SKIPPER – 100 Jahre Sprechfunk - Dietrich Hub
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2 Historie<br />
Funkstation eines<br />
Frachtschiffes<br />
von 1950.<br />
Der Morse-Taster<br />
blieb noch<br />
lange das wichtigste<br />
„Handwerkszeug“<br />
des<br />
Funkoffiziers.<br />
Erst mit der<br />
Einführung des<br />
„Global maritime<br />
distress and<br />
safety system“<br />
im Jahr 1999<br />
wurde imSeefunk<br />
die Funktelegrafie<br />
offiziell<br />
abgeschafft<br />
<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> „<strong>Sprechfunk</strong>“<br />
dung der Pionier der Rundfunkübertragung<br />
<strong>–</strong> wobei es 1906 allerdings<br />
noch keine Rundfunkgeräte, sondern<br />
nur einige wenige Küstenfunkstellen<br />
sowie mobile Funkanlagen auf Schiffen<br />
gab.Erst wenige <strong>Jahre</strong> vorher war<br />
die Funkübertragung soweit entwickelt<br />
worden, dass sie erfolgreich<br />
auf Schiffeneingesetztwerden konnte.<br />
1891 hatte Heinrich Hertz die Ausbreitung<br />
elektromagnetischer Wellen<br />
nachgewiesen.DerItaliener Guglielmo<br />
Marconi <strong>–</strong>ergilt als der eigentliche Erfinder<br />
der Funkübertragung <strong>–</strong> übertrug<br />
1903 zum erstenMal Nachrichten<br />
im Morsecode. Bald erkannten viele,<br />
welche Möglichkeiten die Kommunikation<br />
über Funk bietet. Die Telegrafie<br />
über Kabel war schon seit 1837 eingeführt,<br />
aber Verbindungen nach Überseeoder<br />
zu Schiffen warendamit nicht<br />
Weihnachtslieder<br />
stattMorsezeichen<br />
Vor <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n, am 24. Dezember 1906, hörten die Funker auf einigen Schiffen inder Nähe der amerikanischen<br />
Ostküste sehr Ungewöhnliches aus ihrem Empfänger: Anstatt den bekannten Morsezeichen<br />
ertönte -wenn auch mit vielen Störgeräuschen -„Oholynight“. Im Anschluss wurde die Weihnachtsgeschichte<br />
aus der Bibel vorgelesen. Eine Sensation, denn bis dahin -und auch noch viele <strong>Jahre</strong><br />
später -konnten Funkwellen nur zur Übertragung für Morsezeichen verwendet werden.<br />
R<br />
eginald Aubrey Fessenden, kanadischer<br />
Professorfür Elektrotechnik,<br />
hatte an Weihnachten<br />
1906 seine Familie und Freunde in der<br />
Funkstation Brand Rock bei Boston in<br />
Massachusetts versammelt und von<br />
dort aus die erste Liveübertragung<br />
über Funk gesendet.Erselbst las dafür<br />
die Weihnachtsgeschichte vor und<br />
spielte „Oh heilige Nacht“ auf der Violine.<br />
Seine Frau und ein Freund der Familie<br />
sangen Weihnachtslieder. Anschließend<br />
hielt Fessenden noch eine<br />
kurze Ansprache für die Männer auf<br />
See. Die Funker, die nur das Piepsen<br />
von Morsezeichen aus dem Funkempfänger<br />
gewöhnt waren, trauten ihren<br />
Ohren kaum.Sie lauschten der ersten<br />
Radio-Livesendung.Fessenden strahlte<br />
seine „Weihnachtssendung“ auf <strong>100</strong><br />
Kilohertz (KHz) aus,also auf Langwelle.<br />
Eine einheitliche Verwendung der<br />
verschiedenen Frequenzbereiche für<br />
diejeweiligen Funkübertragung gabes<br />
damals noch nicht. Auch war noch<br />
nicht bekannt, dass Kurzwelle von 3<br />
Megahertz (MHz) bis 30MHz für den<br />
Seefunk über große Entfernungen der<br />
geeignetste Frequenzbereich ist. ReginaldFessenden<br />
wurde mitseiner Erfin-<br />
möglich. Viele Regierungen sahen in<br />
der Kommunikation über elektromagnetische<br />
Wellen eine geniale Möglichkeit,<br />
ihren Einfluss in den Kolonien<br />
auszubauen. Der Seefunk bestand in<br />
den Anfangszeiten vor allem darin,Telegramme<br />
wohlhabender Passagiere<br />
zu einer Küstenfunkstelle zusenden,<br />
diediese dannüber Kabel an diejeweiligen<br />
Empfänger weitergaben. Erst<br />
nach dem Untergang der Titanic 1912<br />
und dem gescheiterten Versuch, über<br />
Funk Schiffeinder Umgebungzuerreichen,wurde<br />
weltweit eineinheitliches<br />
Verfahren für Notsituationen auf dem<br />
Skipper 12/2006
Historie<br />
3<br />
Meer vereinbart. Bei der Kollision der<br />
Titanic mit einem Eisberg war ein anderes<br />
Schiff in Sichtweite gewesen. Es<br />
empfing die Notsignale des britischen<br />
Luxusliners jedoch nicht,weil dessen<br />
Funker bereits Feierabend hatte. So<br />
verschwand dieses Schiff vor den Augender<br />
todgeweihten Titanic-Passagiere<br />
in der Dunkelheit.Schiffeinder weiteren<br />
Entfernung hörten zwar die Notrufe,doch<br />
aufgrund der größeren Entfernung<br />
traf erst vier Stunden nach<br />
dem Sinken derTitanicdas erste dieser<br />
Schiffe amUnglücksort ein.<br />
Viele<strong>Jahre</strong>nochbliebderTelegrafiefunk,<br />
dass heißt die Übertragung für<br />
Morsezeichen, die wichtigste Kommunikationsform<br />
auf See. Es dauerte<br />
lange, bis Fessendens Erfindung, also<br />
die Übertragungsmöglichkeit von<br />
Sprache, umgesetzt wurde. Imersten<br />
SOLAS-Vertrag (International Convention<br />
for the Safety ofLife atSea) von<br />
1914 wurde vereinbart, dass alle Schiffe<br />
mit Funkanlagen auf der Frequenz<br />
500 kHz eine „Hörwache“ haben müssen.<br />
Auf dieser Mittelwellenfrequenz<br />
wurde der Telegrafienotverkehr abgewickelt.<br />
<strong>Sprechfunk</strong> über Kurzwelle<br />
wurde erst ab 1930 üblich.AlsWellenlänge<br />
für den <strong>Sprechfunk</strong>-Notverkehr<br />
wurde die Frequenz 2182 kHz auf<br />
„Grenzwelle“festgelegt.Ab1938 konnten<br />
über die Küstenfunkstelle NorddeichRadioSeefunkgespräche<br />
geführt<br />
werden,d.h.<strong>Sprechfunk</strong>gesendet werden,<br />
der ins öffentliche Telefonnetz<br />
weitergeleitet wurden. Mitte der 50er-<br />
<strong>Jahre</strong> wurde für den <strong>Sprechfunk</strong> auch<br />
Fotos: Skipper/<strong>Dietrich</strong> <strong>Hub</strong><br />
der Frequenzbereich von 152 bis 172<br />
MHz verwendet, die sogenannten Ultrakurzwellen.<br />
Auf diesen hohen Frequenzen<br />
war eine sehr gute Sprachqualitätmöglich.Diese<br />
Frequenzen folgen<br />
nicht der Erdkrümmung, da ihre<br />
Reichweite begrenzt ist. Dadurch<br />
konnten jedoch sehr viele Schiffe auf<br />
derselben Frequenz funken, ohne sich<br />
gegenseitig zu stören.<br />
Der Langwellenfunk, auf dem Fessenden<br />
1906 dieWeihnachtsgeschichte<br />
übertragen hatte, wurde später im<br />
Seefunk kaum nochverwendet.Nur in<br />
einem Verwendungszweck war dieser<br />
Frequenzbereich nach wie vor wichtig:Langwellensindals<br />
einzigeelektromagnetischeWelleninder<br />
Lage,inWasser<br />
bis zu einer gewissen Tiefe einzudringen.<br />
U-Boote unter Wasser können<br />
also mittels Langwelle per Funk erreicht<br />
werden, wobei Wellen mit extrem<br />
niedriger Frequenz zum Einsatz<br />
kommen (unter 30KHz).<br />
Bei Rettungseinsätzen auf See speieln die Küstenfunkstellen<br />
(hier das „Maritim rescue coordination centre“ Thorshavn auf<br />
den Faroer-Inseln) nach wie vor eine entscheidende Rolle<br />
Der <strong>Sprechfunk</strong> über UKW ist auch inder Berufsschifffahrt (hier die Brücke der HUCKLEBER-<br />
RY FINN der TT-Line) die wichtigste Kommunikationsform im Funkverkehr geworden<br />
Fessenden hatte für seine erste<br />
<strong>Sprechfunk</strong>aussendungam24. Dezember<br />
den richtigen Zeitpunkt gewählt,<br />
denn an keinem anderen Tag ist die<br />
Einsamkeit der Seeleute auf den Weltmeeren<br />
so groß wie am Heiligen<br />
Abend.Weihnachten blieb imSeefunk<br />
immer eine sehr betriebsame Zeit,<br />
denn viele Seeleute wollten an diesen<br />
Tagen mit ihren Familien an Land in<br />
Kontakt treten. Zu keiner anderen Zeit<br />
im Jahr übermittelten die Küstenfunkstellen<br />
so viele Seefunktelegramme<br />
wie an Weihnachten. In Norddeich Radio<br />
gab es für die Funker über die<br />
Weihnachtsfeiertage regelmäßig Urlaubssperre<br />
<strong>–</strong>sogroß war das Aufkommen<br />
an Seefunkgesprächen und Telegrammen<br />
andiesenTagen. Mit der Einführung<br />
der Satellitenkommunikation<br />
ab 1999 gehört auch dies der Vergangenheit<br />
an.<br />
<strong>Dietrich</strong> <strong>Hub</strong><br />
12/2006 Skipper