter.<br />

<strong>Lachen</strong> in der Krise<br />

Wenn das Theater in die Krise kam,<br />

wenn die Zuschauerzahlen zurückgingen,<br />

ob am Berliner Ensemble, am<br />

Theater Nordhausen oder in Kassel,<br />

spätestens dann erinnerten wir uns<br />

der „Pension Schöller“, „Charleys Tante“,<br />

den „Dreien von der Tankstelle“ oder des<br />

„Vetters aus Dingsda“. Waren das die<br />

Notlösungen? Ist das bürgerliche Lachtheater<br />

nur ein Quotenbringer? <strong>Die</strong> Komödie<br />

des 19. und 20. Jahrhunderts wird<br />

als eigenständige Kunstform in den<br />

Spielplänen sträflich vernachlässigt. Natürlich<br />

darf gelacht werden in Yasmina<br />

Rezas „Kunst” oder im „Gott des Gemetzels”,<br />

aber dieses <strong>Lachen</strong> des Züricher<br />

Bürgertums erreicht ja niemanden, es<br />

ist ein <strong>Lachen</strong> aus der Konvention heraus,<br />

ungefährlich und zivilisiert.<br />

Manchmal gelingt etwas anderes: Sie<br />

erinnern sich vielleicht an Frank Castorfs<br />

„Pension Schöller/<strong>Die</strong> Schlacht“ –<br />

da gelingt einem Theaterregisseur<br />

mehr als eine additive Verknüpfung.<br />

<strong>Die</strong> bürgerliche Definition des Wahnsinns<br />

begegnet dem Terror des autoritären<br />

Staates. <strong>Die</strong> Pension wird zum<br />

Gegenmodell des Krieges, das klang<br />

so wie die Urgeschichte der Erfindung<br />

des Schelmes, und die lautet so:<br />

Unter dem Nachthimmel erkannten die<br />

Götter die Schwäche des Menschen und<br />

befahlen Mesua, dem Häuptling, seinen<br />

Stamm nach Süden zu führen…Den<br />

Zug begleitete ein Mann, der durch eine<br />

grelle rotweiße Bemalung gekennzeichnet<br />

war. Anstelle der üblichen Federn<br />

türmten sich auf seinem Kopf getrocknete<br />

Kornblätter. Er zog voran an der<br />

Spitze des Zuges, der sich schwerfällig<br />

durch dorniges Gelände wand. Geriet<br />

der Marsch ins Stocken, sprang dieser<br />

Mann urplötzlich auf, tanzte, sang<br />

stolperte, machte Späße, ließ dorrende<br />

Früchte reifen, bis der Stamm in schallendem<br />

Gelächter neuen Mut schöpfte<br />

und ihm folgte zu dem Ort, an dem er<br />

sich niederließ und ruhte. 2<br />

Der Mythos erzählt von der Geburt<br />

des Spiels, des Theaters und des <strong>Lachen</strong>s<br />

in der Krise. Derartige Aktionen<br />

1 I „Charleys<br />

Tante“ (mit Conny<br />

Grotsch und<br />

Michael Berger)<br />

am Mittelsächsischen<br />

Theater<br />

Freiberg/Döbeln.<br />

2 I „Pension<br />

Schöller“ in<br />

Frank Castorfs<br />

Inszenierung 1994<br />

an der Berliner<br />

Volksbühne.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 10 I 2007


36 u SCHWERPUNKT<br />

Christoph Nix, der Autor dieses Beitrags, studierte<br />

Rechtswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität<br />

Gießen. 1988 wurde er an der Universität Bremen zum<br />

Dr. iur. promoviert, 1990 zum Professor ernannt. Von<br />

1985 bis 1990 war er Strafverteidiger in Gießen, ab 1988<br />

lehrte er an der Evangelischen Fachhochschule Hannover<br />

Strafrecht. Er unterrichtete an der Humboldt-Universität<br />

Berlin 1992-2003, der Universität der Künste<br />

2004/2005 und an der Universität Kassel 2005. Von<br />

1985 bis 1988 spielte Nix bei Augusto Boal und Gardi<br />

Hutter. Er trat als Clown im Europa Circus Bügler auf.<br />

1994 wurde er Intendant am Theater in Nordhausen,<br />

das er 1999 für die Intendanz am Staatstheater Kassel<br />

verließ. 2004 wurde sein Vertrag in Kassel von der Hessischen<br />

Landesregierung nicht mehr verlängert. Seit<br />

September 2006 ist Nix Intendant am Stadttheater in<br />

Konstanz.<br />

sind den etablierten Theatern fremd,<br />

selbst wenn sie sich in akuter Not befinden<br />

und von Auflösungen bedroht<br />

werden. Statt mit <strong>Lachen</strong> reagieren<br />

wir mit neuen Gutachten und Pressemitteilungen<br />

und gewichtigen Reden,<br />

wenig davon ist humorvoll, erstarrt im<br />

Ritual der Begegnungen, wie Elias sie<br />

beschreibt. Wenn Manager sich begrüßen,<br />

hat das Theater als Aktions- und<br />

Organisationsform wenig mit Humor<br />

gemein. Dabei kann unkontrolliertes<br />

<strong>Lachen</strong> im öffentlichen Zeremoniell, im<br />

sozialen Verband Tröstung und heilsame<br />

Anarchie sein.<br />

<strong>Das</strong> Publikum liebt das <strong>Lachen</strong>.<br />

„Ich empfinde das <strong>Lachen</strong> im Theater<br />

als Zeichen der Zuneigung, ein Ausdruck<br />

der Liebe für die Charaktere, dass<br />

man ihnen nicht einfach in höflichem<br />

Schweigen zusieht“, sagt Alan Ayckbourn.<br />

Ist in der Premiere der erste Lacher<br />

getan, selbst wenn er da gar nicht<br />

hingehört – es gibt große Debatten, wo<br />

der Lacher hingehört –, dann ist die Geburt<br />

vollbracht, der Krampf abgefallen.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Lachen</strong> ist ein Bruder aller Spieler,<br />

es ist Schwester der gesellschaftlichen<br />

Anarchie, ein Helfer auf der <strong>Bühne</strong>. Nur<br />

wenige Regisseure verstehen wirklich<br />

etwas davon, den meisten Menschen<br />

in Leitungspositionen ist es abhanden<br />

gekommen. <strong>Das</strong> ist im Inneren des<br />

Theaters nicht anders als in der Binnenstruktur<br />

der Allianz Versicherung.<br />

<strong>Das</strong> ist schade und wirkt sich auf unsere<br />

Spielpläne aus. Wir trauen dem<br />

<strong>Lachen</strong> nichts mehr zu.<br />

Zirkuslachen<br />

Seit den 80er Jahren sind die kleinen<br />

und mittleren Zirkusunternehmen in<br />

schwere ästhetische und ökonomische<br />

Krisen geraten. Ihre existenzielle<br />

Vernichtung ist mit den Theaterkrisen<br />

nicht zu vergleichen. <strong>Die</strong> Folgen sind<br />

fatal. Ganze Generationen von Zirkuskünstlern<br />

sind zu Sozialhilfeempfängern<br />

geworden, jeden Winter sind sie<br />

auf der grausamen Suche nach Plätzen,<br />

von denen sie nicht vertrieben werden<br />

können. Der Zirkusclown ist altmodisch<br />

geworden und wenig lustig. <strong>Die</strong><br />

großen Clowns sind abgetreten. Keine<br />

Zeit für Clownspoesie.<br />

„<strong>Das</strong> Lächeln am Fuße der Leiter”,<br />

die unerbittliche Suche nach einem<br />

aufrichtigen <strong>Lachen</strong>, die harte Arbeit<br />

des Clowns im Zirkus ist gescheitert.<br />

<strong>Das</strong> Theater, sich selbst als höhere<br />

Kulturform begreifend, hat den Stab<br />

übernommen, ernste und kluge Menschen<br />

planen in den Amtsstuben,<br />

wenig lustig geht es dazu, je wichtiger<br />

man sich nimmt, desto schwerer<br />

wird man, desto weniger leicht<br />

ist das <strong>Lachen</strong> geworden. <strong>Das</strong> spürt<br />

man in den Intendantenstuben und<br />

auf <strong>Bühne</strong>ntagungen. Gewichtigkeit<br />

und <strong>Lachen</strong> schließen sich scheinbar<br />

aus. Betrachtet man die Photographien<br />

konferierender Theaterleute, so<br />

scheint es einem, als sei das <strong>Lachen</strong><br />

zur Pose verkommen. Anders war das<br />

im Wohnwagen. Zirkusleute haben in<br />

der größten Not immer ein paar Notrationen<br />

dabei: gute Butter, echten<br />

Bohnenkaffee und eine gehörige Portion<br />

offenes <strong>Lachen</strong>.<br />

Bürgerliches Lachtheater<br />

Volker Klotz 3 ist es zu verdanken, dass<br />

der Begriff des Lachtheaters Gegenstand<br />

theaterwissenschaftlicher Auseinandersetzung<br />

geworden ist. Vor<br />

allem hat er den Begriff geöffnet: Nein,<br />

nicht nur die Komödie gilt als heitere<br />

Dramatik, auch die Posse und der<br />

Schwank, vor allem aber die Operette<br />

erhält eine Ehrenrettung. Was sie ästhetisch<br />

eint? <strong>Das</strong> <strong>Lachen</strong> im Theater<br />

entsteht, wenn gewohnte Abläufe und<br />

menschliche Verhaltensweisen eine<br />

Entstellung erfahren – wo könnte das<br />

besser gelingen als im Theater, da es<br />

doch Wirklichkeit nachahmt durch<br />

Dar- und Entstellung, durch eine „fröhliche<br />

Verfremdung“, einen „clownesken<br />

V-Effekt“.<br />

<strong>Lachen</strong>, ausgelöst durch komische Entstellung,<br />

ist eine gesellschaftliche Regung.<br />

Wer allein lacht – sei es in einem<br />

Raum für sich, sei es unter anderen, die<br />

nicht mitlachen –, fühlt sich alsbald<br />

unbehaglich…Theater als öffentliche<br />

Veranstaltung vor großem Publikum<br />

fördert daher die Neigung zum <strong>Lachen</strong>…<br />

<strong>Lachen</strong> können die Zuschauer nur, wenn<br />

das, was die <strong>Bühne</strong> sichtbar und hörbar<br />

macht, ihre persönlichen und öffentlichen<br />

Alltagserfahrungen aufrührt. 4<br />

<strong>Das</strong> <strong>Lachen</strong> im Theater hat eine soziale<br />

Botschaft: Du bist nicht allein. Szenische<br />

Prozesse aber so zu gestalten, dass<br />

befreiendes <strong>Lachen</strong> beruhigend und<br />

beunruhigend wirkt, also rebellisch<br />

macht, ist eine hohe Kunst. Nur<br />

wenige beherrschen sie wirklich.<br />

Anmerkungen<br />

1 Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation.<br />

Band 1 und 2 Frankfurt 1992<br />

2 Constantin von Barloewen: Clown – Zur Phänomenologie<br />

des Stolperns. Königstein 1981<br />

3 Volker Klotz: Bürgerliches Lachtheater.<br />

Heidelberg 2007<br />

4 Klotz, S. 16 f.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 10 I 2007

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