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Arbeitsunterlagen zum Sommerlehrgang 2009 - Deutsche ...

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<strong>Arbeitsunterlagen</strong><br />

<strong>zum</strong> <strong>Sommerlehrgang</strong> <strong>2009</strong><br />

28. August <strong>2009</strong> bis 06. September <strong>2009</strong><br />

Santa Margherita di Pula (Sardinien)<br />

Hotel Flamingo<br />

„Aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und ihre<br />

Bedeutung für die Praxis der Strafverteidigung"<br />

Referenten:<br />

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D. Dr. Gerhard Schäfer, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt<br />

Skriptgestaltung: Melanie Kilinc<br />

Übersicht:<br />

Vorwort ............................................................................................................................................2<br />

Materielles Strafrecht StGB............................................................................................................3<br />

Materielles Nebenstrafrecht........................................................................................................198<br />

Verfahrensrecht...........................................................................................................................259<br />

Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................436<br />

1


Vorwort<br />

Dieses Skript lag in einer „ersten Auflage“ den Teilnehmern des <strong>Sommerlehrgang</strong>s <strong>2009</strong> vor und<br />

war Grundlage der einwöchigen Vorträge der Referenten und Diskussionen der Teilnehmer.<br />

Die hiermit der Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellte überarbeitete Fassung erhebt nicht den<br />

Anspruch, eine vollständige Dokumentation der im „Berichtszeitraum“ seit dem <strong>Sommerlehrgang</strong><br />

2008 entstandenen wichtigen BGH-Entscheidungen zu veröffentlichen. Andererseits konnten<br />

auch nicht alle in diesem Skript enthaltenen Judikate im Lehrgang behandelt werden. Der<br />

DStV hat aus der positiven Ressonanz der sowohl über www.deutsche–strafverteidiger.de als<br />

auch über www.hammpartner.de veröffentlichten Lehrgangsunterlagen der jetzt schon seit 20<br />

Jahren mit denselben Referenten veranstalteten Treffen eines zu einem großen Teil festen, aber<br />

auch wechselnden Teilnehmerkreises erkannt, dass ein verbreitetes Interesse an den Skripten und<br />

an einer Fortsetzung der Lehrgangsreihe besteht.<br />

Wir danken den Referenten für die Präsentation und kritische Würdigung der jeweils aktuellen<br />

Tendenzen, und wollen den Teilnehmern künftiger Sommerlehrgänge, auch soweit sie bisher<br />

nicht dabei waren, den Anschluss der Themen, die im jeweiligen Folgejahr behandelt werden, an<br />

die jeweils vorausgegengenen Skriptinhalte erleichtern. Wir danken auch Frau Melanie Kilinc für<br />

die Vorbereitung anlässlich ihrer laufenden Arbeit an dem Rechtsprechungsservice unter<br />

http://www.hammpartner.de/de/rechtsprechung/ und für die Gestaltung der Skripte. Sie ist auch<br />

unter der Adresse melanie.kilinc@hammpartner.de Ansprechpartnerin für Anregungen und Korrekturvorschläge.<br />

7. September <strong>2009</strong> Dr. Regina Michalke für den Vorstand des DStV<br />

2


Materielles Strafrecht StGB<br />

StGB § 009 II, § 263 Tatort Deutschland auch bei Betrug im Ausland, wenn hier der Anfang lag<br />

BGH, Beschl. v. 20.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 705/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 161<br />

Der gemeinschaftliche Angriff auf das geschützte Rechtsgut i.S.d. § 9 StGB geht von jedem Ort aus,<br />

an dem ein Mittäter seinen Tatbeitrag leistete. Dies gilt auch dann, wenn sich das Handeln des einen<br />

Mittäters auf Tatbeiträge beschränkt, die für sich gesehen nur Vorbereitungshandlungen sind.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 13. Juni 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Auch hinsichtlich der rechtsfehlerfrei festgestellten Betrugstaten in den Fällen 3, 5 und 6 des Urteils ist ein Tatort im<br />

Sinne von § 9 StGB in Deutschland gegeben, so dass auch insoweit das deutsche Strafrecht Anwendung findet (§ 3<br />

StGB).<br />

Zwar sind in diesen Fällen die Fahrzeuge nicht in Deutschland, sondern in Italien oder Spanien in betrügerischer<br />

Absicht an gutgläubige Käufer veräußert worden. Diese Verkäufe wurden indes nach dem gemeinsamen Tatplan des<br />

Angeklagten und des Mitangeklagten R. dadurch vorbereitet, dass der Mitangeklagte die Fahrzeuge unter Vorlage<br />

gefälschter Papiere in Deutschland zuließ, was nach der Vorstellung des Angeklagten für den späteren Verkauf ein<br />

wesentlicher Gesichtspunkt für die Höhe des Kaufpreises war.<br />

Diesen für die Verwirklichung der Betrugstaten geleisteten Tatbeitrag des insoweit mittäterschaftlich handelnden<br />

Mitangeklagten muss sich der Angeklagte zurechnen lassen. Der gemeinschaftliche Angriff auf das geschützte<br />

Rechtsgut im Sinne des § 9 StGB ging daher von jedem Ort aus, an dem ein Mittäter seinen Tatbeitrag leistete. Dies<br />

gilt auch dann, wenn sich das Handeln des einen Mittäters auf Tatbeiträge beschränkt, die für sich gesehen nur Vorbereitungshandlungen<br />

sind (BGHSt 39, 88, 91).<br />

Die Entscheidung 4 StR 402/00 - nicht 01 - bezieht sich nicht auf diese Fallgestaltung.<br />

StGB § 011 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c; §§ 331 - 334 „Bahnbeamte“ ?<br />

BGH, Urt. v. 19.06.2008 – 3 StR 490/07 - BGHSt 52, 290; NJW 2008, 3724; NStZ 2008, 560; StV <strong>2009</strong>, 71; BGHR<br />

StGB § 11 I Nr. 2 Amtsträger 15<br />

LS: Zur Amtsträgereigenschaft eines selbständigen Ingenieurs, der aufgrund eines Dienstvertrages<br />

langfristig bei einer 100-prozentigen Tochter der <strong>Deutsche</strong> Bahn AG im Konzernbereich Fahrweg<br />

(jetzt: DB Netz AG) beim Um- oder Ausbau des Streckennetzes tätig ist (Fortführung von BGHSt<br />

49, 214).<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 23. April 2007 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit es die Angeklagten P. und D. betrifft.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die insoweit entstandenen<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten<br />

R. fallen der Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

3


Mit der Anklageschrift ist den Angeklagten P. und D. der Vorwurf der Bestechlichkeit bzw. Bestechung in drei<br />

Fällen, bei dem Angeklagten D. in einem Fall in Tateinheit stehend mit Anstiftung zur Untreue und <strong>zum</strong> Betrug,<br />

sowie allen drei Angeklagten der Vorwurf des Betruges, bei dem Angeklagten P. in Tateinheit stehend mit Untreue,<br />

gemacht worden. Das Landgericht hat den Sachverhalt im Eröffnungsbeschluss abweichend gewertet und die<br />

Anklage im Fall 1 der Anklageschrift (B. VIII. der Urteilsgründe) wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen<br />

Verkehr durch die Angeklagten D. und P. und in den Fällen 24 der Anklageschrift (B. IX. der<br />

Urteilsgründe) wegen einer prozessualen Tat des Betruges durch alle drei Angeklagten, hinsichtlich des Angeklagten<br />

P. darüber hinaus wegen einer tateinheitlich hierzu begangenen Untreue zugelassen. Durch das angefochtene<br />

Urteil hat es die Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen wendet sich die<br />

Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel<br />

hat bezüglich der Angeklagten P. und D. Erfolg, hinsichtlich des Angeklagten R. ist es unbegründet.<br />

I. Die Revision dringt mit der Sachrüge durch, soweit das Landgericht eine Strafbarkeit der Angeklagten P. und D.<br />

nach den §§ 331 ff. StGB mit der Begründung abgelehnt hat, der Angeklagte P. sei zur Tatzeit kein Amtsträger<br />

im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB gewesen.<br />

1. Die Strafkammer hat insoweit folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte P. , ein ehemaliger, auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis ausgeschiedener Bundesbahnbeamter,<br />

war ab Februar 1996 als selbständiger Ingenieur bei der Planungsgesellschaft Bahnbau <strong>Deutsche</strong> Einheit<br />

GmbH (im Folgenden: PBDE), einer 100prozentigen Tochter der <strong>Deutsche</strong>n Bahn AG (im Folgenden: DB AG)<br />

beschäftigt. Unternehmensgegenstand der innerhalb der DB AG dem Bereich Fahrweg zugeordneten Gesellschaft<br />

war die Vorbereitung und Steuerung von Planung, Bauvorbereitung, Baudurchführung und Bauüberwachung insbesondere<br />

der Schienenverkehrsprojekte "<strong>Deutsche</strong> Einheit" einschließlich der Vergabe, der Koordinierung und der<br />

Abwicklung aller Arbeiten auf der Grundlage von zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DB AG geschlossenen<br />

Finanzierungsvereinbarungen. Mit Wirkung <strong>zum</strong> 1. Juli 1999 wurde die PBDE aus dem Vermögen der<br />

DB AG ausgegliedert und mit sämtlichen bestehenden Vertragsverhältnissen in das Vermögen der DB Netz AG<br />

überführt.<br />

Dem Angeklagten P. war durch den "im Namen und für Rechnung der <strong>Deutsche</strong>n Bahn AG" geschlossenen Ingenieurvertrag<br />

mit der PBDE eine zuvor vakante Stelle übertragen worden. Er erbrachte zunächst Leistungen im<br />

Bereich Streckenplanung/Baulenkung/Abrechnung beim Bau der Schnellbahnstrecke HannoverBerlin im Planungsabschnitt<br />

01 und war u. a. für die Vorbereitung von Vergaben zuständig. Nach einer internen Bekanntmachung hatte<br />

er alle Befugnisse wie ein interner Mitarbeiter und arbeitete unter der Stellenbezeichnung "S 142". Anfang Juli 1999<br />

wurde der Vertrag rückwirkend <strong>zum</strong> 1. Mai 1999 auf die Nachtragsbearbeitung auch im Planungsabschnitt 02 der<br />

Strecke erweitert.<br />

Der Angeklagte D. war Geschäftsführer der GP Baugesellschaft mbH & Co. KG (später GP Baugesellschaft<br />

mbH, im Folgenden: GP), die unter seiner Leitung ihr Umsatzvolumen im Bereich Erd- und Tiefbauarbeiten<br />

wesentlich steigerte und Aufträge öffentlicher und privater Auftraggeber abwickelte, darunter mehrere Projekte<br />

für die DB AG.<br />

Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Erweiterung eines Auftrags zur Durchführung von Erdarbeiten<br />

im Planungsabschnitt 01 um 13,5 Mio. DM, für die die PBDE der GP als Mitglied einer aus mehreren Unternehmen<br />

bestehenden Arbeitsgemeinschaft (ARGE) den Zuschlag erteilt hatte, erhielt der Angeklagte P. von der GP einen<br />

Scheck über 130.000 DM mit einem unzutreffenden Verwendungszweck. Einige Monate später erstellte er über<br />

diesen Betrag eine rückdatierte Scheinrechnung an die GP. Im Planungsabschnitt 02, in dem die GP als Mitglied<br />

einer anderen ARGE ebenfalls mit Erdarbeiten betraut war, meldete sie mehrere Nachträge an, unter anderem wegen<br />

Baubehinderung durch Sperrung einer Ortsdurchfahrt in Höhe von über 3 Mio. DM. Nachdem der Nachtrag mehrfach<br />

- auf Seiten der PBDE koordiniert durch den Angeklagten P. - verhandelt und die Forderung auf ca. 1,9 Mio.<br />

DM reduziert worden war, verfasste der Angeklagte P. einen befürwortenden Vergabevermerk und stellte an dem<br />

Tag, an dem auch alle anderen Verantwortlichen bei der PBDE diesen unterzeichnet hatten, der GP eine Rechnung<br />

über 90.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer, die er mit einem unzutreffenden Rechnungstext versah. Die GP überwies<br />

etwa einen Monat später an den Angeklagten P. 90.000 DM; am selben Tag stellte sie der PBDE die abgesprochene<br />

Rechnung für den Nachtrag über ca. 1,9 Mio. DM.<br />

2. Die Auffassung des Landgerichts, auf Grundlage dieser Feststellungen komme eine Verurteilung der Angeklagten<br />

P. und D. wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung (§§ 332, 334 StGB) nicht in Betracht, weil es sich bei dem<br />

Angeklagten P. nicht um einen Amtsträger gehandelt habe, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der<br />

Angeklagte P. war Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB, denn er war bei der PBDE als<br />

einer sonstigen Stelle im Sinne der Vorschrift zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bestellt.<br />

4


a) Bei den von der PBDE ausgeschriebenen und unter ihrer Leitung durchgeführten Gleisbaumaßnahmen handelte es<br />

sich um Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Der Ausbau und die Erhaltung des Schienennetzes gehören zu den<br />

Aufgaben der Leistungsverwaltung einschließlich der Daseinsvorsorge, die nach ständiger Rechtsprechung zu den<br />

Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB gezählt werden (BGHSt 31,<br />

264, 268; 38, 199, 201 f.; 43, 370, 375; 49, 214, 220 ff.). Trotz der (teilweisen) Privatisierung der deutschen Eisenbahnen<br />

stellt das Eisenbahnwesen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 49, 214, 221 ff.) und<br />

der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur (Rudolphi/Stein in SK-StGB § 11 Rdn. 27; Radtke in Münch-<br />

Komm-StGB § 11 Rdn. 41; Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht S. 637 f.; Hommelhoff/Schmidt-Aßmann<br />

ZHR 160 [1996] 521, 537; jew. m. w. N.; aA Cantzler, Strafrechtliche Auswirkungen der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben<br />

S. 14 f., 114) eine öffentliche Aufgabe dar. Dies gilt insbesondere für die von der PBDE nach ihrem<br />

Unternehmensgegenstand entfalteten Tätigkeiten der Planung, Bauvorbereitung, Baudurchführung und Bauüberwachung<br />

von Schienenverkehrsprojekten. Nach der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung in Art. 87e Abs. 4 GG<br />

gewährleistet der Bund beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes die Berücksichtigung des Allgemeinwohls.<br />

Gesellschaften, die den Bau, das Unterhalten und das Betreiben von Schienenwegen <strong>zum</strong> Geschäftszweck haben,<br />

verbleiben dauerhaft <strong>zum</strong>indest mehrheitlich im Eigentum des Bundes (Art. 87e Abs. 3 Satz 2, 3 GG). Durch diese<br />

Regelungen, die erst im Gesetzgebungsverfahren Aufnahme in den Gesetzentwurf fanden, sollte ein Ausgleich zu<br />

der Forderung der Länder, das Schienennetz im unmittelbaren Bundeseigentum zu belassen, geschaffen und die<br />

politische Verantwortung des Bundes für die Infrastruktur sichergestellt werden (BTDrucks. 12/6280 S. 8). Sie zeigen,<br />

dass ein vollständiger Rückzug des Bundes aus dem Eisenbahnwesen trotz der Überführung des Eisenbahnvermögens<br />

in Wirtschaftsunternehmen nicht gewollt war und insbesondere die hier in Rede stehenden Neubaumaßnahmen<br />

von Schienenwegen als Teil des Ausbaus der Infrastruktur vorrangig dem Allgemeinwohl dienen und damit eine<br />

öffentliche Aufgabe darstellen.<br />

b) Bei der PBDE handelte es sich um eine sonstige Stelle im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB.<br />

Unter einer sonstigen Stelle versteht man eine behördenähnliche Institution, die unabhängig von ihrer Organisationsform<br />

befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, ohne dabei eine Behörde im verwaltungsrechtlichen<br />

Sinne zu sein. Ist eine Einrichtung der Öffentlichen Hand in der Form einer juristischen Person des Privatrechts organisiert,<br />

müssen bei ihr Merkmale vorliegen, die eine Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen; sie muss nach<br />

ständiger Rechtsprechung bei einer Gesamtbetrachtung "als verlängerter Arm des Staates erscheinen" (BGHSt 43,<br />

370, 377; 45, 16, 19; 46, 310, 312 f.; 49, 214, 219; 50, 299, 303; BGH NStZ 2006, 628, 630). In die Gesamtbetrachtung<br />

sind alle wesentlichen Merkmale der Gesellschaft einzubeziehen, namentlich, ob diese gewerblich tätig ist und<br />

mit anderen im Wettbewerb steht (BGHSt 38, 199, 204), ob im Gesellschaftsvertrag eine öffentliche Zwecksetzung<br />

festgeschrieben ist (BGHSt 43, 370, 372 f.), ob sie im Eigentum der Öffentlichen Hand steht und ihre Tätigkeit aus<br />

öffentlichen Mitteln finanziert wird (BGHSt 45, 16, 20) sowie in welchem Umfang staatliche Steuerungs- und<br />

Einflussnahmemöglichkeiten bestehen (BGHSt 43, 370, 378 f.; 45, 16, 20 f.; 49, 214, 224 f.).<br />

Bei einer Gesamtbetrachtung aller die PBDE prägenden Merkmale ergibt sich, dass sie als "verlängerter Arm des<br />

Staates" zu werten, damit einer Behörde gleichzustellen ist und deshalb eine sonstige Stelle im Sinne von § 11 Abs.<br />

1 Nr. 2 Buchst. c StGB darstellt:<br />

Die Gesellschaft stand im Tatzeitraum im alleinigen (mittelbaren) Bundeseigentum, weil die Bundesrepublik sämtliche<br />

Anteile an der DB AG hielt, die zunächst unmittelbar und ab Juli 1999 mittelbar über die DB Netz AG zu 100 %<br />

Muttergesellschaft der PBDE war. Dementsprechend verfügte der Bund über Aufsichtsbefugnisse sowohl gegenüber<br />

der DB AG als auch unmittelbar im Aufsichtsrat der PBDE.<br />

Zwar ist die alleinige Inhaberschaft sowie eine Rahmen- und Globalsteuerung der Gesellschaft durch den Staat für<br />

die Annahme einer "sonstigen Stelle" noch nicht ausreichend (BGHSt 43, 370, 378; 45, 16, 20; 49, 214, 226). Jedoch<br />

ergibt die gebotene Gesamtschau der folgenden besonderen Umstände, dass die PBDE einer Behörde gleichsteht:<br />

aa) Die finanziellen Mittel zur Durchführung der Schienenverkehrsprojekte wurden nach den Feststellungen des<br />

angefochtenen Urteils der PBDE über die DB AG aufgrund der zwischen dieser und der Bundesrepublik Deutschland<br />

abgeschlossenen Rahmen- und Einzelfinanzierungsvereinbarungen in Form von zinslosen Darlehen oder nicht<br />

rückzahlbaren Baukostenzuschüssen vollständig durch den Bund zur Verfügung gestellt.<br />

bb) Die PBDE wurde nicht gewerblich tätig und stand zu anderen Unternehmen nicht im Wettbewerb. Sie erwirtschaftete<br />

- anders als dies ein privatwirtschaftliches Konkurrenzunternehmen hätte tun müssen - mit ihrer Planungsund<br />

Koordinierungstätigkeit keine Erträge, sondern setzte die ihr zur Verfügung gestellten Mittel zur Realisierung<br />

der Schienenprojekte und damit zur Erfüllung der dem Bund gemäß Art. 87e GG obliegenden und von diesem finanzierten<br />

Gemeinwohlaufgabe ein. Auf dem Gebiet des Ausbaus der Schieneninfrastruktur bestand - und besteht bis<br />

heute - kein Wettbewerb, weil es an konkurrierenden Auftraggebern fehlt. Aus diesem Grund wird die im Zuge der<br />

5


Umsetzung der zweiten Stufe der Bahnreform gegründete DB Netz AG vergaberechtlich als öffentlicher Auftraggeber<br />

im Sinne des § 98 Satz 1 Nr. 2 GWB angesehen, weil ihr Unternehmensbereich der klassischen Daseinsvorsorge<br />

der öffentlichen Hand zuzuordnen ist und sie nicht gewerblich tätig wird (Vergabekammer des Bundes, VergabeR<br />

2004, 365, 367; Battis/Kersten, WuW 2005, 493, 497 ff.). Die für die Muttergesellschaft der PBDE maßgeblichen<br />

Grundsätze gelten für die PBDE entsprechend.<br />

cc) Aus dem Gesellschaftsvertrag der PBDE ergibt sich zudem eine öffentliche Zwecksetzung, weil darin die Umsetzung<br />

der vom Bund zu gewährleistenden und zu finanzierenden Schienenverkehrsprojekte als (alleiniger) Unternehmensgegenstand<br />

festgeschrieben ist. Soweit darüber hinaus als Unternehmensgegenstand die Realisierung der Projekte<br />

"<strong>Deutsche</strong> Einheit" genannt werden, dienten diese in besonderem Maße der Erfüllung des Gemeinwohlauftrages<br />

des Bundes: Die Forderung nach einer technischen und organisatorischen Angleichung der beiden <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bahnen nach der Wiedervereinigung (<strong>Deutsche</strong> Bundesbahn und <strong>Deutsche</strong> Reichsbahn) geht auf Art. 26 Abs. 3 des<br />

Einigungsvertrages zurück. Dementsprechend ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes<br />

(BSWAG) der Ausbaustand der Schienenwege in den neuen Bundesländern an den in den alten Bundesländern anzupassen.<br />

Der Bedarfsplan gemäß § 1 Abs. 1 BSWAG in der zur Tatzeit gültigen Fassung vom 15. November 1993<br />

(BGBl 1993 I S. 1875 f.) wies das von der PBDE ausgeführte Projekt der Ausbau- / Neubaustrecke Hannover-Berlin<br />

als vordringlichen Bedarf aus.<br />

dd) Aus der engen Verzahnung von öffentlicher Aufgabe, öffentlicher Finanzierung und öffentlichem Gesellschaftszweck<br />

ergeben sich im Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorgaben des BSWAG umfangreiche Einflussmöglichkeiten<br />

und Steuerungsmechanismen des Staates gegenüber der PBDE: Welche Strecken neu bzw. ausgebaut werden,<br />

legt der Bund durch den Bedarfsplan <strong>zum</strong> BSWAG fest. Eine Konkretisierung dieses Bedarfsplanes erfolgt durch<br />

vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufgestellte Fünfjahrespläne, die die Grundlage der<br />

Aufstellung von Ausbauplänen für die Bundesschienenwege bilden (§ 5 Abs. 1 BSWAG). Nicht darin aufgeführte<br />

Strecken können gemäß § 6 BSWAG nur in Ausnahmefällen aufgrund eines unvorhergesehenen Verkehrsbedarfs in<br />

die Ausbaupläne aufgenommen werden. Der Bedarfsplan ist alle fünf Jahre nach einer Prüfung durch das Bundesministerium<br />

für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gegebenenfalls anzupassen, wobei die Aufstellung und Anpassung<br />

des Bedarfsplanes durch Gesetz vorgenommen werden (§ 4 Abs. 1 BSWAG).<br />

Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 BSWAG finanziert der Bund den Bau, den Ausbau sowie Ersatzinvestitionen, die DB AG<br />

trägt gemäß § 8 Abs. 4 BSWAG lediglich die Kosten der Unterhaltung und Instandhaltung ihrer Schienenwege. Die<br />

Durchführung und die Finanzierung der in den Bedarfsplan aufgenommenen Baumaßnahmen geschieht gemäß § 9<br />

BSWAG auf der Grundlage von öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen der DB AG und der den Neu- oder Ausbau<br />

finanzierenden Gebietskörperschaft, d. h. in aller Regel dem Bund, in denen konkrete Vorgaben für die Verwendung<br />

der Gelder gemacht werden (BGHSt 49, 214, 224). Durch die grundsätzliche Befugnis zur Festlegung der von<br />

der PBDE durchzuführenden Baumaßnahmen war eine weitere Einflussnahme des Staates damit auch über die Mittelvergabe<br />

gegeben, ohne die der PBDE kein Kapital zur Durchführung ihrer Geschäftstätigkeit verblieb.<br />

Auch der Gesellschaftsvertrag der PBDE sah Einflussmöglichkeiten des Bundes vor. In den aus mindestens fünf<br />

Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat konnten sowohl das Bundesministerium für Verkehr als auch das Bundesministerium<br />

für Finanzen jeweils ein Aufsichtsratsmitglied entsenden. Nach § 14 Abs. 2 bzw. § 15 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages<br />

oblag es dem Aufsichtsrat, "den von der Geschäftsführung aufgestellten Wirtschaftsplan (…) und<br />

einen davon abhängigen Plan, der die vom Eisenbahn-Bundesamt der DB AG zugewiesenen Haushaltsmittel des<br />

Bundes sowie deren Verwendung für das kommende Geschäftsjahr ausweist", zu beschließen. Im Aufsichtsrat konnten<br />

"Maßnahmen von grundsätzlicher und finanzieller Bedeutung" nicht gegen die Stimmen des Bundes beschlossen<br />

werden (§ 7 Abs. 3 bzw. § 8 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages). Zu den Einflussmöglichkeiten aufgrund der Regelungen<br />

des BSWAG und der Steuerung über die Mittelvergabe bestand damit <strong>zum</strong>indest eine Sperrminorität des<br />

Bundes im Aufsichtsrat der PBDE, durch die er die Einhaltung seiner Vorgaben kontrollieren konnte.<br />

ee) Nach alledem ist es ohne Bedeutung, dass die beiden Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat in der Minderheit<br />

waren und deshalb - wie das Landgericht ausführt - keine Wünsche und Vorstellungen gegen den Willen der Geschäftsführung<br />

durchsetzen konnten. Die aufgezeigten Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten bereits weit im Vorfeld<br />

einer etwaigen Entscheidung des Aufsichtsrats belegen für den Geschäftsbereich der PBDE eine hinreichend konkrete<br />

staatliche Steuerung, die im Zusammenhang mit der ausschließlich staatlichen Mittelherkunft, der fehlenden Wettbewerbssituation<br />

und der im Vordergrund stehenden öffentlichen Aufgabe der Gewährleistung der Schieneninfrastruktur<br />

die Einordnung der PBDE als sonstige Stelle im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB tragen. Schon<br />

diese Umstände unterscheiden den hier zu beurteilenden Sachverhalt wesentlich von dem vom Landgericht zur Stützung<br />

seiner Rechtsansicht herangezogenen Fall, dass sich ein Privater mit einer Sperrminorität an einer Gesellschaft<br />

beteiligt, die auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge tätig wird und mehrheitlich im staatlichen oder kommunalen Ei-<br />

6


gentum steht (vgl. BGHSt 50, 299). Es kommt hinzu, dass zwar nur zwei Aufsichtsratsmitglieder unmittelbar vom<br />

Bund entsandt wurden, jedoch aufgrund des alleinigen Anteilseigentums des Bundes an der DB AG und damit mittelbar<br />

auch an der PBDE die nicht unmittelbar vom Bund bestimmte Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder nicht<br />

einem privaten Dritten, der vom Staat völlig unabhängig ist, gleichgesetzt werden kann.<br />

c) Das Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2004 (BGHSt 49, 214), mit dem er für die DB<br />

AG als Ganzes die Eigenschaft einer "sonstigen Stelle" verneint hat, steht nicht entgegen. In dieser Entscheidung ist<br />

für die mit der zweiten Stufe der Bahnreform im Jahr 1999 als Konzerntochter der DB AG gegründete, ausschließlich<br />

für den Bereich Fahrweg zuständige DB Netz AG ausdrücklich offen gelassen worden, ob diese einer derartigen<br />

staatlichen Steuerung unterliegt, dass sie als "sonstige Stelle" im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB einzustufen<br />

ist (BGHSt aaO S. 226 f.). Daraus wird deutlich, dass in diesem Urteil auch keine Festlegungen für die Einordnung<br />

solcher - nicht in den Blick genommener - selbständiger Tochterunternehmen der DB AG getroffen werden<br />

sollten, die schon vor der zweiten Stufe der Bahnreform ausschließlich im Teilbereich Fahrweg tätig waren.<br />

Auch das vom Landgericht aus dem genannten Urteil herangezogene Argument, die DB AG sei bis zur zweiten Stufe<br />

der Bahnreform als einheitliches Unternehmen aufgetreten, müsse daher als Ganzes beurteilt werden und könne als<br />

Unternehmenseinheit nicht als "sonstige Stelle" nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB angesehen werden, führt für<br />

die PBDE nicht weiter. Denn unabhängig davon, ob § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB mit dem Begriff der "sonstigen<br />

Stelle" bei privatrechtlichen Einrichtungen tatsächlich ausschließlich Unternehmen oder Gesellschaften als Ganzes<br />

bezeichnet oder nicht doch auch deren abgrenzbare Untereinheiten umfasst, handelte es sich bei der PBDE um<br />

eine eigene Rechtspersönlichkeit, die daher nicht allein deshalb - jedenfalls bis <strong>zum</strong> Inkrafttreten der zweiten Stufe<br />

der Bahnreform - derselben rechtlichen Einordnung wie die DB AG unterliegen kann oder gar muss, weil sie eine<br />

100-prozentige Tochter der DB AG war (dies trifft im Übrigen jetzt auch auf die DB Netz AG zu) und diese als<br />

einheitliches Unternehmen auftrat.<br />

Es bedarf nach alledem auch keiner weiteren Erörterung, ob der in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes<br />

geforderte weitergehende, insbesondere gesellschaftsrechtlich verankerte Einfluss der Öffentlichen Hand auf die<br />

laufenden Geschäfte und Einzelentscheidungen (BGHSt 43, 370, 378; 45, 16, 20; 49, 214, 226) stets maßgeblich für<br />

die Gleichstellung einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft mit einer Behörde ist. Der Senat hätte Bedenken,<br />

diesem Kriterium ein solch entscheidendes Gewicht bei<strong>zum</strong>essen. Dem steht zunächst entgegen, dass der Gesetzgeber<br />

mit der Ergänzung von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB durch die Worte "unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung<br />

gewählten Organisationsform" durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I S.<br />

2038) klargestellt hat, dass die Wahl der Organisationsform - privatrechtlich oder öffentlichrechtlich - für sich gesehen<br />

nicht zur Abgrenzung einer "sonstigen Stelle" von nichtstaatlichen Einrichtungen herangezogen werden kann.<br />

Dann verbietet sich aber auch ein vorrangiges Abstellen auf die gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung von Einflussund<br />

Kontrollmöglichkeiten. Darüber hinaus sind Einzelheiten des Gesellschaftsvertrages bereits für den bei einer<br />

solchen Gesellschaft Angestellten oftmals nicht zu überblicken; erst recht gilt das für einen außenstehenden Dritten.<br />

Damit ist aber für die möglichen Täter eines Bestechungsdelikts ein - nach der zitierten Rechtsprechung maßgebliches<br />

- Kriterium, das die Amtsträgerschaft und damit gegebenenfalls die Strafbarkeit begründet, nicht oder nur<br />

schwer erkennbar. Nicht zuletzt im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG neigt der Senat<br />

deshalb dazu, hinsichtlich der Steuerungsmöglichkeiten des Staates nicht zu verlangen, dass sich aus gesellschaftsrechtlichen<br />

Regelungen ein Einfluss der Öffentlichen Hand auf konkrete Einzelentscheidungen im Tagesgeschäft<br />

ergeben muss (vgl. dazu Radtke in MünchKomm-StGB § 11 Rdn. 55; Heinrich NStZ 2005, 197, 201; kritisch <strong>zum</strong><br />

Erfordernis der staatlichen Steuerung auch Rudolphi/Stein in SK-StGB § 11 Rdn. 30 a).<br />

d) Der Angeklagte P. war nach den Feststellungen des Landgerichts auch <strong>zum</strong> Amtsträger bestellt. Die öffentlichrechtliche<br />

Bestellung ist von der rein privatrechtlichen Beauftragung abzugrenzen und muss zu einer über den einzelnen<br />

Auftrag hinausgehenden längerfristigen Tätigkeit oder einer organisatorischen Eingliederung in die Behördenstruktur<br />

führen, ohne dass es freilich eines förmlichen Bestellungsaktes bedarf (BGHSt 43, 96, 102; Fischer,<br />

StGB 55. Aufl. § 11 Rdn. 20 m. w. N.). Bei dem Angeklagten P. lag sowohl eine längerfristige Tätigkeit über<br />

mehrere Jahre als auch eine Eingliederung in die Struktur der PBDE vor, in der er die Stelle "S 142" bekleidete. Dies<br />

wurde durch die interne Mitteilung, dass er über die gleichen Befugnisse wie ein Mitarbeiter verfügte, auch schriftlich<br />

dokumentiert.<br />

Die Auffassung des Landgerichts, dass es eines Bestellungsaktes mit Warnfunktion bedurft hätte, beruht auf der<br />

rechtsfehlerhaften Annahme, bei der PBDE habe es sich jedenfalls bis zur Eingliederung in die DB Netz AG nicht<br />

um eine sonstige Stelle im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB gehandelt; sie trifft deshalb ebenfalls nicht<br />

zu.<br />

7


3. Aufgrund der rechtsfehlerhaften Verneinung der Amtsträgerschaft des Angeklagten P. war das Urteil mit den<br />

Feststellungen aufzuheben, soweit es die Angeklagten P. und D. betrifft. Dies gilt auch hinsichtlich des zweiten<br />

Tatkomplexes, in dem das Landgericht an sich rechtsfehlerfrei (s. dazu unten II.) auch diese beiden Angeklagten<br />

vom Vorwurf des Betruges bzw. der Untreue freigesprochen hat. Es hat aber insoweit den festgestellten Sachverhalt<br />

unter dem Gesichtspunkt der Bestechlichkeit bzw. Bestechung rechtlich unzutreffend gewürdigt. Um dem neuen<br />

Tatrichter eine unabhängige und widerspruchsfreie Beurteilung zu ermöglichen, hat der Senat deshalb die Feststellungen<br />

insgesamt aufgehoben, soweit sie die Angeklagten P. und D. betreffen.<br />

II. Das Urteil hat hingegen Bestand, soweit das Landgericht den Angeklagten R. im zweiten Tatkomplex vom<br />

Vorwurf des Betruges aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat.<br />

Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge hat aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts<br />

keinen Erfolg. Auch die Sachrüge dringt nicht durch:<br />

Entgegen der Auffassung der Revision ist die Beweiswürdigung weder lückenhaft, noch weist sie sonstige Rechtsfehler<br />

auf. Das Landgericht hat aufgrund einer umfassenden Würdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden<br />

Indizien eingehend begründet, warum es sich insbesondere von einer vorsätzlichen Täuschungshandlung<br />

nicht hat überzeugen können. Maßgeblich hat es dabei darauf abgestellt, dass die Umstände, die für und gegen die<br />

Berechtigung der geltend gemachten Nachtragsforderung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach sprachen, den<br />

maßgeblichen Entscheidungsträgern innerhalb der PBDE aufgrund der Vielzahl von Verhandlungen über diese Forderung<br />

und des umfangreichen Schriftwechsels darüber bekannt waren. Rechtsfehlerfrei hat es zudem berücksichtigt,<br />

dass für die Beurteilung der Frage, ob die Forderung dem Grunde nach berechtigt war, seitens der PBDE eine<br />

Rechtsanwaltskanzlei eingeschaltet worden und eine bewusste Falschinformation dieser Kanzlei nicht feststellbar<br />

war. Zur Höhe der Forderung hat sich die Strafkammer auf das Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten<br />

Sachverständigen berufen und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt, dass auch dem Rechnungsprüfer der PBDE<br />

die offensichtlichen Rechenfehler des Angeklagten R. sowie die fehlende Nachvollziehbarkeit der Forderung in<br />

Bezug zu der Urkalkulation nicht aufgefallen waren. Angesichts dieser Umstände kam es auf die Frage, ob und gegebenenfalls<br />

in welcher Höhe eine Forderung der GP tatsächlich bestand oder zivilgerichtlich durchsetzbar gewesen<br />

wäre, nicht mehr entscheidend an. Aus diesem Grund genügen auch die Ausführungen der Strafkammer, mit denen<br />

sie die wesentlichen Ausführungen des Sachverständigengutachtens wiedergegeben hat, den revisionsrechtlichen<br />

Anforderungen.<br />

Soweit die Staatsanwaltschaft einzelne Indizien herausgreift und stärker zu Lasten des Angeklagten wertet oder sich<br />

gegen Feststellungen wendet, die<br />

das Landgericht aus dem Sachverständigengutachten herleitet, handelt es sich um den im Revisionsverfahren unbehelflichen<br />

Versuch, die eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen.<br />

StGB § 011 I Nr. 2c, § 299, § 334, Amtsträger medizinisch-psychologischen Begutachtungsstelle für<br />

die Fahreignung<br />

BGH; Beschl. v. 14.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 470/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 154<br />

Zur Amtsträgereigenschaft des Geschäftsführers bzw. der Mitarbeiter einer nach § 66 Fahrerlaubnisverordnung<br />

(FeV) amtlich anerkannten und nach § 72 FeV akkreditierten medizinischpsychologischen<br />

Begutachtungsstelle für die Fahreignung.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 22. August 2007 wird<br />

a) das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt,<br />

soweit der Angeklagte S. wegen Bestechung verurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten<br />

des Verfahrens und die diesem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen;<br />

b) das genannte Urteil, soweit es den Angeklagten S. betrifft, im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe<br />

aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu<br />

treffen ist.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung<br />

insoweit keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO<br />

zuständigen Gericht vorbehalten.<br />

8


Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in 778 Fällen, wegen Bestechung, wegen Steuerhinterziehung<br />

in sieben Fällen und wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Gebrauch gefälschter Gesundheitszeugnisse in 45 Fällen zu<br />

einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte<br />

die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Zudem hat er sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung<br />

im genannten Urteil erhoben. Die Revision des Angeklagten führt zu einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß §<br />

154 StPO und zur Aufhebung des ihn betreffenden Gesamtstrafausspruchs; damit ist seine sofortige Beschwerde<br />

gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 464 Rdn. 20). Im Übrigen bleibt die Revision des Angeklagten<br />

aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.<br />

1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Bestechung gemäß § 334 StGB verurteilt hat, weil er der Geschäftsführerin<br />

der M. GmbH Vorteile für pflichtwidrige Diensthandlungen versprochen habe, stellt der Senat das<br />

Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO ein. Die hierfür vom Landgericht verhängte Strafe von<br />

einem Jahr Freiheitsstrafe fällt im Hinblick auf die übrigen - rechtsfehlerfrei verhängten - 830 Einzelstrafen nicht<br />

beträchtlich ins Gewicht.<br />

a) Zum Tatvorwurf der Bestechung hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:<br />

Der Angeklagte betrieb ein Netz aus bundesweit tätigen Vermittlern, die ihm insbesondere türkischsprachige Kunden<br />

zuführten, von denen im Zusammenhang mit der Erteilung der Fahrerlaubnis eine medizinisch-psychologische Prüfung<br />

abzulegen war. Diesen Kunden garantierte der Angeklagte gegen Zahlung eines Entgelts das Bestehen der Prüfung<br />

bei der in R. ansässigen M. GmbH. Bei dieser Gesellschaft handelt es sich um eine nach § 66<br />

Fahrerlaubnisverordnung (FeV) amtlich anerkannte und nach § 72 FeV akkreditierte medizinisch-psychologische<br />

Begutachtungsstelle für die Fahreignung. Um den versprochenen Erfolg sicherzustellen, nahm der Angeklagte in<br />

unterschiedlicher Weise auf den Prüfungsablauf bei der M. GmbH Einfluss. Mit deren Geschäftsführerin vereinbarte<br />

er unter anderem, dass er der Gesellschaft eine Vielzahl von Probanden zuführen sollte, wodurch das Unternehmen<br />

gegenüber Konkurrenten einen Wettbewerbsvorsprung erlangen und dadurch erheblich höhere Einnahmen<br />

erzielen konnte. Als Gegenleistung eröffnete die Geschäftsführerin der M. GmbH dem Angeklagten im Rahmen<br />

der Begutachtung, in deren Rahmen der Angeklagte u.a. als Dolmetscher tätig wurde, Handlungsspielräume, mit<br />

denen gewährleistet wurde, dass auch Probanden eine positive medizinisch-psychologische Begutachtung erhielten,<br />

die keine ausreichende Eignung für die Teilnahme am Straßenverkehr hatten.<br />

b) Die vom Landgericht nicht näher begründete rechtliche Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Bestechung<br />

gemäß § 334 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Urteilsfeststellungen belegen nicht, dass die<br />

Geschäftsführerin der M. GmbH oder ihre Mitarbeiter Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB waren.<br />

aa) Deren Amtsträgereigenschaft ergibt sich nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 3. Var. StGB; denn die M.<br />

GmbH als medizinisch-psychologische Begutachtungsstelle wurde nicht im Auftrag der Fahrerlaubnisbehörde tätig.<br />

Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung eines Bewerbers für eine Fahrerlaubnis<br />

oder eines Inhabers einer Fahrerlaubnis begründen, kann die zuständige Fahrerlaubnisbehörde nach näherer<br />

Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV anordnen, dass der Bewerber oder Fahrerlaubnisinhaber innerhalb einer angemessenen<br />

Frist ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten<br />

Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr<br />

beibringt (§ 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 6 FeV legt dabei<br />

die Fahrerlaubnisbehörde bereits in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick<br />

auf die Eignung des Betroffenen <strong>zum</strong> Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV). Sie teilt<br />

dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung<br />

in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf<br />

seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der<br />

Betroffene hat die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt<br />

hat (§ 11 Abs. 6 Satz 3 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde teilt ihrerseits der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen<br />

im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen <strong>zum</strong> Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 4<br />

FeV). Die Untersuchung erfolgt dabei auf Grund eines Auftrages durch den Betroffenen an die Begutachtungsstelle<br />

(§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV), nicht aber - was für eine Amtsträgereigenschaft der Mitarbeiter der Begutachtungsstelle<br />

sprechen könnte - im Auftrag der Fahrerlaubnisbehörde.<br />

bb) Die Amtsträgereigenschaft der Mitarbeiter der M. GmbH ergibt sich auch nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst.<br />

c 1. oder 2. Var. StGB.<br />

(1) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Mitarbeiter der M. GmbH Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen.<br />

Zwar erfolgt die Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens im Rahmen eines Verwaltungsver-<br />

9


fahrens. Im Hinblick auf die bei der Verwaltungsbehörde verbleibende Befugnis der Bestimmung, in welchen Fällen<br />

eine Begutachtung stattzufinden hat, und der Entscheidung, welche Folgen aus dem Ergebnis der Begutachtung gezogen<br />

werden, erweist sich jedoch die Gutachtenerstellung selbst nicht ohne weiteres als Dienstverrichtung, die aus<br />

der Staatsgewalt abgeleitet ist und staatlichen Zwecken dient (vgl. BGHSt 38, 199, 201).<br />

Die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, dass der Betroffene ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen<br />

hat, stellt keinen Verwaltungsakt dar. Sie konkretisiert vielmehr lediglich die aus § 2 Abs. 6 StVG folgende<br />

Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Antragsverfahren nach § 2 StVG bzw. im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />

nach § 3 StVG (vgl. OVG Münster NZV 2001, 396, 398 m.w.N.). Die Anordnung gehört daher - wie auch die Gesetzessystematik<br />

belegt - nicht zu den behördlichen Ermittlungsmaßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden nach § 2 Abs. 7<br />

StVG, sondern knüpft an das Bekanntwerden von Tatsachen an, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung<br />

eines Bewerbers für eine Fahrerlaubnis oder eines Inhabers einer Fahrerlaubnis begründen (§ 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1<br />

Satz 3 StVG). Wenngleich die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens Eingriffscharakter<br />

hat (BVerfG NZV 1993, 413, 414 <strong>zum</strong> früheren § 15b Abs. 2 StVZO), kann die Mitwirkungspflicht<br />

nicht zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. OVG Münster a.a.O.). Legt der Betroffene das angeordnete Gutachten<br />

nicht vor, darf die Fahrerlaubnisbehörde lediglich auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV).<br />

Eine Herausgabe des Gutachtens durch die Begutachtungsstelle an die Fahrerlaubnisbehörde kommt im Hinblick auf<br />

das - gemäß § 203 StGB auch strafrechtlich geschützte - Vertrauensverhältnis (vgl. Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht<br />

3. Aufl. § 11 FeV Anm. 32), das zwischen dem Betroffenen und der Begutachtungsstelle besteht, ohne Einverständnis<br />

des Betroffenen nicht in Betracht (vgl. VG Neustadt SVR 2006, 273, 275). Damit erfüllt die Begutachtungsstelle<br />

im Rahmen der Begutachtung nicht einen Teil der an sich staatlichen Stellen obliegenden Aufgaben,<br />

sondern unterstützt lediglich den Betroffenen bei Erfüllung einer ihm im konkreten Verwaltungsverfahren treffenden<br />

Obliegenheit.<br />

(2) Eine Amtsträgerstellung der Mitarbeiter der M. GmbH scheidet jedenfalls deshalb aus, weil es sich bei dieser<br />

Gesellschaft nicht nur um keine Behörde, sondern auch nicht um eine sonstige Stelle i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst.<br />

c StGB handelt.<br />

(a) Eine sonstige Stelle in diesem Sinne ist eine behördenähnliche Institution, die unabhängig von ihrer Organisationsform<br />

befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, ohne dabei eine Behörde im verwaltungsrechtlichen<br />

Sinne zu sein. Bei einer juristischen Person des Privatrechts sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn<br />

bei ihr Merkmale vorliegen, die eine Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichtshofs muss sie bei einer Gesamtbetrachtung "als verlängerter Arm des Staates erscheinen" (BGHSt<br />

43, 370, 377; 45, 16, 19; 46, 310, 312 f.; 49, 214, 219; 50, 299, 303; BGH NStZ 2006, 628, 630). Einzubeziehen sind<br />

dabei alle wesentlichen Merkmale der Gesellschaft, namentlich, ob diese gewerblich tätig ist und mit anderen im<br />

Wettbewerb steht (BGHSt 38, 199, 204), ob im Gesellschaftsvertrag eine öffentliche Zwecksetzung festgeschrieben<br />

ist (BGHSt 43, 370, 372 f.), ob sie im Eigentum der öffentlichen Hand steht und ihre Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln<br />

finanziert wird (BGHSt 45, 16, 20) sowie, in welchem Umfang staatliche Steuerungs- und Einflussnahmemöglichkeiten<br />

bestehen (BGHSt 43, 370, 378 f.; 45, 16, 20 f.; 49, 214, 224 f.).<br />

(b) Eine Rolle als "verlängerter Arm des Staates" ergibt sich für die M. GmbH aus den vom Landgericht getroffenen<br />

Feststellungen unabhängig von der Frage nicht, ob Privatrechtssubjekte, an denen der Staat nicht beteiligt ist,<br />

überhaupt "sonstige Stelle" i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 2. Var. StGB sein können (vgl. dazu einerseits MüKo-<br />

Radtke StGB § 11 Rdn. 55, andererseits BGHSt 43, 96, 102 ff.; BGH NJW 1998, 2373, 2374). Zwar sind durch das<br />

Erfordernis der staatlichen Anerkennung der Begutachtungsstelle nach § 66 FeV und der Akkreditierung nach § 72<br />

FeV Umstände gegeben, die eine Kontrolle der Begutachtungsstellen durch die öffentliche Hand ermöglichen. Auch<br />

teilt die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV der Begutachtungsstelle jeweils konkret mit, welche<br />

Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen <strong>zum</strong> Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Diese Umstände<br />

sind indes nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Gleichstellung der Begutachtungsstelle mit einer Behörde<br />

rechtfertigen könnten, <strong>zum</strong>al da die - nach § 66 FeV anerkannten - Begutachtungsstellen untereinander im Wettbewerb<br />

stehen (vgl. auch BGHSt 38, 199, 204). Maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Entscheidung<br />

über die Eignung des Betroffenen nach der Begutachtung der Fahrerlaubnisbehörde vorbehalten bleibt; das<br />

Gutachten entfaltet als vorbereitendes Privatgutachten, das im Auftrag des Betroffenen und auf dessen Kosten erstellt<br />

wird, keine Bindungswirkung. Allein der Umstand, dass das Ergebnis der Begutachtung für die Entscheidung der<br />

Fahrerlaubnisbehörde von zentraler Bedeutung ist, lässt die Begutachtungsstelle nicht als „verlängerten Arm des<br />

Staates“ erscheinen. Nichts anderes gilt für den Umstand, dass die Begutachtungsstellen für die Erstattung des Gutachtens<br />

nach der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) vergütet werden (vgl. § 1 GebOSt<br />

10


i.V.m. Gebührennummern 451 ff. der Anlage zu § 1 GebOSt). Insoweit ist lediglich ein Kostenrahmen für die Begutachtung<br />

festgelegt.<br />

c) Ein Teilfreispruch ist gleichwohl nicht veranlasst, weil eine Strafbarkeit des Angeklagten unter einem anderen<br />

rechtlichen Gesichtspunkt als dem der Bestechung gemäß § 334 StGB in Betracht kommen kann (etwa einer Strafbarkeit<br />

gemäß § 299 StGB oder §§ 26, 278 StGB). Einer Zurückverweisung an das Landgericht zur Aufklärung, ob<br />

ergänzende Feststellungen <strong>zum</strong> Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorteilen an<br />

Mitarbeiter der M. GmbH getroffen werden können, bedarf es aber deshalb nicht, weil angesichts der Vielzahl der<br />

gegen den Angeklagten rechtsfehlerfrei verhängten Einzelstrafen eine insoweit in Betracht kommende Einzelstrafe<br />

nicht beträchtlich ins Gewicht fiele.<br />

2. Allerdings hält der Ausspruch über die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe trotz des straffen Zusammenzugs der Einzelstrafen<br />

rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar kann der Senat angesichts des Zusammenzugs der übrigen<br />

Einzelstrafen, darunter 181 Strafen von je zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe sowie 597 Strafen von je<br />

zwei Jahren Freiheitsstrafe, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ausschließen, dass das Landgericht<br />

ohne die für die Bestechung festgesetzte Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe eine niedrigere als die festgesetzte<br />

Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Jedoch begegnet die Zumessung der Gesamtfreiheitsstrafe durchgreifenden<br />

rechtlichen Bedenken.<br />

a) Ohne Rechtsfehler hat sich allerdings das Landgericht nicht mehr an eine zugesagte Strafobergrenze gebunden<br />

gesehen. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:<br />

Nach den Urteilsfeststellungen sicherte die Strafkammer am 9. November 2006, während des Laufs der Hauptverhandlung,<br />

im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe aus der Anklageschrift<br />

vom 12. Mai 2006 für den Fall einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von vier Jahren Gesamtfreiheitsstrafe<br />

zu (UA S. 5). Unter dem 31. Juli 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Bochum eine weitere Anklage gegen den<br />

Angeklagten, in der gegen ihn der Vorwurf der Steuerhinterziehung in 18 Fällen, des Betruges und der Beihilfe zur<br />

Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses erhoben wurde. Die Anklage wurde mit dem laufenden Verfahren<br />

zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Unter dem 13. August 2007 wurde das Strafverfahren<br />

auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss der Strafkammer hinsichtlich der Taten, die den Gegenstand<br />

der Anklage vom 31. Juli 2007 bildeten sowie hinsichtlich weiterer Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.<br />

Bei dieser Sachlage war die Strafkammer nicht mehr an die zugesagte Strafobergrenze gebunden. Insoweit gelten<br />

folgende Grundsätze:<br />

aa) Wurde eine Urteilsabsprache getroffen, auf deren Grundlage seitens des Tatgerichts eine Zusage hinsichtlich der<br />

Strafobergrenze abgegeben wurde, kommt ein Abweichen von einer solchen Zusage nur dann in Betracht, wenn<br />

schon bei der Urteilsabsprache vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen wurden oder<br />

wenn sich in der Hauptverhandlung neue, dem Gericht bisher unbekannte schwerwiegende Umstände zu Lasten des<br />

Angeklagten ergeben haben (BGHSt 50, 40, 50). In einem solchen Fall muss das Gericht unter Darlegung der Umstände<br />

auf diese Möglichkeit hinweisen (BGHSt 43, 195, 210).<br />

bb) Eines Hinweises bedarf es aber nur dann, wenn sich die Abweichung von der Urteilsabsprache allein auf Taten<br />

bezieht, die zu diesem Zeitpunkt Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Denn nur insoweit kann eine Zusicherung<br />

für den Angeklagten einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen. Keines Hinweises bedarf es indes,<br />

wenn sich in der Hauptverhandlung der Verfahrensstoff durch neu angeklagte Tatvorwürfe erweitert, die Gegenstand<br />

des Verfahrens geworden sind. In einem solchen Fall ist für alle Verfahrensbeteiligten ohne weiteres erkennbar, dass<br />

die bisherige Zusage, die die neu angeklagten Taten nicht <strong>zum</strong> Gegenstand hatte, wegen der veränderten Sachlage<br />

für das Tatgericht nicht mehr verbindlich sein kann. So verhält es sich auch hier. Der Angeklagte war durch den<br />

Wegfall der Zusicherung auch nicht benachteiligt, da die Einbeziehung einer neuen Anklage nur mit seiner Zustimmung<br />

zulässig war (§ 266 Abs. 1 StPO; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 266 Rdn. 4).<br />

b) Die Gesamtfreiheitsstrafe kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil die Strafkammer rechtsfehlerhaft durch<br />

Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedene Verfahrensteile <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten bei der<br />

Zumessung der Gesamtfreiheitsstrafe strafschärfend berücksichtigt hat.<br />

Zwar ist es zulässig, gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Prozessstoff nach einem entsprechenden Hinweis<br />

(BGH StV 2000, 656) in der Straf<strong>zum</strong>essung straferschwerend zu berücksichtigen. Dies kommt indes nur in Betracht,<br />

wenn die in den ausgeschiedenen Verfahrensteilen enthaltenen Tatvorwürfe prozessordnungsgemäß festgestellt<br />

und in den Urteilsgründen dargelegt sind (BGH StV 1995, 520 f). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.<br />

Es berücksichtigt von der Teileinstellung erfasste Tatvorwürfe strafschärfend (UA S. 54), ohne die den Taten<br />

zugrunde liegenden Tatsachen im Urteil auch nur ansatzweise darzustellen. Dies ermöglicht dem Revisionsgericht<br />

11


nicht, die strafschärfende Berücksichtigung dieser Taten auf mögliche Rechtsfehler hin zu überprüfen (BGH StV<br />

1995, 520 f.). Darin liegt ein auf die Sachrüge hin zu berücksichtigender Rechtsfehler, auf dem das Urteil auch beruht.<br />

3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO zu entscheiden. Damit ist die<br />

neue Gesamtstrafe im Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zu bilden, in dem auch eine Entscheidung über<br />

die Pflicht zur Tragung der Kosten der Revision des Beschwerdeführers zu treffen ist.<br />

StGB § 015, StGB § 21, StGB § 211 II Heimtücke, StGB § 212<br />

BGH, Urt. v. 01.04.<strong>2009</strong> – 2 StR 601/08<br />

Für die Annahme der subjektiven Seite des Heimtückemordes kommt es nicht auf das Vorliegen<br />

oder Nichtvorliegen der rechtlichen Voraussetzungen des § 21 StGB an; vielmehr ist maßgeblich, ob<br />

und gegebenenfalls welche tatsächlichen Auswirkungen der psychische Zustand auf die Erkenntnisfähigkeit<br />

des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewusstsein hatte.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. April <strong>2009</strong> für Recht erkannt:<br />

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 1. Juli<br />

2008 mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als<br />

Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten<br />

verurteilt.<br />

Mit ihren Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger, dass das Landgericht den Angeklagten<br />

unter Annahme nicht ausschließbar verminderter Schuldfähigkeit nur wegen Totschlags und nicht wegen Mordes<br />

verurteilt hat.<br />

I.<br />

Der 34-jährige Angeklagte, ein in sich gekehrter Diplom-Informatiker, hatte im September 2007 ohne die von ihm<br />

angestrebte Promotion seine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter der R.<br />

verloren und lebte<br />

seitdem von seinen Ersparnissen.<br />

Bereits seit dem Jahre 2005 unterhielt er eine gegenüber seinen Eltern verheimlichte Beziehung zu der chinesischen<br />

Studentin W. . Beide wohnten zusammen, hatten jedoch keinen Geschlechtsverkehr, weil der Angeklagte -<br />

aus Angst zu versagen - diesen auf die Zeit nach der Heirat verschieben wollte. Als der Ablauf ihres Visums bevorstand,<br />

drängte W. den Angeklagten Ende des Jahres 2007 erfolglos zur baldigen Heirat. Mehrfach gelang<br />

es dem Angeklagten, die <strong>zum</strong> Auszug entschlossene Zeugin W. hinzuhalten und <strong>zum</strong> Verbleib bzw. zur Rückkehr<br />

in seine Wohnung zu überreden.<br />

Am 24. Dezember 2007 reiste der Angeklagte zu seinen Eltern, wo er die Feiertage verbrachte. Bei seiner Rückkehr<br />

am Abend des 26. Dezembers 2007 hatte W. Besuch von ihrer Freundin, der in Deutschland lebenden<br />

Chinesin S. , die - in die Problematik eingeweiht - den ausweichend reagierenden Angeklagten auf eine Heirat<br />

der Zeugin W. ansprach. Am nächsten Morgen verließen die beiden Frauen mit Gepäck die Wohnung Richtung<br />

Bahnhof. Als der Angeklagte dies bemerkte, folgte er ihnen und traf sie noch auf dem Bahnsteig an. Sein Versuch,<br />

W. zur Rückkehr zu bewegen, schlug fehl.<br />

In diesem Moment kamen ihm Suizidphantasien; den Gedanken, sich von dem nächsten einfahrenden Zug überrollen<br />

zu lassen, verwarf er jedoch, da ihm ein solch grausamer Tod unerträglich erschien. Als S. zu ihm tröstend<br />

sagte: "T. , es ist bestimmt am Besten so", entschloss er sich schließlich diese anzugreifen. Nachdem er zuvor die<br />

in einer Entfernung von ca. 400 m herannahende Bahn wahrgenommen hatte, stieß er in Tötungsabsicht die vor ihm<br />

stehende und ihm den Rücken zukehrende arglose S. zielgerichtet ins Gleisbett, wo sie von dem Zug überrollt,<br />

mitgeschleift und so getötet wurde. Nach vorübergehender Flucht stellte sich der Angeklagte noch am selben Tag<br />

den Behörden.<br />

12


Das Landgericht ist - entgegen dem Sachverständigengutachten - von einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit<br />

des Angeklagten <strong>zum</strong> Tatzeitpunkt ausgegangen und vermochte zudem nicht festzustellen, dass dieser die<br />

objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt habe. Ebenso wenig<br />

konnte das Landgericht in dem Handeln des Angeklagten niedrige Beweggründe erkennen.<br />

II.<br />

1. Die vom Generalbundesanwalt insoweit vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Nebenkläger<br />

haben mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich gegen die Verneinung des Mordmerkmals "Heimtücke" auf der<br />

Grundlage der Annahme nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit wenden.<br />

a) Die Annahme nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21<br />

StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

Noch in Übereinstimmung mit der als umsichtig, kompetent und erfahren charakterisierten Sachverständigen (UA<br />

15) stellt das Landgericht bei dem Angeklagten, der große Angst vor Zurückweisung und Ablehnung bei gleichzeitigem<br />

Wunsch nach enger partnerschaftlicher Zuwendung mit ausgeprägten Verlustängsten hat, eine kombinierte<br />

Persönlichkeitsstörung mit dependenten Zügen fest. Zugleich habe der Angeklagte unter dem Einfluss einer akuten<br />

Belastungsreaktion gehandelt. Soweit aber die Sachverständige nach Durchführung der Beweisaufnahme aufgrund<br />

der nunmehr umfänglichen Einlassung des Angeklagten zu seinen Gedanken und Überlegungen unmittelbar vor der<br />

Tat zu dem Ergebnis gelangt, eine Handlungsanalyse ergebe, dass der Angeklagte in der Vierschrittigkeit "Abwägen-<br />

Planen-Handeln-Bewerten" keine Defizite aufwies, es somit an einer Impulskontrollstörung gefehlt habe und deshalb<br />

die schwere andere seelische Abartigkeit (infolge der kombinierten Persönlichkeitsstörung und der akuten Belastungsreaktion)<br />

ohne Schuldfähigkeitsrelevanz sei, folgt ihr das Landgericht nicht; angesichts des "motivational mit<br />

rationalen Maßstäben nicht nachvollziehbaren, teilweise schon bizarre Züge tragenden Tatgeschehens" sei eine erhebliche<br />

Einschränkung der Schuldfähigkeit nicht auszuschließen.<br />

Zwar war das Landgericht nicht gehindert, von dem Gutachten der Sachverständigen abzuweichen, da ein solches<br />

nur Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters sein kann. Wenn der Tatrichter aber eine Frage, für die er<br />

geglaubt hat, des Rates eines Sachverständigen zu bedürfen, im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss er<br />

die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben und seine Gegenansicht unter Auseinandersetzung<br />

mit diesen begründen (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1; Fischer StGB 56. Aufl. § 20 Rdn. 65 m.w.N.).<br />

Dies hat die Strafkammer nicht in hinreichender Weise getan:<br />

Allein die Erwägung, aufgrund des rational nicht nachvollziehbaren Tatgeschehens in Kombination mit dem festgestellten<br />

Zustand des Angeklagten sei das Abstellen auf eine Handlungsanalyse nicht überzeugend, ist nicht geeignet,<br />

das Gutachten der Sachverständigen zu widerlegen. Weder ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass das Landgericht<br />

über die erforderliche eigene Sachkunde verfügt, noch hat es eine eigene Abwägung aller Indizien vorgenommen.<br />

Auch unter dem Gesichtspunkt einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung wäre die Wertung des Landgerichts nicht<br />

rechtsfehlerfrei. Denn eine affektive Erregung bei vorsätzlichen Tötungsdelikten, bei denen gefühlsmäßige Regungen<br />

eine Rolle spielen, stellt eher den Normalfall dar. Ob die affektive Erregung einen solchen Grad erreicht hat,<br />

dass sie zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt hat, kann deshalb nur anhand von tat- und täterbezogenen<br />

Merkmalen beurteilt werden, die als Anzeichen für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts<br />

sprechen. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR<br />

2004, 234, 235 m.w.N.), die das Landgericht nicht vorgenommen hat. Es hat im Gegenteil die gegen eine tiefgreifende<br />

Bewusstseinsstörung sprechenden Anzeichen, die sich aus der von der Sachverständigen herangezogenen<br />

Handlungsanalyse und der detaillierten Erinnerung des Angeklagten an das Geschehen ergeben (vgl. BGH NStZ<br />

2008, 510, 512), völlig außer Betracht gelassen.<br />

Zudem lassen die Urteilsausführungen besorgen, dass das Landgericht den Zweifelssatz fehlerhaft auch auf die<br />

Rechtsfrage, ob die Beeinträchtigung des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB erheblich ist, angewandt hat (vgl.<br />

BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ 2005, 149, 150).<br />

b) Ebenso zu Recht beanstanden alle Revisionen die Verneinung der subjektiven Tatseite des Mordmerkmals Heimtücke.<br />

Nach den Feststellungen versah sich S. , was das Landgericht nicht verkannt hat, keines Angriffs des Angeklagten<br />

von hinten und war infolgedessen arg- und wehrlos.<br />

Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die<br />

hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen<br />

durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei steht nicht jede<br />

affektive Erregung der Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins in diesem Sinne entgegen (BGH NStZ 2003, 535;<br />

2005, 688 f.).<br />

13


Die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Ausnutzungsbewusstsein hier verneint hat, entbehren einer tragfähigen<br />

Grundlage. Bereits die Ausgangsüberlegung, zu Gunsten des Angeklagten sei zu unterstellen, seine Steuerungsfähigkeit<br />

sei erheblich eingeschränkt gewesen (UA 20), ist - wie eingangs unter II. 1. a) dargelegt - rechtsfehlerhaft.<br />

Gleiches gilt für die daran anknüpfende Schlussfolgerung, die Wahrnehmung des Angeklagten sei in der Panik des<br />

Moments allein auf S. fixiert gewesen, die allein er optisch wahrgenommen habe, weshalb es störungsbedingt<br />

nicht ausschließbar an einem Ausnutzungsbewusstsein gefehlt haben könnte. Für die Annahme der subjektiven Seite<br />

des Heimtückemordes kommt es nämlich nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der rechtlichen Voraussetzungen<br />

des § 21 StGB an; vielmehr ist maßgeblich, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Auswirkungen der psychische<br />

Zustand auf die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewusstsein hatte.<br />

Diesbezüglich hat die Strafkammer aber - bezogen auf den direkten Tötungsvorsatz - gerade festgestellt, dass der<br />

Angeklagte in vollem Umfang über die kognitiven Fähigkeiten verfügte, sowohl die objektiven Umstände seines<br />

Tuns als auch dessen Konsequenzen subjektiv zu erfassen (UA 18). Umstände, auf Grund derer trotz erhaltener Einsichtsfähigkeit<br />

die Fähigkeit des Angeklagten, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch<br />

wahrzunehmen und einzuschätzen, beeinträchtigt war, hat die Strafkammer nicht aufgezeigt; solche sind nach den<br />

Urteilsgründen auch nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat der Angeklagten nach den Feststellungen noch direkt vor der<br />

Tat bei Erwägung eines Suizids durchaus rationale Überlegungen angestellt, indem er sich die möglichen Folgen<br />

vorstellte, die es haben würde, wenn ein menschlicher Körper von einem Zug überrollt wird und sich deshalb bei<br />

Einfahrt des Zuges dazu entschlossen, nicht selbst zu springen, sondern die arglose S. hinterrücks auf die Gleise<br />

zu stoßen.<br />

2. Entgegen der Auffassung der vom Generalbundesanwalt insoweit nicht vertretenen Revisionen hat das Landgericht<br />

das Mordmerkmal "Niedrige Beweggründe" auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei<br />

abgelehnt. Es hat nicht verkannt, dass auch Rache und Hass bei der Tatbegehung eine Rolle gespielt haben.<br />

Dass es diese Motive nicht als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Angeklagte<br />

befand sich angesichts der nunmehr endgültig erscheinenden Trennung seiner Freundin in einem Zustand höchster<br />

Verzweiflung und Ausweglosigkeit (UA 21). Vor diesem Hintergrund hält es sich im Rahmen des tatrichterlichen<br />

Beurteilungsspielraums, dass das Landgericht die für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit<br />

nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat (vgl. BGH NStZ 2007, 330, 331).<br />

StGB § 021, § 49 Abs. 1, § 211 Keine Milderung bei verschuldetem Affekt<br />

BGH, Urt. v. 29.10.2008 – 2 StR 349/08 - NJW <strong>2009</strong>, 305<br />

LS: Zur Ablehnung der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB wegen verschuldeten Affekts in<br />

Fällen lebenslanger Freiheitsstrafe.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 27. März 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als<br />

Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer "lebenslangen<br />

Gesamtfreiheitsstrafe" verurteilt und das Tatmesser eingezogen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner<br />

Revision, die das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Das Rechtsmittel hat<br />

bereits mit der Sachrüge Erfolg.<br />

I. 1. Nach den Feststellungen zogen der verheiratete Angeklagte und das spätere Tatopfer S. H. bereits<br />

wenige Tage, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, zusammen. In der Beziehung entstanden alsbald Spannungen;<br />

in solchen Situationen beschimpfte und bedrohte der Angeklagte seine Freundin. Nach mehreren Trennungen und<br />

Versöhnungen entwickelte der Angeklagte zunehmend die Angst, S. H. könne sich endgültig von ihm abwenden.<br />

So geschah es schließlich auch; der Angeklagte gab zu verstehen, dass er eine Trennung nicht akzeptieren<br />

werde und bedrohte sogar die Eltern seiner früheren Freundin. Bei einem Zusammentreffen in dem zuvor gemeinsam<br />

bewohnten Haus schlugen der Angeklagte und seine Frau auf S. H. ein. Diese hatte fortan panische<br />

Angst vor dem Angeklagten; sie erstattete Strafanzeige und erwirkte einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz.<br />

14


In der letzten Zeit vor der Tat schlief der Angeklagte schlecht, er aß kaum etwas. Er fühlte sich wie in einem Tunnel,<br />

seine Gedanken kreisten nur um seine gescheiterte Beziehung. Bei einem von ihm herbeigeführten Treffen bedrohte<br />

er seine frühere Freundin mit dem Tode; auch hegte er Selbstmordgedanken. Mit seiner Therapeutin vereinbarte er,<br />

sich sofort zu melden, sollte er sich oder anderen etwas antun wollen.<br />

Am Tattag folgte der Angeklagte S. H. , die nach Dienstschluss auf dem Weg zu dem Zeugen P. , ihrem<br />

neuen Freund war; von der Beziehung wusste der Angeklagte bis zur Tat nichts. Er beabsichtigte, seine frühere<br />

Freundin zu einem klärenden Gespräch zu zwingen; er führte ein Kampfmesser mit sich. Das ihm unbekannte Fahrtziel<br />

versetzte ihn zusätzlich in Aufregung. In Höhe des Anwesens des Zeugen P. verließ S. H.<br />

fluchtartig ihren Pkw; der Angeklagte folgte ihr in den Eingangsbereich des Hauses ihres neuen Freundes und verlangte<br />

zu wissen, was sie hier wolle. Den Inhalt der sich anschließenden Kommunikation konnte das Schwurgericht<br />

nicht feststellen; „jedenfalls verlor der Angeklagte die Kontrolle über sich“ und griff seine frühere Freundin an. Der<br />

hinzueilende Zeuge P. versetzte ihm einen Schlag mit einem Baseballschläger, der zu einer Fraktur des linken<br />

Ellenbogens führte. Dies übte jedoch keinerlei Wirkung auf den Angeklagten aus; den Rettungsversuch des Zeugen<br />

wehrte er ab, indem er diesem die Klinge des Messers durch das Gesicht zog. Anschließend verbrachte er S. H.<br />

in den Flur des Hauses. Dort versetzte er ihr in Tötungsabsicht mit dem Messer eine Vielzahl von Stichen, in deren<br />

Folge die Geschädigte kurze Zeit später starb. Anschließend fügte er sich in Selbsttötungsabsicht Stiche und Schnitte<br />

zu; es bestand akute Lebensgefahr. Der Angeklagte konnte nur durch sofortige intensivmedizinische Versorgung<br />

gerettet werden.<br />

Zum Motiv für die tödlichen Messerstiche hat das Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe sich nicht mit einer<br />

Trennung abfinden wollen; ein eigenes von ihm losgelöstes selbstbestimmtes Leben habe er seinem Opfer nicht<br />

zubilligen wollen, lieber sollte sie sterben (UA 21).<br />

2. Das Schwurgericht hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen. Es ist - sachverständig beraten<br />

- von einer tief greifenden Bewusststeinsstörung infolge eines Affektdurchbruchs ausgegangen und hat deshalb<br />

eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB angenommen; eine Strafmilderung nach §<br />

49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt, weil der Angeklagte den Affekt selbst verschuldet habe.<br />

II.<br />

Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine frühere Freundin S. H. aus niedrigen Beweggründen<br />

getötet (§ 211 StGB), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

a) Die vorgenommene Würdigung ist schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht nicht alle wesentlichen<br />

Gesichtspunkte der Tat und der inneren Verfassung des Angeklagten erschöpfend in seine Würdigung aufgenommen<br />

hat. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf<br />

tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat<br />

"niedrig" sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat<br />

auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen<br />

Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Insoweit wäre vorliegend zu<br />

bedenken gewesen, dass nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der (frühere) Partner vom Täter abwenden will<br />

oder abgewandt hat, zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen beruht. Vielmehr können in einem solchen Fall tatauslösend<br />

und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit sein, die eine Bewertung<br />

als "niedrig" im Sinne der Mordqualifikation namentlich dann als fraglich erscheinen lassen können, wenn - wie hier<br />

- die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich<br />

nicht verlieren will (vgl. BGHR StGB § 211 niedrige Beweggründe 32). Es kommt - nicht anders als bei Gefühlsregungen<br />

wie Wut, Ärger, Hass und Rache (vgl. dazu BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16; Eser in<br />

Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 211 Rdn. 18 m.w.N.) - darauf an, ob die Gefühle der Verzweiflung und der<br />

inneren Ausweglosigkeit ihrerseits auf einer als niedrig zu bewertenden Motivationsgrundlage beruhen (Fischer<br />

StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 28).<br />

Dies hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht. Es hat die besondere Verwerflichkeit der Tatmotivation darin<br />

gesehen, dass der Angeklagte aus "überzogenem Besitzdenken" getötet habe (UA 36). Erst bei der Prüfung, ob der<br />

Angeklagte von diesen - die Bewertung der Motivation als niedrig nach Auffassung des Landgerichts rechtfertigenden<br />

- Umständen wusste, erwähnt es den psychischen Sachverhalt, dass der Angeklagte zur Tatzeit verzweifelt war<br />

und von dem Gefühl einer inneren Ausweglosigkeit beherrscht gewesen sein "dürfte" (UA 37). Diese Gefühlslage<br />

des Angeklagten könnte jedoch bereits die Wertung seiner Motivation als niedrig in Frage stellen. Hierbei waren<br />

auch die dem Kerngeschehen vorangegangene Erregung des Angeklagten, seine Unruhe und seine demonstrativen<br />

wie auch aggressiven Handlungen gegenüber seiner früheren Partnerin sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass<br />

15


der Angeklagte trotz der eigenen, erheblichen Verletzung unbeirrt weitermachte. Auch der der Tat nachgehende<br />

Suizidversuch, der angesichts der schweren und <strong>zum</strong> Teil bleibenden Folgen unzweifelhaft ernst war und nur auf<br />

Grund rascher intensivmedizinischer Intervention nicht <strong>zum</strong> Tode des Angeklagten führte, könnte auf eine entsprechende<br />

innere Verfassung schon bei der Tat hindeuten. Dies wäre im Blick auf die Bedeutung der Gemütslage des<br />

Angeklagten bei der Tat für die Bewertung seiner Handlungsantriebe als niedrig ebenfalls zu bedenken gewesen.<br />

b) Die unzureichende Gesamtwürdigung stellt aus denselben Gründen auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen<br />

des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rechtlich in Frage. Spielen bei der Tat wie hier gefühlsmäßige<br />

oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muss sich der Tatrichter in aller Regel damit auseinandersetzen, ob der<br />

Angeklagte in der Lage war, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (st. Rspr.; u. a. BGHSt 28,<br />

210, 212; BGH NStZ 2004, 34). Ausdrücklicher Prüfung bedarf diese Frage insbesondere bei Taten, die sich spontan<br />

aus der Situation heraus entwickelt haben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 10). Von einer<br />

spontan begangenen Tat geht das Schwurgericht in diesem Zusammenhang selbst aus (UA 37), obwohl es an anderer<br />

Stelle (UA 40) ausführt, dass der Angeklagte sich seit Wochen in einem psychischen Ausnahmezustand befand; ob<br />

dieser Fall hier vorliegt, kann angesichts der widersprüchlichen Feststellungen des Tatgerichts vom Revisionsgericht<br />

nicht überprüft werden. Auch in diesem Zusammenhang wäre das Schwurgericht bei der Beurteilung der Fähigkeit<br />

des Angeklagten zur Selbstbeherrschung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt, wenn es die nahe liegenden<br />

Gefühle der Verzweiflung und der Ausweglosigkeit in seine Abwägung einbezogen hätte. Die Urteilsgründe<br />

lassen insoweit auch die Auseinandersetzung mit der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten<br />

vermissen, die ebenfalls von Bedeutung sein kann (vgl. BGH NStZ 2004, 34; BGHR StGB § 211 Abs. 2<br />

niedrige Beweggründe 34).<br />

2. Im Übrigen begegnen die Ausführungen des Schwurgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten ebenfalls rechtlichen<br />

Bedenken.<br />

a) Das Landgericht teilt nicht mit, aus welchen Gründen es eine schuldausschließende Wirkung des von ihm angenommenen<br />

hochgradigen Affekts verneint. Zwar ist Schuldunfähigkeit wegen eines solchen Affekts nur in Ausnahmefällen<br />

anzunehmen (BGH NStZ 1997, 333, 334; Schöch in Leipziger Kommentar 12. Aufl. § 20 Rdn. 62). Das<br />

Schwurgericht gibt aber insoweit weder Darlegungen des von ihm gehörten psychiatrischen Sachverständigen wieder,<br />

noch verneint es ausdrücklich eine Anwendbarkeit des § 20 StGB (UA 39). Daher kann der Senat nicht prüfen,<br />

ob es insoweit von rechtsfehlerfreien Erwägungen ausgegangen ist.<br />

b) Die Begründung, mit der das Landgericht dem Angeklagten die Strafmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB<br />

versagt hat, ist rechtsfehlerhaft.<br />

aa) Zwar ist dies grundsätzlich auch dann möglich, wenn die Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe<br />

besteht (Fischer aaO § 21 Rdn. 23 m.w.N.). Voraussetzung ist in diesem Fall aber das Vorliegen besonders erschwerender<br />

Gründe, welche die mit § 21 StGB verbundene Schuldminderung auszugleichen vermögen (BGH StV 1990,<br />

157; NStZ 04, 619; Urt. v. 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt<br />

daher an die Ablehnung einer Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bei lebenslanger Freiheitsstrafe<br />

hohe Anforderungen (BGH NStZ 1992, 538; 2004, 678, 681; StV 2006, 465, 466).<br />

bb) Das Schwurgericht hat die Ablehnung der Strafmilderung damit begründet, der Angeklagte habe den seine Steuerungsfähigkeit<br />

erheblich vermindernden Affekt selbst verschuldet (UA 40). Aus den weiteren Ausführungen des<br />

Tatrichters ergibt sich, dass er von einem fahrlässig herbeigeführten Affekt ausgegangen ist (vgl. insbesondere UA<br />

42). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein solches Vorverschulden des Täters einer Strafrahmenmilderung<br />

nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entgegenstehen (BGHSt 35, 143; BGH NStZ 1997, 333, 334; StV 1993,<br />

354, 355). Der Senat braucht aus Anlass dieses Falles nicht zu entscheiden, ob die an dieser Rechtsprechung geübte<br />

und im Wesentlichen mit dem Hinweis auf das Schuldprinzip begründete Kritik berechtigt ist (vgl. Schöch aaO § 20<br />

Rdn. 140 ff.; Streng in MüKo StGB § 21 Rdn. 24; Fischer aaO § 20 Rdn. 34, 56 ff.; § 21 Rdn. 15, 24 m.w.N.). Denn<br />

die rechtlichen Erwägungen des Schwurgerichts werden den in BGHSt 35, 143 aufgestellten Kriterien für eine Ablehnung<br />

der Strafmilderung nicht gerecht:<br />

Danach ist die Versagung einer Strafmilderung mit der Begründung, der die Steuerungsfähigkeit erheblich mindernde<br />

Affekt sei verschuldet gewesen, nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Täter unter den konkreten Umständen den<br />

Affektaufbau verhindern konnte und die Folgen des Affektdurchbruchs für ihn vorhersehbar waren. Für eine solche<br />

Annahme reicht aber nicht jedes vorwerfbare frühere Fehlverhalten des Täters aus, das in irgendeiner Weise zu der<br />

Tat beigetragen hat. Der Schuldvorwurf geht vielmehr dahin, dass der Täter den zu der tiefgreifenden Bewusstseinsstörung<br />

führenden Affekt während der Entstehung durch ihm mögliche Vorkehrungen nicht vermieden hat, wobei<br />

sich die Verschuldensprüfung auf die Genese des Affekts beschränkt, der zur Tat geführt hat (BGHSt 35, 143, 145).<br />

16


Frühere Verhaltensweisen des Täters können bei der Frage der Voraussehbarkeit nur herangezogen werden, wenn sie<br />

in Ausmaß und Intensität mit der ihm jetzt vorgeworfenen Straftat vergleichbar sind (BGHSt 35, 143, 146).<br />

Dies ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht: Das Landgericht gibt die Einschätzung des psychiatrischen<br />

Sachverständigen wieder, auf Grund der Besonderheiten in der Persönlichkeit sei es für den Angeklagten im Verlauf<br />

des sich aufbauenden Affekts schwer gewesen, sich selbst einzuschätzen und einen Affektdurchbruch vorherzusehen<br />

(UA 42). Durch jede noch so kleine vor der Tat erfolgte Zurückweisung könne er affektiv massiv überfordert gewesen<br />

sein (UA 39). Der Tatrichter hat weiter festgestellt, der Angeklagte habe sich bereits mehr als eine Woche vor<br />

der Tat "wie in einem Tunnel" gefühlt, seine Gedanken hätten nur um "dieses eine Thema" gekreist (UA 17), ohne<br />

darzulegen, was er darunter versteht. Stattdessen hat er diese Wertung auf die für unwiderlegt erachteten Angaben<br />

des Angeklagten gestützt. Die Beschränkung der Verschuldensprüfung auf die Genese des Affekts beachtet das<br />

Schwurgericht - wie es selbst wiederholt betont (UA 42) - nicht. Seine Annahme, der Angeklagte habe den Affektaufbau<br />

verhindern können und die Folgen des Affektdurchbruchs seien für ihn vorhersehbar gewesen, ist daher nicht<br />

ausreichend belegt.<br />

3. Da das Landgericht in Bezug auf die Straftat <strong>zum</strong> Nachteil des Zeugen P. ebenfalls von einem Affekt des Angeklagten<br />

ausgegangen ist (UA 43), war auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1<br />

Nr. 2 StGB) aufzuheben.<br />

4. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch genauer als dies bisher geschehen ist der Frage nachzugehen haben,<br />

zu welchem Zeitpunkt sich der Angeklagte entschloss, seine frühere Freundin zu töten. Das Schwurgericht vermochte<br />

nicht festzustellen, dass der Angeklagte bereits Tötungsvorsatz hatte, als er S. H. auf dem Weg zu ihrem<br />

neuen Freund hinterherfuhr. Gleichzeitig führt es aber aus, dem Angeklagten sei, als er das Messer eingesteckt habe,<br />

jedenfalls bewusst gewesen, dass er unter Umständen ein Blutbad anrichten und nicht nur sich selbst, sondern auch<br />

seine frühere Freundin schädigen könnte (UA 20). In der Beweiswürdigung heißt es weiter, der Angeklagte habe<br />

schon vor der Tat Gedanken entwickelt, S. H. zu töten, "sollte er sie nicht für sich zurückgewinnen können"<br />

(UA 34). Diesen wenig präzisen Ausführungen kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden,<br />

ob der Angeklagte sich bereits vor der Tat für den Fall, dass seine frühere Freundin nicht zu ihm zurückkehren<br />

werde, fest zu deren Tötung entschlossen hatte. Dem Zeitpunkt des Tötungsentschlusses kann aber namentlich dann<br />

Bedeutung zukommen, wenn der Angeklagte erst nach Beginn der Tatausführung (§ 22 StGB) in den seine Schuldfähigkeit<br />

beeinträchtigenden oder ausschließenden Affekt geraten sein sollte (vgl. Fischer aaO § 20 Rdn. 48 m.w.N.<br />

auch zu Fällen eingeschränkter Schuldfähigkeit).<br />

StGB § 030 Abs. 2 Anstiftung zu § 30<br />

BGH; Urt. v. 04.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 165/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1221<br />

LS: Für die Einordnung der gemäß § 30 StGB beabsichtigten Tat als Verbrechen oder Vergehen<br />

kommt es auch in Fällen des Sich-Bereiterklärens zur Anstiftung gemäß § 30 Abs. 2 StGB nicht auf<br />

die Person des Anstifters, sondern auf die des Anzustiftenden an (im Anschluss an BGHSt 6, 308).<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 2007 wird mit<br />

der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte schuldig ist, sich zur Anstiftung <strong>zum</strong> gewerbsmäßigen Bandenbetrug<br />

bereit erklärt zu haben.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verabredung <strong>zum</strong> gewerbs- und bandenmäßigen Betrug zu einer Geldstrafe<br />

von 120 Tagessätzen zu je 70 € verurteilt.<br />

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sein<br />

Rechtsmittel führt zu einer Schuldspruchänderung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I.<br />

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der gesondert Verurteilte L. verfolgte gemeinsam mit unbekannt gebliebenen Hintermännern in Asien den Plan,<br />

Spiele deutscher Fußballvereine gezielt zu manipulieren, um seine Erfolgschancen beim Abschluss von Wetten auf<br />

diese Spiele bei Buchmachern in Asien zu verbessern und sich hierdurch eine Einnahmequelle von einigem Umfang<br />

und einiger Dauer zu erschließen. Zur Anwerbung von Spielern dieser Vereine, denen für ihre Beteiligung jeweils<br />

17


vier- bis fünfstellige Geldbeträge pro Spiel angeboten wurden, bediente sich L. neben dem gesondert Verfolgten A.<br />

auch des gesondert Verurteilten G. , den er für diese Tätigkeit bezahlte (UA S. 47).<br />

Im Auftrag L. s versuchte G. am 23. Februar 2006, die beiden Spieler Ga. und Ak. des damaligen<br />

Regionalligisten S. K. für eine Beteiligung am Tatplan zu gewinnen, die mit der Manipulation eines<br />

bevorstehenden Spiels ihres Vereins gegen den V. A. beginnen sollte. Für den Fall, dass die Spieler auf dieses<br />

Ansinnen nicht eingehen sollten, sollte der Angeklagte, der selbst Berufsfußballspieler ist und Ga. aus einer früheren<br />

gemeinsamen Zeit bei einem anderen Fußballverein kannte, mit diesem sprechen. L. , G. und der Angeklagte<br />

versprachen sich davon, so das Vertrauen Ga. s , der G. zuvor nicht kannte, eher gewinnen und ihn<br />

zu einer Beteiligung am Tatplan bewegen zu können.<br />

Als G. s Bemühungen trotz des Angebots einer Zahlung von je 3.000 € an jeden der beiden Spieler tatsächlich<br />

erfolglos blieben, führte er einen Kontakt zwischen Ga. und dem Angeklagten über sein Mobiltelefon herbei.<br />

Nach einem kurzen Gespräch, bei dem der Angeklagte nicht bereits auf den Tatplan einging, verabredete er mit Ga.<br />

ein weiteres, längeres Telefonat am gleichen Abend. Als der Angeklagte Ga. am Abend anrief, nahm dieser<br />

jedoch den Anruf nicht an, weil ihm der Zusammenhang mit dem unlauteren Angebot G. s klar war. Auch<br />

weitere Kontaktversuche des Angeklagten in den nächsten Tagen über Telefon oder SMS blieben erfolglos, weil Ga.<br />

sich nicht bei ihm zurückmeldete. Der Angeklagte berichtete dies am 27. Februar telefonisch L. und stellte diesem<br />

in Aussicht, Ga. bei einem für 3 Wochen darauf angesetzten Spiel seines eigenen Vereins gegen die S. K.<br />

persönlich anzusprechen. Dazu kam es aber in der Folge nicht mehr, nachdem L. und G. am 6. März 2006<br />

festgenommen worden waren.<br />

Der Angeklagte wusste um die Absicht L. s, die Spielweise der beiden Spieler manipulativ zu beeinflussen und auf<br />

derart beeinflusste Spiele der S. K. zu wetten. Nicht feststellen konnte das Landgericht, dass der Angeklagte<br />

beabsichtigte, selbst ebenfalls auf ein solches Spiel zu wetten.<br />

II.<br />

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen Verabredung <strong>zum</strong> gewerbs- und bandenmäßigen<br />

Betrug gemäß § 30 Abs. 2 Alt. 3 i. V. m. § 263 Abs. 5 StGB nicht. Denn eine Strafbarkeit nach dieser Tatbestandsalternative<br />

des § 30 Abs. 2 StGB setzt die vom ernstlichen Willen getragene Einigung mehrerer Personen<br />

voraus, an der Verwirklichung eines bestimmten Verbrechens mittäterschaftlich, also nicht nur als Gehilfen, mitzuwirken<br />

(BGH NStZ 1988, 406; 1993, 137, 138; NStZ-RR 2002, 74, 75; Fischer StGB 56. Aufl. § 30 Rn. 12 m. w.<br />

Nachw.). Die rechtliche Bewertung des Landgerichts, nach der Vorstellung des Angeklagten habe die beabsichtigte<br />

Betrugstat „unter seiner maßgeblichen Mitwirkung“ begangen werden sollen (UA S. 164), ist aber durch die Feststellungen<br />

nicht belegt, die konkrete Anhaltspunkte für eine eigene Tatherrschaft des Angeklagten oder ein eigenes<br />

Interesse an der Tatausführung nicht aufzeigen.<br />

2. Der Angeklagte hatte bei dem Telefonat am 23. Februar 2006, das erst zur Anbahnung eines späteren längeren<br />

Gesprächs mit Ga. dienen sollte, nicht bereits zu dem Versuch einer Anstiftung <strong>zum</strong> gewerbsmäßigen Bandenbetrug<br />

im Sinne des § 30 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB unmittelbar angesetzt. Ob dies für seine späteren Versuche einer<br />

Kontaktaufnahme mit Ga. anders zu beurteilen ist, kann offenbleiben, weil die tatsächlichen Feststellungen des<br />

Landgerichts jedenfalls die rechtliche Bewertung tragen, dass der Angeklagte sich gegenüber L. bereit erklärt<br />

hatte, Ga. zu einem solchen Verbrechen anzustiften (§ 30 Abs. 2 Alt. 1 StGB).<br />

a) Entgegen der Auffassung der Revision sind die vom Landgericht in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen<br />

zur Frage einer vorherigen persönlichen Bekanntschaft des Angeklagten mit G. und zur Übergabe<br />

eines Zettels mit einer Mobiltelefonnummer des Angeklagten von L. an G. nicht widersprüchlich. Denn G.<br />

konnte den Angeklagten durchaus bereits persönlich kennen gelernt haben, ohne dabei dessen Telefonnummer erfahren<br />

zu haben; ohnehin kam es für das Bestehen einer Bandenabrede und die Kenntnis des Angeklagten hiervon nicht<br />

darauf an, ob der Angeklagte neben L. auch G. persönlich kannte oder – was nach den Feststellungen<br />

jedenfalls der Fall war – nur von dessen Tatbeteiligung wusste, ohne ihn zu kennen (vgl. BGHSt 50, 160, 164 f.).<br />

b) Zwar hat das Landgericht, wie der Generalbundesanwalt zu Recht aufgezeigt hat, keine Feststellungen <strong>zum</strong> Vorliegen<br />

des Qualifikationsmerkmals der Gewerbsmäßigkeit des beabsichtigten Bandenbetrugs gemäß § 263 Abs. 5<br />

StGB beim Angeklagten selbst getroffen. Jedoch stellt das Fehlen solcher Feststellungen den Schuldspruch wegen<br />

Sich-Bereiterklärens zur Anstiftung <strong>zum</strong> gewerbsmäßigen Bandenbetrug nicht in Frage. Denn dass Ga. nach der<br />

Vorstellung des Angeklagten an der Ausführung des Tatplans als Bandenmitglied in gewerbsmäßiger Weise hätte<br />

mitwirken sollen, wird durch die Feststellungen des Landgerichts belegt. Für die rechtliche Einordnung der beabsichtigten<br />

Tat als Vergehen oder Verbrechen kommt es aber nicht nur für die vollendete, sondern auch für die im Sinne<br />

des § 30 StGB in Aussicht genommene Anstiftung nicht auf die Person des Anstifters, sondern auf diejenige des<br />

Anzustiftenden an. Fehlt dem Anstifter selbst das strafschärfende besondere persönliche Merkmal, das nach seiner<br />

18


Kenntnis bei der von ihm anzustiftenden Person vorliegen würde, so führt dies nicht <strong>zum</strong> Entfallen der rechtlichen<br />

Bewertung der Tat als Verbrechen. Rechtsfolge ist vielmehr die Bestrafung dessen, der sich zur Anstiftung bereit<br />

erklärt hat, aus dem Strafrahmen des Grund- an Stelle desjenigen des Qualifikationstatbestandes.<br />

Von diesen durch BGHSt 6, 308, 309 ff. zu § 49a StGB a.F. entwickelten Grundsätzen (vgl. auch BGHSt 4, 17, 18;<br />

14, 353, 355 f.) abzurücken, besteht auch für die Nachfolgeregelung des § 30 StGB in der Fassung des Art. 1 Nr. 1<br />

des 2. StrRG vom 4. Juli 1969 (BGBl. I 313) keine Veranlassung. Für sie spricht vor allem auch der Wortlaut und<br />

der Strafgrund des § 30 StGB, der nicht gefährliche Täter, sondern besonders gefährliche Taten erfassen soll (so auch<br />

Hoyer in SK-StGB § 30 Rn. 21; Frister Strafrecht AT 3. Aufl. S. 414 f.; Jescheck/Weigend Lehrbuch des Strafrechts<br />

5. Aufl. § 65 I 4; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT I 5. Aufl. § 12 Rn. 173; i. E. ähnlich mit differenzierender Begründung<br />

Roxin in LK 11. Aufl. § 30 Rn. 40 ff.; ders. Strafrecht AT II § 28 Rn. 26 ff.; zur Gegenauffassung vgl. u.a.<br />

Fischer aaO Rn. 5 f.; Cramer/Heine in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 30 Rn. 14; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl.<br />

§ 30 Rn. 2, Joecks in MünchKomm-StGB § 30 Rn. 18, Zaczyk in NK-StGB 2. Aufl. § 30 Rn. 29; Maurach/Gössel/Zipf<br />

Strafrecht AT Bd. 2, 7. Aufl. § 53 Rn. 29; Jakobs Strafrecht AT 2. Aufl. 27. Abschn. Rn. 6 jew. m.<br />

w. Nachw.).<br />

c) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da ausgeschlossen<br />

werden kann, dass der Angeklagte sich anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.<br />

3. Auf dem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch jedoch nicht. Denn das Landgericht ist bereits ohne Heranziehung<br />

des vertypten Strafmilderungsgrundes aus § 30 Abs. 1 S. 2 StGB zur Anwendung des Strafrahmens für den minder<br />

schweren Fall des § 263 Abs. 5 StGB gelangt und hat diesen gemäß § 30 Abs. 1 S. 2, § 49 Abs. 1 StGB nochmals<br />

gemildert, so dass sich ein Strafrahmen ergab, der Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu 3 Jahren und 9 Monaten<br />

vorsah. Bei zutreffender Anwendung des Strafrahmens des § 263 Abs. 1 StGB hätte das Landgericht stattdessen<br />

diesen gemäß § 30 Abs. 1 S. 2, § 49 Abs. 1 StGB zu mildern gehabt und wäre so ebenfalls zu einem Strafrahmen<br />

gelangt, der Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu 3 Jahren und 9 Monaten, daneben aber auch Geldstrafe vorgesehen<br />

hätte. Da das Landgericht aber ohnehin unter Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB eine Geldstrafe gegen den Angeklagten<br />

verhängt hat, hat sich der Rechtsfehler auf seine Straf<strong>zum</strong>essung nicht ausgewirkt.<br />

StGB § 046 Drei Stufen der Straf<strong>zum</strong>essung – Begründungsanforderungen für Gesamtstrafe<br />

BGH, Beschl. v. 27.08.2008 – 1 StR 431/08 -<br />

Hat die Strafkammer jeweils unter Darlegung der tragenden Gesichtspunkte zunächst den Strafrahmen<br />

bestimmt [Verneinung minder schwerer Fälle] und dann die Einzelstrafen festgesetzt, dann<br />

genügt es im Regelfall, wenn die Strafkammer bei der dritten Stufe der Straf<strong>zum</strong>essung, der Gesamtstrafenbildung,<br />

in den schriftlichen Urteilsgründen hinsichtlich der dann gemäß § 54 Abs. 1<br />

Satz 3 StGB gebotenen zusammenfassenden Würdigung auf die bereits vorher umfassend dargestellten,<br />

die Straf<strong>zum</strong>essung bestimmenden Aspekte der Taten und in der Person des Angeklagten<br />

Bezug nimmt.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. März 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Die Strafkammer hat die Bildung der Gesamtstrafe - aus Einzelstrafen in Höhe von zweimal fünf Jahren und drei<br />

Monaten und einmal vier Jahren und drei Monaten - nur kurz wie folgt begründet: "Unter nochmaliger Abwägung<br />

aller für und gegen den Angeklagten E. sprechenden Umständen erschien der Kammer eine aus den vorgenannten<br />

Einzelstrafen zu bildende Gesamtstrafe von acht Jahren und neun Monaten tat- und schuldangemessen".<br />

Dies ist rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer hat jeweils unter Darlegung der tragenden Gesichtspunkte zunächst den<br />

Strafrahmen bestimmt (Verneinung minder schwerer Fälle) und dann die Einzelstrafen festgesetzt. Dann genügt es<br />

im Regelfall, wenn die Strafkammer bei der dritten Stufe der Straf<strong>zum</strong>essung, der Gesamtstrafenbildung, in den<br />

schriftlichen Urteilsgründen hinsichtlich der dann gemäß § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB gebotenen zusammenfassenden<br />

Würdigung auf die bereits vorher umfassend dargestellten, die Straf<strong>zum</strong>essung bestimmenden Aspekte der Taten und<br />

19


in der Person des Angeklagten Bezug nimmt. Urteilsgründe sollen sich auch in den Darlegungen zur Straf<strong>zum</strong>essung<br />

auf das Wesentliche (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO - für die Straf<strong>zum</strong>essung bestimmende Umstände -) beschränken.<br />

Unnötige Wiederholungen sind zu vermeiden.<br />

StGB § 046; StPO § 267 III 1 Begründungsanforderungen an (hohe) Gesamtstrafe<br />

BGH, Beschl. v. 13.11.2008 – 3 StR 485/08<br />

Eine eingehende Begründung der Gesamtstrafe ist erforderlich, wenn die Gesamtstrafe der oberen<br />

Grenze des Zulässigen nahekommt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 3. Juli 2008 im Ausspruch über die<br />

Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch werden die Feststellungen aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier<br />

Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des<br />

Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des<br />

§ 349 Abs. 2 StPO.<br />

Der Schuldspruch und die Einzelstrafaussprüche des angefochtenen Urteils weisen keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten auf. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hält dagegen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das<br />

Landgericht hat auf Einzelstrafen von drei und zwei Jahren erkannt und hieraus ohne weitere Ausführungen "in Anwendung<br />

der in den §§ 53, 54 StGB enthaltenen Grundsätze eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs<br />

Monaten gebildet".<br />

Erforderlich ist bei der Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger Zumessungsakt (BGHSt 24,<br />

268; vgl. Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 54 Rdn. 10); daran fehlt es hier. Eine eingehende Begründung war<br />

schon deshalb erforderlich, weil die Gesamtstrafe der oberen Grenze des Zulässigen nahekommt (vgl. Fischer, StGB<br />

55. Aufl. § 54 Rdn. 11). Die Strafkammer hat zudem nicht erkennbar bedacht, dass die Erhöhung der Einsatzstrafe in<br />

der Regel niedriger auszufallen hat, wenn - wie im vorliegenden Fall - zwischen den beiden gegen dasselbe Opfer<br />

gerichteten gleichartigen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht (vgl. BGHR<br />

StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 1).<br />

Die Gesamtstrafe muss daher erneut zugemessen werden. Die Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, weil<br />

lediglich ein Wertungsfehler vorliegt. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie zu den bisher getroffenen<br />

nicht in Widerspruch stehen.<br />

StGB § 046a, §266, § 299 Korruption bei Messegesellschaft Frankfurt “Luftrechnungen”, Konkurrenzfragen<br />

BGH, Urt. v. 11.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 339/08 – StV <strong>2009</strong>, 405<br />

Auch ein Teilschadensausgleich von weniger als der Hälfte des Gesamtschadens kann zur Erfüllung<br />

der Voraussetzungen des § 46 a Nr. 2 StGB ausreichen, wenn der Geschädigte sich mit den Teilleistungen<br />

zufrieden gibt und den Täter von der weiteren Haftung freistellt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember 2007<br />

a) in den Fällen 2 bis 39, 44 bis 76, 82 bis 103 und 105 bis 108 der Urteilsgründe und<br />

b) im gesamten Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

20


2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in 58 Fällen und wegen<br />

Untreue in 49 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt.<br />

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen<br />

Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.<br />

A. I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte war als Fachreferent in der Bauabteilung der Messe Frankfurt GmbH zuständig für die Planung,<br />

Ausführungsbetreuung und Abrechnung der Neubau-, Instandhaltungs- und Wartungsmaßnahmen in den Gewerken<br />

Heizung, Lüftung, Klima und Sanitär. Während die Aufträge der Messegesellschaft zu objektbezogenen Neu- und<br />

Umbauarbeiten jeweils im Wettbewerbsverfahren vergeben wurden, erfolgte die Beauftragung externer Unternehmen<br />

im Rahmen der Bauunterhaltung auf der Grundlage befristeter Rahmenvereinbarungen. Ein Vertragspartner<br />

einer solchen Rahmenvereinbarung war bereits seit den 1980er Jahren die G. S. H. GmbH (im Folgenden: S.<br />

GmbH).<br />

Der Angeklagte war schon vor dem hier abgeurteilten Tatzeitraum, nämlich spätestens seit 1992 in die bereits seit<br />

langen Jahren bestehenden Korruptionsstrukturen bei der Messe Frankfurt GmbH eingebunden. Er hatte seither von<br />

verschiedenen Vorteilgebern, darunter auch dem Geschäftsführer der S. GmbH, dem gesondert verurteilten N.<br />

J. Sch. , zunächst Sach-, später dann fortlaufende Geldzuwendungen erhalten.<br />

1. Der Angeklagte und N. J. Sch. vereinbarten Anfang 1997 eine prozentuale Beteiligung des Angeklagten<br />

an sämtlichen Umsätzen, die die S. GmbH mit der Messe Frankfurt erzielte; diese Beteiligung belief sich zunächst<br />

auf 3 % der Nettoumsätze und wurde später auf 4 % und schließlich auf 5 % erhöht. Gegenstand der Vereinbarung<br />

war außerdem, dass unausgeschöpfte Reserven in den dem Angeklagten zur Verfügung stehenden Jahresbudgets<br />

für sog. „Luftnummern“ genutzt wurden, bei denen der Angeklagte Aufträge an die S. GmbH fingierte,<br />

denen tatsächlich kein Bedarf seiner Arbeitgeberin zu Grunde lag und die dann <strong>zum</strong> Gegenstand von Rechnungen<br />

der S. GmbH an die Messegesellschaft über – tatsächlich nicht erbrachte – Arbeits- und Materialleistungen gemacht<br />

wurden. Den Ertrag aus diesen „Luftnummern“ teilten sich der Angeklagte und die S. GmbH im Verhältnis<br />

1 : 2.<br />

Auf Grund dieser Vereinbarung stellte der Angeklagte in der Folge der S. GmbH Scheinrechnungen auf seinen<br />

eigenen Namen, den eines Familienangehörigen oder auf ein eigens zu diesem Zweck gegründetes Unternehmen<br />

seiner Ehefrau. Die S. GmbH beglich diese Rechnungen durch Scheckzahlungen. In einzelnen Fällen bezahlte das<br />

Unternehmen auch Sachleistungen an den Angeklagten oder an dessen Familienangehörige. Spätestens kurz nach der<br />

jeweiligen Zahlung rechnete N. J. Sch. deren jeweiligen Betrag zuzüglich eines Aufschlags von 15 % als<br />

„Luftpositionen“ in Rechnungen an die Messegesellschaft ein, die der Angeklagte dort als sachlich richtig abzeichnete.<br />

Das Landgericht hat der Verurteilung 39 Zahlungen der S. GmbH an den Angeklagten (Fälle 2 bis 40 der Urteilsgründe)<br />

sowie 36 Fälle der Einrechnung in und Abzeichnung von Rechnungen an die Messegesellschaft (Fälle<br />

41 bis 76 der Urteilsgründe) im Tatzeitraum von Februar 1997 bis November 2000 zu Grunde gelegt. Der Gesamtbetrag<br />

der Zahlungen der S. GmbH, die im Tatzeitraum etwa 90 % ihrer gesamten Umsätze aus Aufträgen der<br />

Messe erzielte, belief sich auf knapp 1,5 Mio. DM, wobei der Angeklagte den letzten ihm übergebenen Scheck über<br />

185.600 DM in Folge seiner Festnahme im November 2000 nicht mehr einlösen konnte. Der Gesamtschaden der<br />

Messegesellschaft aus diesen Fällen belief sich auf gut 1,78 Mio. DM.<br />

N. J. Sch. leistete die Zahlungen, um sich den Einfluss des Angeklagten auf die Entscheidung über die<br />

turnusmäßige Verlängerung der Rahmenvereinbarung zu sichern. Der Angeklagte war zwar für die Neuvergabe von<br />

Rahmenvereinbarungen formell nicht zuständig, konnte aber insofern informell Einfluss nehmen, als die zuständige<br />

Einkaufsabteilung dazu neigte, Unternehmen zu beauftragen, die auf Grund bestehender Zusammenarbeit von dem<br />

jeweiligen Fachreferenten geschätzt und empfohlen wurden. Außerdem handelte Sch. in dem Bewusstsein, das<br />

Angebot seines Unternehmens im Rahmen der Neuvergabe günstiger kalkulieren zu können, wenn er sich das<br />

Wohlwollen des Fachreferenten bei der Rüge etwaiger Mängel erkauft hatte.<br />

2. Der Angeklagte vereinbarte auch mit dem Vertriebsleiter der Y. I. GmbH, die im Tatzeitraum für die Messegesellschaft<br />

laufend im Bereich der Klimatechnik tätig war, als Gegenleistung für die bevorzugte Vergabe von<br />

Wartungsaufträgen eine Beteiligung in Höhe von 3 % der Nettoumsätze, die dieses Unternehmen aus Aufträgen der<br />

Messe erwirtschaftete. In Erfüllung dieser Vereinbarung gewährte das Unternehmen dem Angeklagten und seiner<br />

21


Familie in den Jahren 1998 bis 2000 in vier Fällen Sachleistungen (Klimatechnik, Fernreisen) im Gegenwert von<br />

insgesamt 98.780 DM (Fälle 77 bis 80 der Urteilsgründe).<br />

3. Die W. G. GbR, die für die Messegesellschaft laufend im Bereich Heizungstechnik tätig war, erbrachte<br />

an den Angeklagten zur Sicherung der Erteilung weiterer Aufträge und zur Gewährleistung einer reibungslosen<br />

Auftragsabwicklung im September 1998 eine Sachleistung, indem sie in einer seiner Eigentumswohnungen eine<br />

Gastherme einbaute, ihm die Bezahlung der ausgestellten Rechnung über knapp 9.000 DM jedoch erließ (Fall 81 der<br />

Urteilsgründe).<br />

Später vereinbarte der Angeklagte mit Vertretern dieses Unternehmens eine Beteiligung in Höhe von 10 % der mit<br />

der Messe erzielten Nettoumsätze. In Erfüllung dieser Vereinbarung, mit der die Beteiligten den gleichen Zweck<br />

verfolgten wie mit der Sachleistung im Fall 81, zahlte das Unternehmen von August 1999 bis Oktober 2000 an den<br />

Angeklagten in 11 Fällen Bestechungsgelder in einer Gesamthöhe von 43.000 DM (Fälle 82 bis 92 der Urteilsgründe).<br />

Diese Beträge wurden zuzüglich eines Aufschlages zur Abdeckung der Steuerlast als „Luftpositionen“ in Rechnungen<br />

der G. GbR an die Messegesellschaft eingerechnet, die der Angeklagte dort als sachlich richtig abzeichnete<br />

(Fälle 93 bis 103 der Urteilsgründe). Der Gesamtschaden der Messe Frankfurt GmbH aus ihren Zahlungen<br />

auf die nicht erbrachten Leistungen belief sich auf knapp 85.000 DM.<br />

4. Die W. H. Mü. GmbH & Co. KG erbrachte in den Jahren 1998 und 1999 an den Angeklagten in zwei Fällen<br />

Sachleistungen im Gesamtwert von 12.000 DM, um auch künftig mit Aufträgen der Messe bedacht zu werden (Fälle<br />

105 und 106 der Urteilsgründe). Der Gegenwert wurde als „Luftpositionen“ in Rechnungen des Unternehmens an die<br />

Messegesellschaft eingerechnet, die der Angeklagte dort als sachlich richtig abzeichnete (Fälle 107 und 108 der<br />

Urteilsgründe).<br />

5. Mit dem Geschäftsführer der Ge. S. GmbH & Co. KG vereinbarte der Angeklagte im Jahr 2000 die<br />

Zahlung eines Bestechungsgeldes in Höhe von 20.000 DM für in Aussicht gestellte Aufträge. Bei der Übergabe des<br />

Geldes am 10. November 2000 wurde der Angeklagte festgenommen (Fall 104 der Urteilsgründe).<br />

6. Der Angeklagte gab am 7. Juni 2001 vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zu Gunsten der Messe Frankfurt GmbH ein<br />

Schuldanerkenntnis über 800.000 DM ab und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Er erfüllte die<br />

Forderung aus dem Schuldanerkenntnis durch Verwertung seines Vermögens bis <strong>zum</strong> 19. Mai 2005 vollständig. In<br />

Folge von Zahlungen der anderweit verfolgten Tatbeteiligten ist der der Messegesellschaft aus den Taten entstandene<br />

Schaden inzwischen vollständig ausgeglichen.<br />

II. Das Landgericht hat sämtliche Fälle, in denen der Angeklagte Geld- oder Sachleistungen angenommen hatte oder<br />

sich hatte versprechen lassen, jeweils als Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB gewürdigt.<br />

Das Abzeichnen der die „Luftpositionen“ enthaltenden Rechnungen hat es jeweils als Untreue gemäß § 266<br />

Abs. 1 StGB angesehen. Im Verhältnis der 58 Fälle des § 299 Abs. 1 StGB und der 49 Fälle des § 266 Abs. 1 StGB<br />

untereinander ist es von Tatmehrheit ausgegangen.<br />

B. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg. Die Verfahrensrügen sind unbegründet.<br />

I. Der Senat teilt die Bedenken der Revision gegen die Wirksamkeit der Anklageschrift in den Fällen 9 und 17 der<br />

Urteilsgründe aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen nicht.<br />

II.1. In den Fällen 2 bis 39, 44 bis 76, 82 bis 103 und 105 bis 108 der Urteilsgründe hält die konkurrenzrechtliche<br />

Beurteilung der materiellrechtlichen Überprüfung nicht stand.<br />

Das Landgericht hat auch für diese Fälle, in denen die von ihm jeweils festgestellte Einrechnung von „Luftpositionen“<br />

samt Abzeichnung der betreffenden Rechnungen durch den Angeklagten mit einer oder mehreren der festgestellten<br />

Bestechungsleistungen an ihn korrespondiert (nämlich Fälle 2 bis 39 mit Fällen 44 bis 76, Fälle 82 bis 92 mit<br />

Fällen 93 bis 103 und Fälle 105 bis 106 mit Fällen 107 bis 108), ohne nähere Begründung Tatmehrheit nach § 53<br />

Abs. 1 StGB angenommen. Dies lässt besorgen, dass es sich die Grundsätze der Konkurrenzbeurteilung in derartigen<br />

Fällen des Zusammentreffens von Bestechlichkeit und Untreue nicht hinreichend vor Augen geführt hat.<br />

Für diese Beurteilung kommt es darauf an, ob tatbestandsrelevante Handlungen der Bestechlichkeit und der Untreue<br />

in irgendeiner Phase der Tatausführung <strong>zum</strong>indest teilweise zusammenfallen. Derartige Überschneidungen mögen<br />

sich etwa in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Herbeiführung des Vermögensnachteils für den Treugeber im<br />

Sinne des § 266 Abs. 1 StGB ergeben (vgl. BGHSt 47, 22, 27 f.; BGH wistra 2004, 29, 30), worauf der Vertreter der<br />

Bundesanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat. Jedoch können tatbestandliche Ausführungshandlungen der Untreue<br />

auch schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgenommen worden sein, wenn der Täter bereits eine pflichtwidrige<br />

Handlung ausgeführt hat. Dabei liegt zwar dann, wenn der Täter anlässlich der Bestechungstat lediglich ankündigt,<br />

sich pflichtwidrig verhalten zu wollen, noch keine Verletzungshandlung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB vor. Anders<br />

ist es aber, wenn in einem solchen Gespräch bereits Einzelheiten einer späteren Manipulation konkret vereinbart<br />

22


werden. Dabei sind um so geringere Anforderungen an den Inhalt eines solchen Gesprächs zu stellen, je mehr es sich<br />

um ein unter den Beteiligten eingespieltes System handelt (vgl. BGHSt 47, 22, 27 f.) – was hier angesichts der Verabredung<br />

einer umsatzbezogenen Beteiligung des Angeklagten über einen längeren Zeitraum jedenfalls in den Fällen<br />

der Bestechung durch die S. GmbH und die G. GbR nahe liegt.<br />

Vor diesem Hintergrund kann auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts <strong>zum</strong> Inhalt der Abreden, die<br />

der Angeklagte mit dem jeweiligen Vorteilgeber bereits bei der erstmaligen Vereinbarung der Bestechungen getroffen<br />

hatte, nicht ausgeschlossen werden, dass die tatbestandlichen Ausführungshandlungen von Bestechlichkeit und<br />

Untreue in diesen Fällen <strong>zum</strong>indest teilweise zusammengetroffen sind (§ 52 Abs. 1 StGB).<br />

2. Hingegen hält der Schuldspruch wegen Untreue in den Fällen 41 bis 43 und wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen<br />

Verkehr in den Fällen 40, 77 bis 81 und 104 der Urteilsgründe der materiellrechtlichen Überprüfung stand.<br />

a) Dass das Landgericht im Zusammenhang mit der Einrechnung der Schmiergeldzahlungen vom 21. Mai, 19. August<br />

und 11. Dezember 1997 in die Rechnungen an die Messegesellschaft von je nur einer Untreuetat gemäß § 266<br />

Abs. 1 StGB ausgegangen ist, weil nicht sicher zu klären war, welche Zahlungen der S. GmbH durch eine, welche<br />

durch zwei und welche durch drei fingierte Rechnungen eingerechnet worden waren, beschwert den Angeklagten<br />

nicht.<br />

Ob die Taten des Angeklagten neben dem Untreue- auch den Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB erfüllten,<br />

lässt sich auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu den Abläufen der Rechnungsprüfung<br />

bei der Messe Frankfurt GmbH nicht abschließend beurteilen. Der Angeklagte ist aber auch durch die Nichtverurteilung<br />

unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Betruges jedenfalls nicht beschwert.<br />

b) Das Landgericht ist für die Bestechlichkeitsdelikte in den Fällen 40, 77 bis 81 und 104 zutreffend von tatmehrheitlicher<br />

Begehungsweise ausgegangen. Zwar gingen in den Fällen 77 bis 80 wohl sämtliche Leistungen der Y. I.<br />

GmbH auf die mit dem Angeklagten zuvor getroffene Vereinbarung über dessen Beteiligung an den Umsätzen mit<br />

der Messegesellschaft zurück. Jedoch verbindet die Tatbegehung in Gestalt einer solchen Unrechtsvereinbarung nur<br />

dann die späteren einzelnen Zahlungen zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit, wenn bereits die Vereinbarung<br />

selbst den zu leistenden Vorteil genau festlegt, mag er auch später in bestimmten Teilleistungen zu erbringen sein.<br />

Hängt dagegen der versprochene Vorteil von der künftigen Entwicklung ab, was insbesondere dann der Fall ist,<br />

wenn die Vorteilsgewährung – wie hier – „openend“-Charakter trägt und prozentual von Umsatzzahlen abhängt, so<br />

erfüllt die Annahme jeder einzelnen Zahlung erneut den Bestechlichkeitstatbestand (BGH BGHR StGB vor § 1 Serienstraftaten<br />

Bestechlichkeit 1 und Serienstraftaten Bestechung 1; BGHSt 47, 22, 30 m. w. Nachw.).<br />

III. Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält der materiellrechtlichen Überprüfung insgesamt nicht stand.<br />

1. Das Landgericht hat eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen einer Strafmilderung nach § 46a, § 49<br />

StGB versäumt, zu der nach seinen Feststellungen – insbesondere zu den Einkommens- und Vermögensverhältnisse<br />

des Angeklagten nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft – Anlass bestanden hätte. Zwar mag die Relation<br />

der Gesamtschadenssumme von mehr als 1,8 Mio. DM zu der vom Angeklagten erbrachten Wiedergutmachungsleistung<br />

von 800.000 DM vordergründig Zweifel daran hervorrufen, ob der Angeklagte die Geschädigte im Sinne des §<br />

46a StGB ganz oder <strong>zum</strong> überwiegenden Teil entschädigt hatte. Jedoch kann auch ein Teilschadensausgleich von<br />

weniger als der Hälfte zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB ausreichen, wenn der Geschädigte<br />

sich mit der Teilleistung zufrieden gibt und den Täter von der weitergehenden Haftung freistellt (BGH NJW 2001,<br />

2557, 2558).<br />

Die neu entscheidende Kammer wird mithin Feststellungen zu den näheren Umständen der Abgabe des Schuldanerkenntnisses<br />

durch den Angeklagten vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am 7. Juni 2001 und <strong>zum</strong> Inhalt der von der<br />

Strafkammer erwähnten weiteren Vereinbarung mit der Messegesellschaft vom 3. Dezember 2001 zu treffen haben.<br />

Auf der mangelnden Erörterung des § 46a StGB beruht der Strafausspruch, da nicht auszuschließen ist, dass der<br />

Tatrichter sich im Falle seiner Anwendung zur Zumessung niedrigerer Einzelstrafen hätte veranlasst sehen können.<br />

Dies gilt um so mehr, als für diejenigen Delikte, die das Landgericht als besonders schwere Fälle eingestuft hat, eine<br />

Berücksichtigung dieses vertypten Milderungsgrundes auch im Wege eines Absehens von der Regelwirkung der<br />

Gewerbsmäßigkeit möglich gewesen wäre. Die allgemeine strafmildernde Berücksichtigung der Schadenswiedergutmachung<br />

kann vor diesem Hintergrund die gebotene Prüfung der Voraussetzungen des § 46a StGB nicht ersetzen.<br />

2. Der neue Tatrichter wird eine Kompensation für eine von ihm festgestellte Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung<br />

(Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK), anders als das angefochtene Urteil, nicht mehr nach Maßgabe der sog.<br />

„Strafabschlagslösung“ (vgl. zu dieser BGH NJW 2007, 3294 f.), sondern nach den Grundsätzen der Entscheidung<br />

des Großen Senats für Strafsachen vom 17. Januar 2008 (BGHSt 52, 124 – „Vollstreckungslösung“) vorzunehmen<br />

haben. Wegen der Frage der Reichweite des Verschlechterungsverbots in derartigen Fallkonstellationen verweist der<br />

23


Senat auf seine Beschlüsse vom 5. März 2008 – 2 StR 54/08 – (StraFo 2008, 251) und vom 23. Juli 2008 – 2 StR<br />

283/08 – (m. w. Nachw.).<br />

IV. Eines näheren Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es, soweit sie die vom Landgericht gewährte Kompensation<br />

für die Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung betreffen, angesichts der Aufhebung des Strafausspruches<br />

auf die Sachrüge nicht. Dasselbe gilt angesichts der Teilaufhebung im Schuldspruch für die Aufklärungsrüge<br />

betreffend die Schadenshöhe und -verteilung in den Fällen 2 bis 76 der Urteilsgründe (Komplex „S.<br />

GmbH“). Der Senat merkt insofern lediglich Folgendes an: Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe<br />

im Komplex „S. GmbH“ aus dem festgestellten Gesamtbestechungsbetrag von 1.495.995,62 DM einen Gesamtschaden<br />

von nur 1.691.954,96 DM statt von 1.781.826,77 DM errechnen müssen, übersieht sie, dass Gegenstand<br />

der Verurteilung wegen Untreue auch drei Fälle waren, denen aus Gründen der Verjährung keine solchen des § 299<br />

Abs. 1 StGB gegenüberstanden (Fälle 41 bis 43 der Urteilsgründe) und deren Schadensbeträge die Kammer zutreffend<br />

dem Gesamtschaden hinzuaddiert hat. Allerdings weist die Angabe des Gesamtbestechungsbetrages auf S. 10<br />

UA mit 1.495.955,62 DM einen Übertragungsfehler auf; die Differenz von 40 DM ist aber wirtschaftlich belanglos<br />

und beschwert zudem den Angeklagten nicht.<br />

Im Übrigen bleibt den Verfahrensrügen der Erfolg versagt.<br />

1. Die Besetzungsrüge greift nicht durch. Das Landgericht konnte zur Zeit seiner Besetzungsentscheidung nach § 76<br />

Abs. 2 S. 1 GVG angesichts der wiederholten geständigen Einlassungen der – seinerzeit noch zwei – Angeklagten im<br />

Ermittlungsverfahren und ihrer Leistungen zur Schadenswiedergutmachung von einer deutlichen Vereinfachung der<br />

Sachverhaltsaufklärung ausgehen. Zudem handelte es sich bei den angeklagten Straftaten um im wesentlich gleichartige<br />

Delikte <strong>zum</strong> Nachteil derselben Geschädigten. Unter diesen Umständen überschritt die Strafkammer mit der<br />

Anordnung einer Zweierbesetzung die Grenzen des ihr eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums nicht (vgl.<br />

BGHSt 44, 328, 333 f.; BGH NJW 2003, 3644, 3645).<br />

2. Die Ablehnung des Aussetzungsantrages vom 6. November 2007 stellte keine unzulässige Beschränkung der Verteidigung<br />

im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO dar. Auch wenn das Landgericht in seinem Beschluss vom 22. November<br />

2007 nicht angekündigt hatte, ob es im Falle der Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im<br />

Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK eine Kompensation nach Maßgabe des Strafabschlagsmodells oder des Vollstreckungsmodells<br />

vornehmen würde, so lagen die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage und die Argumente zu ihrer<br />

Beantwortung in der einen oder anderen Richtung mit dem Vorlagebeschluss des 3. Strafsenats vom 23. August 2007<br />

(NJW 2007, 3294) doch offen zutage. Dass der Tatrichter für sich in Anspruch nahm, eine offene und durch die<br />

obergerichtliche Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage selbst zu beantworten, hinderte die<br />

Verteidigung mithin nicht, sich auf die Rechtslage einzurichten und gezielt in die gewünschte Richtung zu argumentieren.<br />

StGB § 051 IV 2 Auslieferungshaft Russland Anrechnungsfaktor<br />

BGH, Beschl. v. 07.01.<strong>2009</strong> – 5 StR 490/08<br />

Die in der russischen Förderation erlittene Auslieferungshaft wird im Verhältnis 1 : 1,5 angerechnet.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Januar <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. April 2008 wird nach § 349 Abs. 2<br />

StPO mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die in der Russischen Föderation erlittene Auslieferungshaft<br />

im Verhältnis 1:1,5 angerechnet wird.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Die Urteilsformel bedarf der Ergänzung hinsichtlich der Anrechnung und des Anrechnungsmaßstabs der in der Russischen<br />

Föderation vom 20. Januar bis 5. November 2007 erlittenen Auslieferungshaft. Der Senat hält es nicht für<br />

geboten, die Sache zur Nachholung der Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB zurückzuverweisen, sondern<br />

bestimmt den Maßstab selbst. In seiner Antragsschrift vom 26. November 2008 hat der Generalbundesanwalt eine<br />

Anrechnung der in der Russischen Föderation erlittenen Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 beantragt. Dem hat der<br />

Angeklagte nicht widersprochen. Gleichwohl geht der Senat zu seinen Gunsten von einem Anrechnungsmaßstab von<br />

24


1:1,5 aus. Eine noch günstigere Anrechnung hält er für ausgeschlossen. Der Angeklagte ist Weißrusse und hat sich<br />

in Deutschland lediglich zeitweise aufgehalten; die Auslieferungshaft wurde in einem seiner Heimat <strong>zum</strong>indest ähnlichen<br />

Kulturkreis vollzogen.<br />

StGB § 056 Abs. 2 Besondere Umstände Begründungserfordernis Sozialprognose<br />

BGH, Beschl. v. 30.04.<strong>2009</strong> – 2 StR 112/09<br />

Es ist bereits im Ansatz rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu<br />

verneinen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose<br />

nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15. Dezember 2008 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

von Schutzbefohlenen in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Seine auf die<br />

Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung, soweit ihm eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden<br />

ist; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat ausgeführt, dass es bereits an besonderen Umständen nach § 56 Abs. 2 StGB fehle. Dem<br />

Angeklagten sei lediglich zugute zu halten, dass er sich etwa viereinhalb Monate in Untersuchungshaft befunden<br />

habe. Ein Geständnis oder sonstige erhebliche Milderungsgründe hätten nicht vorgelegen. Dies reiche nicht aus, "um<br />

dem Angeklagten ausnahmsweise doch die Rechtswohltat der Bewährung zukommen zu lassen". Dass er durch die<br />

erlittene Untersuchungshaft bereits erheblich beeindruckt worden sei, habe die Kammer während der Hauptverhandlung<br />

nicht feststellen können.<br />

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Es ist bereits im Ansatz rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu verneinen, ohne<br />

sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen<br />

ist. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach Absatz 2 zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die<br />

schon für die Prognose nach Absatz 1 relevant sind (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 375 f.; StV 2003, 670), wie auch<br />

umgekehrt besondere Umstände im Sinne des Absatz 2 für die Prognose nach Absatz 1 von Belang sein können (vgl.<br />

BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 31). Die Annahme einer Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens<br />

lag nach den Feststellungen auch nicht von vorneherein fern. Der Angeklagte ist lediglich geringfügig und nicht<br />

einschlägig wegen Beleidigungen, einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung und eines Diebstahls geringwertiger<br />

Sachen vorbestraft, die abgeurteilten Straftaten liegen einige Jahre zurück und die Verfahrensdauer war unangemessen<br />

lang (nähere Ausführungen dazu unter 2. c). Außerdem übt der Angeklagte eine Arbeitstätigkeit als Gas- und<br />

Wasserinstallateur aus und ist inzwischen von seinen Kindern getrennt.<br />

b) Darüber hinaus hat die Strafkammer zu hohe Anforderungen an das Vorliegen besonderer Umstände nach § 56<br />

Abs. 2 StGB gestellt. Es genügt, dass Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, die eine Strafaussetzung<br />

trotz des erheblichen Unrechtsgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als<br />

den vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGHSt 29, 370, 371; BGH NStZ<br />

1986, 27 m.w.N.). Dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verleihen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB<br />

entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 1).<br />

c) Schließlich bleiben in der Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des<br />

§ 56 Abs. 2 StGB verneint hat, mildernde Umstände unerörtert. Die Kammer hat nicht berücksichtigt, dass die Taten<br />

vergleichsweise lange zurückliegen (vgl. StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 13). Außerdem wurde das Strafverfahren<br />

nach den Urteilsfeststellungen nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben. Die Missbrauchsvorwürfe<br />

wurden gegenüber den Ermittlungsbehörden erstmals am 6. November 2006 erhoben. Die ermittlungsrichterliche<br />

25


Vernehmung des geschädigten Kindes erfolgte am 16. Mai 2007, seine kinderpsychiatrische Exploration fand am 4.<br />

April 2008 statt. Die Hauptverhandlung wurde erst am 8. Dezember und 15. Dezember 2008 durchgeführt. Diese<br />

unangemessen lange Verfahrensdauer hätte in die gebotene Gesamtbetrachtung (BGHSt 29, 370, 372) zu Gunsten<br />

des Angeklagten einbezogen werden müssen.<br />

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrun-delegung des zutreffenden Prüfungsmaßstabes<br />

sowie der außer Betracht gelassenen Milderungsgründe die verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt hätte. Der<br />

Strafausspruch kann dagegen bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass die Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

noch milder ausgefallen wären, wenn die Strafkammer die angesprochenen Umstände berücksichtigt<br />

hätte. Der Senat weist für die neue Verhandlung darauf hin, dass besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2<br />

StGB nicht mit der Begründung abgelehnt werden dürfen, der Angeklagte habe die Tat bestritten (vgl. BGH, Beschl.<br />

vom 7. Februar 2007 - 2 StR 17/07).<br />

StGB § 063 Unterbringung nur zulässig bei Gafahr erheblicher weiterer Straftaten<br />

Beschl. v. 30.09.2008 – 3 StR 384/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 47; StV <strong>2009</strong>, 128<br />

Die Unterbringung in einem psychatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende<br />

Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades<br />

besteht, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche<br />

rechtswidrige Taten begehen wird.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Mai 2008 mit den Feststellungen<br />

- mit Ausnahme derjenigen <strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben - aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung<br />

sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.<br />

1. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung<br />

nicht stand.<br />

a) Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte zwischen April 2003 und September 2006 durch<br />

jeweils selbständige Handlungen den Tatbestand des Diebstahls in vier Fällen (II 1., 3., 6., 8.), der Beförderungserschleichung<br />

in vier Fällen (II 5.), der Sachbeschädigung (II 7.), des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in<br />

zwei Fällen (II 2., 10.), der vorsätzlichen Körperverletzung (II 4.) sowie der Bedrohung (II 9.) rechtswidrig verwirklichte,<br />

weist dies keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Auch begegnet das Urteil keinen rechtlichen<br />

Bedenken, soweit sich das sachverständig beratene Landgericht die Überzeugung verschafft hat, dass der Angeklagte<br />

bereits seit der ersten Jahreshälfte 2003 an einer akuten paranoid-halluzinativen Psychose leidet, die sich<br />

zwischenzeitlich chronifiziert und bei dem Angeklagten zu akustischen Halluzinationen, einem Bedrohungserleben<br />

und verhaltenssteuernden Wahnvorstellungen geführt hat. Die Strafkammer hat bei den Taten II 1. und 3. bis 10. die<br />

Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen vermocht; jedenfalls aber eine erheblich<br />

verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB bejaht; positiv festgestellt hat sie das Vorliegen der Voraussetzungen<br />

des § 20 StGB nur für die Tat II 2.. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen hat das Landgericht<br />

auch festgestellt, dass die Erkrankung fortbesteht und längerer konsequenter Behandlung bedarf. Dies trägt die<br />

für die Unterbringung nach § 63 StGB vorausgesetzte positive Feststellung eines länger andauernden Defekts, der<br />

bei den Taten <strong>zum</strong>indest zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt hat<br />

(st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.).<br />

b) Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die weiter vorausgesetzte<br />

Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit<br />

höheren Grades besteht, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebli-<br />

26


che rechtswidrige Taten begehen wird (Fischer, StGB 55. Aufl. § 63 Rdn. 15 m. zahlr. w. N.). Davon ist das Landgericht<br />

zwar ausgegangen. Es stützt sich dabei auf die Ausführungen der Sachverständigen. Aufgrund des krankheitsbedingten<br />

chronifizierten Wahn- und Bedrohungserlebens werte der Angeklagte alltägliche Lebenssituationen als<br />

bedrohlich und reagiere darauf in völlig inadäquater Weise. Insbesondere die akustischen Halluzinationen mit Handlungsaufforderungen,<br />

die aufgrund ihrer jetzigen Intensität trotz hoher Medikation jedenfalls auch seit 2003 vorgelegen<br />

hätten, verstärkten die krankheitsbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten.<br />

Indes hat die Strafkammer nicht hinreichend bedacht, dass in den Fällen, in denen der Täter trotz bestehenden Defekts<br />

über einen langen Zeitraum keine Straftaten begangen hat, dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit<br />

künftiger gefährlicher Straftaten sein kann (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27); denn sie hat das prognoserelevante<br />

Verhalten des Angeklagten in dem der Hauptverhandlung vorausgegangenen Zeitraum ab Februar<br />

2004 nicht in dem gebotenen Umfang bei der Gefährlichkeitsprognose berücksichtigt. Zwar verkennt das Landgericht<br />

nicht, dass sich der Angeklagte in der Zeit zwischen Februar 2004 und Januar 2006 beanstandungsfrei gehalten<br />

hat. Nicht berücksichtigt hat es aber in diesem Zusammenhang die beanstandungsfreie Zeit seit Begehung der letzten<br />

Tat vom 30. September 2006, so dass es an einer gesamtwürdigenden Auseinandersetzung mit dem Verhalten des<br />

Angeklagten in dem für die Gefährlichkeitsprognose besonders aussagekräftigen Zeitraum von über zehn Monaten<br />

vor dem Beginn der Hauptverhandlung fehlt. Eine eingehende Erörterung namentlich auch des Verhaltens des Angeklagten<br />

nach der letzten Tatbegehung war hier insbesondere deshalb geboten, weil seine Taten überwiegend dem<br />

Bereich der Kleinkriminalität und allenfalls in den Fällen II 4. und 9. dem Bereich mittelschwerer Kriminalität zuzuordnen<br />

sind (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16).<br />

2. Über die Unterbringungsanordnung ist deshalb neu zu befinden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen<br />

<strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen<br />

bleiben (§ 349 Abs. 2, § 353 Abs. 2 StPO). Dies schließt ergänzende Feststellungen, die zu den bisher getroffenen<br />

nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.<br />

StGB § 063, § 67b Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung<br />

BGH, Urt. v. 11.12.2008 – 3 StR 469/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 260<br />

Für die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

ist es unerheblich, ob die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit<br />

durch eine konsequente medizinische Behandlung abgewendet werden kann. Auch die Überwachung<br />

der Medikation oder die Bestellung eines Betreuers, eines Bewährungshelfers sowie die Erteilung<br />

von Bewährungsauflagen und -weisungen, die ohnehin allein die Aussetzung der Vollstreckung<br />

der verhängten Freiheitsstrafe betreffen, sind insoweit ohne Belang. Solche "täterschonenden" Mittel<br />

und Maßnahmen erlangen vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung<br />

gem. § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 24. Juli 2008 mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus abgelehnt worden ist.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung, Bedrohung und Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung<br />

zur Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Anordnung<br />

der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat es abgelehnt.<br />

Gegen die Nichtanordnung der Maßregel richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.<br />

Das wirksam beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

Das sachverständig beratene Landgericht hat von der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus abgesehen, da durch die für die Freiheitsstrafe erteilten Bewährungsauflagen und -weisungen (überwachte<br />

ambulante medikamentöse Behandlung der schizoaffektiven Psychose) ein "sicheres anderes Abwehrmittel"<br />

die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitige und die Verhängung der Maßregel unnötig mache. In einem der-<br />

27


artigen Fall lasse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schon die Verhängung der Maßregel nicht zu; hingegen<br />

komme nicht etwa als "milderes Mittel" deren Anordnung bei gleichzeitiger Aussetzung (auch) des Vollzugs der<br />

Maßregel zur Bewährung in Betracht. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

Entgegen der Auffassung der Strafkammer wird im Falle der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit die<br />

Notwendigkeit einer Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht durch minder einschneidende Maßnahmen außerhalb des<br />

Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben. Bei den freiheitsentziehenden Maßregeln der Sicherung gilt das<br />

Subsidiaritätsprinzip allein für die Frage der Vollstreckung, nicht aber für die Frage der Anordnung (h. M.; vgl.<br />

BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28 m. w. N.; BGH, Urt. vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00; Fischer, StGB 55.<br />

Aufl. § 63 Rdn. 23 m. w. N.; aA Schöch in LK 12. Aufl. § 63 Rdn. 133 ff.).<br />

Daher ist es für die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

unerheblich, ob die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische<br />

Behandlung abgewendet werden kann. Auch die Überwachung der Medikation oder die Bestellung eines<br />

Betreuers, eines Bewährungshelfers sowie die Erteilung von Bewährungsauflagen und -weisungen, die ohnehin allein<br />

die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe betreffen, sind insoweit ohne Belang. Solche<br />

"täterschonenden" Mittel und Maßnahmen erlangen vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der<br />

Unterbringung gemäß § 67 b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. Fischer aaO § 67 b Rdn. 2 f.).<br />

Die Sache bedarf daher - unter Beachtung von § 246 a StPO - zur Frage der Maßregelanordnung neuer Verhandlung<br />

und Entscheidung.<br />

StGB § 064, § 224, § 250, § 252, StPO § 344 I Revisionsbeschränkung kann nicht Unterbringung<br />

ausnehmen.<br />

BGH, Beschl. v. 13.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 509/08<br />

Die Erklärung des Beschwerdeführers, er nehme die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt<br />

gem. § 64 StGB von der Revision aus, ist unwirksam. Die Untrennbarkeit des Maßregelausspruchs<br />

folgt schon aus § 72 StGB.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 13. Februar <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11. August 2008 im Maßregelausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls, wegen räuberischen Diebstahls,<br />

wegen Diebstahls mit Waffen, wegen Diebstahls in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch,<br />

wegen versuchten Betrugs, wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Bedrohung in drei Fällen, wegen<br />

Beleidigung in drei Fällen, wegen versuchter Nötigung und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

angeordnet.<br />

Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.<br />

Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), im Übrigen<br />

ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).<br />

2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat <strong>zum</strong> Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Beschwerdeführers ergeben.<br />

3. Im Maßregelausspruch hält das Urteil indes der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte an einer "krankheitswertigen<br />

bipolaren affektiven Störung mit gegenwärtig manischer Episode, die den Schweregrad eines psychotischen<br />

Zustandes aufweist", leide. Die zu den Tatzeitpunkten bei dem Angeklagten vorherrschende Störung führe "zu<br />

einer erheblichen Verminderung seiner Einsichtsfähigkeit. Insbesondere die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht<br />

28


seiner Taten einzusehen, (sei) durch die krankheitswertige Euphorie bei gleichzeitig psychotischer Wahrnehmung<br />

und Größenphantasien erheblich vermindert."<br />

b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Auffassung vertritt, mit der Feststellung einer<br />

erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit sei bereits § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung<br />

der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich indes erst<br />

dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (st. Rspr.; vgl. u. a. BGH NStZ-RR 2004, 38;<br />

2007, 73, jeweils m.w.N.). Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht<br />

in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war -<br />

voll schuldfähig.<br />

Solange die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der Einsicht ausgelöst und dadurch zu Straftaten<br />

geführt hat, ist auch die Sicherung der Allgemeinheit durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

nicht veranlasst (vgl. u. a. BGH, Beschl. vom 12. Juli 2006 - 5 StR 215/06 m.w.N.; Senatsbeschl. vom 30. Juli 2003 -<br />

2 StR 215/03). Allein auf die Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung<br />

nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden (vgl. u. a. Senat, Beschl. vom 17. Oktober 2007 - 2 StR 462/07<br />

m.w.N.).<br />

c) Der aufgezeigte Mangel zwingt nicht zur Aufhebung des Urteils im Schuld- und Strafausspruch. Mit der sachverständig<br />

beratenen Strafkammer kann der Senat ausschließen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung<br />

der abgeurteilten Taten im Sinne des § 20 StGB vollständig aufgehoben war. Die Zubilligung erheblich verminderter<br />

Schuldfähigkeit nach § 21 StGB beschwert den Angeklagten nicht. Nicht bestehen bleiben kann jedoch -<br />

wie ausgeführt - die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus.<br />

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Erklärung des Beschwerdeführers, er nehme die<br />

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB von der Revision aus, unwirksam ist. Die Untrennbarkeit<br />

des Maßregelausspruchs folgt schon aus § 72 StGB; hier kommt hinzu, dass zu beurteilen ist, ob die abgeurteilten<br />

Taten auf die Persönlichkeitsstörung oder den Hang des Angeklagten <strong>zum</strong> Drogenkonsum zurückzuführen sind.<br />

StGB § 066 Fristberechnung der "Rückfallverjährung" 5 Jahre<br />

BGH, Beschl. v. 27.11.2008 – 3 StR 468/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 104<br />

Eine frühere Tat darf zur Begründung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB nicht<br />

herangezogen werden, wenn zwischen ihrer Begehung und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre<br />

vergangen sind. Nicht eingerechnet werden in die Frist dieser "Rückfallverjährung" allerdings diejenigen<br />

Zeiten, in denen der Täter aufgrund einer behördlichen Anordnung in einer Anstalt verwahrt<br />

wurde. Um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob - auf dieser Grundlage<br />

- die Maßregel zu Recht angeordnet wurde, muss das Tatgericht im Urteil die Tatzeiten der Vorverurteilungen<br />

sowie die zwischenzeitlichen Verwahrzeiten feststellen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 18. März 2008 im<br />

Ausspruch über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von<br />

Schutzbefohlenen, wegen versuchter schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und<br />

wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten<br />

verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Einziehungsentscheidung<br />

getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen<br />

und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg;<br />

im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

29


Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand, weil das angefochtene<br />

Urteil keine ausreichenden Feststellungen zu den formellen Voraussetzungen der Maßregel enthält.<br />

Das Landgericht, das gegen den Angeklagten wegen der am 28. Juli 2006 und 4. August 2007 begangenen Sexualstraftaten<br />

Einzelstrafen von vier Jahren und sechs Monaten sowie von zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt<br />

hat, hat festgestellt, dass der Angeklagte bereits am 12. Dezember 2000 - rechtskräftig seit diesem Tag - wegen<br />

zweier weiterer Sexualdelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden<br />

war, der Einzelstrafen von einem Jahr und zwei Monaten sowie von zwei Jahren zugrunde lagen.<br />

Eine frühere Tat darf zur Begründung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB jedoch nicht herangezogen<br />

werden, wenn zwischen ihrer Begehung und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre vergangen sind (§ 66 Abs. 4<br />

Satz 3 StGB). Nicht eingerechnet werden in die Frist dieser "Rückfallverjährung" allerdings diejenigen Zeiten, in<br />

denen der Täter aufgrund einer behördlichen Anordnung in einer Anstalt verwahrt wurde (§ 66 Abs. 4 Satz 4 StGB).<br />

Um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob - auf dieser Grundlage - die Maßregel zu Recht angeordnet<br />

wurde, muss das Tatgericht im Urteil die Tatzeiten der Vorverurteilungen sowie die zwischenzeitlichen<br />

Verwahrzeiten feststellen. Daran fehlt es. Dem Urteil ist lediglich zu entnehmen, dass sich der Angeklagte vom 13.<br />

März 2000 bis <strong>zum</strong> 20. Dezember 2002 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft befunden hat. Die Tatzeiten der im Dezember<br />

2000 abgeurteilten Delikte teilt das Landgericht dagegen nicht mit.<br />

Der Senat vermag daher nicht festzustellen, ob das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB<br />

rechtsfehlerfrei bejaht hat. Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung muss daher neu entschieden werden.<br />

Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass es sich empfiehlt, einen anderen Sachverständigen<br />

mit der Begutachtung zu beauftragen.<br />

StGB § 066 b dient nicht der nachträglichen Korrektur früherer Entscheidungen<br />

BGH, Urt. v. 22.04.<strong>2009</strong> – 2 StR 21/09<br />

Das Verfahren nach § 66 b StGB dient nicht der nachträglichen Korrektur früherer Entscheidungen,<br />

in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung - von der Staatsanwaltschaft unbeanstandet<br />

- rechtsfehlerhaft unterblieben ist.<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 13. November 2008 wird verworfen.<br />

2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die<br />

Staatskasse.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Verurteilten gemäß § 66 b StGB nachträglich die Unterbringung in der<br />

Sicherungsverwahrung anzuordnen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge.<br />

Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.<br />

I.<br />

Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:<br />

1. Der heute 38-jährige Verurteilte hat im Alter von 14 Jahren bei einem Verkehrsunfall ein schweres Schädel-<br />

HirnTrauma sowie Verletzungen an der Harnröhre erlitten. Infolge dieser Schädigungen und der deshalb erforderlich<br />

gewordenen zahlreichen Operationen ist er nicht in der Lage, vaginalen Geschlechtsverkehr auszuführen. Es gelingt<br />

ihm allerdings, eine angemessene Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse durch manuelle Stimulation bzw. mit<br />

oralen Handlungen weiblicher Partner zu erreichen. Zuletzt lebte er ausschließlich von finanziellen Zuwendungen<br />

seiner Eltern und verbrachte viel Zeit damit, mit einem Motorrad oder mit verschiedenen Pkw ziellos in der Gegend<br />

herumzufahren. Anlässlich dieser Fahrten sprach er immer wieder Frauen an. Diesen gegenüber gab er sich wahrheitswidrig<br />

als selbstständiger Fotograf aus. Dabei machte er ihnen Komplimente und schlug ihnen vor, sich von ihm<br />

für Werbekataloge fotografieren zu lassen. Fand sich eine der Angesprochenen hierzu bereit, versuchte er sie zunächst<br />

zu Nacktaufnahmen, anschließend zur Vornahme sexueller Handlungen zu überreden, was ihm in einigen<br />

Fällen auch gelang. Wenn die Frauen seine Annäherungsversuche zurückwiesen, nahm er dies zunächst ohne Weiteres<br />

hin und verfolgte sein allein angestrebtes Ziel – die Erlangung von Sexualkontakten – nicht mehr weiter.<br />

30


2. Am 23. November 1994 wurde der Verurteilte, der bis dahin mehrfach u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung<br />

und Straßenverkehrsdelikten mit Geldstrafen belegt worden war, durch das Amtsgericht Hanau wegen sexueller<br />

Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung (Tatzeit: 15. April 1993) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt,<br />

deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese Strafe wurde im Urteil des Landgerichts Hanau<br />

vom 14. Januar 1998 mit einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes<br />

(Tatzeit: Sommer 1994) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zusammengefasst, die<br />

wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde.<br />

Letztmalig wurde der Verurteilte durch das Landgericht Hanau am 25. Februar 1999 wegen Vergewaltigung in zwei<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 09. Mai 2000<br />

wurde unter Auflösung dieser Gesamtfreiheitsstrafe aus den zugrunde liegenden Einzelstrafen und der Geldstrafe aus<br />

einem Strafbefehl (40 Tagessätze zu je 30 DM) eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sieben Monaten<br />

gebildet. Diese Strafe verbüßte der Verurteilte bis <strong>zum</strong> 11. Dezember 2008. Dem Urteil vom 25. Februar 1999 lagen<br />

folgende Geschehen zu Grunde:<br />

a) Über eine Partnerschaftsanzeige gelangte der Verurteilte im August 1998 in Kontakt zu der damals 18 Jahre alten<br />

M. M. . Diese konfrontierte er zunächst anlässlich mehrerer Telefonate mit sexualbezogenen Erkundungen<br />

und Handlungsaufforderungen. Die geistig retardierte, intellektuell nicht altersgemäß entwickelte junge Frau kam<br />

diesen nach, als ihr der Verurteilte damit drohte, sie ansonsten zu Hause aufzusuchen und ihr „die Fresse zu polieren“.<br />

Anlässlich ihres ersten unmittelbaren Zusammentreffens am 29. August 1998 veranlasste der Verurteilte M.<br />

M. , zu ihm in seinen PKW zu steigen. Anschließend verbrachte er sie zu einem abgelegenen Wiesenstück.<br />

Nachdem diese sich dort auf sein Verlangen hin entkleidet hatte, führte er ihr u.a. den Stiel eines Klappspatens in<br />

Vagina und After ein und bewegte diesen dort jeweils eine geraume Zeit hin und her. Als M. M. während des<br />

gegen ihren Willen durchgeführten und für sie äußerst schmerzhaften Geschehens seinen Anweisungen nicht schnell<br />

genug nachkam, versetzte er ihr einen heftigen Schlag gegen die Brust. Anschließend urinierte der Verurteilte in den<br />

Mundraum der jungen Frau und zwang sie, den Urin zu schlucken. Danach musste sie ihn oral befriedigen und das<br />

Ejakulat herunter schlucken.<br />

b) Anlässlich seiner üblichen „Erkundungsfahrten“ sprach der Verurteilte Mitte September 1998 die damals 29 Jahre<br />

alte A. S. an. Er erklärte ihr, er sei freischaffender Fotograf für eine Agentur, die für Werbeaufnahmen<br />

weibliche Modelle suche. Die Zeugin zeigte sich interessiert und suchte den Verurteilten am 24. September 1998 in<br />

dessen Wohnung auf, nachdem dieser ihr zugesagt hatte, es ginge „keinesfalls auch um Nacktfotos“. Dort bedrohte<br />

der Verurteilte sie mit einem Messer und bedeutete ihr, sie müsse machen was er wolle, ansonsten käme sie „hier gar<br />

nicht mehr raus“. Nachdem sich die Geschädigte auf sein Geheiß bis auf die Unterwäsche entkleidet hatte, fertigte<br />

der Verurteilte mehrere Fotoaufnahmen. Anschließend warf er A. S. unvermittelt auf eine Bettcouch, wo er<br />

sie nunmehr vollständig entkleidete und zu küssen versuchte. Als sie sich dem widersetzte, schlug er ihr mehrfach<br />

mit der Hand ins Gesicht, drohte, er werde ihr „die Nase kaputt“ schlagen und steckte ihr seinen Finger mehrfach in<br />

die Scheide. Im weiteren Verlauf des Geschehens führte er der Geschädigten einen Analdildo mit gekrümmter Endung<br />

in die Scheide ein, was dieser Schmerzen bereitete. Danach befriedigte er sich selbst, wobei er in den geöffneten<br />

Mund der Geschädigten ejakulierte und diese veranlasste, das Ejakulat zu schlucken.<br />

c) Das Landgericht war im Urteil vom 25. Februar 1999 auf Grundlage der von ihm für überzeugend gehaltenen<br />

Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. S. zu der Feststellung gelangt, dass der Verurteilte bei<br />

der Begehung dieser Taten in seinem Steuerungsvermögen nicht erheblich eingeschränkt war. Als Folge des im Jahr<br />

1985 erlittenen Schädel-Hirn-Traumas sei lediglich ein leichtes Psychosyndrom verbunden mit einer leichten Distanzschwäche<br />

und geringen Kritikschwäche zurückgeblieben. Die hirnorganischen Beeinträchtigungen seien bei<br />

zusammenfassender Betrachtung nicht so gravierend, dass diese eine erhebliche Verminderung seines Steuerungsvermögens<br />

bewirkt haben könnten; ergänzende Zusatzuntersuchungen, wie etwa die Erstellung eines aktuellen Computertomogramms<br />

oder eines Elektroenzophalogramms hielt der Sachverständige nicht für veranlasst.<br />

3. Der Verurteilte hat während des Vollzugs jegliche Mitarbeit und Teilnahme an einer Behandlung verweigert.<br />

Vielmehr drehte sich sein gesamtes Leben in der JVA um sexuelle Inhalte. So verbrachte er nahezu den gesamten<br />

Tag damit, sexuell betonte Briefkontakte mit jungen Frauen zu unterhalten. Des Weiteren onanierte er dermaßen<br />

exzessiv, dass sich Mitgefangene weigerten, mit ihm die Zelle zu teilen. Auch fiel er dadurch auf, dass er weiblichen<br />

Bediensteten nachstellte.<br />

4. Mit Verfügung vom 02. Mai 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hanau, die Unterbringung<br />

des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Dies hat das Landgericht nach Anhörung<br />

zweier psychiatrischer Sachverständiger abgelehnt, weil während des Vollzugs keine neuen Tatsachen im Sinne<br />

des § 66 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB erkennbar geworden seien.<br />

31


II.<br />

Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.<br />

Mit rechtsfehlerfreier Begründung hat das Landgericht den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung<br />

in der Sicherungsverwahrung zurückgewiesen.<br />

1. Zutreffend stellt die Strafkammer auf § 66 b Abs. 2 StGB ab, dessen formelle Voraussetzungen vorliegen. Der<br />

Verurteilte wurde im Anlassverfahren wegen zweier Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Vergewaltigung)<br />

- also ausschließlich wegen Katalogtaten (vgl. BGH StV 2008, 76) - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht<br />

Jahren und sechs Monaten verurteilt.<br />

Nach umfassender Würdigung seiner Persönlichkeit, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des<br />

Strafvollzugs ist das Landgericht in Übereinstimmung mit den Sachverständigen auch zutreffend zu dem Ergebnis<br />

gelangt, dass von dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr ausgeht und er nach einer Entlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

erneut erhebliche und für die Allgemeinheit gefährliche Straftaten begehen wird. Die organisch bedingte<br />

Wesensveränderung zeigt das Bild einer Pseudopsychopathie mit Empathiedefizit, Distanzminderung, Verschiebung<br />

des Wertesystems sowie Ablehnung der Übernahme jeglicher Verantwortung, was ein hohes Risiko im<br />

Hinblick auf sexuelle Gewalthandlungen bedingt. Die nach dem Unfall entstandene Wesensveränderung lässt auf der<br />

Basis ihrer langjährigen Konsistenz keine Änderung mehr erwarten und ist bei - wie hier - fehlender Behandlungswilligkeit<br />

zudem nicht therapierbar.<br />

2. Das Vorliegen prognoserelevanter „neuer“ Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB hat das<br />

Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.<br />

a) Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass als „neu“ in diesem Sinne nur solche Tatsachen gelten<br />

können, die dem im Ausgangsverfahren zuständigen früheren Tatrichter auch bei Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht<br />

nicht hätten bekannt werden können. Umstände, die für den ersten Tatrichter hingegen erkennbar waren, die<br />

er aber nicht erkannt hat, scheiden demgegenüber als neue Tatsachen in diesem Sinne aus (BGHSt 50, 180, 187; 50,<br />

284, 296; 51, 185, 187; 52, 31, 33; BGH NJW 2006, 3154, 3155; StV 2008, 636, 637). Auch psychiatrische Befundtatsachen<br />

können im Einzelfall „neue“ Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB darstellen. Dies setzt allerdings voraus,<br />

dass die zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen für den früheren Tatrichter nicht erkennbar waren und damit als<br />

„neu“ im Sinne des § 66 b StGB zu bewerten sind (BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine bloße Um- bzw. Neubewertung<br />

bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen und eine hierauf gestützte bloße Änderung der<br />

psychiatrischen Bewertung genügen hingegen nicht (BGHSt 50, 275, 278; BGHR StGB § 66 b – Neue Tatsachen 3;<br />

Rissing-van Saan/Peglau in LK-StGB 12. Aufl. § 66b Rdn. 89). Ebenso wenig können Tatsachen, die zwar nach der<br />

Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter bzw. erkennbarer Zustand aber<br />

lediglich bestätigt, als „neu“ gelten (BGH StV 2007, 29, 30). Vielmehr ist Voraussetzung für die Einordnung der<br />

Anknüpfungstatsachen als „neue“ Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 StGB, dass sie die Gefährlichkeit des Betroffenen<br />

höher bzw. in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (BGH StV 2008, 636, 638), etwa wenn<br />

sie belegen, dass sich eine bekannte Störung des Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert<br />

hat (BGH StV 2007, 29, 30). Soweit nach der zu § 66 b Abs. 3 StGB ergangenen Entscheidung des Großen Senats<br />

für Strafsachen vom 07. Oktober 2008 (NStZ <strong>2009</strong>, 141) die nachträgliche Verhängung von Sicherungsverwahrung<br />

nicht davon abhängt, ob die Tatsachen, welche die Gefährlichkeit des Verurteilten ausmachen, <strong>zum</strong> Zeitpunkt der<br />

Anlassverurteilung erkennbar gewesen waren, ist dies auf Fälle des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB nicht übertragbar.<br />

b) Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer zu Recht entscheidend darauf abgestellt, dass die von ihr im Rahmen<br />

der Gefährlichkeitsbewertung herangezogenen Anknüpfungstatsachen bereits <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Verurteilung<br />

im Jahr 1999 vorgelegen hatten, für den damaligen Tatrichter auch erkennbar waren und mithin nicht „neu“ sind.<br />

Weiter ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer von einer weiteren Aufklärung der Frage abgesehen hat, ob<br />

unter Berücksichtigung der Ausführungen der nunmehr gehörten Sachverständigen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten<br />

bei Begehung der Anlasstaten neu und abweichend von der Wertung des früheren Tatrichters beurteilt<br />

werden muss. Denn nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen waren die maßgeblichen<br />

Entscheidungsgrundlagen bereits <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Verurteilung im Jahr 1999 gegeben (UA S. 28/29). Der die<br />

Prognose bestimmende Befund einer seit dem 15. Lebensjahr des Verurteilten unverändert bestehenden, organisch<br />

bedingten Persönlichkeitsstörung mit Frontalhirnsyndrom war schon von der im Anlassverfahren entscheidenden<br />

Strafkammer erkannt und im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung - wenn auch möglicherweise mit einem anderen<br />

Ergebnis - gewürdigt worden. Zudem waren maßgebliche Risikofaktoren, wie der ungünstige soziale Empfangsraum<br />

sowie fehlende Krankheitseinsicht und Therapiemöglichkeiten, bereits <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannt.<br />

Eine Intensivierung oder Veränderung des gesundheitlichen Zustandes des Verurteilten im Verlaufe der Haft<br />

hat nach Einschätzung der Sachverständigen nicht stattgefunden. Dies steht im Einklang mit dem noch während des<br />

32


Strafvollzugs eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K. vom 14. Januar 2008, wonach<br />

der heutige psychopathologische Befund nahezu identisch bereits im Jahr 1999 gegeben war. Auch hatte sich<br />

der im Anlassverfahren gehörte Sachverständige Dr. S. in seinem vorbereitend erstellten schriftlichen Gutachten<br />

bereits ausführlich mit Art und Ausmaß des Störungsbildes befasst und eine ungünstige Kriminalprognose gestellt.<br />

So hatte er ausgeführt, dass der „etwas distanz- und kritikschwache“ Verurteilte hirnorganisch gefördert zu einer<br />

„thematisch polytopen Kriminalität“ neige, weshalb von einer ungünstigen Kriminalprognose auszugehen sei. Der<br />

Proband gebe sich „seinen aggressiven und seinen sexuellen Impulsen gerne bedenkenfrei“ hin. Es sei „nicht zu<br />

erkennen, dass er dauerhaft in dieser Grundhaltung beeinflusst und gehemmt werden könnte, wenn solches Verhalten<br />

ihn in Triebspannungen bringen würde“. Weiter liege es nahe, dass er auch in Zukunft „Taten wie Körperverletzungen“<br />

begehen werde.<br />

c) Entgegen den Ausführungen der Revision hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass erst unter den<br />

Bedingungen des Vollzugs das volle Ausmaß und die Folgen der hirnorganischen Erkrankung des Verurteilten erkennbar<br />

geworden sind. Nach den Ausführungen aller angehörter Sachverständigen sind die gezeigten Verhaltensauffälligkeiten<br />

im Vollzug sämtlich Ausfluss des bereits vom früheren Gutachter zutreffend diagnostizierten<br />

Störungsbilds. Sie stellen lediglich die an die Bedingungen der Haft angepasste Fortsetzung des Verhaltens dar,<br />

welches der Verurteilte bereits vor seiner Inhaftierung gezeigt hatte. Sie führen nicht dazu, dass die Gefährlichkeit<br />

höher oder gravierender einzustufen wäre, als <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anlassverurteilung. Dies gilt namentlich für die<br />

vom Verurteilten aufgenommenen Briefkontakte zu Frauen, denen nahezu die gleiche Intention und der gleiche Inhalt<br />

zugrunde liegen, wie den früheren persönlichen Kontaktaufnahmen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin,<br />

vom früheren Gutachter festgestellte „Kontrollfähigkeiten des Verurteilten“ seien „nicht mehr gegeben“, dieser habe<br />

vielmehr (erst) im Verlaufe der Haft „sein sexuelles Suchverhalten auf Opfer erheblich“ ausgeweitet, findet in den<br />

Urteilsgründen keine Grundlage. Der Verurteilte hatte bereits spätestens im Jahre 1994 damit begonnen, „in verstärktem<br />

Maße“ Frauen anzusprechen und diese zur Vornahme von Nacktaufnahmen zu überreden, was ihm „in ca. 100<br />

bis 120 Fällen“ auch gelungen war. Gleiches gilt im Ergebnis für die Feststellung der Strafkammer, dass sich das<br />

gesamte Leben des Verurteilten in der JVA um sexuelle Inhalte drehte. Denn auch in Freiheit hatte der Verurteilte<br />

bereits einen Großteil seiner Zeit für die Anbahnung von Sexualkontakten aufgewendet. Den von der Beschwerdeführerin<br />

in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10.10.2006 - 1 StR<br />

475/06 (NStZ 2007, 30) und vom 12.09.2007 – 1 StR 391/07 lagen insoweit nicht vergleichbare Fallgestaltungen<br />

zugrunde.<br />

Zu Recht hat es die Strafkammer auch nicht für ausreichend erachtet, dass der Verurteilte jegliche Behandlungsmaßnahmen<br />

im Vollzug abgelehnt und sich jeglicher Mitarbeit verweigert hat. Eine Therapieverweigerung kann regelmäßig<br />

nur dann als berücksichtigungsfähige „neue“ Tatsache angesehen werden, wenn – wofür hier nichts zu erkennen<br />

ist – das Ursprungsgericht <strong>zum</strong> Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen durfte, der Verurteilte werde<br />

sich erfolgversprechenden therapeutischen Maßnahmen unterziehen (BVerfG NJW 2006, 3483, 3485; BGHSt 50,<br />

275, 281; BGH NJW 2008, 3010, 3011; Beschluss vom 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 34/09).<br />

d) Schließlich führt der Umstand, dass der Tatrichter im Ausgangsverfahren offenkundig nicht in einen die Frage der<br />

Sicherungsverwahrung betreffenden Erkenntnisprozess eingetreten war, obwohl bereits <strong>zum</strong> damaligen Zeitpunkt die<br />

formellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorlagen und nach den Feststellungen die Kriminalprognose<br />

des Verurteilten negativ zu beurteilen war, nicht dazu, die bereits bekannten Tatsachen als „rechtlich neu<br />

erkennbar“ zu bewerten (BGH StV 2007, 29, 30). Denn das Verfahren nach § 66 b StGB dient nicht der nachträglichen<br />

Korrektur früherer Entscheidungen, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung - von der Staatsanwaltschaft<br />

unbeanstandet - rechtsfehlerhaft unterblieben ist (vgl. BGHSt 50, 121, 126; 180, 188; 275, 278; 284, 297;<br />

NJW 2006, 3154; StV 2008, 636, 637).<br />

StGB § 066 I Nr. 3, § 177, Feststellung des Hangs<br />

BGH, Urt. v.04.09.2008 – 5 StR 101/08 - StV <strong>2009</strong>, 129<br />

1. Überdauernde innere Eigenschaften des Strafäters, welche die Disposition begründen, Straftaten<br />

zu begehen, können zur Feststellung eines Hangs i.S.d. § 66 StGB ausreichen; das Hinzutreten aktuell<br />

tatauslösender Situationen steht dem nicht entgegen.<br />

33


2. Die Feststellung eines Hangs gem. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt keinen bestimmten zeitlichen<br />

Mindestabstand zwischen den Anlasstaten.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. September 2007 mit<br />

den Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,<br />

b) im Strafausspruch, insoweit allein zugunsten des Angeklagten.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher<br />

Körperverletzung, zweimal in weiterer Tateinheit mit Geiselnahme sowie mit schwerem Raub bzw. schwerer<br />

räuberischer Erpressung, einmal in Tateinheit mit räuberischer Erpressung schuldig gesprochen. Es hat ihn deswegen<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.<br />

Die wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte, mit der Verletzung sachlichen Rechts<br />

begründete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; sie führt zugleich<br />

wegen des inneren Zusammenhangs zugunsten des Angeklagten zur Aufhebung des Strafausspruchs.<br />

1. Zu den Taten hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:<br />

a) In den frühen Morgenstunden des 20. November 2005 sprang der Angeklagte die auf dem Nachhauseweg befindliche<br />

Nebenklägerin W. von hinten an und brachte sie so schmerzhaft zu Boden. Er hielt ihr eine ungeladene<br />

Gaswaffe an die Schläfe, drohte, sie „abzuknallen“, und verlangte die Herausgabe von Wertsachen. Die um ihr Leben<br />

fürchtende Nebenklägerin übergab ihm ihr Handy. Unter Vorhalt der Waffe zog der Angeklagte sie über ein Feld<br />

in ein Waldstück, dessen Abgeschiedenheit und Uneinsehbarkeit er für die weitere Tatausführung ausnutzen wollte.<br />

Hier zwang er die Frau <strong>zum</strong> Oralverkehr und ejakulierte in ihren Mund. Bevor er sie gehen ließ, bemerkte er noch,<br />

dass es ihm leid täte und er genau wisse, wie demütigend eine Vergewaltigung sei. Gleichzeitig sprach er jedoch<br />

Todesdrohungen gegen ihre Familie für den Fall einer Anzeige aus, von der die Geschädigte daraufhin tatsächlich<br />

Abstand nahm.<br />

b) Am 14. Juni 2006 überfiel der Angeklagte gegen 4.00 Uhr die Nebenklägerin G. , die er auf seinem<br />

Heimweg kurz zuvor überholt hatte. Er lief auf sie zu und brachte sie zu Boden. Er drohte, ihr das Genick zu brechen,<br />

und zerrte sie in ein Gebüsch, wo sie sich hinknien musste. Er ließ sich ihr Geld geben und durchwühlte ihre<br />

Handtasche nach weiteren Wertsachen. Sodann band er der Frau die Hände auf dem Rücken zusammen und stülpte<br />

ihr ihre Tasche über den Kopf. Das Gefühl von Macht gegenüber der hilflos vor ihm knienden Frau fand der Angeklagte<br />

sexuell erregend. Er drückte sie mit dem Rücken auf den Boden, zog ihren Rock nach oben, betrachtete ihren<br />

Intimbereich, kommentierte dies und berührte ihre Brüste. Er drehte die unter Todesangst leidende Frau auf den<br />

Bauch und führte trotz ihrer Schmerzensschreie mit ihr den Analverkehr durch.<br />

c) Nachdem der Angeklagte den Abend des 15. Juli 2006 mit Freunden verbracht hatte, kehrte er in den frühen Morgenstunden<br />

in sexuell erregter Stimmung nach Hause zurück. Seine Verlobte war bereits seit einer Woche im Urlaub;<br />

der Versuch, sich mit seiner ehemaligen Freundin zu treffen, scheiterte. Der Angeklagte nahm seine ungeladene<br />

Gaswaffe, verließ die Wohnung und hielt nach weiblichen Tatopfern Ausschau. Dabei begegnete er der Nebenklägerin<br />

C. . Als sie an ihm vorbeiging, schlug er ihr mit der Faust an das Ohr, woraufhin sie stürzte und eine Böschung<br />

hinunterrutschte. Er stieg ihr nach und hielt ihr seine Waffe an die Schläfe. Er zog sie zielstrebig durch Buschwerk<br />

und dicht stehende Bäume in ein Waldstück, so dass sie von der Außenwelt abgeschnitten waren. Dort musste sie<br />

sich hinknien; er verband ihr die Augen und fesselte ihre Hände auf den Rücken. Der Anblick der gefesselten und<br />

vor ihm knienden Frau verschaffte ihm ein Machtgefühl, welches ihn weiter erregte. Er durchwühlte ihre Tasche und<br />

nahm ein Handy und zwei Euro an sich. Während des folgenden mehr als eine Stunde dauernden, von mehreren<br />

Gesprächspausen unterbrochenen Tatgeschehens zwang er die Nebenklägerin, die Todesangst ausstand, sein Glied in<br />

den Mund zu nehmen, und sagte, dass es toll sei, eine „Schlampe“ wie sie einfach benutzen zu können, ohne dafür<br />

etwas zu bezahlen. Er führte sein Glied nun vaginal ein. Sodann ging er wieder <strong>zum</strong> Oralverkehr über und ejakulierte<br />

ihr in den Mund, sein Sperma musste sie herunterschlucken. Er befahl ihr nun, sich auf den Bauch zu legen, und<br />

drang anal in sie ein, wobei sie vor Schmerzen schrie. Sein noch kotverschmiertes Glied führte er abermals in den<br />

Mund der Frau und erzwang anschließend erneut den vaginalen Geschlechtsverkehr, wobei er der Geschädigten<br />

erklärte, dass „sie es jetzt bald auch geschafft“ habe. Schließlich steckte er sein erigiertes Glied tief in den Rachen<br />

der Frau, so dass sie Luftnot bekam. Er ejakulierte erneut in ihren Mund.<br />

34


2. Das Landgericht hat zwar die formellen Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66<br />

Abs. 3 Satz 2 StGB als erfüllt angesehen, aber einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

verneint.<br />

Sachverständig beraten hat es hierzu festgestellt, dass bei dem Angeklagten seit der Jugendzeit eine auffällige Persönlichkeitsakzentuierung<br />

mit dissozialen, emotionalinstabilen, impulsiven und abhängigen Zügen vorliege; diese<br />

müssten „derzeit ohne weiteres als Risikofaktoren für die Begehung weiterer Sexualstraftaten betrachtet werden“.<br />

Auch sei eine paraphile Entwicklung mit sadomasochistischen Zügen als wahrscheinlich anzunehmen.<br />

Einen Hang zur Begehung weiterer Sexualstraftaten hat das Landgericht dennoch im Anschluss an den Sachverständigen<br />

mit der Begründung abgelehnt, dass sich erst durch das Hinzutreten der zugespitzten Lebenssituation des Angeklagten<br />

die „unmittelbare Disposition zur Begehung der Sexualstraftaten“ entwickelt habe. Denn dass er mit seiner<br />

Familie über ihre finanziellen Verhältnisse lebte, sich als nicht ausreichend durchsetzungsfähig gegenüber seiner<br />

Verlobten empfand und sich durch die häufige Anwesenheit einer Freundin seiner Verlobten in der Familienwohnung<br />

ausgegrenzt fühlte, habe zu einem Aggressionsaufbau geführt; die Wut und die Verletzungen seines Selbstwertgefühls<br />

habe er durch die Vergewaltigungstaten abreagiert. Zudem wertet die Strafkammer als Indizien gegen<br />

einen Hang die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten und den Umstand, dass er die Taten innerhalb eines kurzen<br />

Zeitraums begangen hat.<br />

3. Die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3<br />

StGB bei dem Angeklagten verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da ihr Wertungsfehler und<br />

Lücken innewohnen. Hierauf kommt es auch an, da die Urteilsgründe die formellen Voraussetzungen für die Anordnung<br />

von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB ausweisen.<br />

Das Landgericht stellt seinen Erörterungen zwar eine zutreffende Begriffsbestimmung des Hangs im Sinne des § 66<br />

Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1) voran, legt diesen Maßstab aber nicht beanstandungsfrei<br />

der gebotenen Gesamtwürdigung aller für die Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände<br />

(BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8) zugrunde.<br />

a) Es stellt einen Wertungsfehler dar, dass die Strafkammer trotz der festgestellten zahlreichen Risikofaktoren für die<br />

Begehung weiterer erheblicher Sexualdelikte einen fest eingeschliffenen inneren Zustand des Angeklagten, der ihn<br />

immer wieder neue Straftaten begehen lässt (vgl. BGH NStZ 2005, 265), verneint hat. Diese gewichtigen Aspekte<br />

durfte das Landgericht nicht schon deswegen als entkräftet ansehen, weil es zu den Anlasstaten nach seiner Wertung<br />

nur durch die vom Angeklagten als unbefriedigend empfundene Lebenssituation gekommen ist. Eine solche Betrachtung<br />

verkennt, dass überdauernde innere Eigenschaften des Straftäters, welche die Disposition begründen, Straftaten<br />

zu begehen, zur Feststellung eines Hangs ausreichen können; das Hinzutreten aktuell tatauslösender Situationen steht<br />

dem nicht entgegen (Ullenbruch in MünchKomm-StGB § 66 Rdn. 110). Die Anwendung des § 66 StGB ist lediglich<br />

dann ausgeschlossen, wenn eine äußere Tatsituation oder Augenblickserregung die Tat maßgeblich allein verursacht<br />

hat (vgl. BGH MDR 1980, 326, 327 m.w.N.; BGH NStZ 2007, 114).<br />

Nach der Wertung des Landgerichts hat der Angeklagte die Straftaten begangen, um sich abzureagieren und sein<br />

Selbstwertgefühl vorübergehend zu stabilisieren. Dass es durch eine keinesfalls einmalige oder außergewöhnliche<br />

Lebenssituation zu einer Verletzung des Selbstwertgefühls und einem Aggressionsaufbau gekommen ist, liegt an der<br />

manifestierten Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten. Seine Reaktion hierauf mit den festgestellten Straftaten<br />

gegen willkürlich herausgegriffene Opfer, die mit seiner belastenden Lebenssituation und der Verletzung seines<br />

Selbstwertgefühls in keinerlei Verbindung stehen, sind zunehmend von einem Ausleben sadistischer Machtgelüste<br />

geprägt. Dies legt eine überdauernde Neigung zur Begehung schwerer Sexualdelikte nahe. Schließlich zieht auch das<br />

Landgericht den Schluss, dass die Persönlichkeitsdefizite „derzeit eine ungünstige Prognose für ein bestehendes<br />

Rückfallrisiko“ begründeten; auf das darin liegende ungelöste Spannungsverhältnis zu der Verneinung eines Hangs<br />

geht es nicht ein.<br />

b) Zudem weist die Begründung des Landgerichts Lücken auf, da sie in die erforderliche Gesamtschau die Art der<br />

Straftaten zugunsten der bisherigen Legalbewährung des Angeklagten nicht ausreichend einbezieht. So hätte näher in<br />

den Blick genommen werden müssen, dass der Angeklagte innerhalb eines Zeitraums von neun Monaten drei gravierende<br />

Sexualstraftaten begangen hat, deren Intensität nicht nur hinsichtlich der sexuellen Handlungen, sondern auch<br />

der auf besondere Demütigung seiner Opfer ausgerichteten Tatbegehung drastisch zugenommen hat und die gleichzeitig<br />

zunehmend von einem gezielten Aufsuchen von Tatgelegenheiten und Planung getragen sind. Die durch diese<br />

Serie belegte sexuelle Ausrichtung des Angeklagten im Zusammenhang mit seinem Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung,<br />

wie sie insbesondere bei der Tat zu Lasten der Nebenklägerin C. <strong>zum</strong> Ausdruck kommt und ersichtlich in<br />

seiner Persönlichkeitsakzentuierung begründet ist, bleibt unerörtert.<br />

35


c) Soweit das Landgericht auf die Dauer des Tatzeitraums abstellt, ist dies ebenfalls nicht tragfähig. Die Feststellung<br />

eines Hangs gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt keinen bestimmten zeitlichen Mindestabstand zwischen den<br />

Anlasstaten. Vielmehr können gerade auch relativ zeitnah aufeinanderfolgende Taten in ihrer Häufung Ausdruck<br />

eines eingeschliffenen inneren Zustands des Täters sein, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt (BGH<br />

NStZ 2008, 27). Zudem liegt zwischen der ersten und zweiten Tat immerhin ein Zeitraum von einem halben Jahr.<br />

4. Auch die Hilfserwägungen des Landgerichts zur Ermessensausübung sind für sich genommen nicht hinreichend,<br />

um die Nichtanordnung der Maßregel zu begründen.<br />

a) Denn angesichts der rechtsfehlerhaften Ausführungen <strong>zum</strong> Vorliegen eines Hangs ist bereits nicht auszuschließen,<br />

dass das Landgericht bei Anwendung zutreffender Maßstäbe die vom Angeklagten ausgehende Gefährlichkeit trotz<br />

der schon jetzt gestellten ungünstigen Prognose stärker gewichtet und sein Ermessen abweichend ausgeübt hätte.<br />

b) Darüber hinaus hätten die Ausführungen auch eingedenk der nur eingeschränkten Nachprüfungsmöglichkeit durch<br />

das Revisionsgericht (vgl. BGH NStZ 2005, 211, 212) rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten, da die Annahme<br />

des Landgerichts, der Angeklagte sei nach dem Strafvollzug nicht mehr in relevanter Weise gefährlich, einer tragfähigen<br />

Grundlage entbehrt. Zwar liegt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowohl nach § 66 Abs. 2<br />

StGB als auch nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB im Ermessen des Tatgerichts, damit es dem Ausnahmecharakter der<br />

beiden Vorschriften, die die Anordnung der Maßregel gegen einen bisher Unbestraften ermöglichen, Rechnung tragen<br />

kann (BGH StV 2008, 139). Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht daher bei der Ausübung des Ermessens<br />

auf die Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs abgestellt (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung<br />

1; BGH NStZ 2004, 438). Seine Erwartung, die Gefährlichkeit werde nach der Verbüßung der langjährigen Freiheitsstrafe<br />

maßgeblich reduziert sein, hat es jedoch nicht nachvollziehbar begründet.<br />

Ausgangspunkt für diese Wertung ist die Erwartung, dass eine „psycho- und sozio- sowie suchttherapeutische Behandlung“<br />

der festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten Erfolg haben werde. Dies wiederum wird im<br />

Anschluss an den Sachverständigen im Wesentlichen auf Intelligenz und Empathiefähigkeit des Angeklagten gestützt.<br />

Eine Auseinandersetzung mit den der Erfolgsaussicht möglicherweise entgegenstehenden Gesichtspunkten,<br />

wie z. B. seiner Persönlichkeitsakzentuierung, lassen die Urteilsgründe hingegen vermissen. So wird auf die Frage<br />

der Behandelbarkeit der festgestellten sexuellen Paraphilie nicht eingegangen. Da der Angeklagte seit seiner Jugendzeit<br />

eine dissoziale Persönlichkeit aufweist, wäre vor allem zu erörtern gewesen, wie sich dies zu der widerstreitenden<br />

Wertung verhält, er sei empathiefähig.<br />

Die bisher im Wesentlichen nur durch Bekundungen des Angeklagten untermauerte Therapiebereitschaft ist ohne<br />

weitere tragfähige Begründung angesichts des aus den Taten ersichtlichen Ausmaßes der Defizite, insbesondere der<br />

sadistischen Neigungen, kein belastbares Kriterium für die Annahme eines das Erkenntnisverfahren überdauernden<br />

Veränderungswillens des Angeklagten und eines darauf aufbauenden Therapieerfolgs (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli<br />

2008 – 5 StR 274/08, zur Veröffentlichung in BGHR StGB § 66b Neue Tatsachen bestimmt).<br />

5. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beruht auf diesen Fehlern. Der Senat kann nicht ausschließen,<br />

dass die Strafkammer bei lückenloser Würdigung zu der Bejahung eines Hangs und dann – bei pflichtgemäßer Ausübung<br />

des ihr zustehenden Ermessens – auch zur Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder § 66<br />

Abs. 3 Satz 2 StGB gelangt wäre.<br />

Zu einer Verneinung der infolge eines Hanges des Angeklagten begründeten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit<br />

nach erneuter Anhörung des Sachverständigen wird das neue Tatgericht beispielsweise gelangen können, wenn sich<br />

die bislang unbelegt festgestellte Empathiefähigkeit des Angeklagten und eine hieraus, unter Umständen auch aus<br />

der Entwicklung seiner Geständnisbereitschaft und Unrechtseinsicht herzuleitende besondere Therapiebereitschaft<br />

konkret untermauern lassen sollten. Falls sich jenseits davon in der neuen Hauptverhandlung Therapieerwartungen<br />

bei dem unbestraften, noch jungen Angeklagten auch nur konkreter als bislang belegen lassen sollten, welche eine<br />

Chance zur Reduzierung seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit bieten (BGH aaO; BVerfG – Kammer – NJW<br />

2006, 3483), könnte dieser Umstand bei der Ermessensausübung ein solches Gewicht erlangen, dass die Verhängung<br />

der Maßregel unterlassen oder unter Vorbehalt gestellt werden könnte.<br />

6. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,<br />

führt wegen des untrennbaren Zusammenhangs – allein zugunsten des Angeklagten – zur Aufhebung der hier verhängten<br />

Einzelstrafen und des Gesamtstrafausspruchs. Denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafen<br />

niedriger bemessen worden wären, wenn das Landgericht zugleich auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

erkannt hätte (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 2).<br />

36


StGB § 066 IV 3, StGB § 66b I 2, StGB § 66b II, StPO § 275a Nachträgliche SV - Voraussetzungen<br />

BGH, Urt. v. 17.06.2008 – 1 StR 227/08 - StV 2008, 636<br />

Zur Anwendbarkeit des § 66 b Abs. 2 StGB.<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 9. Januar 2008 wird verworfen.<br />

2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Betroffenen gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich die Sicherungsverwahrung<br />

anzuordnen. Die hiergegen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die<br />

vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.<br />

I. Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde.<br />

1. Der heute 64-jährige Betroffene ist mehrfach vorgeahndet. Insbesondere wurde er schon durch Urteil des Landgerichts<br />

Ravensburg vom 13. Oktober 1965 wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchter Notzucht mit Todesfolge zu<br />

einer Zuchthausstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Diese Strafe verbüßte der Betroffene bis <strong>zum</strong> 27. November<br />

1979. Anlassverurteilung war das Urteil vom 24. September 1997, mit dem das Landgericht den Betroffenen wegen<br />

versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilte.<br />

Er drang im August 1996 in ein nahe gelegenes Wohnanwesen ein, um sich notfalls mit Gewalt Geld zu verschaffen.<br />

Hierzu nahm er aus dem Kofferraum seines Fahrzeugs ein Kabel, das an beiden Enden mit einem Schukostecker<br />

versehen war, an sich und zog ein paar braune Lederhandschuhe an. Nach Eindringen in das Wohnzimmer<br />

der damals 75-jährigen Geschädigten schloss er das eine Ende des Kabels an das Stromnetz und drückte das andere<br />

Ende an verschiedene Stellen u.a. des Kopfes und des Halses der Geschädigten, um diese zur Erleichterung seiner<br />

Suche nach Geld bewusstlos zu machen. Nachdem die nur benommene Geschädigte schließlich um Hilfe schrie, ließ<br />

er von ihr ab und flüchtete. Die Geschädigte erlitt durch diese lebensgefährlichen Stromstöße an den betroffenen<br />

Stellen teilweise bis auf die Schädelknochen reichende Hautverbrennungen.<br />

Im Rahmen der Ermittlungen wurden bei der Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen 83 Porno-Videokassetten<br />

mit teils gewalttätigen Sexszenen und einer vermutlich authentischen Vergewaltigungsszene gefunden. Zudem wurde<br />

dort der erste Band des Comic-Heftes "Marie-Gabrielle de Saint-Eutrope" sichergestellt, in welchem drastische<br />

sexuelle Handlungen an Frauen und Gewalt gegen weibliche Opfer mit eindeutig "sadomasochistischem Charakter"<br />

dargestellt werden. Der damalige polizeiliche Sachbearbeiter dokumentierte die Funde durch Vermerke in den Ermittlungsakten<br />

und fügte die Videokassette mit der Vergewaltigungsszene sowie ein Comic-Pornoheft mit sexuellsadistischem<br />

Inhalt seiner Strafanzeige bei, in welcher er die Tat als "versuchter RaubIversuchter Sexualmord" qualifizierte.<br />

Ebenfalls dokumentiert und in der Anklage als Augenscheinsobjekt aufgeführt wurden in dem Kofferraum des<br />

Fahrzeugs des Betroffenen aufgefundene Gegenstände, nämlich eine PolaroidSofortbildkamera, ein Elektroschockgerät,<br />

eine Handfessel, eine Tube Vaseline und eine Fettspritze für Kfz-Wartungsarbeiten. In seinem dem erkennenden<br />

Schwurgericht in den Strafakten vorliegenden Schlussvermerk sowie als Zeuge in der Hauptverhandlung vertrat<br />

der Polizeibeamte die Auffassung, der Straftat <strong>zum</strong> Nachteil der Geschädigten liege ein primär sexuelles Motiv<br />

zugrunde. Der vom damaligen Schwurgericht beauftragte Sachverständige diagnostizierte einen offenkundigen Voyeurismus<br />

des Betroffenen, der bereits im Vorfeld des Tötungsdeliktes von 1964 erkennbar geworden sei und auch<br />

weiterhin sein Sexualverhalten bestimme. Die bei der Durchsuchung seiner Wohnung sichergestellten pornographischen<br />

Erzeugnisse und Videos unterstrichen die Triebstärke des Betroffenen; gleichzeitig aber stellten sie Instrumente<br />

zu ihrer Kanalisierung und Steuerung dar. Das Persönlichkeitsbild des Betroffenen lasse sich als eine seelische<br />

Abnormität, also als (dissoziale) Persönlichkeitsstörung bewerten, wenn diese auch nicht unter die §§ 20, 21 StGB<br />

subsumiert werden könne. Dass dem Tatgeschehen eine primär sexuelle Motivation zugrunde liege und dass sich der<br />

Betroffene an seinem Opfer habe postmortal vergehen wollen, erscheine äußerst unwahrscheinlich. Gleichfalls lasse<br />

sich ein motivationaler Zusammenhang zwischen der Sexualproblematik des Betroffenen und dem Delikt ausschließen<br />

(UA S. 13).<br />

2. Im Februar 2007 wurden bei einer Haftraumkontrolle der Comic „Marie-Gabrielle de Saint-Eutrope“ sowie in der<br />

Habe des Betroffenen zahlreiche Druckwerke, Spielfilme ohne pornographischen Bezug und diverse Erotik- und<br />

Porno-Filme, die den Bereichen „Horror/Splatter“ und „Hardcore-Porno“ zuzuordnen waren, sichergestellt. Der<br />

Betroffene wurde vom offenen Vollzug abgelöst und verbüßte seine Strafe bis <strong>zum</strong> 27. Juli 2007 vollständig.<br />

37


3. Am 29. Mai 2007 stellte die Staatsanwaltschaft den Antrag, gegen den Betroffenen Sicherungsverwahrung nachträglich<br />

anzuordnen, und beantragte zugleich den Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 275a StPO. Das<br />

Landgericht erließ den Unterbringungsbefehl gegen den Betroffenen, aufgrund dessen dieser im Anschluss an die<br />

Haftverbüßung seit dem 28. Juli 2007 untergebracht war. Am 9. Januar 2008 hob das Landgericht den Unterbringungsbefehl<br />

wieder auf. Der Betroffene befindet sich jetzt auf freiem Fuß (UA S. 5). Gegen ihn bestand die bereits<br />

am 3. September 2007 von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts angeordnete Führungsaufsicht. Ihm<br />

wurde der Besitz von gewalt- und kinderpornographischen Schriften, Bildträgern, Filmen und Computerdateien<br />

untersagt (UA S. 23).<br />

4. Das Landgericht holte gemäß § 275a Abs. 4 StPO zwei Gutachten der Sachverständigen Dr. P. und Dr. B.<br />

ein.<br />

a) Der Betroffene fand sich nach seiner Entlassung anlässlich der Exploration durch den Sachverständigen Dr. P.<br />

erstmals zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit seiner sexuellen Problematik bereit. Er gab an, bereits mit<br />

sechzehn, siebzehn Jahren sei Gewalt für ihn eine erregende Vorstellung gewesen. Aufgrund der aktuellen Angaben<br />

kommt der Sachverständige Dr. P. zu dem Ergebnis, dass sich der Betroffene bereits seit ca. seinem 16. Lebensjahr<br />

gedanklich mit sexuell motivierter Gewalt beschäftigt habe. Bereits im 20. Lebensjahr sei es zu einer weiteren<br />

Ausdifferenzierung der Phantasien gekommen. Die Festlegung des sexuellen Erregungsmusters auf die geschilderte<br />

Thematik lasse keine Alternative zur Diagnose des sexuellen Sadismus (ICD 10 F 65.5) zu. Die jetzt aufgefundenen<br />

Bild- und Schriftdokumente, so der Sachverständige, legten nahe, dass die sexuell-sadistische Perversion weiter in<br />

Entwicklung und Ausdifferenzierung begriffen sei. Der Sachverständige Dr. P. kam nach eingehender Auseinandersetzung<br />

auch mit den bislang über den Betroffenen vorliegenden Erkenntnissen und Begutachtungen zu der<br />

Einschätzung, dass sich nach Zusammenführung der im Rahmen der aktuellen Begutachtung erhobenen Befunde mit<br />

den aktuarischen Feststellungen in der Gesamtschau zur Persönlichkeit des Betroffenen keine neue Einschätzung<br />

ergebe.<br />

b) Der Sachverständige Dr. B. kam zu dem Ergebnis, dass weder die bis zur Exploration durch Dr. P. stets<br />

gleich lautenden Angaben des Betroffenen zu seiner Sexualanamnese, insbesondere zu seinem Masturbationsverhalten,<br />

noch der Besitz von pornographischen Filmen und Büchern, noch seine Sexualstraftaten einen besonders ausgeprägten<br />

Sexualtrieb belegen könnten. Es liege keine sexuelle Deviation (Paraphilie) vor; insbesondere seien die Sexualstraftaten<br />

des Betroffenen nicht Ausdruck eines Sadismus. Auch nach Kenntnis der Angaben des Betroffenen<br />

gegenüber Dr. P. zu seinem inneren sexuellen Erleben stellte er nicht die Diagnose des sexuellen Sadismus,<br />

sondern blieb bei der Bewertung der Problematik des Betroffenen als einer "undifferenzierten Sexualität".<br />

II.<br />

Das Landgericht hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei von der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach<br />

§ 66b Abs. 1 und 2 StGB abgesehen.<br />

1. Für eine Anordnung nach § 66b Abs. 1 StGB liegen schon die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB nicht<br />

vor. Die als Voraussetzung in Betracht kommende Verurteilung des Landgerichts Ravensburg vom 13. Oktober 1965<br />

wegen des Sexualmordes, die der Betroffene bis <strong>zum</strong> 17. November 1979 verbüßt hat, kann wegen der eingetretenen<br />

Rückfallverjährung gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

nicht berücksichtigt werden.<br />

2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei das Vorliegen der formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB<br />

bejaht; denn der Betroffene war wegen des mit der Anlasstat begangenen Verbrechens gegen das Leben zu einer<br />

Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden. Zu Recht ist die Strafkammer auch davon ausgegangen,<br />

dass beim Betroffenen ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten besteht (vgl. BGH NJW 2006, 1442). Sie ist<br />

nach umfassender Würdigung der Persönlichkeit des Betroffenen, seiner Taten und seiner Entwicklung während des<br />

Strafvollzuges auch davon ausgegangen, dass von diesem - wie auch vor der Anlasstat - eine erhebliche Gefahr ausgeht<br />

und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass er weitere erhebliche Straftaten begehen wird.<br />

a) § 66b Abs. 2 StGB setzt aber auch voraus, dass nach der Anlassverurteilung vor dem Ende des Strafvollzuges<br />

(neue) "Tatsachen" erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit<br />

hinweisen (vgl. BGH NJW 2006, 531).<br />

"Neue Tatsachen" müssen vorliegen, weil der durch das am 18. April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Reform zur<br />

Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April<br />

2007 (BGBl I 513) eingefügte § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB für den hier einschlägigen § 66b Abs. 2 StGB nicht anwendbar<br />

ist.<br />

Nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB kann das Gericht, wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Zeitpunkt der<br />

Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, auch solche Tatsachen berücksichtigen, die im Zeitpunkt der<br />

38


Verurteilung bereits bekannt waren. Mit der Ergänzung des § 66b Abs. 1 StGB durch den eingefügten Satz 2 sollten<br />

nach den Gesetzesmaterialien vor allem die in den neuen Bundesländern demnächst zur Entlassung anstehenden<br />

Täter erfasst werden, bei denen bereits im Zeitpunkt ihrer Verurteilung deutliche tatsächliche Hinweise auf ihre Gefährlichkeit<br />

für die Allgemeinheit bestanden, die jedoch aus rechtlichen Gründen - die Vorschrift des § 66 StGB war<br />

damals auf im Beitrittsgebiet begangene Taten nicht anwendbar - nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht<br />

werden konnten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />

zur Reform der Führungsaufsicht - BTDrucks. 16/4740 S. 22 f.; BGH NJW 2008, 1682; Kinzig, Stellungnahme<br />

für die Anhörung des Rechtsausschusses des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages am 19. März 2007 S. 3 f.; Peglau NJW<br />

2007, 1558, 1561 f.).<br />

Zugleich mit der Schaffung der Regelung für Altfälle in § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB hat der Gesetzgeber durch eine<br />

Änderung des § 66b Abs. 2 StGB klar gestellt, dass hier nur "Tatsachen der in Absatz 1 Satz 1 genannten Art" verwertet<br />

werden dürfen, die "nach einer Verurteilung … erkennbar" geworden sind. Von dem Verweis in § 66b Abs. 2<br />

StGB hat er somit die "Altfall-Regelung" ausgenommen (vgl. Peglau aaO 1562). Diese Regelung ist allein für § 66b<br />

Abs. 1 StGB konzipiert (vgl. auch BTDrucks. aaO 23) und knüpft daran an, dass bei der Entscheidung über die nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung die Voraussetzungen des § 66 StGB vorliegen, dieser <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anlassverurteilung<br />

aber nicht anwendbar war. Hier dagegen liegen auch gegenwärtig - nach dem oben unter II 1 Gesagten -<br />

die Voraussetzungen des § 66 StGB wegen der eingetretenen Rückfallverjährung nach dessen Absatz 4 Satz 3 nicht<br />

vor.<br />

Die Nichtanwendbarkeit des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB im Rahmen des § 66b Abs. 2 StGB wird auch durch die Gesetzgebungsgeschichte<br />

belegt: Der Bundesrat hatte mit seinem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zur Stärkung<br />

der Sicherungsverwahrung vom 28. Juni 2006 (BTDrucks. 16/1992) eine ausdrückliche Erstreckung auch der<br />

sog. "Ersttäter-Regelung" des § 66b Abs. 2 StGB auf bei der Anlassverurteilung bereits bekannte oder erkennbare<br />

Tatsachen in "Altfällen" erstrebt, in denen - etwa wie hier wegen der eingetretenen Rückfallverjährung - aus rechtlichen<br />

Gründen keine Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB angeordnet werden konnte und auch gegenwärtig<br />

nicht angeordnet werden könnte. Der Bundesrat hat deshalb in seiner 832. Plenarsitzung vom 30. März 2007 in einer<br />

Entschließung festgestellt, dass insoweit weiterer Regelungsbedarf bestehe. Er hat daher den <strong>Deutsche</strong>n Bundestag<br />

gebeten, den bisher nicht abschließend behandelten Vorschlag des Bundesrates rasch aufzugreifen und umzusetzen<br />

(BRDrucks. 192/07 [Beschluss]). Dem ist der <strong>Deutsche</strong> Bundestag aber bislang nicht nachgekommen.<br />

b) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei das Vorliegen prognoserelevanter "neuer Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs.<br />

2 StGB verneint.<br />

Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass auch § 66b Abs. 2 StGB voraussetzt, dass<br />

nach der Anlassverurteilung, jedoch vor Vollzugsende der deswegen verhängten Freiheitsstrafe "neue Tatsachen"<br />

erkennbar sein müssen, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit hinweisen (vgl.<br />

BGH NJW 2006, 531). "Neue Tatsachen" liegen dann nicht vor, wenn sie dem früheren Tatrichter bekannt waren -<br />

wie etwa die kriminelle Entwicklung des Betroffenen (vgl. OLG Frankfurt StV 2005, 142) - oder wenn sie ein sorgfältiger<br />

Tatrichter hätte aufklären und erkennen müssen. Durch die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />

dürfen Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ausgangsverfahren zu Lasten des Betroffenen im<br />

Nachhinein nicht korrigiert werden (vgl. BGHSt 50, 121; BGH NJW 2006, 531). Umstände, die schon für den früheren<br />

Tatrichter erkennbar waren, die er aber nicht erkannt habe, schieden daher als neue Tatsachen aus. In diesem<br />

Sinne erkennbar seien auch solche Umstände, die ein Tatrichter nach Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO für die Frage<br />

der Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln hätte aufklären müssen (vgl. BGH StV 2006, 243; NJW 2006, 1442<br />

m.w.N.).<br />

Eine solche Fallgestaltung liegt hier allerdings nicht vor. Hier hatte die sachverständig beratene Strafkammer des<br />

Anlassverfahrens die Frage des sexuellen Hintergrunds bei Begehung der Anlasstat ausdrücklich geprüft, eine sexuelle<br />

Motivation verneint und damit keine ansonsten gebotene Aufklärung unterlassen. Unabhängig davon hätte die<br />

Strafkammer - selbst wenn sie eine Sexualstraftat angenommen hätte - wegen der eingetretenen Rückfallverjährung<br />

nach § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB ohnehin keine Sicherungsverwahrung anordnen können.<br />

c) Die während des Strafvollzuges bekannt gewordenen Umstände mögen zwar zeitlich "neu" sein; sie hatten aber<br />

nicht die Qualität "neuer Tatsachen" und insoweit waren sie bereits bekannt.<br />

Der Umstand, dass sich der Betroffene nach seiner Verlegung in den offenen Vollzug neben bereits in seinem Besitz<br />

befindlichem Material mit erotischen Inhalten weitere pornographische Filme, Bücher und Comic-Hefte beschafft<br />

habe, in welchen <strong>zum</strong> Teil Vergewaltigungsszenen sowie Fesselungen und Misshandlungen weiblicher Opfer dargestellt<br />

werden, stellt danach inhaltlich keine "neue Tatsache" dar. Die Vorliebe des Betroffenen für Film- und Druckmedien<br />

mit pornographischen, auch sadomasochistischen Inhalten war spätestens im Rahmen der Ermittlungen we-<br />

39


gen der Anlasstat im Jahr 1996 bekannt geworden und entsprechendes sichergestelltes Material war zu Beweiszwecken<br />

benannt und zur Einsicht bereit gehalten worden.<br />

Ebenso ist auch das verbotene Einbringen pornographischen Materials in den offenen Vollzug hier keine relevante<br />

Anknüpfungstatsache (vgl. auch BGH NJW 2006, 531).<br />

Die Äußerung des Betroffenen in der Vollzugsplankonferenz, er erkenne die Gefahr bei sich und habe keine Mechanismen<br />

zur Kontrolle sowie die nachfolgenden Angaben gegenüber der Anstaltspsychologin, er habe diese Phantasien,<br />

welche mit Gewalt assoziiert seien, sind ebenfalls nicht als neue Tatsachen zu bewerten. Bereits gegenüber dem<br />

Gutachter Dr. S. hatte der Betroffene vergleichbare Angaben gemacht. Bei der Anlassverurteilung war bereits bekannt,<br />

dass dem Betroffenen seine Neigung und die hieraus folgende Gefahr der Begehung von weiteren, auch<br />

schwerwiegenden Straftaten durchaus bewusst waren. Ebenso war auch die aus der beschriebenen Neigung resultierende<br />

Gefährlichkeit des Betroffenen deutlich angesprochen worden. Seine nunmehr im Vollzug wiederholte Äußerung,<br />

er erkenne bei sich eine Gefahr, ist daher nicht als neue Tatsache zu bewerten.<br />

Schließlich stellen die im Rahmen der nach Vollzugsende durchgeführten Exploration gegenüber dem Sachverständigen<br />

gemachten Äußerungen Dr. P. keine "neue Tatsachen" dar. Zwar können die ausführlichen umfangreichen<br />

Angaben des Betroffenen zu seinen sexuellen sadistischen Phantasien, welche erstmals einen tieferen Einblick<br />

in sein Binnenerleben ermöglichen, Anknüpfungstatsachen im Sinne des § 66b StGB sein. Seine nunmehr verbalisierten<br />

Phantasien waren den vor der Anlassverurteilung tätigen Sachverständigen nicht bekannt, da sich der Betroffene<br />

ihnen gegenüber nicht öffnete. Auch hat der Sachverständige Dr. P. aufgrund dieser Anknüpfungstatsachen<br />

eine grundlegende diagnostische Neubewertung vorgenommen und gelangt zu dem Ergebnis, dass kein Zweifel an<br />

dem Vorliegen einer hochgradig devianten Sexualität, eines sexuellen Sadismus bestehe.<br />

d) Voraussetzung für die Einordnung der Anknüpfungstatsachen als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB ist<br />

jedoch, dass sie die Gefährlichkeit des Betroffenen höher (vgl. BVerfG NJW 2006, 3483) bzw. - was hier relevant ist<br />

- in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 1 StR<br />

391/07). Letzteres kann vorliegend nicht festgestellt werden. Bereits auf der Grundlage der zuvor stets gleich lautenden<br />

Angaben des Betroffenen zu seiner Sexualanamnese haben der Sachverständige Dr. B. und der im Jahr 2004<br />

mit der Erstellung eines kriminalprognostischen Gutachtens beauftragte Sachverständige Dr. Sp. eine ungünstige<br />

Legalprognose gestellt.<br />

Auch nach Kenntnis der umfangreichen Angaben des Betroffenen zu seinen sexuellen Phantasien ist der Sachverständige<br />

Dr. B. nicht zu einer diagnostischen Neubewertung und insbesondere nicht zu der Annahme einer devianten<br />

Sexualität gelangt. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. P. und Dr. B. hat sich in der Gesamtschau<br />

unbeschadet einer möglichen diagnostischen Neubewertung keine neue Einschätzung zur Persönlichkeit<br />

des Betroffenen ergeben. Der Sachverständige Dr. S.<br />

hat ihn bereits im Anlassverfahren als gefährlichen<br />

Hangtäter im Sinn des § 66 StGB charakterisiert. Nicht zuletzt wurde die hohe Gefährlichkeit des Betroffenen<br />

auch durch seine Straftaten, insbesondere die von ihm nach langer Strafhaft und über fünfzehnjähriger, relativ stabiler<br />

Zeit in Freiheit begangene Anlasstat belegt.<br />

e) Es ist demnach revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach einer umfassenden Gesamtwürdigung<br />

der Anknüpfungstatsachen davon ausgegangen ist, dass die von dem Betroffenen ausgehende Gefahr seit<br />

langem zutreffend beschrieben worden und bereits im Anlassverfahren nicht nur erkennbar gewesen ist, sondern<br />

sogar ausdrücklich bekannt war. Die Angaben des Betroffenen über seine sexuell-sadistischen Phantasien sind zwar<br />

wesentlich für die diagnostische Bewertung, lassen aber die bereits zuvor bekannte Gefährlichkeit des Betroffenen<br />

nicht in einem grundlegend neuen Licht erscheinen.<br />

f) Dem Senat ist bewusst, dass der Betroffene aufgrund seiner Vorgeschichte gefährlich ist. Nach dem eindeutigen<br />

Willen des Gesetzgebers, der in § 66b StGB klar <strong>zum</strong> Ausdruck gekommen ist, besteht jedoch keine rechtliche Möglichkeit,<br />

nachträglich die Sicherungsverwahrung anzuordnen.<br />

40


StGB § 066b Grenzen nachträglicher Sicherungsverwahrung bei fehlender Bereitschaft<br />

BGH, Urt. v. 22.07.2008 – 5 StR 274/08 (alt: 5 StR 376/07) -NJW 2008, 3010; NStZ 2008, 621; StV <strong>2009</strong>, 19; BGHR<br />

StGB § 66b Neue Tatsachen 5<br />

LS: Grenzen der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wegen<br />

mangelnder Therapiebereitschaft.<br />

1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 5. Februar 2008 aufgehoben. Der<br />

Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.<br />

2. Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Revisionsverfahren, und die notwendigen Auslagen des Verurteilten<br />

fallen der Staatskasse zur Last.<br />

3. Der Verurteilte ist für die vom 29. September 2006 bis <strong>zum</strong> 22. Juli 2008 gemäß § 275a Abs. 5 StPO vollzogene<br />

einstweilige Unterbringung zu entschädigen.<br />

G r ü n d e<br />

Gegen den Verurteilten war bereits mit Urteil vom 23. April 2007 nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung<br />

angeordnet worden. Nachdem der Senat durch Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 5 StR 376/07 dieses<br />

Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hatte, hat das Landgericht<br />

erneut die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2<br />

StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts<br />

beanstandet. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückweisung des Antrags der<br />

Staatsanwaltschaft.<br />

I. 1. Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde gelegt:<br />

a) Zwischen Oktober 1995 und September 1998 reiste der Verurteilte gemeinsam mit wechselnden Mittätern nach<br />

Tschechien, um dort kinderpornographische Aufnahmen zu machen. Er suchte den Kontakt mit Vätern und Müttern,<br />

die ihre Kinder gegen Bezahlung hierfür zur Verfügung stellten. An den Kindern – das jüngste war sieben Jahre alt –<br />

nahmen sodann der Angeklagte und sein Begleiter sexuelle Handlungen vor, oder die Kinder manipulierten auf Geheiß<br />

der Täter an deren Geschlechtsteilen. In einem Fall fand ein solches Geschehen in Deutschland statt. Dabei<br />

filmten oder fotografierten der Verurteilte und seine Tatgenossen die Handlungen, vor allem die Geschlechtsteile der<br />

Kinder, auch um das so entstandene Film- und Fotomaterial verkaufen zu können.<br />

Deswegen erkannte das Landgericht Dresden am 27. August 1999 wegen vier Verbrechen (jeweils schwerer sexueller<br />

Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit einem Vergehen) und wegen 21 Vergehen (jeweils sexueller Missbrauch<br />

von Kindern teilweise in Tateinheit mit einem weiteren Vergehen) auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht<br />

Jahren. Für die vier zwischen Juni und September 1998 begangenen Verbrechen setzte das Landgericht Einzelfreiheitsstrafen<br />

zwischen zwei Jahren fünf Monaten und zwei Jahren neun Monaten, für die 21 Vergehen Einzelfreiheitsstrafen<br />

von sechs Monaten bis zu zwei Jahren drei Monaten fest. Die Maßregel der Sicherungsverwahrung nach<br />

§ 66 Abs. 2 StGB ordnete es nicht an. Ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen wurde festgestellt, dass bei dem<br />

Verurteilten eine „pädophile Neigung“ vorliege, die einen erheblichen Therapiebedarf erforderlich mache. Es liege<br />

ein „Ansatz zur Therapiebereitschaft“ vor, da der geständige Verurteilte überzeugt sei, durch seinen „starken Willen“<br />

die pädophile Neigung überwinden zu können, hierbei aber um psychologische Unterstützung gebeten habe.<br />

b) Nach Haftantritt im September 1999 ließ sich der Verurteilte im Jahre 2000 auf eine sozialtherapeutisch orientierte<br />

Station verlegen und meldete sich beim psychologischen Dienst. In den Gesprächen mit dem Psychologen, die er<br />

stets wahrnahm, stellte er aber pädophile Neigungen in Frage. Um diese weiter zu verschleiern, machte er zudem in<br />

Fragebögen falsche Angaben. Nachdem er zunächst nicht am Trainingskurs für soziale Kompetenz teilnehmen wollte,<br />

absolvierte er diesen schließlich doch, um in die sozialtherapeutische Anstalt verlegt zu werden; dort versprach er<br />

sich bessere Verdienstmöglichkeiten. Nach der gewünschten Verlegung im Dezember 2002 wurde er in der sozialtherapeutischen<br />

Abteilung in das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter aufgenommen. Die angebotenen Einzel-<br />

und Gruppengespräche nahm er wahr, zeigte dabei aber „keinerlei Bestreben, seine Straftaten zu hinterfragen<br />

und Veränderungen ... zur Vermeidung künftiger Straftaten herbeizuführen“. Persönliche sexuelle Interessen bei den<br />

Taten stellte er weiterhin in Abrede; er wollte sich mit den Hintergründen nicht auseinandersetzen. Ein „Rückfallrisikomanagement“<br />

lehnte er ab. Bei dieser Haltung blieb der Verurteilte auch nach einem Therapeutenwechsel. Nun<br />

nahm er einige Gesprächstermine nicht wahr. Nachdem ihm seine Therapeutin die Rückverlegung in Aussicht gestellt<br />

hatte, gab er an, die Therapie sei für ihn abgeschlossen, da er alle Gesprächstermine wahrgenommen habe.<br />

Aufgrund der als „unbeeinflussbar einzuschätzenden Persönlichkeitseigenschaften“ erfolgte schließlich im Septem-<br />

41


er 2005 die Rückverlegung in den Regelvollzug. Hier bemühte sich der Verurteilte um Kontakt <strong>zum</strong> Anstaltspsychologen.<br />

Nach dessen Einschätzung fehlte dem Verurteilten weiterhin jegliche Bereitschaft, sich mit seinen Straftaten<br />

auseinanderzusetzen. Ein „Risikomanagement“ lehnte der Verurteilte ab, da er wegen seines festen Willens nicht<br />

mehr rückfällig werden würde.<br />

c) Bis <strong>zum</strong> 28. September 2006 verbüßte der Verurteilte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Seit dem 29. September<br />

2006 befindet er sich im Vollzug der einstweiligen Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO.<br />

2. Das Landgericht ist – nach Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB – sachverständig<br />

beraten zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Verurteilten eine hohe Wahrscheinlichkeit erneuter Begehung<br />

erheblicher, potentielle Opfer schwer schädigender Straftaten der in § 66b Abs. 2 StGB vorausgesetzten Art begehen<br />

werde. Insoweit hält das Landgericht auch einen entsprechenden Hang des Verurteilten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr.<br />

3 StGB für gegeben, den es freilich für § 66b Abs. 2 StGB nicht für erforderlich hält (so BVerfG – Kammer – NJW<br />

2006, 3483, 3484; a. A. BGHSt 50, 373, 381 f.). Die Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit ergebe<br />

sich aus Tatsachen, die erst während des Strafvollzugs erkennbar geworden seien.<br />

a) Das Landgericht wertet – anders noch als die Strafkammer im vorangegangenen Rechtszug – die im Rahmen des<br />

Verfahrens zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erstmals von zwei psychiatrischen Sachverständigen<br />

übereinstimmend gestellte Diagnose einer gefestigten und genuinen Pädophilie, die prognostisch ungünstig<br />

mit einer dissozialnarzisstischen Persönlichkeit kombiniert sei, nicht als eine erst während des Strafvollzugs erkennbar<br />

gewordene Tatsache. Im Anschluss an die Beurteilung der Sachverständigen führt es hierzu aus, dass bereits <strong>zum</strong><br />

Zeitpunkt der Anlassverurteilung genügend Anknüpfungstatsachen bekannt gewesen seien, die eine solche Diagnose<br />

durch einen Sachverständigen ermöglicht hätten.<br />

b) Als neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Landgericht die mangelnde Bereitschaft des<br />

Verurteilten zur Mitarbeit an der Therapie gewertet. Hierin liege eine grundlegende Haltungsänderung des Verurteilten<br />

hinsichtlich der Wertung seiner Taten und seiner Therapiemotivation, die den Schluss auf eine gegenüber der<br />

Anlassverurteilung deutlich erhöhte Gefährlichkeit des Verurteilten zuließe. Daher lägen die Voraussetzungen für die<br />

nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung vor.<br />

II. Die Anwendung des § 66b StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

1. Der Senat nimmt die für die Annahme der formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB maßgebliche Wertung<br />

des Landgerichts, dass die aus den Einzelstrafen für die vier Verbrechen – nur diese erfüllen die Voraussetzungen<br />

des § 66b Abs. 2 StGB – zu bildende hypothetische Gesamtfreiheitsstrafe (vgl. BGHSt 48, 100, 103) mindestens<br />

fünf Jahre betragen hätte, trotz gewisser Bedenken (vgl. hierzu Fischer, StGB 55. Aufl. § 66b Rdn. 13 und § 66 Rdn.<br />

16) hin.<br />

2. Indes stellt die Haltung des Verurteilten zu seinen Taten und zur Therapie keine neue Tatsache dar, die erst nach<br />

der Verurteilung erkennbar geworden ist. Zwar kann in der Verweigerung oder dem Abbruch einer Therapie eine<br />

solche Tatsache liegen (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2006, 3483, 3485; BGHSt 50, 121, 126; 275, 280 f.; BGH<br />

NStZ 2005, 561, 562). Dies setzt aber voraus, dass das für die Aburteilung der Anlasstaten zuständige Gericht <strong>zum</strong><br />

Zeitpunkt seiner Entscheidung begründet annehmen konnte, der Verurteilte werde sich zur Verringerung der von ihm<br />

ausgehenden Gefahr einer erfolgversprechenden Therapie unterziehen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 302; BGH, Urteil<br />

vom 23. März 2006 – 1 StR 476/05 Rdn. 22). Daran fehlt es hier.<br />

Das Gericht der Anlassverurteilung hat weder eine ernsthafte Therapiewilligkeit des Verurteilten dargelegt, noch<br />

sich tragfähig eine Überzeugung von den Erfolgsaussichten einer solchen Therapie gebildet, die dessen erkennbare<br />

Gefährlichkeit hätte beseitigen können. Dabei lässt der Senat offen, ob das Landgericht, was nicht fern liegt, an diese<br />

Beurteilung bereits aufgrund der ersten Revisionsentscheidung gebunden war (§ 358 Abs. 1 StPO).<br />

a) Soweit der bei der Anlassverurteilung lediglich festgestellte „Ansatz zur Therapiebereitschaft“ im Zusammenhang<br />

mit der damaligen Geständnis- und Offenbarungsbereitschaft des Verurteilten als ernsthafter Therapiewillen ausgelegt<br />

wird, begründet dies keinen belastbaren Veränderungswillen des Verurteilten hinsichtlich seiner sexuellen Devianz.<br />

Denn die Annahme der Therapiebereitschaft war allein auf die Darstellung des Verurteilten gegründet, er sei<br />

eine „Persönlichkeit mit einem starken Willen“ und er sei überzeugt, durch seinen starken Willen die pädophilen<br />

Neigungen überwinden zu können, er bitte aber um psychologische Unterstützung. Dass eine derart pauschal erklärte<br />

Bereitschaft, die zudem nahe liegend von zulässigen Verteidigungsinteressen mitbestimmt gewesen und die durch<br />

keine Tatsachen oder sachverständige Wertung gestützt worden ist, nicht geeignet gewesen sein kann, auf eine erfolgversprechende<br />

Therapiebereitschaft schließen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss in dieser Sache vom 10. Oktober<br />

2007 – 5 StR 376/07 S. 5), hat das Gericht der Anlassverurteilung selbst erkannt, da es nur von einem „Ansatz zur<br />

Therapiebereitschaft“ ausgegangen ist. Auch wenn – wie das Landgericht seiner Würdigung zugrunde legt – das<br />

damals zuständige Tatgericht durch diese Formulierung keine Abstriche an der Therapiewilligkeit deutlich machen<br />

42


wollte, kommt darin doch <strong>zum</strong> Ausdruck, dass die Tatsachenbasis nicht ausreichend war, um allein auf dieser Grundlage<br />

von einer Therapiemöglichkeit auszugehen, welche geeignet war, die offensichtliche Rückfallgefahr maßgeblich<br />

zu vermindern.<br />

ernsthafte und erfolgversprechende Therapiebereitschaft ergeben, mit denen sich das Ausgangsgericht nicht auseinandergesetzt<br />

hat. So imponieren die Angaben des Verurteilten dadurch, dass sie im Wesentlichen auf eine Selbstbeeinflussung<br />

ohne äußere Einflüsse bezogen sind. Äußerungen des Verurteilten nach dem Strafvollzug, die sich mit<br />

diesen Bekundungen bei der Anlassverurteilung inhaltlich decken, wie z. B., er habe eine „starke Persönlichkeit, die<br />

ihn befähige, keine Straftaten mehr zu begehen“, hat die jetzt zuständige Strafkammer mit sachverständiger Beratung<br />

als Ausdruck einer sich in seine narzisstische Persönlichkeitsstörung einfügende „Selbstüberschätzung“, in der auch<br />

der Wille <strong>zum</strong> Ausdruck komme, „sich von niemanden Vorschriften machen zu lassen“, gewürdigt. Es ist nicht ersichtlich,<br />

dass eine die Therapieaussichten derart relativierende, sogar mit auf eine Persönlichkeitsstörung des Verurteilten<br />

zurückgehende Bewertung der Haltung des Verurteilten zu therapeutischen Behandlungen nicht auch schon<br />

bei der Anlassverurteilung mit sachverständiger Hilfe möglich gewesen wäre. Dass dies tatsächlich unerkannt blieb,<br />

ist demgegenüber ohne Belang. Denn auch solche neu hervorgetretenen Umstände, die schon für das Tatgericht der<br />

Anlassverurteilung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt mit Blick auf § 244 Abs. 2 StPO erkennbar waren, sind<br />

nicht neu im Sinne des § 66b StGB (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 275, 278; 373,<br />

379).<br />

b) Aber auch wenn der Verurteilte <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anlassverurteilung ernstlich therapiewillig gewesen wäre, läge<br />

in dem Misslingen der Therapiebemühungen keine neue Tatsache im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB. Eine voraussichtliche<br />

Erfolglosigkeit hätte schon dem Ausgangsgericht bekannt werden können (vgl. BVerfG – Kammer –<br />

aaO S. 3484, 3485; BGHSt 50, 121, 126 f.; 373, 379 m.w.N.).<br />

Das Ausgangsgericht ging ohne den gebotenen sachverständigen Rat von einer bloßen pädophilen Neigung des Verurteilten<br />

aus. Es wäre indes, was das Landgericht konzediert, in der Lage gewesen, die damals wie heute unverändert<br />

bestehende Gefährlichkeit des Verurteilten als auf seiner verfestigten Pädophilie in prognostisch ungünstiger Kombination<br />

mit einer dissozialnarzisstischen Persönlichkeitsstörung beruhend zu erkennen. Es kann dahinstehen, ob<br />

solches schon die Erfolgsaussichten einer Therapie gänzlich beseitigt hätte; jedenfalls steht die dem Ausgangsgericht<br />

mögliche – indes nicht vorgenommene – zutreffende Bewertung der sexuellen Devianz und der psychischen Befindlichkeit<br />

des Verurteilten der Annahme einer prognostischen Sicherheit hinsichtlich des Erfolgs einer Therapie zur<br />

Beseitigung der vom Verurteilten ausgehenden Gefahr als damals tragfähige Voraussetzung für ein Absehen von der<br />

Maßregel der Sicherungsverwahrung entgegen (vgl. BVerfG – Kammer – aaO; BGH NStZ 2000, 587, 589).<br />

Zwar hat das Landgericht in dem zur revisionsgerichtlichen Überprüfung gestellten Urteil sachverständig beraten<br />

ausgeführt, dass der Verurteilte „aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten grundsätzlich therapiefähig“ gewesen<br />

sei und daher auch bei Hinzuziehung eines Sachverständigen bei der Anlassverurteilung „kein vernünftiger Zweifel<br />

an der Ernsthaftigkeit des Therapiewunsches bestanden“ hätte. Bei dem „Tätertyp des Verurteilten sei Therapiefähigkeit<br />

nicht von vornherein ausgeschlossen“. Diese Bewertung ist jedoch nicht geeignet, die gebotene hohe Prognosesicherheit<br />

hinsichtlich des Gelingens der Therapie zu belegen. Denn selbst aus diesen eher allgemein gehaltenen<br />

Ausführungen, welche die in der Persönlichkeit des Verurteilten wurzelnden und bei der Anlassverurteilung erkennbaren<br />

Umstände nicht einbeziehen, folgt nur die grundsätzliche Therapiefähigkeit; zu den konkreten Erfolgsaussichten<br />

lässt sich daraus noch nichts entnehmen.<br />

Darüber hinaus ergeben sich vorliegend aus den Urteilsausführungen zur Persönlichkeit des Verurteilten gewichtige<br />

Anhaltspunkte, die gegen die tragfähige Annahme der Erfolgsaussicht einer Therapie aus Sicht der Anlassverurteilung<br />

bei hinreichend sorgfältiger Sachaufklärung sprechen. So ist festgestellt, dass die Behandlung in der sozialtherapeutischen<br />

Anstalt aufgrund seiner als „unbeeinflussbar einzuschätzenden Persönlichkeitseigenschaften“ abgebrochen<br />

wurde. Auch kommt das Landgericht – den beiden Sachverständigen folgend – zu dem Schluss, der Verurteilte<br />

weise eine „therapieveränderungsresistente Persönlichkeitsstruktur“ auf. Die Strafkammer hat nicht dargelegt, dass<br />

diese Eigenschaften des Verurteilten und das hieraus resultierende Gefährlichkeitspotenzial nicht schon bei der Anlassverurteilung<br />

erkennbar gewesen wären. Dass diese einer günstigen Therapieprognose entgegenstehenden Tatsachen<br />

von einem Sachverständigen bei der Anlassverurteilung nicht schon <strong>zum</strong>indest im Ansatz erkannt worden wären,<br />

liegt nach Beurteilung der jetzt gehörten Sachverständigen (UA S. 80) gänzlich fern.<br />

c) Angesichts dieser, <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anlassverurteilung bereits zu Tage liegenden, gegen eine Erfolgsaussicht<br />

einer Therapie sprechenden gewichtigen Umstände hätte es demnach bereits dem über die Anlasstaten befindenden<br />

Gericht offen gestanden, geeignete Maßnahmen <strong>zum</strong> Schutz der Allgemeinheit zu ergreifen (vgl. BVerfG – Kammer<br />

– aaO S. 3484); es wäre zu deren Prüfung – ebenso wie die Staatsanwaltschaft durch entsprechende Anträge bereits<br />

in der Anklage und in der Hauptverhandlung –gehalten gewesen. Hat das Ausgangsgericht – wie hier – dennoch von<br />

43


der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen, weil es die Beseitigung der vom Verurteilten ausgehenden<br />

Gefahr durch eine Therapie erwartet hat, und wird diese Erwartung auf Grund bereits dem Ausgangsgericht erkennbarer<br />

Umstände enttäuscht, darf die Maßregel der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht als Korrektiv der<br />

unrichtigen Prognose herangezogen werden (vgl. BVerfG – Kammer – aaO). Die Vorschrift des § 66b StGB dient<br />

nämlich nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen (BVerfG – Kammer – aaO S. 3484; BGHSt<br />

50, 373, 379; BGH NStZ-RR 2007, 370, 371; BGH StV 2008, 303, zur Aufnahme in BGHSt bestimmt; BGH, Beschluss<br />

vom 19. Oktober 2007 – 3 StR 378/07). Das hat zur Folge, dass trotz der damals wie auch heute vorliegenden<br />

hohen Wahrscheinlichkeit für die Begehung neuer Sexualdelikte das – auch von der Staatsanwaltschaft im Ausgangsverfahren<br />

akzeptierte – Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht durch die Anordnung der<br />

nachträglichen Sicherungsverwahrung geheilt werden kann.<br />

3. Der Senat schließt angesichts der umfassenden, durchweg sorgfältigen Darlegungen im angefochtenen Urteil aus,<br />

dass sich in einem weiteren Verfahren noch Umstände ergeben könnten, die als neue Tatsachen die Verhängung der<br />

Maßregel rechtfertigen könnten. Er entscheidet daher selbst, dass die Maßregelanordnung entfällt.<br />

III. Der Verurteilte ist für die einstweilige Unterbringung zu entschädigen. Es handelt sich um eine Strafverfolgungsmaßnahme<br />

nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG (BGH StV 2008, 303, 304; BGH StraFo 2008, 266 m.w.N.). Der Senat<br />

ist nach § 8 StrEG für den Ausspruch über die Verpflichtung zur Entschädigung zuständig, weil er eine verfahrensabschließende<br />

Entscheidung getroffen hat. Weitere, vom Tatrichter zu treffende Feststellungen sind nicht mehr erforderlich.<br />

Umstände, die <strong>zum</strong> Ausschluss oder der Versagung der Entschädigung Anlass geben könnten, liegen<br />

nicht vor.<br />

Dem Landgericht obliegen die Entscheidungen im Zusammenhang mit der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht<br />

(§ 68f StGB), in deren Rahmen angesichts der belegten fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten dessen<br />

möglichst engmaschige Einbindung anzustreben sein wird.<br />

StGB § 066b § 67d VI 1, StPO Nachträgl. Sicherungsverwahrung nach Entscheidung des Großen<br />

Senats vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 -<br />

BGH, Beschl. v. 10.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 314/07<br />

Zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherheitsverwahrung.<br />

1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. Februar 2007 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Bielefeld hat gegen den Verurteilten die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung<br />

gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und<br />

sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I. Der jetzt 63jährige Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wegen vorsätzlichen<br />

Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Zugleich wurde<br />

gegen ihn - zunächst - die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet. Nach den Feststellungen<br />

hatte er in erheblich alkoholisiertem Zustand (Tatzeit-BAK 4,02 Promille) einen Zechgenossen durch Schläge mit<br />

der Faust und einer Taschenlampe sowie durch Fußtritte misshandelt, so dass dieser u.a. ein Schädelhirntrauma und<br />

mehrere Gesichtsfrakturen erlitt. Das Landgericht ging davon aus, dass der Verurteilte die Rauschtat (gefährliche<br />

Körperverletzung) im Zustand erheblich verminderter, möglicherweise sogar völlig aufgehobener Schuldfähigkeit<br />

begangen hatte, während er bei Trinkbeginn (im Zeitpunkt des "Sichberauschens") voll schuldfähig war. Nach den<br />

Feststellungen des Landgerichts lag beim Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, die zwar seine<br />

Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hinsichtlich der Alkoholaufnahme beeinträchtigte, die jedoch nicht so erheblich<br />

war, dass sie in den Anwendungsbereich des § 21 StGB fiel. Deshalb lehnte das Landgericht eine Unterbringung<br />

gemäß § 63 StGB ab. Von der Unterbringung des Verurteilten nach § 64 StGB sah es wegen mangelnder Erfolgsaussichten<br />

ab.<br />

Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil durch Beschluss vom 8. Januar 2004 (= NStZ 2004, 384)<br />

im Maßregelausspruch mit den Feststellungen auf und verwarf die Revision im Übrigen. Zur Begründung wurde<br />

44


ausgeführt, dass dem Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen dürfe, dass er nicht wegen der Rauschtat (gefährliche<br />

Körperverletzung), sondern (weil seine Steuerungsfähigkeit möglicherweise aufgehoben war) in Anwendung<br />

des Zweifelssatzes wegen Vollrausches verurteilt worden sei. In erneuter Anwendung des Zweifelssatzes (diesmal<br />

<strong>zum</strong> Rechtsfolgenausspruch) habe das Landgericht die Voraussetzungen des § 63 StGB prüfen und nach § 72 Abs. 1<br />

StGB der Maßregel den Vorzug geben müssen, die den Angeklagten am wenigsten beschwere.<br />

Durch Urteil des Landgerichts vom 17. Juni 2004, rechtskräftig seit 11. August 2004, wurde gegen den Verurteilten -<br />

neben der bereits rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe - die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus<br />

gemäß § 63 StGB angeordnet. Nach den Feststellungen in diesem Urteil litt der Verurteilte an einer schweren dissozialen<br />

Persönlichkeitsstörung. Diese habe zwar für sich betrachtet seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht<br />

erheblich beeinträchtigt. Jedoch habe zwischen der dissozialen Persönlichkeitsstörung und der Alkoholsucht des<br />

Verurteilten eine Wechselwirkung bestanden; die Persönlichkeitsstörung sei für das Fortbestehen der Alkoholsucht<br />

kausal. Zur Tatzeit sei der Verurteilte entweder gar nicht oder nur erheblich vermindert in der Lage gewesen, sein<br />

Verhalten im Hinblick auf die von ihm begangene gefährliche Körperverletzung zu steuern. Von ihm seien infolge<br />

seines weiter andauernden Zustandes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten; von ihm gehe<br />

deshalb eine Gefahr für die Allgemeinheit aus.<br />

Ab dem 16. November 2004 wurde die Maßregel vollzogen. Durch Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 22.<br />

September 2006, rechtskräftig seit dem 17. Oktober 2006, wurde die Unterbringung gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1<br />

StGB für erledigt erklärt, weil bei dem Verurteilten eine Persönlichkeitsstörung nicht vorliege, so dass - obwohl er<br />

weiterhin gefährlich sei - die Voraussetzung für den weiteren Vollzug der Maßregel entfalle. Die noch offene Restfreiheitsstrafe<br />

von 116 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wurde nicht zur<br />

Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte verbüßte die Restfreiheitsstrafe in der Zeit vom 18. Oktober 2006 bis <strong>zum</strong> 25.<br />

Januar 2007. Seit dem 26. Januar 2007 wird der nach § 275 a Abs. 5 StPO erlassene Unterbringungsbefehl des Landgerichts<br />

Bielefeld gegen ihn vollzogen.<br />

Die Staatsanwaltschaft hat am 26. Oktober 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den<br />

Verurteilten gemäß § 66 b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Bielefeld gefolgt.<br />

Nach den Feststellungen des nunmehr angefochtenen Urteils ist der Verurteilte seit nahezu 45 Jahren alkoholabhängig.<br />

Außerdem bestehe bei ihm eine Persönlichkeitsfehlentwicklung mit dissozialen und narzisstischen Strukturen,<br />

die lediglich als eine Persönlichkeitsakzentuierung zu werten sei und daher nicht die Kriterien einer schweren anderen<br />

seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erfülle. Das Landgericht nimmt an, dass der Verurteilte<br />

wegen seiner therapieresistenten Alkoholabhängigkeit und seiner Persönlichkeitsfehlentwicklung mit dissozialen und<br />

narzisstischen Anteilen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Freiheit sehr rasch wieder alkoholrückfällig<br />

und unter alkoholischer Beeinflussung erneut Straftaten begehen werde, wobei Delikte zu erwarten seien, die<br />

<strong>zum</strong>indest schwere körperliche Schäden der davon betroffenen Personen zur Folge haben werden (UA 29).<br />

Das Landgericht stützt seine Prognose insbesondere auf zwei - der insgesamt 19 im Urteil näher ausgeführten - Vorverurteilungen:<br />

Zum einen war gegen den Verurteilten am 5. Februar 1986 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit<br />

mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten<br />

verhängt worden. Unter Einbeziehung von Strafen aus einem vorangegangenen Urteil war eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von acht Jahren festgesetzt, ferner war die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Die zu<br />

Grunde liegende Tat hatte der Verurteilte während eines mehrtägigen Zechgelages am 25. Januar 1985 begangen. Er<br />

wurde am 25. Juni 1993 - ohne Therapieerfolg - aus Haft und Unterbringung entlassen. Zum anderen war der Verurteilte<br />

am 21. März 1997 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten<br />

verurteilt worden. Zugleich war abermals die Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet worden. Der Verurteilte<br />

hatte am 5. April 1996 einen Zechgenossen durch Schläge gegen den Kopf mit einem Hammer oder Brecheisen<br />

getötet. Der Vollzug von Strafe und Maßregel endete am 15. März 2001, wobei die Unterbringung im Jahre 1999<br />

nicht weiter vollzogen wurde, weil nicht zu erwarten war, dass das Maßregelziel erreicht werden konnte.<br />

II.<br />

Der Senat hat im Hinblick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2007 - 1<br />

StR 268/07 (= BGHSt 52, 31), nach der bei einem Verurteilten, der - wie hier - im Anschluss an die Erledigungserklärung<br />

nach § 67 d Abs. 6 StGB noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt<br />

worden war, die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nach § 66 b Abs. 3 StGB, sondern regelmäßig nur<br />

unter den Voraussetzungen von § 66 b Abs. 1 StGB oder § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet werden kann, mit Beschluss<br />

vom 19. Juni 2008 (= NJW 2008, 2661) dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs gemäß § 132<br />

Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:<br />

45


Steht es der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Betroffene<br />

nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6<br />

StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist?<br />

Der Große Senat für Strafsachen hat in seinem Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - die Rechtsauffassung<br />

des 1. Strafsenats bestätigt. Für die Annahme neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 StGB<br />

genüge allerdings, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen der Unterbringung<br />

nach § 63 StGB die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegt werde.<br />

III.<br />

Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen steht der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in<br />

der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Verurteilte nach der Erklärung<br />

der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus noch Freiheitsstrafe zu verbüßen<br />

hatte, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden war. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Da<br />

nach den Feststellungen jedoch eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung unter den Voraussetzungen<br />

des § 66 b Abs. 1 StGB in Betracht kommt, ist die Sache unter Aufhebung der Feststellungen an das Landgericht<br />

zurückzuverweisen.<br />

1. Der Senat erachtet den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />

gemäß § 66 b Abs. 3 StGB (Bd. II Bl. 303 f. d.A.) als Voraussetzung zur Durchführung des Verfahrens für noch<br />

genügend, weil der Verfahrensgegenstand hinreichend genau bestimmt und dem Verurteilten nach der Antragstellung<br />

ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist (Bd. II Bl. 308, 323, 325, 331, 351 ff. d.A.). Das Fehlen einer<br />

Begründung des Antrags dahin, dass die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB vorliegen, macht den Antrag ausnahmsweise<br />

nicht unzulässig, da erst durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen dieser Vorschrift<br />

Bedeutung zukommt. Insoweit ist hinzunehmen, dass dem Verurteilten die tatbestandlichen Voraussetzungen des §<br />

66 b Abs. 1 StGB, insbesondere die konkreten neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB, erst in der<br />

neuen Hauptverhandlung mitgeteilt werden (vgl. BGHSt 50, 284, 292; 50, 373, 376).<br />

2. Eines näheren Eingehens auf die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen bedarf es nicht, da die Sachrüge<br />

durchgreift. Soweit die Revision geltend macht, § 66 b StGB verstoße gegen europäisches Recht, teilt der Senat diese<br />

Auffassung nicht (vgl. BGHSt 50, 373, 377 ff.; s. auch BVerfG [Kammer] JR 2006, 474, 475 ff.; BVerfG, Beschluss<br />

vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 749/08; BGHSt 50, 284, 295; BGH StV 2008, 304, 306 [zur Verfassungsmäßigkeit<br />

der Vorschrift]).<br />

3. In dem angefochtenen Urteil sind die Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

gemäß § 66 b Abs. 1 StGB nicht im Einzelnen dargetan. Damit musste sich das Landgericht auf der Grundlage<br />

seiner Rechtsauffassung auch nicht befassen.<br />

a) Nach den bisherigen Feststellungen liegen allerdings die formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 Satz 1<br />

i.V.m. § 66 Abs. 1 StGB vor (vgl. hierzu BGH NStZ 2006, 178, 179). Der Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts<br />

Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wegen einer vorsätzlichen Straftat im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB (§<br />

323 a i.V.m. § 224 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Vor dieser Tat wurde<br />

bereits zweimal jeweils eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr gegen ihn verhängt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1<br />

StGB). Das Landgericht Bielefeld erkannte mit Urteil vom 5. Februar 1986 wegen sexueller Nötigung u.a. auf eine<br />

Einzelstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und mit Urteil vom 21. März 1997 wegen vorsätzlichen Vollrausches<br />

auf eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Wegen dieser Taten befand sich der Verurteilte<br />

mehr als zwei Jahre sowohl in Strafhaft als auch im Maßregelvollzug (§ 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Rückfallverjährung<br />

(§ 66 Abs. 4 Sätze 3 und 4 StGB) ist - soweit ersichtlich - nicht eingetreten.<br />

b) Das Landgericht Bielefeld hat in seinem Urteil vom 20. Dezember 2002, in dem es gegen den Verurteilten - zunächst<br />

- die Sicherungsverwahrung angeordnet hatte, festgestellt, dass der Verurteilte einen Hang zu erheblichen<br />

Straftaten hat (UA 22). Die materielle Voraussetzung des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB wird der nunmehr entscheidende<br />

Tatrichter neu zu prüfen haben (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 a.E. StGB). Festzustellen wird er auch haben, ob vor Ende des<br />

Vollzugs der (Rest-)Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar waren, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten<br />

für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 1. HS StGB). Hierbei wird er mit sachverständiger Hilfe<br />

Folgendes zu berücksichtigen haben:<br />

aa) Wegen der schwer wiegenden Folgen, die mit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach<br />

einer Erledigungserklärung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für den Verurteilten verbunden<br />

sind, muss über das Beschlussverfahren der Strafvollstreckungskammer nach § 67 d Abs. 6 StGB hinaus in der<br />

Hauptverhandlung nach § 66 b StGB geprüft werden, ob die (mögliche) qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten<br />

(weiterhin) auf der (dauerhaften) psychischen Störung des Verurteilten beruht, die in der Anlassverurteilung zur<br />

46


Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hat (vgl. hierzu BGHSt 50, 373, 385 [Sachnähe des<br />

nach § 74 f GVG zuständigen Gerichts]). Ist dies der Fall, so kommt - für § 66 b Abs. 1 und 2 StGB schon mangels<br />

neuer Erkenntnisse - eine Unterbringung nach § 66 b StGB nicht in Betracht (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 66 b<br />

Rdn. 14). Für eine etwaige "Rückverweisung" des Verurteilten in den Maßregelvollzug nach § 63 StGB gibt es keine<br />

Rechtsgrundlage (vgl. BGH StV 2006, 413; NStZ-RR 2007, 301, 303; BGH, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR<br />

476/05 Rdn. 30, 31; Fischer aaO § 66 b Rdn. 46, § 67 a Rdn. 6).<br />

bb) Im Hinblick auf die erforderlichen neuen Tatsachen ("Nova"), die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten<br />

für die Allgemeinheit hinweisen müssen (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB), wird die nunmehr entscheidende Strafkammer<br />

unter Beachtung der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zu prüfen haben, ob die möglicherweise<br />

fortbestehende (qualifizierte) Gefährlichkeit des Verurteilten aus anderen Tatsachen herzuleiten ist als denjenigen,<br />

die im Anlassurteil zur Begründung des länger andauernden Zustands herangezogen wurden, die zur positiven<br />

Feststellung mindestens erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei der Tatbegehung und zur Anordnung nach § 63<br />

StGB geführt haben (BGH - GS - Rdn. 34). Die neuen Tatsachen dürfen sich nicht darin erschöpfen, dass die der<br />

Persönlichkeitsstörung bzw. -akzentuierung des Verurteilten zu Grunde liegenden Tatsachen lediglich neu beschrieben<br />

oder umbewertet werden. Sie können sich etwa aus dem - bisher nicht näher erörterten - Vollzugsverhalten des<br />

Verurteilten ergeben. Die strafrechtlichen Vorbelastungen des Verurteilten können zur Stützung neuer Tatsachen<br />

Berücksichtigung finden (vgl. BGH - GS - Rdn. 35). Soweit zur Gefährlichkeitsbeurteilung Tests herangezogen<br />

werden (vgl. UA 26, 28), wird zu beachten sein, dass eine bloß abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte<br />

Prognoseentscheidung nicht ausreichend ist (vgl. BVerfG NStZ 2007, 87, 88;<br />

BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 749/08; BGHSt 50, 121, 130 f.; BGH NStZ 2007, 464, 465; s.<br />

auch BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 3 StR 350/08).<br />

StGB § 066b I 2, II fehlende Feststellbarkeit einer günstigen Kriminalprognose<br />

BGH, Beschl. v .25.03.<strong>2009</strong> – 5 StR 21/09<br />

Mit allein an der fehlenden Feststellbarkeit einer günstigen Kriminalprognose orientierten Erwägungen<br />

ist die für § 66 b Abs. 1 i.V.m. § 66 b Abs. 2 StGB erforderliche positive Entscheidung über<br />

eine vom Verurteilten ausgehende gegenwärtige erhebliche Gefahr schwerster Straftaten nicht<br />

nachvollziehbar belegt.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. März <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. Oktober 2008 nach §<br />

349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat gegen den Verurteilten nachträglich die Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66<br />

Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen<br />

Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

1. Der Verurteilte ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:<br />

a) Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat ihn am 8. Juli 1998 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem<br />

Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in acht Fällen sowie wegen sexuellen<br />

Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwölf Jahren verurteilt. Die Einzelstrafen für die Vergewaltigungsfälle betrugen jeweils vier<br />

Jahre und sechs Monate. Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte in den Jahren 1992 und 1993 in Brandenburg wiederholt<br />

sexuelle Handlungen an seiner acht bzw. neun Jahre alten Stieftochter vorgenommen hat. In 20 Fällen vollzog<br />

er – <strong>zum</strong>eist unter Mitwirkung seiner Ehefrau, die das Kind festhielt – den vaginalen Geschlechtsverkehr mit<br />

dem Mädchen. Den in den ersten acht dieser Fälle von der Geschädigten noch geleisteten Widerstand überwand der<br />

Verurteilte mit Gewalt.<br />

47


Das Urteil wurde am 6. Januar 1998 hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs rechtskräftig, hinsichtlich der<br />

Frage der Anordnung einer Maßregel – zunächst war der Verurteilte im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht<br />

worden, nach insoweit erfolgter Aufhebung durch den Bundesgerichtshof wurde eine Maßregel nicht erneut angeordnet<br />

– trat Rechtskraft am 8. Juli 1998 ein.<br />

Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verbüßte der Verurteilte vollständig. Seit dem 15. August 2008 befindet<br />

er sich aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 im Vollzug der einstweiligen<br />

Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO.<br />

b) Bereits vor dieser Anlassverurteilung war der Verurteilte von DDR-Gerichten wegen sexuell motivierter Delikte<br />

bestraft worden, so 1963 wegen versuchter Notzucht (Zuchthausstrafe ein Jahr) und erneut wegen versuchter Notzucht<br />

in Tateinheit mit gewaltsamer Unzucht (Zuchthausstrafe zwei Jahre und sechs Monate), 1968 wegen Unzucht<br />

mit Kindern (Zuchthausstrafe von zwei Jahren), 1972 wegen Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit<br />

(Freiheitsstrafe fünf Monate).<br />

Sodann erfolgte am 10. Mai 1979 durch das Kreisgericht Seelow eine Verurteilung wegen Nötigung zu sexuellen<br />

Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Nach den Feststellungen zog der Verurteilte eine etwa 20 Jahre<br />

alte Frau vom Fahrrad und brachte sie zu Boden, um sie zu vergewaltigen. Hiervon nahm er aber Abstand und berührte<br />

ihr bedecktes Geschlechtsteil. Als es der Geschädigten gelang, aufzuspringen, onanierte er in ihrer Gegenwart<br />

und wies sie an, solange zu bleiben.<br />

Am 30. Juli 1981 wurde er durch das Kreisgericht Frankfurt (Oder) wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu<br />

einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass er ein elfjähriges Mädchen<br />

in seine Wohnung gelockt, ihm dort Alkohol zu trinken gegeben und an ihm sexuelle Handlungen, wie Küssen,<br />

Berühren und Lecken des nackten Geschlechtsteils, vorgenommen hatte.<br />

Am 10. März 1986 wurde gegen den Verurteilten wegen mehrfacher Vornahme sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit<br />

und sexuellen Missbrauchs von Kindern auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten erkannt.<br />

Der Verurteilte hatte sein Geschlechtsteil vor Kindern entblößt, ein Kind hatte er dabei über der Hose an dessen<br />

Geschlechtsteil gestreichelt.<br />

Das Kreisgericht Frankfurt (Oder) erkannte gegen den Verurteilten am 4. Dezember 1989 wegen sexuellen Missbrauchs<br />

von Kindern auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Dem lag zugrunde, dass er das unbedeckte Geschlechtsteil<br />

seiner fünfjährigen Stieftochter berührt und erfolglos versucht hatte, seinen Finger in ihre Scheide einzuführen.<br />

2. Das Landgericht ist nunmehr sachverständig beraten zu der Überzeugung gelangt, dass der Verurteilte aufgrund<br />

eines Hangs zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten gefährlich sei. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit für<br />

die Begehung solcher Taten, da nicht ersichtlich sei, dass sich die für die Delinquenz bedeutsamen Persönlichkeitseigenschaften<br />

des Verurteilten – seine im sexuellen Bereich bestehende moralische Verwahrlosung, seine Egozentrik<br />

und sein Mangel an Empathie – gewandelt hätten; eine Auseinandersetzung mit seinen Taten sei nicht erfolgt, dies<br />

sei aber Voraussetzung für den Aufbau eines Wertesystems gewesen. Auch das Alter des Verurteilten „spreche nicht<br />

gegen eine ungünstige Prognose“. Dies lasse zwar eine Abnahme der sexuellen Spannkraft erwarten, entsprechend<br />

seiner früheren Delinquenz seien aber „Taten zu befürchten, in welchen primär die Unterwerfung des Opfers Ziel des<br />

Übergriffs ist, und nicht das Ausleben einer sexuellen Potenz“ (UA S. 33). Dass die vom Verurteilten ausgehende<br />

Gefahr schon bei der Anlassverurteilung vom 1. Juni 1993 erkennbar gewesen sei, bleibe gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2<br />

StGB unschädlich, da <strong>zum</strong> damaligen Zeitpunkt eine Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen<br />

nicht möglich gewesen sei.<br />

3. Das Urteil hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.<br />

a) Das Landgericht hat zwar zutreffend die formellen Voraussetzungen gemäß § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 2 StGB<br />

zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung angenommen.<br />

Rechtsfehlerfrei hat es zunächst die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB aufgrund der Anlassverurteilung durch<br />

das Landgericht Frankfurt (Oder) vom 8. Juli 1998 bejaht. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen beurteilt sich<br />

gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB allein nach der <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung geltenden Rechtslage (vgl. BGHSt 52, 205, 207).<br />

b) Auch die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 liegen vor, da gegen den Verurteilten aus rechtlichen<br />

Gründen bei der Verurteilung vom 8. Juli 1998 keine Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte. Denn<br />

Art. 1a EGStGB ließ <strong>zum</strong> damaligen Zeitpunkt die Anwendung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung im<br />

Gebiet der ehemaligen <strong>Deutsche</strong>n Demokratischen Republik nur zu, wenn wenigstens einer der in diesem Gebiet<br />

begangenen Anlasstaten nach dem 1. August 1995 begangen worden war (zusammenfassend BVerfG – Kammer –<br />

Beschluss vom 22. Oktober 2008, insoweit in StraFo 2008, 516 nicht abgedruckt; vgl. auch BGHSt 52, 205). Diese<br />

48


Begrenzung entfiel erst <strong>zum</strong> 29. Juli 2004 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung (BGBl I 1838).<br />

c) Indes begegnet die Feststellung der Gefährlichkeit des Verurteilten – selbst eingedenk des nur eingeschränkten<br />

revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 40, 41) – durchgreifenden Bedenken.<br />

Die äußerst belastende Maßregel der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nur in außergewöhnlichen,<br />

seltenen Ausnahmefällen gegen verurteilte Straftäter berechtigt, bei denen aufgrund ihres bisherigen Werdegangs<br />

ein „hohes Maß an Gewissheit“ über die Gefahr besteht, dass sie besonders schwere Straftaten begehen werden<br />

(vgl. BVerfGE 109, 190, 236; BVerfG – Kammer – StraFo 2008, 516 m.w.N.; BGHSt 50, 121, 125; 50, 373,<br />

378; vgl. auch Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, BT-<br />

Drucks. 15/2887, S. 10). Eine hohe Wahrscheinlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn (nur)<br />

überwiegende Umstände auf eine künftige Delinquenz des Verurteilten hindeuten (BVerfGK 9, 108, 118; – Kammer<br />

– StraFo 2008, 516). Es bedarf vielmehr unter Ausschöpfung der Prognosemöglichkeiten einer positiven Entscheidung<br />

über die Gefährlichkeit des Verurteilten.<br />

Hinzu kommt, dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nur auf § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB gestützt<br />

werden kann. Im Hinblick darauf, dass diese Vorschrift die rechtskräftige Anlassverurteilung jedenfalls tangiert<br />

(BVerfG – Kammer – StraFo 2008, 516; BGH NStZ-RR 2008, 39) und ein Vertrauenstatbestand für den Ausschluss<br />

der Sicherungsverwahrung für die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten geschaffen worden war, ist die<br />

Anwendung dieser Vorschrift auf Extremfälle, das heißt Verurteilte mit höchstem Gefährdungspotenzial zu begrenzen<br />

(BVerfG aaO; vgl. auch BGHSt 52, 205, 212).<br />

Den damit verbundenen hohen Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose werden die Darlegungen des Landgerichts<br />

nicht gerecht.<br />

aa) So stützt das Landgericht seinen Schluss, es seien von dem Verurteilten aufgrund seines Hangs mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

erhebliche Sexualstraftaten zu erwarten, im Wesentlichen auf die Darlegungen der beiden gehörten<br />

Sachverständigen. Diesen kann allerdings keine ausreichende positive Bewertung zukünftiger höchster Gefährlichkeit<br />

des Verurteilten entnommen werden. Vielmehr sind sie darauf bezogen, keine positive Prognose zukünftigen<br />

rechtstreuen Verhaltens begründen zu können. So hat der Sachverständige L. nach den Urteilsgründen u. a.<br />

ausgeführt, er könne keine prognostisch positiven Schlussfolgerungen auf die Ausführungen des Verurteilten gründen,<br />

dass er kein sexuelles Interesse mehr habe und zu sexuellen Handlungen aus biologischen Gründen auch nicht<br />

mehr in der Lage sei (UA S. 30), und es gebe keine gegen weitere Straftaten sprechende empirische Beurteilungsgrundlage<br />

(UA S. 31). Der weitere Sachverständige K. kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass von<br />

einer Nivellierung der Triebimpulse des Verurteilten nicht ausgegangen werden könne (UA S. 29). Hieran anknüpfend<br />

stellt das Landgericht fest, dass eine Wandlung der für die Taten bedeutsamen Persönlichkeitseigenschaften<br />

nicht festgestellt werden könne.<br />

Mit diesen allein an der fehlenden Feststellbarkeit einer günstigen Kriminalprognose orientierten Erwägungen ist die<br />

erforderliche positive Entscheidung über eine vom Verurteilten ausgehende gegenwärtige erhebliche Gefahr<br />

schwerster Straftaten nicht nachvollziehbar belegt.<br />

bb) Durchgreifenden Bedenken begegnet zudem, dass das Landgericht die vom Verurteilten zu erwartenden Taten<br />

nicht hinreichend deutlich konkretisiert hat, so dass für das Revisionsgericht nicht ersichtlich ist, ob es sich insoweit<br />

um besonders schwere Straftaten handelt.<br />

So hat das Landgericht aus dem gewichtigen Umstand, dass die Potenz des Verurteilten bereits abgenommen habe,<br />

Schlüsse auf die Natur der zu erwartenden Taten gezogen. Diese hat es aber unter Verweis auf seine frühere Delinquenz<br />

lediglich dahin umschrieben, dass auch in Zukunft solche Taten zu befürchten seien, in denen primäres Ziel<br />

des Übergriffs die Unterwerfung des Opfers und nicht das Ausleben einer sexuellen Potenz sei. Angesichts dieser nur<br />

vagen Umschreibung der erwarteten Taten ist nicht erkennbar, ob es sich um erhebliche Straftaten handelt, durch<br />

welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Der Hinweis auf frühere Delinquenz vermag<br />

diese Unbestimmtheit angesichts der großen Bandbreite der begangenen Taten – von Exhibitionismus bis zu Vergewaltigung<br />

– nicht zu ersetzen. In solchen Konstellationen ist es erforderlich, spezifisch zur Wahrscheinlichkeit gerade<br />

der gesetzlich einzig bedeutsamen schweren Delikte Stellung zu nehmen (BVerfG – Kammer – StraFo 2008,<br />

516). Dies unterlässt das Urteil.<br />

4. Die Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat daher ein neues Tatgericht<br />

umfassend neu zu prüfen. Es wird die mögliche Verringerung der Gefährlichkeit des Verurteilten durch alters- und<br />

krankheitsbedingte Veränderungen erneut in den Blick zu nehmen haben.<br />

49


StGB § 066b I Nachträgliche Sicherungsverwahrung – Großer Senat<br />

BGH, Beschl. vom 07.10.2008 - GSSt 1/08 BGHSt 52, 379 = NStZ <strong>2009</strong>, 141= StV <strong>2009</strong>, 15 Anm. Ullenbruch NStZ<br />

<strong>2009</strong>, 143; Peglau NJW <strong>2009</strong>, 957<br />

LS: 1. Hat der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der<br />

Unterbringung erkannt worden ist, so steht dies der nachträglichen Anordnung der Unterbringung<br />

in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen (Bestätigung von BGHSt 52, 31).<br />

2. In diesen Fällen kommt indes die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung<br />

gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB in Betracht. Insoweit genügt für die<br />

Annahme neuer Tatsachen, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen<br />

der Unterbringung nach § 63 StGB die qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten auf abweichender<br />

Grundlage belegt wird.<br />

3. Nur die Vollstreckung des Restes derjenigen Strafe, die in der Anlassverurteilung ausgesprochen<br />

worden war, steht der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB entgegen.<br />

Gründe:<br />

I. 1 Die Vorlage betrifft die Frage, ob es der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung<br />

nach § 66b Abs. 3 StGB entgegensteht, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung<br />

in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die<br />

zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.<br />

2 1. Dem 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs liegen zwei Revisionssachen vor, deren Entscheidung nach<br />

dessen Auffassung jeweils von der Beantwortung dieser Frage abhängt.<br />

3 a) Verfahren 4 StR 314/07 gegen J. W. :<br />

4 Dem Verfahren liegt eine Verurteilung durch das Landgericht Bielefeld wegen vorsätzlichen Vollrausches<br />

zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten zugrunde. Der vielfach und massiv vorbestrafte Verurteilte<br />

hatte sich - insoweit noch uneingeschränkt schuldfähig - vorsätzlich betrunken. Zu seinen Gunsten wurde eine<br />

Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von über vier Promille festgestellt; seine Schuldfähigkeit war jedenfalls erheblich<br />

vermindert, möglicherweise sogar völlig aufgehoben. In diesem Zustand beging er eine gefährliche Körperverletzung,<br />

durch die er dem Tatopfer schwere Verletzungen zufügte. Nachdem in einem ersten Revisionsverfahren die<br />

neben der Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung aufgehoben worden war, ordnete das Landgericht nach erneuter<br />

Verhandlung und Entscheidung über den Maßregelausspruch die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Dieser leide an einer schweren dissozialen Persönlichkeitsstörung, die<br />

zwar für sich betrachtet seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt habe. Wegen einer<br />

Wechselwirkung zwischen der Persönlichkeitsstörung und einer hierauf beruhenden Alkoholsucht sei der Verurteilte<br />

jedoch entweder gar nicht oder nur erheblich vermindert in der Lage gewesen, sein Verhalten im Hinblick auf die<br />

von ihm begangene gefährliche Körperverletzung zu steuern. Während er in Anwendung des Zweifelssatzes (nur)<br />

wegen Vollrausches schuldig gesprochen und bestraft worden sei, müsse in Befolgung der Revisionsentscheidung<br />

des Bundesgerichtshofs hinsichtlich des Maßregelausspruchs der Zweifelssatz gewendet werden: Insoweit sei lediglich<br />

von einer gesicherten erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit durch den fortdauernden Zustand<br />

schwerer seelischer Abartigkeit (in Verbindung mit einer deutlichen Alkoholisierung) auszugehen; in dessen Folge<br />

seien auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, die eine Gefahr für die Allgemeinheit begründeten.<br />

Auf dieser Grundlage ordnete das Landgericht die Unterbringung des Verurteilten nach § 63 StGB an, da diese<br />

im Verhältnis zu § 66 Abs. 1 StGB die weniger beschwerende Maßregel darstelle. Das Urteil wurde am 11. August<br />

2004 rechtskräftig.<br />

5 Der Verurteilte befand sich ab 16. November 2004 im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 22. September<br />

2006 erklärte eine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn die Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6<br />

Satz 1 StGB für erledigt, weil bei dem Verurteilten keine Persönlichkeitsstörung vorliege, so dass - obwohl er weiterhin<br />

gefährlich sei - die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorlägen. Die noch offene Restfreiheitsstrafe<br />

50


von knapp vier Monaten verbüßte der Verurteilte bis 25. Januar 2007. Seit 26. Januar 2007 wird der nach § 275a<br />

Abs. 5 StPO erlassene Unterbringungsbefehl des Landgerichts Bielefeld gegen ihn vollzogen.<br />

6 Die Staatsanwaltschaft hat am 26. Oktober 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Bielefeld gefolgt. Gegen dessen<br />

Urteil wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen<br />

Rechts rügt.<br />

7 b) Verfahren 4 StR 391/07 gegen W. H. :<br />

8 Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Verurteilte<br />

war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer<br />

Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung<br />

in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte in einem Rausch<br />

die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung, der versuchten Vergewaltigung und des versuchten Totschlags<br />

verwirklicht. Die Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte aufgrund einer Persönlichkeitsstörung<br />

zur Begehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige.<br />

9 Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die<br />

Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses<br />

Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug<br />

begangen hatte.<br />

10 Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom<br />

28. November 2005 erklärte eine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67d Abs. 6<br />

Satz 1 StGB die Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben<br />

sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit 23. Dezember<br />

2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis 22. Juni 2007 eine Restfreiheitsstrafe von einem<br />

Jahr und sechs Monaten. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275a Abs. 5 StPO).<br />

11 Die Staatsanwaltschaft hat am 14. November 2006 die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Saarbrücken gefolgt. Gegen<br />

dessen Urteil wendet sich die Revision des Verurteilten, der die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.<br />

12 2. Der 4. Strafsenat beabsichtigt, beide Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Hieran sieht er sich<br />

jedoch durch das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 (BGHSt 52,<br />

31) gehindert.<br />

13 a) Der 1. Strafsenat hat dort ausgesprochen, dass die Entscheidung nach § 67d Abs. 6 StGB, die Unterbringung<br />

des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus sei erledigt, regelmäßig nur dann Grundlage für die<br />

nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB sein könne,<br />

wenn andernfalls der Betroffene in die Freiheit entlassen werden müsste. Habe er dagegen im Anschluss an die Erledigung<br />

noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden sei, so könne nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung regelmäßig nur unter den Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB<br />

angeordnet werden.<br />

14 Für diese Auffassung hat sich der 1. Strafsenat maßgeblich auf den Willen des Gesetzgebers gestützt, wie er<br />

in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />

(BTDrucks. 15/2887 S. 14) Ausdruck gefunden habe. Bei seiner Entscheidung hat der 1. Strafsenat zwar eine<br />

Ausnahme für Fälle erwogen, in denen nach der Erledigungsentscheidung nur noch für sehr kurze Zeit Strafe zu<br />

vollstrecken wäre, er hat dies jedoch angesichts einer Restfreiheitsstrafe von mehr als zehn Monaten in dem entschiedenen<br />

Fall offen gelassen.<br />

15 b) Dem will der 4. Strafsenat nicht folgen. Er hält die Gesetzesmaterialien für unklar, möchte ihnen aber<br />

jedenfalls nicht in dem vom 1. Senat befürworteten Verständnis ausschlaggebende Bedeutung für die Auslegung des<br />

§ 66b StGB beimessen. Diese Auslegung hätte nämlich wegen des grundsätzlichen Vorwegvollzugs der Maßregel<br />

nach § 63 StGB (§ 67 Abs. 1 StGB) und deren Teilanrechnung lediglich bis zu zwei Dritteln der zugleich verhängten<br />

Strafe (§ 67 Abs. 4 StGB) zur Folge, dass der Anwendungsbereich des § 66b Abs. 3 StGB in unvertretbarer Weise<br />

verkürzt werde; denn hierdurch würden regelmäßig die von seinem Wortlaut eindeutig erfassten Fälle ausgenommen,<br />

in denen gleichzeitig auf Strafe und Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus erkannt worden war. Die Anwendung<br />

des § 66b Abs. 3 StGB allein auf schuldlos handelnde Täter führe auch zu Wertungswidersprüchen. Abgesehen<br />

davon könnte es zu sachlich nicht gerechtfertigten Unterschieden aufgrund von Zufälligkeiten im Vollstreckungsverlauf<br />

kommen. Zudem sei eine Anordnung nach § 66b Abs. 3 StGB unter geringeren Anforderungen im<br />

Vergleich zu den Fällen des § 66b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB, namentlich ohne neue Tatsachen ("Nova")<br />

51


durchweg gerechtfertigt, weil in jenen Fällen eine im Erkenntnisverfahren nicht angeordnete freiheitsentziehende<br />

Maßregel von unbestimmter Dauer nachträglich hinzugefügt werde, während durch § 66b Abs. 3 StGB bei einem<br />

nach wie vor hochgefährlichen Täter eine bereits angeordnete, dann aber für erledigt erklärte freiheitsentziehende<br />

Maßregel von unbestimmter Dauer (§ 63 StGB) nur durch eine andere ersetzt werde. Die vom 1. Strafsenat erwogene<br />

Ausnahme für kurze Reststrafen führe mangels klarer Grenzziehung zu großer Rechtsunsicherheit in einem außerordentlich<br />

sensiblen Rechtskreis; dagegen würden die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschritten,<br />

wenn der Bundesgerichtshof insoweit eine eindeutige Grenze festlegen wollte.<br />

16 3. Auf Anfragebeschluss (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) des 4. Strafsenats vom 5. Februar 2008 (NStZ 2008,<br />

333 m. Anm. Ullenbruch) hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 2. April 2008 - 1 ARs 3/08 (JR 2008, 255 m.<br />

Anm. Kudlich) an seiner Rechtsauffassung festgehalten. Daraufhin hat der 4. Strafsenat mit Beschluss vom 19. Juni<br />

2008 (NJW 2008, 2661) dem Großen Senat gemäß § 132 Abs. 2 und Abs. 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung<br />

vorgelegt:<br />

Steht es der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Betroffene<br />

nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6<br />

StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist?<br />

17 Da in beiden ihm vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

nach § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB nicht vorlägen und - jedenfalls in der zweiten Sache -<br />

nach der Erledigungsentscheidung noch längere Freiheitsstrafe zu vollstrecken gewesen sei, sei die divergierend<br />

beurteilte Frage entscheidungserheblich.<br />

18 4. Der Generalbundesanwalt folgt im Wesentlichen der Auffassung des 4. Strafsenats. Er beantragt zu beschließen:<br />

Der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass der<br />

Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6<br />

StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.<br />

II.<br />

19 Die Vorlegungsvoraussetzungen sowohl für eine Divergenzvorlage (§ 132 Abs. 2 GVG) als auch für eine<br />

Grundsatzvorlage (§ 132 Abs. 4 GVG) sind gegeben. Die Divergenz zwischen den beteiligten Senaten in der vorgelegten<br />

Rechtsfrage ist offensichtlich. Deren zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung klärungsbedürftige<br />

grundsätzliche Bedeutung ergibt sich aus einer zunehmenden Praxisrelevanz in Verfahren mit überaus weit reichender<br />

und einschneidender Auswirkung für die betroffenen Verurteilten. Die Beurteilung des vorlegenden Senats im<br />

Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage in den beiden der Vorlage zu Grunde liegenden<br />

Verfahren ist jedenfalls vertretbar und damit für den Großen Senat für Strafsachen bindend (vgl. BGHSt 41,<br />

187, 194; 51, 298, 302).<br />

III.<br />

20 In der Sache hält der Große Senat für Strafsachen eine Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB für geboten, die<br />

von dessen Anwendung die Fälle ausnimmt, in denen im Zeitpunkt der Erledigungserklärung nach § 67d Abs. 6<br />

StGB noch die Verbüßung von Freiheitsstrafe aussteht, auf die zugleich mit der Unterbringung nach § 63 StGB erkannt<br />

worden war. Eine solche Einschränkung, welche stattdessen die Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs.<br />

2 StGB offen lässt, entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Sie widerstreitet dem Wortlaut der Norm nicht und steht<br />

im Einklang mit Systematik und Zweck des Gesetzes. Eine Ausnahme für den Fall ausstehender kurzer Reststrafe<br />

verwirft der Große Senat.<br />

21 1. Nach dem zweifelsfreien Willen des Gesetzgebers soll in den Fällen, in denen der Verurteilte nach der<br />

Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB noch den Rest einer zugleich mit der Maßregelanordnung nach § 63<br />

StGB verhängten Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, § 66b Abs. 3 StGB keine Anwendung finden; vielmehr soll zu<br />

gegebener Zeit geprüft werden, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2<br />

StGB zu verhängen ist. Dies ergibt sich eindeutig aus der Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks. 15/2887 S.<br />

14). Dort heißt es:<br />

22 "Anwendung soll die Vorschrift (§ 66b Abs. 3 StGB) vor allem in denjenigen Fällen finden, in denen der<br />

Untergebrachte von dem erkennenden Gericht für schuldunfähig gehalten und deshalb nur die Unterbringung in<br />

einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, ohne dass parallel eine Freiheitsstrafe verhängt werden konnte.<br />

Erfasst werden von der Vorschrift daneben aber auch die Fälle, in denen das Gericht unter Anwendung des § 21<br />

StGB neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsstrafe verhängt hatte, in denen<br />

die Freiheitsstrafe aber in Umkehrung der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB) bereits<br />

vor dem Vollzug der Maßregel vollständig vollstreckt wurde und somit der Untergebrachte nunmehr aus der Maßre-<br />

52


gel in die Freiheit zu entlassen wäre. In Fällen, in denen nach Erledigung der Maßregel noch eine parallel verhängte<br />

Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ergibt sich demgegenüber zunächst kein Bedürfnis für die nachträgliche Anordnung<br />

der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB - neu -. Hier kommt ggf. vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe<br />

die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB - neu - in Betracht."<br />

23 Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I 1838)<br />

ging im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu kompetenzwidrigen Landesunterbringungsgesetzen<br />

vom 10. Februar 2004 (BVerfGE 109, 190) auf ein notgedrungen überaus eilig durchgeführtes Gesetzgebungsverfahren<br />

zurück. Darin traten zwar Divergenzen und Unstimmigkeiten zu Einzelpunkten auf. All dies<br />

änderte indes für die hier in Rede stehende Frage letztlich nichts an der zitierten Auffassung, da die Bundesregierung<br />

gegenüber abweichenden Vorstellungen ausdrücklich am Gesetzentwurf und an seiner Begründung festgehalten hat<br />

(vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks. 15/2945 S. 2 f., 4 f.;<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages, BTDrucks. 15/3346 S. 17).<br />

Dieser ist der Gesetzgeber gefolgt. Ihr kommt bei der Auslegung der erst vor relativ kurzer Zeit in Kraft getretenen<br />

Norm maßgebliche und ausschlaggebende Bedeutung zu.<br />

24 2. Auf den ersten Blick deutet allerdings der Wortlaut des § 66b Abs. 3 StGB darauf hin, dass die Vorschrift<br />

auch dann Anwendung finden soll, wenn neben der Maßregel des § 63 StGB, weil die Schuldfähigkeit des Täters<br />

nicht ausgeschlossen, sondern nur erheblich vermindert war (§ 21 StGB), auch Strafe verhängt wurde. Gerade diese<br />

Fälle würden aber - aufgrund des Zusammenspiels der Regelungen zu Vorverbüßung und Anrechnung (§ 67 Abs. 1<br />

und 4 StGB) - bei der dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB vom Anwendungsbereich<br />

der Norm regelmäßig ausgenommen. Es verblieben insoweit nur die eher seltenen Fälle der Vollstreckungsumkehr<br />

(in der Entwurfsbegründung ausdrücklich benannt) und der vollständigen Erledigung der verhängten<br />

Strafe durch Anrechnung nach § 51 StGB. Jedoch ist der Wortlaut des § 66b Abs. 3 StGB nicht in der Weise eindeutig,<br />

dass er einer restriktiven, dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragenden Auslegung zwingend entgegenstünde.<br />

25 Hinzu kommt, dass sich im Gesamtwortlaut des § 66b StGB durchaus Hinweise finden, die das vom Gesetzgeber<br />

gewollte Verständnis des § 66b Abs. 3 StGB widerspiegeln. Während Absatz 1 und Absatz 2 der Vorschrift<br />

die Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug als ergänzendes Element der Gesamtwürdigung, auf welche<br />

die negative Wahrscheinlichkeitsprognose zu stützen ist, ausdrücklich bezeichnen, ist in Absatz 3 Nr. 2 ausdrücklich<br />

nur die Entwicklung des Verurteilten während des Vollzugs der Maßregel benannt. Dies lässt sich im Hinblick auf<br />

das Gebot einer sorgfältigen und auf umfassender Grundlage zu treffenden Prognoseentscheidung (vgl. BVerfGE<br />

109, 190, 241), bei der auch das Vollzugsverhalten ein maßgebliches Entscheidungskriterium ist (vgl. dazu Bericht<br />

des Rechtsausschusses aaO S. 17), im Sinne des gesetzgeberischen Willens dahin deuten, dass die Vorschrift des §<br />

66b Abs. 3 StGB bei noch offenem Strafvollzug nicht zur Anwendung gelangen soll.<br />

26 3. Durch die vom Gesetzgeber gewollte restriktive Normenanwendung entstehen keine Wertungswidersprüche,<br />

die deren Beachtlichkeit entgegenstehen könnten. Insofern gilt:<br />

27 a) Zwar werden ursprünglich als schuldlos beurteilte Täter bei der in Frage stehenden einschränkenden<br />

Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB im Ausgangspunkt scheinbar strenger behandelt als Täter, die mit, wenn auch<br />

erheblich verminderter, Schuld straffällig geworden sind; bei ihnen bestehen - abgesehen davon, dass die nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB nie nach der Begehung nur einer der dort in Nr. 1 benannten<br />

Taten angeordnet werden kann (s. demgegenüber § 66b Abs. 2 StGB) - grundsätzlich geringere formelle Voraussetzungen<br />

für die Anordnung als bei den von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB erfassten Tätern. Dies ist jedoch nicht von<br />

vornherein sachwidrig. Denn gegenüber dem Täter, auf den mit Mitteln des Strafvollzugs noch eingewirkt werden<br />

kann, steht hierdurch immerhin ein, wenn auch begrenztes, Mittel zur Eindämmung seiner Gemeingefährlichkeit zur<br />

Verfügung. Anders liegt es dagegen bei demjenigen, der wegen Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden konnte und<br />

daher allein der Maßregel nach § 63 StGB unterworfen wurde. Muss dessen Unterbringung im psychiatrischen<br />

Krankenhaus nach einer maßgeblichen Veränderung seines psychischen Zustands oder besserer Erkenntnis hierüber<br />

gemäß § 67d Abs. 6 StGB beendet werden, so bleibt, wenn seine besondere Gefährlichkeit unvermindert fortbesteht,<br />

keine andere Möglichkeit als die Fortsetzung der die Allgemeinheit schützenden Unterbringung in der veränderten<br />

Form der Sicherungsverwahrung.<br />

28 b) Auf Täter, die (nur) mit erheblich verminderter Schuld gehandelt hatten und daher sowohl zu Freiheitsstrafe<br />

verurteilt als auch nach § 63 StGB untergebracht wurden, wird § 66b Abs. 3 StGB bei der dem gesetzgeberischen<br />

Willen entsprechenden Norminterpretation - wie dargelegt - nur ausnahmsweise Anwendung finden. Dabei<br />

werden in der Praxis Ausnahmefälle um so eher in Betracht kommen, je kürzer die verhängte Freiheitsstrafe war;<br />

53


denn regelmäßig werden nur kurze Freiheitsstrafen, etwa durch Anrechnung nach § 51 StGB, im Zeitpunkt der Entscheidung<br />

nach § 67d Abs. 6 StGB bereits vollständig erledigt sein können. Darin könnte eine Besserstellung von<br />

Tätern gesehen werden, die zu höheren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und deshalb dem Anwendungsbereich<br />

des § 66b Abs. 3 StGB eher entzogen sind. Ein gegen die Beachtlichkeit der historischen Auslegung sprechender<br />

Wertungswiderspruch liegt indes auch hierin nicht:<br />

29 Die für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung erforderliche besonders hohe Gemeingefährlichkeit<br />

wird bei jenen geringer Bestraften nicht so häufig vorkommen. Erfüllt ein solcher Verurteilter wegen ausnahmsweise<br />

bereits vollständiger Strafvollstreckung die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB, so wird<br />

bei ihm daher besonders sorgfältig zu prüfen sein, ob nicht bei Ausübung des tatrichterlichen Ermessens die nachträgliche<br />

Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausscheidet. Die zu treffende Ermessensentscheidung<br />

wird bei der einschränkenden Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB weitgehend die Gefahr bannen können,<br />

dass nach der Zufälligkeit des Vollstreckungsablaufs unterschiedliche Entscheidungen über die Anordnung der nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung getroffen werden, je nachdem, ob § 66b Abs. 3 StGB oder später - nur - § 66b Abs.<br />

1 oder Abs. 2 StGB zur Anwendung kommt.<br />

30 4. Die Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB entsprechend den Aussagen der Gesetzesmaterialien führt auch<br />

nicht zu einer vom Gesetz nicht gewollten Einschränkung des Schutzes der Allgemeinheit vor hochgefährlichen<br />

Tätern. Diese werden in aller Regel - trotz Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB - noch so hoch<br />

bestraft worden sein, dass dem Interesse der Allgemeinheit, gegen sie nach Erledigung ihrer Unterbringung im psychiatrischen<br />

Krankenhaus die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, nach dem anschließenden Strafvollzug<br />

durch Anwendung des § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB Rechnung getragen werden kann. Der Rückgriff auf diese<br />

Bestimmungen wäre freilich ausgeschlossen, wenn die Regelung des § 66b Abs. 3 StGB ihnen gegenüber Sperrwirkung<br />

entfaltete oder wenn ihrer Anwendung mit Blick auf die Notwendigkeit des Erkennbarwerdens neuer Tatsachen<br />

(vgl. § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB) regelmäßig unüberwindbare rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Beides ist<br />

indes nicht der Fall:<br />

31 a) Eine Sperrwirkung des § 66b Abs. 3 StGB gegenüber § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist dem Gesetz nicht<br />

zu entnehmen; ihre Annahme würde dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen (vgl. auch insoweit<br />

die Begründung des Gesetzentwurfs aaO S. 14).<br />

32 b) Auch die erforderlichen sog. Nova werden in aller Regel mit Blick auf die Besonderheiten der hier in<br />

Rede stehenden Konstellation zu bejahen sein. Allerdings trifft zu, dass im Hinblick auf das verfassungsrechtliche<br />

Rückwirkungsverbot grundsätzlich strenge Anforderungen an die Annahme neu erkennbar werdender Tatsachen zu<br />

stellen sind. Nach der Rechtsprechung aller Senate darf deshalb die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

nicht auf Umstände gestützt werden, die der Tatrichter des Anlassverfahrens erkannt hat oder hätte erkennen<br />

müssen; denn sie darf nicht der nachträglichen Korrektur eines Urteils dienen, in dem die originäre Anordnung der<br />

Sicherungsverwahrung fehlerhaft abgelehnt worden war (etwa BGHSt 50, 121, 125 f.; 50, 275, 278; 51, 185, 187 f.;<br />

s. die weiteren Nachw. bei Fischer, StGB 55. Aufl. § 66b Rdn. 18).<br />

33 Diese strengen Anforderungen, die auch nach Auffassung des Großen Senats grundsätzlich keine Aufweichungen<br />

vertragen, sind indes für die Fälle entwickelt worden, in denen gegen den Verurteilten in der Anlassentscheidung<br />

allein auf Strafe erkannt worden war. Der Täter, dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Ursprungsverfahren<br />

nicht erkannt worden ist, bei sorgfältiger Aufklärung der maßgeblichen Umstände aber hätte erkannt<br />

werden können, soll - so der Wortlaut und auch der Sinn und Zweck des § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB - nicht<br />

unter Durchbrechung der Rechtskraft nachträglich in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden dürfen.<br />

34 In der hier zu beurteilenden Konstellation war aber nicht nur auf Strafe, sondern gleichzeitig auch auf die<br />

Maßregel nach § 63 StGB erkannt worden. Diese Maßregelanordnung beruhte auf der Prognose, dass von dem Verurteilten<br />

aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit<br />

gefährlich ist. Damit wird vielfach aber schon im Ausgangsurteil eine Gefährlichkeit des Verurteilten festgestellt<br />

worden sein, die auch den erhöhten Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66b Abs.<br />

1 Satz 1, Abs. 2 StGB genügt; im Verfahren zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist daher<br />

insoweit allein die Frage zu beantworten, ob diese Gefahr fortbesteht. Dies hat notwendigerweise Auswirkungen für<br />

die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der nach der Anlassverurteilung erkennbar werdenden Tatsachen, die auf<br />

die Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hindeuten. Anders als in den von der dargestellten Rechtsprechung<br />

erfassten Fällen, in denen die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines Verurteilten zu prüfen ist, gegen<br />

den im Anlassurteil allein auf Strafe erkannt worden war, kann hier nicht darauf abgestellt werden, ob nachträglich<br />

neue Tatsachen erkennbar werden, die erstmals auf die besondere Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit<br />

hinweisen. Vielmehr kann es nur darauf ankommen, ob die fortbestehende (qualifizierte) Gefährlichkeit aus<br />

54


anderen Tatsachen herzuleiten ist als denjenigen, die im Anlassurteil zur Begründung des länger andauernden Zustands<br />

herangezogen wurden, der zur positiven Feststellung erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei Tatbegehung<br />

(§ 21 StGB) und zur Anordnung nach § 63 StGB führte. Ob diese Tatsachen dem ursprünglichen Tatrichter bekannt<br />

waren oder bei pflichtgemäßer Beachtung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hätten bekannt sein müssen,<br />

ist demgegenüber ohne Bedeutung. Es genügt, dass sie vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen<br />

der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) die qualifizierte Gefährlichkeit<br />

des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegen und somit rechtlich in einem neuen Licht erscheinen<br />

(vgl. BVerfG - Kammer - JR 2006, 474, 476).<br />

35 Waren etwa in der Lebensführung des Verurteilten bis zur Anlassverurteilung Tatsachen erkennbar, die<br />

einen Hang zur Begehung von Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB belegen konnten, wurde diesen aber<br />

deswegen im Ausgangsverfahren rechtlich keine eigenständige Beachtung geschenkt, weil sich der Tatrichter von<br />

einer dauerhaften psychischen Störung des Verurteilten überzeugte, die über die positive Feststellung der Voraussetzungen<br />

des § 21 StGB in Verbindung mit der lediglich indiziellen Bedeutung der früheren Straffälligkeit des Verurteilten<br />

für dessen zukünftige Gefährlichkeit zur Unterbringung nach § 63 StGB führte, so stellt es eine neue Tatsache<br />

im Sinne von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB dar, wenn nunmehr allein aus der Disposition des Verurteilten zur Begehung<br />

von schwerwiegenden Straftaten auch ohne das Hinzutreten einer dauerhaften psychischen Störung seine<br />

qualifizierte Gefährlichkeit für die Allgemeinheit rechtlich eigenständig herzuleiten ist. Ein derartiges Verständnis<br />

wird durch das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht gehindert. Denn hier steht nicht die erstmalige Anordnung<br />

einer zeitlich nicht begrenzten freiheitsentziehenden Maßregel in Rede, sondern im Kern - bei durchgängig<br />

angenommener Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit - die Überweisung von einer derartigen Maßregel<br />

in eine andere unter verschärften Anordnungsvoraussetzungen. Die Rückwirkungsproblematik stellt sich somit<br />

allenfalls in stark abgeschwächter Form. Das rechtfertigt in diesen Fällen die großzügigere Auslegung des Tatbestandsmerkmals<br />

der neu erkennbar werdenden Tatsachen.<br />

36 5. Wegen des aus dem Normgefüge der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f GVG folgenden strikten Zusammenhangs<br />

der nachträglich anzuordnenden Maßregel mit der Anlassverurteilung steht nur die Vollstreckung des<br />

Restes der Strafe, die in der Anlassverurteilung ausgesprochen worden war, der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB<br />

entgegen. Dies ist - entsprechend der Formulierung der Ausgangsentscheidung des 1. Strafsenats und der Vorlage -<br />

ausdrücklich klarzustellen, und zwar mit Rücksicht auf Fälle, in denen gemäß § 67d Abs. 6 StGB zugleich mehrere<br />

Maßregelanordnungen für erledigt erklärt wurden (vgl. den zweiten Vorlagefall).<br />

37 6. § 66b Abs. 3 StGB findet nach der Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB auch dann keine<br />

Anwendung, wenn nur noch ein kurzer Strafrest zur Vollstreckung ansteht. Zwar verblasst in diesen Fällen das Argument<br />

der unvollständigen Gesamtwürdigung, da von dem nur kurzfristigen Reststrafvollzug relevante Auswirkungen<br />

auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und Erkenntnisse hierzu im Allgemeinen nicht mehr ernstlich zu erwarten<br />

sind. Gleichwohl ist die insoweit vom 1. Strafsenat erwogene Ausnahme von der einschränkenden Auslegung des §<br />

66b Abs. 3 StGB nicht anzuerkennen. Ihr widerstreitet das vom vorlegenden Senat zutreffend benannte Anliegen der<br />

Rechtsklarheit, das in Fällen mit großer Eingriffsintensität besonders hohen Stellenwert hat. Der Große Senat verkennt<br />

nicht die praktischen Schwierigkeiten, die sich in diesen Fällen für die notwendig kurzfristige Antragstellung<br />

nach § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB stellen. Dieses Problem ist indes eine vom Gesetzgeber möglicherweise nicht<br />

bedachte Folge der von ihm gewollten restriktiven Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB und vom Rechtsanwender,<br />

dem die Festlegung von Fristen mangels vorgegebener Maßstäbe versagt ist, im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen.<br />

StGB §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a Satz 1 Verfall des von Ermittlungsbehörden für Btm-Käufe eingesetzten<br />

Kaufgeldes.<br />

BGH; Urt. v. 04.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 504/08<br />

LS: 1. Von den Ermittlungsbehörden für Betäubungsmittelaufkäufe eingesetztes Kaufgeld unterliegt<br />

jedenfalls dann dem Wertersatzverfall gemäß § 73a Satz 1 StGB, wenn es nicht sichergestellt<br />

wurde.<br />

2. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht der Anordnung des Verfalls von eingesetztem Scheinkaufgeld nicht<br />

55


entgegen, weil der öffentlichen Hand eigenständige Ersatzansprüche, die eine Kompensation ihrer<br />

verletzten Interessen gewährleisten sollen, nicht zur Verfügung stehen.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 19. Juni 2008 im Ausspruch<br />

über den Verfall von Wertersatz aufgehoben, soweit<br />

- beim Angeklagten Ö. von einer Verfallsanordnung insgesamt<br />

- beim Angeklagten L. von einer den Betrag von 600,-- Euro übersteigenden Verfallsanordnung und<br />

- beim Angeklagten B. von einer den Betrag von 4.000,-- Euro übersteigenden Verfallsanordnung<br />

abgesehen wurde.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die drei Angeklagten wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Gesamtfreiheitsstrafen<br />

von zwei Jahren sechs Monaten (Angeklagter Ö. ), drei Jahren sechs Monaten (Angeklagter L. ) und<br />

vier Jahren (Angeklagter B. ) verurteilt. Zu Lasten des Angeklagten L. hat es den Verfall von Wertersatz in<br />

Höhe von 600 €, zu Lasten des Angeklagten B. in Höhe von 4000 € angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wendet<br />

sich mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision<br />

allein gegen die Nichtanordnung von Wertersatz (Angeklagter Ö. ) bzw. die Höhe des Verfallbetrages (Angeklagte<br />

L. und B. ). Das wirksam beschränkte - vom Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen verkauften die Angeklagten vom 23. November 2007 bis 13. Dezember 2007 Kokain an<br />

einen verdeckt ermittelnden Polizeibeamten des Thüringer Landeskriminalamtes. Das Landgericht meint, das von<br />

den Ermittlungsbeamten <strong>zum</strong> Scheinkauf von Drogen eingesetzte Kaufgeld stelle kein erlangtes Etwas im Sinne von<br />

§ 73 StGB dar. Die nach § 73a StGB mögliche Verfallsanordnung müsse sich auf die Gelder beschränken, die den<br />

Angeklagten bei der Abwicklung der Tathandlungen vorübergehend oder nicht mehr individualisierbar zugeflossen<br />

seien, ohne unmittelbar vom nicht offen ermittelnden Endabnehmer des Kokains gezahlt worden zu sein. Ein Verfall<br />

der Geldbeträge, die darüber hinaus im Rahmen der Scheinaufkäufe gezahlt, bei den Angeklagten jedoch nicht mehr<br />

aufgefunden wurden, könne dagegen nicht angeordnet werden. Denn § 73a StGB knüpfe an die Voraussetzungen des<br />

Verfalls an, die hinsichtlich der <strong>zum</strong> Scheinkauf zur Verfügung gestellten Gelder nicht vorlägen, da die Angeklagten<br />

hieran aufgrund der Nichtigkeit des schuldrechtlichen und des dinglichen Erwerbsgeschäftes kein Eigentum hätten<br />

erwerben können.<br />

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Von den Ermittlungsbehörden für Betäubungsmittelaufkäufe eingesetztes<br />

Kaufgeld unterliegt jedenfalls dann dem Wertersatzverfall, wenn es nicht sichergestellt wurde. Beim Erlangen<br />

im Sinne von §§ 73 Abs. 1, 73a Satz 1 StGB handelt es sich um einen tatsächlichen Vorgang. Erlangt ist - unabhängig<br />

von der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäftes - schon dann „etwas“,<br />

wenn der Gegenstand in irgendeiner Phase des Tatablaufs in die Verfügungsgewalt des Täters übergegangen ist und<br />

ihm so aus der Tat unmittelbar etwas wirtschaftlich messbar zugute kommt (BGHSt 51, 65, 68; BGH, Beschluss vom<br />

30. Mai 2008 - 2 StR 174/08). Die Angeklagten Ö. , L. und B. hatten mit dem Erhalt und dem Besitz des<br />

Geldes aus den Scheinkäufen die tatsächliche und, soweit die Gelder nicht aufgefunden wurden, von ihnen auch<br />

genutzte Möglichkeit darüber zu verfügen. Dies stellt einen dem jeweiligen Geldbetrag entsprechenden Wert dar,<br />

den die Angeklagten unmittelbar aus der Tat erlangt haben. Auf die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den<br />

Beträgen kam es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht an.<br />

Dies gilt gleichermaßen für den Durchgangserwerb durch die Angeklagten Ö. und L. . Einer Verfallsanordnung<br />

steht nicht etwa entgegen, dass der Angeklagte Ö. im Fall II 2. 2600 Euro und im Fall II 3. 3000 Euro unmittelbar<br />

nach deren Erhalt an den Angeklagten L. weiter gegeben hat. Ausschlaggebend ist, dass er - wenn auch nur vorübergehend<br />

- die tatsächliche Möglichkeit erlangt hat, über die Beträge zu verfügen (vgl. BGHR StGB § 73 Erlangtes<br />

5). Selbst wenn ein Rauschgifthändler dieselben Geldscheine, die er von den Käufern erhält, unmittelbar im Anschluss<br />

daran an seinen Lieferanten weitergibt, werden diese Beträge zunächst Bestandteil seines Vermögens und<br />

unterliegen dem Verfall (vgl. BGHSt 51, 65, 66 ff.; BGH NStZ 2004, 440).<br />

Auch die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht der Verfallsanordnung nicht entgegen. „Verletzter“ im Sinne<br />

dieser Vorschrift kann nur derjenige sein, dessen Individualinteressen durch das vom Täter verletzte Strafgesetz<br />

geschützt werden solle (vgl. BGHR StGB § 73 Verletzter 1, 2). Dies kann zwar auch eine Behörde sein, die, wie<br />

etwa der Steuerfiskus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 237, 238; BGHR StGB § 73 Verletzter 3) oder der Dienstherr (vgl.<br />

BGH NStZ-RR 2008, 13, 15) eigenständige öffentlich-rechtliche Ansprüche hat, welche eine Kompensation ihrer<br />

verletzten Interessen gewährleisten sollen. Dies trifft jedoch auf das Landeskriminalamt bzw. das Land Thüringen als<br />

56


seinem Rechtsträger nicht zu. Die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes bezwecken nicht den individuellen<br />

Rechtsgüterschutz staatlicher Stellen, sondern dienen allein der Wahrung öffentlicher Belange, ohne für den Fall<br />

ihrer Verletzung der öffentlichen Hand Ersatzansprüche zur Verfügung zu stellen. 6<br />

3. Die Feststellungen des Landgerichts zu den gezahlten, vereinnahmten und weitergegebenen Geldbeträgen können<br />

aufrecht erhalten bleiben, da sie von dem Rechtsfehler unbeeinflusst sind. 7<br />

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: 8<br />

a) Soweit die Anordnung von Wertersatzverfall bei Durchgangserwerb eines Angeklagten in Betracht kommt, können<br />

spätere Mittelabflüsse erforderlichenfalls im Rahmen der Härteregelung des § 73c StGB berücksichtigt werden.<br />

b) Bei dem Angeklagten L. scheitert die Verfallsanordnung hinsichtlich der 3000 Euro aus der Tat II 3. nicht<br />

daran, dass ihm der Betrag nur mittelbar über den Angeklagten Ö. zugeflossen ist. Erlangt im Sinne des § 73a<br />

StGB ist auch das, was zunächst ein Mittäter erhält und erst später - entsprechend einer zuvor getroffenen Absprache<br />

- aufgeteilt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 10 f.). 10<br />

c) Der neue Tatrichter wird bei der gebotenen Prüfung nach § 73c StGB die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts<br />

zu den Berechnungsgrundlagen des Wertersatzverfalls bei den einzelnen Angeklagten zugrunde zu<br />

legen haben. 1<br />

StGB § 073 c Abs. 1 Satz 1 Unbillige Härte beim Verfall 1<br />

BGH, Urt. v. 26.03.<strong>2009</strong> – 3 StR 579/08<br />

Eine unbillige Härte im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB liegt nicht schon dann vor, wenn der<br />

Verfallsbetrag nicht beigetrieben werden kann oder der Betroffene vermögenslos geworden und<br />

unfähig ist, die Mittel für seinen Unterhalt und den seiner Familie aufzubringen.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. März <strong>2009</strong> für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 7. Mai 2007 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz abgesehen worden ist.<br />

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es<br />

hat davon abgesehen, den Verfall von Wertersatz anzuordnen. Hiergegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt<br />

vertretene, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das wirksam<br />

beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

Nach den Feststellungen war der <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Verkündung des landgerichtlichen Urteils 63 Jahre alte Angeklagte<br />

Mitglied einer Bande, die Haschisch- und Marihuanatransporte erheblichen Umfangs von den Niederlanden<br />

nach England und in andere europäische Länder organisierte und durchführte. In dem Zeitraum von Ende 2004 bis<br />

Anfang 2005 wurden mit drei Fahrten insgesamt 135 kg <strong>zum</strong> gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmte Betäubungsmittel<br />

nach England verbracht und an unbekannt gebliebene Abnehmer übergeben. Mit einer vierten Fahrt<br />

wurden im Februar 2005 weitere 241,80 kg Haschisch aus den Niederlanden über Oldenburg und Bremen nach Dänemark<br />

transportiert. Das Rauschgift wurde vor der Auslieferung von der dänischen Polizei sichergestellt.<br />

1. Das Landgericht hat den Verfall von Wertersatz (§§ 73, 73 a StGB) nicht angeordnet und dies mit dem Vorliegen<br />

einer unbilligen Härte im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB begründet. Zwar sei davon auszugehen, dass aus den<br />

Drogengeschäften nach dem Bruttoprinzip ein Umsatz von mindestens 135.000 € erzielt worden sei. Es müsse jedoch<br />

berücksichtigt werden, dass der Angeklagte über einen sichergestellten und gepfändeten Bargeldbetrag in Höhe<br />

von 2.250 € hinaus über kein nennenswertes Vermögen mehr verfüge. Er habe infolge des fehlgeschlagenen Haschischtransportes<br />

nach Dänemark selbst 60.000 € als "Entschädigung" gezahlt, so dass er durch die Drogentransporte<br />

insgesamt einen beträchtlichen Verlust erlitten habe. In Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters sei nicht zu<br />

erwarten, dass er nach seiner Haftentlassung noch Erwerbsaussichten habe; er werde entweder von einer Rente oder<br />

1 vgl jetzt auch 2 StR 579/08 vom 10.6.<strong>2009</strong> = NJW <strong>2009</strong>, 2755<br />

57


von Sozialleistungen leben müssen. Daher werde durch die Vollziehung einer Verfallsanordnung seine Resozialisierung<br />

wesentlich erschwert.<br />

2. Diese Erwägungen vermögen die Ablehnung der Anordnung des Wertersatzverfalls nicht zu rechtfertigen.<br />

a) Die Voraussetzungen des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB sind bereits deshalb nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil das<br />

Landgericht unter Verkennung des systematischen Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Alternativen des §<br />

73 c Abs. 1 StGB das Vorliegen einer unbilligen Härte unzureichend begründet hat.<br />

aa) Zwar ist die Anwendung der Härtevorschrift des § 73 c StGB Sache des Tatrichters. Die Gewichtung der für das<br />

Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB maßgeblichen Umstände ist daher der inhaltlichen<br />

revisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Mit der Revision kann jedoch eine rechtsfehlerhafte<br />

Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unbillige Härte" beanstandet werden. Eine solche ist etwa gegeben, wenn die<br />

Bejahung dieses Merkmals auf Umstände gestützt wird, die bei seiner Prüfung nicht <strong>zum</strong> Tragen kommen können<br />

(vgl. BGH wistra 2003, 424, 425; <strong>2009</strong>, 23, 24).<br />

bb) So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat die Annahme einer unbilligen Härte wesentlich darauf gestützt, dass<br />

der Wert des vom Angeklagten aus den Straftaten Erlangten mittlerweile nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden<br />

sei. Diese Begründung wird dem systematischen Verhältnis nicht gerecht, in welchem die Regelungen des § 73 c<br />

Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 1. Alt. StGB zueinander stehen. Nach § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB ist der Verfall beim Vorliegen<br />

einer unbilligen Härte zwingend ausgeschlossen, während § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB für den Fall, dass<br />

der Wert des Erlangten im Vermögen des Betroffenen ganz oder teilweise nicht mehr vorhanden ist, die Möglichkeit<br />

eröffnet, insoweit nach pflichtgemäßen Ermessen von einer Verfallsanordnung abzusehen. Da die tatbestandlichen<br />

Voraussetzungen, welche nach Satz 2 der Vorschrift ein Absehen vom Verfall nach pflichtgemäßem Ermessen ermöglichen,<br />

nicht zugleich einen zwingenden Ausschlussgrund nach § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB bilden können, folgt<br />

aus der Systematik der Norm, dass das Nichtmehrvorhandensein des Wertes des Erlangten im Vermögen des Betroffenen<br />

jedenfalls für sich genommen keine unbillige Härte darstellen kann, sondern dem Anwendungsbereich des §<br />

73 c Abs. 1 Satz 2 StGB unterfällt (vgl. BGH NStZ 2000, 589, 590; Schmidt in LK 12. Aufl. § 73 c Rdn. 7).<br />

Für das Vorliegen einer unbilligen Härte bedarf es daher zusätzlicher Umstände, welche die hohen Voraussetzungen<br />

des Tatbestandsmerkmals belegen. Eine unbillige Härte im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB kommt nach ständiger<br />

Rechtsprechung (vgl. etwa BGHR StGB § 73 c Härte 7, 11) nur dann in Betracht, wenn die Anordnung des Verfalls<br />

schlechthin ungerecht wäre und das Übermaßverbot verletzen würde. Die Auswirkungen des Verfalls müssen<br />

mithin im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck<br />

stehen. Es müssen besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb<br />

des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung<br />

des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann. Eine unbillige Härte liegt demnach nicht schon dann vor,<br />

wenn der Verfallsbetrag nicht beigetrieben werden kann oder der Betroffene vermögenslos geworden und unfähig<br />

ist, die Mittel für seinen Unterhalt und den seiner Familie aufzubringen (vgl. Schmidt aaO Rdn. 7). Nach diesen<br />

Maßstäben ausreichend gravierende Umstände lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Allein die vagen<br />

Erwägungen, der Angeklagte verfüge über kein "nennenswertes" Vermögen und müsse nach seiner Entlassung von<br />

einer Rente oder Sozialleistungen leben, genügen auch unter Berücksichtigung des Resozialisierungsgedankens hierfür<br />

nicht.<br />

b) Auch auf § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB kann das Absehen von der Anordnung des Wertersatzverfalls nach den<br />

bisherigen Feststellungen nicht gestützt werden. Die Ausübung des dem Tatrichter durch diese Vorschrift eingeräumten<br />

Ermessens erfordert zunächst die Feststellung des Wertes des aus der Straftat Erlangten, um diesem sodann<br />

den Wert des noch vorhandenen Vermögens gegenüber stellen zu können (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 104, 105; Fischer,<br />

StGB 56. Aufl. § 73 c Rdn. 5; Schmidt aaO Rdn. 10). Hieran fehlt es.<br />

aa) Die Urteilsgründe lassen bereits ausreichende Feststellungen dazu vermissen, in welcher Höhe der Angeklagte<br />

aus den Rauschgiftgeschäften etwas erlangt hat. "Erlangt" im Sinne der § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73 a Satz 1 StGB ist ein<br />

Vermögensvorteil nur dann, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben<br />

hat (vgl. BGH NStZ 2003, 198 f.). Mit der pauschalen Angabe, aus den Betäubungsmittelgeschäften sei ein Umsatz<br />

von mindestens 135.000 € erzielt worden, wird dieser Umstand nicht belegt. Die bloße Annahme mittäterschaftlichen<br />

Handelns vermag die fehlenden Darlegungen des tatsächlichen Geschehens hierzu nicht zu ersetzen; denn eine Zurechnung<br />

nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Folge einer gesamtschuldnerischen<br />

Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem Angeklagten<br />

<strong>zum</strong>indest Mitverfügungsgewalt über die jeweiligen Erlöse habe zukommen sollen (vgl. BVerfG StV 2004, 409,<br />

411; BGH NStZ 2003, 198 f.) und er diese auch tatsächlich hatte (BGH NStZ-RR 2007, 121). Feststellungen hierzu<br />

hat das Landgericht nicht getroffen.<br />

58


) Den Gründen des landgerichtlichen Urteils lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass <strong>zum</strong> Zeitpunkt des tatrichterlichen<br />

Urteils der Wert des aus den Straftaten Erlangten in dem Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden<br />

war. Dies setzt konkrete tatrichterliche Feststellungen dazu voraus, in welchem Umfang und zu welchem Zweck das<br />

Erlangte ausgegeben wurde (vgl. BGH wistra <strong>2009</strong>, 23, 25; Schmidt aaO Rdn. 12). Die in diesem Zusammenhang<br />

vom Landgericht angestellte Erwägung, der Angeklagte habe anlässlich des fehlgeschlagenen Rauschgiftgeschäfts<br />

"60.000 € als Entschädigung der Lieferanten oder Abnehmer gezahlt" und dadurch insgesamt bei den Drogengeschäften<br />

einen beträchtlichen Verlust erlitten, entbehrt einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage. Die Feststellungen<br />

des Urteils belegen eine solche Zahlung, deren nähere Umstände auch die betreffende mehrdeutige Passage der Urteilsgründe<br />

offen lässt, nicht.<br />

Den Urteilsgründen kann auch im Übrigen nicht entnommen werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang<br />

dem Angeklagten die aus den Drogengeschäften erzielten Erlöse ohne Zufluss eines Gegenwertes oder einer sonstigen<br />

Gegenleistung abhanden kamen. Die für die Eröffnung der Markthalle in Bremen erforderlichen finanziellen<br />

Mittel brachte der Angeklagte nach den Feststellungen jedenfalls nicht aus dem aus dem Betäubungsmittelhandel<br />

Erlangten, sondern aus dem Erlös für den Verkauf seines Lokals auf. Bei der Bewertung des Vermögens des Angeklagten<br />

hat das Landgericht zudem die ausdrücklich getroffene Feststellung nicht berücksichtigt, der Zeuge E.<br />

habe an "J. " und den Angeklagten auf deren nachdrückliches Verlangen 8.000 € als "Strafsumme" für das fehlgeschlagene<br />

Geschäft übergeben. Schließlich hat die Strafkammer nicht in die Betrachtung einbezogen, dass bei dem<br />

Angeklagten 2.250 € sichergestellt worden sind. Die Strafkammer durfte jedoch nicht allein deshalb von einer Verfallsanordnung<br />

absehen, um dem Verurteilten - sei es auch für Zwecke der Resozialisierung - vorhandene Vermögenswerte<br />

zu erhalten; denn dies wäre mit dem Sinn und Zweck des Verfalls nicht zu vereinbaren (vgl. BGH NStZ<br />

1995, 495).<br />

Über den Wertersatzverfall ist nach alldem insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden. Der Senat weist abschließend<br />

auf die Möglichkeit hin, den Umfang und Wert des Erlangten gemäß § 73 b StGB zu schätzen, sowie<br />

darauf, dass nach § 73 c Abs. 1 StGB die Anordnung des Verfalls auf einen Teil des Erlangten beschränkt werden<br />

kann (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 75; BGH, Beschl. vom 12. Dezember 2008 - 2 StR 479/08).<br />

StGB § 073c I 1 Unterhaltspflichten für Kinder noch keine Härte<br />

BGH, Urt. v. 02.10.2008 – 4 StR 153/08 - wistra <strong>2009</strong>, 231<br />

Unterhaltsverpflichtungen des Angeklagten gegenüber seinen Kindern sind in der Regel nicht geeignet,<br />

die Annahme eines Härtefalls i.S.d. § 73 c Abs. 1 Satz 1 zu rechtfertigen.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Münster bei dem<br />

Amtsgericht Bocholt vom 11. September 2007, soweit es den Angeklagten M. betrifft, im Ausspruch über den<br />

Verfall eines Geldbetrages mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einer Vielzahl von<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Zugleich hat es gegen ihn den Verfall eines Geldbetrages von 10.000<br />

€ angeordnet. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und wirksam (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 270;<br />

Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 318 Rdn. 22) auf den Ausspruch über den Wertersatzverfall beschränkten Revision<br />

rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet.<br />

II. 1. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Zeitraum Juli 2004 bis April 2006 in insgesamt 39 Fällen in<br />

den Niederlanden von diversen Lieferanten jeweils 300 g Kokain zu Grammpreisen von 35 oder 37 €, führte das<br />

Rauschgift sodann gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten L. in die Bundesrepublik Deutschland ein und<br />

veräußerte die Betäubungsmittel schließlich zu einem Grammpreis von 50 bis 60 € an verschiedene Abnehmer. Mit<br />

L. war pro Fahrt eine Entlohnung von 450 € vereinbart, die er sich vom Angeklagten größtenteils in Kokain auszahlen<br />

ließ.<br />

2. Das Landgericht hat ungeachtet der missverständlichen Tenorierung ersichtlich - wie auch die Liste der angewendeten<br />

Vorschriften zeigt - gegen den Angeklagten in Anwendung der §§ 73, 73 a StGB den Verfall von Wertersatz<br />

59


angeordnet. Dies lässt im Ansatz Rechtsfehler nicht erkennen, da die vom Angeklagten unmittelbar aus den Drogengeschäften<br />

erlangten Geldscheine (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB) sich nicht mehr in dessen Besitz befinden, so dass ihr<br />

Verfall aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich im Sinne von § 73 a Satz 1 StGB ist. Zur Bemessung der<br />

Höhe des Verfallsbetrages hat die Strafkammer ausgeführt:<br />

Der Angeklagte habe das Kokain gewinnbringend an seine Endabnehmer für einen Preis von <strong>zum</strong>indest 50 € je<br />

Gramm weiter veräußert, so dass er aus den Verkäufen der insgesamt 11,7 kg Kokain einen Gesamterlös von mindestens<br />

585.000 € „erzielt haben dürfte“. Gleichwohl werde „unter Anwendung der Vorschrift der §§ 73 c Abs. 1<br />

Satz 2 1. Alt., 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB“ lediglich ein Geldbetrag von 10.000 € für verfallen erklärt. Der Angeklagte<br />

verfüge derzeit nur noch über einen Pkw im Wert von 8.814,57 €, eine Unfallversicherung mit einem Rückkaufwert<br />

von 3.511,86 € und eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert von 8.341,31 €, mithin über Vermögen im<br />

Gesamtwert von 20.673,74 €. Weitere Geldmittel oder Vermögen besitze er nachweisbar nicht. Sie - die Strafkammer<br />

- erachte lediglich die Anordnung eines Wertersatzverfalls von 10.000 € „als darstellbar“. Die Lebensversicherung<br />

sei 1994 abgeschlossen und ab November 2001 beitragsfrei gestellt worden. Damit stehe fest, dass dieser Vermögenswert<br />

ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben worden sei. Bezüglich<br />

des dem Angeklagten darüber hinaus noch verbleibenden Restbetrages sei von den Voraussetzungen des § 73 c Abs.<br />

1 Satz 1 StGB auszugehen. In Anbetracht des ohnehin geringen Restvermögens sowie der Unterhaltsverpflichtungen<br />

des Angeklagten gegenüber seinen beiden Kindern erscheine eine weiter gehende Anordnung eines Wertersatzverfalls<br />

über den Betrag von 10.000 € hinaus als unbillige Härte.<br />

3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Soweit das Landgericht von der Anordnung des Verfalls des Wertersatzes nach § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB abgesehen<br />

hat, fehlt es hierfür an einer tragfähigen Begründung. Zwar ist die Anwendung der Härtevorschrift des § 73 c<br />

StGB in erster Linie Sache des Tatrichters. Die Gewichtung der für das Vorliegen einer unbilligen Härte maßgeblichen<br />

Umstände unterliegt daher grundsätzlich nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Mit der Revision<br />

kann jedoch beanstandet werden, dass das Tatbestandsmerkmal der „unbilligen Härte“ rechtsfehlerhaft interpretiert<br />

worden ist (vgl. BGH wistra 2003, 424, 425).<br />

aa) Die Annahme einer „unbilligen Härte“ im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung<br />

eine Situation voraus, nach der die Anordnung des Verfalls das Übermaßverbot verletzen würde, also<br />

schlechthin „ungerecht“ wäre (vgl. BGH NStZ 1995, 495; wistra 2003, 424, 425; Fischer StGB 55. Aufl. § 73 c Rn.<br />

3). Die Auswirkungen müssen im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme<br />

angestrebten Zweck stehen; es müssen besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer mit der Vollstreckung des<br />

Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch<br />

unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann (W. Schmidt in LK 12. Aufl. § 73 c<br />

Rn. 7).<br />

bb) Derartige Umstände hat das Landgericht nicht dargetan. Der Gesichtspunkt, dass dem Angeklagten nur ein „geringes<br />

Restvermögen“ verbleibe, stellt kein taugliches Kriterium dar. Aus § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB folgt, dass die -<br />

auch vollständige - Entreicherung des Täters als solche keine Härte darstellt, die (zwingend) <strong>zum</strong> Ausschluss der<br />

Verfallsanordnung nach § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB führt (vgl. BGH NStZ 2000, 589, 590; wistra 2003, 424, 425).<br />

Denn diese Bestimmung stellt die Anordnung des Verfalls auch in den Fällen in das Ermessen des Gerichts, in denen<br />

der Wert des Erlangten zur Gänze nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, d.h. auch in Fällen vollständiger<br />

Vermögenslosigkeit. Erst recht kann nicht von einer unbilligen Härte gesprochen werden, wenn dem Betroffenen<br />

- wie hier - ein Restvermögen von immerhin mehr als 10.000 € verbliebe. Ebenso wenig ist der nicht weiter<br />

spezifizierte Hinweis auf die Unterhaltsverpflichtungen des Angeklagten gegenüber seinen Kindern geeignet, die<br />

Annahme eines Härtefalls im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 zu rechtfertigen (vgl. auch W. Schmidt in LK aaO).<br />

Ansprüche von Unterhaltsberechtigten werden regelmäßig durch Verfallsanordnungen betroffen. Darüber hinaus<br />

gehende besondere Umstände, die insoweit eine un<strong>zum</strong>utbare Härte begründen könnten, sind nicht festgestellt.<br />

b) Auch die Voraussetzungen des § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB sind nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.<br />

aa) Allerdings beanstandet die Revision zu Unrecht, dass das Landgericht den Wert der Lebensversicherung des<br />

Angeklagten bei der Berechnung des Wertes des ihm verbliebenen Vermögens außer Ansatz gelassen hat.<br />

(1) Zwar kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob das vorhandene Vermögen einen konkreten oder unmittelbaren<br />

Bezug zu den Straftaten hat; ebenso wenig hängt die Anordnung des Verfalls davon ab, ob der Angeklagte die vorhandenen<br />

Vermögenswerte unmittelbar mit Drogengeldern erworben hat oder ob er mit Drogengeldern andere Aufwendungen<br />

bestritten und erst mit den so eingesparten Mitteln das noch vorhandene Vermögen gebildet hat (st.<br />

Rspr.; vgl. BGHR StGB § 73 c Wert 2 = wistra 2000, 298; Fischer aaO § 73 c Rn. 4 m.w.N.). Daher scheidet eine<br />

60


Ermessensentscheidung nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB regelmäßig aus, solange und soweit der Angeklagte<br />

über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem „verfallbaren“ Betrag zurückbleibt (BGH aaO).<br />

(2) Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. Steht zweifelsfrei fest, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden<br />

denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben wurde, ist eine Ermessensentscheidung nach §<br />

73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB insoweit nicht ausgeschlossen (vgl. Senat BGHSt 48, 40, 42 f. mit zust. Anm. Rönnau<br />

NStZ 2003, 367; BGH NStZ-RR 2005, 104 [3. Strafsenat]; Joecks in Müko-StGB § 73 c Rn. 17 f.; Wolters/Horn<br />

in SK-StGB § 73 c Rn. 6; a.A. [nicht tragend] BGHSt 51, 65, 70 Tz. 23 [1. Strafsenat] mit abl. Anm. Dannecker<br />

NStZ 2006, 683). So liegt es hier. Das Landgericht hat zutreffend einen möglichen Zusammenhang zwischen dem<br />

Erwerb des durch die 1994 abgeschlossene und im November 2001 beitragsfrei gestellte Lebensversicherung verkörperten<br />

Vermögenswerts und den vom Angeklagten Jahre später im Zeitraum Juli 2004 bis April 2006 erlangten Drogenerlösen<br />

ausgeschlossen.<br />

(3) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin wird dadurch eine effektive Vermögensabschöpfung über die<br />

Verfallsvorschriften nicht in Frage gestellt (vgl. bereits BGHSt 48, 40, 43). Denn vorhandenes Vermögen behält,<br />

auch wenn es in keiner denkbaren Beziehung <strong>zum</strong> - nicht mehr vorhandenen - Wert des Erlangten steht und deshalb<br />

die Anwendbarkeit des § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB nicht hindert, seine Bedeutung im Rahmen der nach billigem<br />

Ermessen zu treffenden Entscheidung. Bestehen etwa Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bewusst unbemakeltes<br />

Vermögen geschont und seine Lebensführung und sonstige Ausgaben mit dem aus den Straftaten Erlangten<br />

bestritten hat, wird dies regelmäßig dazu führen, dass von der Möglichkeit des § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB<br />

kein Gebrauch zu machen ist.<br />

bb) Die Urteilsausführungen lassen jedoch besorgen, dass das Landgericht bei der Verfallsentscheidung nicht im<br />

Blick gehabt hat, dass es sich bei § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB um eine Ermessensvorschrift handelt.<br />

Das Landgericht hat, soweit es von einem Verfall des Wertersatzes nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB abgesehen<br />

hat, dies allein damit begründet, dass der durch die Lebensversicherung verkörperte Vermögenswert ohne jeden<br />

denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben worden ist. Dies betrifft jedoch lediglich die<br />

Eingangsvoraussetzung der Norm, nicht aber die in einem zweiten Schritt vorzunehmende Ermessensentscheidung.<br />

cc) Jedenfalls bilden die getroffenen Feststellungen keine tragfähige Grundlage für eine Ermessensentscheidung<br />

nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB.<br />

Maßgebend für die Ermessensentscheidung nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB ist neben der Gesamthöhe des<br />

Erlangten und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere der Grund, aus welchem das Erlangte<br />

bzw. dessen Wert sich nicht mehr im Vermögen des Angeklagten befindet (vgl. BGH NStZ 2005, 455; NStZ-RR<br />

2005, 104, 105; Joecks in Müko-StGB § 73 c Rn. 20 f.; W. Schmidt in LK aaO § 73 c Rn. 12). Hierbei können etwa<br />

das „Verprassen“ der erlangten Mittel oder ihre Verwendung für Luxus und <strong>zum</strong> Vergnügen gegen die Anwendung<br />

der Härtevorschrift sprechen; andererseits kann ihr Verbrauch in einer Notlage oder <strong>zum</strong> notwendigen Lebensunterhalt<br />

des Betroffenen und seiner Familie als Argument für eine positive Ermessensentscheidung dienen (BGHSt 38,<br />

23, 25; BGH NStZ-RR 2005, 104, 105). Hierzu verhält sich das Urteil indes nicht. Der Senat vermag daher nicht zu<br />

überprüfen, ob das Landgericht diesen Gesichtspunkt - wie geboten - berücksichtigt hat und ob es insoweit von einem<br />

rechtlich zutreffenden Maßstab ausgegangen ist.<br />

4. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der Verfallsentscheidung mit den zugehörigen Feststellungen. Bei<br />

der Bemessung des Wertes des vom Angeklagten aus den Drogenverkäufen Erlangten hat das Landgericht im Übrigen<br />

nicht berücksichtigt, dass nach den getroffenen Feststellungen der frühere Mitangeklagte L. sich seine Entlohnung<br />

von 450 € pro Fahrt vom Angeklagten „größtenteils“ in Kokain auszahlen ließ. Zwar hat der Angeklagte<br />

durch die Weitergabe des Kokains „an Zahlung Statt“ Aufwendungen in Form entsprechender Geldzahlungen erspart<br />

und damit aus den Taten auch etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt (vgl. W. Schmidt in LK aaO<br />

§ 73 Rn. 22; Fischer aaO § 73 Rn. 9). Der Wert des dergestalt Erlangten kann jedoch nicht ohne weiteres nach den<br />

von den Abnehmern des Angeklagten für das Kokain gezahlten Grammpreisen bemessen werden. Insoweit wird der<br />

neue Tatrichter gegebenenfalls im Wege der Schätzung (§ 73 b StGB) neue Feststellungen zu treffen haben.<br />

61


StGB § 073c I 1, BtMG § 29a I Nr. 2 Wertersatzverfall nicht immer der gesamte brutto eingenommenen<br />

Geldbetrages<br />

BGH, Beschl. v. 04.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 586/08<br />

Die Auffassung, dass der Wertersatzverfall immer zwingend in Höhe des gesamten brutto eingenommenen<br />

Geldbetrages zu erfolgen habe und bei Vorliegen einer unbilligen Härte nach § 73c Abs.<br />

1 Satz 1 StGB von seiner Anordnung zwingend ganz abzusehen sei, trifft so nicht zu. Dies ergibt<br />

sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach der Verfall nicht angeordnet wird, soweit er<br />

für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre. Von einer Verfallsanordnung ist deshalb nur dann<br />

gemäß § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB vollständig abzusehen, wenn auch die Anordnung hinsichtlich eines<br />

Teilbetrags den Angeklagten unbillig hart träfe.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 15. September 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in drei Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier<br />

Jahren und sechs Monaten verurteilt und ein Mobiltelefon der Marke Nokia eingezogen. Seine auf die Sachrüge<br />

gestützte Revision hat nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.<br />

1. Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils weisen keinen durchgreifenden Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten auf. Insoweit ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

2. Das Urteil kann jedoch nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten<br />

in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte<br />

seit vielen Jahren zwar nicht körperlich, aber psychisch von Betäubungsmitteln abhängig sei. Die Taten habe er<br />

aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen. Er benötige in jedem Fall eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie.<br />

Die Kammer hat deshalb bereits in den Urteilsgründen der Zurückstellung der Vollstreckung des<br />

Strafrestes zur Durchführung einer solchen Therapie zugestimmt.<br />

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hätte sich der Tatrichter mit der Anordnung einer Maßregel gemäß § 64<br />

StGB auseinandersetzen müssen. Die unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach<br />

§ 64 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und<br />

in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend anzuordnen ist.<br />

Denn das Gericht muss das ihm nunmehr eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen<br />

kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.; Beschl. vom 9. September 2008 - 3 StR 337/08).<br />

Dass vollstreckungsrechtlich die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 35 BtMG in Betracht kommt - und hier vom<br />

Landgericht befürwortet wird - rechtfertigt für sich allein das Absehen von der Prüfung und gegebenenfalls der Anordnung<br />

der Maßregel nach § 64 StGB nicht (BGH StV 2008, 405; Beschl. vom 27. Juni 2008 - 3 StR 212/08).<br />

Im Übrigen sind nach den Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Angeklagte nicht gefährlich<br />

im Sinne dieser Vorschrift ist oder keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, ihn durch die Behandlung in einer<br />

Entziehungsanstalt von seinem Hang zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren<br />

(§ 64 Satz 2 StGB). Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung<br />

nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5; BGH NStZ-RR 2008, 107). Über die Maßregelanordnung<br />

ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden.<br />

Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt<br />

hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.<br />

3. Ergänzend bemerkt der Senat: Die vom Tatrichter unter Berufung auf BGHSt 47, 369 (= NJW 2002, 3339) vertretene<br />

Auffassung, dass der Wertersatzverfall immer zwingend in Höhe des gesamten brutto eingenommenen Geldbetrages<br />

zu erfolgen habe und bei Vorliegen einer unbilligen Härte nach § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB von seiner Anordnung<br />

zwingend ganz abzusehen sei, trifft so nicht zu. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach<br />

der Verfall nicht angeordnet wird, soweit er für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre. Von einer Verfalls-<br />

62


anordnung ist deshalb nur dann gemäß § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB vollständig abzusehen, wenn auch die Anordnung<br />

hinsichtlich eines Teilbetrags den Angeklagten unbillig hart träfe. Zum Begriff der „unbilligen Härte“, insbesondere<br />

zur Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen, verweist der Senat auf BGH wistra <strong>2009</strong>, 23 f..<br />

StGB §§ 076a, 74b Abs. 2 obligatorischen Sicherungseinziehung<br />

BGH, Beschl. v. 28.11.2008 – 2 StR 501/08 - NJW <strong>2009</strong>, 692<br />

LS: Auch in Fällen einer obligatorischen Sicherungseinziehung hat das Gericht nach § 74b Abs. 2<br />

StGB anzuordnen, dass die Einziehung (lediglich) vorbehalten bleibt, und eine weniger einschneidende<br />

Maßnahme zu treffen, wenn durch diese der Sicherungszweck der Einziehung erreicht werden<br />

kann. Ein Ermessen ist dem Gericht nicht eröffnet.<br />

1. Auf die Revision des Nebenbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. Juni 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat im selbständigen Einziehungsverfahren nach § 76a StGB die Einziehung von drei im Eigentum<br />

des Nebenbeteiligten stehenden Computerfestplatten angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der<br />

Nebenbeteiligte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts waren auf den im Oktober 2003 beim Beschwerdeführer sichergestellten<br />

Festplatten u. a. Fotodateien und Videoclips, welche die Darstellung "von Hand-, Mund- und Vaginalverkehr von<br />

erkennbar unter 14jährigen" zeigen, gespeichert. Insoweit zutreffend hat das Landgericht diese als pornografische<br />

Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB), die den sexuellen Missbrauch von Kindern <strong>zum</strong> Gegenstand haben und deren Besitz<br />

nach § 184 Abs. 5 Satz 2 a.F. StGB strafbewehrt ist, behandelt. An einer Verurteilung des Nebenbeteiligten hat sich<br />

das Landgericht gleichwohl gehindert gesehen, weil nicht festgestellt werden konnte, "wer für die Speicherung der<br />

Bilder und Videoclips" auf dem auch für dritte Personen zugänglichen Rechner des Beschwerdeführers verantwortlich<br />

gewesen war; das subjektive Verfahren hat das Landgericht nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Zwar<br />

hat die Strafkammer - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - damit fehlerhaft allein auf die Tathandlung<br />

des Sichverschaffens im Sinne des § 184 Abs. 5 Satz 1 a.F. StGB abgestellt. Ungeprüft gelassen hat sie die<br />

Tathandlung des Besitzes gemäß § 184 Abs. 5 Satz 2 a.F. StGB. Dieser umfasst das Aufrechterhalten eines tatsächlichen<br />

Herrschaftsverhältnisses aufgrund Besitzwillens ebenso wie das schlichte Unterlassen der Entledigung durch<br />

Vernichten oder Abliefern. Jedoch sind die Voraussetzungen einer Einziehung der Festplatten nach § 184 Abs. 7<br />

Satz 2 a.F. StGB i.V.m. §§ 76a Abs. 3, Abs. 1, 74 Abs. 4, Abs. 2 Nr. 2 StGB gegeben, ohne dass es auf die Feststellung<br />

einer Täterschaft des Nebenbeteiligten ankommt. Denn es handelt sich bei den Datenträgern um Gegenstände<br />

von jedenfalls individueller Gefährlichkeit i.S.d. § 74 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. StGB, deren Einziehung auch als Beziehungsgegenstände<br />

der Tat nach § 184 Abs. 7 Satz 2 a.F. StGB zwingend anzuordnen ist. Auf die zusätzlichen Voraussetzungen<br />

des § 74a StGB kommt es nicht an.<br />

Nicht beachtet hat das Landgericht allerdings die Vorschrift des § 74b Abs. 2 StGB. Danach hat das Gericht in den<br />

Fällen der §§ 74 und 74a StGB anzuordnen, dass die Einziehung (lediglich) vorbehalten bleibt und eine weniger<br />

einschneidende Maßnahme zu treffen, wenn der Zweck der Einziehung auch durch sie erreicht werden kann. § 74b<br />

Abs. 2 StGB hat - anders als die Absätze 1 und 3 dieser Norm - als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

(BVerfG NJW 1996, 246) auch in Fällen obligatorischer Einziehung zwingenden Charakter (BGH NStZ 1981, 104).<br />

Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang ohne nähere Feststellungen ausführt, der Nebenbeteiligte habe<br />

keinen Anspruch darauf, dass lediglich die kinderpornografischen Inhalte auf seinen Festplatten unter Bewahrung<br />

seiner Dateien im Übrigen gelöscht werden, weil ein solches Verfahren "zwar technisch möglich, aber kostenintensiv"<br />

sei, ist dies rechtsfehlerhaft. Steht mit der Löschung der inkriminierten Dateien nämlich ein milderes geeignetes<br />

Mittel als die vorbehaltlose Einziehung zur Verfügung, so hat der Tatrichter die Einziehung vorzubehalten und eine<br />

entsprechende Anordnung zu treffen; ein Ermessen ist ihm nicht eröffnet.<br />

Den insoweit lückenhaften Feststellungen des Landgerichts kann nicht entnommen werden, ob die Löschung nur der<br />

inkriminierten Dateien in einer Weise vorgenommen werden kann, die ihre spätere Wiederherstellung unmöglich<br />

63


macht oder ob. z. B. allein eine vollständige Formatierung der Festplatten ein geeignetes Mittel darstellt, die von den<br />

Datenträgern ausgehende Gefahr zu beseitigen. Das Urteil war deshalb mit den zugrunde liegenden Feststellungen<br />

aufzuheben. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, dass - weil eine Rückgabe der Datenträger an den Nebenbeteiligten<br />

zur Löschung der Dateien durch diesen selbst ausgeschlossen ist - die Durchführung entsprechender<br />

Maßnahmen durch die Vollstreckungsbehörde anzuordnen sein wird.<br />

StGB § 078 I 1, StPO § 200 Keine Verjährungsunterbrechung durch unzulängliche Anklage<br />

BGH, Beschl. v. 19.06.2008 – 3 StR 545/07 - NStZ <strong>2009</strong>, 205; StraFo 2008, 436; BGHR StGB § 78 I Tat 4; BGHR<br />

StGB § 78c I Nr. 1 Einheit 1; BGHR StGB § 78c I Nr. 6 Anklage 1<br />

1. Sämtliche Maßnahmen des § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB bilden eine Einheit, so dass, sobald eine der<br />

dort genannten Unterbrechungshandlungen durchgeführt worden ist, die Verjährung duch eine<br />

andere der in Nr. 1 aufgezählten Maßnahmen nicht erneut unterbrochen werden kann.<br />

2. Die schriftliche Befragung eines sachverständigen Zeugen stellt keine staatsanwaltschaftliche<br />

Beauftragung eines Sachverständigen im Sinne des § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB dar.<br />

3. Durch die Erhebung einer Anklage, die den Voraussetzungen des § 200 StPO nicht entspricht<br />

und deshalb unwirksam ist, kann die Verjährung nicht gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB unterbrochen<br />

werden.<br />

4. Die Nichteröffnung des Hauptverfahrens führt nicht zu einer "Erledigung" des Ermittlungsverfahrens<br />

mit der Folge, dass dessen Fortführung bzw. die "Wiederaufnahme" der Ermittlungen der<br />

Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gleichsteht und der diesbezüglichen Mitteilung daher<br />

Unterbrechungswirkung nach § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB zukommt.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 16. Mai 2007 aufgehoben.<br />

Das Verfahren wird eingestellt.<br />

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens. Es wird davon abgesehen, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten<br />

aufzuerlegen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in fünf Fällen, davon in einem Fall in 146 tateinheitlich zusammentreffenden<br />

Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision<br />

des Angeklagten ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil bereits vor Erhebung der<br />

Anklage Verfolgungsverjährung eingetreten war.<br />

I. Nach den Feststellungen täuschte der Angeklagte durch falsche Angaben und unzutreffende Verkaufsunterlagen<br />

vier Anleger eigenhändig sowie 146 Anleger mittels gutgläubiger Anlageberater über die Renditeerwartung und<br />

Sicherheiten einer Kapitalanlage in Form der stillen Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft. Im Zeitraum vom<br />

22. November 1996 bis 24. Januar 2001 zahlten diese 150 Anleger irrtumsbedingt Einlagen zwischen 10.000 und<br />

100.000 DM in einem Gesamtvolumen von etwa vier Millionen DM. In der Folgezeit verwendete der Angeklagte<br />

das Vermögen der KG für andere Unternehmen der "M. -Gruppe" sowie für sich und seine Familie. Wie vom Angeklagten<br />

von Anfang an <strong>zum</strong>indest billigend in Kauf genommen, wurde eine Rendite weder erzielt noch an die<br />

Anleger ausgeschüttet. Mit ihren Rückforderungsansprüchen in Folge der vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen<br />

verfügten Rückabwicklung der Anlagegeschäfte fielen die Anleger hinsichtlich der geleisteten Einlagen bei<br />

einer Insolvenzquote von 1,17 % weitestgehend aus.<br />

II. Die Ahndung der Betrugstaten ist wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung ausgeschlossen (§ 78 Abs. 1 Satz 1<br />

StGB). Der letzte Betrug war mit Zahlung der Einlage am 24. Januar 2001 beendet. Die damit in Lauf gesetzte (§ 78<br />

a StGB) fünfjährige Verjährungsfrist (§ 263 Abs. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) ist zwar durch die Anordnung der ersten<br />

Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigter vom 9. April 2001 unterbrochen worden (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB).<br />

Bis zur nächsten in Betracht kommenden Unterbrechungshandlung, der Anklageerhebung vom 24. April 2006 (§ 78<br />

c Abs. 1 Nr. 6 StGB), sind jedoch mehr als fünf Jahre vergangen, ohne dass die Verjährung in der Zwischenzeit<br />

durch eine sonstige Maßnahme erneut unterbrochen worden wäre.<br />

64


1. Die Anordnung der ersten Beschuldigtenvernehmung vom 9. April 2001 hat die Verjährung sämtlicher in Betracht<br />

kommender Delikte des Angeklagten zur Erlangung und bei der weiteren Verwendung der Einlagegelder unterbrochen.<br />

Dies gilt auch dann, wenn die dem Angeklagten im Laufe der Ermittlungen angelasteten Untreuetaten einerund<br />

die Betrugstaten andererseits prozessual eigenständige Taten darstellen.<br />

a) Sind mehrere selbständige Straftaten im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens, so<br />

erstrecken sich verjährungsunterbrechende Untersuchungshandlungen grundsätzlich auf alle diese Taten, sofern nicht<br />

der Verfolgungswille des tätig werdenden Strafverfolgungsorgans erkennbar auf eine oder mehrere der Taten beschränkt<br />

ist (BGH NStZ 2001, 191; NStZ 1990, 436, 437; BGHR StGB § 78 c Abs. 1 Handlung 4; BGHR StGB § 78<br />

c Abs. 1 Nr. 1 Bekanntgabe 2; Schmid in LK 12. Aufl. § 78 c Rdn. 8). Entscheidendes Kriterium für die sachliche<br />

Reichweite der Unterbrechungswirkung einer Verfahrenshandlung ist daher der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden.<br />

Für die Bestimmung dessen Umfangs ist maßgeblich, was nach dem Wortlaut der Maßnahme, nach<br />

dem sonstigen Akteninhalt sowie dem Sach- und Verfahrenszusammenhang mit der jeweiligen Untersuchungshandlung<br />

bezweckt wird (BGH NStZ 2000, 427; NStZ 2007, 213, 214 f.). Dabei dürfen die Anforderungen an die Konkretisierung<br />

des Verfolgungswillens in einem frühen Verfahrensstadium nicht überspannt werden; es genügt, wenn<br />

die von ihm erkennbar erfassten Taten derart individualisiert sind, dass sie von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen<br />

Vorkommnissen unterscheidbar sind (BGH NStZ 2001, 191). Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob es<br />

sich im konkreten Fall zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten auswirkt, wenn der in Rede stehenden Verfahrensmaßnahme<br />

verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt. Verbleiben hieran Zweifel, so ist zu Gunsten des<br />

Angeklagten zu entscheiden (BGH NStZ 1996, 274).<br />

b) Nach dem Wortlaut der die Beschuldigtenvernehmung anordnenden Verfügung vom 9. April 2001, dem weiteren<br />

Akteninhalt sowie dem Sach- und Verfahrenszusammenhang sind von der verjährungsunterbrechenden Wirkung der<br />

Anordnung nicht nur die Untreuehandlungen bezüglich der Zinserträge der Anleger sowie der Entnahmen <strong>zum</strong><br />

Nachteil der KG, sondern auch die zur Verurteilung gelangten Betrugstaten erfasst worden. Zwar hatte sich die ermittlungsauslösende<br />

Strafanzeige des amtlich bestellten Abwicklers der KG vom 26. März 2001 vornehmlich auf die<br />

veruntreuende Verwendung der vereinnahmten Gelder gestützt; jedoch waren durch die der Anzeige beigefügten<br />

Anlagen von Anfang an verdachtsbegründende Tatsachen auch hinsichtlich der betrügerischen Akquise der Gelder<br />

zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangt. Diesen Anlagen entsprechend hat die staatsanwaltschaftliche<br />

Verfügung vom 9. April 2001 den Tatvorwurf als "versuchten Betrug" bezeichnet. Das daraufhin verfasste Schreiben<br />

des Polizeipräsidiums O. an das Bundeskriminalamt sowie das Landeskriminalamt vom 18. Mai 2001, das<br />

über den Sach- und Verfahrenszusammenhang Rückschlüsse auf den Ermittlungsauftrag und das Verfolgungsinteresse<br />

zulässt, hat den Tatvorwurf als "Anlagebetrug" bezeichnet, die Tathandlung in der Erlangung der Gelder im Wege<br />

von Beteiligungsverträgen mit den Anlegern als stillen Gesellschaftern gesehen und den Schaden mit 3,7 Millionen<br />

DM, der damaligen Summe der geleisteten Einlagen, berechnet.<br />

2. Weitere Maßnahmen, die zur erneuten Unterbrechung der Verjährung innerhalb der ab dem 9. April 2001 neu<br />

laufenden (§ 78 c Abs. 3 Satz 1 StGB) fünfjährigen Verjährungsfrist geführt hätten, liegen nicht vor.<br />

a) Weder die Gewährung von Akteneinsicht am 25. Mai 2001 noch die Mitteilung des Eingangs weiterer Anzeigen<br />

am 23. Oktober 2001 konnten als Maßnahmen im Sinne des § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Verjährungsunterbrechung<br />

führen. Zwar kann die Gewährung von Akteineinsicht grundsätzlich als verjährungsunterbrechende Handlung<br />

nach § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB angesehen werden (BGHR StGB § 78 c Abs. 1 Nr. 1 Bekanntgabe 2; BGH StraFo<br />

2008, 155, 156 m. w. N.), ebenso die Mitteilung des Eingangs weiterer Anzeigen. Da allerdings die Verjährung bereits<br />

am 9. April 2001 nach § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB für alle in Betracht kommenden Betrugs- und Untreuetaten<br />

unterbrochen worden war, konnte die Akteneinsicht und die Mitteilung des Eingangs neuer Anzeigen nicht zu einer<br />

nochmaligen Unterbrechung führen. Denn sämtliche Maßnahmen des § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB bilden eine Einheit,<br />

so dass, sobald eine der dort genannten Unterbrechungshandlungen durchgeführt worden ist, die Verjährung durch<br />

eine andere der in Nr. 1 aufgezählten Maßnahmen nicht erneut unterbrochen werden kann (vgl. BGH NStZ 2005, 33;<br />

Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 78 c Rdn. 5). Alle in Nr. 1 aufgeführten Handlungen<br />

sind lediglich zu einer einmaligen Unterbrechung der Verjährung geeignet und stehen hierfür nur alternativ zur Verfügung<br />

(Schmid aaO Rdn. 19).<br />

b) Die schriftliche Befragung des Abwicklers der KG als sachverständigen Zeugen mit Schreiben der Staatsanwaltschaft<br />

vom 8. Juni 2001 war zur Unterbrechung der Verjährung nicht geeignet; denn sie stellte keine staatsanwaltschaftliche<br />

Beauftragung eines Sachverständigen im Sinne des § 78 c Abs. 1 Nr. 3 StGB dar. Zwar hätten die an den<br />

über besonderen Sachverstand verfügenden Abwickler der KG gestellten Fragen auch Beweisthema eines Sachverständigengutachtens<br />

sein können und sind mit Übersendung eines anderweit erstellten "Abwicklungsgutachtens"<br />

beantwortet worden; jedoch hat die schriftliche Beantwortung der Fragen ausweislich des Schreibens der Staatsan-<br />

65


waltschaft lediglich die zeugenschaftliche Vernehmung des Abwicklers ersetzen sollen. Ein Sachverständigenauftrag<br />

ist dabei weder ausdrücklich noch der Sache nach erteilt worden. Damit steht in Einklang, dass sowohl in der (unwirksamen)<br />

Anklage vom 9. Oktober 2002 als auch in der (wirksamen) Anklage vom 17. März 2006 der Abwickler<br />

der KG jeweils als Zeuge und nicht als Sachverständiger aufgeführt wurde. Eine Auslegung des abschließenden und<br />

eng auszulegenden Katalogs des § 78 c Abs. 1 StGB dahin, dass auch die schriftliche Befragung eines sachverständigen<br />

Zeugen erfasst sei, ist nicht möglich (vgl. BGHSt 28, 381 ff. m. w. N.).<br />

c) Ebenso wenig hat die Erhebung der ersten Anklage vom 9. Oktober 2002 die Verjährung nach § 78 c Abs. 1 Nr. 6<br />

StGB unterbrochen. Diese Anklage ist wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitserfordernis des § 200 Abs. 1 Satz 1<br />

StPO unwirksam gewesen, weil sich ihr nicht hat entnehmen lassen, welche genauen Tatvorwürfe gegen den Angeklagten<br />

erhoben werden sollten. Aus diesem Grund hat die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Duisburg mit -<br />

seit dem 13. Mai 2003 durch Rücknahme der Beschwerde rechtskräftigem - Beschluss vom 5. März 2003 die Eröffnung<br />

des Hauptverfahrens rechtlich zutreffend abgelehnt. Durch die Erhebung einer Anklage, die den Voraussetzungen<br />

des § 200 StPO nicht entspricht und deshalb unwirksam ist, kann die Verjährung indes nicht gemäß § 78 c Abs.<br />

1 Nr. 6 StGB unterbrochen werden (OLG Bremen StV 1990, 25; zustimmend Stree/Sternberg-Lieben aaO Rdn. 14;<br />

Schmid aaO Rdn. 9 und 30; Fischer, StGB 55. Aufl. § 78 c Rdn. 16). Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichtshofes zur Frage der verjährungsunterbrechenden Wirkung von unwirksamen - und nicht nur fehlerhaften<br />

- Eröffnungsbeschlüssen (BGHSt 29, 351, 357) und von nicht konkretisierten richterlichen Durchsuchungs<br />

und Beschlagnahmeanordnungen (BGH NStZ 2000, 427, 428; NStZ 2004, 275). Für die Erhebung einer unwirksamen<br />

Anklage kann nichts anderes gelten. Auf die Frage, ob die wegen des Vorwurfs der Untreue erhobene Anklage<br />

die Verjährung auch bezüglich der dem Angeklagten angelasteten Betrugstaten überhaupt hätte unterbrechen können,<br />

kommt es danach nicht an.<br />

d) Auch die anschließende Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 12. September 2003 über die Fortsetzung bzw.<br />

Wiederaufnahme der Ermittlungen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt hat die Verjährung nicht unterbrochen.<br />

Da bereits am 9. April 2001 die Beschuldigtenvernehmung mit verjährungsunterbrechender Wirkung auch<br />

für die dem Angeklagten angelasteten Betrugstaten angeordnet worden war und die Maßnahmen nach § 78 c Abs. 1<br />

Nr. 1 StGB eine Einheit bilden, von denen nur die erste die Verjährung unterbricht (s. oben 2.a), hat diese Mitteilung<br />

verjährungsrechtlich keine Wirkung entfaltet.<br />

aa) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass es das Landgericht durch den rechtskräftig gewordenen Beschluss<br />

vom 5. März 2003 abgelehnt hat, die Anklage vom 9. Oktober 2002 zur Hauptverhandlung zuzulassen. Dies hat nicht<br />

etwa zu einer "Erledigung" des Ermittlungsverfahrens geführt mit der Folge, dass dessen Fortführung bzw. die<br />

"Wiederaufnahme" der Ermittlungen der Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gleichgestanden hätte und der<br />

diesbezüglichen Mitteilung daher Unterbrechungswirkung nach § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB zugekommen wäre (s.<br />

Schmid aaO Rdn. 21 unter Hinweis auf OLG Koblenz, OLGSt OWiG § 84 Nr. 1: Erledigung eines Ermittlungsverfahrens<br />

wegen einer Ordnungswidrigkeit durch bestandskräftigen Bußgeldbescheid mit anschließender Aufnahme<br />

der Ermittlungen wegen Straftaten). Durch die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens ist vielmehr lediglich<br />

das durch die - unwirksame - Anklageerhebung eingeleitete gerichtliche Verfahren nach §§ 199 ff. StPO abgeschlossen<br />

worden, nicht dagegen das - nunmehr wieder in den Händen der Staatsanwaltschaft liegende - Verfahren insgesamt,<br />

das jederzeit, sei es nach weiteren Ermittlungen oder nicht, durch erneute Anklageerhebung (wegen Untreue<br />

oder wegen Betruges oder wegen beidem) wieder beim Landgericht anhängig gemacht werden konnte. Zwar hat die<br />

Staatsanwaltschaft den Ermittlungsschwerpunkt nunmehr von der Veruntreuung der Zinserträge der Anleger sowie<br />

des Vermögens der KG hin zu der betrügerischen Erlangung der Einlagen verlagert; dies steht jedoch nicht der Einleitung<br />

eines neuen Ermittlungsverfahrens gleich, <strong>zum</strong>al der Verfolgungswille sich schon zu Beginn der ursprünglichen<br />

Ermittlungen im April 2001 auf die Betrugstaten erstreckt hatte.<br />

bb) Zudem erfasst der Wortlaut des § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB, der auf die "erste" Vernehmung bzw. die Bekanntgabe,<br />

dass ein Ermittlungsverfahren "eingeleitet ist" abstellt, den Fall der "Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung" der<br />

Ermittlungen nicht. Eine entsprechende Anwendung des abschließenden Katalogs des § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB zu<br />

Ungunsten des Angeklagten verbietet sich, weil die Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung als materiellrechtliche<br />

Ausnahmeregelungen einer Analogie nicht zugänglich sind (BGH NStZ-RR 2005, 44; Fischer aaO<br />

Rdn. 7).<br />

3. Zum Zeitpunkt der wirksamen Anklageerhebung am 24. April 2006 waren seit dem ersten Vernehmungsauftrag<br />

vom 9. April 2001 mehr als fünf Jahre vergangen. Dass der Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft und die Anklage<br />

vom 17. März 2006 datieren, einem Zeitpunkt, als noch keine Verjährung eingetreten war, ist unerheblich;<br />

denn für den Zeitpunkt der Erhebung der Anklage im Sinne des § 78 c Abs. 1 Nr. 6 StGB kommt es allein auf deren<br />

Eingang bei Gericht an. Dieser erfolgte erst am 24. April 2006 und damit in verjährter Zeit.<br />

66


4. Nach alledem hätte bereits das Landgericht das Hauptverfahren wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung<br />

nicht eröffnen dürfen (§ 204 Abs. 1 StPO). Gemäß § 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO ist das Verfahren<br />

daher durch den Senat einzustellen. Die neben den Betrugstaten verfolgten Untreue- und Insolvenzstraftaten<br />

sowie die strafbewehrten Verstöße gegen das KWG und das UWG sind bereits von der Staatsanwaltschaft nach §§<br />

154, 154 a StPO eingestellt worden; aus den dargestellten Gründen ist auch insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten.<br />

III. Bei der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Angeklagten (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO) übt der<br />

Senat das ihm eingeräumte Ermessen dahin aus, dass davon abgesehen wird, der Staatskasse die notwendigen Auslagen<br />

des Angeklagten aufzuerlegen; denn ohne das Verfahrenshindernis wäre der Angeklagte sicher wegen mehrfachen<br />

Betruges verurteilt worden (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 467 Rdn. 16).<br />

Das Verfahren wurde in erster Instanz bis zur Schuldspruchreife durchgeführt (vgl. BVerfG NJW 1987, 2427; NJW<br />

1990, 2741; NJW 1992, 1611, 1612). Ferner lagen dem Senat die Revisionsbegründung sowie die Stellungnahme des<br />

Generalbundesanwalts nebst der Erwiderung durch den Revisionsführer vor. Deren Prüfung hat ergeben (vgl. BGH<br />

bei Becker NStZ-RR 2003, 103 f.), dass die Revision des Angeklagten nicht in einem Maße Erfolg gehabt hätte, das<br />

die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse angezeigt erscheinen ließe.<br />

Die Verfahrensrügen, mit denen geltend gemacht worden ist, der Angeklagte sei bis <strong>zum</strong> 16. Verhandlungstag unzureichend<br />

verteidigt gewesen beziehungsweise nach Beiordnung eines zweiten Verteidigers sei das Verfahren rechtsfehlerhaft<br />

nicht ausgesetzt worden, hätten aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

nicht durchgreifen können. Die sachlichrechtliche Überprüfung des landgerichtlichen Urteils hat - abgesehen<br />

von der unzutreffenden Beurteilung der Verjährungsfrage - einen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten nur<br />

insoweit aufgedeckt, als die Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht in rechtlich zutreffender<br />

Weise festgestellt und kompensiert worden war. Da dieser Rechtsfehler jedoch den Schuldspruch nicht berührt und<br />

die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auch nicht zu einer Verfahrenseinstellung hätte führen können, hält<br />

der Senat es für angemessen, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht aufzuerlegen.<br />

StGB § 125 I, StPO § 357 Teil der Menschenmenge ohne eigene Gewalt<br />

BGH, Beschl. v. 09.09.2008 – 4 StR 368/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 28; StV 2008, 639<br />

Nach der Umgestaltung des § 125 StGB durch das Dritte Strafrechtsreformgesetz ist nur strafbar,<br />

wer sich an den aus der Menschenmenge begangenen Gewalttätigkeiten beteiligt; deshalb genügt es<br />

für die Beurteilung im Sinn des § 125 Abs. 1 StGB nicht, bloßer Teil der "Menschenmenge" gewesen<br />

zu sein, aus der heraus die Gewalttätigkeiten begangen wurden.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten Vincent B. und Tobias N. wird das Urteil des Landgerichts Dessau-<br />

Roßlau vom 11. März 2008 – soweit es sie betrifft – mit den Feststellungen aufgeboben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten Vincent B. und Tobias N. sowie Clemens P. und Janine K.<br />

des Landfriedensbruchs, den Angeklagten P. zudem der versuchten Brandstiftung und Sachbeschädigung,<br />

schuldig gesprochen und den Angeklagten B. unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe<br />

verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die anderen Angeklagten hat es verwarnt<br />

und gegen sie Auflagen nach dem Jugendgerichtsgesetz verhängt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen<br />

der Angeklagten B. und N. , die die Verletzung formellen und materiellen Rechts (Angeklagter B. )<br />

bzw. nur des materiellen Rechts (Angeklagter N. ) beanstanden. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge<br />

Erfolg.<br />

I.<br />

Am 24. März 2005 fand in W. auf der Festwiese an der M. Straße eine Veranstaltung („Osterfeuer“)<br />

statt. Als diese gegen 23.00 Uhr beendet werden sollte und die Feuerwehr vorfuhr, um das Feuer zu löschen,<br />

bildeten die Angeklagten und mindestens sechs weitere Personen eine Menschenkette zwischen den Mitgliedern der<br />

Feuerwehr und den Feuerwehrfahrzeugen sowie dem von diesen etwa 15 Meter entfernten Feuer. Nach Rufen, dass<br />

67


das Feuer weiterbrennen und die Feuerwehr abrücken soll, wuchs die Menschenkette auf ca. 20 Personen an und<br />

„einige Mitglieder der Menschenkette [begannen] in bedrohlicher Art und Weise Flaschen, Büchsen und andere<br />

Gegenstände in Richtung der … Feuerwehrfahrzeuge und der Mitglieder“ der Feuerwehr zu werfen; „ob die vier<br />

Angeklagten auch selber Gegenstände geworfen haben, kann nicht mehr festgestellt werden, sie haben sich jedoch<br />

bewusst an der Menschenkette beteiligt … und dabei das Werfen von Gegenständen aus ihrer Gruppe heraus wahrgenommen<br />

und gebilligt“ (UA 13). Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, rückte die Feuerwehr gegen 23.30 Uhr<br />

ab, ohne das Feuer gelöscht zu haben. Daraufhin löste sich die Menschenkette auf.<br />

Die Angeklagten B. und K. begaben sich nunmehr zur N. straße, einer Seitenstraße der M.<br />

Straße, wo sie nach 23.45 Uhr gemeinsam zwei Papiercontainer in Brand setzten. Deswegen wurden sie gegen 00.20<br />

Uhr zu einem Polizeirevier gebracht, wo beim Angeklagten B. um 01.35 Uhr eine Blutentnahme durchgeführt<br />

wurde. Anschließend kehrten beide zur Festwiese zurück, wo sie gegen 02.00 Uhr eintrafen.<br />

Dort hatte der Angeklagte P. in der Zwischenzeit mit Hilfe weiterer Personen zwei Dixi-Toiletten in Brand gesetzt.<br />

Als die Feuerwehr diesen Brand löschte, „wurden aus der immer aggressiver werdenden Menschenmenge<br />

heraus gezielt Flaschen in Richtung der Feuerwehrfahrzeuge geworfen“ (UA 15), wobei ein Fahrzeug getroffen und<br />

beschädigt wurde.<br />

Nach dem Eintreffen der Angeklagten B. und K. an der Festwiese trugen „mehrere Personen“ die teilweise<br />

verbrannten Dixi-Toiletten auf die M. Straße, zogen mehrere Papiercontainer dorthin und errichteten eine<br />

Barrikade. Anschließend wurden die Dixi-Toiletten unter Mitwirkung der Angeklagten K. und mehrerer unbekannt<br />

gebliebener Personen erneut in Brand gesetzt, zudem zündete der frühere Mitangeklagte M. einen CD-<br />

Rekorder und – kurze Zeit später – eine unbekannte Person den Reifen eines auf der Festwiese stehenden Bierausschankwagens<br />

an. Als die Feuerwehr und die Polizei eintrafen, „flüchteten die vier Angeklagten mit zahlreichen<br />

weiteren Beteiligten“ (UA 16).<br />

Anschließend trennte sich der Angeklagte P. von den übrigen Angeklagten und verübte an anderen Orten die<br />

Taten, die das Landgericht als versuchte Brandstiftung und Sachbeschädigung abgeurteilt hat.<br />

II.<br />

1. Die vom Verteidiger des Angeklagten B. erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig.<br />

2. Die Revisionen haben jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die<br />

Verurteilung der Angeklagten B. und N. wegen Landfriedensbruchs nicht, da sie nicht belegen, dass diese<br />

Angeklagten an Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen im Sinn des § 125 Abs. 1 Nrn 1, 2 StGB „als Täter oder Teilnehmer<br />

beteiligt [waren] oder auf die Menschenmenge eingewirkt [haben], um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen<br />

zu fördern“.<br />

a) Während die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruch früher an die Zugehörigkeit zu einer feindseligen Menschenmenge<br />

anknüpfte, ist nach der Umgestaltung des § 125 StGB durch das Dritte Strafrechtsreformgesetz – soweit hier<br />

von Bedeutung – nur strafbar, wer sich an den aus der Menschenmenge begangenen Gewalttätigkeiten beteiligt;<br />

Strafgrund ist diese Beteiligung und nicht mehr der bloße Anschluss an die unfriedliche Menge (BGHSt 32, 165,<br />

178). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nicht derjenige, der sich nach „Gewalttätigkeiten nicht veranlasst sieht,<br />

sich zu entfernen“, sondern nur derjenige, der sich „aktiv an Gewalttätigkeiten“ beteiligt, nach dieser Vorschrift<br />

strafbar sein (BTDrucks. VI/139 S. 4, VI/502 S. 9; zur Gesetzesgeschichte: LK-von Bubnoff StGB 11. Aufl. vor §<br />

125 Rdn. 5 ff.).<br />

Deshalb genügt es für eine Beteiligung im Sinn des § 125 Abs. 1 StGB nicht, bloßer Teil der „Menschenmenge“<br />

gewesen zu sein, aus der heraus die Gewalttätigkeiten begangen wurden. Ob sich jemand an diesen „als Täter oder<br />

Teilnehmer beteiligt“ hat und damit Täter des Landfriedensbruchs ist, bestimmt sich vielmehr nach den allgemeinen<br />

Teilnahmegrundsätzen der §§ 25 ff. StGB (Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben StGB 27. Aufl. § 125 Rdn.<br />

14). Danach stellt jedoch das bloß inaktive Dabeisein oder Mitmarschieren weder eine psychische Beihilfe noch ein<br />

bestimmte Gewalttätigkeiten auf andere Weise unterstützendes Verhalten dar (vgl. BGH NStZ 1984, 549; OLG<br />

Naumburg NJW 2001, 2034; Fischer StGB 55. Aufl. § 125 Rdn. 13; Schäfer in Münch-Komm StGB § 125 Rdn. 31;<br />

LK-von Bubnoff aaO § 125 Rdn. 9, 12 f., 17 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben aaO jeweils m.w.N.).<br />

b) Eine danach strafbare Beteiligung des Angeklagten N. an den Gewalttätigkeiten hat das Landgericht nicht<br />

festgestellt, sondern vielmehr ausgeführt, dass dieser „lediglich am Anfang der Ausschreitungen bei der Menschenkette<br />

beteiligt [war]. Anschließend war er zwar weiterhin anwesend, beteiligte sich jedoch bei den immer schwerwiegender<br />

werdenden Ausschreitungen nicht mehr aktiv selber“ (UA 26). Auch bezüglich der Anwesenheit in der<br />

Menschenkette vermochte das Landgericht – wie ausgeführt – nicht festzustellen, „ob die vier Angeklagten auch<br />

68


selber Gegenstände geworfen“ oder dies bzw. sonstige Gewalttätigkeiten über das bloße Wahrnehmen und Billigen<br />

hinaus unterstützt haben (UA 13).<br />

c) Entsprechendes gilt bezüglich des Angeklagten B. . Er hat zwar (zudem) gemeinsam mit der Angeklagten K.<br />

zwei Papiercontainer in Brand gesetzt, jedoch wurde vom Landgericht insofern nicht festgestellt, dass diese Sachbeschädigungen<br />

– wie nach § 125 Abs. 1 StGB erforderlich – „aus einer Menschenmenge“ begangen wurden.<br />

3. Eine Erstreckung der Entscheidung auf die nicht Revision führenden Angeklagten K. und P. ist nicht geboten,<br />

da die sachlich-rechtlichen Erwägungen, die zur Aufhebung des Urteils zu Gunsten der Revisionsführer geführt<br />

haben, bei ihnen nicht zur gleichen Entscheidung gezwungen haben (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 357<br />

Rdn. 14 m.w.N.). Beide haben nämlich aus der „Menschenmenge heraus“ selbst „weitere Gewalttätigkeiten“ gegen<br />

Sachen begangen (Anzünden der Dixi-Toiletten), die das Landgericht – über die Anwesenheit in der Menschenkette<br />

hinaus – als tatbestandliches „Fortsetzen“ des Landfriedensbruch bewertet hat (UA 24 f.).<br />

StGB § 129a V, § 129b I § 211, StPO § 112, AWG § 34 IV Nr. 2 U-Haft<br />

BGH, Beschl. v. 07.04.<strong>2009</strong> – AK 6/09<br />

Das in Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 enthaltene Verbot der Lieferung,<br />

des Verkaufs oder der Weitergabe von technischer Beratung, Hilfe oder Ausbildung im Zusammenhang<br />

mit militärischen Tätigkeiten erfasst nicht die Lieferung von Waren, sondern das<br />

Zurverfügungstellen von "Dienstleistungen".<br />

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.<br />

Eine etwaige erforderliche weitere Haftprüfung durch den BGH findet in drei Monaten statt.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeschuldigte ist am 18. September 2008 festgenommen worden und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls<br />

des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tage in Untersuchungshaft. Unter dem 19. Februar<br />

<strong>2009</strong> hat der Generalbundesanwalt gegen ihn Anklage <strong>zum</strong> Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben;<br />

dieses hat durch Beschluss vom 9. März <strong>2009</strong> den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet.<br />

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.<br />

1. Der Angeschuldigte ist der im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs enthaltenen Tatvorwürfe<br />

der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung - der Islamische Jihad-Union (im Folgenden:<br />

IJU) - sowie zweier Vergehen der Unterstützung dieser Vereinigung jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen<br />

das Außenwirtschaftsgesetz dringend verdächtig.<br />

a) Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt<br />

auszugehen:<br />

Die IJU wurde im Jahre 2002 als Abspaltung von der Islamischen Bewegung Usbekistans gegründet. Ihre Führung in<br />

Pakistan verfügt über Kontakte zur Al Quaida und ist von deren Ideologie beeinflusst. Nachdem die Vereinigung<br />

zunächst Ziele in Usbekistan verfolgte und sich erstmals im Jahre 2004 für dort durchgeführte Sprengstoffanschläge<br />

verantwortlich erklärte, hat sie ihren Wirkungs- und Interessenkreis mittlerweile im Sinne des globalen Djihad ausgeweitet.<br />

Zur Verbreitung ihrer extremistisch-fundamentalistischen Ideologie nutzt sie insbesondere das Internet und<br />

verwendet ein eigenes Banner bzw. Logo. Sie verfügt über Verantwortliche, die sich mit der Anwerbung und Schleusung<br />

von Rekruten in Ausbildungslager im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet oder für Kampfhandlungen in<br />

Afghanistan befassen. Zur Teilnahme an den Aktivitäten der IJU bereite Interessenten aus Europa gelangen in der<br />

Regel über die Türkei und den Iran nach Pakistan in Ausbildungslager in der Gegend um Mir Ali in Waziristan. Dort<br />

vermitteln eigene Ausbilder und Sprengstoffexperten der IJU die erforderlichen Schieß- und Sprengstoffkenntnisse<br />

sowie die Fähigkeiten zur Dokumentenfälschung und die Regeln über konspiratives Verhalten.<br />

aa) Der Angeschuldigte überließ dem gesondert Verfolgten Y. - einem Mitglied der IJU, der nach einem<br />

Aufenthalt in einem Ausbildungslager der IJU in Pakistan im Jahre 2006 und seiner anschließenden Rückkehr in die<br />

Bundesrepublik Deutschland eigene Anschläge vorbereitete und der IJU-Führung in Pakistan islamische Fundamentalisten<br />

zur Ausbildung zuführte - unmittelbar vor einer Reise nach Pakistan, die er am 10. Mai 2007 antrat, seine<br />

EC-Karte mit der dazugehörigen Geheimzahl, damit Y. über das auf dem Girokonto des Angeschuldigten bei der<br />

Sparkasse in D. befindliche Guthaben für Zwecke der IJU verfügen konnte. Y. hob von dem Konto am<br />

69


31. Mai 2007 500 € ab. Ein Versuch, am 13. Juli 2007 erneut 500 € zu erlangen, scheiterte, weil der Kreis O.<br />

nach einer entsprechenden Mitteilung der Polizeibehörden die Sozialleistungen an den Angeschuldigten eingestellt<br />

hatte und das Konto deshalb keine Deckung aufwies. Am 27. Juli 2007 hob Y. das Restguthaben in Höhe von 5<br />

€ ab.<br />

bb) Der Angeschuldigte erwarb vor dem 10. Mai 2007 u. a. zwei Infrarotstrahler, zwei Nachtsichtgeräte, ein Zielfernrohr<br />

und einen Laserkollimator mit Zubehör. Diese und weitere erstandene Gegenstände führte er bei seiner<br />

Ausreise nach Pakistan im Mai 2007 mit sich; dort übergab er sie den Verantwortlichen der IJU.<br />

cc) Der Angeschuldigte absolvierte in dem Zeitraum zwischen dem 24. Mai und September 2007 in einem Trainingslager<br />

der IJU in Pakistan erfolgreich eine Ausbildung und ist seitdem in die Vereinigung als Mitglied eingebunden.<br />

Er kehrte am 2. Oktober 2007 in die Bundesrepublik Deutschland zurück und wartete hier seine weitere Verwendung<br />

betreffende Befehle ab.<br />

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters sowie der Anklageschrift des<br />

Generalbundesanwalts aufgeführten Beweismitteln, auf die der Senat Bezug nimmt. Insbesondere die durch Sachverständige,<br />

Behördengutachten und Zeugen vermittelten Erkenntnisse über die IJU, die die IJU-Mitgliedschaft des<br />

gesondert verfolgten Y. und die Tathandlungen des Angeschuldigten betreffenden Ergebnisse der Telekommunikations-<br />

und Observationsmaßnahmen sowie die sichergestellten Gegen stände begründen eine hohe Wahrscheinlichkeit<br />

dafür, dass der Angeschuldigte die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen hat.<br />

c) Danach ist der Angeschuldigte folgender Straftaten dringend verdächtig:<br />

aa) Im Fall 1. a) aa) unterstützte er eine Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet<br />

sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen und handelte durch dieselbe Handlung einem im<br />

Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-,<br />

Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften<br />

zuwider, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen-<br />

und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (§ 129 b Abs. 1 i. V. m. § 129<br />

a Abs. 5 StGB; § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 1 Ziffer 1, Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002<br />

vom 27. Mai 2002 und der Verordnung (EG) Nr. 853/2005 der Kommission vom 3. Juni 2005 sowie der Verordnung<br />

(EG) Nr. 198/2008 der Kommission vom 3. März 2008, § 52 StGB), indem er dem Y. den Zugriff auf sein Konto<br />

ermöglichte und damit der IJU indirekt Gelder zur Verfügung stellte bzw. zugute kommen ließ.<br />

Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern<br />

der IJU, die sich im Inland aufhalten oder tätig werden, liegt seit dem 15. Mai 2007 vor. Die IJU unterfällt<br />

der Embargovorschrift des Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 (veröffentlicht im Bundesanzeiger<br />

Nr. 179 vom 24. September 2002, S. 22 473). Diese Verordnung setzt die in dem Gemeinsamen Standpunkt<br />

2002/402/GASP angeordneten restriktiven Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al Quaida und die<br />

Taliban, sowie andere Einzelpersonen, Gruppen, Unternehmen und Organisationen um, die mit ihnen in Verbindung<br />

stehen. Sie verbietet - in Art. 1 und 2 - die Bereitstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen an die genannten<br />

Empfänger sowie - in Art. 3 - die Lieferung, den Verkauf und die Weitergabe von technischer Beratung,<br />

Hilfe oder Ausbildung im Zusammenhang mit militärischen Tätigkeiten, insbesondere Ausbildung oder Hilfe im<br />

Zusammenhang mit der Herstellung, Instandhaltung und Verwendung von Waffen sowie anderem damit verbundenem<br />

Material. Mit Verordnung (EG) Nr. 853/2005 der Kommission vom 3. Juni 2005 (veröffentlicht im Bundesanzeiger<br />

Nr. 106 vom 10. Juni 2005, S. 8697) wurde die IJU unter ihrem Namen "Islamic Jihad Group" in die Liste der<br />

Personen, Gruppen und Organisationen aufgenommen, die den Sanktionsmaßnahmen der Verordnung (EG) Nr.<br />

881/2002 unterfallen. Mit Verordnung (EG) Nr. 198/2008 der Kommission vom 3. März 2008 (veröffentlicht im<br />

Bundesanzeiger Nr. 45 vom 20. März 2008, S. 1012) wurde die Listung der IJU aktualisiert, indem auch der derzeitige<br />

Namen "Islamic Jihad Union" aufgenommen wurde.<br />

bb) Im Fall 1. a) bb) unterstützte er erneut eine Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf<br />

gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen und handelte durch dieselbe Handlung<br />

einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-,<br />

Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der Europäischen<br />

Gemeinschaften zuwider, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (§ 129 b Abs. 1<br />

i. V. m. § 129 a Abs. 5 StGB; § 34 Abs. 4 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 1 Ziffer 2, Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr.<br />

881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Verordnung (EG) Nr. 853/2005 der Kommission vom 3. Juni 2005 sowie der<br />

Verordnung (EG) Nr. 198/2008 der Kommission vom 3. März 2008, § 52 StGB).<br />

70


Die von dem Angeschuldigten erworbenen und bei seiner Ausreise nach Pakistan mitgenommenen Gegenstände<br />

stellen Vermögenswerte und damit nach Sinn und Zweck der Norm wirtschaftliche Ressourcen im Sinne des Art. 1<br />

Ziffer 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 dar. Demgegenüber hat der Angeschuldigte nicht<br />

gegen das in Art. 3 der genannten Verordnung enthaltene Verbot der Lieferung, des Verkaufs oder der Weitergabe<br />

von technischer Beratung, Hilfe oder Ausbildung im Zusammenhang mit militärischen Tätigkeiten verstoßen. Diese<br />

Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut sprachlich nur schwer verständlich. Aus dem systematischen Zusammenhang mit<br />

den Verboten des Art. 2 Abs. 2, 3 der Verordnung ergibt sich indes hinreichend, dass Art. 3 der Verordnung nicht die<br />

Lieferung von Waren, sondern das Zurverfügungstellen von "Dienstleistungen" erfasst.<br />

cc) Im Fall 1. a) cc) beteiligte er sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit<br />

darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (§ 129 b Abs. 1 i. V. m. §<br />

129 a Abs. 1 StGB).<br />

2. Bei dem Angeschuldigten bestehen aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters sowie dem Haftfortdauerbeschluss<br />

des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. März <strong>2009</strong> zutreffend aufgeführten Gründen die Haftgründe<br />

der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Die zu erwartende<br />

Strafe und der Wunsch des Angeschuldigten, am Djihad teilzunehmen, begründen einen erheblichen Fluchtanreiz.<br />

Der Angeschuldigte verfügt über familiäre und sonstige Kontakte ins Ausland. Dies und die weiteren, in den genannten<br />

Entscheidungen aufgeführten Umstände machen es - auch bei sachgerechter Bewertung seines Vorbringens in<br />

dem Haftprüfungstermin vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 9. März <strong>2009</strong> - wahrscheinlich, dass er<br />

sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird. Unter diesen Umständen sind weniger einschneidende<br />

Maßnahmen i. S. d. § 116 StPO nicht geeignet, die Fluchtgefahr zu beseitigen.<br />

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs.<br />

1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch<br />

nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten<br />

waren durch die Ermittlungsbehörden umfangreiche Beweismittel, darunter Datenträger und fremdsprachige Ergebnisse<br />

der Überwachung der Telekommunikation, zu sichten und auszuwerten. Wegen der Einzelheiten wird auf die<br />

Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 13. März <strong>2009</strong> Bezug genommen. Der Generalbundesanwalt<br />

hat unter dem 19. Februar <strong>2009</strong> Anklage erhoben. Die Anklageschrift benennt u. a. mehr als 100 Zeugen,<br />

15 Sachverständige und zahlreiche Urkunden. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Anklage mit<br />

Schreiben vom 3. März <strong>2009</strong> den Verteidigern und dem Angeschuldigten mitgeteilt und eine Frist zur Stellungnahme<br />

bis <strong>zum</strong> 20. April <strong>2009</strong> gesetzt. Über einen Antrag auf mündliche Haftprüfung hat es am 9. März <strong>2009</strong> verhandelt<br />

und entschieden. Damit ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.<br />

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwürfen, die<br />

teilweise mit einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht sind, nicht außer<br />

Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).<br />

StGB § 176 a Abs. 2 Nr. 1 Ejakulation in den Mund des Tatopfers<br />

BGH, Beschl. v. 19.12.2008 – 2 StR 383/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 262; StraFo <strong>2009</strong>, 164<br />

LS: Die Qualifikation des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist bei Ejakulation in den Mund des Tatopfers<br />

erfüllt.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 19. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 16. April 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem<br />

Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die<br />

71


Revision des Angeklagten, die insbesondere rügt, dass die Voraussetzungen des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht<br />

erfüllt seien. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

1. Nach den Urteilsfeststellungen rief der Angeklagte an einem Tag im Februar 2005 seine siebenjährige Tochter M.<br />

zu sich in sein Büro. Er führte die Hand des Kindes an sein unbekleidetes Geschlechtsteil und veranlasste es, an<br />

seinem Penis zu manipulieren. Er forderte es dann auf, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen, was das Kind<br />

ablehnte. Daraufhin gebot ihm der Angeklagte, die Augen zu schließen, und ejakulierte in seinen Mund. Auf seine<br />

Anweisung schluckte seine Tochter das Ejakulat.<br />

2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat die Tat zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes nach §<br />

176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt. Nach § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in<br />

den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über<br />

achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an<br />

sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Diese Voraussetzungen<br />

liegen hier vor.<br />

Der Senat folgt nicht dem Vorbringen der Revision, dass der Qualifikationstatbestand nicht erfüllt sei, weil nicht der<br />

Penis des Angeklagten, sondern nur das Ejakulat in den Mund des Kindes gelangt sei.<br />

Die Strafvorschrift des § 176 StGB schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern. Der Begriff „Eindringen<br />

in den Körper“ in § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie<br />

unter erhöhte Strafdrohung (BGHSt 45, 131, 132). Er ist nicht auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt<br />

(BGH NJW 2000, 672 m. Anm. Renzikowski NStZ 2000, 367). Erfasst wird sowohl das Eindringen in den<br />

Körper des Opfers als auch in den des Täters (BGHSt 45, 131, 133 m. Anm. Hörnle NStZ 2000, 310). „Eindringen“<br />

erfordert eine Penetration des Körpers. Es liegt nicht vor, wenn das Kind mit dem Mund den Penis des Täters nur<br />

berührt (BGH NStZ 2000, 27). „Eindringen“ in einen Körper können jedoch auch Flüssigkeiten (vgl. Duden, Das<br />

große Wörterbuch der <strong>Deutsche</strong>n Sprache [2002]). Eine Penetration des Körpers ist daher gegeben, wenn Sperma des<br />

Täters in den Mund des Opfers gelangt. Weder die Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch Sinn und Zweck der<br />

Regelung gebieten eine Einschränkung des Wortlautes auf eine Penetration mit Körperteilen oder festen Gegenständen.<br />

a) Der Qualifikationstatbestand des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176 a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG<br />

vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs<br />

sollten die Qualifikationsmerkmale im Wesentlichen den Regelbeispielen der besonders schweren Fälle des § 177<br />

StGB in der Fassung des 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) nachgebildet werden. Der Entwurf des 6.<br />

StrRG verweist ausdrücklich auf die Gesetzgebungsmaterialien <strong>zum</strong> 33. StrÄndG (BT-Drucks. 13/7164 S. 32). Die<br />

heutige Fassung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB beruht auf einer Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen der<br />

CDU/CSU und der FDP vom 27. September 1995 (BT-Drucks. 13/2463) und floss später unverändert in einen letztlich<br />

verabschiedeten interfraktionellen Entwurf zahlreicher Bundestagsabgeordneter vom 21. März 1997 (BT-<br />

Drucks. 13/7324) ein. In beiden Begründungen heißt es gleich lautend, dem erzwungenen Beischlaf sollten ähnliche<br />

sexuelle Handlungen gleichgestellt werden, die das Opfer besonders erniedrigten. „Hiermit wird vor allem das Eindringen<br />

des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst. Aber auch das Eindringen mit<br />

Gegenständen kann eine in gleicher Weise belastende oder erniedrigende Verhaltensweise darstellen, die unter das<br />

zweite Regelbeispiel fällt“ (BT-Drucks. 13/2463 S. 7; 13/7324 S. 6).<br />

Die Gesetzgebungsmaterialien belegen danach, dass der Gesetzgeber eine umfassende Regelung treffen wollte, um<br />

besonders schwerwiegende sexuelle Handlungen zu erfassen. Anders als in § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB stellt § 176 a<br />

Abs. 2 Nr. 1 StGB aber nicht auf eine besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in<br />

den Körper, welches als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist. Weiterer maßgebender<br />

Grund für die Gesetzesverschärfung war neben der besonders nachhaltigen Beeinträchtigung des Opfers<br />

die Möglichkeit, es mit Aids zu infizieren und die entsprechende Angst des Opfers (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 32 i.<br />

V. m. BT-Drucks. 13/2463 S. 6 und BT-Drucks. 13/7324 S. 5). Diese Gefahren bestehen gleichermaßen beim Ejakulieren<br />

in den Mund des Opfers.<br />

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Ejakulieren auf den (nackten) Körper eine sexuelle Handlung mit<br />

Körperkontakt (so zu § 178 Abs. 1 StGB a. F. BGH NStZ 1992, 433 m. w. N.). Die sexuelle Handlung am Tatopfer<br />

setzt körperliche Berührung voraus, der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers<br />

einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Erforderlich ist, dass der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung<br />

und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies hat der Senat für den<br />

Fall verneint, dass das Opfer eine Lederjacke trug, auf die ejakuliert wurde. Demgegenüber reicht die Berührung des<br />

72


(nackten) Körpers durch Sperma des Täters als körperliche Einwirkung. Dringt dann aber das Sperma in eine Körperöffnung<br />

des Opfers ein, handelt es sich nicht nur um eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt, sondern auch um<br />

eine solche, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist.<br />

c) Die notwendige Begrenzung des Tatbestandes leisten bei § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Erfordernis einer im Hinblick<br />

auf das geschützte Rechtsgut erheblichen sexuellen Handlung nach § 184 g Nr. 1 StGB und das Tatbestandsmerkmal<br />

der Beischlafähnlichkeit der Tathandlung (vgl. zu letzterem Fischer StGB 56. Aufl. § 176 a Rdn. 8, § 177<br />

Rdn. 71). Diese Kriterien sind auch in den Fällen des Eindringens mit Flüssigkeiten oder breiigen Gegenständen in<br />

den Mund zu prüfen. An der Sexualbezogenheit und der „Beischlafähnlichkeit“ von Handlungen, bei denen die Tathandlung<br />

entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des Geschlechtsteils geschieht, besteht<br />

allerdings nach der gesetzgeberischen Bewertung kein Zweifel (BGH NJW 2000, 672). Damit erfasst der Tatbestand<br />

aber ohne Weiteres auch Fälle, in denen der Täter aus seinem Geschlechtsteil Sperma in den Mund des Opfers spritzen<br />

lässt.<br />

StGB § 177 Geweltanwendung – Bettdecke über Kopf<br />

BGH, Beschl. v. 09.04.<strong>2009</strong> – 4 StR 88/09<br />

Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert regelmäßig, dass der Täter<br />

durch eigene Kraftentfaltung das Opfer einem körperlich wirksamen Zwang aussetzt, um damit<br />

geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Der Feststellung, dass der Angeklagte dem<br />

Opfer die Bettdecke über den Kopf zog, bevor er mit ihr gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr<br />

ausübte, lässt sich nicht mit der zur Verurteilung wegen Vergewaltigung erforderlichen Sicherheit<br />

entnehmen, dass die Geschädigte dies als körperlich wirksamen Zwang empfand und dass<br />

der Angeklagte eine solche Zwangswirkung erzielen wollte.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. April <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 11. November 2008<br />

1. im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte<br />

a) im Fall II 1 des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

von Kindern und mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen,<br />

b) im Fall II 2 des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten<br />

und mit Körperverletzung und<br />

c) im Fall II 3 des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten<br />

schuldig ist,<br />

2. in den Aussprüchen über die in den Fällen II 1, 2 und 3 erkannten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben.<br />

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit<br />

mit sexuellem Missbrauch von Kindern, mit sexueller Nötigung, mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen<br />

und mit Körperverletzung (Fall II 1), wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen<br />

und mit Beischlaf zwischen Verwandten in vier Fällen (Fälle II 2-5), davon in einem Fall in Tateinheit mit<br />

Körperverletzung (Fall II 2), wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen<br />

Verwandten (Fall II 6) und wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen<br />

(Fall II 7) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.<br />

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen<br />

Rechts rügt.<br />

73


Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit<br />

der Sachrüge hat die Revision in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11. März <strong>2009</strong> im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat,<br />

belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nicht, dass der Angeklagte in den Fällen II 1<br />

und 3 seine Tochter mit Gewalt zur Duldung der sexuellen Handlung bzw. des Geschlechtsverkehrs genötigt hat.<br />

Auch im Fall II 2 tragen die Feststellungen die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Vergewaltigung nicht.<br />

Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert regelmäßig, dass der Täter durch eigene<br />

Kraftentfaltung das Opfer einem körperlich wirksamen Zwang aussetzt, um damit geleisteten oder erwarteten Widerstand<br />

zu überwinden (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 177 Rdn. 5-7 m.w.N.). Der Feststellung, dass der Angeklagte<br />

seiner Tochter die Bettdecke über den Kopf zog, bevor er mit ihr gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr ausübte,<br />

lässt sich nicht mit der zur Verurteilung wegen Vergewaltigung erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass die<br />

Geschädigte dies als körperlich wirksamen Zwang empfand und dass der Angeklagte eine solche Zwangswirkung<br />

erzielen wollte.<br />

Da in einer erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen, die die Verurteilung wegen sexueller Nötigung bzw.<br />

wegen Vergewaltigung in den Fällen II 1-3 tragen könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat, auch um der<br />

Geschädigten aus Gründen des Opferschutzes eine erneute Vernehmung zu ersparen, die Schuldsprüche entsprechend<br />

ab.<br />

2. Im Fall II 1 ist eine weitere Schuldspruchänderung deswegen erforderlich, weil die mitverurteilte Körperverletzung<br />

(Tatzeit: Frühjahr oder Sommer 2000) <strong>zum</strong> Zeitpunkt der ersten, zur Unterbrechung der Verjährung geeigneten<br />

Handlung, der Anordnung der ersten Beschuldigtenvernehmung am 6. März 2007, bereits verjährt war.<br />

3. Wegen des Wegfalls der tateinheitlichen Verurteilungen wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung können<br />

in den Fällen II 1-3 die erkannten Einzelstrafen nicht bestehen bleiben, denn in allen drei Fällen ist das Landgericht<br />

von den Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB (Fall II 1) bzw. § 177 Abs. 2 StGB (Fälle II 2 und 3) ausgegangen, die<br />

diejenigen der jeweils tateinheitlich verwirklichten Delikte übersteigen.<br />

Die Aufhebung von drei der sieben erkannten Einzelstrafen bedingt die Aufhebung der angesichts des Gesamtgeschehens<br />

moderaten Gesamtstrafe, da der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann, dass eine etwaige<br />

Reduzierung der drei Einzelstrafen Auswirkungen auf die Höhe der Gesamtstrafe haben könnte.<br />

Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind. Ergänzende<br />

Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, bleiben zulässig.<br />

StGB § 177 I § 184f Nr. 1, Sexuelle Handlungen<br />

BGH, Beschl. v. 26.08.2008 – 4 StR 373/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 29<br />

Eine sexuelle Handlung im Sinne des § 177 Abs. 1 i.V.m. § 184 f Nr. 1 StGB liegt immer dann vor,<br />

wenn die Handlung objektiv, also nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug<br />

aufweist; ist das der Fall, kommt es auf die Motivation des Täters nicht an, auch eine sexuelle<br />

Absicht muss nicht vorliegen. Jedoch ist auf der subjektiven Seite erforderlich, dass der Täter sich<br />

jedenfalls des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst ist.<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 10. April 2008<br />

1. im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig<br />

ist, und<br />

2. im Strafausspruch aufgehoben.<br />

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.<br />

III. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders schwerer) Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung<br />

zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner<br />

74


Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen<br />

Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen (besonders schwerer) Vergewaltigung<br />

nicht.<br />

Die Strafkammer ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass eine sexuelle Handlung im Sinne des § 177 Abs. 1<br />

i.V.m. § 184 f Nr. 1 StGB immer dann vorliegt, wenn die Handlung objektiv, also nach ihrem äußeren Erscheinungsbild,<br />

einen eindeutigen Sexualbezug aufweist; ist das der Fall, kommt es auf die Motivation des Täters nicht<br />

an, auch eine sexuelle Absicht muss nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07 m.w.N.).<br />

Jedoch ist auf der subjektiven Seite erforderlich, dass der Täter sich jedenfalls des sexuellen Charakters seines Tuns<br />

bewusst ist (Hörnle im MünchKomm StGB § 184 f Rdn. 7; Lenckner/Perron/Eisele in Schönke-Schröder StGB 27.<br />

Aufl. § 184 f Rdn. 8 jeweils m.w.N.).<br />

Hieran fehlt es vorliegend. Auf Grund der vom Landgericht als glaubhaft bewerteten Aussage des Tatopfers handelte<br />

der Angeklagte allein, um nach dem Geld zu suchen, dessen Wegnahme er der Zeugin unterstellte (UA 7 ff.). Dementsprechend<br />

stellte die Strafkammer zur subjektiven Seite fest, „dass der Angeklagte selbst das Einführen des Fingers<br />

[in die Scheide der Zeugin] nicht als sexuelle Handlung, sondern als 'Suchvorgang' empfand“ (UA 15).<br />

2. Durch dieses Verhalten hat der Angeklagte jedoch den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) erfüllt. Der<br />

Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, <strong>zum</strong>al der Vorwurf der<br />

sexuellen Nötigung auch in der Tatalternative der besonders schweren Vergewaltigung den der Nötigung gemäß §<br />

240 Abs. 1 StGB umfasst.<br />

3. Die Änderung des Schuldspruchs führt schon wegen des deutlich geringeren Strafrahmens des § 240 Abs. 1 gegenüber<br />

dem des von der Strafkammer angenommenen § 177 Abs. 5 StGB zur Aufhebung des Strafausspruchs. Einer<br />

Aufhebung der Feststellungen bedarf es dagegen nicht, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind.<br />

4. Für den beim Landgericht am 4. August 2008 eingegangenen Antrag vom 31. Juli 2008, dem Angeklagten Rechtsanwalt<br />

Dr. G. als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist - anders als für die Wahrnehmung der Revisionshauptverhandlung<br />

(vgl. KK-Kuckein StPO 5. Aufl. § 350 Rdn. 11 m.w.N.) - der Vorsitzende des Gerichts, dessen Urteil angefochten<br />

worden ist, zuständig (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2005 - 4 StR 506/04; Meyer-Goßner StPO 51.<br />

Aufl. § 141 Rdn. 6 jeweils m.w.N.). Eines Zuwartens mit der Entscheidung des Senats über die Revision bedurfte es<br />

nicht, da sowohl Rechtsanwalt Dr. G. als Wahlverteidiger des Angeklagten wie auch der bisherige Pflichtverteidiger<br />

die Revision umfassend begründet haben.<br />

StGB § 177 III Nr. 2 Schuldspruchreduzierung durch Revisionsgericht<br />

BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – 4 StR 465/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 80¸BGHR StGB § 177 III Nr. 2 Werkzeug 2<br />

Subsumiert das Gericht den Sachverhalt rechtsfehlerhaft unter ein qualifiziertes Delikt, obwohl das<br />

Qualifikationsmerkmal nicht verwirklicht wurde, so kann das Revisionsgericht den Schuldspruch<br />

selbst abändern, auch wenn ein rechtlicher Hinweis gem. § 265 StPO nicht gegeben wurde.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 13. Juni 2008<br />

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung schuldig ist, und<br />

b) im Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz zurückverwiesen<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.<br />

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und<br />

materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es<br />

unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Feststellungen der Strafkammer tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen „schwerer“ Vergewaltigung<br />

nicht.<br />

Die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB leitet das Landgericht daraus her, dass<br />

der Angeklagte, während er mit einem oder mehreren Fingern in die Scheide des Opfers eindrang, den Deckel der<br />

75


Sonnenbank, auf der Sandra K. lag, „zugedrückt bzw. mit einem Schließmechanismus verschlossen“ hatte (UA<br />

9/10, 37).<br />

Damit ist indes nicht belegt, dass der Angeklagte ein Werkzeug oder Mittel im Sinn des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB bei<br />

sich geführt hat. „Bei sich führen“ kann der Täter nämlich, wie beim Tatbestandsmerkmal „mit sich führen“ in § 30 a<br />

Abs. 2 Nr. 2 BtMG, nur bewegliche Tatmittel (vgl. BGHSt 52, 89). Um einen solchen – ergreifbaren – Gegenstand<br />

handelt es sich beim Deckel einer (Ganzkörper-)Sonnenbank jedoch nicht.<br />

Die vom Landgericht herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 26. Oktober 2000 – 3<br />

StR 433/00) steht dem nicht entgegen. Dort ging es vielmehr um die Frage, ob der Täter ein schon vor der Tat einverständlich<br />

eingesetztes Fesselungswerkzeug bei sich führt, wenn er es zur Tatausführung weiterhin verwendet;<br />

auch die in dieser Entscheidung zitierten Fundstellen behandeln andere Fragen (BGHR StGB § 177 Abs. 3 Nr. 2<br />

(i.d.F. d. 6. StrRG) Werkzeug 1: Beisichführen zu einem anderen Zweck; BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 b (i.d.F. d.<br />

6. StrRG) Werkzeug/Mittel 1: rechtliche Einordnung einer mitgeführten und verwendeten Spielzeugpistole bzw.<br />

Schusswaffenattrappe).<br />

2. Der Senat ändert den Schuldspruch selbst ab, da dem Landgericht bei vollständigen Feststellungen ein bloßer<br />

Subsumtionsfehler unterlaufen ist. Eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedurfte es hierfür nicht (vgl. Meyer-<br />

Goßner StPO 51. Aufl. § 265 Rdn. 9 m.w.N.).<br />

3. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Trotz der nicht unangemessenen<br />

Strafe ist wegen der höheren Strafrahmenuntergrenze des § 177 Abs. 3 StGB nicht auszuschließen, dass sie sie<br />

vom Landgericht im Fall der Verurteilung „nur“ wegen Vergewaltigung geringer zugemessen worden wäre. Einer<br />

Aufhebung der Feststellungen bedarf es jedoch nicht (vgl. Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 16).<br />

StGB § 177 IV Nr. 1 Hund als gefährliches Werkzeug<br />

BGH, Urt.v. 30.09.2008 – 5 StR 227/08 - NStZ-RR 2008, 370<br />

Ein Wach- und Zwingerhund kann je nach der konkreten Art seines Einsatzes ein gefährliches<br />

Werkzeug i.S.d. § 174 Abs. 4 Nr. 1 StGB sein.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 1. November 2007 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin Be. entstandenen<br />

not-wendigen Auslagen zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen besonders schwerer Vergewaltigung<br />

zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die gegen die Verurteilung mit Verfahrensrügen und der Sachrüge<br />

geführte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.<br />

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin Be. zunächst gezwungen, sich von<br />

einem Wach- und Zwingerhund penetrieren zu lassen, und danach selbst mit der Nebenklägerin gegen deren Willen<br />

den Beischlaf vollzogen.<br />

1. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwaltes keinen Erfolg.<br />

2. Auch die Ausführungen zur Sachrüge zeigen, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegt hat,<br />

Rechtsfehler des angefochtenen Urteils nicht auf.<br />

a) Der Schuldspruch ist nicht zu beanstanden.<br />

Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht die Einlassung des Angeklagten<br />

für widerlegt hält, es habe sich um einverständlichen Geschlechtsverkehr gehandelt. In einem Fall, in dem –<br />

wie hier – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht<br />

glaubt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen<br />

können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1,<br />

14; StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 3, 5). Diesen besonderen Anforderungen wird das angefochtene Urteil<br />

gerecht: Widersprüche, Lücken und sonstige Mängel, wie sie die Revision behauptet, enthalten die Urteilsgründe<br />

nicht. Die Schlüsse, die das Tatgericht aus dem festgestellten Sachverhalt zieht, müssen nicht unbedingt zwingend<br />

sein; es genügt vielmehr, dass sie möglich und nachvollziehbar sind (BGHSt 36, 1, 14 m.w.N.) sowie dem Gebot<br />

rational begründeter und tatsachengestützter Beweisführung noch entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September<br />

2008 – 5 StR 224/08 Rdn. 16 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.<br />

76


Die Strafkammer hat sich eingehend mit allen für und gegen die Glaubwürdigkeit der Beteiligten sprechenden Gesichtspunkten<br />

auseinandergesetzt; dabei würdigt sie rechtsfehlerfrei die Tatsache, dass die Nebenklägerin nach erlittener<br />

Vergewaltigung zeitweise im Haushalt des Angeklagten lebte (vgl. UA S. 11 f., 27, 30 f.). Soweit es das Landgericht<br />

unterlassen hat, als Falschbelastungshypothese zu erwägen, dass die Nebenklägerin aus Scham über ein freiwilliges<br />

Zulassen der Penetration durch den Hund des Angeklagten zur eigenen psychischen Entlastung eine Herbeiführung<br />

durch Gewalt angegeben haben könnte, ist eine solche Hypothese angesichts der eigenen Anzeigeerstattung<br />

durch die Nebenklägerin schon im Ansatz zweifelhaft. Abgesehen davon handelt es sich im Blick auf die – auch<br />

sachverständig vermittelte (UA S. 11 f., 30 f.) – Persönlichkeitsstruktur der Nebenklägerin und ihren erlittenen psychischen<br />

Zusammenbruch um eine ohnehin nicht so nahe liegende andere Möglichkeit, dass deren Nichterörterung<br />

einen Sachmangel darstellt (vgl. BGH NStZ 2002, 494, 495; Brause NStZ 2007, 505, 507).<br />

b) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Straftatbestand der besonders<br />

schweren Vergewaltigung nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt hat. Der bei der Tat eingesetzte Wach- und Zwingerhund<br />

stellt nach den getroffenen Feststellungen zur konkreten Art seines Einsatzes ein gefährliches Werkzeug dar<br />

(vgl. BGH NStZ-RR 1999, 174 <strong>zum</strong> Einsatz eines Kampfhundes).<br />

c) Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten auf. Die Angriffe der Revision<br />

gegen die Einschätzung des sachverständig beratenen Landgerichts, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten<br />

sei nicht erheblich im Sinne von § 21 StGB herabgesetzt gewesen, greifen gleichfalls nicht durch.<br />

StGB § 177 Motiv des Opfers zur Einwilligung unerheblich<br />

BGH, Beschl. v. 10.12.2008 – 2 StR 517/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 207<br />

1. Das Motiv der geschädigten Person, in die vom Täter gewünschten sexuellen Handlungen nicht<br />

einzuwilligen, ist für § 177 Abs. 1 StGB regelmäßig unerheblich. Aus dem hypothetischen Umstand<br />

allein, dass eine Person unter anderen Umständen, für ein Entgelt oder auch gegen ein höheres Entgelt<br />

in die Vornahme der vom Täter erzwungenen sexuellen Handlungen eingewilligt hätte, kann<br />

nicht schon ein bestimmender Milderungsgrund für das Erzwingen von sexuellen Handlungen abgeleitet<br />

werden, in welche das Tatopfer gerade nicht eingewilligt hat.<br />

2. Eine - allein objektiv ohnehin kaum bestimmbare - Lage äußerer Schutzlosigkeit kann die<br />

Zwangswirkung einer vom Täter ausdrücklich oder konkludent ausgesprochenen Drohung mit gegenwärtiger<br />

Gefahr für Leib oder Leben verstärken. Sie wirkt dann als Teil dieser Drohung, hat<br />

aber keinen eigenen, selbständigen Unrechtsgehalt, der über die Verwirklichung des Tatbestandes<br />

des § 177 Abs. 1 Nr. StGB hinausginge. Es erscheint daher bedenklich, bei Verwirklichung der<br />

Drohungsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in einer Situation, in welcher die äußeren Voraussetzungen<br />

von Schutzlosigkeit i.S.v. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind, die Verwirklichung auch<br />

dieser Tatbestandsvariante ohne Weiteres als unrechts- und straferhöhenden Umstand anzusehen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 18. Juli 2008 im Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Vergewaltigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs" zu<br />

einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf den Strafausspruch beschränkte Revision<br />

hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die - offensichtlich unbegründete - Verfahrensrüge nicht ankommt.<br />

1. Das Landgericht hat bei der Straf<strong>zum</strong>essung den Strafrahmen des § 177 Abs. 4 StGB angewandt und hierzu ausgeführt:<br />

"Dieser Strafrahmen war auch zugrunde zu legen, da bei der gebotenen Gesamtbetrachtung die Annahme eines<br />

minder schweren Falles im Sinne des § 177 Abs. 5 Halbsatz 1 StGB ausschied" (UA S. 19). Der minder schwere Fall<br />

der besonders schweren Vergewaltigung ist jedoch nicht in § 177 Abs. 5 Halbsatz 1 StGB, sondern in Halbsatz 2<br />

geregelt. Der hiernach gemilderte Strafrahmen beträgt ein bis zehn Jahre; dagegen der Strafrahmen des Halbsatzes 1,<br />

der für minder schwere Fälle des § 177 Abs. 1 StGB gilt, nur sechs Monate bis fünf Jahre. Der bei der Abwägung<br />

über die mögliche Anwendung des gemilderten Strafrahmens dem Regelstrafrahmen des Absatzes 4 (fünf bis fünf-<br />

77


zehn Jahre) als Alternative gegenüber stehende Rahmen ist somit im Fall des Absatzes 5 Halbsatz 1 eklatant niedriger;<br />

seine Anwendung würde, wäre sie zulässig, besonders hohe Anforderungen an das Vorliegen schuldmindernder<br />

Umstände stellen.<br />

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der zitierten Formulierung um ein reines Schreibversehen gehandelt haben<br />

könnte, enthalten die Urteilsgründe nicht. Soweit der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, es sei nicht ersichtlich,<br />

dass bei der Strafrahmenwahl die Höhe des alternativ zur Verfügung stehenden Strafrahmens eine Rolle gespielt<br />

haben könnte, trifft dies nicht zu. Vielmehr kann die Angemessenheit des Regelstrafrahmens trotz Vorliegens erheblicher<br />

Milderungsgründe regelmäßig nur mit Blick auf den alternativ zur Verfügung stehenden milderen Strafrahmen<br />

des minder schweren Falles beurteilt werden.<br />

Da hier vom Landgericht gravierende Strafmilderungsgründe festgestellt wurden, kann nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass der Tatrichter zu einer dem Angeklagten günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn er die Abwägung der<br />

alternativ zur Verfügung stehenden Strafrahmen auf zutreffender Grundlage vorgenommen hätte.<br />

2. Für die neue Verhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin:<br />

a) Die Annahme des Landgerichts, der Umstand, dass das Opfer einer Vergewaltigung Prostituierte ist und sich zur<br />

Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt zunächst bereit erklärt hat, sei nicht grundsätzlich und regelmäßig als<br />

strafmildernder Gesichtspunkt zu berücksichtigen, entspricht der Rechtsprechung des Senats und begegnet auch<br />

unter Berücksichtigung des von der Revision Vorgetragenen keinen rechtlichen Bedenken. Soweit sich aus der konkreten<br />

Vorgeschichte oder dem Ablauf des Tatgeschehens einer sexuellen Nötigung Milderungsgründe ergeben können,<br />

können diese nicht ohne Weiteres schon aus der Eigenschaft des Tatopfers als Prostituierte abgeleitet werden.<br />

Das Motiv der geschädigten Person, in die vom Täter gewünschten sexuellen Handlungen nicht einzuwilligen, ist für<br />

§ 177 Abs. 1 StGB regelmäßig unerheblich. Aus dem hypothetischen Umstand allein, dass eine Person unter anderen<br />

Umständen, für ein Entgelt oder auch gegen ein höheres Entgelt in die Vornahme der vom Täter erzwungenen sexuellen<br />

Handlungen eingewilligt hätte, kann nicht schon ein bestimmender Milderungsgrund für das Erzwingen von<br />

sexuellen Handlungen abgeleitet werden, in welche das Tatopfer gerade nicht eingewilligt hat.<br />

b) Soweit das Landgericht die Verwirklichung des Nötigungstatbestands des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB neben dem<br />

Drohungstatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

im Einzelnen strafschärfend berücksichtigt hat (UA S. 21), begegnet dies rechtlichen Bedenken. Zwar mag es Fälle<br />

geben, in denen aufgrund außergewöhnlicher Umstände der durch die Furcht des Tatopfers vor Gewaltanwendung in<br />

schutzloser Lage geschaffenen Zwangswirkung (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, BGHSt 50,<br />

359, 368) ein neben dem durch ausdrückliche Drohung mit Gewalt begründeten Zwang bestehender Unrechtsgehalt<br />

zukommen kann. In der Regel erweist sich eine Lage, in welcher das Tatopfer durch ausdrückliche Drohung erfolgreich<br />

genötigt wird, aber gerade hierdurch als "schutzlos". Eine - allein objektiv ohnehin kaum bestimmbare (vgl.<br />

BGHSt 50, 356, 362; Renzikowski in MüKo § 177 Rdn. 40; Fischer aaO § 177 Rdn. 31 m.w.N.) - Lage äußerer<br />

Schutzlosigkeit kann die Zwangswirkung einer vom Täter ausdrücklich oder konkludent ausgesprochenen Drohung<br />

mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verstärken. Sie wirkt dann als Teil dieser Drohung, hat aber keinen<br />

eigenen, selbständigen Unrechtsgehalt, der über die Verwirklichung des Tatbestands des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB<br />

hinausginge (vgl. Fischer aaO § 177 Rdn. 45, 58). Es erscheint daher bedenklich, bei Verwirklichung der Drohungsvariante<br />

des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in einer Situation, in welcher die äußeren Voraussetzungen von Schutzlosigkeit<br />

im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind, die Verwirklichung auch dieser Tatbestandsvariante ohne Weiteres<br />

als unrechts- und straferhöhenden Umstand anzusehen.<br />

StGB § 177, StPO § 261 Glaubwürdigkeit anders beurteilt als Sachverst.<br />

BGH, Beschl. v. 17.09.2008 – 5 StR 276/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 106<br />

Einzelfall einer fehlerhaften von der Bewertung des vom Sachverständigen abweichenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung<br />

des Gerichts.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 31. Januar 2008 gemäß §<br />

349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Jugendkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

78


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, die<br />

Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte wohnte wie auch die Nebenklägerin J. M. in einer Jugendhilfeeinrichtung. Am Mittwoch,<br />

dem 21. Juni 2006, waren beide dort allein. Auf Aufforderung des Angeklagten begab sich die Nebenklägerin in sein<br />

Zimmer. Er verlangte, dass sie sich ausziehen und auf das Bett legen solle. Die Nebenklägerin, die keine Möglichkeit<br />

zur Gegenwehr sah, kam dem nach. Der Angeklagte legte sich auf sie, drückte sie mit seinem Körpergewicht nieder<br />

und hielt sie an den Handgelenken fest. Sodann führte er mit ihr den Geschlechtsverkehr durch, während die Nebenklägerin<br />

mehrmals ihren Widerwillen äußerte und versuchte, sich wegzudrehen. Am Montag darauf berichtete sie u.<br />

a. ihren Freundinnen, einer Lehrerin und einer Erzieherin von dem Vorfall.<br />

2. Der Angeklagte hat den Vorwurf bestritten und erklärt, es habe an einem Mittwoch oder Donnerstag in seinem<br />

Zimmer einverständliche sexuelle Handlungen mit der Nebenklägerin gegeben. Zum Geschlechtsverkehr sei es dabei<br />

nicht gekommen. Er sei nicht in J. verliebt, daher habe er auch nicht ihre Nähe gesucht, als er aus dem darauf<br />

folgenden Wochenende zurückgekehrt sei. Soweit der Angeklagte die Vorwürfe bestreitet, stützt sich das Landgericht<br />

bei seiner Überzeugungsbildung auf die Angaben der Nebenklägerin, die es abweichend von der Glaubhaftigkeitssachverständigen<br />

für erlebnisfundiert und daher glaubhaft erachtet hat.<br />

Die Sachverständige hat – soweit dies den Urteilsgründen entnommen werden kann – unter Hinweis auf die Detailarmut<br />

der Angaben und gewissen Schwankungen zur räumlichen und zeitlichen Zuordnung die Erlebnisbezogenheit<br />

der Aussagen nicht feststellen können. Eine Falschbezichtigung oder suggestive Fremdeinflüsse hat sie nicht ausschließen,<br />

jedoch auch die Unwahrheit der Angaben nicht feststellen können. Letztlich kann dieser Darstellung entnommen<br />

werden, dass die Sachverständige die bei der gebotenen Vorgehensweise (vgl. BGHSt 45, 164, 168 m.w.N.)<br />

zu bildende Hypothese, die Aussage sei unwahr, als nicht widerlegt angesehen hat.<br />

Auf der Grundlage dieser als insgesamt überzeugend und nachvollziehbar erachteten Ausführungen der Sachverständigen<br />

hat das Landgericht sich dennoch die Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin<br />

verschafft. Sein abweichendes Ergebnis der Bewertung hat es auf die Konstanz der Angaben und auf weitere, in der<br />

Hauptverhandlung zu Tage getretene Anhaltspunkte – insoweit über „aussagepsychologische Mittel“ hinausgehend –<br />

, die für die Richtigkeit der belastenden Angaben sprechen, gestützt, wie z. B. das Aussageverhalten der Nebenklägerin<br />

in der Hauptverhandlung, ihre Erschütterung und ihr „offensichtliches Leiden“.<br />

3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler auf (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in<br />

BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt). Die Darlegungen, mit denen das Landgericht seine Überzeugung für das Revisionsgericht<br />

nachvollziehbar zu begründen sucht, sind lückenhaft und wecken die Besorgnis, dass es einen rechtlich<br />

unzutreffenden Maßstab seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt hat.<br />

a) Es begegnet schon Bedenken, dass das Landgericht nicht ersichtlich bedacht hat, dass die Detailarmut der Angaben<br />

der Nebenklägerin Auswirkungen auf die Aussagekraft des Konstanzkriteriums für die Bewertung der Glaubhaftigkeit<br />

einer Aussage haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1999 – 4 StR 370/99, insoweit in NStZ<br />

2000, 217 nicht abgedruckt). Jedenfalls aber entbehrt die Würdigung des Landgerichts, die belastenden Angaben der<br />

Nebenklägerin seien „hinreichend konstant“, einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Tatsachengrundlage,<br />

da die Anknüpfungspunkte für diese Bewertung nicht mitgeteilt werden. Die Urteilsgründe enthalten weder eine<br />

geschlossene Darstellung der Angaben der Nebenklägerin noch eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der durch<br />

zahlreiche Befragungen vor der ersten polizeilichen Vernehmung gekennzeichneten Aussageentwicklung.<br />

Schon im Hinblick auf die von der Sachverständigen geltend gemachten Schwankungen im Aussageverhalten – die<br />

das Landgericht hinsichtlich der zeitlichen Einordnung ohne weitere Erörterung in Abrede stellt – durfte auf eine<br />

zusammenfassende Wiedergabe der Angaben der Nebenklägerin nicht verzichtet werden. Denn ohne diese ist nicht<br />

nachvollziehbar, ob und inwieweit Inkonstanz vorliegt – wofür freilich die Bewertung als „hinreichend konstant“<br />

spricht – und welche Bedeutung dem zukommt.<br />

Insbesondere fehlt es an einer Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der ersten offenbarenden Angaben der Nebenklägerin<br />

gegenüber ihrer Freundin. Das Landgericht beschränkt sich auf die Feststellung, dass sie „davon“ erzählt<br />

habe. Zu einer ausführlicheren Darlegung hätte aber auch deswegen Anlass bestanden, weil sich die dürftigen Erkenntnisse<br />

zu den folgenden Angaben der Nebenklägerin nicht ohne weiteres mit dem festgestellten Tatgeschehen in<br />

Übereinstimmung bringen lassen. So hat die Nebenklägerin gegenüber ihrer Beratungslehrerin angegeben, der Angeklagte<br />

habe sie in seinem Zimmer „angefasst und überwältigt“. Einer weiteren Freundin hat sie am gleichen Tag<br />

berichtet, der Angeklagte habe „versucht bei ihr einzudringen“, sie habe „probiert ihn wegzudrängen, danach sei sie<br />

79


wieder in ihr Zimmer gegangen“. Die hierin liegende Abweichung vom festgestellten vollzogenen Geschlechtsverkehr<br />

lässt das Landgericht unerörtert.<br />

In diesem Zusammenhang durfte das Landgericht die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin auch nicht<br />

darauf stützen, dass sie selbst eine Beeinflussung durch diese Freundin ausgeschlossen hat. Dies lässt besorgen, das<br />

Landgericht habe zur Prüfung der Glaubhaftigkeit die zu überprüfenden Angaben als wahr unterstellt, was jedoch<br />

zirkelschlüssig wäre.<br />

b) Aber auch die übrigen Erwägungen, mit denen das Landgericht eine von der Sachverständigen abweichende Bewertung<br />

der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zu begründen sucht, sind nicht frei von Rechtsfehlern.<br />

aa) So fehlt es an der Wiedergabe der Stellungnahme der Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf welche das<br />

Gericht seine abweichende Auffassung stützt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da das Gericht eine schwierige<br />

Frage, zu der es den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat, abweichend von dem Gutachten gelöst<br />

hat (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5 und 9). Diese Darlegungspflicht hat das Landgericht verkannt. Es<br />

beachtet insbesondere nicht, dass das Aussageverhalten der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, auf welches es<br />

maßgeblich für die abweichende Beurteilung abgestellt hat, auch der Begutachtung durch die Sachverständige zugänglich<br />

war. Damit verweigert das Landgericht die unerlässliche Erörterung der offensichtlich verschiedenen<br />

Schlüsse aus diesem Aussageverhalten durch die Sachverständige einerseits und das Gericht andererseits.<br />

bb) Bedenklich ist überdies die Erwägung des Landgerichts, die Erschütterung der Nebenklägerin und ihr Leiden<br />

sprächen für die Wahrheit ihrer Schilderung, da sie diese sonst auch hätte vorspielen müssen, was ihr nicht gelingen<br />

würde. Diese Erwägung setzt voraus, dass die Belastungen der Nebenklägerin durch die angeklagte Tat entstanden<br />

sind, für deren Begehung sie das Landgericht gerade als Indiz werten will. Andere mögliche, ersichtlich nicht fern<br />

liegende Ursachen für die psychischen Auffälligkeiten lässt das Landgericht unerörtert. Entsprechendes gilt für die<br />

Würdigung des Zögerns der Nebenklägerin vor der Anzeigenerstattung.<br />

4. Der Senat kann danach insgesamt nicht ausschließen, dass das Tatgericht ohne die genannten Rechtsfehler zu<br />

einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre. Er macht von der Möglichkeit<br />

des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative StPO Gebrauch.<br />

StGB § 179 I Körperkontakt zwischen Täter und Opfer<br />

BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – 2 StR 385/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 14<br />

1. Der Tatbestand des § 179 Abs. 1 StGB setzt Körperkontakt zwischen Täter und Opfer voraus.<br />

2. Die Feststellungen des Widerstandsunfähigkeit i.S.v. § 179 Abs. 1 StGB ist eine normative Entscheidung,<br />

hinsichtlich derer sich der Tatrichter nicht ohne eigene Würdigung einem Sachverständigen<br />

anschließen darf.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 3. April 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis II. 3 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, wird er freigesprochen.<br />

Insoweit hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen<br />

zu tragen.<br />

3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in vier Fällen<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und festgestellt, dass als Entschädigung für die überlange<br />

Verfahrensdauer sechs Monate dieser Strafe als vollstreckt gelten. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge<br />

zur Aufhebung und Freisprechung in drei Fällen, in einem Fall zur Zurückverweisung.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der 1935 geborene Angeklagte bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand<br />

im Jahr 1994 33 Jahre lang als Werkmeister in der Schreinerei der P.-Werkstätten in F. beschäftigt, einer<br />

Einrichtung, in der überwiegend geistig Behinderte unter fachlicher Anleitung tätig sind. Der Geschädigte, ein 57<br />

Jahre alter Mann, ist seit früher Kindheit "mittelschwer geistig behindert", kann weder lesen noch rechnen und<br />

spricht in kurzen, grammatikalisch fehlerhaften Sätzen. Er hat einen besonderen Hang zu Zahlen und Daten, die er<br />

80


sich gut merken und gut zuordnen kann. Sein Hobby ist das Basteln an Radios. Nach dem Tod seiner Mutter ist der<br />

inzwischen 80 Jahre alte Vater des Geschädigten als dessen Betreuer bestellt.<br />

Der Angeklagte kümmerte sich schon während seiner Tätigkeit in den P.-Werkstätten um den Geschädigten. Nach<br />

Eintritt in den Ruhestand hielt er den Kontakt zu den Werkstätten, insbesondere aber auch zu dem Geschädigten<br />

aufrecht. Er holte ihn etwa alle vier bis sechs Wochen ab und unternahm mit ihm Wander-Ausflüge in den Taunus.<br />

Der Geschädigte, der sonst keine Gelegenheiten zu solchen Unternehmungen hatte, freute sich über diese Ausflüge<br />

sehr; sein Vater, der dem Angeklagten in besonderem Maß vertraute, war über die Kontakte informiert und stimmte<br />

ihnen ausdrücklich zu.<br />

Schon seit 1990, später auch im Rahmen der Ausflüge kam es zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten, von denen<br />

der Verurteilung vier zugrunde liegen: In den Fällen II. 1 bis II. 3 forderte der Angeklagte im November 1999, Juli<br />

und August 2003 den Geschädigten jeweils auf, sich vollständig nackt auszuziehen und sich vor ihm hinzulegen. Der<br />

Angeklagte fotografierte und filmte den Geschädigten jeweils; die Aufnahmen löschte er wieder. Im Fall II. 4 begab<br />

sich der Angeklagte im November 2003 mit dem Geschädigten in den Keller seiner Wohnung. Nachdem sich der<br />

Geschädigte auf Geheiß des Angeklagten wiederum entkleidet hatte, führte dieser ein bleistiftartiges Stück Holz, das<br />

er zuvor mit Öl beträufelt hatte, in den Anus des Geschädigten ein.<br />

Das Landgericht hat den Geschädigten als widerstandsunfähig angesehen. Hierzu hat es festgestellt, dem Geschädigten<br />

sei das Geschehen jeweils unangenehm und peinlich gewesen. Er habe aber nicht gewagt, sich dem Angeklagten<br />

zu widersetzen, den er als Vertrauens- und Autoritätsperson ansah. Die Ausflüge mit ihm seien für den Geschädigten<br />

die einzige Abwechslung gewesen; dieser sei überdies irrtümlich davon ausgegangen, der Angeklagte habe die<br />

Macht, einen Umzug aus dem relativ streng behüteten Elternhaus in eine Einrichtung des betreuten Wohnens zu<br />

veranlassen, von dem er sich mehr Freiheit erhoffte.<br />

Nach der Anzeigeerstattung im November 2003 hat sich der Geschädigte mehrfach bei der Polizei nach dem Fortgang<br />

des Verfahrens erkundigt.<br />

2. In den Fällen II. 1 bis II. 3 war, wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, der Tatbestand des sexuellen<br />

Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 Nr. 1 (a.F.) StGB schon deshalb nicht gegeben,<br />

weil der Angeklagte jeweils weder eine sexuelle Handlung an dem Geschädigten vorgenommen noch diesen<br />

dazu veranlasst hat, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Der Tatbestand des § 179 Abs. 1 StGB setzt Körperkontakt<br />

zwischen Täter und Tatopfer voraus; daran fehlt es hier. Da weitergehende Feststellungen insoweit nicht zu<br />

erwarten sind, war der Angeklagte in diesen Fällen freizusprechen.<br />

Im Fall II. 4 wird der Schuldspruch wegen (schwerem) sexuellem Missbrauch eines Widerstandsunfähigen gemäß §<br />

179 Abs. 4 Nr. 1 a.F. StGB von den Feststellungen nicht getragen, weil ein Zustand der Widerstandsunfähigkeit des<br />

Geschädigten nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist.<br />

Die Feststellung, der Geschädigte sei "mittelschwer geistig behindert" (UA S. 4), reicht insoweit nicht aus; erst recht<br />

nicht der Umstand, dass er nicht lesen oder rechnen kann (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 172 f.; 2005, 232, 233; BGHR<br />

StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 9; Fischer StGB 55. Aufl. § 179 Rdn. 9, 11 a m.w.N.). Zwar hat das<br />

Landgericht sich der Bewertung der Sachverständigen angeschlossen, die vorgetragen hat, der Geschädigte habe<br />

"keine Handlungsalternative gehabt, da seine Persönlichkeit es nicht zulasse, dass er sich gegen den Angeklagten zur<br />

Wehr setze" (UA S. 27). Dieser Hinweis könnte für das Vorliegen der Voraussetzungen von Widerstandsunfähigkeit<br />

sprechen (vgl. dazu etwa BGHSt 32, 183, 185; 36, 145, 147; Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder StGB 27.<br />

Aufl. § 179 Rdn. 5; Renzikowski in MüKo-StGB § 179 Rdn. 25 f.; Fischer aaO Rdn. 11 ff.; jeweils m.w.N.). Dem<br />

steht aber die nachfolgende Erläuterung wieder entgegen, der Angeklagte sei für den Geschädigten "eine absolute<br />

Autoritätsperson gewesen, die ihm zu Ausflügen aus dem Alltag verholfen habe, <strong>zum</strong>al sich der Geschädigte vom<br />

Angeklagten auch Einfluss hinsichtlich eines möglichen Umzugs in eine Einrichtung des betreuten Wohnens versprochen<br />

habe. Vor diesem Hintergrund habe der Geschädigte die Handlungen des Angeklagten über sich ergehen<br />

lassen, ohne eine Wahl gehabt zu haben" (UA S. 27). Diese Erwägungen weisen gerade darauf hin, dass der Geschädigte<br />

jedenfalls subjektiv "eine Wahl" hatte, denn andernfalls wären Abwägungen über Vor- und Nachteile nicht<br />

verständlich.<br />

Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit im Sinne von § 179 Abs. 1 StGB ist im Übrigen eine normative Entscheidung,<br />

hinsichtlich derer sich der Tatrichter nicht ohne eigene Würdigung einem Sachverständigen anschließen<br />

darf (Renzikowski aaO Rdn. 25; vgl. auch Fischer aaO Rdn. 13). An einer solchen fehlt es hier. Grundlage hierfür<br />

wären auch nähere Feststellungen zu den konkreten, rechtsgutbezogenen Auswirkungen der Behinderung des Geschädigten<br />

gewesen; allgemeine Diagnosen oder zusammenfassende, schlagwortartige Beschreibungen reichen nicht<br />

aus. So wird durch den neuen Tatrichter gegebenenfalls auch das Maß lebenspraktischer Fähigkeiten des Geschädigten<br />

näher aufzuklären und zu würdigen sein, das sich etwa in seinen sonstigen sozialen Kontakten, seinem Hobby<br />

81


oder sonstigen Freizeitbeschäftigungen sowie seiner mehrfachen Nachfrage bei der Polizei nach dem Verfahrensstand<br />

widerspiegeln könnte. Insoweit sind umfassende neue Feststellungen erforderlich. Da auch die Feststellungen<br />

<strong>zum</strong> äußeren Sachverhalt im Fall II. 4 hiervon beeinflusst sein könnten, hat der Senat davon abgesehen, diese an sich<br />

rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen aufrecht zu erhalten.<br />

3. Wenn der neue Tatrichter erneut zur Annahme von Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten gelangen und zu<br />

einem Fall des § 179 Abs. 4 Nr. 1 a.F. StGB gelangen sollte, wäre diese Qualifikation im Schuldspruch, entsprechend<br />

der ständigen Rechtsprechung zu § 177 StGB, als schwerer sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen<br />

Person zu kennzeichnen.<br />

4. Lässt sich Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Tat nicht feststellen, wird der neue Tatrichter<br />

die Voraussetzungen des § 174 c Abs. 1 StGB zu prüfen haben.<br />

Die Annahme eines Betreuungsverhältnisses liegt hier im Hinblick auf die besondere Vertrauensbeziehung zwischen<br />

dem Vater des Geschädigten als dessen Betreuer, dem Geschädigten selbst und dem Angeklagten nahe; auf die Dauer<br />

eines solchen Verhältnisses sowie darauf, dass der Geschädigte dem Angeklagten nur außerhalb einer Wohn,<br />

Arbeits- oder Therapieeinrichtung und nur für die Dauer der jeweiligen Ausflüge anvertraut war, käme es nicht an<br />

(vgl. Renzikowski aaO § 174 c Rdn. 22; Fischer aaO § 174 c Rdn. 7 f.; Laufhütte/Roggenbuck in LK 11. Aufl. Nachtrag<br />

§ 174 c Rdn. 6 f.).<br />

StGB § 184b IV 1 Bestz – Besitzverschaffen kinderpornografischer Schriften<br />

BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – 3 StR 215/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 208; StraFo 2008, 477; BGHR StGB § 184b Konkurrenzen<br />

Zum Verhältnis der Besitzverschaffung [§ 184b Abs. 4 S. 1 StGB] <strong>zum</strong> Besitz [§ 184b Abs. 4 S. 2<br />

StGB] von kinderpornografischen Schriften.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 10. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 27. Februar 2008 wird verworfen;<br />

jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe des<br />

Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften schuldig ist.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem<br />

Missbrauch von Schutzbefohlenen in einem Fall sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in zwei<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung in der<br />

Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision<br />

des Angeklagten. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben. Sie<br />

führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs wegen des Umgangs mit kinderpornographischen Schriften.<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts betrachtete der Angeklagte im Juni 2007 kinderpornographische Seiten im<br />

Internet. Dabei wurden ohne sein Zutun aber mit seinem Wissen entsprechende Bilddateien auf der Festplatte seines<br />

Computers gespeichert. Einen Monat später lud er zwei Videodateien, die ebenfalls den schweren sexuellen Missbrauch<br />

von Kindern darstellten, aus dem Internet auf seinen Computer herunter. Der Vorgang blieb unvollständig,<br />

die Filme konnten jedoch abgespielt werden.<br />

Damit hat sich der Angeklagte in zwei Fällen kinderpornographische Schriften, die ein tatsächliches Geschehen<br />

wiedergeben, verschafft (§ 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB). Soweit der Angeklagte dabei im Verlauf einer Internetsitzung<br />

jeweils mehrere Dateien auf seinen Computer heruntergeladen hat, liegt jeweils nur eine Tat im Rechtssinn vor. Die<br />

zeitlich deutlich auseinander liegenden, jeweils auf Grund eines gesonderten Tatentschlusses erfolgten Beschaffungsvorgänge<br />

stehen dagegen zueinander in Tatmehrheit.<br />

Eine - vom Landgericht angenommene - Strafbarkeit wegen Besitzes dieser Schriften (§ 184 b Abs. 4 Satz 2 StGB)<br />

kommt hingegen hier nicht in Betracht. Beim Besitz handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Er folgt zwar<br />

zwangsläufig dem Sich-Verschaffen von Schriften - d. h. der erfolgreichen Begehungsform des Unternehmensdelikts<br />

gemäß § 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB - nach. Die Besitzverschaffung ist am illegalen Markt der Kinderpornographie jedoch<br />

das gefährdungsintensivere Delikt. Der Besitz der Schriften tritt deshalb hinter ihr zurück (Hörnle in Münch-<br />

82


Komm-StGB § 184 b Rdn. 35). Diese Betrachtung entspricht derjenigen im Betäubungsmittelstrafrecht. Auch dort ist<br />

der Besitz Auffangtatbestand. Eine Bestrafung kann nur erfolgen, wenn andere umfassendere Formen des strafbaren<br />

Umgangs mit Betäubungsmitteln nicht nachgewiesen werden können (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 801,<br />

897 m. w. N.).<br />

Dies hat Auswirkungen auf die Beurteilung der Konkurrenz zwischen den beiden Taten des Sich-Verschaffens: Verschafft<br />

sich der Täter durch mehrere Handlungen jeweils den Besitz kinderpornographischer Bilddateien und speichert<br />

diese auf demselben Computer ab, so ist das subsidiäre Delikt des Besitzes nicht in der Lage, diese selbständigen<br />

Verschaffungstaten miteinander zu einer Tat zu verklammern (im Ergebnis ebenso BayObLG NJW 2003, 839,<br />

840, das allerdings Tateinheit von Besitz und Sich-Verschaffen hinsichtlich der jeweils durch eine Handlung verschafften<br />

Dateien annimmt).<br />

Soweit der Senat in seiner Entscheidung NStZ 2005, 444 ausgesprochen hat, eine Mehrzahl von Beschaffungs- und<br />

anschließenden Weitergabehandlungen werde durch den sie verbindenden Besitz der kinderpornographischen Dateien<br />

zu einer einheitlichen Straftat verklammert, gilt Folgendes: Eine Klammerwirkung des Besitzes hinsichtlich einer<br />

Datei bezüglich des vorangehenden Sich-Verschaffens und des anschließenden Dritt-Verschaffens kommt seit der<br />

Änderung der Rechtslage (Gesetz vom 27. Dezember 2003 [BGBI I S. 3007] mit Wirkung vom 1. April 2004) nicht<br />

mehr in Betracht, da die angedrohte Strafobergrenze für das Dritt-Verschaffen in § 184 b Abs. 2 StGB auf fünf Jahre<br />

angehoben worden ist (so auch Hörnle aaO; Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 184 b<br />

Rdn. 19). Für die Annahme von Tateinheit mehrerer Taten des Sich-Verschaffens durch einen sich anschließenden<br />

einheitlichen Besitz der verschiedenen kinderpornographischen Dateien im Wege der Klammerwirkung ist kein<br />

Raum mehr, wenn - wie es der Senat in Anleh-nung an die betäubungsmittelrechtliche Betrachtung des Besitzes<br />

nunmehr tut - der Besitz nur noch als subsidiär angesehen wird.<br />

Der Senat hat den Schuldspruch geändert. Der Rechtsfolgenausspruch bleibt davon unberührt.<br />

StGB § 185, Beleidigung durch körperliche Einwirkung<br />

BGH, Urt. v. 05.03.<strong>2009</strong> – 4 StR 594/08<br />

Eine unmittelbar spürbare körperliche Einwirkung auf das Opfer, aus der sich zugleich dessen Geringschätzung<br />

ergibt, erfüllt den Tatbestand der tätlichen Beleidigung, § 185 2. Alt. StGB.)<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft - zu b) auch auf die Revision des Angeklagten - wird das Urteil des Landgerichts<br />

Landau in der Pfalz vom 21. Mai 2008<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II 2 b der Urteilsgründe der tätlichen Beleidigung<br />

schuldig ist,<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche Entscheidung über die<br />

Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.<br />

2. Die weiter gehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten werden verworfen.<br />

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft<br />

und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung,<br />

wegen Beleidigung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, in einem weiteren<br />

Fall in Tateinheit mit Verleumdung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Verleumdung in drei tateinheitlichen<br />

Fällen, sowie wegen Beleidigung in zwei Fällen, jeweils begangen in zwei tateinheitlichen Fällen, zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; außerdem hat es eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69 a<br />

StGB getroffen.<br />

Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft umfassend die Verletzung<br />

materiellen Rechts. Insbesondere beanstandet sie, dass die Strafkammer den Angeklagten im Fall II 2 b der Urteilsgründe<br />

nicht wegen tätlicher Beleidigung, § 185 2. Alternative StGB, verurteilt hat, und dass von einer nachträglichen<br />

Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB abgesehen wurde. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen<br />

Rechts; er wendet sich vor allem gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung und wegen Beleidigungen<br />

sowie gegen den Strafausspruch.<br />

I.<br />

83


Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer den Angeklagten im Fall II 2 b der Urteilsgründe<br />

nicht wegen tätlicher Beleidigung, § 185 2. Alternative StGB, verurteilt hat.<br />

a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen zeigte der Angeklagte dem Zeugen P. , einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes,<br />

seine Missachtung dadurch, dass er ein einem starken Ausatmen mit nahezu geschlossenem Mund ähnliches<br />

Geräusch machte, wodurch zugleich, was er <strong>zum</strong>indest billigend in Kauf nahm, Speichel in Form einer Art<br />

"Sprühregens" aus etwa 20 cm Abstand im Gesicht des Zeugen auftraf.<br />

6<br />

Dieses Verhalten stellt eine unmittelbar spürbare körperliche Einwirkung auf das Opfer dar, aus der sich zugleich<br />

dessen Geringschätzung ergibt. Es erfüllt daher den Tatbestand der tätlichen Beleidigung, § 185 2. Alternative StGB<br />

(vgl. OLG Zweibrücken NJW 1991, 240, 241; vgl. auch Hilgendorf in LK-StGB 11. Aufl. § 185 Rdn. 15; Regge in<br />

MünchKomm StGB § 185 Rdn. 38; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 185 Rdn. 18; Fischer StGB 56.<br />

Aufl. § 185 Rdn. 18).<br />

Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte<br />

gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

b) Die Änderung des Schuldspruchs zwingt hier nicht zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafe von einem<br />

Monat Freiheitsstrafe. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei einer der Schuldspruchänderung<br />

entsprechenden Subsumtion des Geschehens auf eine höhere Einzelstrafe erkannt hätte, und zwar auch unter Berücksichtigung<br />

der Tatsache, dass das Landgericht für die weiteren Beleidigungstaten unter Zugrundelegung des Strafrahmens<br />

der ersten Alternative des § 185 StGB ebenfalls Einzelstrafen von einem Monat verhängt hat. Diese Taten<br />

weisen gegenüber dem Fall II 2 b der Urteilsgründe erschwerende Umstände auf: In den Fällen 4 und 7 hat sich der<br />

Angeklagte jeweils der Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht; der Fall 5 ist dadurch gekennzeichnet,<br />

dass die Beleidigung nicht wie hier spontan, sondern im Rahmen einer schriftlich erstatteten Strafanzeige<br />

begangen wurde.<br />

2. Mit Erfolg beanstandet die Staatsanwaltschaft ferner, dass das Landgericht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung<br />

abgesehen hat, weil es den Regelungsgehalt des § 55 Abs. 1 StGB verkannt hat.<br />

a) Nach dieser Vorschrift ist eine nachträgliche Gesamtstrafe dann zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter,<br />

bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt<br />

wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Der Angeklagte ist vor der Verurteilung im vorliegenden<br />

Verfahren bereits mehrfach verurteilt worden, unter anderem durch die Urteile des Amtsgerichts Landau vom 29.<br />

Juni 2005, 1. März 2006, 5. Juli 2006 und 29. November 2006 sowie das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen vom<br />

28. März 2007. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, sind diese Verurteilungen noch<br />

nicht erledigt. Bis auf die Taten vom 29. November 2005 und 16. März 2006 aus dem Urteil des Amtsgerichts Landau<br />

vom 29. November 2006 wurden sämtliche diesen Verfahren zu Grunde liegenden Taten vor der Verurteilung<br />

durch das Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. Juni 2005 begangen und sind daher mit den in jenem Urteil verhängten<br />

Strafen gesamtstrafenfähig.<br />

Die für den Fall II 1 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe ist mit den für die beiden vorgenannten Taten aus dem<br />

Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. November 2006 erkannten Strafen gesamtstrafenfähig, da die Tat am 6.<br />

August 2006 - also vor diesem Urteil - begangen worden ist. Aus den übrigen sechs vom Landgericht Landau verhängten<br />

Einzelstrafen ist eine weitere Gesamtstrafe zu bilden. Die Verurteilung durch das Amtsgericht Ludwigshafen<br />

vom 28. März 2007 kann deswegen keine Zäsurwirkung entfalten, weil die ihr zu Grunde liegenden Taten vor<br />

dem Urteil des Amtsgerichts Landau vom 29. Juni 2005 begangen worden sind, sodass insofern eine Gesamtstrafe zu<br />

bilden ist. Einer Vorverurteilung kommt dann keine Zäsurwirkung zu, wenn sämtliche in ihr abgeurteilten Taten<br />

schon in eine frühere Vorverurteilung einzubeziehen sind (BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - 4 StR 431/07;<br />

vgl. auch Fischer aaO § 55 Rdn. 12).<br />

b) Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO zu verfahren. Die nachträgliche<br />

Gesamtstrafenbildung obliegt somit dem nach § 462 a Abs. 3 Satz 1 StPO zuständigen Gericht.<br />

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revision der Staatsanwaltschaft keinen Rechtsfehler<br />

aufgedeckt.<br />

II.<br />

Revision des Angeklagten<br />

84


Das Rechtsmittel hat <strong>zum</strong> Schuldspruch und zu den (Einzel-) Strafaussprüchen keinen Erfolg. Soweit - wie vorstehend<br />

dargestellt - eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung unterblieben ist, stellt dies einen auch auf die Revision<br />

des Angeklagten zu berücksichtigenden Rechtsfehler dar.<br />

III.<br />

Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revisionen kann der Senat die Entscheidung über die Kosten der<br />

Rechtsmittel nach § 473 Abs. 1, 2 und 4 StPO selbst treffen (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1 b Satz 1 Entscheidung<br />

2).<br />

StGB §§ 185, 258 StPO §§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 Abs. 1 – Beleidigung und Strafvereitelung durch<br />

Verteidiger<br />

BGH, Urt. v. 27.03.<strong>2009</strong> – 2 StR 302/08 = NStZ <strong>2009</strong>, 517<br />

LS: 1. In einem Strafverfahren gegen einen Strafverteidiger stehen weder § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO<br />

noch § 148 Abs. 1 StPO der Beschlagnahme und Verwertung von Schreiben des beschuldigten Verteidigers<br />

an seinen Mandanten entgegen.<br />

2. Ein Mandatsverhältnis begründet keine Straffreiheit für persönliche Schmähungen Dritter, die<br />

ein Strafverteidiger gegenüber seinem Mandanten äußert.<br />

(nicht amtl. LS:) Das aus der Beschlagnahme in dem Verfahren gegen den beschuldigten Verteidiger<br />

erlangte Wissen ist nur in dem gegen diesen gerichteten Verfahren verwertbar. Im Verfahren<br />

gegen den Mandanten ist seine Verwertung dagegen durch § 97 Abs. 1 StPO ausgeschlossen. Denn<br />

insoweit ist die von der Vorschrift für das Beschlagnahmeverbot vorausgesetzte Verteilung der Prozessrollen<br />

zwischen dem Mandanten als Beschuldigtem auf der einen und dem Verteidiger als Berufsgeheimnisträger<br />

auf der anderen Seite gewahrt.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 2008 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit<br />

der Angeklagte vom Vorwurf der versuchten Strafvereitelung in Tateinheit mit Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage<br />

freigesprochen worden ist.<br />

Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine<br />

andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Rechtsanwalt, wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen<br />

zu je 150 Euro verurteilt. Von den Vorwürfen einer weiteren Beleidigung, der versuchten Strafvereitelung in<br />

Tateinheit mit Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage sowie der versuchten Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage<br />

hat es ihn freigesprochen.<br />

Die Revision des Angeklagten, die sich mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge gegen seine Verurteilung wegen<br />

Beleidigung richtet, bleibt ohne Erfolg. Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene, auf den Vorwurf der versuchten<br />

Strafvereitelung in Tateinheit mit Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft<br />

führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.<br />

I. Revision des Angeklagten<br />

Das Landgericht hat seine Verurteilung wegen Beleidigung gegen den Widerspruch des Angeklagten in der Hauptverhandlung<br />

auf ein bei einer Durchsuchung des Haftraums seines früheren Mandanten von T. sichergestelltes<br />

und beschlagnahmtes Schreiben des Angeklagten gestützt, in dem der Angeklagte den Vorsitzenden Richter<br />

des damaligen Strafverfahrens u.a. als „unfähigen und faulen Richter“ bezeichnete, „an dessen Verstand man mit<br />

Fug und Recht zweifeln muss.“<br />

1. Die Rüge, das Landgericht habe damit unter Verstoß gegen § 148 StPO beschlagnahmefreie Verteidigerkorrespondenz<br />

verlesen und rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten verwertet, ist unbegründet.<br />

a) Der Durchsuchung des Haftraums und Beschlagnahme des Briefes liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: Der<br />

Angeklagte war in dem Verfahren 8007 Js 25900/04.5 KLs vor der 3. (Großen) Strafkammer für den dortigen Ange-<br />

85


klagten T. als Verteidiger in der Hauptverhandlung tätig. T. lag u. a. zur Last, versucht zu haben,<br />

den Privatdetektiv P. zur Begehung einer räuberischen Erpressung zu bestimmen, indem er ihn beauftragte,<br />

den Geschädigten H. gewaltsam zur Unterzeichnung eines von ihm vorgefertigten Kaufvertrages<br />

zu zwingen. Dieser Vorwurf beruhte im Wesentlichen auf den Angaben des Zeugen P. . Dieser bekundete im<br />

Hauptverhandlungstermin vom 21. Juni 2005 der Wahrheit zuwider, dass er T. nicht kenne und dieser<br />

nicht sein Auftraggeber gewesen sei. Nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung berichtigte er seine Aussage<br />

und erklärte, dass er vor seiner Vernehmung mit dem Verteidiger des T. , dem Angeklagten, telefoniert und<br />

über seine Aussage gesprochen habe. Aufgrund dieser Aussage leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren<br />

gegen den Angeklagten und seinen Mitverteidiger wegen des Verdachts der Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage<br />

in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung ein. Bei einer Durchsuchung der Kanzleiräume des Angeklagten<br />

wurden am 1. Juli 2005 u. a. an der Postkontrolle vorbeigeleitete Schreiben des T. an Zeugen in dem dortigen<br />

Verfahren sichergestellt.<br />

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Trier am 5. Juli 2005 in dem Ermittlungsverfahren gegen<br />

den Angeklagten und den Mitverteidiger wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung pp. gemäß §§ 94, 98,<br />

103, 105 StPO auch die Durchsuchung des Haftraums des T. und Beschlagnahme dort vorgefundener<br />

Beweismittel an. Gegen den Angeklagten bestehe der Verdacht, Briefe seines Mandanten an der gerichtlichen Postkontrolle<br />

vorbei aus der JVA Tr. verbracht und weitergeleitet zu haben, obwohl diese ihrem Inhalt nach dazu geeignet<br />

und bestimmt gewesen seien, Zeugen in ihrem Aussageverhalten zu beeinflussen und zu Falschaussagen zu<br />

bestimmen. Es sei nicht auszuschließen, dass in gleicher Weise Briefe in die JVA Tr. verbracht und an T.<br />

ausgehändigt worden seien.<br />

Am 5. Juli 2005 wurde auf Grund dieses Beschlusses der Haftraum von T. durchsucht und der verfahrensgegenständliche<br />

Brief des Angeklagten gefunden. Am 14. Juli 2005 ordnete das Amtsgericht Trier die Beschlagnahme<br />

des sichergestellten Schreibens wegen des Verdachts der Beleidigung des Vorsitzenden Richters und des Betruges<br />

<strong>zum</strong> Nachteil seines Mandanten an.<br />

Im Termin vom 15. Juli 2005 legte das Landgericht Trier auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf Ausschließung des<br />

Angeklagten als Verteidiger in dem Verfahren gegen T. die Akten dem Oberlandesgericht Koblenz vor<br />

und ordnete gemäß § 138c Abs. 3 StPO das Ruhen seiner Verteidigerrechte an. Das Ausschließungsverfahren wurde<br />

vom Oberlandesgericht eingestellt, nachdem der Angeklagte sein Mandat für T. niedergelegt und erklärt<br />

hatte, dass er es nicht mehr aufnehmen werde.<br />

b) Das Landgericht meint, der Brief habe beschlagnahmt werden dürfen. Die Rechtsprechung zur Beschlagnahmefreiheit<br />

von Aufzeichnungen des Angeklagten zur Prozessvorbereitung sei vorliegend nicht einschlägig. Es habe sich<br />

um ein Schriftstück des Verteidigers, nicht des Gefangenen gehandelt. Außerdem habe es sich nicht im Gewahrsam<br />

des Verteidigers, sondern in dem seines Mandanten befunden. Es sei nicht erkennbar, dass der Brief Verteidigungszwecken<br />

gedient habe. Das Verteidigungsrecht des damaligen Angeklagten T. sei nicht beeinträchtigt<br />

worden. Die Beschlagnahme sei vielmehr auf Grund einer Durchsuchungsanordnung wegen des Anfangsverdachts<br />

der versuchten Strafvereitelung gegen den jetzigen Angeklagten und nicht zwecks Verwertung in dem damaligen<br />

Verfahren gegen T. ergangen.<br />

c) Dies hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht durfte den im Haftraum des T.<br />

gefundenen und beschlagnahmten Verteidigerbrief verwerten. Der Brief war weder nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO<br />

beschlagnahmefrei, noch stand der Beschlagnahme § 148 Abs. 1 StPO entgegen.<br />

aa) Der Brief des Angeklagten an T. war schon kein gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO der Beschlagnahme<br />

nicht unterliegender Gegenstand. Die Durchsuchung des Haftraumes und die Beschlagnahme des dort aufgefundenen<br />

Briefes erfolgten im Verfahren gegen den Angeklagten als Beschuldigten, nicht in seiner Eigenschaft als Verteidiger<br />

und damit als Person, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist. § 97 Abs. 1 StPO ist nicht anwendbar,<br />

wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte wie im vorliegenden Fall selbst Beschuldigter der Straftat ist (vgl.<br />

BGHSt 38, 144, 146 f.; BVerfG NJW 2005, 965; OLG Frankfurt NJW 2005, 1727, 1730; Nack in KK StPO, 6. Aufl.<br />

§ 97 Rn. 8; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 97 Rn. 10; Schäfer in Löwe-Rosenberg StPO, 25. Aufl. § 97 Rn. 25<br />

m.w.N.; Wohlers in SK-StPO 2008 § 97 Rn. 13).<br />

Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO, der zwischen den Prozessrollen des Beschuldigten und der<br />

Person differenziert, die zur Verweigerung des Zeugnisses in dem gegen ihn gerichteten Verfahren berechtigt ist.<br />

Das schließt es aus, § 97 Abs. 1 StPO auch in Verfahren anzuwenden, die sich gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten<br />

selbst richten. Die Unanwendbarkeit auf Verfahren gegen Berufsgeheimnisträger ergibt sich darüber hinaus<br />

aus dem Zweck der Vorschrift. § 97 StPO ergänzt die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht und soll<br />

deren Umgehung verhindern (BGHSt 38, 144, 146). Berufsgeheimnisträger werden nur geschützt, soweit ihr Zeug-<br />

86


nisverweigerungsrecht im Verfahren gegen den Beschuldigten reicht, nicht aber soweit ihr Individualinteresse als<br />

selbst beschuldigte Personen betroffen ist (vgl. Wasmuth NJW 1989, 2297, 2302). Insofern besteht auch keine Regelungslücke.<br />

Aus § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO folgt, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit eigenen strafbaren Verhaltens<br />

des Geheimnisträgers gesehen und unter den dort normierten Voraussetzungen für regelungsbedürftig gehalten hat.<br />

Auch in diesen Fällen geht es jedoch stets um den Geheimnisträger in seiner Prozessstellung als Zeuge, nicht als<br />

Beschuldigter (vgl. BGHSt 38, 144, 146 f.).<br />

b) Ein über § 97 Abs. 1 StPO hinausgehendes Beschlagnahmeverbot kann auch nicht aus § 148 StPO entnommen<br />

werden. Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich aus § 148 StPO nicht ableiten, dass Eingriffe in die Kommunikation<br />

des Verteidigers mit seinem Mandanten jedenfalls bis zu einer Entscheidung über das vorläufige Ruhen<br />

der Verteidigerrechte nach § 138c Abs. 3 StPO generell - und damit auch dann, wenn das Verfahren gegen den Verteidiger<br />

als Beschuldigten geführt wird - unzulässig sind (vgl. etwa Schäfer in LR-StPO 25. Aufl. § 97 Rn. 95 f.).<br />

Zwar normiert § 148 Abs. 1 StPO den Grundsatz des ungehinderten schriftlichen und mündlichen Verkehrs zwischen<br />

Verteidiger und Beschuldigtem als unabdingbare Voraussetzung einer freien Verteidigung (vgl. BGHSt 27, 260,<br />

262). Die Verteidigung soll damit grundsätzlich von jeder Behinderung oder Erschwerung freigestellt sein. Das bedeutet<br />

aber nicht, dass § 148 StPO einen generellen Vorrang vor der Vorschrift des § 97 StPO genießt und deren<br />

Anwendungsvoraussetzungen überflüssig macht. Vielmehr ist nach § 148 StPO der Verkehr zwischen Verteidiger<br />

und Beschuldigtem nur für die Zwecke der Verteidigung frei. Nur in seiner Eigenschaft und in Wahrnehmung seiner<br />

Aufgabe als Verteidiger ist der schriftliche und mündliche Verkehr des Verteidigers mit dem Beschuldigten geschützt<br />

(vgl. BGH NJW 1973, 2035). Straftaten, die er bei Gelegenheit der Verteidigung eines Beschuldigten begeht,<br />

unterfallen diesem Schutz nicht. Daraus folgt, dass die Beschlagnahme und Verwertung von Beweismitteln zulässig<br />

ist, soweit der Verteidiger - wie hier - selbst Beschuldigter ist (vgl. OLG Frankfurt NJW 2005, 1727, 1730; Meyer-<br />

Goßner StPO 51. Aufl. § 97 Rn. 4). Dies muss insbesondere dann gelten, wenn es wie im vorliegenden Fall mit der<br />

Beleidigung des Vorsitzenden Richters nicht um den Vorwurf der Beteiligung an der Straftat geht, die dem Mandanten<br />

vorgeworfen wird, sondern um einen davon unabhängigen Lebenssachverhalt.<br />

Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass der Mandant durch das Bekanntwerden der Verteidigerpost in seinen<br />

eigenen Verteidigungsinteressen schutzlos gestellt wird. Das aus der Beschlagnahme in dem Verfahren gegen<br />

den beschuldigten Verteidiger erlangte Wissen ist nur in dem gegen diesen gerichteten Verfahren verwertbar (vgl.<br />

Beulke in FS für Lüderssen S. 693, 707). Im Verfahren gegen den Mandanten ist seine Verwertung dagegen durch §<br />

97 Abs. 1 StPO ausgeschlossen (vgl. Krekeler NStZ 1987, 199, 202; Wohlers in SK-StPO 2008 § 97 Rn. 14). Denn<br />

insoweit ist die von der Vorschrift für das Beschlagnahmeverbot vorausgesetzte Verteilung der Prozessrollen zwischen<br />

dem Mandanten als Beschuldigtem auf der einen und dem Verteidiger als Berufsgeheimnisträger auf der anderen<br />

Seite gewahrt.<br />

Mangels Anwendbarkeit des § 97 Abs. 1 StPO kommt es danach entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwaltes<br />

auf die <strong>zum</strong> Ausschluss der Beschlagnahmefreiheit (§ 97 Abs. 2 Satz 3 StPO) entwickelten Grundsätze, insbesondere<br />

das Vorliegen eines gravierenden Verstrickungsverdachtes gegen den Verteidiger (BGH NJW 1973, 2035;<br />

NStZ 2001, 604, 606; Beschluss vom 22. November 2000 - 1 StR 375/00) nicht an. Auch § 160a StPO ist schon nach<br />

seinem Wortlaut nicht auf selbst beschuldigte Berufsgeheimnisträger anwendbar (Meyer-Goßner StPO § 160a Rn.<br />

1).<br />

cc) Es bestehen auch im Übrigen keine verfahrensrechtlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der mit Durchsuchungs-<br />

und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Trier vom 5. Juli 2005 angeordneten Durchsuchung der<br />

Haftzelle des Zeugen T. . Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes genügte der Beschluss des<br />

Amtsgerichts Trier vom 5. Juli 2005 den inhaltlichen Anforderungen, die an einen Durchsuchungsbeschluss zu stellen<br />

sind. Dies gilt insbesondere für die Schilderung des Tatvorwurfs und die Angabe der gesuchten Beweismittel<br />

(siehe KK-Nack StPO 6. Aufl. § 105 Rn. 4 m.N.).<br />

Der Tatvorwurf der versuchten Strafvereitelung war in dem Beschluss ausreichend dahin konkretisiert, dass der<br />

Angeklagte als Verteidiger in dem Strafverfahren gegen T. Briefe seines in Untersuchungshaft befindlichen<br />

Mandanten an der gerichtlichen Postkontrolle vorbei aus der JVA Tr. verbracht und weitergeleitet haben sollte,<br />

obwohl diese ihrem Inhalt nach dazu geeignet und bestimmt waren, Zeugen in ihrem Aussageverhalten zu beeinflussen<br />

und zu Falschaussagen zu bestimmen. Als gesuchte Beweismittel wurden u.a. Schreiben von Personen bezeichnet,<br />

die als Zeugen in dem Strafverfahren gegen T. benannt waren und die durch den Angeklagten<br />

als Verteidiger an der Postkontrolle vorbei in die JVA Tr. gebracht und an T. übergeben worden seien.<br />

Weitere inhaltliche Ausführungen waren nicht erforderlich. Insbesondere bedurfte es entgegen der Ansicht des Generalbundesanwaltes<br />

schon deshalb nicht der Darlegung eines qualifizierten Beteiligungsverdachtes, weil die Durchsuchungsmaßnahme<br />

nach dem im Beschluss bezeichneten Durchsuchungszweck nicht auf die Gewinnung von Vertei-<br />

87


digerkorrespondenz, sondern auf die etwaige Sicherstellung eines Mobiltelefons und von Kassibern an T. in<br />

dessen Verfahren gerichtet war.<br />

Ungeachtet dessen lagen <strong>zum</strong> Zeitpunkt des Beschlusses vom 5. Juli 2005 gewichtige Anhaltspunkte für eine (versuchte)<br />

Strafvereitelung des Angeklagten vor. Die Revision trägt hierzu vor, dass bei einer Durchsuchung der Kanzleiräume<br />

des Angeklagten am 1. Juli 2005 u. a. mehrere nicht kontrollierte Schreiben des Beschuldigten T.<br />

an verschiedene Zeugen sichergestellt worden seien. Hinzu kommt, dass der Zeuge P. in der Hauptverhandlung<br />

am 21. Juni 2005 ausgesagt hatte, dass seiner Meinung nach der Angeklagte wusste, "dass ich hier eine abgesprochene<br />

Zeugenaussage machen würde" und dass der Angeklagte erfreut gewesen sei, "dass diese Aussage kommen solle,<br />

dies sei prozessual sehr wichtig" (UA 22/23). Damit lagen Indizien gegen den Angeklagten vor, die über den für den<br />

Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses erforderlichen Anfangsverdacht deutlich hinausgingen.<br />

dd) Da die Durchsuchungsmaßnahme rechtlich zulässig war, durfte der Brief als Zufallsfund im Sinne des § 108<br />

StPO im Verfahren gegen den Verteidiger wegen versuchter Strafvereitelung einstweilen sichergestellt und verwertet<br />

werden (vgl. LR-Schäfer StPO 25. Aufl. § 108 Rn. 10). Auch für Zufallsfunde gelten im Übrigen die allgemeinen<br />

Grundsätze zur Beschlagnahmefreiheit nach § 97 StPO (Nack in KK StPO 6. Aufl. § 108 Rn. 1).<br />

2. Die Feststellungen tragen auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB. Die<br />

Bezeichnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht Sch. in dem beschlagnahmten Brief als "unfähiger und fauler<br />

Richter", "an dessen Verstand man mit Fug und Recht zweifeln muss" hat das Landgericht zu Recht als rechtswidrigen<br />

Angriff auf dessen Ehre durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung bzw. Nichtachtung gewürdigt. Die<br />

Beleidigung ist nicht durch § 193 StGB gerechtfertigt, da die Äußerungen ersichtlich nicht zur Ausführung und Verteidigung<br />

von Rechten gemacht wurden.<br />

Allerdings ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung des Rechtsanwaltes gegenüber seinem Mandanten als<br />

Beleidigung zu qualifizieren ist, ein Maßstab anzulegen, der den Besonderheiten des Mandatsverhältnisses Rechnung<br />

trägt. Insoweit ist beiderseits ein schutzwürdiges Interesse an einer freien und auch in der Wortwahl deutlichen Aussprache<br />

anzuerkennen. Auch für den Rechtsanwalt muss gegenüber dem Mandanten ein "offenes Wort" möglich<br />

sein. Wie § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO deutlich macht, kann dies herabsetzende Äußerungen einschließen, wenn andere<br />

Prozessbeteiligte oder der Verfahrensverlauf hierzu Anlass gegeben haben. Persönliche Schmähungen und diffamierende<br />

Äußerungen sowie Formalbeleidigungen überschreiten in jedem Falle die Grenze des Zulässigen. Dass<br />

diese Grenze mit den schriftlichen Äußerungen des Angeklagten über den Vorsitzenden Richter zweifelsfrei überschritten<br />

ist, hat das Landgericht zutreffend erkannt.<br />

Entgegen der Ansicht der Revision begründet das Mandatsverhältnis zwischen Strafverteidiger und Beschuldigtem<br />

nicht generell einen "beleidigungsfreien Raum". Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein solcher beleidigungsfreier<br />

Bereich anzuerkennen ist, soweit ehrenrührige Äußerungen des Mandanten über Dritte gegenüber seinem Anwalt<br />

betroffen sind. Jedenfalls besteht kein schutzwürdiges Interesse in einem Mandatsverhältnis beleidigende Äußerungen<br />

des Rechtsanwaltes stets straffrei zu stellen. Die <strong>zum</strong> Verhältnis innerhalb enger bzw. engster Familien- und<br />

Vertrauensbeziehungen entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfGE 90, 255, 261; BVerfG NJW 2007, 1194, 1195;<br />

1995, 1477) sind auf die Beziehung zwischen Verteidiger und Beschuldigtem nicht übertragbar. Bei dem Verhältnis<br />

zwischen Verteidiger und Beschuldigtem handelt es sich im Kern um eine geschäftsmäßige und nicht durch persönliche<br />

Bindung geprägte Beziehung. Zu den Grundpflichten des Rechtsanwaltes gehört es nach § 43a Abs. 3 Satz 1<br />

BRAO, sich bei seiner Berufsausübung sachlich zu verhalten. Nach § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO hat er insbesondere<br />

herabsetzende Äußerungen zu unterlassen, zu denen kein Anlass besteht. Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebotes<br />

liegt ungeachtet seiner im Einzelnen umstrittenen Reichweite (siehe Kleine-Cosack BRAO 5. Aufl. § 43a Rn. 56 ff.;<br />

Feuerich/Weyland/Vossebürger BRAO 7. Aufl. § 43a Rn. 31 ff.) jedenfalls dann vor, wenn die Herabsetzungen nach<br />

Inhalt und Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen<br />

gedeckt zu werden (vgl. BVerfG NJW 1988, 191, 194; AnwBl. 1993, 632; Kleine-Cosack BRAO aaO § 43a Rn. 72,<br />

74; Feuerich/Weyland/Vossebürger BRAO aaO § 43a Rn. 36).<br />

Darüber hinaus ist die Vertraulichkeit im Verhältnis des Rechtsanwaltes zu seinem Mandanten nur einseitig abgesichert.<br />

Nur der Rechtsanwalt ist seinem Mandanten gegenüber aus §§ 43a Abs. 2 BRAO, 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB zur<br />

Verschwiegenheit verpflichtet. Der Verteidiger kann sich umgekehrt mangels vergleichbarer rechtlicher Bindungen<br />

des Mandanten nicht darauf verlassen, dass dieser die Vertraulichkeit wahrt und seine Äußerungen nicht an Dritte<br />

weitergibt (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 185 Rn. 9b; Feuerich/Weyland/Vossebürger BRAO<br />

aaO § 43a Rn. 37). Insofern war die besondere Vertraulichkeit der Kommunikation als Voraussetzung für die Einschränkung<br />

des Ehrenschutzes (vgl. BVerfGE 90, 255, 260; BVerfG NJW 2007, 1194, 1195) gerade nicht gewährleistet.<br />

Im Übrigen war die Diskretion vorliegend auch aus tatsächlichen Gründen nicht in ausreichendem Maße<br />

88


sichergestellt, da es sich um eine schriftliche Äußerung des Angeklagten handelte, bei der die erhöhte Gefahr bestand,<br />

dass sie von seinem Mandanten in der JVA herumgezeigt und verbreitet wurde.<br />

II. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Der Freispruch hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />

1. Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten folgende Taten zur Last:<br />

Er habe als Verteidiger in dem beim Landgericht Trier (8007 Js 25900/04) geführten Strafverfahren gegen T.<br />

wegen versuchter Anstiftung zur räuberischen Erpressung an einer Falschaussage des Zeugen P. zugunsten<br />

seines Mandanten aktiv mitgewirkt. P. habe mit dem Vater des damaligen Angeklagten, dem Zeugen H. T.<br />

, vereinbart, gegen Zahlung eines Entgeltes durch eine wahrheitswidrige Aussage dessen Sohn vor einer Verurteilung<br />

zu bewahren. Der Angeklagte, dem bekannt gewesen sei, dass der Tatvorwurf gegen T. zutraf, sei von H.<br />

T. über den Tatplan informiert worden. Er habe sodann mit P. alle Einzelheiten der Falschaussage<br />

abgesprochen. Bei einem der Telefonate mit P. habe sich der Angeklagte über den Vorsitzenden Richter des<br />

Verfahrens beleidigend geäußert. P. habe im Hauptverhandlungstermin vom 21. Juni 2005 wie vereinbart wahrheitswidrig<br />

bekundet, T. nicht zu kennen. Noch am selben Tag habe er diese Aussage korrigiert und nunmehr<br />

wahrheitsgemäß ausgesagt, dass T. sein Auftraggeber gewesen sei. Vor seiner Vernehmung habe er<br />

10-15 Telefongespräche mit dem Angeklagten geführt. In diesen Gesprächen habe sich der Angeklagte über den<br />

Vorsitzenden Richter beleidigend geäußert. Da der Angeklagte befürchtet habe, dass aufgrund der korrigierten Aussage<br />

des Zeugen P. Art und Ausmaß seiner Tatbeteiligung aufgedeckt werden könnten, habe er unter Ausnutzung<br />

seines Fragerechts als Verteidiger - allerdings erfolglos - versucht, den Zeugen P. zu einer Relativierung seiner<br />

Aussage zur Anzahl der miteinander geführten Telefongespräche zu bewegen.<br />

2. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:<br />

Bei einem Telefonat nach Erhalt seiner Zeugenladung bot P. dem Vater von T. , H. T. , an, er<br />

könne gegen Bezahlung eine T. entlastende Aussage machen. Dies teilte H. T. dem Angeklagten<br />

fernmündlich mit. Der Angeklagte erwiderte daraufhin, dem Zeugen P. könne man trauen. P. habe zwei<br />

Jahre lang Jura studiert und an das Gericht bereits einen Brief geschrieben, "der sich gewaschen habe". Gemeint war<br />

damit eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Zeugen P. gegen den Vorsitzenden Richter des Verfahrens. Der Angeklagte<br />

riet H. T. letztlich weder zu noch ab, sagte aber, dass das durchaus machbar wäre. Der Begriff<br />

„Falschaussage“ wurde in den Gesprächen nicht verwendet. H. T. kündigte dem Angeklagten an, dass P.<br />

sich bei ihm melden und mit ihm „eine bezahlte Sache machen wolle“. In der Folgezeit zahlte H. T. in zwei<br />

Raten 5000 Euro an P. . H. T. war jedenfalls klar, dass P. seine Aussage so gestalten werde, dass<br />

sein Sohn entlastet würde.<br />

In einem späteren Telefonat mit dem Angeklagten erzählte P. diesem, dass T. nicht sein wirklicher Auftraggeber<br />

sei. Der Angeklagte zeigte sich über diese Nachricht erfreut und äußerte, dass sie sich positiv für seinen<br />

Mandanten auswirken werde. Von seinem Mandanten wusste er dagegen, dass dieser P. in Wahrheit einen<br />

Auftrag - wenn auch mit anderem Inhalt - erteilt hatte. Dem Angeklagten, der mit der Verhandlungsführung des<br />

Vorsitzenden nicht zufrieden war, wäre es am liebsten gewesen, wenn er einen Grund gehabt hätte, den Vorsitzenden<br />

als befangen abzulehnen. Bei einem der Telefonate kam das Gespräch darauf, dass der Zeuge P. den Vorsitzenden<br />

während seiner Aussage provozieren könne, so dass der Angeklagte möglicherweise einen Grund für einen<br />

Befangenheitsantrag geliefert bekäme. Aus Sympathie für den Angeklagten und um ihm einen Gefallen zu tun, erklärte<br />

sich der Zeuge P. hierzu bereit. Er bekundete als Zeuge in dem Verfahren gegen T. am 21.<br />

Juni 2005 der Wahrheit zuwider, dass er den damaligen Angeklagten nicht kenne und dieser nicht sein Auftraggeber<br />

gewesen sei. Er wurde wegen der uneidlichen Falschaussage vom Landgericht Trier am 1. Februar 2007 rechtskräftig<br />

zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.<br />

3. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Den belastenden Angaben des Zeugen P. ist das Landgericht<br />

nicht gefolgt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, es bestünden erhebliche Zweifel an der<br />

Glaubwürdigkeit des vielfach vorbestraften Zeugen, der bislang ca. 30 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht<br />

und nach eigener Aussage „schon oft vor Gericht gelogen“ habe. Außerdem spreche die Entwicklung der Aussage<br />

des Zeugen P. gegen die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben. Bei seiner korrigierten<br />

Aussage, die im Termin vom 21. Juni 2005 wörtlich protokolliert wurde, habe er lediglich ausgesagt, dass der Angeklagte<br />

seiner Meinung nach gewusst habe, dass er eine falsche Aussage machen werde. Erst bei seiner staatsanwaltlichen<br />

Vernehmung vom 7. Juli 2005 habe er - wie in der Hauptverhandlung - ausgesagt, die Aussage im Einzelnen<br />

mit dem Angeklagten abgesprochen zu haben. Hinzu kämen inhaltliche Widersprüche in wesentlichen Punkten zwischen<br />

den einzelnen Vernehmungen des Zeugen P. .<br />

89


4. Der Freispruch vom Vorwurf der versuchten Strafvereitelung in Tateinheit mit Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage<br />

hat keinen Bestand, weil das Urteil schon nach den getroffenen Feststellungen Erörterungsmängel aufweist.<br />

a) Bei der strafrechtlichen Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten ist allerdings seine Prozessstellung als Strafverteidiger<br />

zu berücksichtigen. Diese ist von einem Spannungsverhältnis als unabhängiges, der Wahrheit und Gerechtigkeit<br />

verpflichtetes Organ der Rechtspflege und seiner Beistandsfunktion und Treuepflicht gegenüber dem<br />

Beschuldigten gekennzeichnet. Ein Strafverteidiger ist verpflichtet, seinen Mandanten im Rahmen der Gesetze bestmöglich<br />

zu verteidigen (vgl. BGHSt 38, 345, 350). Er ist nicht verpflichtet, an der Verwirklichung des staatlichen<br />

Strafanspruchs mitzuwirken (Fischer StGB, 56. Aufl., § 258 Rdn. 17). Er hat nicht für die Richtigkeit von Zeugenaussagen<br />

einzustehen und ist insbesondere nicht verpflichtet, eine Falschaussage zu verhindern (BGHSt 4, 327; 46,<br />

53, 60 f.; vgl. auch Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, Heidelberg 1989, Rdn. 94). Die Grenze zulässigen<br />

Verteidigungshandelns ist jedoch überschritten, wenn der Verteidiger den Sachverhalt aktiv verdunkelt oder verzerrt,<br />

insbesondere wenn er Beweisquellen verfälscht (vgl. BGHSt 38, 345, 350 f.; 46, 53, 61). Bei von ihm sicher als<br />

unwahr erkannten (vgl. dagegen bei lediglich erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit oder Zuverlässigkeit der Aussage<br />

BGHSt 46, 53, 61) Zeugenaussagen ist eine aktive Verdunkelung anzunehmen, wenn der Verteidiger Einfluss<br />

auf das Zustandekommen der Aussage genommen hat (vgl. BGHSt 4, 327; BGHSt 46, 53, 61). Dies kann etwa der<br />

Fall sein, wenn er den Zeugen zu einer Falschaussage veranlasst (vgl. BGH NStZ 1983, 503), wenn er ihn in seinem<br />

Entschluss bestärkt (BGHSt 29, 99, 107; BGH JR 1984, 299; RGSt 70, 390 ff.), wenn er einen zur Falschaussage<br />

entschlossenen Zeugen als Beweismittel benennt (BGH JR 1984, 299) oder wenn er den Inhalt der Falschaussage mit<br />

ihm abstimmt.<br />

b) Nach diesen Maßstäben erweist sich die Begründung des Freispruchs in wesentlichen Punkten als lücken- und<br />

damit rechtsfehlerhaft. Allerdings können und müssen die Gründe eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie<br />

beweiserheblichen Umstand würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der Beweislage und den<br />

Umständen des Einzelfalles ab. Es ist jedoch rechtsfehlerhaft, wenn sich das Tatgericht mit festgestellten Besonderheiten<br />

und Beweisanzeichen nicht auseinandersetzt, die mit nicht geringem Gewicht für eine Strafbarkeit des Angeklagten<br />

sprechen können und auf deren Erörterung vor der Anwendung des Zweifelssatzes nicht verzichtet werden<br />

darf (vgl. BGH NStZ 2008, 646). So verhält es sich hier.<br />

Das Landgericht hat das Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen P. , in dem dieser ihm mitteilte, dass T.<br />

nicht sein Auftraggeber gewesen sei, nicht unter allen sich aufdrängenden rechtlich relevanten Aspekten gewürdigt.<br />

Es hat seine Bemerkung "das passt gut!" lediglich unter dem Blickwinkel der (versuchten) Strafvereitelung, nicht<br />

aber dahingehend rechtlich geprüft, ob der Angeklagte den Zeugen P. damit in seinem Entschluss zur Falschaussage<br />

bestärkt und ihm insoweit eine - psychische - Beihilfe zu dessen uneidlicher Falschaussage vorzuwerfen ist (vgl.<br />

BGHSt 29, 99, 107; BGH JR 1984, 299). Dazu bestand jedoch nach den Feststellungen Anlass. Der Angeklagte<br />

wusste von seinem Mandanten, dass dieser P. in Wahrheit doch einen Auftrag erteilt hatte, die angekündigte<br />

Änderung der Aussage P. s also der Wahrheit zuwider erfolgen sollte. Der Angeklagte wusste durch sein Telefonat<br />

mit H. T. auch, dass P. Geld für die Aussage erhalten sollte. Dennoch zeigte er sich erfreut über die<br />

Nachricht und äußerte gegenüber P. , dass sich dies positiv für seinen Mandanten auswirken werde.<br />

Indem die Kammer dieses Verhalten des Angeklagten nur unter dem Aspekt der Strafvereitelung wertet, verstellt sie<br />

sich den Blick für die nach den Feststellungen mögliche und deshalb in den Urteilsgründen zu erörternde rechtliche<br />

Würdigung als psychische Beihilfe zu der Falschaussage P s. Die Einschätzung der angekündigten Falschaussage<br />

durch den Angeklagten als für seinen Mandanten positiv ging erkennbar über eine bloße - mit Rücksicht auf seine<br />

Stellung als Verteidiger strafrechtlich unbedenkliche - Kenntnisnahme hinaus. Sie legte vielmehr die Prüfung nahe,<br />

ob er gegenüber dem Zeugen P. damit <strong>zum</strong> Ausdruck gebracht hat, dass er das Zustandekommen der Falschaussage<br />

für wünschenswert hielt. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte gegenüber P. auch geäußert hat, dass<br />

das (d. h. die von ihm als falsch erkannte Aussage) gut passe. Insofern konnte dem zur Falschaussage entschlossenen<br />

P. durch die Reaktion des Angeklagten der subjektive Eindruck zustimmender Bestärkung vermittelt worden sein,<br />

was als psychische Beihilfe zu dessen uneidlicher Falschaussage zu werten wäre (vgl. BGH NStZ 1995, 490; OLG<br />

Düsseldorf NStZ-RR 2005, 336). Diese nahe liegende Möglichkeit hätte das Landgericht erkennbar in seine Überlegungen<br />

einbeziehen müssen.<br />

Soweit das Landgericht eine mögliche Beihilfe des Angeklagten zur uneidlichen Falschaussage durch das "Befangenheitskomplott"<br />

verneint, sind seine Ausführungen ebenfalls lückenhaft. Der Angeklagte hat gegenüber P.<br />

geäußert, ggf. den Vorsitzenden Richter wegen Befangenheit ablehnen zu wollen. Das Landgericht meint, P.<br />

habe durch einen etwaigen Befangenheitsantrag von dem Angeklagten keine ernsthafte Unterstützung erwarten können,<br />

da dieser allenfalls zu einer Unterbrechung geführt und die Verhandlung - weil eine Ergänzungsrichterin bestellt<br />

war - selbst bei Stattgabe hätte fortgeführt werden können (UA 46). Ob das Versprechen eines Befangenheitsgesuchs<br />

90


P. in seinem Tatentschluss bestärken konnte, hing jedoch nicht davon ab, ob es ihm objektiv helfen konnte, sondern<br />

davon, ob er subjektiv hiervon ausging. Insofern lag es nicht fern, dass P. durch die Zusage des Angeklagten<br />

subjektiv der Eindruck erhöhter Sicherheit vermittelt wurde, was ihn in seinem Vorhaben bestärkt haben könnte.<br />

Auch hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.<br />

Darüber hinaus fehlen im angefochtenen Urteil Erörterungen dazu, ob sich der Angeklagte nicht bereits durch seine<br />

Äußerungen gegenüber dem Zeugen H. T. strafbar gemacht hat. Auch dazu bestand jedoch nach den Feststellungen<br />

Anlass. Danach wusste H. T. mit dem zuvor unterbreiteten Angebot des Zeugen P. , gegen<br />

Zahlung eines Geldbetrages eine T. entlastende Aussage zu machen, zunächst nicht umzugehen und<br />

wollte deshalb Rücksprache mit den Rechtsanwälten seines Sohnes halten. Er sprach zunächst mit Rechtsanwalt L.<br />

"über das Geschäft mit P. , der ihn jedoch abwies und ihm hiervon abriet". Erst dann telefonierte er mit dem Angeklagten.<br />

Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht erwägen müssen, ob die Äußerungen des Angeklagten gegenüber H.<br />

T. bei diesem Telefonat, "dem Zeugen P. könne man vertrauen", der habe "zwei Jahre lang Jura studiert"<br />

und "bereits an das Gericht einen Brief geschrieben, der sich gewaschen" habe sowieso "dass das durchaus machbar<br />

wäre", geeignet waren, den Zeugen zu veranlassen oder <strong>zum</strong>indest darin zu bestärken, mit P. "eine bezahlte<br />

Sache zu machen", wie sich der Zeuge selbst ausdrückte. Zu einer Erörterung hätte auch deshalb Anlass bestanden,<br />

weil die Kammer die Einlassung des Angeklagten, er habe H. T. hiervon abgeraten, für widerlegt gehalten hat.<br />

StGB § 211 Heimtücke<br />

BGH, Beschl. v. 05.05.<strong>2009</strong> – 5 StR 50/09<br />

Der Annahme einer bewussten Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Getöteten widerspricht<br />

es, wenn der Täter einem sich unmittelbar anbahnenden, wenngleich noch nicht konkret erkennbaren<br />

körperlichen Angriff des Opfers entgegentreten wollte.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4<br />

StPO<br />

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen<br />

Kurzwaffe und wegen Totschlags in Tateinheit mit Besitz und Führen einer halbautomati-schen Kurzwaffe in<br />

weiterer Tateinheit mit zweifacher Bedrohung verurteilt ist,<br />

b) im gesamten Strafausspruch mit Ausnahme der wegen Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe<br />

verhängten Einzelstrafe (neun Monate Freiheitsstrafe) aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe, wegen<br />

Mordes in Tateinheit mit Führen und Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen Bedrohung in zwei Fällen,<br />

jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe, schuldig gesprochen und auf eine lebenslange<br />

Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt. Es hat ferner eine Schusswaffe eingezogen. Die Revision des Angeklagten<br />

erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet<br />

im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

a) Der von staatlicher Unterstützung und vom Handel mit Schrott und Autos lebende zierliche, (damals) 31 Jahre alte<br />

Angeklagte ließ Anfang 2004 unter Vermittlung Dritter durch die Zeugin S. einen ihm zustehenden Pkw<br />

Audi A 8 <strong>zum</strong> öffentlichen Straßenverkehr zu. Ein Verwandter des Angeklagten verursachte mit diesem Fahrzeug<br />

einen Fremdschaden, was zur Erhöhung der von der Zeugin geschuldeten Versicherungsprämie führte. Um deren<br />

Ausgleich kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Angeklagten und der Zeugin. Der Angeklagte versprach<br />

nach Intervention Dritter, den Schaden in Höhe von 1.500 Euro durch Zahlung an die Versicherung auszugleichen.<br />

91


Am 28. Juni 2006 begaben sich die Zeugen Y. und V. sowie der später getötete J. in eine Spielothek<br />

und erinnerten den Angeklagten an die Zahlung. Darüber war der Angeklagte verärgert. Er erklärte sich indes damit<br />

einverstanden, in die Cafe-Classic-Bar zu kommen und mit der Zeugin S. über die Angelegenheit nochmals zu<br />

reden. Zahlen wollte der Angeklagte nicht. Er erschien zu der Unterredung „in Übermacht“ (UA S. 12), in Begleitung<br />

von fünf weiteren Männern. Alle neu Eingetroffenen begaben sich zielstrebig in den Hinterraum der Gaststätte,<br />

wo die Zeugin S. und ihre Unterstützer warteten. Der Angeklagte bot in aggressivem Tonfall die Zahlung in<br />

monatlichen Raten von 50 Euro an. Die Zeugin S. erhob sich und lehnte dieses Angebot ab. Darüber erregte<br />

sich der Angeklagte, trat an die Zeugin bis auf ca. 1 m heran und äußerte laut und aggressiv, dass er ihr überhaupt<br />

kein Geld geben werde. Der Zeuge V. schaltete sich ein und stritt sich mit dem Angeklagten. Die Zeugin S.<br />

fürchtete sich vor einem körperlichen Angriff des Angeklagten und erklärte, auf Zahlungen gänzlich zu verzichten.<br />

Dies beruhigte den Angeklagten nicht. V.<br />

erhob sich, stellte sich schlichtend zwischen die Widersacher<br />

und packte den deutlich kleineren Angeklagten an dessen Weste. Der Angeklagte konnte sich lösen, nahm in diesem<br />

Moment den in zwei Metern Entfernung wortlos sich erhebenden 100 kg schweren J. wahr und entschloss<br />

sich, diesen zu töten. „Er wollte verhindern, dass auch J. für die Zeugin S. Partei ergreifen und sich ihm<br />

– L. – gewalttätig nähern würde. Er befürchtete, bei einer einfachen körperlichen Auseinandersetzung trotz seiner<br />

Begleiter kräftemäßig zu unterliegen und, bevor ihm jemand helfen konnte, erhebliche Blessuren davonzutragen. In<br />

Umsetzung seines situativ gefassten Tatentschlusses, zog der Angeklagte unvermittelt seine mitgeführte Pistole …<br />

aus dem hinteren rechten Hosenbund und feuerte zwei Schüsse auf sein sich in diesem Zeitpunkt keines gegenwärtigen<br />

Angriffs auf seine Person versehendes und gegen einen Feuerüberfall schutzloses Opfer ab, dessen Kenntnisund<br />

Handlungsdefizite bewusst nutzend. Er billigte es und rechnete damit, den nur wenige Meter entfernten J.<br />

tödlich zu treffen“ (UA S. 17). Der 35 Jahre alte J. verstarb infolge der beiden in Brust und Bauch eingedrungenen<br />

Geschosse.<br />

Der Angeklagte richtete im Tresenraum seine Pistole auf die Zeugin S.<br />

und schrie wiederholt: „Soll ich<br />

Dich umbringen?“ Sodann richtete der Angeklagte seine Waffe gegen den Zeugen V. und fragte drohend:<br />

„Willst Du, dass ich schieße?“ (UA S. 20).<br />

b) Das Landgericht hält den Getöteten für arglos, weil sich dieser nicht in die Auseinandersetzung eingemischt hatte<br />

(UA S. 70). Aus den festgestellten Tatumständen leitet das Schwurgericht ab, dass der – die Schussabgabe bestreitende<br />

– Angeklagte sich dessen bewusst war, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen<br />

Menschen zu überraschen (UA S. 71).<br />

c) Das Landgericht hat hinsichtlich der beiden Bedrohungen in Tateinheit mit Verstößen gegen das Waffengesetz<br />

Tatmehrheit angenommen und auf jeweils acht Monate Freiheitsstrafe erkannt. Wegen des Erwerbs und Besitzes der<br />

eingezogenen Pistole, die nicht die Tatwaffe gewesen ist, hat es zudem auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten<br />

erkannt.<br />

2. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. März <strong>2009</strong><br />

erfolglos. Indes halten der Schuldspruch wegen Mordes und die Annahme von Tatmehrheit hinsichtlich der Bedrohungen<br />

– anders als die Gesamtheit der darüber hinaus getroffenen Feststellungen und ihrer Würdigung – der sachlichrechtlichen<br />

Prüfung nicht stand.<br />

a) Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob die Annahme der Arglosigkeit und der sich daraus ergebenden<br />

Wehrlosigkeit des Getöteten auf einer lückenhaften Beweiswürdigung beruht. Im Ansatz zu Recht trägt die Revision<br />

vor, dass es das Landgericht verabsäumt hat zu erwägen, dass das Opfer auf Seiten der Geldeintreibenden als dritter<br />

Mann mitgewirkt hat, der Angeklagte mit einer Übermacht von fünf Mann gegenüber den Geldfordernden aggressiv<br />

aufgetreten und eine körperliche Auseinandersetzung zwischen Angehörigen beider Lager der Tat unmittelbar vorausgegangen<br />

ist (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13), das Opfer mithin in Wahrnehmung dieser Umstände<br />

eher mit einem tätlichen Angriff gerechnet hat (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21).<br />

b) Jedenfalls beruht die Annahme, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Getöteten ausgenutzt, auf<br />

dieser Annahme widersprechenden Feststellungen; die Verurteilung wegen Heimtückemordes kann deshalb nicht<br />

bestehen bleiben.<br />

Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler aufgrund der Tatumstände als Tatmotivation des Angeklagten mit der zitierten<br />

Wendung zur Ausgangssituation der Tat (UA S. 17) dem Angeklagten tatsachenfundiert zugebilligt, dass dieser<br />

einem sich unmittelbar anbahnenden, wenngleich noch nicht konkret erkennbaren körperlichen Angriff des <strong>zum</strong><br />

gegnerischen – auch aggressiven – Lager gehörenden J. entgegentreten wollte. Einer solchen Vorstellung<br />

des Angeklagten widerstreitet es, dass sich der Angeklagte dessen bewusst gewesen wäre, einen durch seine Ahnungslosigkeit<br />

gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2<br />

Heimtücke 1; BGH NStZ <strong>2009</strong>, 30, 31 m.w.N.).<br />

92


Der Senat schließt aus, dass sich aufgrund einer neuen Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen treffen lassen,<br />

aus denen für das Mordmerkmal der Heimtücke Schlüsse gezogen werden können. Niedrige Beweggründe hat das<br />

Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Der Senat ändert daher den Schuldspruch von sich aus dahin, dass der<br />

Angeklagte des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) schuldig ist.<br />

c) Ebenfalls abzuändern war die tatmehrheitliche Ausurteilung der Bedrohungen in Tateinheit mit den Waffendelikten.<br />

Das der Tötung und den Bedrohungen zugrunde liegende einheitliche Führen der Pistole verklammert hier die<br />

Bedrohungen und den Totschlag zu einer im Rechtssinn einheitlichen Tat (BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung<br />

6).<br />

3. Das neue Tatgericht wird demnach lediglich noch die neue Einsatzstrafe und mit der aufrecht erhaltenen Freiheitsstrafe<br />

von neun Monaten eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden haben. Dies hat auf der Grundlage der hierfür<br />

fehlerfrei getroffenen Feststellungen zu geschehen, die aufrecht zu erhalten waren. Damit ist für eine erneute Prüfung<br />

der Voraussetzungen des § 21 StGB kein Raum. Weitere Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen,<br />

werden freilich zulässigerweise getroffen werden können.<br />

StGB § 211 II Heimtücke, StGB § 212<br />

BGH; Urt. v. 17.09.2008 – 5 StR 189/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 30<br />

Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass das Fehlen von Abwehrverletzungen ein zwingender Anhaltspunkt<br />

dafür ist, dass ein Angriff für das Opfer völlig überraschend kam und auf Arglosigkeit<br />

schließen lässt.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. September 2008 für Recht erkannt:<br />

Die Revisionen der Nebenkläger B. und R. K. gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom<br />

14. Januar 2008 werden verworfen.<br />

Die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen den Beschwerdeführern<br />

zur Last.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und 6 Monaten verurteilt.<br />

Dagegen wenden sich die Revisionen der als Nebenkläger zugelassenen Eltern der Getöteten mit der Sachrüge.<br />

Die Rechtsmittel haben – entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts – keinen Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war die Geschädigte seit ihrem 16. Lebensjahr im Jahre 2002<br />

die Freundin des Angeklagten. Nachdem sie ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule<br />

in Chemnitz begonnen hatte, zog der Angeklagte im Frühjahr 2006 zu ihr. Seit Ende 2006 kam es zwischen beiden<br />

zunehmend zu Auseinandersetzungen wegen der Arbeitslosigkeit des Angeklagten und seines Bierkonsums, in seltenen<br />

Fällen auch zu Handgreiflichkeiten. Der Angeklagte hatte der Geschädigten in den fünf Jahren ihrer Beziehung<br />

zweimal eine Ohrfeige gegeben, sie ihm vier- bis fünfmal.<br />

Im Verlauf des Tattages, 4. Juli 2007, hatte der Angeklagte in der gemeinsamen Wohnung in erheblichen Mengen<br />

Bier konsumiert. Die Geschädigte, die den Tag zunächst an der Hochschule verbracht hatte und daran anschließend<br />

bis gegen 20 Uhr in einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet hatte, kam gegen 21 Uhr in die Wohnung. Nach kurzer<br />

Zeit kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zu dem „üblichen Streit“, der über zwei Stunden geführt wurde. In<br />

seinem Verlauf wurden Beleidigungen ausgetauscht und die Geschädigte trat nach dem Angeklagten, worauf dieser<br />

ihre Beine festhielt. Nachdem die Geschädigte, die zwischenzeitlich ihre Jeans ausgezogen hatte und im Schneidersitz<br />

auf dem Bett saß, dem Angeklagten eine Ohrfeige gegeben hatte, fasste der neben ihr kniende Angeklagte sie am<br />

Hals, drückte sie nieder und würgte sie; dabei stützte er sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf die Geschädigte.<br />

Erst als er sah, dass die Geschädigte blau anlief und ihr die Zunge aus dem Mund ragte, ließ er von ihr ab. Die<br />

Geschädigte verstarb unmittelbar danach durch Ersticken, was der Angeklagte bei Vornahme seiner Handlung <strong>zum</strong>indest<br />

billigend in Kauf genommen hatte.<br />

2. Erfolglos beanstanden die Revisionen die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke. Das Landgericht hat den im<br />

Wesentlichen aufgrund der geständigen Einlassung des Angeklagten <strong>zum</strong> Tatverlauf festgestellten Sachverhalt erschöpfend<br />

gewürdigt und das Mordmerkmal der Heimtücke rechtsfehlerfrei verneint.<br />

93


Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur<br />

Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer<br />

hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens<br />

zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten<br />

Angriffs (st. Rspr., vgl. u. a. BGH NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.). Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit<br />

ist es erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des<br />

Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit<br />

gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2004 – 1 StR<br />

145/04; BGH NStZ 2003, 535; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2, 9).<br />

a) Es ist insbesondere angesichts der festgestellten Tatumstände nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ein bewusstes<br />

Ausnutzen einer „möglicherweise gegebenen“ Arglosigkeit der Geschädigten durch den Angeklagten dem<br />

festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen vermochte. Das Ausnutzungsbewusstsein bedarf zwar in objektiv<br />

klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter auch bei Taten aus rascher Eingebung keiner näheren<br />

Darlegung. Anders kann es jedoch gerade bei „Augenblickstaten", insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder<br />

sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein. Dann kann je nach den Umständen eine nähere Darlegung geboten sein,<br />

warum der spontan agierende Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Aspekte in sein Bewusstsein<br />

aufgenommen hat (BGH NStZ-RR 2005, 264 – 266; vgl. Schneider in MünchKomm-StGB § 211 Rdn.<br />

140 m.w.N.).<br />

Es war indes hier nicht zwingend sicher festzustellen, dass der Angeklagte in diesem Bewusstsein handelte. Es liegt<br />

gerade kein „objektiv klarer Fall“ der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers vor. Da der Tat ein heftiger Streit mit Tätlichkeiten<br />

und unmittelbar eine Ohrfeige der Geschädigten gegenüber dem Angeklagten vorausgingen, hat das Landgericht<br />

in lebensnaher Wertung angenommen, dass sich der erheblich alkoholisierte Angeklagte (etwa 2 Promille<br />

BAK) in seinem vom Landgericht festgestellten Zustand affektiver Erregung spontan zu der Tat hinreißen ließ. In<br />

dieser Situation lag es sogar nahe, dass der Angeklagte die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund<br />

seiner Erregung nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Einer Darlegung und Würdigung weiterer Beweisanzeichen<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07) bedurfte es dann nicht mehr.<br />

b) Das Landgericht verneint im Übrigen mit vertretbaren Erwägungen bereits die objektiven Voraussetzungen des<br />

Mordmerkmals der Heimtücke. Es erwägt zwar <strong>zum</strong> einen die vom Angeklagten geschilderte Situation vor der Tat –<br />

das Ausziehen der Hose durch die Geschädigte und das Sitzen auf dem Bett –, <strong>zum</strong> anderen das Fehlen von Spuren<br />

der Abwehr der Geschädigten, was dafür spricht, dass sie im Zeitpunkt des Angriffs durch den Angeklagten weder<br />

mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen ihre körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren Angriff<br />

rechnete. Gleichwohl vermochte es dem Geständnis des Angeklagten zulässigerweise nicht hinreichend sicher zu<br />

entnehmen, dass die Geschädigte <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Tat keinen Angriff des Angeklagten erwartet hatte.<br />

Die genannten Umstände der Tat lassen keinen sicheren Schluss auf die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten<br />

bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs zu. Die Tatsache, dass sie sich während des über zwei Stunden<br />

geführten Streits mit dem Angeklagten die Hose auszog und sich auf das Bett setzte, spricht lediglich dafür, dass sie<br />

zu dem Zeitpunkt dieser Handlungen nicht mit einem erheblichen Angriff des Angeklagten rechnete. Demgegenüber<br />

lässt sich nicht hinreichend sicher feststellen, dass ihre Arglosigkeit auch im Zeitpunkt der Tat noch andauerte, <strong>zum</strong>al<br />

sie den Angeklagten unmittelbar zuvor geohrfeigt hatte.<br />

Grundsätzlich können Arg- und Wehrlosigkeit zwar auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung<br />

vorausgeht, das Tatopfer aber gleichwohl nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit<br />

rechnet (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 234, 235; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, 21; Schneider in<br />

MünchKomm-StGB § 211 Rdn. 126 f.). Indes musste solches hier dem festgestellten Sachverhalt nicht sicher entnommen<br />

werden. Auch der Umstand, dass die Geschädigte den Angeklagten bereits in der Vergangenheit vier- bis<br />

fünfmal geohrfeigt hatte, ohne dass dies Anlass für schwerwiegende Tätlichkeiten des Angeklagten war, lässt nicht<br />

den sicheren Schluss darauf zu, dass die Geschädigte in der konkreten Tatsituation nicht mit einem erheblichen Angriff<br />

des erkennbar alkoholisierten und erregten Angeklagten rechnete.<br />

Schließlich ist auch die Tatsache, dass im Rahmen der Obduktion keine Abwehrverletzungen festgestellt wurden,<br />

kein zwingender Anhaltspunkt dafür, dass der Angriff für das Opfer völlig überraschend kam. Einen entsprechenden<br />

Erfahrungssatz gibt es nicht. Es erscheint vielmehr möglich, dass die Geschädigte in der konkreten Angriffssituation<br />

nicht etwa aufgrund von Arglosigkeit, sondern aufgrund körperlicher Unterlegenheit zur Leistung einer effektiven<br />

Gegenwehr nicht mehr in der Lage war. Dies gilt <strong>zum</strong>al angesichts des – urteilsfremden – Hinweises der Nebenkläger<br />

auf erhebliche Unterschiede in Köpergröße und Gewicht zwischen Geschädigter und Angeklagtem.<br />

94


StGB § 211 II niedrige Beweggründe<br />

BGH, Urt.v. 30.10.2008 – 4 StR 352/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 210<br />

Auch nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6. StrRG wird in den Fällen der Kindstötung<br />

die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni<br />

2008 - 4 StR 105/08). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht<br />

geprägt ist.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Oktober 2008 für Recht erkannt:<br />

1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. März 2008 wird verworfen.<br />

2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.<br />

Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sie<br />

beanstandet insbesondere die Annahme des mordqualifizierenden Merkmals der Tötung aus niedrigen Beweggründen.<br />

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I.<br />

Im Januar 2007 wurde die Angeklagte nach einem intimen Kontakt mit einer Diskothekenbekanntschaft schwanger.<br />

Dies wollte sie jedoch nicht wahrhaben. Vielmehr hielt sie ihre Schwangerschaft selbst gegenüber ihrer engsten<br />

Umgebung - so auch gegenüber ihrem heutigen Verlobten, der bereits seinerzeit mit ihr zusammen im Haus ihrer<br />

Eltern lebte - geheim. Als sie in der ersten Oktoberwoche Kindsbewegungen in ihrem Körper feststellte, beschloss<br />

sie für sich, dass sie dieses Kind "nicht haben wollte". Alternative Möglichkeiten wie die Freigabe zur Adoption oder<br />

die Abgabe in einer Babyklappe verwarf sie. Dass sie bereits in diesem Zeitpunkt vorhatte, das Kind zu töten, vermochte<br />

das Landgericht nicht festzustellen. In der Nacht <strong>zum</strong> 18. Oktober 2007 brachte sie im Badezimmer - ohne<br />

dass ihr heutiger Verlobter davon etwas mitbekam - einen männlichen Säugling zur Welt. Spätestens in diesem Augenblick<br />

entschloss sie sich, das Kind zu töten. "Sie befürchtete, ihr bisheriges Leben, das sich im Wesentlichen<br />

dadurch auszeichnete, dass sie keinerlei Verantwortung für sich oder andere trug, in den Tag hinein lebte und von<br />

ihren Eltern unterstützt wurde, nicht fortsetzen zu können. Sie fühlte sich zu jung für ein Kind und wollte 'noch etwas<br />

erleben' ... . Daneben spielte auch die untergeordnete und diffuse Angst davor eine Rolle, dass ihr heutiger Verlobter<br />

die Beziehung zu ihr beenden würde. Dies wollte die Angeklagte verhindern". Sie nahm das Kind und warf es<br />

über einen hölzernen Sichtschutz hinweg in den hinter dem elterlichen Anwesen entlang führenden Mühlgraben. In<br />

diesem Zeitpunkt war das Kind nicht ausschließbar infolge Einatmens von zu viel Fruchtwasser bereits verstorben.<br />

Die Angeklagte selbst ging jedoch bis <strong>zum</strong> Schluss davon aus, dass das Kind noch lebe.<br />

II. 1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen im Sinne des Mordtatbestandes<br />

des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, begegnet entgegen der Auffassung der Revision, der der Generalbundesanwalt<br />

beigetreten ist, keinen rechtlichen Bedenken.<br />

a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als<br />

ein Totschlag - verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die<br />

Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse<br />

des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei den insoweit zu<br />

treffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene<br />

Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; Senatsurteil vom 19. Juni<br />

2008 - 4 StR 105/08). Danach ist die Annahme niedriger Beweggründe hier aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu<br />

beanstanden.<br />

Die Angeklagte wollte, als sie sich zur Tötung des Kindes entschloss, nach ihren eigenen Angaben "noch etwas erleben"<br />

und jetzt noch nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen. Demgegenüber war - wie das Landgericht mit<br />

tragfähiger Begründung ausgeführt hat - die diffuse Angst der Angeklagten, ihr heutiger Verlobter könne sich wegen<br />

des Kindes womöglich von ihr trennen, nur von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr wollte die Angeklagte nach<br />

der rechtsfehlerfrei gewonnenen Überzeugung des Landgerichts "entscheidungslenkend" das Kind als "Störfaktor"<br />

beseitigen, um ihr bisheriges Leben in gewohnter Form fortsetzten zu können. Dass der Täter auch eigene Interessen<br />

verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne<br />

Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Deshalb wird auch nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6.<br />

95


StrRG (vgl. dazu BTDrucks 13/8587 S. 34) in den Fällen der Kindstötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise<br />

in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08). Anders verhält es sich jedoch,<br />

wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt ist. So liegt es hier.<br />

b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landgericht nicht ausdrücklich erörtert<br />

hat, dass die Angeklagte die Umstände, die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausmachen, im Tatzeitpunkt in ihrer<br />

Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen und erkannt hat. Näherer Ausführungen hierzu<br />

bedurfte es vorliegend nicht. Die Angeklagte war im Tatzeitpunkt trotz der Belastung durch die Geburt nach den<br />

Ausführungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen, denen die Kammer gefolgt ist und gegen die auch die<br />

Revision nichts einwendet, uneingeschränkt schuldfähig. Sie hat sich zudem im Laufe des Verfahrens mehrfach<br />

ausdrücklich zu dem festgestellten, von Eigensucht geprägten Motiv bekannt. Mag manches - wie der Generalbundesanwalt<br />

in seiner Zuschrift an den Senat zu bedenken gegeben hat - in dem Verhalten und in den Äußerungen der<br />

Angeklagten auch für eine gewisse Naivität und Unreife sprechen, vermag dies gleichwohl die subjektive Tatseite<br />

nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Denn die Angeklagte hat sich auch im Nachhinein nicht etwa von ihren sie bei<br />

der Tat beherrschenden Beweggründen distanziert, sondern hat noch in der Hauptverhandlung "schnippisch und<br />

<strong>zum</strong>eist genervt" auf ihrem Standpunkt beharrt. Unter diesen Umständen hat der Umstand, dass die Angeklagte nach<br />

den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen eine hohe Impulsivität und eine Neigung <strong>zum</strong> Blockieren<br />

aufweist, für die innere Tatseite ersichtlich keine Bedeutung. Hinzu kommt, dass auch die Art und Weise der Tatausführung<br />

selbst (der Wurf des Kindes über die Holzbarriere hinweg in den Mühlgraben) eine erschreckende „Wegwerfmentalität“<br />

offenbart.<br />

2. Der in Anbetracht der Tatumstände vergleichsweise milde Strafausspruch weist ebenfalls keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil der Angeklagten auf.<br />

Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.<br />

StGB § 211 II niedrige Beweggründe, Heimtücke,<br />

BGH, Urt. v. 12.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 529/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 264<br />

Zum bewussten Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bei der Heimtücke.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 2. Juli 2008 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen <strong>zum</strong> Ausnutzungsbewusstsein<br />

hinsichtlich der Heimtücke aufgehoben; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Im Umfang<br />

der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der<br />

Staatsanwaltschaft, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine<br />

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.<br />

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer<br />

Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Sachrüge beanstandet sie, dass der Angeklagte<br />

nicht wegen Mordes verurteilt ist.<br />

I.<br />

Der Angeklagte und Andrea Sch. - das spätere Tatopfer - hatten seit 1987 eine von Anfang an konfliktbeladene<br />

Beziehung unterhalten, in deren Verlauf es mehrfach zu Trennungen und anschließenden Versöhnungen kam. Ihre<br />

im April 2004 geschlossene Ehe wurde im April 2007 geschieden. Am Tattage, dem 3. Oktober 2007, machte der<br />

Angeklagte, dem zugetragen worden war, dass sich Andrea Sch. mit einem verheirateten Mann in einem Lokal<br />

aufgehalten und mit diesem getrunken habe, ihr Vorhaltungen, weil sie mit jenem Mann "fremdgegangen“ sei. Im<br />

weiteren Verlauf des Tages kam es zwischen dem Angeklagten und Andrea Sch. zu zahlreichen telefonischen<br />

Kontakten. Gegen 20.15 Uhr rief der Angeklagte Andrea Sch. , die sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb ihrer<br />

Wohnung aufhielt, ein weiteres Mal an und erklärte, sie und ihre Freundin könnten sich "auf ein Schlachtfest vorbe-<br />

96


eiten" und sich "gegenseitig zugucken". Andrea Sch. wusste mit dieser Äußerung des Angeklagten, der mehrfach<br />

ohne realistischen Hintergrund verbal ausfällig geworden war, nichts anzufangen. Gegen 21.00 Uhr kehrte sie in<br />

Begleitung der Zeugin K. in ihre Wohnung zurück. Im Arbeitszimmer nahmen beide am PC Platz und suchten<br />

das Internetportal "Gesichterparty" auf. Der alkoholgewohnte, mitelgradig alkoholisierte Angeklagte hatte sich zuvor<br />

Zugang zu der Wohnung verschafft und sich hinter einer Couch versteckt. Das Landgericht hat <strong>zum</strong> weiteren Geschehen<br />

folgendes festgestellt:<br />

"Andrea Sch. und die Zeugin K. bemerkten den in der Tür stehenden Angeklagten erst, als dieser mit erhobener<br />

Stimme und in bösem Ton sinngemäß äußerte 'Ach, Gesichterparty ist dir wichtiger!'. Zwischen dem Angeklagten,<br />

der um den in der Mitte des Raumes stehenden Schreibtisch herum auf Andrea Sch. zuging, und Andrea<br />

Sch. gab es einen kurzen Wortwechsel. Der Angeklagte drückte dann mit der linken Hand Andrea Sch.<br />

nach hinten, so dass sie in der Ecke des Raumes stand. Er stach sodann mit dem von ihm mitgeführten Klappmesser<br />

mit einer Klingenlänge von etwa 7,5 cm vielfach auf Andrea Sch. ein, und zwar insbesondere in deren Hals- und<br />

Brustbereich, um sie zu töten, und äußerte dabei 'Das hast du davon!' ".<br />

Danach deutete er mit dem Messer auf die Zeugin K. und fragte: "Willst du auch?". Dann äußerte er, er wolle<br />

gemeinsam mit Andrea Sch. sterben und rammte sich zweimal das Messer mit Kraft in den Oberkörper und brach<br />

am Tatort zusammen. Andrea Sch. erlag den ihr zugefügten Stichverletzungen.<br />

II.<br />

Revision des Angeklagten<br />

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

Dies gilt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Oktober 2008 ausgeführten Gründen,<br />

auf die insoweit Bezug genommen wird, insbesondere auch für die von der Revision angegriffene Verneinung der<br />

Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB. Auch die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt<br />

gemäß § 64 StGB hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Zwar kann die Anordnung einer Maßregel nach § 64<br />

StGB grundsätzlich nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel<br />

eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf<br />

aber nicht ausschließlich zur Besserung des Täters, also ohne gleichzeitige günstige Auswirkungen auf die Interessen<br />

der öffentlichen Sicherheit im Sinne einer Verminderung der vom alkoholabhängigen Täter ausgehenden Gefährlichkeit<br />

erfolgen. Vielmehr ist erforderlich, dass bei erfolgreichem Verlauf der Behandlung jedenfalls das Ausmaß<br />

der Gefährlichkeit des Täters nach Frequenz und krimineller Intensität der von ihm zu befürchtenden Straftaten deutlich<br />

herabgesetzt wird (vgl. Senat NStZ 2003, 86 m.w.N.). Davon hat sich das auch insoweit sachverständig beratene<br />

Landgericht, wie sich den Urteilsausführungen noch hinreichend entnehmen lässt, jedoch nicht zu überzeugen vermocht.<br />

III.<br />

Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).<br />

Die vom Generalbundesanwalt nur insoweit vertretene Revision hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich<br />

gegen die Verneinung des Mordmerkmals „Heimtücke“ wendet.<br />

1. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“<br />

rechtsfehlerfrei abgelehnt. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen<br />

Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben,<br />

nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und besonders verwerflich sind (BGH NStZ-RR 2007,<br />

111 m.w.N.).<br />

Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht<br />

verkannt, dass Eifersucht eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt hat. Dass es diese Motivation nicht als tatbeherrschend<br />

angesehen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem<br />

Tatopfer war nach den Feststellungen von einem ständigen "Hin und Her" geprägt. Es kam zwischen ihnen häufig zu<br />

Streitigkeiten, wobei auch massive Beschimpfungen und Beleidigungen nicht untypisch waren. Der Angeklagte<br />

befand sich bei Begehung der Tat in einer – jedenfalls von ihm subjektiv so empfundenen – psychisch erheblich<br />

belastenden Situation. Vor diesem Hintergrund hält es sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums,<br />

dass das Landgericht die für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit nicht als niedrig im Sinne<br />

des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat.<br />

2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet jedoch die Verneinung des Mordmerkmals "Heimtücke" zu Recht.<br />

a) Nach den Feststellungen war Andrea Sch. , was das Landgericht nicht verkannt hat, bei Beginn des tödlichen<br />

Angriffs des Angeklagten arglos und infolgedessen wehrlos. Sie versah sich, als sie in ihre Wohnung zurückgekehrt<br />

97


war, trotz der telefonischen Äußerung des Angeklagten, sie und ihre Freundin könnten sich "auf ein Schlachtfest<br />

vorbereiten", keines Angriffs. Der Angeklagte hatte keinen Schlüssel zu der Wohnung und hatte auch nicht etwa<br />

angekündigt, er werde sich Zugang zur Wohnung verschaffen. Lauert der Täter – wie hier – seinem ahnungslosen<br />

Opfer auf, um an dieses heranzukommen, kommt es nicht darauf an, ob und wann es die von dem ihm gegenüber<br />

tretenden Täter ausgehende Gefahr erkennt (vgl. BGH NStZ 1984, 261; NStZ-RR 1996, 98).<br />

b) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für<br />

die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen<br />

durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003,<br />

535). Die Erwägungen mit denen das Landgericht diese Voraussetzungen verneint hat, entbehren einer tragfähigen<br />

Grundlage.<br />

Die Ankündigung des Angeklagten, das Tatopfer und dessen Freundin könnten sich "auf ein Schlachtfest" vorbereiten,<br />

spricht entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht gegen das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten.<br />

Der Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH NStZ 2007, 268), auf die das Landgericht ersichtlich<br />

abgestellt hat, lag eine andersartige Fallgestaltung zugrunde. Der Täter war dem Opfer kurz nach der telefonischen<br />

Ankündigung: "Ich komme jetzt zu dir ins Restaurant und mache dich platt" - wenn auch mit verdeckter Waffe<br />

– entgegengetreten. Kann sich das spätere Opfer auf eine in Kürze zu erwartende Konfrontation einstellen, liegt es<br />

fern, dass der Täter das Ausnutzungsbewusstsein hat. So liegt es hier jedoch nicht. Der Angeklagte war vielmehr<br />

heimlich in die Wohnung des Tatopfers eingedrungen und hatte sich dort hinter einer Couch versteckt. Es liegt nahe,<br />

dass er dies tat, um das Tatopfer zu überraschen, denn er konnte, weil er nicht mehr über einen Schlüssel zu der<br />

Wohnung verfügte, davon ausgehen, dass das Tatopfer nicht damit rechnete, dass er sich in der Wohnung aufhielt.<br />

Dafür, dass sich der Angeklagte der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst war, spricht zudem, dass er erst<br />

einige Zeit nach dem Eintreffen des Tatopfers in der Tür <strong>zum</strong> Arbeitszimmer auftauchte und sofort <strong>zum</strong> Angriff<br />

überging.<br />

Soweit das Landgericht ausgeführt hat, auch die Alkoholisierung des Angeklagten spreche gegen die Annahme des<br />

erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins, fehlt dafür jedwede Begründung. Dass der Angeklagte alkoholbedingt die<br />

Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers nicht in sein Bewusstsein aufgenommen haben könnte, versteht sich im Hinblick<br />

auf die Ausführungen zur uneingeschränkten Schuldfähigkeit nicht von selbst.<br />

c) Die danach rechtsfehlerhafte Verneinung des Mordmerkmals „Heimtücke“ führt zur Aufhebung des Urteils mit<br />

den Feststellungen <strong>zum</strong> Ausnutzungsbewusstsein hinsichtlich der Heimtücke. Die übrigen Feststellungen sind jedoch<br />

rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bestehen gebliebenen<br />

nicht widersprechen, sind zulässig.<br />

StGB § 211 Mordmerkmalen in einem Fall der Tötung eines Säuglings<br />

BGH, Urt. v. 03.09.2008 – 2 StR 305/08<br />

Mängel der Begründung der Ablehnung von Mordmerkmalen in einem Fall der Tötung eines Säuglings<br />

durch Vernachlässigung.<br />

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 25. Januar 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer<br />

des Landgerichts Gießen zurückverwiesen.<br />

2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil werden als unbegründet verworfen.<br />

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte J. H. wegen Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener<br />

zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, den Angeklagten G. H. wegen vorsätzlicher Körperverletzung in<br />

Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die<br />

Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils; die Revisionen der Angeklagten<br />

sind unbegründet.<br />

I. Sachverhalt.<br />

98


Nach den Feststellungen des Landgerichts unterließ es die Angeklagte J. H. ab November/Dezember 2006,<br />

ihre am 14. Januar 2006 geborene Tochter Ja. ausreichend zu versorgen. Ab Ende Januar 2007 vernachlässigte<br />

sie die Versorgung grob, fütterte das Kind nicht mehr ausreichend und säuberte und pflegte es immer weniger.<br />

Die Angeklagte erkannte den zunehmend schlechten Zustand des Kleinkinds und nahm die ihr bewusste Möglichkeit<br />

eines Todeseintritts billigend in Kauf. Das Kind verstarb am 24. März 2007 durch Verhungern und Verdursten.<br />

Der Angeklagte G. H. kümmerte sich, obwohl ihm der schlechte Gesundheitszustand des Kindes und dessen<br />

mangelnde Versorgung durch seine Ehefrau bekannt waren, nicht um eine Verbesserung der Versorgung. Dabei<br />

nahm er eine Verschlechterung des körperlichen Zustands seiner Tochter billigend in Kauf. Mit der Möglichkeit<br />

ihres Todes rechnete er nicht; dieser Ausgang wäre für ihn jedoch vorhersehbar und vermeidbar gewesen.<br />

Im Einzelnen hat das Landgericht unter anderem Folgendes festgestellt:<br />

Die Angeklagten bewohnten seit Beginn ihrer Beziehung im Jahr 2004 ein sanierungsbedürftiges ländliches Anwesen,<br />

das der Angeklagte im Jahr 2000 gekauft hatte. Es war teilweise saniert; in der Folgezeit beschäftigte sich der<br />

Angeklagte mehrere Jahre lang mit Sanierungsmaßnahmen namentlich im Erdgeschoss des Hauses, ohne dass wesentliche<br />

Fortschritte erzielt wurden und ein Ende der Arbeiten absehbar war. Auch in den von den Angeklagten<br />

bewohnten Räumen wurden daher jahrelang Baumaterialien und Maschinen gelagert. Außerdem brachte der Angeklagte<br />

etwa 30 Aquarien mit Fischen in das Haus und hielt mehrere Hunde. Seine gesamte Freizeit verwendete er für<br />

die Pflege der Tiere und für die von ihm betriebenen Baumaßnahmen.<br />

Die Angeklagte J. H. , die eine von Passivität, geringer Lebenstüchtigkeit, Abhängigkeit und pessimistischer<br />

Grundhaltung geprägte Persönlichkeit aufweist, verbrachte vor der Geburt der gemeinsamen Tochter Ja. ihre<br />

Zeit meist passiv mit Schlafen, Fernsehen und geringfügigen Hausarbeiten. Erwerbstätig war sie nicht; die Haushaltsführung<br />

überforderte sie. Die Schwangerschaft mit ihrer Tochter Ja. realisierte die Angeklagte erst im vierten<br />

Schwangerschaftsmonat; sie verheimlichte sie jedoch bis zur Geburt am 14. Januar 2006 vor dem Angeklagten<br />

und ihrer Familie. Zu dem Kind hatte sie eine distanzierte, wenig gefühlsmäßige Beziehung; der Angeklagte G.<br />

H. , der von der Geburt überrascht wurde, freute sich dagegen und bemühte sich in den ersten Lebenswochen des<br />

Kindes auch um eine Beteiligung an dessen Versorgung. Er renovierte das Obergeschoss des Hauses, in dem sich das<br />

gemeinsame Schlafzimmer der Angeklagten sowie das Kinderzimmer befanden; dort waren auch mehrere Aquarien<br />

mit Fischen aufgestellt. Nach kurzer Zeit überließ der Angeklagte aber die Versorgung des Kindes ebenso wie die<br />

Haushaltsführung wieder vollständig der Angeklagten. Er kümmerte sich nicht darum und kontrollierte die Angeklagte<br />

auch nicht, machte ihr aber laufend Vorhaltungen wegen ihrer Lethargie und mangelhaften Haushaltsführung.<br />

Die Angeklagte war mit der Haushaltsführung und der Versorgung des Kindes überfordert. Trotz durchschnittlicher<br />

Intelligenz und psychischer Gesundheit und ständiger Vorhaltungen des Angeklagten gelang es ihr nicht, eine zunehmende<br />

Verwahrlosung des Haushalts zu vermeiden; insbesondere sammelte sich in den Räumen des Erdgeschosses<br />

eine große Menge Müll an. In den teilweise noch unverputzten Räumen waren überdies Baumaterialien gelagert;<br />

dort hielten sich auch die Hunde der Angeklagten auf; der Angeklagte stellte immer noch weitere Aquarien auf. Die<br />

Tiere wurden von beiden Angeklagten durchweg gut versorgt.<br />

In den ersten Lebensmonaten des Kindes kümmerte sich die Angeklagte um ihre Tochter. Ab November/Dezember<br />

2006 versorgte sie das Kind nicht mehr ausreichend. Im Dezember 2006 heirateten die Angeklagten. Ab Anfang<br />

Februar vernachlässigte die Angeklagte die Versorgung des Kindes gravierend, fütterte es nicht mehr ausreichend<br />

und säuberte und pflegte es nicht angemessen. Wenn das Kind im Obergeschoss schrie, schaltete sie das Babyphon<br />

ab; überwiegend saß sie im Erdgeschoss vor dem Fernseher oder schlief. In der Beziehung zwischen den Angeklagten<br />

traten Probleme auf; der Haushalt verwahrloste zusehends. Am 22. Februar 2007 wurde eine erneute - ungewollte<br />

- Schwangerschaft festgestellt.<br />

Das Kind wurde in den letzten sechs Wochen vor seinem Tod nicht mehr gebadet; die Windeln wurden kaum noch<br />

gewechselt, so dass sich eine großflächige ausgeprägte Windel-Dermatitis entwickelte.<br />

Bis <strong>zum</strong> 4. März 2007 sahen Familienangehörige oder Freunde der Angeklagten das Kind noch gelegentlich. Am 4.<br />

März 2007 hatte es offenkundig Gewicht verloren, war krank und schwach, konnte aber noch herumkrabbeln und<br />

brabbeln. Die Angeklagte behauptete auf Nachfrage wahrheitswidrig, sie habe eine ärztliche Behandlung des Kindes<br />

veranlasst; Hilfsangebote von Verwandten lehnte sie ab.<br />

In der Folgezeit verhinderte die Angeklagte, dass Dritte das Kind sahen oder das Obergeschoss des Hauses aufsuchten.<br />

Sie tat dies, weil sie den ihr bekannten Zustand des Kindes verbergen wollte und das Eingreifen des Jugendamts<br />

befürchtete. Sie erkannte, dass die Mangelversorgung des Kindes zu dessen Tod führen konnte, nahm dies aber billigend<br />

in Kauf, um den Anforderungen der Versorgung nicht mehr nachkommen zu müssen. Ihrem Ehemann erklärte<br />

sie wahrheitswidrig, mit dem Kind sei alles in Ordnung; hiermit gab er sich zufrieden. Den genauen Zeitpunkt, ab<br />

99


welchem die Angeklagte den als möglich erkannten Tod ihrer Tochter billigte, vermochte das Landgericht nicht<br />

festzustellen.<br />

Der Angeklagte G. H. sah das Kind nach den Feststellungen zuletzt am 11. März 2007. Zu diesem Zeitpunkt<br />

zeigte es ausgeprägte äußere Merkmale der Unterernährung und Mangelversorgung, die der Angeklagte auch bemerkte.<br />

Obwohl er wusste, dass seine Ehefrau sich nicht ausreichend um das Kind kümmerte, unternahm er weiterhin<br />

nichts. Er wusste, dass allein sein Eingreifen dem Kind hätte helfen können; auf einen glücklichen Ausgang und<br />

eine Gesundung des Kindes ohne seine Hilfe hoffte er nicht. Das Obergeschoss des Hauses suchte er nicht mehr auf;<br />

er hielt sich ausschließlich noch im Erdgeschoss auf, wo er - trotz zunehmender Vermüllung und Verwahrlosung -<br />

auch schlief. Den Tod des Kindes hielt er nach den Feststellungen des Landgerichts weder für möglich noch billigte<br />

er ihn.<br />

Das Kind verstarb am 24. März 2007 in Folge Verhungerns und Verdurstens. Es war zu diesem Zeitpunkt extrem<br />

abgemagert, zeigte ein "Greisengesicht" und bestand nur noch aus Haut und Knochen. Die Angeklagte presste am<br />

Todestag zweimal Babynahrung in den Magen des Kindes, das zu diesem Zeitpunkt bereits komatös war und keine<br />

Nahrung mehr aufnehmen und verdauen konnte. Schließlich brachte sie das Kind gemeinsam mit einem Freund zu<br />

einer Ärztin, die den Tod feststellte. Der Angeklagte wurde vom Tod seines Kindes später informiert. Über den Tod<br />

zeigte er sich überrascht; fragte aber zu keinem Zeitpunkt nach der Todesursache.<br />

Das Landgericht vermochte nicht genau festzustellen, von welchem Zeitpunkt an das verhungernde und verdurstende<br />

Kind keine Schmerzen mehr verspürte. Nach den Feststellungen trat ein Zustand einer nicht mehr umkehrbaren<br />

Schädigung, von welchem an der Tod nicht mehr hätte abgewendet werden können, möglicherweise bereits am 10.<br />

März 2007 ein, bevor der Angeklagte G. H. das Kind am 11. März 2007 <strong>zum</strong> letzten Mal sah. Bei sofortiger<br />

Hilfe und intensivmedizinischer Versorgung hätte das Leben aber jedenfalls um Tage oder Wochen verlängert werden<br />

können.<br />

II. Revision der Staatsanwaltschaft.<br />

Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ist in<br />

vollem Umfang begründet.<br />

1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das Landgericht die Verwirklichung eines Mordmerkmals gemäß § 211<br />

Abs. 2 StGB durch die Angeklagte J. H. verneint hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Wie die Revision<br />

zutreffend rügt, sind die Schlussfolgerungen des Tatrichters teilweise mit den tatsächlichen Feststellungen nicht,<br />

jedenfalls nicht ohne nähere Begründung vereinbar; teilweise weisen schon die Feststellungen Lücken auf, die auszufüllen<br />

hier geboten gewesen wäre.<br />

a) Das Mordmerkmal der Grausamkeit hat das Landgericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des 5.<br />

Strafsenats vom 13. März 2007 - 5 StR 320/06 (NStZ 2007, 402) in objektiver Hinsicht mit der Begründung verneint,<br />

es könne nicht festgestellt werden, dass das Tatopfer die von dem Tatbestand vorausgesetzten besonderen<br />

Schmerzen und Qualen während eines vom Tötungsvorsatz umfassten Handelns - hier: Unterlassens - der Angeklagten<br />

erlitten hat. Weder sei feststellbar, wann die durch die Mangelversorgung verursachten starken Schmerzen des<br />

Kindes aufgetreten seien, noch sei der Zeitpunkt festzustellen, von dem an die Angeklagte den Tod des Kindes billigte<br />

(UA S. 68). In subjektiver Hinsicht habe es der Angeklagten an einer gefühllosen und mitleidslosen Gesinnung<br />

gefehlt. Sie habe dem Kind nämlich "durchaus mütterliche Gefühle entgegengebracht"; dass sie sich sporadisch um<br />

das Kind kümmerte und ihm etwas zu essen gab, zeige, dass die Angeklagte dem Kind "helfen, nicht aber seine Qualen<br />

verlängern wollte" (UA S. 68). Diese Würdigung ist schon mit der Feststellung kaum vereinbar, dass die Angeklagte<br />

mit - bedingtem - Tötungsvorsatz handelte (UA S. 65). Es ist in den Urteilsgründen nicht nachvollziehbar<br />

dargelegt, welchem Ziel nach Auffassung des Landgerichts das angebliche Bemühen der Angeklagten dienen sollte,<br />

dem augenscheinlich verhungernden und verdurstenden Kind zu "helfen", wenn sie zugleich den Tod des Opfers<br />

billigend in Kauf nahm. Auch die Erwägung, die Angeklagte habe gegenüber dem Tatopfer mütterliche Gefühle<br />

gehabt, findet in den Feststellungen jedenfalls für den Zeitraum ab Februar 2007 keine ausreichende Grundlage. Es<br />

sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, das gravierende Leiden und die als "grausam" zu kennzeichnenden<br />

Schmerzen, die das Kind jedenfalls über einen längeren Zeitraum erlitten haben muss, könnten der Angeklagten<br />

entgangen sein. Dies würde gleichermaßen gelten, wenn die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt (noch) keinen Tötungsvorsatz<br />

gehabt hätte. Denn auch eine Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

eigenen Kindes in Kenntnis des Umstands, dass dieses dadurch extreme Schmerzen erleidet, zeigt weder „mütterliche<br />

Gefühle“ noch ein Bemühen, dem Tatopfer zu „helfen“. Daran ändert sich entgegen der Ansicht des Landgerichts<br />

nicht schon dadurch etwas, dass die Angeklagte das Kind noch sporadisch fütterte und ihm gelegentlich einmal<br />

die Füße eincremte.<br />

100


Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Würdigung des Landgerichts, es lasse sich ein Zeitraum, in welchem<br />

das Tatopfer (bereits oder noch) besonders quälende Schmerzen erlitten habe und der zugleich vom Tötungsvorsatz<br />

der Angeklagten umfasst sei, nicht feststellen. Diese Ansicht schöpft, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend<br />

hervorgehoben hat, die Feststellungen zu den konkreten Tatumständen nicht aus, sondern weicht zu früh in die Annahme<br />

der Nicht-Feststellbarkeit aus. Der Tatrichter hat sich insoweit ersichtlich an der Entscheidung BGH NStZ<br />

2007, 402 ("Fall Dennis") orientiert, hierbei aber übersehen, dass beide Sachverhalte insoweit nicht ohne Weiteres<br />

gleichzusetzen sind. In jenem Fall zog sich die gravierende Mangelernährung des durch Unterlassen getöteten Kindes<br />

über mehrere Jahre, in der lebensbedrohlichen Phase noch über mehrere Monate hin. Die Tathandlung der Angeklagten<br />

bestand nicht in der Verweigerung von Nahrung, sondern im Unterlassen der Hilfeleistung für das bereits<br />

sechs Jahre alte Kind. Ein Flüssigkeitsmangel war in jenem Fall nicht festgestellt worden (vgl. BGH NStZ 2007, 402<br />

Rdn. 14 f.); ein Tod durch Verdursten lag daher nicht vor. Unter diesen Umständen konnte nicht festgestellt werden,<br />

dass das bereits über Monate ausgezehrte und völlig entkräftete Tatopfer zu einem Zeitpunkt, in welchem Tötungsvorsatz<br />

vorlag, noch unter Hungergefühlen litt (ebd. Rdn. 15).<br />

Dies ist mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Eine gravierende Mangelversorgung von Ja.<br />

ist jedenfalls nicht für einen Zeitraum vor Mitte Januar 2007 festgestellt (vgl. UA S. 30 f.). Eine Verschlechterung<br />

des Zustands war für Dritte erstmals am 28. Februar 2007 erkennbar; am 4. März 2007 war das Kind dann abgemagert,<br />

krank und matt (UA S. 31). Frühestens ab 10. März 2007 wäre das Kind möglicherweise nicht mehr zu retten<br />

gewesen (UA S. 23).<br />

Hieraus ergibt sich, dass die gravierende, letztlich <strong>zum</strong> Tod des Opfers am 24. März 2007 führende Mangelversorgung<br />

sich nur über einen Zeitraum von wenigen Wochen erstreckte (vgl. UA S. 43 f.). Noch am 4. März 2007 war<br />

das Kind nach den Feststellungen zwar "schmaler geworden" und erkennbar krank, aber keinesfalls apathisch. Es<br />

war "quengelig, lachte auch, trank problemlos Saft aus einer Flasche und krabbelte umher" (UA S. 32). Der Zustand<br />

völliger Entkräftung und Apathie, in dem das Kind die starken Schmerzen und Qualen des Verhungerns und Verdurstens<br />

letztlich nicht mehr empfand, trat somit nicht im Ergebnis eines langdauernden Prozesses der Mangelversorgung,<br />

sondern innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums ein (UA S. 42). Während dieser Zeit wurden die Windeln<br />

des Kindes kaum noch gewechselt, die schwere und sehr schmerzhafte Windel-Dermatitis nicht behandelt. Die Angeklagte<br />

gab ihrem Kind immer weniger Nahrung und Flüssigkeit und stellte schließlich fest, "dass die Kleine aufgrund<br />

der Entkräftung nicht mehr trinken konnte" (UA S. 65). Sie badete das Kind nicht mehr, weil es so abgemagert<br />

war (UA S. 66). Zugleich stellte sie das sog. Babyphon ab, um das "Gebrüll" des Kindes nicht hören zu müssen, und<br />

"ließ niemanden mehr zu dem inzwischen todkranken Mädchen" (UA S. 66). Im Hinblick auf diese Feststellungen ist<br />

die Würdigung des Tatrichters, es lasse sich nicht feststellen, ab welchem Zeitpunkt die Angeklagte Tötungsvorsatz<br />

gehabt und ob zu diesem Zeitpunkt das Kind noch gelitten habe und dies von der Angeklagten auch wahrgenommen<br />

worden sei, nicht hinreichend begründet. Dies lag hier vielmehr nach den Umständen so nahe, dass es für die gegenteilige<br />

Annahme des Landgerichts gravierender tatsächlicher Anhaltspunkte bedurft hätte. Solche sind nach den<br />

bisherigen Feststellungen nicht ersichtlich.<br />

b) Auch das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ist vom Landgericht mit nicht rechtsfehlerfreien Erwägungen<br />

verneint worden; auch insoweit begegnet die Beweiswürdigung durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht führt<br />

als gegen eine Verdeckungsabsicht der Angeklagten sprechende Umstände an, dass sie "den Tod des Kindes offenbarte",<br />

indem sie es zu der Ärztin brachte, und dass sie zuvor nichts Wesentliches am Leichnam oder im Haushalt<br />

veränderte (UA S. 68 f.). Diese Würdigung wird den festgestellten konkreten Umständen einschließlich der Persönlichkeitsstruktur<br />

der Angeklagten nicht gerecht. So bleibt offen, welche andere Möglichkeit außer der Offenbarung<br />

des Kindstods die Angeklagte konkret gehabt hätte. Unklar ist auch, welche Veränderungen am Leichnam oder im<br />

Haushalt hätten vorgenommen werden können, die angesichts des offenkundigen Zustands der Leiche eine gegen<br />

den Vorsatz sprechende Indizwirkung zugunsten der Angeklagten hätten haben sollen.<br />

Überdies lässt die Würdigung erhebliche Umstände, die für eine Verdeckungsabsicht sprachen, außer Betracht; die<br />

erforderliche sorgfältige Gesamtwürdigung fehlt. So hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt, "weil die Angeklagte<br />

merkte, wie lebensbedrohlich sich der Zustand des Kindes verschlechterte", und weil sie die Einschaltung des<br />

Jugendamts fürchtete, habe sie niemanden mehr zu dem Kind gelassen (UA S. 66). Sie gab auf Nachfragen wahrheitswidrig<br />

an, das Kind sei in ärztlicher Behandlung, um entsprechende Bemühungen und ein Eingreifen Dritter zu<br />

verhindern. Sie behauptete, das Kind habe eine schwere Durchfallerkrankung; unmittelbar vor seinem Tod presste<br />

sie eine größere Menge Flüssigkeit in den Magen des sterbenden Kindes. All dies konnte ersichtlich für eine Absicht<br />

der Angeklagten sprechen, die vorangehende Misshandlung Schutzbefohlener durch den Tod des Opfers zu verdecken;<br />

es hätte daher genauer erörtert werden müssen. Dass die Angeklagte nach den Feststellungen auch aus anderen<br />

Motiven gehandelt hat, würde der Annahme von Verdeckungsabsicht nicht von vornherein entgegenstehen; erforder-<br />

101


lich gewesen wäre eine nähere Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des bedingten Tötungsvorsatzes<br />

(vgl. dazu Fischer StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 79; MüKo-Schneider § 211 Rdn. 191 ff.; jeweils m.w.N.).<br />

c) Zutreffend hat der Generalbundesanwalt auch darauf hingewiesen, dass die Erwägungen, mit denen das Landgericht<br />

das Mordmerkmal sonstiger niedriger Beweggründe ausgeschlossen hat, rechtlicher Prüfung nicht standhalten.<br />

Das Landgericht hat hierzu "Auslöser" der Tat in der Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten angeführt: erwähnt<br />

sind unter anderem Passivität, Sorglosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Interesselosigkeit, der Wunsch nach Nichtstun<br />

sowie Überforderung durch den Haushalt (UA S. 67). Diese als "Motivbündel" bezeichneten "Auslöser" stehen<br />

nach Ansicht des Landgerichts nicht auf tiefster sittlicher Stufe, <strong>zum</strong>al sie speziellen Mordmerkmalen nicht nahe<br />

stehen (ebd.).<br />

Diese Bewertung vermischt unzutreffend "Auslöser" und Tatmotive. Die geschilderten Persönlichkeitsmerkmale der<br />

Angeklagten können nicht unmittelbar Motiven für die Tat gleichgesetzt werden; Merkmale wie "Verantwortungslosigkeit"<br />

oder allgemeine Bedürfnislagen wie der "Wunsch nach Nichtstun" stehen der Annahme sittlich niedriger<br />

Beweggründe nicht ohne Weiteres entgegen, sondern können gerade auch deren Hintergrund darstellen. Das Landgericht<br />

hätte sich daher nicht mit den genannten allgemeinen Charakterisierungen begnügen dürfen, welche die Tat<br />

eher als schicksalhafte Auswirkung einer allgemeinen Lebensuntüchtigkeit der Angeklagten erscheinen lassen, sondern<br />

hätte sich um die Feststellung konkreter Tatmotive bemühen müssen. Soweit festgestellt ist, die Angeklagte<br />

habe den Tod des Kindes gebilligt, "um den Anforderungen, die das Kind an sie stellte, nicht mehr nachkommen zu<br />

müssen" (UA S. 66), hätte der Tatrichter eine Einordnung dieser Motivation in die <strong>zum</strong> Mordmerkmal sonstiger<br />

niedriger Beweggründe entwickelten Maßstäbe und Fallgruppen vornehmen müssen; eine Verweisung auf die Persönlichkeitsstruktur<br />

der - psychisch gesunden - Angeklagten reichte insoweit nicht.<br />

Zutreffend hat der Generalbundesanwalt überdies darauf hingewiesen, dass es Anhaltspunkte dafür gab, die Angeklagte<br />

habe sich im Zusammenhang mit Enttäuschungen in ihrer Ehe von dem Kind abgewandt und dieses verhungern<br />

lassen, um ihrem "Wunsch nach Nichtstun" und ihrer Enttäuschung über die Abwendung ihres Ehemannes<br />

Ausdruck zu verleihen. Der neue Tatrichter wird die konkrete Motivlage der Angeklagten sorgfältiger als bisher<br />

geschehen zu prüfen haben.<br />

2. Auch die Straf<strong>zum</strong>essung hinsichtlich der Angeklagten J. H. ist nicht rechtsfehlerfrei. Zutreffend rügt die<br />

Revision, dass die Anwendung der Strafrahmensenkung gemäß § 13 Abs. 2 StGB durch das Landgericht nicht hinreichend<br />

begründet ist. Die Straf<strong>zum</strong>essungserwägungen vermischen Gesichtspunkte der Strafrahmenbestimmung<br />

und der konkreten Strafbemessung, ohne dass hinreichend deutlich wird, ob der Tatrichter die für die Anwendung<br />

des § 13 Abs. 2 StGB geltenden Maßstäbe zutreffend erkannt hat. So ist etwa die Erwägung, der Angeklagten solle<br />

"letztlich zugute gehalten werden, dass sie die Tat lediglich durch Unterlassen begangen hat" (UA S. 76), im Hinblick<br />

auf die Tatsache wenig aussagekräftig, dass eine Tötung durch Verhungernlassen, die gerade auch besonders<br />

gravierende schulderhöhende Momente enthalten kann, ihrer Natur nach vorwiegend Unterlassungselemente enthält;<br />

dies kann nicht von vornherein als Milderungsgrund angesehen werden. Auch dass die Angeklagte "die ihr obliegenden<br />

Mutterpflichten bei richtiger Einstellung (hätte) erfüllen können" (UA S. 76), ist entgegen der Ansicht des Landgerichts<br />

keine aus sich heraus zur Strafrahmenmilderung geeignete Tatsache.<br />

3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auch hinsichtlich des Angeklagten G. H. begründet.<br />

a) Zutreffend wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung zur Verneinung eines Tötungsvorsatzes dieses<br />

Angeklagten. Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, er habe von dem schlechten Gesundheitszustand<br />

seiner Tochter gar nichts bemerkt. Dies hat das Landgericht als unglaubhaft angesehen. Gleichwohl hat es angenommen,<br />

für das Vorliegen eines Tötungs-Vorsatzes "(gebe) es keine Hinweise" (UA S. 73). Der Angeklagte habe<br />

die mangelnde Pflege und Versorgung nicht bemerkt; die Auszehrung des Kindes habe er erst am 11. März 2007<br />

wahrgenommen. Das Obergeschoss des Hauses und das Kinderzimmer habe er in den letzten Lebenswochen des<br />

Kindes nicht mehr aufgesucht. Es sei ihm zwar bewusst gewesen, dass nur durch sofortiges Eingreifen weiterer<br />

Schaden von dem Kind abgewendet werden konnte; aus Apathie, Prioritätensetzung für Hunde und Fische und Konfliktscheu<br />

habe er aber jede Hilfe unterlassen (UA S. 72).<br />

Diese Feststellungen sind schon in sich nicht ohne Widerspruch. Das Landgericht hat überdies rechtsfehlerhaft unterlassen,<br />

erhebliche Indizien, die sich aus sonstigen Feststellungen im Hinblick auf den Tatvorsatz des Angeklagten<br />

ergaben, in ihrer Bedeutung zutreffend einzuordnen und in die gebotene Gesamtwürdigung einzustellen.<br />

Zutreffend weist die Revision auf den Umstand hin, dass der Angeklagte, der nach den Feststellungen vom Tod des<br />

Kindes am 24. März 2007 überrascht wurde, zu keinem Zeitpunkt nach der Todesursache fragte (UA S. 34, 36). Ein<br />

solches Verhalten ist mit der Annahme, der Angeklagte habe den lebensbedrohlichen Zustand seines Kindes zuvor<br />

nicht gekannt, kaum vereinbar; es hätte daher als gegen die Einlassung des Angeklagten sprechendes gravierendes<br />

Indiz vom Tatrichter gewürdigt werden müssen. Dasselbe gilt für die Feststellung, der Angeklagte habe vor dem Tod<br />

102


des Kindes wochenlang das Obergeschoss des Hauses, also das Kinderzimmer und das Elternschlafzimmer, gar nicht<br />

mehr aufgesucht und daher die extreme Mangelversorgung des Kindes und die Verwahrlosung des Obergeschosses<br />

nicht bemerkt. Stattdessen habe er - ohne erkennbaren Grund - in dem vermüllten Wohnzimmer im Erdgeschoss<br />

geschlafen und sich nur noch dort und im Bereich seiner angeblichen Sanierungsarbeiten aufgehalten. Für diese - an<br />

sich wenig nahe liegende - Einlassung konnte hier in der Tat sprechen, dass nach dem Tod des Kindes auch die im<br />

Obergeschoss befindlichen Aquarien in verwahrlostem Zustand mit toten und skelettierten Fischen aufgefunden<br />

wurden. Da die Versorgung der Tiere aber nach den Feststellungen des Landgerichts eines der Hauptinteressen des<br />

Angeklagten war und er sich um die Hunde und Fische stets zuverlässig kümmerte, ergab sich gerade aus dem Zustand<br />

der Aquarien im Obergeschoss ein erhebliches Indiz dafür, dass der Angeklagte absichtlich die Konfrontation<br />

mit dem Zustand seiner Tochter vermied. Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass ihm der bedrohliche Zustand<br />

des Kindes bewusst war (UA S. 71), dass er "nicht auf einen glücklichen Ausgang oder einen glücklichen Zufall<br />

(vertraute), der zur Genesung des Kindes führen würde" (UA S. 72), dass er von seiner Ehefrau, wie er erkannte,<br />

"kein Eingreifen erwarten (konnte)" (ebd.), dass er wusste, dass weder ein Arzt zugezogen noch Besucher zu dem<br />

Kind gelassen wurden und dass "nur er … dem Kind zur Gesundung verhelfen (konnte)" (ebd.), findet dann aber die<br />

Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe gleichwohl den Tod des Kindes nicht für möglich gehalten, in den<br />

bisherigen Feststellungen keine ausreichende Grundlage. Der Tatrichter ist rechtlich nicht gehalten, zugunsten des<br />

Angeklagten einen Sachverhalt zu unterstellen, für den es an hinreichenden Anhaltspunkten fehlt. Dies gilt umso<br />

mehr, wenn, wie hier, gravierende Indizien für die gegenteilige Annahme sprechen. Sollte der neue Tatrichter zur<br />

Feststellung <strong>zum</strong>indest bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten gelangen, wird er auch die bei der Mitangeklagten<br />

erörterten Mordmerkmale zu prüfen haben. Auch insoweit gilt, dass die Feststellung einer allgemeinen Persönlichkeitsstruktur<br />

oder Motivationslage wie "Passivität" oder "Prioritätensetzung für Hunde und Fische" nicht<br />

geeignet ist, Feststellungen zu konkreten Handlungsmotiven zu ersetzen, und dass solche allgemeinen Haltungen der<br />

Annahme von Motiven, welche die Voraussetzungen eines Mordmerkmals erfüllen, nicht entgegenstehen.<br />

b) Begründet ist die Revision hinsichtlich dieses Angeklagten auch insoweit, als sie sich gegen die Ablehnung des<br />

Tatbestands der Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB wendet. Die Begründung, zu dem Zeitpunkt,<br />

als der Angeklagte am 11. März 2007 die Schädigung des Tatopfers erkannte, sei der – <strong>zum</strong> Tod führende - Körperverletzungserfolg<br />

schon eingetreten gewesen, weil das Kind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu retten gewesen wäre<br />

(UA S. 75), lässt außer Betracht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen jedenfalls von diesem Zeitpunkt an<br />

wusste, dass sich der Gesundheitszustand des Kindes laufend weiter verschlechterte und dass bei pflichtgemäßem<br />

Eingreifen des Angeklagten das Leben des Kindes in jedem Fall hätte verlängert werden können. Das Unterlassen<br />

des Angeklagten steigerte daher die dem Kind drohende Lebensgefahr weiter. Dies würde entgegen der Ansicht des<br />

Landgerichts eine Verurteilung nach § 227 StGB tragen.<br />

c) Schließlich begegnet aus denselben Gründen auch die fehlende Prüfung eines Verbrechens nach § 221 Abs. 1 Nr.<br />

2 Abs. 3 StGB (vgl. BGH NJW 2008, 2199) durchgreifenden Bedenken. Auch der vom Landgericht nicht erörterte<br />

Tatbestand des § 225 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB wird vom neuen Tatrichter zu prüfen sein; der Tatbestand<br />

könnte ggf. in Tateinheit mit § 227 StGB stehen (vgl. BGHSt 41, 113).<br />

4. Der Senat hat, auch im Hinblick auf die Öffentlichkeitswirksamkeit des Verfahrens, von der Möglichkeit des §<br />

354 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.<br />

III. Revisionen der Angeklagten.<br />

1. Die Revision der Angeklagten J. H. ist unbegründet.<br />

Die Verfahrensrüge, mit welcher eine Verletzung von § 74 StPO gerügt wird, deckt einen Rechtsfehler nicht auf. Das<br />

Landgericht hat den gegen die Sachverständige C. gerichteten Befangenheitsantrag zu Recht zurückgewiesen. Die<br />

Sachverständige hatte im Rahmen ihres Antrags vor Erstattung ihres mündlichen Gutachtens in der Hauptverhandlung<br />

eine Nach-Exploration der Angeklagten beabsichtigt und hiervon den Verteidiger benachrichtigt. Es ist nicht<br />

ersichtlich, dass sie dies in der Absicht unternahm, einseitig zu Lasten der Angeklagten tätig zu werden. Hiergegen<br />

spricht namentlich auch die Information des Verteidigers. Ein Befangenheitsgrund lag bei verständiger Würdigung<br />

daher nicht vor.<br />

Auch die Überprüfung des Urteils auf die allgemein erhobene Sachrüge ergibt keine Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil der<br />

Angeklagten.<br />

2. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten G. H. ist gleichfalls unbegründet. Soweit die<br />

Revision beanstandet, das Landgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte den Verletzungserfolg<br />

einer Verschlechterung des Gesundheitszustands seiner Tochter billigte oder hinzunehmen bereit war,<br />

widerspricht dies den Urteilsfeststellungen. Das Landgericht hat ausdrücklich und insoweit rechtsfehlerfrei festgestellt,<br />

der Angeklagte habe jedenfalls am 11. März 2007 eine behandlungsbedürftige Erkrankung des Kindes wahr-<br />

103


genommen und gewusst, dass sich dieser Zustand ohne sein Eingreifen weiter verschlechtern würde, gleichwohl aus<br />

Bequemlichkeit und Passivität aber nichts unternommen. Die Beweiswürdigung lässt Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Angeklagten nicht erkennen.<br />

Auch die Einwendungen der Revision gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung sind offensichtlich unbegründet.<br />

StGB § 211 StPO § 358 II 1 Prüfung aller Mordmerkmale (niedriger Beweggrund)<br />

BGH, Beschl. v. 04.12.2008 – 1 StR 327/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 226<br />

Zwar hat der Tatrichter bei der Prüfung des Mordmerkmals 'niedrige Beweggründe' einen Beurteilungsspielraum,<br />

den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann. Rechtsfehlerhaft<br />

ist es jedoch, wenn die Prüfung dieses Mordmerkmals unterblieben ist, obwohl es nach<br />

den Umständen nahe lag.<br />

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 14.<br />

Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht WaldshutTiengen hatte den Angeklagten wegen Totschlags seiner Ehefrau G. H. zu elf<br />

Jahren Freiheitsstrafe und wegen Totschlags seiner Tochter J. H. , bewertet als besonders schwerer Fall (§<br />

212 Abs. 2 StGB), zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hieraus wurde eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe<br />

gebildet. Eine besondere Schuldschwere war nicht festgestellt worden.<br />

Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil wegen eines Verfahrensfehlers, der im polizeilichen<br />

Ermittlungsverfahren seinen Ursprung gehabt hatte, in vollem Umfang aufgehoben (Urt. vom 3. Juli 2007 - 1 StR<br />

3/07). Zugleich hat er dieses Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen<br />

Totschlags an J. H. verurteilt worden war und dementsprechend auch im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

Diese Aufhebung erfolgte, weil die Möglichkeit eines Verdeckungsmordes (§ 211 StGB) nicht rechtsfehlerfrei<br />

ausgeschlossen worden war.<br />

Nunmehr hat das Landgericht Freiburg, an das die Sache zurückverwiesen worden war, den Angeklagten wegen<br />

eines tateinheitlich in zwei Fällen im Wohnhaus der Familie begangenen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe<br />

verurteilt.<br />

Die hiergegen <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten eingelegte, auch vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der<br />

Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensrüge.<br />

I. Zur Revision der Staatsanwaltschaft:<br />

1. Die Strafkammer schließt aus, dass der Angeklagte als erstes der beiden Opfer seine Tochter aus einer von ihr<br />

gesetzten Ursache angegriffen hat und hält dementsprechend für „gut möglich“, dass der Angeklagte seine Tochter<br />

getötet hat, um seine vorangegangene Tat an seiner Ehefrau zu verdecken. Jedoch sei auch „vorstellbar“ - an anderer<br />

Stelle der Urteilsgründe heißt es „denkbar“ -, daher nicht ausschließbar und nach dem Zweifelssatz den Feststellungen<br />

zu Grunde gelegt, dass die Ehefrau im Rahmen eines Streits wahrheitswidrig behauptet habe, J. stamme nicht<br />

vom Angeklagten ab. Der Angeklagte habe dies geglaubt und deshalb aus Hass und Zorn seine Frau und - nach seiner<br />

Vorstellung - deren Tochter „im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit“ getötet.<br />

2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet diese Feststellungen zutreffend als rechtsfehlerhaft.<br />

Der Senat hatte bereits in seinem früheren Urteil in dieser Sache (dort Rdn. 47) ausgeführt und belegt, dass es auf<br />

überspannte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung zurückgeht und daher rechtsfehlerhaft ist,<br />

wenn nach dem Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten unterstellt werden, für deren Vorliegen das<br />

Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat. Richterliche Überzeugung erfordert keine jede andere<br />

denktheoretische Möglichkeit ausschließende, letztlich mathematische und daher von niemandem anzweifelbare<br />

Gewissheit. Auf diese Ausführungen nimmt der Senat Bezug.<br />

Hieran gemessen halten die dargelegten Erwägungen der Strafkammer rechtlicher Überprüfung nicht Stand.<br />

104


a) Die Strafkammer geht mit eingehenden Erwägungen davon aus, dass der Tat ein Ehestreit vorausging. Einzelheiten<br />

konnte sie hierzu nicht feststellen. Ursprüngliche Grundlage der ehelichen Spannungen war gewesen, dass der<br />

Angeklagte sich von seiner Frau vernachlässigt fühlte, weil diese eine mit im Hause wohnende - zur Tatzeit bereits<br />

verstorbene - Tante des Angeklagten nach dessen Auffassung zu zeitaufwändig gepflegt hatte. Deshalb wandte sich<br />

der Angeklagte schließlich einer anderen Frau zu, was zu Auseinandersetzungen führte. Die Ehefrau hatte „Angst,<br />

ihren Mann zu verlieren, und versuchte ihn wieder an sich zu binden“, etwa indem sie sich besonders pflegte und<br />

ihm den eigentlich von ihr nicht geschätzten Analverkehr gestattete. Auch wenn die ehelichen Verhältnisse nicht<br />

grundlegend gebessert werden konnten, war es immerhin kurz vor der Tat noch zu einem im Wesentlichen harmonisch<br />

verlaufenen Familienausflug gekommen, bei dem es lediglich eine „kleine“ Missstimmigkeit zwischen den<br />

Eheleuten über den Aufenthaltsort des Hundes während des bevorstehenden gemeinsamen Auslandsurlaubs gegeben<br />

hatte.<br />

b) Offenbar sieht die Strafkammer als realen Anknüpfungspunkt für die Möglichkeit einer Lüge der Ehefrau über die<br />

Vaterschaft die nur „eingeschränkte“ Zeugungsfähigkeit des Angeklagten an. Tatsächlich stand diese - wie eine<br />

DNA-Analyse ergeben hat - der Vaterschaft des Angeklagten nicht im Wege, ebenso wenig der von der Strafkammer<br />

festgestellten jahrelangen Hoffnung der Ehefrau, vom Angeklagten ein zweites Kind zu empfangen. Dass es hierzu<br />

letztlich nicht kam, lag nach den Feststellungen der Strafkammer - nicht etwa an unzulänglicher Zeugungsfähigkeit<br />

des Angeklagten, sondern - daran, dass dieser in seinem Alter kein Kind mehr wollte.<br />

c) Reale Anhaltspunkte dafür, dass die Ehefrau die „eingeschränkte“ Zeugungsfähigkeit des Angeklagten je zu dessen<br />

Nachteil thematisiert hätte oder dass sie sonst versucht hätte, den Angeklagten mit Hilfe einer Lüge in irgendeiner<br />

Weise zu bedrohen bzw. zu kränken, ergeben sich aus alledem nicht. Im Gegenteil, sie hatte Angst ihn zu verlieren<br />

und bemühte sich, ihn an sich zu binden, wobei sie ihm, sogar unter Zurückstellung eigener Wünsche, gerade<br />

auch in sexueller Hinsicht entgegenkam.<br />

Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, woran, über die „Denkbarkeit“ solchen Verhaltens hinaus, die Annahme<br />

anknüpfen könnte, die Ehefrau habe durch Lügen über die Vaterschaft letztlich ihre eigene Tötung und die ihrer<br />

Tochter ausgelöst (vgl. speziell zur Möglichkeit, eine von ihrem Mann getötete Frau habe diesen unmittelbar zuvor<br />

in krassem Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten massiv beleidigt, BGH NStZ-RR 1997, 99).<br />

Erweist sich aber eine Annahme ausschließlich als spekulativ, kann sie, wie bereits im ersten Senatsurteil in dieser<br />

Sache dargelegt, auch nicht als Folge des Zweifelssatzes zu Gunsten des Angeklagten den Urteilsfeststellungen zu<br />

Grunde gelegt werden.<br />

3. Zu Recht weist die Staatsanwaltschaft im Übrigen auch darauf hin, dass selbst auf der (tatsächlich nicht tragfähigen)<br />

Grundlage des angenommenen Motivs die Annahme, zwischen beiden Tötungen liege im Sinne einer natürlichen<br />

Handlungseinheit Tateinheit (§ 52 StGB) vor, nicht rechtsfehlerfrei begründet ist.<br />

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Menschen, wie<br />

etwa deren Leben, einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der natürlichen Handlungseinheit zu Grunde liegt, nur<br />

ausnahmsweise zugänglich. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner<br />

Individualität zu beeinträchtigen, so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise<br />

selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang regelmäßig<br />

kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen. Etwas anderes kann nur dann gelten,<br />

wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlichen engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs<br />

willkürlich und gekünstelt erschiene, wie etwa bei zeitgleich und wechselweise erfolgenden Angriffen auf<br />

mehrere Opfer (vgl. zuletzt BGH, Beschl. vom 6. Juni 2008 - 2 StR 189/08 m.w.N.). Hier beschränkt sich die Strafkammer<br />

auf die Erwägung, es sei „denkbar“, dass der Angeklagte Frau und Tochter in einem einheitlichen Geschehen<br />

getötet habe. Näher stellt sie in diesem Zusammenhang nur fest, der Angeklagte habe entweder Frau und Tochter<br />

mit unterschiedlichen Werkzeugen angegriffen oder jedenfalls, wenn er nur ein Werkzeug verwendet habe, dieses<br />

gegenüber den beiden Opfern jeweils unterschiedlich eingesetzt. Beides ist im Rahmen eines einheitlichen, nur gekünstelt<br />

aufspaltbaren Geschehens nicht leicht vorstellbar, ohne dass die Strafkammer auf diesen gegen ihre Bewertung<br />

sprechenden Gesichtspunkt einginge. Dem gegenüber ist nichts mitgeteilt, was für den „Sonderfall“ (BGH aaO)<br />

der natürlichen Handlungseinheit bei der Tötung von zwei Menschen sprechen könnte. Offenbar hält die Strafkammer<br />

auch insoweit für ausreichend, dass der von ihr angenommene Geschehensablauf „denkbar“ ist. Dies ist jedoch<br />

keine tragfähige Grundlage für eine Urteilsfeststellung. Es gilt insoweit nichts anderes als für das Motiv der Tat.<br />

4. In rechtlicher Hinsicht beschränkt sich die Strafkammer bei der Prüfung von Mord hinsichtlich der Tochter auf die<br />

Feststellung, dieser sei nicht zweifelsfrei feststellbar. Dies bezieht sich ersichtlich nur auf die von der Strafkammer<br />

geprüfte und verneinte Verdeckungsabsicht. Selbst wenn dies rechtsfehlerfrei wäre - was, wie dargelegt, nicht der<br />

Fall ist -, könnte das Urteil keinen Bestand haben, weil hinsichtlich der Tochter das Mordmerkmal der niedrigen<br />

105


Beweggründe nicht geprüft ist. Zwar hat der Tatrichter bei der Prüfung dieses Mordmerkmals einen Beurteilungsspielraum,<br />

den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (st. Rspr., vgl. Maatz/Wahl FS<br />

50 Jahre BGH, 531, 552; Fischer StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 15 m. zahlr. Nachw.). Rechtsfehlerhaft ist es jedoch,<br />

wenn die Prüfung dieses Mordmerkmals unterblieben ist, obwohl es nach den Umständen nahe lag. Der Angeklagte<br />

handelte, so die Feststellungen, aus Hass auch auf die Tochter. Ausgelöst wurde dieser Hass durch den von der Täuschung<br />

der Ehefrau ausgelösten Irrtum, er sei entgegen seiner bisherigen Annahme nicht der Erzeuger der Tochter<br />

seiner Ehefrau. Bei Motiven wie Hass, denen eine Bewertung als niedrig - also als nach allgemeiner Anschauung<br />

verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend (st. Rspr., vgl. d. Nachw. b. Fischer aaO Rdn. 14) - für sich allein nicht<br />

zukommt, kommt es darauf an, ob sie ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen (st. Rspr., vgl. d. Nachw. b. Fischer<br />

aaO Rdn. 19). Bei der hiernach gebotenen Würdigung (vgl. hierzu Fischer aaO Rdn. 15 m.w.N.) kann nicht außer<br />

Acht bleiben, dass die Tochter offenbar nicht dafür verantwortlich ist, wer ihr Erzeuger ist, und sie den Angeklagten<br />

hierüber auch nicht getäuscht hat, mag sie auch allein durch ihre Existenz in der gegebenen Situation Auslöser des<br />

Hasses des Angeklagten gewesen sein. Unter diesen Umständen erweist sich - auch auf der Grundlage der sonstigen<br />

Feststellungen der Strafkammer - die unterbliebene Erörterung niedriger Beweggründe als rechtsfehlerhaft, <strong>zum</strong>al<br />

die Strafkammer keine Gesichtspunkte festgestellt hat, die dagegen sprechen würden, dass der Angeklagte seine<br />

Affekte gedanklich beherrscht und willensmäßig gesteuert hätte.<br />

5. Die von der Strafkammer angenommene Tateinheit zwischen beiden Tötungsdelikten führt ohne Weiteres zur<br />

Aufhebung des Urteils insgesamt (vgl. BGH NJW 1993, 2252; Kuckein in KK 6. Aufl. § 353 Rdn. 12 m. w. N.).<br />

Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass dann, wenn die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zwei rechtlich<br />

selbstständige Taten annehmen würde, wegen der Tötung von G. H. die Strafe, die deshalb bereits das<br />

Landgericht Waldshut-Tiengen verhängt hatte, die gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachtende Grenze bilden<br />

würde.<br />

II.<br />

Auch die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Sie rügt zu Recht, dass die Strafkammer einen Hilfsbeweisantrag<br />

nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt hat.<br />

Dieser war auf die Feststellung gerichtet, dass in einem auf einem polizeilichen Video sichtbaren Haus - das in keinem<br />

erkennbaren Zusammenhang mit dem Angeklagten steht - am Ufer des Rheins („Strandhaus“) von den Tatopfern<br />

stammende Spuren (Antragungen von Blut) vorhanden seien. Die Strafkammer geht davon aus, die Behauptung,<br />

es könnten sich derartige Spuren in dem Strandhaus befinden, „ersichtlich ins Blaue hinein aufgestellt sei“, so dass in<br />

Wahrheit kein Beweisantrag vorliege. Auch die Aufklärungspflicht gebiete nicht, wie die Strafkammer darlegt, der<br />

genannten Behauptung näher nachzugehen.<br />

Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher Überprüfung nicht Stand.<br />

1. Einem Beweisbegehren muss nicht oder nur nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn<br />

die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit<br />

aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich in Wahrheit nur um einen nicht ernst gemeinten,<br />

<strong>zum</strong> Schein gestellten Beweisantrag handelt. Ob ein Beweisantrag nur <strong>zum</strong> Schein gestellt ist, ist aus der Sicht eines<br />

„verständigen“ Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen zu beurteilen<br />

(st. Rspr., vgl. zuletzt zusammenfassend BGH StraFo 2008, 246 m.w.N.).<br />

2. Hier war in engem zeitlichem Zusammenhang zur Tat der Pkw der getöteten Ehefrau in der Nähe dieses "Strandhauses"<br />

abgestellt gewesen. Außerdem hatte ein bei den polizeilichen Ermittlungen eingesetzter Spurensuchhund<br />

(„Bluthund“) jedenfalls den Eindruck erweckt, als stelle er Geruchsspuren der beiden damals noch als vermisst geltenden<br />

Geschädigten in dem gesamten Bereich, auch dem des "Strandhauses", fest.<br />

3. Die Strafkammer konnte Erkenntnisse dazu, wer den Pkw dort abgestellt hatte, weder durch Zeugen noch durch<br />

kriminaltechnische Untersuchungen gewinnen. Sie geht letztlich davon aus, dass der Pkw dort abgestellt wurde, um<br />

die Möglichkeit eines Selbstmordes im Rhein oder auch eine Abfahrt vom nahe gelegenen Bahnhof aus vorzutäuschen,<br />

also dass jedenfalls kein Zusammenhang mit dem "Strandhaus" besteht. Dem Verhalten des Hundes misst sie<br />

aus im Einzelnen dargelegten, hier nicht im Detail nachzuzeichnenden Erwägungen, die mit dem Alter des Hundes,<br />

der Erfahrung der Hundeführerin und der Möglichkeit der Kontamination von Geruchsproben zusammenhängen,<br />

keine wesentliche Bedeutung bei.<br />

4. Ohne dass es hier auf in diesem Zusammenhang erhobene (sonstige) Verfahrensrügen ankäme, sind diese Erwägungen<br />

für sich genommen sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden.<br />

Dies ändert jedoch nichts daran, dass die festgestellten, für sich genommen unzweifelhaften Indizien (Standort Pkw<br />

und Verhalten des „Bluthundes“, vor allem im Bereich des „Strandhauses“) auch den Schluss auf den Aufenthalt der<br />

Geschädigten im „Strandhaus“ <strong>zum</strong>indest nicht ausgeschlossen erscheinen lassen.<br />

106


5. Ein Beruhen des Urteils auf der Ablehnung des genannten Hilfsbeweisantrags ist nicht völlig auszuschließen.<br />

Daher ist es auch auf die Revision des Angeklagten in vollem Umfang aufzuheben, ohne dass es auf dessen weiteres<br />

Revisionsvorbringen noch ankäme.<br />

StGB § 211, StGB § 224 I Nr. 3 Überfall hinterlistig<br />

BGH; Beschl. v. 30.10.2008 – 3 StR 334/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 77; StV <strong>2009</strong>, 187; StraFo <strong>2009</strong>, 80<br />

Ein Überfall ist i.S. der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht schon dann hinterlistig,<br />

wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa<br />

indem er plötzlich von hinten angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, dass der Täter planmäßig in<br />

einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner<br />

die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung<br />

nach Möglichkeit auszuschließen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 2. November 2007<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung<br />

schuldig ist,<br />

b) im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben<br />

ist mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu<br />

einer "Gesamtfreiheitsstrafe" von fünf Jahren verurteilt und das Tatmesser eingezogen. Mit seiner Revision rügt der<br />

Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Annahme, der Angeklagte habe die Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3<br />

StGB) begangen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

Ein Überfall ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht schon dann hinterlistig, wenn<br />

der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa indem er plötzlich von hinten<br />

angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, dass der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht<br />

berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und<br />

die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der<br />

Täter dem Opfer mit vorgetäuschter Friedfertigkeit entgegentritt oder sich vor dem Opfer verbirgt und ihm auflauert<br />

oder sich anschleicht (vgl. BGH NStZ 2005, 40 m. w. N.). Ein vergleichbares gezieltes, planmäßiges oder von Heimlichkeit<br />

geprägtes Vorgehen des Angeklagten hat das Landgericht nicht festgestellt. Vielmehr griff der Angeklagte<br />

die Nebenklägerin in dem gut besuchten Lokal offen an und nutzte für seine Tat lediglich den Umstand aus, dass die<br />

Nebenklägerin ihm den Rücken zuwandte und sich unterhielt und deshalb seine Annäherung nicht bemerkte.<br />

Da auch andere Tatalternativen des § 224 Abs. 1 StGB nicht vorliegen und entsprechende Erkenntnisse in einer neuen<br />

Hauptverhandlung nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte der<br />

tateinheitlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 StGB schuldig ist. Der nach § 230 StGB erforderliche<br />

Strafantrag wurde rechtzeitig gestellt.<br />

2. Der Rechtsfolgenausspruch hat - mit Ausnahme der Einziehungsanordnung - keinen Bestand.<br />

a) Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich, da das Landgericht strafschärfend<br />

ausdrücklich berücksichtigt hat, dass der Angeklagte neben dem versuchten Mord eine gefährliche Körperverletzung<br />

begangen hat.<br />

b) Auch die unterbliebene Erörterung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB begegnet Bedenken.<br />

Die Feststellungen <strong>zum</strong> langjährigen und übermäßigen Alkoholkonsum des Angeklagten, zu seinen beiden bisherigen,<br />

jeweils nur vorübergehend erfolgreichen Entwöhnungstherapien und zu seiner Neigung, unter Alkoholeinfluss<br />

Aggressionshandlungen zu begehen, drängten zur Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Maßregelanordnung des §<br />

107


64 StGB gegeben sind. Da der Angeklagte auch bei Begehung der Tat <strong>zum</strong> Nachteil der Nebenklägerin erheblich<br />

alkoholisiert war und die Strafkammer nicht zuletzt deshalb eine erheblichverminderte Steuerungsfähigkeit nicht hat<br />

ausschließen können, liegt nahe, dass die abgeurteilte Tat auf einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im<br />

Übermaß zu sich zu nehmen, zurückgeht. Dem Erfordernis einer hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg<br />

steht jedenfalls nicht von vornherein entgegen, dass der Angeklagte bereits zwei stationäre Entwöhnungsmaßnahmen<br />

durchführte, <strong>zum</strong>al diese <strong>zum</strong>indest einen vorübergehenden Erfolg erbrachten.<br />

Der neue Tatrichter wird deshalb auch die Frage einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB zu erörtern haben. Einer<br />

Nachholung einer Unterbringungsanordnung stünde nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat<br />

(BGHSt 37, 5). Die Nichtanordnung des § 64 StGB hat der Beschwerdeführer nicht von seinem Rechtsmittelangriff<br />

ausgenommen.<br />

StGB § 212 Vorsatz<br />

BGH, Beschl. v. 22.04.<strong>2009</strong> – 5 StR 88/09<br />

Die Erwägung, bei vernünftiger Betrachtung äußerst gefährlicher Gewalthandlungen könne nicht<br />

von der Beherrschbarkeit der Folgen der Verletzungshandlung ausgegangen werden, lässt nur dann<br />

einen Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten zu, wenn dieser im Zeitpunkt der<br />

Tat über die insoweit notwendige Erkenntnisfähigkeit verfügte.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. April <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. September 2008 nach § 349 Abs.<br />

4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen <strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen, die<br />

aufrecht erhalten bleiben. Insoweit wird die weitergehende Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO als<br />

unbegründet verworfen.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung<br />

zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der<br />

Sachrüge im Umfang der Aufhebung Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

a) Nachdem sich der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter A. , die bereits zuvor Cannabis<br />

konsumiert hatten, mehrere Stunden gemeinsam in einem Lokal aufgehalten und dort eine Flasche Wodka getrunken<br />

hatten, kam es zu einem Streit zwischen A. und dem später geschädigten Zeugen Y. . Aus diesem entwickelte<br />

sich eine Rangelei zwischen beiden Personen. Als der Angeklagte von der Toilette zurückkehrte, mischte auch er<br />

sich in die Auseinandersetzung ein und sagte zu dem Zeugen Y. , er sei ein „böser Mensch“. Um die Auseinandersetzung<br />

zu beenden, begab sich der Zeuge nun <strong>zum</strong> Tresenbereich. Der Angeklagte setzte ihm nach und klopfte ihm<br />

von hinten heftig auf die Schulter, woraufhin der Zeuge dessen Hand wegstieß und hinter den Tresen ging, um den<br />

dort an der Wand hängenden Knüppel zur „etwa notwendigen Verteidigung“ an sich zu nehmen. Nun zog der Angeklagte<br />

plötzlich ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca. 6,5 cm und „stach“ viermal in Richtung des Hals<br />

und Gesichtsbereichs des Geschädigten. Dieser erlitt eine Stichverletzung am linken Kiefernwinkel, eine Schnittverletzung<br />

am linken Nasenrücken, an der Vorderseite des Halses, an der rechten Halsseite sowie der linken Seite des<br />

Halses.<br />

Der Geschädigte versuchte vergeblich, dem Angeklagten das Messer wegzunehmen. Auch einem weiteren Zeugen,<br />

der den Angeklagten von hinten gepackt hatte, gelang dies nicht. Er zog jedoch den Angeklagten vom Geschädigten<br />

weg. Der Angeklagte flüchtete aus dem Lokal. Auf der Flucht stürzte er und blieb auf dem Gehweg liegen. Nach<br />

Eintreffen der Polizei wurde er in ein Krankenhaus gebracht. Er war „nicht ausschließbar u. a. durch die Gegenwehr<br />

des Zeugen Y. durch stumpfe Einwirkung verletzt“. Zwei Tage nach dem Geschehen erkundigte sich der Angeklagte<br />

auf dem betreffenden Polizeiabschnitt nach den Einzelheiten des Geschehens.<br />

108


Die vom Geschädigten erlittenen Verletzungen waren oberflächlich und ungefährlich. Indes hatte der Angeklagte<br />

nach Annahme des Landgerichts erkannt, dass die von ihm gesetzten Stiche in den Hals- und Gesichtsbereich tödlich<br />

hätten sein können; er nahm dies <strong>zum</strong>indest billigend in Kauf.<br />

b) Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er bei seiner Rückkehr von der Toilette einen kräftigen<br />

Faustschlag auf das Auge erhalten habe, so dass er bewusstlos geworden und erst im Krankenhaus wieder zu sich<br />

gekommen sei. Er habe den Geschädigten nicht mit dem Messer verletzt und ihn weder verletzen noch gar töten<br />

wollen.<br />

c) Den Schluss auf den Tötungsvorsatz des Angeklagten zieht das Landgericht aus der Gefährlichkeit der Tatausführung,<br />

die ihm „den sicheren Blick auf die innere Tatseite eröffnet“. Der Angeklagte habe in Körperteile des Zeugen<br />

gestochen und geschnitten, die auch aus Sicht eines medizinischen Laien „geradezu klassisch“ als Ziele eines tödlichen<br />

Angriffs geeignet seien. Jede Form der unkontrollierbar gesetzten Messerstiche gegen den Hals lege wegen der<br />

außergewöhnlichen Lebensgefahr den Schluss auf den Tötungsvorsatz nahe. Dies gelte hier insbesondere deshalb,<br />

weil der Angeklagte mehrfach auf den Zeugen eingewirkt habe und er aufgrund der Dynamik des Geschehens nicht<br />

davon habe ausgehen können, dass sein Stich bzw. seine Schnitte nicht tödlich sein würden. Der Annahme eines<br />

Tötungsvorsatzes stehe auch nicht entgegen, dass der Angeklagte alkoholisiert war und darüber hinaus Cannabis<br />

konsumiert habe.<br />

2. Die Begründung des Tötungsvorsatzes hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen<br />

der Schluss auf einen <strong>zum</strong>indest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber<br />

einer Tötung ist jedoch immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht<br />

erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGHR StGB § 212 Abs. 1<br />

Vorsatz, bedingter 9 und 50). Deshalb ist der Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz nur dann rechtsfehlerfrei,<br />

wenn das Tatgericht alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat,<br />

die dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55).<br />

Das Landgericht hat sich schon nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die nur oberflächlichen Verletzungen des<br />

Geschädigten dafür sprechen können, dass der Angriff vom Angeklagten nicht mit der Entschlossenheit geführt<br />

wurde, gefährliche Wunden zu verursachen. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass etwa nur die Gegenwehr des<br />

Geschädigten oder das Eingreifen des weiteren Zeugen Schlimmeres verhindert hätte.<br />

Zwar konnte aufgrund der Dynamik des Geschehens bei vernünftiger Betrachtung nicht von der Beherrschbarkeit der<br />

Folgen der Verletzungshandlungen ausgegangen werden. Diese Erwägung lässt aber nur dann einen Schluss auf den<br />

bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten zu, wenn dieser im Zeitpunkt der Tat über die insoweit notwendige Erkenntnisfähigkeit<br />

verfügte. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch insoweit lückenhaft.<br />

Es fehlt an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten. Zwar<br />

nimmt das Landgericht unter Bezugnahme auf Ausführungen des medizinischen Sachverständigen an, dass die Alkoholisierung<br />

einem Tötungsvorsatz nicht entgegensteht. Die in diesem Zusammenhang zitierten Darlegungen des<br />

Sachverständigen tragen diesen Schluss jedoch nicht. Sie betreffen lediglich das Maß der Alkoholisierung des Angeklagten<br />

und die Unbeachtlichkeit des zusätzlichen Cannabiskonsums und sagen nichts darüber aus, ob er durch die<br />

Wirkungen des Alkohols in seiner Erkenntnisfähigkeit beeinträchtigt war (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,<br />

bedingter 55). Eine Prüfung dieser Frage war indes erforderlich. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur<br />

Tatzeit betrug 2,6 ‰ und war mithin nicht unerheblich; von einer etwaigen, die Wirkungen mindernden Gewöhnung<br />

des Angeklagten an Alkohol geht das Urteil nicht aus. Schon vor der tätlichen Auseinandersetzung hatte sich der<br />

Angeklagte – nahe liegend infolge des Alkoholgenusses – auffällig verhalten: Er und sein Mitangeklagter hatten in<br />

ausgelassener Stimmung zur Musik im Lokal getanzt; aufgrund der von den Tanzenden ausgehenden Störungen war<br />

es zu einem ersten, schnell geschlichteten Streit u. a. mit dem später Geschädigten gekommen; danach war der Angeklagte<br />

an seinem Tisch kurzzeitig eingeschlafen. Nach der Tat war er bei seiner offenbar unkoordinierten Flucht<br />

– er trug nur noch einen Schuh – nach einem Sturz bis <strong>zum</strong> Eintreffen der Polizei auf der Straße liegen geblieben. All<br />

dies spricht für ganz erhebliche alkoholbedingte Ausfälle. Zudem wurde der Angeklagte im Verlaufe der Tätlichkeiten<br />

selbst in einem Maße – nach seiner eigenen Einlassung am Kopf – verletzt, das eine Behandlung im Krankenhaus<br />

erforderlich machte. Dass er diese Verletzungen, zu deren Art und Umfang das Urteil keine Feststellungen trifft, erst<br />

nach Ausführung seiner Tathandlungen erlitt, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Schließlich ist von einem auf Seiten<br />

des Angeklagten von affektiver Erregung getragenen Kampfgeschehen auszugehen, <strong>zum</strong>al es das Opfer selbst war,<br />

das mit seinem Streben nach Bewaffnung eine neue Dimension der Gewalttätigkeiten einleitete. Das Landgericht<br />

hätte daher prüfen müssen, ob die Alkoholisierung des Angeklagten gegebenenfalls in Wechselwirkung mit seinen<br />

109


Verletzungen und seiner affektiven Erregung (vgl. BGH NStZ 2006, 169) Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die<br />

Folgen seines Tuns oder auf seinen Willen gewonnen haben.<br />

In die Begründung des Tötungsvorsatzes hätte hier schließlich auch das Nachtatverhalten des Angeklagten einbezogen<br />

werden müssen. Seine Nachfrage bei der zuständigen Polizeistation zwei Tage nach der Tat kann nicht nur ein<br />

Hinweis auf eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Wahrnehmungsfähigkeit zur Zeit der Tat sein. Sie kann auch<br />

Anhalt dafür geben, dass der Angeklagte sich jedenfalls im Nachhinein nicht bewusst war, ein schweres Verbrechen,<br />

die Tötung des Geschädigten, gewollt zu haben und sich insoweit eines „reinen Gewissens“ vermeinte.<br />

3. Da die genannten Gesichtspunkte weder für sich noch in ihrer Gesamtheit der Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes<br />

des Angeklagten von vornherein entgegenstehen, bedarf die subjektive Tatseite neuer tatgerichtlicher Überprüfung.<br />

Im Übrigen ist die Revision <strong>zum</strong> Schuldspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Daher können<br />

die Feststellungen <strong>zum</strong> äußeren Geschehensablauf aufrecht erhalten bleiben; sie dürfen durch ihnen nicht widersprechende<br />

Feststellungen ergänzt werden.<br />

Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf erneuter tatgerichtlicher Überprüfung. In diesem Zusammenhang wird<br />

auch zu klären sein, ob einschlägige Vortaten unter alkoholischer Beeinflussung begangen wurden. Ein zur Schuldfähigkeit<br />

erneut zu hörender Sachverständiger wird auch <strong>zum</strong> Maß der Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der<br />

Tatsituation Stellung nehmen müssen.<br />

Zum Strafausspruch weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Ausführungen des Urteils nicht, wie geboten,<br />

eindeutig erkennen lassen, ob das Landgericht den einfach oder den doppelt nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten<br />

Strafrahmen des § 213 StGB zugrunde gelegt hat.<br />

4. Der Schriftsatz der Verteidigung vom 21. April <strong>2009</strong> hat dem Senat vorgelegen.<br />

StGB § 222 Fahrl. Tötung durch Weitergabe von BtM<br />

BGH, Urt. v. 29.04.<strong>2009</strong> – 1 StR 518/08<br />

Ein Rauschgifthändler, der statt des erbetenen Kokain eine Btm-Mischung, die irrtümlich reines<br />

Heroin enthält übergibt und dem Konsumenten nicht mitteilt, dass es eine Mischung verschiedener<br />

Betäubungsmittel darstellt, handelt pflichtwidrig i.S.d. § 222 StGB.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 30. Mai 2008 wird verworfen.<br />

Er hat die Kosten der Revision sowie die den Nebenklägern durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten (wahlweise) wegen Diebstahls oder Hehlerei (Tat II. 1. der Urteilsgründe)<br />

sowie wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Überlassen von Betäubungsmitteln <strong>zum</strong> unmittelbaren<br />

Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen (Tat II. 2. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei<br />

Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten<br />

Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

1. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die<br />

Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Den von der Revision geltend gemachten Widerspruch zwischen den Erkenntnissen<br />

der beiden Sachverständigen <strong>zum</strong> Todeszeitpunkt hat das Landgericht plausibel ausgeräumt. Der näheren<br />

Erörterung bedarf daher allein der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Insofern hat auch der Generalbundesanwalt<br />

beantragt, die Strafbarkeit entfallen zu lassen.<br />

Das Landgericht hat aufgrund einer rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zur Tat II. 2. der Urteilsgründe<br />

festgestellt: In der Nacht <strong>zum</strong> 21. Januar 2006 kamen B. K. und Ü. Y. überein, „gemeinsam Kokain<br />

zu konsumieren“. B. K. wandte sich deshalb an den u.a. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln<br />

vorbestraften Angeklagten, „von dem er wusste, dass man bei ihm Kokain erhalten“ konnte. Dieser erklärte sich<br />

bereit, B. K. und Ü. Y. „Kokain zu überlassen“, holte aus seinem Vorrat Rauschgift und portionierte<br />

dieses in zwei zusammengerollten Zehn-Euro-Scheinen, die er B. K. und Ü. Y. <strong>zum</strong> Konsum übergab.<br />

„In diesem Moment wusste er jedoch nicht, dass es sich bei dem von ihm mitgeführten Rauschgift nicht um Kokain<br />

handelte, sondern um reines Heroin. Tatsächlich hielt er das mitgebrachte Rauschgift für eine Mischung aus Kokain,<br />

Amphetamin und gekochtem Marihuana. Entweder hatte er das Heroin von seinem Lieferanten als das entsprechende<br />

110


Kokaingemisch erhalten oder er hatte sowohl reines Heroin als auch die entsprechende Mischung vorrätig und sorgfaltswidrig<br />

die Mengen bei Herausnahme aus seinem Vorrat verwechselt.“ B. K. konsumierte das Heroin und<br />

verstarb wenige Stunden später infolge eines ausschließlich hierdurch verursachten zentralen Regulationsversagens.<br />

Diese Folge hätte der Angeklagte bei pflichtgemäßem und sorgfältigem Handeln erkennen und vermeiden können.<br />

2. Der Generalbundesanwalt meint, diese Feststellungen würden die Verurteilung wegen - tateinheitlich <strong>zum</strong> Verstoß<br />

gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG begangener - fahrlässiger Tötung nicht tragen. Der Angeklagte habe sich<br />

lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung B. K. s beteiligt und daher nicht gemäß § 222 StGB strafbar<br />

gemacht. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen.<br />

a) Allerdings trifft es zu, dass eigenverantwortlich gewollte, mithin <strong>zum</strong>indest in Kauf genommene Selbsttötungen, -<br />

verletzungen und -gefährdungen nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts unterfallen.<br />

Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts<br />

geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann nach<br />

ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolgedessen nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden.<br />

Wer das <strong>zum</strong>indest selbst gefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht<br />

oder fördert, kann zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen<br />

Handelns nicht strafbar machen würde (grundlegend BGHSt 32, 262, 263 ff.; s. auch BGH NStZ 2001,<br />

205).<br />

b) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.<br />

aa) Denn die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass der andere sich „frei und eigenverantwortlich gewollt“<br />

selbst gefährdet (vgl. BGH NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319). Die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses<br />

begrenzt die Strafbarkeit (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21). An dieser fehlt es aber nicht nur,<br />

wenn ein autonomes Handeln beispielsweise infolge einer Intoxikationspsychose ausgeschlossen ist (BGH NStZ<br />

1983, 72), sondern auch bei einem die Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. BGH NStZ 1986, 266,<br />

267).<br />

Einem derartig rechtserheblichen Irrtum war B. K. unterlegen. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner<br />

Zuschrift zutreffend darauf hingewiesen, dass den sich am illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln beteiligenden<br />

Personen die Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe regelmäßig nicht bekannt sind<br />

und Konsumenten daher riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen gewünschten Rauschgifts, sondern<br />

zusätzlich unbekannte, möglicherweise ebenfalls gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen. Das vom<br />

Landgericht festgestellte Geschehen lag aber außerhalb eines solchen üblichen Gefahrenbereichs, so dass B. K.<br />

das von ihm eingegangene Risiko grundlegend verkannte. Denn er erhielt vom Angeklagten nicht - wie gewünscht<br />

und ihm zugesagt - Kokain, das lediglich einen höheren Wirkstoffgehalt hatte, als von ihm angenommen, und dem<br />

weitere Substanzen beigegeben waren, sondern Heroin. Dieses ist nicht nur generell gefährlicher als Kokain, wie die<br />

deutlich divergierenden Grenzwerte für die jeweils nicht geringe Menge erkennen lassen (vgl. BGHSt 32, 162: 1,5 g<br />

Heroinhydrochlorid; BGHSt 33, 133: 5 g Kokainhydrochlorid), sondern war vorliegend „rein“ und damit von weit<br />

überdurchschnittlicher Gefährlichkeit (vgl. den Deutschland betreffenden Bericht 2007 des nationalen Knotenpunkts<br />

des Europäischen Informationsnetzwerks zu Drogen und Sucht [REITOX] an die Europäische Beobachtungsstelle<br />

für Drogen und Drogensucht, S. 122, 125, wonach im Jahr 2006 der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Heroin im<br />

Straßenhandel 15,6 % und im Großhandel 38,1 % betrug).<br />

bb) Das Landgericht hat angesichts dessen im Ergebnis zutreffend angenommen, dass B. K. s Tod auf einem<br />

sorgfaltswidrigen Verhalten des Angeklagten beruht und diesem zuzurechnen ist. Die im Rahmen der rechtlichen<br />

Würdigung für die Bejahung des § 222 StGB gegebene Begründung, der Angeklagte habe es pflichtwidrig unterlassen,<br />

B. K. „über die Tatsache aufzuklären, dass er ihm statt reines Kokain eine Mischung überließ“, erweist<br />

sich jedoch als nicht tragfähig. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten war für die Erhöhung des für B. K.<br />

bestehenden Risikos ohne Bedeutung; eine entsprechende Mitteilung hätte diesem keine realistischere Beurteilung<br />

des Risikos ermöglicht.<br />

Als der Angeklagte das Rauschgift <strong>zum</strong> Konsumieren zur Verfügung stellte, verhielt er sich aber insofern sorgfaltswidrig,<br />

als er dabei unter Berücksichtigung des Vorverhaltens der Beteiligten (konkludent) <strong>zum</strong> Ausdruck brachte,<br />

dem Wunsch B. K. s und seiner Zusage entsprechend handele es sich um Kokain. Denn eine solche Erklärung<br />

durfte der Angeklagte nur abgeben, wenn er sich zuvor vergewissert hätte, dass er tatsächlich dieses Rauschmittel<br />

aushändigt. In diesem Fall hätte er das tatsächliche Risiko und die daraus erwachsenden Folgen ebenso erkennen<br />

können (vgl. Hardtung in MüKo-StGB § 222 Rdn. 22) wie den Umstand, dass B. K. sein sich selbst gefährdendes<br />

Verhalten falsch einschätzen würde (s. auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21).<br />

111


Einer solchen Prüfungspflicht steht nicht entgegen, dass der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln generell und<br />

hier konkret das Überlassen <strong>zum</strong> unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG) unter Strafe gestellt ist.<br />

Denn anderenfalls würde derjenige, der sich in ohnehin strafbarer Weise verhält, gegenüber demjenigen besser gestellt,<br />

der grundsätzlich erlaubt potentiell risikobehaftete Stoffe an andere weitergibt. Beispielsweise haben Ärzte und<br />

Apotheker zuvor zu prüfen, ob sie dem Kunden das richtige Medikament aushändigen. Eine solche Auslegung würde<br />

darüber hinaus dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen, gerade die durch unerlaubte Betäubungsmittel<br />

verursachten Gefahren einzudämmen. Ob sich eine solche Prüfungspflicht auch auf den jeweiligen Wirkstoffgehalt<br />

des von den Beteiligten (qualitativ und quantitativ) zutreffend eingestuften Rauschmittels erstreckt, braucht der Senat<br />

nicht zu entscheiden. Bei solchen Konstellationen wird jedenfalls <strong>zum</strong>eist - worauf der Generalbundesanwalt zu<br />

Recht hingewiesen hat - keine relevante Abweichung von der Vorstellung des Rauschmittelkonsumenten hinsichtlich<br />

des von ihm eingegangenen Risikos und damit ein eigenverantwortliches Verhalten vorliegen.<br />

3. a) Gegen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung spricht ferner nicht die Kontrollüberlegung, ob der Angeklagte<br />

bei vorsätzlichem Verhalten straflos geblieben wäre. Dies wäre nicht der Fall. Denn hätte der Angeklagte dem<br />

lediglich Kokain erwartenden B. K. vorsätzlich reines Heroin <strong>zum</strong> Konsumieren ausgehändigt, ohne ihn darüber<br />

aufzuklären, wäre er wegen eines in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) begangenen vorsätzlichen<br />

Tötungsdelikts zu verurteilen gewesen, wobei die Annahme eines Heimtückemordes nahe gelegen hätte. Das<br />

sog. Teilnahmeargument geht somit fehl, weil B. K. irrtumsbedingt das tatsächliche Risiko verkannte.<br />

b) Einer Bestrafung nach § 222 StGB steht schließlich auch nicht eine privilegierende Spezialität des § 30 Abs. 1 Nr.<br />

3 BtMG mit daraus ggf. folgender Sperrwirkung entgegen. Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz<br />

liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur<br />

dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden<br />

Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die Spezialvorschrift<br />

privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch<br />

die Privilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des<br />

Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des<br />

Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt 49, 34, 37).<br />

Die anhand dieser Kriterien vorgenommene Prüfung ergibt zwar, dass § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinsichtlich des herbeigeführten<br />

Todes leichtfertiges Verhalten verlangt und dieses zudem gegenüber der offenen Tathandlung beim §<br />

222 StGB konkretisiert, diesem gegenüber also lex specialis ist (ebenso Rahlf in MüKo-StGB § 30 BtMG Rdn. 173).<br />

Da aber im Hinblick darauf sein Strafrahmen deutlich erhöht ist, sperrt er die Anwendung des § 222 StGB nicht,<br />

wenn dieser, jedoch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllt ist (s. auch BGHSt 19, 188, 190; 30, 235, 236; 49, 34, 38).<br />

Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der neuen Betäubungsmittelvorschriften, die durch das Gesetz<br />

zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681) geändert worden sind, bestätigt.<br />

Wie sich aus den Materialien ergibt (BTDrucks. 8/3551 S. 37; auch 7/4141, S. 5 f.), sollte wegen der steigenden Zahl<br />

der Drogentoten durch die<br />

Einfügung des Merkmals der (nicht mehr vorsätzlichen, sondern nur noch) leichtfertigen Herbeiführung des Todes<br />

eines Menschen das diesbezügliche Strafrecht verschärft werden.<br />

StGB § 222, § 228, § 229 Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr<br />

BGH; Urt.v. 20.11.2208 – 4 StR 328/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1155; NStZ <strong>2009</strong>, 148<br />

LS: 1. Die Abgrenzung zwischen Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung richtet sich bei<br />

Fahrlässigkeitsdelikten nach der Herrschaft über den Geschehensablauf.<br />

2. Zur rechtfertigenden Wirkung einer Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr.<br />

I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom<br />

28. Februar 2008 bezüglich der Angeklagten B. und H.<br />

1. im Schuldspruch dahin abgeändert, dass diese Angeklagten der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in<br />

Tateinheit mit fahrlässiger Tötung schuldig sind,<br />

2. im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

112


II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Konstanz zurückverwiesen.<br />

III. Die Revisionen der Angeklagten B. und S. werden verworfen; sie haben die Kosten ihrer Rechtsmittel<br />

und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten B. und H. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs je zu<br />

einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie den Angeklagten S. wegen Beihilfe hierzu zu<br />

einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt; die Vollstreckung der Strafen hat es bei allen Angeklagten zur<br />

Bewährung ausgesetzt. Daneben hat es den drei Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, die Führerscheine eingezogen<br />

und Sperren für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von drei (Angeklagte B. und H. ) bzw. zwei Jahren<br />

(Angeklagter S. ) angeordnet.<br />

Gegen das Urteil richten sich die jeweils auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft,<br />

der Nebenklägerin sowie der Angeklagten B. und S. . Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin<br />

machen geltend, dass die Angeklagten B. und H. auch wegen fahrlässiger Tötung hätten verurteilt werden<br />

müssen; die Staatsanwaltschaft beanstandet zudem die Strafaussprüche. Mit der entsprechend beschränkten Revision<br />

des Angeklagten B. werden Einwendungen gegen den Rechtsfolgenausspruch erhoben. Der Angeklagte S.<br />

erstrebt einen Freispruch. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden,<br />

und die Rechtsmittel der Nebenklägerin haben den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten<br />

B. und S. sind dagegen unbegründet.<br />

I. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:<br />

Bereits ab ca. März 2006 gab es im Bodenseegebiet eine „Szene“, der junge Männer angehörten, die bis <strong>zum</strong> März<br />

2007 auf Autobahnen in der Umgebung von Singen mit „hoch frisierten Autos“ mindestens zehn verabredete „Autotests<br />

oder richtige Autorennen“ durchführten, an denen <strong>zum</strong>eist fünf bis sieben Fahrzeuge beteiligt waren.<br />

Der Angeklagte B. war Besitzer eines 1986 zugelassenen Pkw VW Golf II, den er für Rennzwecke umgebaut und<br />

unter anderem mit dem Motor eines Audi S3 ausgestattet hatte, so dass das Fahrzeug eine Höchstgeschwindigkeit<br />

von etwa 240 km/h erreichen konnte. Mit diesem Fahrzeug hatte er schon vor dem 30. März 2007 an mehreren Rennen<br />

teilgenommen. Auch der mit ihm befreundete J. -P. Sim. (das spätere Tatopfer) gehörte der „Szene“ an;<br />

er hatte ebenfalls an mehreren Rennen teilgenommen, wobei wechselweise er oder der Angeklagte B. Fahrer bzw.<br />

Beifahrer des jeweiligen Fahrzeugs war.<br />

Der mit dem Angeklagten S. befreundete Angeklagte H. konnte am 30. März 2007 den seinem Vater gehörenden<br />

Pkw Porsche Carrera 4S nutzen, der über eine Leistung von 280 kW verfügte und eine Höchstgeschwindigkeit<br />

von etwa 300 km/h erreichen konnte.<br />

Am Nachmittag des 30. März 2007 verabredeten die Angeklagten B. , H. und S. sowie J. -P. Sim.<br />

, mit dem Pkw VW Golf des Angeklagten B. und dem Pkw Porsche zunächst auf der vierspurig ausgebauten<br />

Bundesstraße B 33 „Beschleunigungstests“ durchzuführen. „Die mit der Durchführung der Autorennen verbundenen<br />

Eigen- und Fremdgefahren waren allen Beteiligten bewusst“. Anschließend fuhren der Angeklagte B. mit J. -P.<br />

Sim. als Beifahrer in dem Pkw VW Golf und der Angeklagte H. mit dem Angeklagten S. als Beifahrer in dem<br />

Pkw Porsche bei Allensbach auf die autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße. Dort führten sie nach dem Ende<br />

einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h einen ersten Beschleunigungstest durch. Hierzu fuhren die Fahrzeuge<br />

nebeneinander, sodann zählten die Beifahrer – durch Handzeichen – von 3 auf 0 und die Fahrer beschleunigten<br />

die Pkws. Der Beschleunigungstest wurde von beiden Beifahrern gefilmt, wobei J. -P. Sim. die Videokamera<br />

des Angeklagten B. und der Angeklagte S. seine Handykamera benutzte.<br />

Nach einem weiteren Beschleunigungstest auf der Autobahn A 81 fuhren die Angeklagten B. und H. erneut<br />

auf die Bundesstraße B 33. Dort führten sie nach der Aufhebung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h<br />

erneut einen solchen Test durch. Hierzu gab der Angeklagte S. aus dem Pkw Porsche heraus das Startzeichen und<br />

forderte den Angeklagten H. mit den Worten „Gib Gas“ oder „Los“ <strong>zum</strong> Beschleunigen auf.<br />

Nach Beendigung dieses Rennens wechselten die Fahrzeuge die Fahrstreifen, um einen weiteren Beschleunigungstest<br />

durchzuführen; der Angeklagte B. fuhr nunmehr auf dem linken, der Angeklagte H. auf dem rechten Fahrstreifen.<br />

Zur Durchführung des Rennens verringerten die Angeklagten B. und H. zunächst die Geschwindigkeit<br />

von etwa 120 km/h auf ca. 80 km/h und <strong>zum</strong>indest J. -P. Sim. gab durch Handzeichen das Startsignal. Anschließend<br />

beschleunigten die Fahrer die Pkws. Das Rennen, das sowohl der Angeklagte S. als auch J. -P.<br />

Sim. wiederum filmten, wurde auch nach dem Erreichen einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h<br />

fortgeführt; als das entsprechende Verkehrszeichen passiert wurde, hatte der vom Angeklagten H. gesteuerte Pkw<br />

Porsche eine Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h, der vom Angeklagten B. gesteuerte Pkw VW erreichte<br />

113


schließlich eine Spitzengeschwindigkeit von 213 km/h. Beide setzten das Rennen fort, auch als vor ihnen auf dem<br />

rechten Fahrstreifen der vom Zeugen G. gesteuerte, mit vier Personen besetzte und knapp 120 km/h schnelle Pkw<br />

Opel Astra sichtbar wurde. Als der Zeuge die „von hinten auf ihn zuschießenden“ Fahrzeuge bemerkte, steuerte er<br />

sein Fahrzeug innerhalb des Fahrstreifens nach rechts (ein Standstreifen ist im dortigen Bereich der Bundesstraße<br />

nicht vorhanden), während der Angeklagte B. den Pkw VW auf dem linken Fahrstreifen zur Mittelleitplanke hin<br />

lenkte. Zugleich steuerte der Angeklagte H. den Pkw Porsche über die mittlere Fahrbahnmarkierung hinaus auf den<br />

linken Fahrstreifen, um das Fahrzeug des Zeugen G. ebenfalls überholen zu können. Während des Überholvorgangs<br />

befanden sich die drei Fahrzeuge zeitgleich nebeneinander, wobei der Abstand zwischen dem VW und dem<br />

Porsche etwa 30 cm betrug; nach dem Überholvorgang erreichte der Pkw Porsche im Bereich der auf 120 km/h begrenzten<br />

Höchstgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit von mehr als 240 km/h. „Die durch das gleichzeitige Überholen<br />

realisierte Gefährdung haben sie [die Angeklagten B. und H. ] bewusst verursacht und in Kauf genommen“.<br />

Als sich die drei Fahrzeuge während des Überholvorgangs nebeneinander befanden, geriet das vom Angeklagten B.<br />

gesteuerte Fahrzeug mit den linken Reifen auf den Grünstreifen an der Mittelleitplanke. Bei dem Versuch, wieder<br />

auf die Fahrbahn zu gelangen, machte der Angeklagte B. eine zu starke Lenkbewegung, das von ihm gesteuerte<br />

Fahrzeug geriet ins Schleudern, kam rechts von der Fahrbahn ab, überschlug sich, prallte gegen ein Verkehrszeichen,<br />

schleuderte zurück gegen die Mittelleitplanke und kam schließlich nach etwa 300 Meter auf dem rechten Fahrstreifen<br />

<strong>zum</strong> Stehen, wo es in Brand geriet. Bereits vor dem Erreichen des Endstandes wurden die – nicht angeschnallten –<br />

Insassen aus dem Fahrzeug geschleudert. An den bei dem Unfall erlittenen Verletzungen verstarb J. -P. Sim.<br />

noch am selben Tag, der Angeklagte B. wurde schwer verletzt.<br />

Die Angeklagten H. und S. , die den Unfall beobachtet hatten, fuhren zunächst weiter und kehrten nach dem<br />

Ende der vierspurigen Ausbaustrecke auf der Gegenfahrbahn zur Unfallstelle zurück.<br />

II. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg. Beide Rechtsmittelführer beanstanden<br />

zu Recht, dass die Angeklagten B. und H. nicht der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) schuldig gesprochen<br />

wurden.<br />

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben die Angeklagten B. und H. fahrlässig den<br />

Tod des J. -P. Sim. verursacht.<br />

a) Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven<br />

Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar<br />

den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten<br />

Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (st. Rspr.; vgl. BGHSt 49, 166, 174 m.w.N.).<br />

b) Ihre Pflichten als Fahrzeugführer haben beide Angeklagte verletzt. Bereits die Durchführung des Beschleunigungstests<br />

verstieß gegen § 29 Abs. 1 StVO (vgl. BGHZ 154, 316, 318 f.). Auch den Überholvorgang haben beide<br />

Fahrzeugführer vorschriftswidrig durchgeführt (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO). Zudem war dem Angeklagten H. der<br />

Fahrstreifenwechsel untersagt (§ 7 Abs. 5 StVO) und beide Angeklagte hätten nach § 1 Abs. 2 StVO alles unternehmen<br />

müssen, um die mit dem Überholvorgang verbundene Gefährdung zu vermeiden. Auch haben sie die im Bereich<br />

des Unfallorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h erheblich überschritten.<br />

c) An der Vermeidbarkeit des Todes von J. -P. Sim. bei pflichtgemäßem Verhalten der Angeklagten B.<br />

und H. besteht nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kein Zweifel. Insbesondere konnten beide den<br />

vor ihnen fahrenden Pkw Opel des Zeugen G. so rechtzeitig erkennen, dass ein Abbrechen des Rennens „problemlos“<br />

möglich gewesen wäre.<br />

d) Die Vorhersehbarkeit des Todes von J. -P. Sim. für die Angeklagten B. und H. wird durch die vom<br />

Landgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls ausreichend belegt. Im Hinblick auf die während des Überholens<br />

von den Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeiten sowie den Abstand zwischen den Fahrzeugen waren ein schwerer<br />

Verkehrsunfall und der Tod des J. -P. Sim. nicht nur objektiv, sondern für sie subjektiv vorhersehbar. Denn<br />

dies erfordert nicht, dass die Angeklagten die Folgen ihres Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnten;<br />

vielmehr genügt, dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGHSt 39, 322, 324 m.w.N.).<br />

e) Auch an der Kausalität zwischen dem pflichtwidrigen Handeln der Angeklagten B. bzw. H. und dem Tod<br />

des J. -P. Sim. fehlt es nicht.<br />

Für die Prüfung der Kausalität ist bei fahrlässigen Erfolgsdelikten der Eintritt der konkreten Gefährdungslage maßgeblich,<br />

die unmittelbar <strong>zum</strong> schädigenden Erfolg geführt hat (Fischer StGB 55. Aufl. Vor § 13 Rdn. 33 m.w.N.).<br />

Bezogen hierauf waren kausal für den Tod von J. -P. Sim. jedenfalls die Durchführung des Rennens, die<br />

Einleitung und Durchführung des Überholvorgangs, zusätzlich beim Angeklagten B. der Fahrfehler beim Zurücklenken<br />

des Fahrzeugs und beim Angeklagten H. der untersagte Fahrstreifenwechsel.<br />

114


f) Die insbesondere von Teilen des Schrifttums (vgl. Fischer aaO Vor § 13 Rdn. 26, 31 m.w.N.) geforderte Zurechnung<br />

des Todes ist ebenfalls zu bejahen. Diese könnte allenfalls dann zweifelhaft sein, wenn eine Selbstgefährdung<br />

oder eine dieser ausnahmsweise gleichzustellende Fremdgefährdung vorliegen würde (vgl. BGHSt 39, 322, 324 f.;<br />

Roxin NStZ 1984, 411 f.; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. Vorbem. §§ 32 ff. Rdn. 107; weitere<br />

Nachweise bei Fischer aaO Vor § 13 Rdn. 27, 30, 36; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder aaO Vorbem. §§ 13 ff.<br />

Rdn. 101 b). Das ist indes nicht der Fall.<br />

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht sich, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das<br />

Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer<br />

Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder<br />

fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGHSt 32, 262, 263 f. = NStZ 1984, 410 m. Anm. Roxin; BGHSt 36,<br />

1, 17; 37, 179, 181; 46, 279, 288; BGH NJW 2003, 2326, 2327; BGH NStZ 1985, 25, 26; ähnlich bereits BGHSt 24,<br />

342, 343 f.). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -<br />

verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat<br />

(BGHSt 32, 262, 264 f.; 46, 279, 288; 49, 34, 39; BGH NJW 2003, 2326, 2327; BGH NStZ 1985, 25, 26; 1987, 406;<br />

BayObLG NZV 1989, 80 m. Anm. Molketin; OLG Zweibrücken JR 1994, 518, 519 m. Anm. Dölling; einschränkend<br />

bei deliktischer Handlung des Täters und einsichtigem Motiv für die Selbstgefährdung: BGHSt 39, 322, 325).<br />

Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung<br />

bzw. -schädigung und der – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdschädigung eines anderen ist die Trennungslinie<br />

zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungs- bzw. Schädigungshandlung<br />

nicht allein beim Gefährdeten bzw. Geschädigten, sondern <strong>zum</strong>indest auch bei dem sich hieran Beteiligenden,<br />

begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten<br />

straffrei sein (vgl. BGHSt 19, 135, 139; 49, 34, 39; 166, 169; auch zu den gegenteiligen Ansichten in<br />

Rechtsprechung und Schrifttum BGH NJW 2003, 2326, 2327).<br />

Dies gilt im Grundsatz ebenso für die Fälle fahrlässiger Selbst- bzw. Fremdgefährdung. Dabei bestimmt sich auch<br />

hier die Abgrenzung zwischen der Selbst- und der Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den Geschehensablauf,<br />

die weitgehend nach den für Vorsatzdelikte zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien festgestellt<br />

werden kann (vgl. BGHSt 19, 135, 139 [wer das <strong>zum</strong> Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat]; BGH<br />

NJW 2003, 2326, 2327 [Gefährdungsherrschaft]; ähnlich Duttge in Otto-FS 2007 S. 227, 244 [Herrschaft über die<br />

dem Schadenseintritt vorausgehende Risikosituation]; Dölling JR 1994, 520). Bei der Prüfung, wer die Gefährdungsherrschaft<br />

innehat, kommt dem unmittelbar <strong>zum</strong> Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu<br />

(Dölling GA 1984, 71, 76, 78; Puppe ZIS 2007, 247, 249; Lenckner in Schönke/Schröder aaO Vorbem. §§ 32 ff.<br />

Rdn. 52 a, 107; Rönnau in LK-StGB 12. Aufl. Vor § 32 Rdn. 167 m.w.N.; vgl. auch Schweizerisches Bundesgericht<br />

Bd 125 IV, 189, 193).<br />

bb) Ausgehend hiervon ist vorliegend ein Fall der Fremd- und nicht der Selbstgefährdung gegeben. Die Herrschaft<br />

über das Geschehen unmittelbar vor sowie ab dem Beginn des Überholvorgangs lag allein bei den Fahrzeugführern.<br />

Sie haben die Entscheidung getroffen und umgesetzt, nebeneinander das vom Zeugen G. gesteuerte Fahrzeug zu<br />

überholen, obwohl nur zwei Fahrstreifen vorhanden waren. Allein sie haben die Geschwindigkeit der Fahrzeuge und<br />

die Lenkbewegungen bestimmt. Ihre Beifahrer waren in diesem Zeitraum dagegen – ohne die Möglichkeit, ihre Gefährdung<br />

durch eigene Handlungen abzuwenden – lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens der Angeklagten B.<br />

und H. ausgesetzt. Für das <strong>zum</strong> Tod von J. -P. Sim. führende Geschehen war dessen Verhalten, insbesondere<br />

das Geben der Startzeichen und das Filmen der Rennen, gegenüber dem der Angeklagten B. und H. von<br />

untergeordneter Bedeutung.<br />

cc) Auch eine – vom Landgericht angenommene – der Selbstgefährdung gleichzustellende Fremdgefährdung bzw. -<br />

schädigung liegt nicht vor (hierzu Roxin in Gallas-FS 1973 S. 241, 252; ders. NStZ 1984, 411, 412; ders. Strafrecht<br />

AT-1, 1997, § 11 Rdn. 107). Diese kann nicht allein damit begründet werden, dass es weitgehend vom Zufall abhing,<br />

wer im konkreten Fall Fahrer und wer Beifahrer war. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Situation beim<br />

Schadenseintritt. Ob diese Grundsätze in gleicher Weise Geltung hätten, wenn die an einem riskanten Unternehmen<br />

Beteiligten ein in etwa gleiches Maß an Tatherrschaft besessen hätten (hier die beiden Fahrer der am Rennen beteiligten<br />

Fahrzeuge im Verhältnis untereinander), hat der Senat nicht zu entscheiden, weil diese Voraussetzung im<br />

Verhältnis der Angeklagten B. und H. zu J. -P. Sim. nicht vorliegt.<br />

2. In seinen Tod oder in das Risiko seines Todes hat J. -P. Sim. auch nicht in rechtserheblicher Weise eingewilligt.<br />

a) Während Rechtsprechung und herrschende Lehre darin übereinstimmen, dass entsprechend § 216 StGB eine Einwilligung<br />

in den von einem anderen vorsätzlich herbeigeführten Tod grundsätzlich nicht strafbefreiend wirkt, die<br />

115


vorsätzliche (oder fahrlässige) Körperverletzung dagegen unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 228<br />

StGB gerechtfertigt sein kann, werden die Zulässigkeit und Bedeutung der Einwilligung in eine Lebensgefahr nicht<br />

einheitlich beurteilt.<br />

In der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde eine solche Einwilligung als grundsätzlich unbeachtlich<br />

angesehen, weil das Leben eines Menschen auch in § 222 StGB <strong>zum</strong> Schutz der Allgemeinheit mit Strafe bedroht<br />

sei und eine Einwilligung das mit einer fahrlässigen Tötung verbundene Handlungsunrecht nicht zu beseitigen<br />

vermöge (BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 114; BGH VRS 17, 277, 279; BGHZ 34, 355, 361; BGH, Urteil vom 20. Juni<br />

2000 – 4 StR 162/00). In neueren Entscheidungen – insbesondere zu § 227 StGB – hat der Bundesgerichtshof dagegen<br />

darauf abgestellt, dass bei einer Einwilligung in die (vorsätzliche) Körperverletzung die Grenze zur Sittenwidrigkeit<br />

jedenfalls dann überschritten sei, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen<br />

Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde.<br />

Für diese Eingrenzung spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216<br />

StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine<br />

Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter<br />

auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge (BGHSt 49, 34, 42, 44; 166, 173 f. = JR 2004, 472 m.<br />

Anm. Hirsch = JZ 2005, 100 m. Anm. Arzt). Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof auf die Fälle übertragen, in<br />

denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend – im Rahmen des<br />

von der Einwilligung „gedeckten“ Geschehensablaufs – verwirklicht hat. Auch in diesen Fällen scheide eine Rechtfertigung<br />

der Tat durch die Einwilligung des Opfers bei konkreter Todesgefahr aus (BGHSt 49, 166, 175).<br />

b) Für gefährliches Handeln im Straßenverkehr gilt nichts anderes. Zwar versucht der Gesetzgeber, den Gefahren des<br />

Straßenverkehrs durch besondere Verhaltensregeln – insbesondere in der Straßenverkehrsordnung – entgegenzuwirken;<br />

auch ist ein gefährliches Verhalten im Straßenverkehr allgemein untersagt (§ 1 Abs. 2 StVO). Dies führt jedoch<br />

nicht dazu, dass bei einem Verstoß gegen verkehrsbezogene Sorgfaltspflichten einer Einwilligung des Betroffenen in<br />

gefährdendes Verhalten eines anderen keinerlei rechtliche Bedeutung zukommt. Eine rechtfertigende Wirkung der<br />

Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheidet nur für diejenigen Tatbestände grundsätzlich aus, die <strong>zum</strong>indest<br />

auch dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs im Allgemeinen dienen (§§ 315 b, 315 c StGB). Bezweckt eine<br />

Vorschrift dagegen ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern (wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die<br />

Einwilligung ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung nur dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist,<br />

also bei konkreter Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Rechtsgutverletzung.<br />

Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu. Ob bereits durch den mit hohen Geschwindigkeiten durchgeführten "Beschleunigungstest"<br />

auf einer öffentlichen Straße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h die drohende<br />

Rechtsgutgefährdung für die Insassen der an dem Rennen beteiligten Fahrzeuge so groß war, dass eine konkrete<br />

Lebensgefahr vorlag, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls lag eine solche Gefahr in der Fortsetzung des<br />

Rennens noch zu einem Zeitpunkt, als ein gleichzeitiges Überholen eines unbeteiligten dritten Fahrzeugs mit nicht<br />

mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche betroffenen Verkehrsteilnehmer verbunden war. In eine derart<br />

massive Lebensgefahr konnte J. -P. Sim. bezogen auf seine Person nicht mit rechtfertigender Wirkung einwilligen<br />

und zwar weder allgemein zu Beginn der Fahrt in dem Sinne, dass er mit einer Durchführung des Rennens "um<br />

jeden Preis" einverstanden war, noch in der konkreten Situation bei Beginn des Überholmanövers mit den sich deutlich<br />

abzeichnenden Gefahren.<br />

3. Einen zu Gunsten der Angeklagten B. und H. wirkenden Rechtsfehler (§ 301 StPO) weist das Urteil nicht<br />

auf. Insbesondere wurden diese Angeklagten nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu Recht wegen<br />

vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Dabei entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang der<br />

Urteilsausführungen, dass die Strafkammer die bei § 315 c Abs. 1 StGB erforderliche Gefährdung nicht in der der<br />

Tatbeteiligten und der von diesen geführten Fahrzeuge gesehen, sondern auf die für die Insassen des Pkw Opel und<br />

dieses Fahrzeug konkret bestehende Gefahr abgestellt hat. Hierin liegt im Hinblick auf die zu dem Überholvorgang<br />

getroffenen Feststellungen kein Rechtsfehler.<br />

4. Der Senat kann die Schuldsprüche selbst abändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Vorwurf<br />

der fahrlässigen Tötung den Angeklagten bereits in der Anklageschrift zur Last gelegt worden war. Die Änderung<br />

der Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Rechtsfolgenaussprüche und der diesen zugrunde liegenden Feststellungen.<br />

Das Landgericht wird über die Rechtsfolgen neu zu entscheiden und bezüglich der Strafaussetzung zur Bewährung<br />

auch Gesichtspunkte der Generalprävention zu berücksichtigen haben.<br />

III.<br />

Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten B. hat aus den vom Generalbundesanwalt<br />

in der Antragsschrift vom 28. Juli 2008 dargelegten Gründen keinen Erfolg.<br />

116


IV.<br />

Erfolglos ist auch das Rechtsmittel des Angeklagten S. .<br />

1. Die Strafkammer ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte S. zu der vom Angeklagten H.<br />

begangenen vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs Hilfe geleistet hat.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung ist als Hilfeleistung in diesem Sinn grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die<br />

Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses<br />

Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich. Ferner ist unerheblich,<br />

ob der Angeklagte seine Unterstützungshandlungen schon längere Zeit vor der Begehung der Haupttaten in<br />

deren Vorbereitungsphase vorgenommen hatte (BGH NJW 2007, 384, 388 f. m.w.N.). Maßgeblich ist allein, dass die<br />

Beihilfehandlung die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung erleichtert oder<br />

gefördert hat (BGH NStZ 2008, 284 m.w.N.).<br />

Dies ist durch die Feststellungen im angefochtenen Urteil hinreichend belegt. Danach beschränkte sich die Hilfeleistung<br />

des Angeklagten S. nicht auf ein passives Dabeisein, vielmehr hat er sich an der Tat insbesondere durch das<br />

Filmen des letzten Rennens aktiv beteiligt und hiermit die Tatbegehung durch den Angeklagten H. unterstützt.<br />

2. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen handelte der Angeklagte S. auch (doppelt) vorsätzlich.<br />

Dabei steht der Vorsatz des Angeklagten S. bezüglich seiner Hilfeleistung aufgrund der Feststellungen außer<br />

Frage und bedurfte keiner näheren Erörterung im Urteil. Sein Vorsatz umfasste aber auch die von ihm geförderte<br />

Haupttat, <strong>zum</strong>al er das Rennen aus dem gegenüber dem VW Golf zurückliegenden Porsche filmte, er also den Überholvorgang<br />

und die damit verbundenen Gefahren von Anfang an verfolgte und erfasste. Das Maß des tatsächlich<br />

verwirklichten Unrechts ist bei § 315 c StGB kein Umstand der Tat, der <strong>zum</strong> gesetzlichen Tatbestand gehört und<br />

daher – zur Begründung des Schuldspruchs wegen Beihilfe – vom Gehilfenvorsatz umfasst sein muss. Daher ist<br />

unerheblich, ob dem Gehilfen, wäre ihm der tatsächlich eingetretene Erfolg der Haupttat bewusst gewesen, dieser<br />

letztlich unerwünscht war (vgl. BGH NJW 2007, 384, 390).<br />

3. Der Rechtsfolgenausspruch weist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 28. Juli 2008 dargelegten<br />

Gründen keinen Rechtsfehler auf. Bei der Maßregelanordnung nach §§ 69, 69 a StGB gegen einen Beifahrer<br />

sind zwar besonders gewichtige Hinweise zu fordern, aus denen sich die Ungeeignetheit <strong>zum</strong> Führen von Kraftfahrzeugen<br />

ergibt (BGH NStZ 2004, 617 m.w.N.). Diese sind vorliegend indes mit dem vom Landgericht zutreffend<br />

als Beihilfe zur vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs gewerteten Verhalten des Angeklagten S. gegeben<br />

(vgl. Tepperwien in Nehm-FS 2006 S. 427, 430).<br />

StGB §§ 222, 229 Verantwortlichkeiten für einen Gebäudeeinsturz bei Arbeitsteilung<br />

BGH, Urt. v. 13.11.2008 – 4 StR 252/08 - NJW <strong>2009</strong>, 240; NStZ <strong>2009</strong>, 146<br />

LS: Zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für einen Gebäudeeinsturz bei arbeitsteiliger Erledigung<br />

der Bauleistungen durch verschiedene Gewerke.<br />

I. Die Revisionen des Nebenklägers K. -P. B. gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 2. Juli 2007<br />

werden verworfen.<br />

II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die dadurch den Angeklagten W. und C.<br />

entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten W. und C. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen<br />

Körperverletzung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger<br />

K. -P. B. , Vater des bei dem verfahrensgegenständlichen Bauunglück vom 13. August 2004 ums Leben<br />

gekommenen U. B. , mit seinen auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Diese Rechtsmittel haben keinen<br />

Erfolg.<br />

I. Das angefochtene Urteil betrifft ein Bauunglück vom 13. August 2004 in der Stadt G. (Landkreis P. ),<br />

bei dem fünf auf dem Bau tätige Arbeiter zu Tode kamen und fünf weitere Personen, darunter der Angeklagte C.<br />

, verletzt wurden, drei davon schwer.<br />

Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:<br />

Gegenstand des von der Stadt G. als Bauherrin betriebenen Bauvorhabens war die Sanierung einer städtischen<br />

Schule, wobei u.a. im Erdgeschoss des Südostflügels auf der Fläche der bisher getrennten Räume R 123 und R 124<br />

117


ein größerer Musikraum entstehen sollte. Dazu war der Abbruch der tragenden, 7,22 m langen und 3 m hohen Querwand<br />

zwischen den beiden Räumen sowie der Einbau einer Stahlkonstruktion geplant.<br />

Den nach öffentlicher Ausschreibung erteilten Zuschlag für die Bauhauptleistungen erhielt als Unternehmer im Sinne<br />

der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) der vom Landgericht in diesem Verfahren nach<br />

Verwerfung seiner Revision durch den Senat inzwischen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilte frühere<br />

Mitangeklagte T. , der als Bauunternehmer eine Einzelfirma betrieb. Zum Leistungsumfang gehörten gemäß<br />

dem dem Vertrag zu Grunde liegenden Leistungsverzeichnis u.a. auch die Stahlbauarbeiten und Betonschneidearbeiten.<br />

Die Stahlbauarbeiten umfassten danach u.a. für die sog. Montageunterstützung "das Vorhalten, den Einbau und<br />

die Beseitigung von 300 Drehsteifen für den Einbau der Stahlträger zur Abfangung der Geschossdecken". Zu den<br />

Betonschneidearbeiten gehörten nach dem Leistungsverzeichnis auch das abschnittweise Abbrechen einer Wand aus<br />

bewehrtem Beton. Die Durchführung dieser Betonschneidearbeiten einschließlich des Abbruchs und der Entsorgung<br />

der tragenden Wand übertrug T. im Rahmen eines Subunternehmervertrages auf die Firma H. Betonbohr<br />

und Sägetechnik, für die als Niederlassungsleiter der Angeklagte W. und als deren Arbeiter der Angeklagte C.<br />

vor Ort an der Baustelle tätig waren. Zum Leistungsumfang der Firma H. zählten danach aber nicht die notwendigen<br />

Absteifungsarbeiten; diese waren nach dem Leistungsverzeichnis vielmehr ausdrücklich im Titel "Stahlbauarbeiten"<br />

enthalten.<br />

Nach der vom Bauplanungsbüro L. im Auftrag der Stadt G. erstellten statischen Berechnung für den Umbau<br />

war eine Grundabsteifung mit insgesamt 336 Stützen - davon 98 Stützen im Erdgeschoss bei einem Stützenabstand<br />

von 0,15 m - mit einer zulässigen Tragfähigkeit von jeweils 20 kN vorgesehen. Der Angeklagte C. informierte<br />

seinen Vorgesetzten, den Angeklagten W. , dass der vorgesehene Stützenabstand von 0,15 m ein Arbeiten<br />

mit der für die Betonschneidearbeiten verwendeten Wandsäge unmöglich mache. Nachdem der Angeklagte W.<br />

vergeblich versucht hatte, daraufhin T. zu erreichen und auf das Problem anzusprechen, wandte sich der Angeklagte<br />

C. auf Bitten des Angeklagten W. an T. , der darauf erwiderte, er werde bei dem Statiker nachfragen<br />

und klären, wie vorgegangen werden könne. Tatsächlich fragte T. bei dem Statiker aber nicht nach. Auf<br />

eine gelegentliche Nachfrage des Bauleiters G. äußerte sich T. jedoch dahin, dass die Hinzuziehung eines<br />

Statikers nicht erforderlich sei, da er mit den Festlegungen der Statik „klarkomme“, es sei alles gut beschrieben.<br />

T. ließ am 4. und 5. August 2004 zwei seiner Arbeiter die Grundabsteifung durch Aufstellen der vor Ort vorhandenen<br />

Drehsteifen in der Weise vornehmen, dass im Erdgeschoss anstelle der in der statischen Berechnung vorgesehenen<br />

98 Stützen beidseitig der tragenden Wand nur 29 Drehsteifen aufgestellt wurden, von denen auch nur eine<br />

einzige eine Tragfähigkeit in der vorgesehenen Größenordnung von 20 kN hatte, während die Tragfähigkeit der<br />

übrigen Steifen geringer war und überwiegend bei lediglich 16,5 kN lag. Insgesamt wurden von den in allen Geschossen<br />

laut statischer Berechnung vorgesehenen 336 Steifen in dem Gebäudeteil lediglich 98 Steifen aufgestellt.<br />

Die Abstützung der Decke in den zurückgebauten Abschnitten nahmen die Mitarbeiter von T. durch drei oder<br />

vier Drehsteifen anstelle der vom Statiker geforderten Kantholzsteifen 20/20 und durch ein 2,40 m langes Kantholz<br />

15/25 anstelle eines Stahlunterzuges vor.<br />

Vom 6. bis <strong>zum</strong> 12. August 2004 erledigte der Angeklagte C. den Rückbau der Abschnitte I, II und III der<br />

Wand. Am Morgen des 13. August 2004 teilte er T. mit, dass er noch an diesem Tage mit dem Herausschneiden<br />

des Teilstücks Abschnitt IV beginnen werde. Dabei sah T. , dass der Abschnitt III noch "abgesteift" werden<br />

musste, und wies seine Arbeiter an, dies zu erledigen, was unter Mithilfe des Angeklagten C. geschah. Erst<br />

danach nahm der Angeklagte C. den Abbruch des ca. 1,20 m breiten Abschnitts IV vor. Als er von der verbliebenen<br />

Wandverbindung ca. 30 cm abgestemmt hatte, hörte er erste Knackgeräusche. Unmittelbar danach kam es <strong>zum</strong><br />

Einsturz des gesamten Mittelteils des Südostflügels des Schulgebäudes mit den bereits erwähnten schwer wiegenden<br />

Folgen. Als Ursachen für den Einsturz hat das sachverständig beratene Landgericht in erster Linie die zu geringe<br />

Anzahl der Steifen, die unterlassene Verwendung der für die Absteifung vorgegebenen Kantholzsteifen 20/20 und<br />

deren Ersatz durch Drehsteifen mit zu geringer Traglast festgestellt.<br />

II. Die Revisionen des Nebenklägers, mit denen er die Freisprüche der Angeklagten W. und C. angreift, bleiben<br />

im Ergebnis ohne Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat nicht übersehen, dass der Angeklagte C. bei den durch seine Anstellungsfirma durchgeführten<br />

Betonschneidearbeiten durch das Herausstemmen des letzten Wandabschnitts den Einsturz des Gebäudes<br />

ausgelöst hat. Es hat jedoch eine Garantenstellung des Angeklagten W. , die dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit<br />

für die aus der Bauausführung entstehenden Gefahren begründen könnte, verneint und gemeint, dass der Angeklagte<br />

C. ebenfalls für den Einsturz nicht verantwortlich sei.<br />

Hinsichtlich des Angeklagten W. hat das Landgericht die Ansicht vertreten, eine Pflicht, die Absteifung zu überprüfen,<br />

habe für ihn weder nach dem Subunternehmervertrag bestanden, nach dem die notwendigen Absteifungen<br />

118


gerade nicht in den Aufgabenbereich Betonschneidearbeiten fielen, noch habe sie sich aus gesetzlichen Vorschriften<br />

ergeben. Die Überwachungspflicht nach den berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften richte sich<br />

nur an die Personen, denen die Bauleitung obliege. Zu diesem Personenkreis zähle - anders als T. - der Angeklagte<br />

W. nicht. Ihm habe auch nicht die Erstellung einer Abbruchanweisung oblegen. Denn es habe sich - wie der<br />

Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator M. als Zeuge bestätigt habe - um vergleichsweise einfache und<br />

begrenzte Arbeiten gehandelt, von denen bei ordnungsgemäßer Absteifung keine weiteren sicherheitstechnisch bedenklichen<br />

Auswirkungen zu erwarten gewesen seien. Eine Koordinierungspflicht - so das Landgericht - habe die<br />

Firma H. nur insoweit getroffen, als die Betonschneidearbeiten nur nach entsprechender Absteifung hätten vorgenommen<br />

werden dürfen. Dieser Verpflichtung sei der Angeklagte W. aber dadurch nachgekommen, dass entsprechend<br />

seiner Anweisung der Angeklagte C. die Arbeiter des T. jeweils aufgefordert habe, die Absteifungen<br />

vor den weiteren Betonschneidearbeiten vorzunehmen.<br />

Hinsichtlich des Angeklagten C. hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe nicht erkannt und auch<br />

nicht erkennen müssen, dass die Absteifung gegenüber der statischen Berechnung unzureichend war. Ihn habe auch<br />

keine Verpflichtung getroffen nachzuprüfen, ob die Erfordernisse der Statik hinreichend beachtet worden seien.<br />

Ebenso sei ihm nicht vorzuwerfen, dass er nicht realisiert habe, dass vor dem Abbruch des Abschnitts IV ein Unterzug<br />

aus Stahl hätte eingebaut werden müssen.<br />

2. Diese Begründung der Freisprüche der Angeklagten W. und C. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung ist<br />

nicht frei von rechtlichen Bedenken. Gleichwohl haben die Freisprüche im Ergebnis Bestand.<br />

a) Zu Unrecht hat das Landgericht eine Verantwortlichkeit dieser Angeklagten für das Einsturzgeschehen schon aus<br />

Rechtsgründen verneint.<br />

aa) Zur Pflichtenstellung der Angeklagten W. und C. geht der Senat von Folgendem aus:<br />

Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse<br />

erforderlichen Vorkehrungen <strong>zum</strong> Schutz anderer Personen zu treffen (st. Rspr.; BGHZ 103, 338, 340;<br />

BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 18). Diese Sicherungspflicht wird indes nicht bereits durch jede<br />

bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst; da eine absolute Sicherung gegen Gefahren und Schäden<br />

nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen solchen absoluten Schutz ausgerichtet<br />

sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen<br />

<strong>zum</strong>utbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält,<br />

um Andere vor Schäden zu bewahren. Haftungsbegründend wirkt demgemäß die Nichtabwendung einer Gefahr erst<br />

dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter<br />

anderer Personen verletzt werden können (st. Rspr.; vgl. BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 31).<br />

Diese in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind maßgebend auch für die Bestimmung der<br />

strafrechtlichen Anforderungen an die im Einzelfall gebotene Sorgfaltspflicht. Ausgangspunkt dafür ist jeweils das<br />

Maß der Gefahr mit der Folge, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit<br />

einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (zur Abhängigkeit zwischen<br />

dem Maß der Gefahr und der Sorgfaltspflicht BGHSt 37, 184, 187; 47, 224, 230 f.; Landau, Das strafrechtliche Risiko<br />

der am Bau Beteiligten, wistra 1999, 47, 49).<br />

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Strafkammer ihre Prüfung verkürzt, indem sie letztlich dem früheren<br />

Mitangeklagten T. die alleinige Verantwortung zugewiesen hat. Richtig ist, dass in erster Linie T. die Verantwortung<br />

für die Bauausführung trug und deshalb auch strafrechtlich für die Sicherung der von dem Abbruch der<br />

tragenden Wand im Erdgeschoß ausgehenden Gefahren haftete (vgl. BGHSt 19, 286, 288). Dieser Pflichtenstellung<br />

des T. im Verhältnis zu den Angeklagten W. und C. entsprach auch die Aufgabenverteilung nach dem<br />

von T. mit der Firma H. geschlossenen Subunternehmervertrag und dem diesem Vertrag zu Grunde liegenden<br />

Leistungsverzeichnis, demzufolge die Durchführung der Sicherung des Wandabbruchs durch die Absteifung in<br />

den Aufgabenbereich von T. als Bauunternehmer fiel. Dieser Umstand entließ indes die Firma H. und damit<br />

auch deren an dem Bau tätigen Mitarbeiter, die Angeklagten W. und C. , nicht von vornherein aus der<br />

Haftung. Denn die Firma H. war zuständig für den Abbruch und deshalb verpflichtet, Dritte vor den durch den<br />

Abbruch drohenden Gefahren zu schützen und die hierzu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen (BGH (Z) VersR<br />

1966, 165, 166). Diese Pflicht bestand grundsätzlich nicht nur gegenüber Außenstehenden, etwa befugten Besuchern<br />

der Baustelle, sondern auch gegenüber den an dem Bau tätigen Arbeitnehmern, die hier durch den Einsturz zu Schaden<br />

gekommen sind (vgl. BGH (Z) NJW 1971, 752, 753; OLG Naumburg (Str) NStZ-RR 1996, 229; Palandt-Sprau<br />

BGB 67. Aufl. § 823 Rdn. 191 m.N.).<br />

cc) Blieb aber danach neben T. die Firma H. - wenn auch sekundär - verkehrssicherungspflichtig, so traf<br />

dies grundsätzlich auch für ihre Arbeitnehmer, die Angeklagten W. und C. zu, soweit diese - wie hier - den<br />

119


gefahrenträchtigen Abbruch der tragenden Wand <strong>zum</strong>indest weitgehend in eigener Verantwortung durchführten (vgl.<br />

OLG Stuttgart, Urt. vom 12. März 1999 – 2 U 74/98, Rdn. 61 m.w.N. [zit. nach juris]; anders u.U. für unselbständige<br />

weisungsgebundene Arbeitnehmer BGH (Z) BB 1954, 273 f; OLG Düsseldorf (Z) NJW-RR 1993, 1309; Palandt-<br />

Sprau aaO § 823 Rdn. 49, 191). Denn nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind mehrere Personen<br />

(oder Firmen), die an einer gefahrenträchtigen Baumaßnahme beteiligt sind, untereinander verpflichtet, sich in<br />

<strong>zum</strong>utbarer Weise gegenseitig zu informieren und abzustimmen, um vermeidbare Risiken für Dritte auszuschalten.<br />

Insbesondere dann, wenn erkennbar Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, die vor Beginn der eigentlichen gefahrträchtigen<br />

Handlung durchgeführt werden müssen, muss sich der für die Gefahrenquelle Verantwortliche im<br />

Rahmen des ihm Zumutbaren vergewissern, dass der für die notwendige Sicherung Verantwortliche seine Aufgabe<br />

erfüllt hat, und darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass dies auch zutrifft. Im vorliegenden Fall ergab sich dieses<br />

Zusammenwirken von Abbruchaufgabe (Firma H. ) und Sicherungsaufgabe (Bauunternehmen T. ) schon<br />

kraft Natur der Sache. Dabei waren die Sorgfaltspflichten nicht etwa auf die jeweils vertraglich geschuldeten Leistungen<br />

beschränkt, wovon das Landgericht ersichtlich ausgegangen ist. Denn für die Begründung von Sorgfaltspflichten<br />

genügt regelmäßig bereits die tatsächliche Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkreises (vgl. BGHSt<br />

47, 224, 229; Kühl, Anm. zu BGH NJW 2008, 1897, 1899; Fischer StGB 55. Aufl. § 222 Rdn. 12). Das war hier für<br />

die Firma H. schon deshalb der Fall, weil die besondere Gefahrenquelle eben in dem Abbruch der tragenden<br />

Wand lag.<br />

b) Ihrer hiernach bestehenden – sekundären – Sicherungspflicht sind die Angeklagten W. und C. jedoch hinreichend<br />

nachgekommen.<br />

Nachdem der Angeklagte C. auf Veranlassung des Angeklagten W. den Bauunternehmer T. darauf hingewiesen<br />

hatte, dass bezüglich der ursprünglich in der Statik vorgesehenen Stabilisierung der Decken durch die seitlichen<br />

Stützen eine Veränderung vorgenommen werden müsse, um die Wandsäge einsetzen zu können, hatte T.<br />

zugesagt, dies zu veranlassen und sich mit dem Statiker in Verbindung zu setzen. Auch wenn die Verringerung der<br />

Anzahl der Stützen gegenüber der ursprünglichen Planung erheblich war, erforderte die – sekundäre – Verkehrssicherungspflicht<br />

der Angeklagten nicht eine nochmalige Nachfrage, ob der Statiker die Änderungen auch tatsächlich<br />

gebilligt habe. Dies wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn die mangelnde Eignung der angebrachten Abstützung<br />

und die dadurch bedingte besondere Gefahrenlage für die Angeklagten offensichtlich gewesen wäre. Gerade das hat<br />

das Landgericht aber nicht festgestellt. Vielmehr hat es in Übereinstimmung mit dem Bausachverständigen angenommen,<br />

dass ungeachtet der gegenüber der statischen Berechnung deutlich vergrößerten Stützenabstände jedenfalls<br />

für die Angeklagten nicht ohne Weiteres erkennbar war, dass die Absteifung unzureichend war. Dem entspricht, dass<br />

weder der Bauleiter G. noch der Sicherheitskoordinator M. auf die Einhaltung der ursprünglich vorgesehenen<br />

Stützenabstände gedrungen hatten, obwohl der Bauleiter in einer Besprechung auf der Baustelle noch am Tag vor<br />

dem Unglück, an der T. teilnahm, die Abstützung der Decke erörtert hatte. Dass die Angeklagten W. und C.<br />

besondere Fachkenntnisse besaßen, die sie befähigt hätten, die Mangelhaftigkeit der von T. vorgegebenen Abstützung<br />

zu erkennen, hat das Landgericht nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht allein auf Grund ihrer Erfahrungen<br />

auf dem Gebiet von Abbrucharbeiten. Auch mussten sie nicht von einer besonderen Unzuverlässigkeit oder<br />

Risikobereitschaft des T. ausgehen (zur Beschränkung der Sorgfaltspflichten durch den Vertrauensgrundsatz bei<br />

horizontaler Aufteilung einzelner Verantwortungsbereiche im Rahmen eines einheitlichen Arbeitsvorgangs vgl. BGH<br />

(Z) NJW 1999, 1779, 1780 [<strong>zum</strong> Zusammenwirken mehrerer Ärzte bei einer Operation]; Fischer aaO § 222 Rdn. 10,<br />

14 m.w.N.). Dass die Angeklagten sich vielmehr ihrer Verantwortung für die Sicherheit des Bauwerks bewusst waren,<br />

wird daran deutlich, dass der Angeklagte C. noch am Morgen des Unfalltages gegenüber T. den Abbruch<br />

des Teilstücks IV der Wand ankündigte und mit der Fortsetzung seiner Tätigkeit aus Sicherheitsgründen zuwartete,<br />

bis der Unterzug hinsichtlich des Teilstücks III angebracht war. Unter diesen Umständen erübrigte sich für<br />

die Angeklagten W. und C. , bei T. noch einmal ausdrücklich nachzufragen, ob statischerseits Bedenken<br />

gegen die Fortsetzung der Abbrucharbeiten bestehen.<br />

Fällt mithin den Angeklagten W. und C. ein strafrechtlich relevantes Versäumnis nicht zur Last, hat es<br />

bei den Freisprüchen des angefochtenen Urteils sein Bewenden.<br />

120


StGB § 223, WStG § 30 I, WStG § 31 I Soldatenurteil Münster<br />

BGH; Urt. v. 14.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 554/08<br />

1. Der Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand des § 223 Abs. 1<br />

StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraus, die dessen<br />

körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt. Die Beurteilung der Erheblichkeit<br />

bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven<br />

Empfinden des Betroffenen - und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden<br />

Beeinträchtigung.<br />

2. Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt und er<br />

grundsätzlich zu unverzüglichem Gehorsam verpflichtet ist, so muss er dennoch Gegenvorstellung<br />

erheben oder den Gehorsam veweigern, wenn er aufgrund der ihm bekannten Umstände der Überzeugung<br />

ist oder er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die Überzeugung haben<br />

müsste, dass der Befehl strafrechtswidrig ist.<br />

3. Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen,<br />

das dessen Stellung als freie Persönlichkeit nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung<br />

nicht unerheblich beeinträchtigt, auf die der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft<br />

und im besonderen als Soldat innerhalb der soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der<br />

Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihm <strong>zum</strong> bloßen Objekt degradiert<br />

und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt,<br />

beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits wegen ihres absolut entwürdigenden Charakters<br />

unter § 31 Abs. 1 WStG fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatumstände.<br />

4. §§ 30, 31 WStG schützen nicht allein das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise<br />

der Würde des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der Bundeswehr.<br />

Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch Vorgesetzte stellt einen Verstoß gegen die in Art.<br />

1 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt <strong>zum</strong> Schutze der Menschenwürde<br />

und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar.<br />

Von dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde Amtsträger oder Bedienstete durch das<br />

subjektive Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers nicht freigestellt werden.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 26. November 2007 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch<br />

bleiben die Feststellungen <strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.<br />

3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten dieses Rechtsmittels - an eine<br />

andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht waren zwei Taten, welche dem Angeklagten zur Last gelegt wurden.<br />

Dabei hat das Landgericht den Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe (Geiselnahmeübung im zweiten<br />

Quartal 2004) wegen Misshandlung gemäß § 30 Abs. 1 WStG zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40,--<br />

Euro verurteilt. Im Fall II.2 der Urteilsgründe (Geiselnahmeübung im dritten Quartal 2004) hat es ihn dagegen von<br />

dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und mit entwürdigender Behandlung<br />

(§ 31 Abs. 1 WStG) freigesprochen.<br />

Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision gegen seine<br />

Verurteilung. Mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft wird ebenfalls die<br />

Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird vom Generalbundesanwalt vertreten<br />

und richtet sich gegen den Freispruch des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe (Geiselnahmeübung im dritten<br />

Quartal 2004). Betreffend den Fall II.1 der Urteilsgründe (Geiselnahmeübung im zweiten Quartal 2004) beanstandet<br />

die Beschwerdeführerin die fehlende Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung<br />

und entwürdigender Behandlung. Während das Rechtsmittel des Angeklagten keinen Erfolg hat, ist das Urteil auf die<br />

121


Revision der Staatsanwaltschaft mit den Feststellungen - ausgenommen diejenigen <strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen -<br />

aufzuheben.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

1. Der Angeklagte - Stabsunteroffizier - war in Coesfeld in der 7. Kompanie des 7. Instandsetzungsbataillons der<br />

Bundeswehr als Hilfsausbilder tätig. Bei dieser Kompanie, die in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war und<br />

die vom früheren Mitangeklagten Hauptmann S. geführt wurde, handelte es sich um eine reine Ausbildungskompanie,<br />

der jeweils zu Quartalsbeginn neue Rekruten zur dreimonatigen Grundausbildung zugewiesen wurden.<br />

2. Zur Tatzeit - im zweiten und dritten Quartal 2004 - galt für die Ausbildung der Rekruten die „Anweisung für die<br />

Truppenausbildung Nummer 1“ (AnTrA1), Stand Juni 2001. Sie regelte Ziele und Inhalte der Allgemeinen Grundausbildung<br />

und sah für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten eine Ausbildung „Geiselnahme/Verhalten in<br />

Geiselhaft“ nicht vor. Am 8. Juli 2004 wurde nach längeren Überlegungen im Bundesministerium der Verteidigung<br />

eine geänderte AnTrA1 herausgegeben, die <strong>zum</strong> 1. Oktober 2004 in Kraft trat. Diese enthielt einen neuen Teil „Basisausbildung<br />

EAKK“ (Einsatzvorbereitende Ausbildung für Krisenbewältigung und Konfliktverhütung) mit dem<br />

Ziel, bereits in der Grundausbildung die für einen Auslandseinsatz im Rahmen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung<br />

erforderlichen Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten zu erlernen. Dieser neue Ausbildungsteil sah eine<br />

zweistündige, vom Kompaniechef durchgeführte Unterrichtseinheit - jedoch keine praktische Übung - über Geiselhaft,<br />

Entführung und Gefangenschaft bei Einsätzen sowie über die Konfrontation mit Verwundung und Tod und<br />

deren Bewältigung vor. Diese geänderte AnTrA1 war seit 19. Juli 2004 im Intranet der Bundeswehr abrufbar. Bereits<br />

zuvor fanden im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum in Hammelburg Lehrgänge statt, in denen Zugführer von<br />

Ausbildungskompanien für die Ausbildung nach der neuen AnTrA1 geschult wurden, um als Multiplikatoren für die<br />

übrigen Ausbilder zu fungieren.<br />

Die Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist ein Abschnitt der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“,<br />

die von der Bundeswehr für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger dienende Soldaten oder Berufssoldaten<br />

vorgesehen ist, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und den Befehl bekommen haben, an einem Auslandseinsatz<br />

teilzunehmen. Diese Übung wurde von der Bundeswehr nur an drei Standorten im Bundesgebiet durchgeführt,<br />

wozu die Freiherr-vom-Stein-Kaserne aber nicht gehörte. Sie wurde zudem zuvor im Unterricht mit allen Teilnehmern<br />

besprochen und von Psychologen begleitet. Die Übung lief dergestalt ab, dass die auszubildenden Soldaten<br />

eine Busfahrt unternahmen, während derer sie überfallen wurden. Ihnen wurden die Augen verbunden und sie wurden<br />

aufgefordert, ihre Hände in den Nacken, auf die Knie oder die Sitzbank vor ihnen zu legen. Anschließend wurden<br />

sie an einen Ort verbracht, an dem eine „Befragung“ stattfand. Hierbei wurden die Soldaten, deren Augen nach<br />

wie vor verbunden waren, physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, um bei ihnen Stress zu erzeugen. Sie<br />

wurden lautstark befragt und mussten körperliche Übungen wie Liegestütze oder Kniebeugen machen. Zudem wurde<br />

ihnen gedroht, Kameraden zu schlagen oder zu erschießen, wenn sie nicht die gewünschten Antworten gaben. Zur<br />

möglichst realistischen Untermalung wurden die entsprechenden Geräusche (Schläge und Schüsse) simuliert. Während<br />

der Übung hatten die Soldaten - wie ihnen beim vorhergehenden Unterricht gesagt worden war - jederzeit die<br />

Möglichkeit, durch ein Handzeichen aus der Übung auszusteigen. Die früheren Mitangeklagten K. und H.<br />

hatten eine solche „Einsatzbezogene Zusatzausbildung“ bereits absolviert.<br />

3. Nachdem in der Vergangenheit auch außerhalb der drei festgelegten Standorte eine Ausbildung „Geiselnahme/Geiselhaft“<br />

durchgeführt worden war, die nicht derjenigen in den drei Ausbildungszentren entsprach und die bei<br />

einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte, wies das Heeresführerkommando der Bundeswehr<br />

in einem als „VS - nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten Schreiben vom 26. Februar 2004 darauf<br />

hin, dass diese Ausbildung ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ in den drei Ausbildungs-<br />

beziehungsweise Gefechtsübungszentren durchgeführt werden dürfe, da sie dort unter Anleitung des dafür<br />

speziell geschulten Personals erfolgen könne. Empfänger dieses Schreibens war auch die 7. Ausbildungskompanie in<br />

Coesfeld. Außerdem war in dem „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 die Ausbildung über das Thema „Verhalten in<br />

Geiselhaft“ ausschließlich dem Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum zugewiesen worden. Dass der Angeklagte<br />

dieses Schreiben oder den Befehl kannte, vermochte die Kammer nicht festzustellen.<br />

4. Anfang April 2004 begannen in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne etwa 80 Rekruten, von denen zirka die Hälfte<br />

Wehrdienstleistende waren, ihre dreimonatige Grundausbildung. Es wurden zwei Ausbildungszüge gebildet, deren<br />

Zugführer die ehemaligen Mitangeklagten Hauptfeldwebel D. und Ho. waren.<br />

a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Verlauf des zweiten Quartals 2004 kamen die beiden Zugführer<br />

auf die Idee, in der „Allgemeinen Grundausbildung“ in Coesfeld eine Geiselnahmeübung einzuführen. Vor<br />

dem 8. Juni 2004 fand auf deren Anordnung eine Ausbilderbesprechung statt, an der auch der Angeklagte teilnahm.<br />

Dabei wurde der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden Zugführer D. und Ho. beabsich-<br />

122


tigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen Nachtschießübung am 8. Juni 2004 gruppenweise auf einen nächtlichen<br />

Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem <strong>zum</strong> Schluss die „Geiselnahme“ mit anschließendem „Verhör“ erfolgen<br />

sollte. Weder der Orientierungsmarsch noch die Geiselnahmeübung standen auf dem für die Rekruten einsehbaren<br />

Dienstplan und waren diesen somit nicht bekannt.<br />

Die beiden Zugführer D. und Ho. teilten neben fünf weiteren Ausbildern den Angeklagten für das „Überfallkommando“<br />

ein. Sie sollten die Rekruten in den frühen Morgenstunden des 9. Juni 2004 überfallen, entwaffnen,<br />

fesseln und ihnen die Augen verbinden. Anschließend sollten die Rekruten auf der Ladefläche eines Pritschenwagens<br />

<strong>zum</strong> Standortübungsplatz gefahren werden, um in einer dortigen Sandgrube ihr „Verhör“ durchzuführen. Für dieses<br />

Verhör teilten die beiden Zugführer den früheren Mitangeklagten H. ein. Diesem sagte D. , das „Verhör“<br />

solle „etwa so wie in Hammelburg“, im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum, ablaufen, wo der frühere Mitangeklagte<br />

H. eine Geiselnahmeübung absolviert hatte.<br />

Das Landgericht sah sich nach „der bisherigen Beweisaufnahme“ nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung<br />

noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Die beiden Zugführer D.<br />

und Ho. teilten den Anwesenden mit, die geplante Geiselnahmeübung sei vom Kompaniechef „abgesegnet worden“.<br />

Tatsächlich hatte Hauptmann S. eine solche Übung auch genehmigt.<br />

b) Gegen Ende der Nachtschießübung am 8. Juni 2004 erklärten die beiden Zugführer D. und Ho. den<br />

angetretenen Rekruten, im Raum Coesfeld seien Terroristen gesichtet worden, das Gebiet müsse bestreift und sämtliche<br />

Auffälligkeiten müssten dokumentiert werden. Die Rekruten, die ihr gesamtes Marschgepäck und ihr Gewehr bei<br />

sich hatten, machten sich gruppenweise auf den Weg. Dabei marschierten die einzelnen Gruppen zeitlich versetzt<br />

ohne ihren planmäßigen Gruppenführer los. Die Rolle des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut übernehmen.<br />

Es gab keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass etwas Besonderes passieren könnte. Ein Kennwort, mit dem die<br />

Rekruten die Übung hätten beenden können, wurde ihnen nicht mitgeteilt. Lediglich manchen Rekruten war während<br />

ihres späteren Verhörs gesagt worden, um die Übung zu beenden, müssten sie nur das Wort „Tiffy“ nennen, das in<br />

der Grundausbildung als Synonym für „Schwächling“ oder „Weichei“ verwendet wurde und durchaus negativ behaftet<br />

war.<br />

c) Die sechs Beteiligten des „Überfallkommandos“ hatten einen Hinterhalt im Gelände eingerichtet. Sie trugen Bundeswehrkleidung,<br />

hatten aber teilweise ihre Dienstgradabzeichen und Namensschilder entfernt. Ihre Gesichter waren<br />

vermummt, um nicht auf den ersten Blick erkannt zu werden. Sie hatten Gewehre mit geladenen Manöverpatronengeräten<br />

dabei, teilweise auch ungeladene Pistolen und mehrere Übungsgranaten. Es waren auch Kabelbinder vor Ort.<br />

Spätestens jetzt besprachen die sechs Ausbilder, den Rekruten damit die Hände auf den Rücken zu fesseln, wobei<br />

vermieden werden sollte, dass die Kabelbinder in die Haut schnitten.<br />

Die erste Gruppe traf verspätet erst in den Morgenstunden des 9. Juni 2004 ein. Das „Überfallkommando“ lenkte die<br />

Rekruten zuerst ab und griff sie dann schreiend und schießend an. Die Rekruten waren im Allgemeinen zu überrascht<br />

und - nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch - <strong>zum</strong>eist auch zu erschöpft,<br />

um noch größere Gegenwehr zu leisten. Sie gingen durchweg davon aus, dass es sich bei den maskierten Angreifern<br />

um Bundeswehrangehörige handelte. In aller Regel kamen die Rekruten der Aufforderung, sich zu ergeben und sich<br />

auf den Boden zu legen, letztlich freiwillig nach. Bei manchen Rekruten halfen die Angreifer mit körperlichem<br />

Druck nach. Allerdings leisteten andere Rekruten auch Widerstand. So wurde der Zeuge L. von einem der<br />

Angreifer zu Boden gerissen, wo er auf dem Bauch <strong>zum</strong> Liegen kam. Damit er nicht wieder aufstehen konnte, drückte<br />

einer der Ausbilder ein Knie auf seinen Hals. Anschließend wurden L.<br />

s Hände mit den Kabelbindern<br />

auf den Rücken gefesselt und zusätzlich mit der Splitterschutzweste oder dem Koppeltragegestell verbunden,<br />

wodurch seine Arme nach oben gezogen wurden und er schmerzhaften Druck auf seinen Schultern verspürte. Als er<br />

sich gegen die Fesselung wehrte, nahm einer der Angreifer das Knie des Zeugen L. in einen Haltegriff, so<br />

dass dessen Bein verdreht wurde und er Schmerzen erlitt. Auch mit dem Zeugen R. gab es bei der Entwaffnung<br />

eine „kleine Rangelei“, bei der er aber nicht verletzt wurde. Der Zeuge Kl. wurde bei dem Überfall von<br />

hinten in einen Würgegriff genommen und zu Boden gebracht.<br />

Alle Rekruten mussten sich nach ihrer Entwaffnung hinknien oder auf den Bauch legen. Ihnen wurden die Hände mit<br />

Kabelbindern auf den Rücken gefesselt, wobei größtenteils darauf geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm anlagen.<br />

Der Zeuge Sc. wurde vom Angeklagten gefesselt. Als der Zeuge auf Frage erklärte, der Sitz der Kabelbinder sei<br />

„o.k.“, zog der Angeklagte die Kabelbinder bewusst noch fester zu, so dass sie nunmehr zu stramm saßen, dem Zeugen<br />

Schmerzen verursachten und es später Schwierigkeiten bereitete, ihn davon zu befreien. Deswegen wurde der<br />

Angeklagte wegen Misshandlung (§ 30 Abs. 1 WStG) verurteilt. Bei dem Versuch eines Ausbilders, sie mit einem<br />

Taschenmesser zu durchtrennen, trug der Zeuge Sc. eine leichte Schnittverletzung davon. Bei den meisten Soldaten<br />

hinterließen die Kabelbinder keine Spuren. Sechs Rekruten trugen jedoch Druckstellen an den Handgelenken<br />

123


davon; zwei erlitten Kratzer beziehungsweise kleine Schnittwunden an den Armen. Die Augen der Rekruten wurden<br />

mit einem Dreiecktuch verbunden; möglicherweise wurde einzelnen auch ein Wäschesack über den Kopf gezogen.<br />

d) Nachdem sämtliche Rekruten einer Gruppe wie geschildert außer Gefecht gesetzt worden waren, was zwischen<br />

fünf und zehn Minuten dauerte, wurden sie auf die Ladefläche eines Pritschenwagens verladen. Dabei wurde ein<br />

Rekrut „in den Lkw hineingezogen oder unsanft hineingeschoben“. Ein anderer kam nach dem Einladen auf einem<br />

Kameraden zu liegen und wieder ein anderer wurde auf den Lkw geschubst, wobei er sich das Knie schmerzhaft<br />

anstieß. Während der langsamen Fahrt zur etwa zwei Kilometer entfernten Sandgrube war einer der Angreifer - bei<br />

einer Fahrt auch der Angeklagte - auf dem Lkw dabei, um für Ruhe zu sorgen und zu verhindern, dass die Rekruten<br />

miteinander redeten. Kam ein Rekrut einer Anweisung nicht nach, so erhielt er einen leichten Schlag - <strong>zum</strong>eist auf<br />

den Helm. Dies war - mit Ausnahme der Schläge, die der Zeuge L. bezog - nicht schmerzhaft. Jedoch bekam<br />

ein Rekrut während der Fahrt aufgrund der beengten Platzverhältnisse einen schmerzhaften Krampf in den Beinen.<br />

e) Nach etwa fünf bis zehn Minuten Fahrt an der Sandgrube angekommen, wurden die Rekruten einzeln von der<br />

Ladefläche geholt, wobei darauf geachtet wurde, dass sie sich nicht verletzten. Fünf Rekruten fielen beim „Abladen“<br />

allerdings auf den Sandboden. Der Pritschenwagen fuhr mit dem Ausbilder zurück <strong>zum</strong> Überfallort, um auf die<br />

nächste Gruppe zu warten.<br />

Die Rekruten mussten sich in einem von dem Angeklagten H. und den ihm zur Unterstützung zugeteilten drei<br />

Hilfsausbildern mit Stacheldraht abgetrennten Bereich zunächst hinknien. Einige wurden angewiesen, sich mit ihrem<br />

Kopf an eine steile Sandwand anzulehnen. Es begann dann das vom Angeklagten H. geleitete „Verhör“. Dabei<br />

befragte er die Rekruten zuerst ganz allgemein in gebrochenem Englisch. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Die<br />

Rekruten waren auf eine solche Übung nicht vorbereitet worden, so dass sie nicht wussten, wie sie sich richtig zu<br />

verhalten hatten. Die schweigenden Rekruten und diejenigen, die unpassende Antworten gaben, unterzog der Angeklagte<br />

H. unterschiedlichen „Behandlungen“, die er sich ausgedacht hatte.<br />

So mussten sich einige Rekruten - mit nach wie vor auf dem Rücken gefesselten Händen - in einer Entfernung von<br />

etwa einem Meter einem Kameraden gegenüber hinknien. Beiden wurde dann der Oberkörper so weit nach vorne<br />

gezogen, bis sie sich mit ihren Helmen gegenseitig stützten. Dies führte dazu, dass beide in den Sand fielen, sobald<br />

einer von ihnen die Position nicht mehr halten konnte. Teilweise mussten sich die gefesselten Rekruten an einen<br />

Baum stellen und sich mit dem behelmten Kopf daran anlehnen. Ihnen wurden die Füße ebenfalls so weit zurückgezogen,<br />

bis sie ihre Stellung nur mit Mühe halten konnten. Wäre ein Rekrut abgerutscht, wäre er ohne die Möglichkeit<br />

des Abfangens umgefallen. Andere Rekruten wurden von den Kabelbindern befreit und mussten mit verbundenen<br />

Augen Liegestütze oder Kniebeugen machen. Den Zeugen B. fasste der Angeklagte H. dabei am Kragen<br />

und drückte ihn nach unten, wodurch die Ausführung der Liegestütze erheblich erschwert wurde und der Zeuge mit<br />

dem Kopf auf den Sandboden aufschlug. Wieder andere mussten allein oder zu zweit mit verbundenen Augen einen<br />

Baumstamm vor dem Körper oder über dem Kopf halten.<br />

Für den Fall, dass Rekruten Aufgaben nicht erfüllten oder Fragen des Angeklagten H. nicht beantworteten, gab es<br />

simulierte Erschießungen dergestalt, dass zunächst die Erschießung des Rekruten oder eines Kameraden angedroht<br />

und schließlich ein Feuerstoß aus dem Maschinengewehr abgegeben wurde.<br />

Aus einer mitgebrachten Kübelspritze wurden zahlreiche Rekruten mit Wasser bespritzt. Dem Zeugen L.<br />

wurde, während er von oben herab nass gespritzt wurde, gesagt, es werde auf ihn und seine Gruppe uriniert. Einigen<br />

Rekruten wurde Sand unter die Kleidung geworfen und wieder andere wurden mit beidem - Sand und Wasser -<br />

„traktiert“. Da der nasse Sand an der Kleidung haftete und auf der Haut rieb, führte dies bei zwei Rekruten dazu, dass<br />

sie sich beim anschließenden Marsch in die Kaserne die Oberschenkel wund liefen beziehungsweise sich ihre bereits<br />

vorhandenen wunden Stellen verschlimmerten.<br />

Einem anderen Teil der Rekruten pumpten der Angeklagte H. und ein Hilfsausbilder mit der Kübelspritze Wasser<br />

auch in den Mund, wobei ein anderer den Rekruten festhielt. Der Zeuge L. wurde im Laufe seiner Befragung<br />

auf den Rücken gelegt, was die Schmerzen in seinen Schultern verschlimmerte; dabei wurde er festgehalten.<br />

Zusätzlich wurde sein Mund gewaltsam geöffnet, indem der Angeklagte H. oder in dessen Beisein ein Hilfsausbilder<br />

mit der Hand Druck auf den Unterkiefer ausübte. In den geöffneten Mund wurde sodann mehrmals Wasser<br />

hineingepumpt, so dass der Zeuge L. keine Luft mehr bekam. Schließlich wurde ihm der Reißverschluss<br />

seiner Hose geöffnet, der Schlauch hineingesteckt und Wasser in die Hose gepumpt. Der Angeklagte H. verhöhnte<br />

ihn anschließend als „Bettnässer“. Als der Zeuge L. daraufhin seinerseits den Angeklagten H. beleidigte,<br />

bekam er, nachdem er gefragt worden war, ob er sterben wolle, einen metallischen Gegenstand an den Kopf<br />

gehalten und hörte einen Maschinengewehrverschluss einrasten. Dadurch geriet er in Panik, weil er dachte, ein echtes<br />

Maschinengewehr werde ihm an den Kopf gehalten, und er wusste, welche Verletzungen auch Platzpatronen in<br />

124


solchen Waffen verursachen können, wenn sie in unmittelbarer Nähe eines Menschen abgefeuert werden. Es fielen<br />

sodann tatsächlich auch mehrere Schüsse, wobei sich das Maschinengewehr aber in einiger Entfernung befand.<br />

Auch weiteren Rekruten wurde, während sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf<br />

dem Boden knieten oder lagen, Wasser in den Mund und/oder in die Nase gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei der<br />

Mund gewaltsam geöffnet oder die Nase zugehalten, damit sie den Mund öffneten. Einige Rekruten konnten dadurch<br />

nicht mehr richtig atmen oder verschluckten sich. Einem dieser Rekruten wurde zudem ebenfalls Wasser in die Hose<br />

gepumpt.<br />

f) Als der Angeklagte eine der Gruppen auf dem Pritschenwagen zur Sandgrube begleitet hatte, hatte er gesehen, wie<br />

Rekruten - noch immer gefesselt und mit verbundenen Augen - im Sand knieten oder auf ihren Fersen hockten. Der<br />

Zeuge Sc. wurde von dem früheren Mitangeklagten H. und dessen Hilfsausbildern mit der Kübelspritze nass<br />

gemacht und ihm wurde Sand unter die Kleidung geworfen. Anschließend wurde er von seinen Fesseln befreit und<br />

musste zusammen mit einem Kameraden einen Baumstamm halten. Da dieser zu schwer war, ließen sie ihn fallen,<br />

woraufhin ihnen ein leichterer gegeben wurde, den sie vor dem Körper halten mussten. Währenddessen befragte der<br />

Angeklagte, der in der Sandgrube verblieben war, den Zeugen Sc. nach dem Kompaniechef. Als dieser antwortete,<br />

er wisse das nicht, beschimpfte ihn der Angeklagte als „Motherfucker“. Als der Zeuge Sc. den Angeklagten<br />

daraufhin ebenfalls beleidigte und den Baumstamm fallen ließ, fasste ihn der Angeklagte an den Haaren, zog seinen<br />

Kopf nach hinten und sagte „Shoot him!“. Ob der Angeklagte davor wusste, was mit den Rekruten in der Sandgrube<br />

im Einzelnen geschah, konnte die Kammer nicht feststellen.<br />

g) Das „Verhör“ einer Gruppe dauerte jeweils etwa 30 Minuten. Danach wurden die Rekruten, soweit noch nicht<br />

geschehen, von Kabelbindern und Augenbinden befreit, bevor sie den Befehl erhielten, zur Kaserne zurück zu marschieren.<br />

Der Zeuge L. konnte, weil seine Schultern aufgrund der Fesselung derart stark schmerzten, nicht<br />

allein aufstehen, sondern musste von zwei Hilfsausbildern unterstützt werden. Im Anschluss an die Übung fand eine<br />

Nachbesprechung statt.<br />

5. Im dritten Quartal 2004 begannen etwa 160 Rekruten ihre Allgemeine Grundausbildung in der Freiherr-vom-<br />

Stein-Kaserne in Coesfeld, die auf drei Ausbildungszüge verteilt wurden. Zugführer waren unter anderem die beiden<br />

Hauptfeldwebel D. und Ho. . Der Angeklagte war als Gruppenführer im dritten Zug eingesetzt. Nach den<br />

Planungen der Zugführer D. und Ho. sollten auch in diesem Quartal Geiselnahmeübungen stattfinden -<br />

dieses Mal jedoch für jeden Zug gesondert. Zunächst sollte der dritte, von Hauptfeldwebel Ho. geführte Zug die<br />

Übung absolvieren.<br />

a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Tag vor dem 24. August 2004 fand deshalb wiederum eine Ausbilderbesprechung<br />

statt, an der auch der Angeklagte teilnahm. Dabei wurde erneut der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung<br />

erörtert. Die beiden Zugführer D. und Ho. beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen<br />

Schießübung des dritten Zuges am 24. August 2004, die sich bis in den späten Abend ziehen sollte, auf einen zuvor<br />

nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem sie <strong>zum</strong> Schluss überfallen, entwaffnet<br />

und gefesselt werden sollten. Anschließend sollten sie mit einem Fahrzeug <strong>zum</strong> „Verhör“ gebracht werden, das dieses<br />

Mal im Keller des Kasernenblocks 6, in dem der dritte Zug untergebracht war, stattfinden sollte.<br />

Der Angeklagte sollte seine Gruppe auf dem Marsch begleiten, damit sich die Gruppe nicht verläuft; er sollte also<br />

weder am Überfall noch am Verhör teilnehmen. Ob bei dieser Ausbilderbesprechung bereits Einzelheiten der Stationen<br />

„Überfall“ und „Verhör“ erörtert wurden, konnte das Landgericht nicht feststellen. Allerdings wurde zu der<br />

Station „Verhör“ gesagt, dass sich die entsprechenden Ausbilder am Vorgehen in der Sandgrube orientieren sollten.<br />

b) Nachdem die Rekruten des dritten Zuges am 24. August 2004 die dienstplanmäßige Schießübung absolviert hatten,<br />

kehrten sie gegen 0.00 Uhr zur Kaserne zurück. Von dem Zugführer Ho. wurde ihnen mitgeteilt, im Raum<br />

Coesfeld habe es terroristische Anschläge gegeben und die Bahnstrecke müsse gesichert werden. Die geplante Geiselnahme<br />

erwähnte er nicht. Allerdings erklärte er den Rekruten, dass sie die Übung jederzeit durch Nennung des<br />

Wortes „Tiffy“ beenden könnten. Nur wenige der Rekruten verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“; für<br />

die meisten hatte es keine spezielle Bedeutung. Die Rekruten wurden auf vier Gruppen aufgeteilt und marschierten<br />

zeitlich versetzt begleitet von ihrem jeweiligen Gruppenführer los.<br />

c) Währenddessen bereitete sich das „Überfallkommando“ - wie bereits bei der Übung im Juni 2004 - vor. Vor Ort<br />

wurden die daran Beteiligten von den Zugführern D. und Ho. eingewiesen. Die Rekruten sollten nach dem<br />

Überfall wiederum entwaffnet und gefesselt werden. Außerdem sollte ihnen ein Wäschebeutel über den Kopf gezogen<br />

werden. Beim Anlegen der Kabelbinder sollte erneut darauf geachtet werden, dass sie nicht in die Haut schnitten.<br />

Da sich der Angeklagte bei der Übung im zweiten Quartal im Überfallkommando befunden hatte, wusste er in<br />

etwa, was auf die Rekruten zukommen würde.<br />

125


In den frühen Morgenstunden des 25. August 2004 waren die Rekruten, auch die Gruppe des Angeklagten, die er<br />

begeleitete, nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch auf dem Rückweg zur Kaserne. Als sie an den Überfallort<br />

gelangten, verwirrten die Ausbilder die Rekruten durch den lauten Knall eines gezündeten Bodensprengsimulators<br />

und kamen laut schreiend aus ihrer Deckung. Auch hier waren die Rekruten aufgrund des langen Marsches und nach<br />

fast 24 Stunden Dienst zu erschöpft und auch zu überrascht, um noch größeren Widerstand zu leisten. Nach einem<br />

Schusswechsel leisteten die Rekruten der Aufforderung, die Waffe abzulegen und sich hinzulegen, Folge. Einige<br />

Rekruten wurden von den Ausbildern zu Boden gedrückt oder gerissen. Als sich der Zeuge P. verteidigen wollte,<br />

rammte ihm einer der Ausbilder die Schulterstütze eines Gewehres in den Rücken.<br />

Nachdem die Rekruten entwaffnet worden waren, wurden ihnen die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt,<br />

wobei größtenteils darauf geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm anlagen. Bei dem Zeugen Be. saßen<br />

sie aber so eng, dass er Druckspuren auf der Haut davontrug. Der Zeuge La. erlitt durch die Fesselung<br />

Schürfwunden und bei dem Zeugen P. , dem zusätzlich auch die Füße gefesselt wurden, schnitten die Kabelbinder<br />

in das Fleisch, so dass Abdrücke auf der Haut zu sehen waren. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel über<br />

den Kopf gezogen oder ihnen wurden die Augen mit einem Dreiecktuch verbunden. Neben dem Kopf des Zeugen<br />

La. wurde eine Pistole durchgeladen und ihm an die Schläfe gehalten.<br />

d) Anschließend wurden die Rekruten auf die Ladefläche eines herangefahrenen Mercedes Sprinters gesetzt und in<br />

das Fahrzeug hineingeschoben. Der Zeuge P. , der an Händen und Füßen gefesselt war, wurde <strong>zum</strong> Fahrzeug getragen<br />

und auf die Ladefläche gelegt. Auf der folgenden Fahrt zur Kaserne fuhren zwei Ausbilder auf der Ladefläche<br />

mit, um die Rekruten zu befragen und um für Ruhe zu sorgen. Als der Zeuge P. , der mit seinem Bauch auf dem<br />

Knie eines Kameraden lag und deshalb schlecht Luft bekam, versuchte, sich aufzurichten, wurde er von einem der<br />

Ausbilder niedergedrückt und geschlagen, wodurch er Schmerzen erlitt. Der Zeuge N. wurde mit der Schulterstütze<br />

eines Gewehrs angestoßen, was „nicht übertrieben weh tat, aber auch nicht angenehm“ war. Dem Zeugen M.<br />

wurde, wenn er eine Frage falsch beantwortet hatte, der Mündungsfeuerdämpfer eines Gewehres in seine Oberschenkelregion<br />

gedrückt, was Schmerzen verursachte.<br />

Auch der Angeklagte fuhr mit dem Sprinter zurück zur Kaserne. Für die Kammer blieb jedoch offen, ob er sich dabei<br />

auf der Ladefläche oder in dem abgetrennten Führerhaus befand.<br />

e) Nach kurzer Fahrt in der Kaserne angekommen fuhr das Fahrzeug rückwärts an eine auf dem Boden ausgelegte,<br />

etwa 40 cm dicke Hochsprungmatte heran. Zum „Abladen“ wurden die Rekruten bis an die Ladekante des Sprinters<br />

gezogen und sie wurden dann entweder <strong>zum</strong> Springen aufgefordert oder hinunter gestoßen. Dadurch sollte bei den<br />

Rekruten, die nichts sehen konnten, Angst und Unsicherheit erzeugt werden. Daran beteiligte sich auch der Angeklagte,<br />

indem er die Rekruten <strong>zum</strong> Springen aufforderte.<br />

f) Sodann wurden die Rekruten in den Keller des Kasernenblocks 6 gebracht. Die Rekruten sollten sich zunächst in<br />

einem Kellerraum hinknien und wurden weiterhin befragt. Dann wurden sie nacheinander in einen anderen Raum<br />

gebracht und dort weiter verhört. Als der Zeuge P. als einziger im ersten Raum war und versuchte die Tür zuzuschlagen,<br />

um sich zu befreien, stieß ihn ein Ausbilder in eine Ecke, wo er mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Der<br />

Zeuge P. wurde anschließend in einem anderen Raum auf einen Stuhl gesetzt und weiter befragt. Als er weiterhin<br />

nicht antwortete, wurde er mit einem harten, länglichen Gegenstand fest auf Arme, Beine und Rücken geschlagen.<br />

Dies bereitete ihm Schmerzen. Nachfolgend wurde er in einen anderen Raum gebracht, wo seine Kleidung mit Wasser<br />

durchnässt wurde, während er weiterhin befragt wurde. Schließlich wurde er in den Kellerflur hinausgebracht, wo<br />

er sich hinknien musste. Dort blies ihm ein Ausbilder Rauch unter das Dreiecktuch und es wurde ihm ein heißer<br />

Gegenstand an seinen Nacken gedrückt.<br />

Dem Zeugen La. wurde während der Befragung mit einer Lampe ins Gesicht gestrahlt. Danach musste er sich<br />

in einem anderen Raum hinknien und mit dem Kopf auf einem Waschbecken abstützen. Nachdem er in dieser Stellung<br />

einige Zeit ausgeharrt hatte, wurde seine Feldbluse aufgeknöpft und er wurde - ebenso wie drei weitere Rekruten<br />

- mit Wasser nass gemacht. Der Zeuge Bä. musste sich hinknien und seinen Kopf an die Wand anlehnen. In<br />

dieser Haltung wurde er dann befragt. Gab er keine Antworten, bekam er einen Schlag auf den Helm. Der Zeuge Be.<br />

wurde im Keller herum und gegen die gepolsterten Wände geschubst. Auch dem Zeugen Ha. wurde Zigarettenrauch<br />

ins Gesicht geblasen. Außerdem wurde er mit einem Eimer Wasser übergossen und ihm der leere Eimer auf<br />

den Kopf gestellt, wodurch er sich gedemütigt fühlte.<br />

g) Nach etwa 30 bis 45 Minuten war die Übung für die Gruppe des Angeklagten beendet. Die Rekruten wurden von<br />

den Kabelbindern befreit und konnten auf ihre Stube gehen. Bei dem Zeugen P. saßen die Kabelbinder allerdings<br />

so streng, dass sie zunächst nicht gelöst werden konnten und erst von einem Kameraden mit einem Messer durchtrennt<br />

werden mussten.<br />

126


Für die Kammer ließ sich in der Beweisaufnahme nicht klären, wo sich der Angeklagte während des gesamten Verhörs<br />

seiner Gruppe im Keller aufhielt. Der Angeklagte hatte zwar gesehen, wie der Zeuge Be. in einem Vernehmungsraum<br />

auf einem Stuhl saß. Ob er auch mitbekommen hat, was im Keller mit den anderen Rekruten geschehen<br />

war, konnte die Kammer nicht klären.<br />

h) Auch die übrigen Gruppen des dritten Zuges wurden im Laufe der Nacht überfallen, gefesselt und in dem Keller<br />

verhört. Aufgrund der Beweisaufnahme steht für die Kammer jedoch nicht fest, dass der Angeklagte daran beteiligt<br />

war.<br />

Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte der Zugführer Ho. den Rekruten des dritten Zuges, wie sie sich bei einer<br />

Geiselnahme richtig zu verhalten hätten.<br />

II.<br />

Der Revision des Angeklagten bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 9. Oktober<br />

2008 und in der Revisionshauptverhandlung dargelegten Gründen der Erfolg versagt, da eine Überprüfung des Urteils<br />

weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat.<br />

III.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung<br />

in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung in zwei tatmehrheitlichen Fällen erstrebt,<br />

hat Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat den Angeklagten lediglich im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen der strengen Fesselung des<br />

Zeugen Sc. mit den Kabelbindern einer Misshandlung nach § 30 Abs. 1 WStG für schuldig befunden. Bezüglich<br />

der weiteren Geschehnisse bei dieser Übung sowie im Hinblick auf den Vorfall am 24./25. August 2004 hat es eine<br />

Strafbarkeit hingegen verneint. Jedoch wird schon die Annahme der Kammer, dass sich der Angeklagte im Fall II.1<br />

der Urteilsgründe bezüglich des Geschehens in der Sandgrube nicht strafbar gemacht habe, da er sich das, was „später<br />

der frühere Mitangeklagte H. in der Sandgrube mit den Rekruten angestellt hat“ (UA S. 42), nicht zurechnen<br />

lassen müsse, weil es keinen gemeinsamen Tatplan gegeben habe, von den Urteilsfeststellungen nicht getragen und<br />

ist rechtsfehlerhaft.<br />

a) Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender<br />

Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür sind der Grad des eigenen Tatinteresses, der<br />

Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille hierzu, so dass Durchführung und Ausgang<br />

der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13<br />

m.w.N.). Zwar haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - <strong>zum</strong>indest bedingten - Vorsatzes,<br />

ist also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen<br />

nicht zur Last fällt. Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des<br />

Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders<br />

vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die<br />

Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann<br />

bei einem mehraktigen Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt,<br />

wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet<br />

(vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 3). Diese Maßstäbe hat die Strafkammer ihrer rechtlichen<br />

Beurteilung nicht hinreichend zu Grunde gelegt.<br />

b) Nach den Feststellungen des Landgerichts wusste der Angeklagte aufgrund der vorangegangenen Ausbilderbesprechung,<br />

dass die unter anderem von ihm ausgeführten Überfälle der Ermöglichung der nachfolgenden Befragungen<br />

dienten, die „etwa so wie in Hammelburg … ablaufen“ (vgl. UA S. 9) sollten. Diese Art und Weise der Durchführung<br />

der Verhöre teilte der Zugführer D. ausweislich der Urteilsgründe dem früheren Mitangeklagten H.<br />

bei dieser Besprechung mit. Der Senat muss diese Urteilsausführungen („in der Besprechung“) dahin verstehen, dass<br />

dies für alle an der Ausbilderbesprechung Beteiligten hörbar war. Die Urteilsausführungen belegen zudem, dass<br />

sämtlichen Beteiligten - insbesondere aufgrund ihrer eigenen Ausbildung bei der Bundeswehr und wie das Fehlen<br />

einer Nachfrage zeigt - bewusst war, dass das Verhör - wie auch bei den Geiselnahmeübungen im Rahmen der „Einsatzbezogenen<br />

Zusatzausbildung“ - jeweils unter psychischen und physischen Belastungen erfolgen sollte, um bei<br />

den Rekruten Stress zu erzeugen. Auch wenn - was das Landgericht „aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme“<br />

nicht zu klären vermochte - weitere Einzelheiten dazu von den Beteiligten nicht erörtert wurden und der Angeklagte<br />

nicht wusste, was in der Sandgrube letztlich im Einzelnen geschah, liegt es aufgrund der sonstigen Feststellungen<br />

nahe, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten (dazu näher unten<br />

Ziffer III.4.b) kommen würde. Hinzukommt, dass sich der Angeklagte selbst jedenfalls zeitweilig in der Sandgrube<br />

aufhielt und sich aktiv an der Befragung des Zeugen Sc. beteiligte. Hierbei ging er sogar soweit, dass er den<br />

127


Rekruten, nachdem dieser einen Baumstamm, den er zusammen mit einem Kameraden vor seinem Körper hätte<br />

halten sollen, fallen gelassen hatte, beleidigte, an den Haaren fasste und seinen Kopf nach hinten zog. Jedenfalls<br />

legen die gemeinsame Erörterung der Geiselnahmeübung ohne weitere Nachfrage zu den Einzelheiten im Zusammenhang<br />

mit der nachfolgenden aktiven Beteiligung des Angeklagten an dieser Übung nahe, dass ihm die genaue<br />

Vorgehensweise bei den Verhören in der Sandgrube <strong>zum</strong>indest gleichgültig war.<br />

Absprachegemäß hat der Angeklagte die Verhöre und auch die damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigungen<br />

der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten dadurch ermöglicht, dass er diese gemeinsam mit weiteren Ausbildern<br />

überfallen, entwaffnet, gefesselt und zur Sandgrube verbracht hat. Dabei hatten sie bezüglich der konkreten<br />

Ausgestaltung dieses Teils der Übung freie Hand. Die Beiträge des „Überfallkommandos“ und derjenigen, die das<br />

Verhör durchführten, ergänzten sich - dem Tatplan entsprechend - arbeitsteilig. Die Feststellungen lassen keinen<br />

Zweifel daran, dass der Angeklagte bei seinem eigenen Handeln bei den Überfällen und bei der Befragung des Zeugen<br />

Sc. in der Sandgrube - insbesondere aufgrund der im Rahmen der Ausbildung ansonsten unüblichen nicht nur<br />

kurzzeitigen Fesselung mit Kabelbindern, der teils gewaltsamen Überwältigungen und der Behandlung des Zeugen<br />

Sc. - die erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens der Rekruten <strong>zum</strong>indest billigend in Kauf<br />

genommen hat. Die in diesem Zusammenhang festgestellte körperliche Misshandlung der Rekruten wäre dann von<br />

seinem Willen umfasst. Die Vorgehensweise bei den Überfällen und der Befragung durch den Angeklagten selbst<br />

und die damit zusammenhängenden Beeinträchtigungen für die Rekruten unterschieden sich nicht wesentlich von<br />

denjenigen bei den Geschehnissen bei den übrigen Befragungen. Allein die Steigerung der Intensität einzelner Handlungen<br />

bei den Verhören - wie etwa dem Pumpen von Wasser in Mund und Nase bis zur Atemnot - bewirkt nicht,<br />

dass die Geiselnahmeübung insgesamt eine andere, von dem Angeklagten nicht mehr vorgestellte Qualität der Beeinträchtigung<br />

der körperlichen Unversehrtheit gehabt hätte. Aufgetretene Exzesse sind lediglich im Rahmen des<br />

Schuldumfangs der einzelnen Beteiligten von Bedeutung.<br />

c) Der vom Landgericht vorgenommenen Differenzierung zwischen dem Überfall einerseits und dem Verhör andererseits<br />

kann daher nicht gefolgt werden. Das Überwältigen der Rekruten ermöglichte erst das anschließende Verhör<br />

und bildete einen unverzichtbaren Bestandteil der insgesamt unzulässigen (dazu unten Ziffer III.4.c) Geiselnahmeübung.<br />

Der an dieser Übung beteiligte Angeklagte muss sich deshalb die Geschehnisse der gesamten Übung zurechnen<br />

lassen, soweit sie von dem gemeinsam gefassten Tatplan gedeckt sind und es sich nicht um einzelne Exzesse<br />

handelte. Jedenfalls die von den Rekruten in der Sandgrube auszuführenden Zwangshaltungen, Kniebeugen, Liegestütze,<br />

das Haltenmüssen von Baumstämmen und die Scheinerschießungen stimmen nach den Urteilsfeststellungen<br />

nach Art und Intensität der Beeinträchtigung mit den Vorgehensweisen bei den zulässigen Geiselnahmeübungen, die<br />

unter anderem in Hammelburg durchgeführt werden, überein, so dass dies nahe liegend von dem gemeinsamen Tatplan<br />

umfasst und somit dem Angeklagten zurechenbar war.<br />

d) Unabhängig davon erfüllt entgegen der Auffassung des Landgerichts bereits der Umstand, dass der Angeklagte im<br />

Rahmen der Befragung des Zeugen Sc. in der Sandgrube dessen Kopf an den Haaren nach hinten gezogen hat,<br />

nachdem dieser zuvor - wie der Angeklagte mitbekommen hatte - in gefesseltem Zustand mit Wasser nass gemacht<br />

und ihm Sand unter die Kleidung geworfen worden war, bevor er bis zur Erschöpfung einen Baumstamm halten<br />

musste, den Tatbestand der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 WStG (zu § 31 WStG<br />

vgl. unten Ziffer III.7). Insofern bedarf es auch keiner weiteren Erörterung, dass diese Vorgehensweise selbstredend<br />

nicht von der Anordnung einer vermeintlich rechtmäßigen Übung gedeckt war.<br />

2. Auch im Fall II.2 der Urteilsgründe nimmt die Kammer bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten<br />

wegen seiner Beteiligung an der Geiselnahmeübung vom 25. August 2004 rechtsfehlerhaft eine Aufspaltung der<br />

Geschehnisse vor und bewertet deren einzelne Abschnitte jeweils isoliert. Der Angeklagte leistete auch in diesem<br />

Fall einen notwendigen Beitrag zur Durchführung der Geiselnahmeübung, indem er seine Gruppe - offensichtlich um<br />

Verspätungen wie beim ersten Mal zu vermeiden - <strong>zum</strong> Überfallort und nach dem Überfall den Transport der Rekruten<br />

begleitete sowie bei deren „Abladen“ tätig war. Dafür, dass dem Angeklagten zudem hier die vom gemeinsamen<br />

Tatplan gedeckte Geiselnahmeübung schon deshalb in ihrer Gesamtheit zurechenbar ist, soweit nicht einzelne Exzesse<br />

vorlagen, spricht, dass er die vorangegangenen Vorgänge in der Sandgrube teilweise miterlebt hatte und daher<br />

nahe liegend wissen musste, was die Rekruten zu erwarten hatten.<br />

Der Senat kann daher offen lassen, ob der „Abladevorgang“, durch den ein Gefühl von Angst und Unsicherheit bei<br />

den Rekruten erzeugt werden sollte, für sich genommen eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen<br />

Unversehrtheit darstellt.<br />

3. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen der Kammer, wonach sie im Fall II.1 der Urteilsgründe<br />

im Hinblick auf das Geschehen bei den Überfällen „nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten nur von<br />

dem ausgehen“ könne, „was den Rekruten im Regelfall passiert“ sei „und woran der Angeklagte auch nach seiner<br />

128


eigenen Einlassung beteiligt war“ (UA S. 44). Auch insofern sind die Grundsätze der mittäterschaftlichen Begehungsweise<br />

unzulänglich angewendet.<br />

Wie bereits dargelegt, haftet jeder Mittäter im Rahmen seines - <strong>zum</strong>indest bedingten - Vorsatzes für das Handeln der<br />

anderen. Dabei werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles<br />

gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat. So<br />

verhält es sich hier. Vereinbarungsgemäß „überfiel“, entwaffnete und fesselte der Angeklagte gemeinsam mit weiteren<br />

Ausbildern die unvorbereiteten Rekruten. Bei einem - schon aufgrund der nicht vorhersehbaren Reaktionen der<br />

Soldaten - derart unkontrollierbaren Geschehen liegt es gleichfalls nahe, dass die Beteiligten - entgegen der Auffassung<br />

des Landgerichts, das insofern von „Ausnahmen“ ausgeht (UA S. 43) - selbstverständlich damit rechneten, dass<br />

sich Soldaten zur Wehr setzen und es zu tätlichen, auch schmerzhaften Auseinandersetzungen - wie etwa mit dem<br />

Zeugen L. - kommt. In diesem Fall hätte der Angeklagte nach den Feststellungen insofern jedenfalls mit<br />

bedingtem Vorsatz gehandelt und müsste sich damit diese Geschehnisse zurechnen lassen. Dabei kommt es nicht<br />

darauf an, dass er selbst an der konkreten Auseinandersetzung mit dem einzelnen, betroffenen Rekruten nicht beteiligt<br />

war.<br />

4. Die Beteiligung des Angeklagten an der gegenständlichen Geiselnahmeübung in den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe<br />

stellt entgegen der Ansicht des Landgerichts jeweils eine körperliche Misshandlung i.S.d. § 30 Abs. 1 WStG,<br />

§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar. Der Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand<br />

des § 223 Abs. 1 StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraus, die<br />

dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt (BGHSt 14, 269, 271). Die Beurteilung<br />

der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven Empfinden<br />

des Betroffenen - und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden Beeinträchtigung<br />

(vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 223 Rdn. 4a m.w.N.).<br />

a) An diesen Maßstäben gemessen stellen - wovon auch die Kammer im Ansatz zutreffend ausgeht (vgl. UA S. 44) -<br />

bereits das Überfallen und Überwältigen der Rekruten, ihre Fesselung mit Kabelbindern - erst recht die Fesselung an<br />

Händen und Füßen in einem Fall - über einen erheblichen Zeitraum, das Verbinden ihrer Augen, ihr Verladen auf die<br />

Ladefläche eines Tranporters und der anschließende unzulässige Transport, bei dem die nach wie vor gefesselten<br />

Soldaten mit verbundenen Augen teils übereinander lagen und in keiner Weise während der Fahrt gesichert waren,<br />

sowie die hierbei teilweise verabreichten Schläge jeweils für sich genommen eine erhebliche Beeinträchtigung des<br />

körperlichen Wohlbefindens dar. Dies gilt umso mehr, als die Rekruten nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen<br />

Orientierungsmarsch mit ihrem gesamten Marschgepäck und ihrem Gewehr <strong>zum</strong>eist ohnehin erschöpft<br />

waren.<br />

b) Zudem beeinträchtigte die Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit - sprich die Überfälle und die sich anschließenden<br />

Verhöre der Rekruten -, worauf maßgeblich abzustellen ist (vgl. oben Ziffer III.1.c), das körperliche Wohlbefinden<br />

der Rekruten mehr als bloß unerheblich. Die Rekruten wurden dieser „Behandlung“ über einen Zeitraum von<br />

jedenfalls 30 Minuten unterzogen. Zum Teil waren sie während der gesamten Zeit mit den Kabelbindern gefesselt.<br />

Teilweise mussten sie zusätzlich über erhebliche Zeiträume in anstrengenden Zwangspositionen (etwa mit weit vorgebeugtem<br />

Oberkörper einem Kameraden gegenüber kniend) verharren (vgl. zur körperlichen Misshandlung durch<br />

Zwangshaltungen bereits RMG 3, 119, 121) oder kräftezehrende Übungen (Liegestütze, Kniebeugen, Halten von<br />

Baumstämmen) absolvieren, obwohl sie - wie dargestellt - überwiegend aufgrund der vorangegangenen körperlichen<br />

Anstrengungen sowieso bereits am Ende ihrer körperlichen Möglichkeiten waren und damit die auferlegten Aufgaben<br />

und die übrige Behandlung als bloße Quälerei empfinden mussten.<br />

c) Die Geiselnahmeübung ist auch eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper der betroffenen Rekruten,<br />

da sie offensichtlich den geltenden Dienstvorschriften zuwiderlief und es an einem rechtmäßigen Befehl fehlte.<br />

aa) Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung gegeben ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen<br />

Dienstes, der seiner Natur nach hohe körperliche Anforderungen an den Soldaten stellt. Mutet ein Vorgesetzter<br />

im Rahmen seiner allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der Ausbildung einem Soldaten besondere Anstrengungen<br />

zu und verstößt er dabei nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen, rechtmäßige Dienstvorschriften<br />

und Befehle, so fehlt es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271).<br />

Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung<br />

aller staatlichen Gewalt. Dies gilt auch für die Gewährleistung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß<br />

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Gebote bilden die Grundlage der Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland<br />

(vgl. § 10 Abs. 4 SG) und bedürfen im militärischen Bereich besonderer Beachtung. Nach der eindeutigen Regelung<br />

des § 6 Satz 1 SG hat der Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Gemäß<br />

§ 6 Satz 2 SG werden die grundrechtlichen Garantien lediglich im Rahmen der Erfordernisse des militärischen<br />

129


Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Die körperliche Integrität der Untergebenen innerhalb<br />

der Bundeswehr genießt einen hohen Stellenwert. Es gilt der Grundsatz, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen<br />

niemals anfassen darf, außer es steht zur unmittelbaren Durchsetzung eines rechtmäßigen Befehls kein anderes<br />

Mittel zur Verfügung (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1999, 321, 322 m.w.N.).<br />

bb) Vorliegend stellt die Durchführung der Geiselnahmeübungen jeweils einen klaren Verstoß gegen die geltenden<br />

Vorschriften der Bundeswehr und die Grundrechte der betroffenen Rekruten dar. Eine praktische Übung „Geiselnahme/Verhalten<br />

in Gefangenschaft“ ist und war auch zur Tatzeit nach den geltenden Ausbildungsregeln der Bundeswehr<br />

für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten nicht vorgesehen und damit mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage<br />

nicht zulässig. Eine derartige Übung kam ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen<br />

Zusatzausbildung“ für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger Dienende oder Berufssoldaten, die ihre Ausbildung<br />

bereits abgeschlossen hatten und vor einem Auslandseinsatz standen, in Betracht. Selbst diese Spezialübung<br />

darf ausschließlich an drei besonderen Bundeswehrstandorten durchgeführt werden. Vorschriftsgemäß hat dem praktischen<br />

Teil eine Unterrichtseinheit mit psychologischer Betreuung vorauszugehen. Eine tätliche Konfrontation mit<br />

den Soldaten oder gar eine Fesselung findet nicht statt. Zudem können die Soldaten die Übung, auf die sie vorbereitet<br />

worden sind, durch ein Handzeichen jederzeit beenden.<br />

Obgleich unzulässig, wurden aber nicht einmal diese Standards für die Durchführung derartiger Spezialübungen<br />

beachtet. Eine vorbereitende Unterrichtseinheit fand nicht statt. Die ohnehin <strong>zum</strong>eist erschöpften Rekruten wurden<br />

nach rund 24-stündigem Dienst und einem kräftezehrenden nächtlichen Orientierungsmarsch außergewöhnlichen, bei<br />

solchen Spezialübungen nicht zulässigen zusätzlichen physischen Belastungen (etwa in Form des gewaltsamen<br />

Überwältigens mit tätlichen Auseinandersetzungen, der Fesselung oder des ungesicherten Transports auf einem<br />

Transporter), aber auch psychischen Belastungen ausgesetzt und damit in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit<br />

verletzt. Dies verstieß evident gegen gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften und Befehle, § 10 Abs.<br />

4 SG.<br />

5. Rechtsfehlerhaft ist aber auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte hätte sich in einem den Vorsatz<br />

ausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 StGB befunden, weil er von der Rechtmäßigkeit der Übung<br />

ausgegangen sei. Denn der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten sei durch gesetzliche Bestimmungen,<br />

Dienstvorschriften oder einen rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt, unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund<br />

des § 5 Abs. 1 WStG.<br />

a) § 11 Abs. 2 Satz 1 SG verbietet den Gehorsam gegenüber einem Befehl, wenn der Untergebene dadurch eine<br />

Straftat begeht. Ein solcher strafrechtswidriger Befehl ist unverbindlich (vgl. BGHSt 19, 231, 232; Dau in<br />

Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 5 WStG Rdn. 2). Ein Befehl, dem die Verbindlichkeit fehlt, kommt lediglich als Entschuldigungsgrund<br />

in Betracht. Der Untergebene, der eine strafrechtswidrige Weisung ausführt, handelt tatbestandsmäßig<br />

und rechtswidrig, selbst wenn er an die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Anordnung glaubt (vgl.<br />

Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts - AT 5. Aufl. § 46 I.2 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SG und § 5<br />

Abs. 1 WStG trifft einen Untergebenen, der auf Befehl eine rechtswidrige Tat begeht, die den Tatbestand eines<br />

Strafgesetzes verwirklicht, eine Schuld aber nur dann, wenn er erkennt, dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt,<br />

oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist (vgl. BGHSt 19, 231, 232).<br />

b) Erkennen verlangt hierbei positive Kenntnis, sicheres Wissen (vgl. BGHSt 22, 223, 225 zu § 47 MStGB). Erkennt<br />

der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie unzutreffend oder hat er insoweit Zweifel,<br />

so handelt er nur dann schuldhaft, wenn die Strafrechtswidrigkeit nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich<br />

ist. § 17 StGB ist im Rahmen des § 5 WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung der militärischen Befehlsverhältnisse<br />

nicht anwendbar (BGHSt 5, 239, 244; 22, 223, 225 zu § 47 MStGB).<br />

Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu verstehen. Er umfasst das, was jedermann ohne weiteres Nachdenken<br />

erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die Erkenntnisfähigkeit<br />

eines gewissenhaften, pflichtbewussten Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen<br />

sind allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände - und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände,<br />

sondern alle für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen Umstände - wie etwa die Kenntnis von vorangegangenen<br />

Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen, Dienstvorschriften und dergleichen (Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz<br />

4. Aufl. § 5 Rdn. 13; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 5 WStG Rdn. 10). Auch wenn einem Untergebenen<br />

regelmäßig keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich<br />

zu unverzüglichem Gehorsam verpflichtet ist, so muss er dennoch Gegenvorstellung erheben oder den Gehorsam<br />

verweigern, wenn er aufgrund der ihm bekannten Umstände der Überzeugung ist oder er ohne den berechtigten<br />

Vorwurf der Rechtsblindheit die Überzeugung haben müsste, dass der Befehl strafrechtswidrig ist (vgl. Stauf in<br />

Nomos - Erläuterungen <strong>zum</strong> <strong>Deutsche</strong>n Bundesrecht § 5 WStG; BGHSt 19, 231, 233).<br />

130


c) Dies hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße bedacht. Sollte sich das nun zur Entscheidung berufene<br />

Tatgericht aufgrund der neu durchzuführenden Beweisaufnahme die Überzeugung davon verschaffen können, dass<br />

der Angeklagte die <strong>zum</strong> jeweiligen Tatzeitpunkt geltende AnTrA1 und/oder das Schreiben des Heeresführerkommandos<br />

vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 gekannt oder aufgrund<br />

anderer Umstände um die Unzulässigkeit einer Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ in der „Allgemeinen<br />

Grundausbildung“ gewusst hat, wofür die Diskussion über die Frage der Genehmigung durch den Kompaniechef<br />

spricht, so ist er - unabhängig von seinen persönlichen Beiträgen - insgesamt für seine Beteiligung an den<br />

beiden Übungen strafrechtlich verantwortlich.<br />

Im Übrigen legen bereits die bisherigen Feststellungen - insbesondere die Diskussion unter den Ausbildern über eine<br />

Änderung der AnTrA1 in Bezug auf eine künftige Zulässigkeit von Geiselnahmeübungen in der Grundausbildung -<br />

den Schluss nahe, dass die Strafrechtswidrigkeit der Übung und der diesbezüglichen „Genehmigung“ des Kompaniechefs<br />

für die Beteiligten jedenfalls offensichtlich im Sinne des § 5 Abs. 1 WStG war. Dies gilt umso mehr, als Art<br />

und Weise der Durchführung der Übung von den bei der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ geltenden Standards<br />

abwichen, was die Beteiligten aufgrund ihrer eigenen Ausbildung wussten. Für diesen Fall hätte der Angeklagte den<br />

strafrechtswidrigen, unverbindlichen Befehl nicht ausführen dürfen.<br />

6. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung einer etwaigen Fehlvorstellung hält die Beweiswürdigung des Landgerichts<br />

hinsichtlich der subjektiven Tatseite sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Zum einen legt die Strafkammer<br />

eine entlastende Einlassung des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt,<br />

den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde. Zum anderen ist die Beweiswürdigung des<br />

Landgerichts insofern lückenhaft und widersprüchlich.<br />

a) Die Feststellung der Strafkammer, der Angeklagte sei jeweils von einem im Rahmen der militärischen Ausbildung<br />

sozial adäquaten Tun und von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, beruht auf dessen<br />

Einlassung, die die Kammer, ohne dass es dafür tatsächliche, objektive Anhaltspunkte gegeben hätte, als unwiderlegt<br />

angesehen hat. Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten aber die gleichen Anforderungen zu stellen<br />

sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, darf der Tatrichter diese seiner Entscheidung nur dann zu Grunde<br />

legen, wenn er in seine Überzeugungsbildung auch die Beweisergebnisse einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit<br />

der Einlassung sprechen können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527 - insofern nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331 ff.).<br />

Dies hat die Kammer nicht getan.<br />

b) Sie hat zwar die zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Umstände wie die Anordnung der Übung durch die<br />

Zugführer sowie deren Mitteilung über die Genehmigung durch den Kompaniechef, den früheren Mitangeklagten S.<br />

, berücksichtigt. Belastende Indizien, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit Zweifel an einem Irrtum aufkommen lassen<br />

und darauf hindeuten, dass dem Angeklagten - ebenso wie den übrigen Beteiligten an dieser Übung - der Verstoß<br />

gegen die geltenden, ihm bekannten Ausbildungsvorschriften der Bundeswehr bewusst und ihm daher die Rechtmäßigkeit<br />

seines Handelns <strong>zum</strong>indest gleichgültig war, hat sie aber nicht erkennbar in die Beweiswürdigung eingestellt.<br />

aa) So setzt sich die Strafkammer nicht mit der Tatsache auseinander, dass der Angeklagte als Hilfsausbilder eine<br />

zusätzliche, weitergehende Ausbildung erhalten hatte und ihm in diesem Zusammenhang die Ausbildungsziele und<br />

die Bestandteile der „Allgemeinen Grundausbildung“ von Rekruten bekannt gemacht sein mussten.<br />

bb) Das Landgericht geht außerdem nicht auf die sich aufdrängende Frage nach dem Grund für die Mitteilung der<br />

beiden Zugführer D. und Ho. bei der Ausbilderbesprechung über die „Absegnung“ der Übung durch den<br />

Kompaniechef ein. Dies könnte dafür sprechen, dass die Rechtmäßigkeit des Vorhabens Gegenstand der Diskussion<br />

war; wenn es hierfür eine allgemein gültige Dienstanweisung gegeben hätte, wäre diese Frage kaum aufgetaucht,<br />

sondern einfach hierauf verwiesen worden.<br />

cc) Unerwähnt lässt die Kammer zudem Folgendes: Nach den Urteilsfeststellungen war es „in der Bundeswehr vorgekommen,<br />

dass auch außerhalb (der) drei benannten Ausbildungszentren eine Ausbildung „Geiselnahme/Geiselhaft“<br />

durchgeführt worden war, die nicht der Ausbildung in den Ausbildungszentren der Bundeswehr entsprach<br />

und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte“. Deshalb war in einem<br />

entsprechenden Schreiben des Heeresführerkommandos sowie in dem „Befehl 38/10“ auf die Unzulässigkeit derartiger<br />

Übungen in der „Allgemeinen Grundausbildung“ und außerhalb der vorgesehenen Ausbildungszentren hingewiesen<br />

worden (UA S. 7/8). Angesichts dessen erscheint es auch im Hinblick auf die Gespräche der Ausbilder über eine<br />

künftige Änderung der AnTrA1 eher abwegig, dass gerade darüber innerhalb der Kompanie des Angeklagten nicht<br />

gesprochen wurde beziehungsweise dies unerwähnt blieb.<br />

dd) Letztlich gibt die Kammer auch nicht zu erkennen, worauf sie ihre Auffassung stützt, dass nicht festzustellen<br />

war, dass der Angeklagte das Schreiben des Heeresführungskommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den<br />

„Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 kannte. Soweit das Tatgericht lediglich darauf verweist, dass selbst der ehemali-<br />

131


ge Mitangeklagte Hauptmann S. erklärt habe, dass ihm - obwohl Kompaniechef - beide Schreiben nicht bekannt<br />

gewesen seien, genügt dies nicht. Die Kammer hat sich mit der Glaubhaftigkeit dieser Einlassung nicht auseinandergesetzt,<br />

obwohl sich die Frage aufdrängen musste, ob dieser frühere Mitangeklagte nicht ein gewisses Eigeninteresse<br />

verfolgt. Unberücksichtigt gelassen wird auch die in Behörden und staatlichen Einrichtungen übliche Bekanntmachung<br />

derart wichtiger Anweisungen - regelmäßig durch unterschriftliche Bestätigung der einzelnen Empfänger oder<br />

Protokollierung der Bekanntgabe unter Mitteilung der hierbei anwesenden Soldaten. Gerade deshalb erscheint es<br />

eher fern liegend und mit einem ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf unvereinbar, dass beide Schriftstücke in dieser<br />

Ausbildungseinheit praktisch nicht zur Kenntnis gelangt sein sollen.<br />

ee) Im Hinblick auf die Geiselnahmeübung vom 24./25. August 2004 findet außerdem keine Erwähnung, dass nach<br />

Durchführung der ersten Übung, an der der Angeklagte ebenfalls beteiligt war, eine - nicht näher geschilderte -<br />

Nachbesprechung stattgefunden hatte und das Geschehen fotografisch dokumentiert worden war. Hier wäre zu erwarten<br />

gewesen, dass diejenigen Beteiligten, deren Vorstellung vom Übungsablauf die tatsächliche Durchführung<br />

widersprach, Verwunderung oder Ablehnung im Hinblick auf die erfolgte Behandlung der Rekruten äußerten und<br />

sich von diesem Geschehen distanzierten. Jedenfalls liegt es aufgrund dieser Nachbesprechung nahe, dass der Angeklagte<br />

<strong>zum</strong>indest bei seiner Teilnahme an der zweiten Übung sehr wohl wusste, was mit den Rekruten im Einzelnen<br />

geschehen wird. Dann musste sich ihm auch mindestens aufdrängen, dass sich jedenfalls einzelne Vorgänge (etwa<br />

die Behandlung des Zeugen L.<br />

) nicht im Rahmen einer zulässigen Übung zu Ausbildungszwecken bewegten.<br />

Nachdem die zweite Übung - wie dem Angeklagten bekannt war - vergleichbar ablaufen und sich insbesondere<br />

das Verhör am Vorgehen in der Sandgrube orientieren sollte, spricht wenig dafür, dass der Angeklagte jedenfalls<br />

zu diesem Zeitpunkt noch von einer insgesamt zulässigen Übung ausgehen konnte.<br />

Dies alles hat das Landgericht nicht erkennbar in seine Beweiswürdigung eingestellt.<br />

c) Zudem weist die Beweiswürdigung einen Widerspruch auf. Das Landgericht führt aus, auch der Umstand, dass<br />

eine derartige Übung bisher nicht durchgeführt worden war, habe dem Angeklagten keinen Grund für weitere Nachfragen<br />

geboten. Denn ihm könne nicht widerlegt werden, dass „seinerzeit … in den Kreisen der Ausbilder bereits<br />

davon die Rede war, dass die AnTrA1 den geänderten Verhältnissen … angepasst werden sollte. Auch in der Allgemeinen<br />

Grundausbildung wären also geänderte Ausbildungsinhalte zu erwarten gewesen“ (UA S. 45). Die Kammer<br />

geht damit davon aus, dass die Ausbilder und auch der Angeklagte über eine erst in der Zukunft erfolgende Änderung<br />

der Ausbildungsregeln diskutiert haben. Dann drängt es sich aber gerade auf, dass die Beteiligten - insbesondere<br />

auch vor dem Hintergrund, dass die AnTrA1 nach den Urteilsfeststellungen im Intranet der Bundeswehr abrufbar<br />

und damit für sie ohne weiteres zugänglich war und zudem bereits entsprechende Schulungen für die Ausbilder stattfanden<br />

- sehr wohl wussten, dass <strong>zum</strong> Tatzeitpunkt eine Änderung gerade noch nicht erfolgt und die praktische Geiselnahmeübung<br />

daher nach wie vor nicht zulässig war. Denn wenn einerseits über eine erst zukünftige Änderung der<br />

Ausbildungsregeln diskutiert wurde, konnte schwerlich angenommen werden, die damals geltenden Regeln seien<br />

bereits ohne Geltung gewesen. Wieso demnach eine vermutete bevorstehende Veränderung der Rechtslage einen<br />

Grund dafür bieten sollte, Nachfragen im Hinblick auf die Zulässigkeit der Übung bereits im Vorfeld zu unterlassen,<br />

erschließt sich nicht.<br />

d) Unter diesen Umständen war das Tatgericht nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen der Angeklagten, für<br />

deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar<br />

zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten<br />

Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen<br />

(vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07). Die vom Landgericht<br />

als unwiderlegbar hingenommene Einlassung, die Angeklagten seien von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen<br />

Ausbildung ausgegangen, stellt sich unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Gesichtspunkte als eine eher<br />

denktheoretische Möglichkeit dar, die beweiskräftiger Anknüpfungspunkte entbehrt. Es ist weder im Hinblick auf<br />

den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen<br />

keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR<br />

1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR<br />

654/07).<br />

7. Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts, der Überfall, das Verbinden der Augen, die Fesselung und das<br />

Verladen der Rekruten auf einen Transporter stellten keine entwürdigende Behandlung nach § 31 Abs. 1 WStG dar,<br />

sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

a) Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen, das dessen<br />

Stellung als freie Persönlichkeit nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung nicht unerheblich beeinträchtigt,<br />

auf die der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft und im besonderen als Soldat innerhalb<br />

132


der soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn<br />

<strong>zum</strong> bloßen Objekt degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BayObLG NJW 1970, 769, 770;<br />

Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 3; Stauf in Nomos - Erläuterungen <strong>zum</strong> <strong>Deutsche</strong>n Bundesrecht<br />

§ 31 WStG jeweils m.w.N.). Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt, beurteilt sich, wenn die Handlung nicht<br />

bereits wegen ihres absolut entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1 WStG fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung<br />

aller Tatumstände (BayObLG NJW 1970, 769, 770; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 31 WStG Rdn. 3;<br />

Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 4).<br />

b) Daran gemessen unterfällt jedenfalls die Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit dem Tatbestand des § 31 Abs. 1<br />

WStG. Insbesondere die Fesselung der Rekruten (vgl. dazu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 5),<br />

das Verbinden ihrer Augen, das Verladen der Rekruten „wie Ware“ auf die Ladefläche eines Pritschenwagens, die<br />

auf den Helm verabreichten Schläge, um für Ruhe zu sorgen, das Hinknienlassen sowie die schikanösen Zwangshaltungen<br />

und Ausdauerübungen, die den nach fast 24-stündigem Dienst und einem anstrengenden Nachtmarsch ohnehin<br />

<strong>zum</strong>eist erschöpften Rekruten befohlen wurden, schließlich die angedrohten (teils mit angesetzter Waffe) und<br />

vorgetäuschten Erschießungen (vgl. dazu Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 31 WStG Rdn. 4 m.w.N.) stellen ebenso<br />

entwürdigende Behandlungen dar, welche <strong>zum</strong>indest bei einem Soldaten auch zu einer nahezu panischen Angst<br />

führten, wie die Vorgehensweise, die der Angeklagte dem Zeugen Sc. angedeihen ließ. Dies alles erniedrigte die<br />

Rekruten <strong>zum</strong> bloßen Objekt.<br />

IV.<br />

Die Sache bedarf daher der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen<br />

<strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen können aufrechterhalten bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende<br />

Feststellungen sind zulässig.<br />

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Kostenausspruch des angefochtenen Urteils ist durch die<br />

insoweit erfolgte Urteilsaufhebung gegenstandslos (vgl. BGH StV 2006, 687, 688).<br />

V.<br />

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

1. Selbst wenn das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Feststellung gelangen sollte, die betroffenen<br />

Rekruten hätten ausdrücklich oder konkludent in die gegenständliche unzulässige Geiselnahmeübung eingewilligt,<br />

so hätte dies keine rechtfertigende Wirkung. §§ 30, 31 WStG schützen nicht allein das Rechtsgut der körperlichen<br />

Unversehrtheit beziehungsweise der Würde des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der<br />

Bundeswehr. Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch Vorgesetzte stellt einen Verstoß gegen die in Art. 1<br />

Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt <strong>zum</strong> Schutze der Menschenwürde und der durch<br />

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar. Von dieser Verpflichtung kann der für den<br />

Staat handelnde Amtsträger oder Bedienstete durch das subjektive Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers<br />

nicht freigestellt werden (vgl. BVerwG NJW 2001, 2343, 2344; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 30 WStG Rdn. 10<br />

m.w.N.).<br />

2. § 30 WStG kann mit § 224 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) stehen. § 30 WStG geht nur § 223 StGB vor, enthält<br />

aber keine alle Körperverletzungsdelikte ausschließende Sonderregelung. Dies folgt schon daraus, dass das allgemeine<br />

Strafrecht gerade in den schwereren Fällen der Untergebenenmiss-handlung nicht durch das WStG gemildert<br />

werden darf (vgl. BGH NJW 1970, 1332 zu § 226 StGB aF; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 30 Rdn. 28;<br />

a.A. Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 30 WStG Rdn. 18; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts 2. Aufl. S. 218).<br />

3. Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Auffassung gelangen, eine Strafbarkeit gemäß §§ 223<br />

Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 WStG liege nicht vor, so wird es aufgrund der Fesselung der<br />

Rekruten für teilweise mehr als 30 Minuten - erst recht aufgrund der Fesselung an Händen und Füßen -, deren<br />

Verbringens mit verbundenen Augen auf die Ladefläche des Pritschenwagens und deren begleiteten Abtransports<br />

den Straftatbestand der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB, <strong>zum</strong>indest aber den Tatbestand der Nötigung<br />

nach § 240 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen haben.<br />

133


StGB § 244 I Nr. 2, StGB § 244a, StPO § 354 I Bandendiebstahl<br />

BGH, Beschl. v. 24.07.2008 – 3 StR 243/08 - StV 2008, 575; StV <strong>2009</strong>, 130<br />

Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Diebstähle nach § 242 Abs.<br />

1, § 244 a Abs. 1 StGB zu begehen, hat dies nicht zur Folge, dass jede von einem der Bandenmitglieder<br />

aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres als<br />

gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann.<br />

Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen<br />

Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls<br />

überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 24. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. Oktober 2007, soweit es<br />

ihn betrifft,<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe <strong>zum</strong> schweren Bandendiebstahl in drei Fällen<br />

und der Beihilfe <strong>zum</strong> versuchten schweren Bandendiebstahl schuldig ist,<br />

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen, wobei es in einem Fall<br />

beim Versuch blieb", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte<br />

die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang<br />

Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Nach den Feststellungen brachen die Mitangeklagten R. , H. und M. in Tankstellen oder Lebensmittelmärkte<br />

ein und entwendeten daraus Tresore sowie Zigaretten. In einigen Fällen blieb es beim Versuch. Fünf dieser<br />

Taten förderte der Angeklagte dadurch, dass er absprachegemäß die zu ihm gebrachten Tresore in seiner Werkstatt<br />

aufschweißte und anschließend entsorgte bzw. - im Fall des Versuchs - einen solchen Tatbeitrag zuvor zugesagt<br />

hatte. Für zwei Einbruchsdiebstähle stellte er zudem seinen Transporter zur Verfügung. Die jeweils in den Tresoren<br />

enthaltenen Geldbeträge zwischen 4.000 und 25.000 Euro teilten die Mitangeklagten R. , H. und M. unter<br />

sich auf, während der Angeklagte für das Aufschweißen und Entsorgen der Tresore jeweils einen Betrag zwischen<br />

400 und 500 Euro erhielt. In einer Nacht (Fälle II. 7. und 8. der Urteilsgründe) entwendeten die Mitangeklagten<br />

nacheinander aus zwei Tankstellen jeweils einen Tresor. Anschließend brachten sie beide Tresore zu dem Angeklagten,<br />

der sie gegen die übliche Entlohnung aufschweißte und entsorgte.<br />

Das Landgericht hat dem Angeklagten alle Taten, an denen er beteiligt war, als Mittäter zugerechnet. Außerdem hat<br />

es in den Fällen II. 7. und 8. der Urteilsgründe das Aufschweißen der zwei aus verschiedenen Einbruchsdiebstählen<br />

stammenden Tresore als in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) zueinander stehende Einzeltaten bewertet.<br />

2. Die rechtliche Wertung des Landgerichts hält <strong>zum</strong> Teil der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf der<br />

Grundlage der getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte lediglich der Beihilfe <strong>zum</strong> schweren Bandendiebstahl (§<br />

242 Abs. 1, § 244 a Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB) in drei Fällen sowie der Beihilfe <strong>zum</strong> versuchten schweren Bandendiebstahl<br />

(§ 242 Abs. 1, § 244 a Abs. 1, §§ 22, 27 Abs. 1 StGB) schuldig.<br />

a) Schließen sich mehrere Täter - wie vom Landgericht auch hinsichtlich des Angeklagten rechtsfehlerfrei angenommen<br />

- zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Diebstähle nach § 242 Abs. 1, § 244 a Abs. 1 StGB zu begehen,<br />

hat dies nicht zur Folge, dass jede von einem der Bandenmitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den<br />

anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB<br />

zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich<br />

die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt<br />

keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben. Die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft an bzw. Beihilfe zu der<br />

jeweiligen Einzeltat ist in wertender Betrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen, die von der<br />

Vorstellung des jeweiligen Bandenmitglieds umfasst sind. Maßgeblich sind dabei insbesondere sein Interesse an der<br />

134


Durchführung der Tat sowie der Umfang seiner Tatherrschaft oder jedenfalls sein Wille Tatherrschaft auszuüben, d.<br />

h. ob objektiv oder jedenfalls aus seiner Sicht die Ausführung der Tat wesentlich von seiner Mitwirkung abhängt<br />

(vgl. BGH NStZ-RR 2003, 265, 267; Fischer, StGB 55. Aufl. § 25 Rdn. 12 und § 244 Rdn. 19 a).<br />

Nach diesen Kriterien sind die festgestellten Tatbeiträge des Angeklagten als Beihilfehandlungen zu werten. Diese<br />

beschränkten sich mit dem Aufschweißen der angelieferten Tresore und dem Überlassen des Transporters auf unterstützende<br />

Tätigkeiten. Die Einbrüche in die Tankstellen und die Lebensmittelmärkte sowie die Entwendung der<br />

Tresore erfolgten durch andere Bandenmitglieder, die über deren Durchführung und die Auswahl der Tatobjekte<br />

ohne den Angeklagten entschieden, der nur über die bevorstehende Anlieferung der Tresore unterrichtet wurde. Für<br />

das Aufschweißen bekam der Angeklagte jeweils nur einen angesichts der Tatbeute vergleichsweise geringen Betrag<br />

als Entlohnung. Unter diesen Umständen ist eine Tatherrschaft des Angeklagten ebenso wenig erkennbar wie sein<br />

Wille hierzu.<br />

b) In den Fällen II. 7. und 8. der Urteilsgründe hat der Angeklagte die zwei selbständigen Haupttaten durch eine<br />

Unterstützungshandlung gefördert, so dass auch nur eine Beihilfe vorliegt. Sind an einer Deliktsserie mehrere Personen<br />

als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Straftaten tateinheitlich<br />

oder tatmehrheitlich zusammentreffen, für jeden der Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden<br />

(BGH NStZ-RR 2003, 265, 267). Hat ein Gehilfe, der an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht beteiligt war,<br />

einen mehrere Einzeldelikte fördernden einheitlichen Tatbeitrag erbracht, werden ihm insoweit die jeweiligen Taten<br />

der Haupttäter nur als tateinheitlich begangen zugerechnet, weil sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag<br />

zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die Haupttäter die ihnen zurechenbaren<br />

Taten tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Belang (vgl. BGH wistra 2001, 336, 337 m. w. N;<br />

Fischer aaO vor § 52 Rdn. 34, 36).<br />

Ein die zwei Einbruchsdiebstähle fördernder einheitlicher Tatbeitrag des Angeklagten ist festgestellt. Er sagte - wie<br />

sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt - vor deren Durchführung zu, die Tresore, die in dieser<br />

Nacht erbeutet werden, aufzuschweißen. Die Tresore wurden zusammen angeliefert und vom Angeklagten unmittelbar<br />

nacheinander geöffnet.<br />

3. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die<br />

zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Taten führen. Er ändert deshalb den Schuldspruch entsprechend (§ 354<br />

Abs. 1 StPO). § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte gegen den geänderten<br />

Schuldvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

4. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe. Die Feststellungen<br />

<strong>zum</strong> Strafausspruch sind rechtsfehlerfrei getroffenen und können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende weitere<br />

Feststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, sind zulässig.<br />

StGB § 246 II Unterschlagung noch nicht durch Abladen an falscher Adresse<br />

BGH, Beschl. v. 02.09.2008 – 4 StR 281/08 - wistra 2008, 466; NStZ-RR <strong>2009</strong>, 51<br />

Allein dadurch, dass der Fahrer eines Lkw die von ihm beförderten Waren an einem anderen Ort<br />

als an der Empfangsadresse ablädt, hat er den Tatbestand der (veruntreuenden) Unterschlagung<br />

noch nicht notwendig erfüllt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 30. Januar 2008, soweit es ihn<br />

betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet er die Verletzung formellen und materiellen<br />

Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte sollte am 27. Juli 2005 einen mit Flachbildschirmen und Kirmesartikeln beladenen Lkw der Firma<br />

D. von Hamburg nach Oosterhout (Niederlande) fahren. Er begab sich jedoch mit dem Fahrzeug<br />

135


nicht in die Niederlande, sondern nach Lengerich, wo es durch den Angeklagten und vier weitere Personen, nämlich<br />

die Mitangeklagten S. , M. und F. und den Vater des Mitangeklagten F. entladen wurde. Danach<br />

verließ der Angeklagte mit dem Lkw den Entladeort. Ein großer Teil der Waren wurde von M. und S. verkauft.<br />

Der Gewinn wurde überwiegend an den "Zeugen R. " weitergeleitet.<br />

Welche Vorstellungen der Angeklagte beim Entladen des Lkw hatte, ist nicht festgestellt, auch nicht, ob er durch die<br />

Tat Vorteile erlangte.<br />

Beweiswürdigend wird zu dem Tatgeschehen lediglich mitgeteilt, dass der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung<br />

nicht geäußert hat, der Zeuge R. nach § 55 StPO die Auskunft verweigerte und die Strafkammer auf Grund der<br />

Aussage des Mitangeklagten M. bei der Polizei sowie der Frachtpapiere in Verbindung mit der Aussage der<br />

Zeugin K. und weiteren schriftlichen Unterlagen davon überzeugt ist, dass der Angeklagte der Fahrer des Lkw<br />

war.<br />

In der rechtlichen Würdigung ist ausgeführt, dass sich der Angeklagte der veruntreuenden Unterschlagung (§ 246<br />

Abs. 1, 2 StGB) schuldig gemacht habe, weil er sich die ihm anvertrauten Sachen spätestens in dem Augenblick<br />

zugeeignet habe, als er den Lkw zusammen mit den weiteren Angeklagten entladen habe.<br />

2. Das Urteil muss aufgehoben werden, weil die Feststellungen lückenhaft sind und den Schuldspruch nicht tragen;<br />

denn sie belegen nicht, dass der Angeklagte sich die Lkw-Ladung rechtswidrig zugeeignet hat.<br />

Allein dadurch, dass der Fahrer eines Lkw die von ihm beförderten Waren an einem anderen Ort als an der Empfangsadresse<br />

ablädt, hat er den Tatbestand der (veruntreuenden) Unterschlagung noch nicht notwendig erfüllt (vgl.<br />

hierzu Fischer, StGB 55. Aufl. § 246 Rdn. 5 ff., 20). Die neu entscheidende Strafkammer wird daher zusätzlich festzustellen<br />

haben, in welcher Beziehung die an der Tat beteiligten Personen untereinander und - ggf. - zu der geschädigten<br />

Spedition standen, soweit dies für das Tatgeschehen von Bedeutung ist, und welches Vorstellungsbild der<br />

Angeklagte beim Abladen der Waren hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 377, 378). Festzustellen wird auch sein, welches<br />

Tatinteresse der Angeklagte und - ggf. - welche Vorteile er durch die Tatbegehung hatte. Letzteres kann insbesondere<br />

dafür bedeutsam sein, ob der Angeklagte ggf. als Täter gehandelt hat oder ob er Teilnehmer an der Tat eines<br />

anderen oder mehrerer anderer war (vgl. hierzu BGH aaO; Fischer aaO Rdn. 22).<br />

Für die Beweiswürdigung wird u.a. von Bedeutung sein, wie sich die an der Tat beteiligten Personen im Einzelnen<br />

zu der Tat - ggf. auch der Geschädigten gegenüber - geäußert haben.<br />

Der Senat hebt sämtliche Feststellungen des angefochtenen Urteils auf, soweit sie den Angeklagten betreffen, um<br />

dem nunmehr entscheidenden Tatrichter Gelegenheit zu geben, insgesamt neue Feststellungen zu treffen.<br />

StGB § 246 II, Leasingunterschlagung?<br />

BGH, Beschl. v. 11.02.<strong>2009</strong> – 5 StR 11/09 - StraFo <strong>2009</strong>, 163<br />

1. Leasingverträge begründen nicht anders als Mietverträge oder Sicherungsübereignungen besondere,<br />

auf den Erhalt und die Rückführung des Eigentums ausgerichtete Verhaltenspflichten des<br />

Laesingnehmers.<br />

2. Bei Unterschlagung von Fahrzeugen ist von den maßgeblichen Wiederbeschaffungswerten der<br />

Fahrzeuge im Zeitpunkt der Unterschlagungshandlung als Schaden auszugehen und nicht auch auf<br />

rückständige Raten oder einen entgangenen Gewinn in Form eines Zinsausfallschadens abzustellen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. August 2008 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO im gesamten Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in vier Fällen, wegen versuchten Betruges und wegen (veruntreuender)<br />

Unterschlagung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten (nicht<br />

maßgeblich: Urteilsgründe sechs Jahre) verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Teilerfolg.<br />

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

136


a) Der Angeklagte stellte dem ehemaligen Mitangeklagten S. die erforderlichen Mittel zur Verfügung, um am<br />

23. Juni 2005 die in Bochum ansässige H. GmbH zu übernehmen. S. agierte nahezu ohne wirtschaftliche<br />

Erfahrung oder Geschäftswissen als Strohmanngeschäftsführer für den Angeklagten.<br />

b) Nach Planung und auf Weisung des Angeklagten schloss S. am 30. Juni und 27. Juli 2005 mit Mineralölvertriebsfirmen<br />

Verträge über die Nutzung von Tankkarten, die nach intensivem Einsatz ohne beabsichtigten Ausgleich<br />

der kreditierten Forderungen bei diesen Unternehmen zu Schäden in Höhe von 15.500 und 36.000 Euro führten.<br />

Der Angeklagte ist hierfür wegen zweier gewerbsmäßig begangener Betrugstaten zu Freiheitsstrafen von einem<br />

Jahr und drei Monaten und zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden (Fälle 1 und 8).<br />

c) Am 7. und 8. Juli 2005 veranlasste der Angeklagte den S. <strong>zum</strong> Abschluss von Kfz-Leasingverträgen (VW<br />

Multivan und Mercedes Benz 220 CDI) und ließ die auf die H. GmbH zugelassenen Fahrzeuge anschließend<br />

verwerten (Fälle 2 und 3). Das Landgericht erkannte hierfür wegen gewerbsmäßigen Betruges im Fall 2 auf eine<br />

Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und im Fall 3 (angenommener Wert des Pkw knapp 26.000 Euro)<br />

unter weiterer Anwendung von § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten.<br />

d) Vorgänger des S. hatten für die GmbH drei Pkw geleast (BMW X5, Audi A6, VW Touareg), die der Angeklagte<br />

unter der Geschäftsführung des S. am 9. und 13. Juli 2005 in die Ukraine ausführen und verwerten ließ.<br />

Hierfür ist der Angeklagte wegen veruntreuender Unterschlagung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und acht Monaten<br />

und zweimal drei Jahren verurteilt worden (Fälle 4, 6 und 7).<br />

e) Auf Weisung des Angeklagten beantragte S. am 12. Juli 2005 für die GmbH den Abschluss eines Leasingvertrages<br />

über eine 59.000 Euro teure Computeranlage, die ohne Zahlung unbefugt verwertet werden sollte. Zu einem<br />

Vertragsschluss kam es indes nicht. Der Angeklagte wurde hierfür wegen versuchten gewerbsmäßigen Betruges<br />

zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt (Fall 5).<br />

2. Die an BGHSt 52, 78 ff. ausgerichtete Verfahrensrüge versagt. Zwar hat das Landgericht nicht beweiswürdigend<br />

erwogen, dass der ehemalige Mitangeklagte und im weiteren Verfahren gegen den Angeklagten als Belastungszeuge<br />

vernommene S. in der Hauptverhandlung geständig gewesen ist, nachdem ihm eine Strafobergrenze – Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren – in Aussicht gestellt worden war. Die Rüge ist jedoch wegen unvollständigen<br />

Vortrags schon unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).<br />

Die Revision hat nicht vorgetragen, dass S. bereits in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 21.<br />

März 2007 (Sachakte Bd. 15 Bl. 14 – 20) umfangreiche Angaben zur Sache gemacht hat, die in der Anklageschrift<br />

dahingehend gewürdigt worden sind, dass „Ross und Reiter genannt“ worden seien (Sachakte Bd. 17 Bl. 56), und<br />

dass sich dieser Beschuldigte bereit erklärt hat, „weitere sachdienliche Angaben zu machen“ (Sachakte Bd. 15 Bl.<br />

20). Hinzu tritt, dass sich S. bereits am ersten Verhandlungstag ohne jegliche Einschränkung zur Sachaussage<br />

bereit erklärt hat, das Landgericht die Einlassung dieses Angeklagten aber nicht entgegen genommen hat (Protokollband<br />

S. 2). Die Kenntnis dieser Umstände wäre für das Revisionsgericht indes von Nöten gewesen, da sie geeignet<br />

gewesen sind, die aus der besonderen Aussagemotivation – Geständnis nach Bekanntgabe einer als hinnehmbar<br />

erscheinenden Strafobergrenze – erwachsende Gefahr einer Falschbelastung (vgl. BGHSt 52, 78, 83) derart zu relativieren,<br />

dass die Vereinbarung im Rahmen der Beweiswürdigung nicht unerlässlich zu erwähnen war.<br />

3. Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Der Senat entnimmt dem Zusammenhang<br />

der Urteilsgründe eine jeweilige Steuerung des auf Betrug (Fälle 1 bis 3, 5 und 8) und veruntreuende Unterschlagung<br />

(Fälle 4, 6 und 7) ausgerichteten Tatgeschehens durch den Angeklagten.<br />

Die von der H. GmbH geleasten drei Pkw (Fälle 4, 6 und 7) waren auch dem Angeklagten anvertraut im Sinn<br />

des § 246 Abs. 2 StGB (vgl. BGHR StGB § 28 Abs. 2 Merkmal 2). Die Leasingverträge begründeten – nicht anders<br />

als Mietverträge (BGHSt 9, 90) oder Sicherungsübereignungen (BGH wistra 2007, 18, 21) – besondere, auf den<br />

Erhalt und die Rückführung des Eigentums ausgerichtete Verhaltenspflichten des Leasingnehmers (vgl. Eser in<br />

Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 246 Rdn. 29; Fischer, StGB 56. Aufl. § 246 Rdn. 16). Diese sind auf den Angeklagten<br />

übergegangen, nachdem er die H.<br />

GmbH faktisch erworben und geführt hatte (vgl. BGHR<br />

GmbH-Gesetz § 64 Abs. 1 Antragspflicht 3; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 25; BGH NJW<br />

2008, 2451).<br />

4. Indes hält der Strafausspruch der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand.<br />

a) Im Fall 3 hat das Landgericht einen Vermögensverlust großen Ausmaßes gemäß § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB (bei nur<br />

knapp 26.000 Euro) bejaht und dabei übersehen, dass diese Grenze erst ab 50.000 Euro erreicht wird (BGHSt 48,<br />

360).<br />

b) Die Bestimmung der Strafen in den Unterschlagungsfällen (4, 6 und 7) widerspricht den bei den Kfz-Betrugsfällen<br />

(2 und 3) angewandten Maßstäben. Es liegt auf der Hand, dass der Angeklagte hierdurch benachteiligt worden ist.<br />

137


In den Betrugsfällen hat das Landgericht die Strafe zu Recht dem Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB, mithin<br />

aus einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahren entnommen und bei einem angenommenen Schaden von<br />

rund 45.000 Euro im Fall 2 auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten erkannt. In den Unterschlagungsfällen<br />

hatte das Landgericht indes von dem weitaus milderen Strafrahmen des § 246 Abs. 2 StGB auszugehen,<br />

der von Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren reicht. Bei der vom Landgericht ersichtlich als wesentlicher<br />

Straf<strong>zum</strong>essungsfaktor herangezogenen Schadenshöhe ist im Vergleich der Fälle 2 (Schaden 45.000 Euro;<br />

Strafe zwei Jahre und drei Monate) und 4 (Schaden 23.000 Euro; Strafe zwei Jahre und acht Monate) die Festsetzung<br />

der höheren Strafe aus dem weitaus geringeren Strafrahmen bei dem nur mit einer Geldstrafe vorbestraften Angeklagten<br />

ohne jede weitere Begründung nicht nachvollziehbar. Das Gleiche hat für die ebenfalls dem milderen Strafrahmen<br />

entnommenen Strafen in den Fällen 6 und 7 (je drei Jahre Freiheitsstrafe bei 53.000 Euro und 60.000 Euro<br />

Schaden) zu gelten.<br />

c) Darüber hinaus besorgt der Senat, dass das Landgericht in den Unterschlagungsfällen (4, 6 und 7) von einem zu<br />

großen Schadensumfang ausgegangen ist. Aus den Urteilsgründen ergibt sich lediglich, dass Vertreter der Leasinggesellschaften<br />

die angenommenen Schadenssummen bekundet hätten. Daraus wird indes nicht deutlich, dass das<br />

Landgericht von den maßgeblichen Wiederbeschaffungswerten der Fahrzeuge im Zeitpunkt der Unterschlagungshandlungen<br />

ausgegangen ist und nicht – <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten – auch auf rückständige Raten oder einen<br />

entgangenen Gewinn in Form eines Zinsausfallschadens abgestellt hat (vgl. BGH wistra 2007, 18, 21).<br />

5. Angesichts der insgesamt nicht übermäßig sorgfältigen Fassung des Urteils, namentlich zur Straf<strong>zum</strong>essung, gibt<br />

der Senat dem neuen Tatgericht Gelegenheit, sämtliche Strafen neu und im Verhältnis zueinander widerspruchsfrei<br />

zu bestimmen. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es dabei nicht. Die fehlenden Feststellungen zu den Wiederbeschaffungswerten<br />

der Fahrzeuge in den Unterschlagungsfällen werden zu ergänzen sein. Im Übrigen sind neue<br />

Feststellungen nur zulässig, wenn sie den nunmehr bestandskräftigen nicht widersprechen. Bei der Bildung der neuen<br />

Gesamtstrafe wird auf das mittlerweile rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. April<br />

2008 und den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 26. Juli 2005 Bedacht zu nehmen sein.<br />

StGB § 246, § 266, 283 ff. Bankrott Beiseiteschaffen von Gesellschaftsvermögen<br />

BGH, Beschl. v. 10.02.<strong>2009</strong> – 3 StR 372/08 – NJW <strong>2009</strong>, 2225 ff.mit Anm. Link 2228<br />

LS: Zur Strafbarkeit des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen<br />

Bankrotts durch Beiseiteschaffen von Gesellschaftsvermögen sowie <strong>zum</strong> Verhältnis von Bankrott<br />

und den Vermögens- bzw. Eigentumsdelikten in diesen Fällen (nur Hinweis).<br />

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. Februar 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Bankrott zu Geldstrafen verurteilt. Dagegen wenden sich<br />

deren Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Der Angeklagte S. beanstandet darüber<br />

hinaus das Verfahren; die Angeklagte L. begehrt wegen der insoweit versäumten Revisionsbegründungsfrist die<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen.<br />

Die Revisionen haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die von dem Angeklagten S. erhobenen<br />

Verfahrensrügen bzw. auf den von der Angeklagten L. gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht ankommt.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte S. war Geschäftsführer, die Angeklagte L. Prokuristin der Georg S. GmbH mit Sitz in W.<br />

. Diese Gesellschaft war Komplementärin der Georg S. GmbH & Co. KG, deren alleinige Kommanditisten die<br />

Angeklagten waren. Über diese Besitzgesellschaft betrieben sie unter Einschaltung mehrerer Tochtergesellschaften<br />

(sog. Produktionsgesellschaften) u. a. unter der Marke "B. Enten" die Entenzucht und den weltweiten Vertrieb von<br />

Entenprodukten. In den Produktionsgesellschaften fungierten sie ebenfalls - <strong>zum</strong>indest teilweise - als Geschäftsführer<br />

bzw. Prokuristin. Nachdem sich die Unternehmensgruppe der Angeklagten bis in das Jahr 2002 bei jeweils deutlichen<br />

Jahresgewinnen <strong>zum</strong> Marktführer in Deutschland entwickelt hatte, kam es im Jahr 2003 zu einem Umsatzein-<br />

138


uch und deshalb zu einem erhöhten Kreditbedarf. Eine auf Veranlassung der kreditgebenden Banken durchgeführte<br />

Unternehmensanalyse hielt die Suche nach einem strategischen Partner für unbedingt erforderlich. Die Angeklagten,<br />

die befürchteten, die Banken strebten die Übernahme ihrer Unternehmen durch einen Konkurrenten an, bemühten<br />

sich unter Einschaltung externer Berater in der Folgezeit vergeblich um eine Umfinanzierung.<br />

Anfang des Jahres 2004 meldeten sie ihren Hausbanken einen Verlust für das Jahr 2003 von mehr als 4,5 Mio. € und<br />

kündigten einen über die bestehenden Kredite hinausgehenden Liquiditätsbedarf von über 4 Mio. € an. Die Banken,<br />

die zu einer Erhöhung der Kreditlinie nicht bereit waren, sprachen eine mögliche Insolvenz der Unternehmen an.<br />

Weitere Versuche der Angeklagten, eine Umfinanzierung oder eine staatliche Liquiditätshilfe zu erreichen, scheiterten<br />

ebenso wie ihre Bemühungen, einen Bekannten an den Gesellschaften zu beteiligen, um so über zusätzliche<br />

Geldmittel verfügen zu können. Die Banken verlangten nun als weitere Sicherheit auch die Abtretung der Rechte aus<br />

der Marke "B. Enten".<br />

Die Angeklagten, die sich zunehmend unter Druck gesetzt fühlten, bestellten in dieser Situation Ende Februar 2004<br />

auf Empfehlung eines Rechtsanwalts den ehemaligen Mitangeklagten K. <strong>zum</strong> Geschäftsführer von jedenfalls zwei<br />

ihrer Produktionsgesellschaften, der Georg S. GmbH (im Folgenden: S. GmbH) und der Se. GmbH,<br />

jeweils mit Sitz in N. . Da der neue Geschäftsführer über keine Erfahrung in der Branche verfügte, blieben<br />

die Angeklagten weiter für die Gesellschaften tätig, wofür sie pauschal jeweils 250.000 € erhalten sollten. Wegen der<br />

angespannten Liquiditätslage der Gesellschaften vereinbarten sie mit dem früheren Mitangeklagten eine rein erfolgsabhängige<br />

Geschäftsführervergütung. Es kam indes nur zu einem nach dieser Vereinbarung provisionspflichtigen<br />

Geschäftsabschluss mit einem Volumen von 1,67 Mio. €, weitere in Aussicht genommene Verträge kamen nicht<br />

zustande. In einem Gespräch mit Bankvertretern Anfang März 2004 kündigte K. an, zur Verbesserung der Liquidität<br />

Reserven aufzulösen, und erklärte, er werde auch gegen den erklärten Widerspruch der Banken diesen zustehendes<br />

Sicherungsgut verwerten. Auf ein Schreiben vom 9. März 2004, mit dem die Banken binnen drei Tagen die Vorlage<br />

eines Liquiditätsstatus und eine Übersicht über bereits veräußertes Sicherungsgut verlangten, vertröstete er sie<br />

auf den 23. März 2004. Die Banken kündigten daraufhin die gesamte Geschäftsverbindung und setzten für die bestehenden<br />

Verbindlichkeiten aller Gesellschaften, insgesamt fast 23 Mio. €, eine Zahlungsfrist bis <strong>zum</strong> 2. April 2004.<br />

Nachdem der frühere Mitangeklagte ihren Mitarbeitern mehrfach eine Inaugenscheinnahme des Sicherungsgutes<br />

verweigert hatte, stellten die Banken am 26. März 2004 Insolvenzantrag gegen die Georg S. GmbH & Co. KG<br />

und die vier Produktionsgesellschaften.<br />

In der Zeit vom 31. März bis <strong>zum</strong> 7. April 2004 stellte K. in Absprache und nach Vereinbarung mit den Angeklagten<br />

der S. GmbH und der Se. GmbH drei Rechnungen über insgesamt fast 2 Mio. €, die nunmehr auch<br />

eine erfolgsunabhängige Vergütung sowie Erfolgshonorare für tatsächlich nicht zustande gekommene Geschäfte <strong>zum</strong><br />

Gegenstand hatten, und vereinnahmte diesen Betrag aus dem Vermögen der S. GmbH. Nach der ursprünglichen<br />

Vereinbarung hätte ihm ein Anspruch in Höhe von allenfalls knapp 200.000 € zugestanden. Über das Vermögen der<br />

S. GmbH und der Se. GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.<br />

II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hält der Schuldspruch wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Bankrott der rechtlichen<br />

Überprüfung nicht stand.<br />

1. Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der frühere Mitangeklagte K. durch die Vereinnahmung<br />

der Rechnungsbeträge jedenfalls in Höhe von ca. 1,7 Mio. € im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB Vermögen<br />

der S. GmbH beiseite schaffte. Die Bezahlung der Rechnungen erfolgte unter Verstoß gegen die Grundsätze<br />

eines ordnungsgemäßen Wirtschaftens (vgl. dazu BGHSt 34, 309, 310; Stree/Heine in Schönke/Schröder, StGB<br />

27. Aufl. § 283 Rdn. 4 m. w. N.), weil provisionspflichtige Hauptgeschäfte in diesem Umfang nicht getätigt worden<br />

waren, deshalb ein Anspruch auf eine erfolgsabhängige Vergütung in dieser Höhe nicht bestand und eine weitere,<br />

erfolgsunabhängige Vergütung angesichts der angespannten Liquiditätslage nicht rückwirkend vereinbart werden<br />

durfte.<br />

2. Die Vorschrift des § 283 StGB stellt indes ein Sonderdelikt dar, dessen Täter nur der Schuldner sein kann (Radtke<br />

in MünchKomm StGB § 283 Rdn. 4; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 283 Rdn. 225), also die (natürliche oder juristische)<br />

Person, die für die Erfüllung einer Verbindlichkeit haftet (Radtke aaO vor § 283 Rdn. 36). Ist der Schuldner -<br />

wie hier - eine juristische Person, die nur durch ihre Organe/Vertreter handeln kann, so gilt § 14 StGB. Diese Vorschrift<br />

setzt für die strafrechtliche Zurechnung voraus, dass die handelnde Person "als" Organ oder Vertreter (Abs. 1)<br />

bzw. "auf Grund dieses Auftrags" (Abs. 2) agiert. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der<br />

wohl herrschenden Auffassung in der Literatur ist es danach für eine Strafbarkeit des Vertreters nach § 283 StGB<br />

erforderlich, dass er <strong>zum</strong>indest auch im Interesse des Geschäftsherrn handelt. Liegen ausschließlich eigennützige<br />

Motive vor, so kann eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 StGB in Betracht kommen; eine Verurteilung wegen<br />

Bankrotts scheidet hingegen aus (sog. Interessentheorie, BGHSt 30, 127, 128 f.; 34, 221, 223; BGHR StGB §<br />

139


283 Abs. 1 Konkurrenzen 3; BGH NStZ 2000, 206, 207; zustimmend Schünemann in LK 12. Aufl. § 14 Rdn. 50;<br />

Fischer, StGB 56. Aufl. § 283 Rdn. 4 b; im Ergebnis auch Kindhäuser in NK-StGB 2. Aufl. vor § 283 Rdn. 56; aA<br />

Tiedemann aaO vor § 283 Rdn. 80; Hoyer in SK-StGB 116. Lfg. § 283 Rdn. 103 f.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder<br />

aaO § 14 Rdn. 26; jew. m. w. N.; differenzierend Radtke aaO vor § 283 Rdn. 55).<br />

Das Landgericht hat das Vorliegen eines solchen Interesses rechtsfehlerhaft bejaht. Ob eine Handlung wenigstens<br />

auch im Interesse des Vertretenen vorgenommen worden ist, bestimmt sich nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise<br />

(BGHSt 30, 127, 128 f.). Dass - wie die Strafkammer ausgeführt hat - der frühere Mitangeklagte sein<br />

weiteres Tätigwerden für die Gesellschaften der Angeklagten von der Bezahlung der Rechnungen abhängig gemacht<br />

hat, begründet ein wirtschaftliches Interesse der vertretenen S. GmbH nicht; es widerspricht einem solchen vielmehr,<br />

weiter mit einem Geschäftsführer zusammenzuarbeiten, der im großen Umfang eine ihm nicht zustehende<br />

Vergütung verlangt. Nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann in der Überweisung der ca. 1,7 Mio. € durch den<br />

früheren Mitangeklagten K. zur Bezahlung der materiell unberechtigten Rechnungen daher nur ein Handeln aufgrund<br />

eigennütziger Motive gesehen werden, das der Gesellschaft schadete. Das Einverständnis der Angeklagten mit<br />

der Rechnungsstellung und ihrer Begleichung war nicht ausreichend (vgl. BGHSt 30, 127, 128 f.; BGH bei Holtz<br />

MDR 1979, 806; BGH NStZ 1984, 118, 119; JR 1988, 254, 255 f.; vgl. die Nachweise bei Labsch wistra 1985, 1, 7);<br />

die Zustimmung der Gesellschafter einer juristischen Person löst - anders als bei einer Kommanditgesellschaft (vgl.<br />

BGHSt 34, 221, 223 f.) - den Interessenwiderstreit zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft nicht auf.<br />

3. Darüber hinaus tragen die Feststellungen des Landgerichts die Annahme einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der<br />

S. GmbH nicht, so dass sich auch bei Nichtanwendung der Interessentheorie (dazu unten IV.) die Verurteilung<br />

wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Bankrott als rechtsfehlerhaft erwiese.<br />

Die Strafkammer hat in der Beweiswürdigung des Urteils unter summarischer Gegenüberstellung der liquiden Mittel<br />

und der fälligen Forderungen ausgeführt, Anfang April 2004 habe bei der S. GmbH eine Unterdeckung von ca. 4<br />

Mio. € bestanden; infolge der Kreditkündigungen seien Verbindlichkeiten in Höhe von fast 23 Mio. € hinzu gekommen.<br />

Dies ist bereits widersprüchlich, weil an anderer Stelle des Urteils mitgeteilt wird, dass diese Summe der Kreditaufnahme<br />

aller Unternehmen der Angeklagten entsprach; auf die S. GmbH entfiel nur ein Teil davon. In der<br />

Darstellung des Landgerichts ist zudem ein von Rechtsanwalt F. für die S. GmbH geführtes Anderkonto nicht<br />

berücksichtigt, von dem der frühere Mitangeklagte K. am 5. April 2004 das letztlich von ihm vereinnahmte Geld<br />

an die Se. GmbH überwies.<br />

Abgesehen von diesen Widersprüchen und Unvollständigkeiten begegnet die Darstellung der Liquiditätslage der S.<br />

GmbH zu den ausgewählten Stichtagen durchgreifenden Bedenken, weil sich das Landgericht auf die Mitteilung der<br />

Summen aus dem Liquiditätsstatus und hinsichtlich der liquiden Mittel auf Guthaben auf Girokonten beschränkt.<br />

Damit ist dem Senat die Überprüfung verwehrt, ob der vom Landgericht zugrunde gelegte Liquiditätsstatus nicht nur<br />

alle relevanten kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten, sondern auch die zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden<br />

Mittel (also die flüssigen Mittel und kurzfristig einziehbaren Forderungen sowie gegebenenfalls die<br />

kurzfristig liquidierbaren Vermögensgegenstände) enthält (vgl. § 17 Abs. 2 InsO und BGH wistra 2001, 306, 307;<br />

2007, 312). Selbst wenn dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch zu entnehmen wäre, dass die S.<br />

GmbH durch Forderungseinzug oder Veräußerung von Vermögensgegenständen weitere liquide Mittel jedenfalls<br />

nicht kurzfristig realisieren konnte, war das Abstellen allein auf die angegebenen Kontenguthaben nicht ausreichend;<br />

denn in der rechtlichen Würdigung teilt die Strafkammer mit, dass die Gesellschaften der Angeklagten untereinander<br />

ein cashmanagement betrieben, demzufolge Zahlungen jeweils von dem Konto der Gesellschaft vorgenommen wurden,<br />

auf dem Guthaben vorhanden war. Dann hätte es zur nachvollziehbaren Annahme der drohenden Zahlungsunfähigkeit<br />

der S. GmbH aber auch Feststellungen zu den Vermögensverhältnissen aller anderen Gesellschaften der<br />

Angeklagten bedurft. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sich dem Urteil nur entnehmen lässt, dass über das<br />

Vermögen von zwei der Produktionsgesellschaften das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Über das Schicksal der<br />

beiden anderen ergibt sich nichts.<br />

III. Eine Schuldspruchänderung kommt nicht in Betracht. Zwar kann ein eigennütziges Beiseiteschaffen von Vermögen<br />

durch den Geschäftsführer einer Gesellschaft den Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB erfüllen (BGHSt<br />

28, 371; BGHR StGB § 283 Abs. 1 Konkurrenzen 3). Die Angeklagten hatten der Rechnungsstellung und -<br />

begleichung indes zugestimmt.<br />

Das Einverständnis des Geschäftsherrn schließt regelmäßig den Tatbestand der Untreue aus (Fischer aaO § 266 Rdn.<br />

49 m. w. N.). Das gilt grundsätzlich auch für vermögensnachteilige Dispositionen des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft,<br />

wenn sie im Einverständnis der Gesellschafter getroffen werden. Ein Einverständnis der Gesellschafter<br />

ist allerdings unwirksam und die Vermögensverfügung des Geschäftsführers deshalb missbräuchlich, wenn unter<br />

Verstoß gegen Gesellschaftsrecht die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft gefährdet wird, etwa durch Beein-<br />

140


trächtigung des Stammkapitals entgegen § 30 GmbHG, durch Herbeiführung oder Vertiefung einer Überschuldung<br />

oder durch Gefährdung der Liquidität (BGHSt 35, 333; 49, 147, 158; BGH wistra 2003, 457, 460; 2006, 265; vgl.<br />

auch Schünemann aaO § 266 Rdn. 25; Kindhäuser aaO § 266 Rdn. 68 ff.; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 266 Rdn.<br />

20).<br />

Eine solche Existenzgefährdung der Gesellschaft - etwa durch Gefährdung ihrer Liquidität - ist aus den oben unter II.<br />

3. genannten Gründen aber ebenfalls nicht belegt.<br />

IV. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

1. Die von der Rechtsprechung entwickelte Interessentheorie ist in der Literatur auf Ablehnung gestoßen, weil sie für<br />

die Insolvenzdelikte nur einen geringen Anwendungsbereich lässt, wenn Schuldner im Sinne des § 283 StGB eine<br />

Handelsgesellschaft ist (Tiedemann aaO vor § 283 Rdn. 80; Hoyer aaO § 283 Rdn. 103; Radtke aaO vor § 283 Rdn.<br />

55; Labsch wistra 1985, 1, 6 ff.; jew. m. w. N.). Dieser Kritik ist zuzugeben, dass die in § 283 StGB aufgezählten<br />

Bankrotthandlungen ganz überwiegend dem wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft widersprechen und der vom<br />

Gesetzgeber intendierte Gläubigerschutz in der wirtschaftlichen Krise insbesondere von Kapitalgesellschaften bei<br />

Anwendung der Interessentheorie weitgehend leerläuft. Besonders augenfällig wird dies in Fällen der Ein-Mann-<br />

GmbH, in denen der Gesellschafter/Geschäftsführer der Gesellschaft angesichts der drohenden Insolvenz zur Benachteiligung<br />

der Gläubiger Vermögen entzieht und auf seine privaten Konten umleitet, nach wirtschaftlicher Betrachtung<br />

also aus eigennützigen Motiven handelt. Nach der Interessentheorie ist er nicht des Bankrotts schuldig,<br />

obwohl er die Insolvenz gezielt herbeigeführt hat (vgl. BGHSt 30, 127, 128 f.; kritisch dazu Tiedemann aaO vor §<br />

283 Rdn. 80, 85).<br />

Während Einzelkaufleute in vergleichbaren Fällen regelmäßig wegen Bankrotts strafbar sind, entstehen so Strafbarkeitslücken<br />

für Vertreter oder Organe von Kapitalgesellschaften. Angesichts der besonderen Insolvenzanfälligkeit<br />

von in der Rechtsform der GmbH betriebenen Unternehmen wird der Schutzzweck der Insolvenzdelikte dadurch<br />

konterkariert (vgl. Hoyer aaO; Radtke aaO). Dies gilt insbesondere, wenn man die Interessenformel konsequent auch<br />

auf die Bankrotthandlungen anwendet, die die Verletzung von Buchführungs- oder Bilanzierungspflichten sanktionieren<br />

(§ 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB): Entfällt wegen des fehlenden Interesses der Gesellschaft die Bankrottstrafbarkeit,<br />

scheitert eine Verurteilung wegen Untreue regelmäßig am nicht festzustellenden oder nicht nachzuweisenden<br />

Vermögensschaden der Gesellschaft (vgl. Arloth NStZ 1990, 570, 572; Tiedemann aaO vor § 283 Rdn. 84). Über<br />

diese nicht gerechtfertigte Privilegierung von GmbH-Geschäftsführern gegenüber Einzelkaufleuten hinaus wird der<br />

Zweck der § 283 Abs. 1 Nr. 5-7, § 283 b StGB unterlaufen, der Verstöße gegen Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften<br />

wegen der besonderen Gefahr von Fehleinschätzungen mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen<br />

als eigenständiges Unrecht erfassen will (vgl. Arloth NStZ 1990, 570, 572).<br />

2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Interessentheorie bei Vertretern von Personengesellschaften<br />

für die praktisch relevanten Fälle, dass die Gesellschafter der Bankrotthandlung zustimmen (vgl. dazu Labsch wistra<br />

1985, 1, 7), zudem nicht durchgehalten worden; ein Handeln, das aus wirtschaftlicher Sicht im vollständigen Widerstreit<br />

zu den Interessen der vertretenen Gesellschaft steht, soll etwa bei der Kommanditgesellschaft gleichwohl von<br />

dem durch das Einverständnis erweiterten Auftrag des Schuldners - also der Gesellschaft - gedeckt sein, wenn der<br />

Komplementär zustimmt (BGHSt 34, 221, 223 f. = BGH StV 1988, 14, 15 m. Anm. Weber). Die Einschränkung der<br />

Interessentheorie sei insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes geboten (BGHSt 34, 221, 224). Diese Rechtsprechung<br />

hat der Bundesgerichtshof in der Folge auch auf Fälle der GmbH & Co. KG erstreckt, in denen der Geschäftsführer<br />

einer Komplementär-GmbH die Bankrotthandlungen mit Zustimmung der Gesellschafter dieser Kapitalgesellschaft<br />

und damit der Komplementärin vorgenommen hatte (BGH wistra 1989, 264, 267; aA BGH wistra<br />

1984, 71; JR 1988, 254, 255 f. m. abl. Anm. Gössel; offen gelassen von BGH NJW 1992, 250, 252). Der Gläubigerschutz<br />

hat aber bei den in der Rechtsform der GmbH betriebenen Gesellschaften kein geringeres Gewicht als bei<br />

Personengesellschaften oder insbesondere der Mischform der GmbH & Co. KG, so dass mit dieser Argumentation<br />

nicht nachvollziehbar erscheint, warum die Zustimmung der Gesellschafter einer Komplementär-GmbH den Auftrag<br />

des Geschäftsführers erweitern kann, das Einverständnis der Gesellschafter bei einer reinen Kapitalgesellschaft für<br />

die Frage, ob der Geschäftsführer als Organ oder im Auftrag der Gesellschaft handelt, hingegen bedeutungslos sein<br />

soll.<br />

3. Der Senat neigt deshalb dazu, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Strafbarkeit eines<br />

Vertreters wegen Bankrotts abzuweichen und die Abgrenzung zwischen den Insolvenzdelikten der §§ 283 ff. StGB<br />

und insbesondere der Untreue nach § 266 StGB, aber auch den Eigentumsdelikten gemäß §§ 242, 246 StGB nicht<br />

mehr nach der Interessenformel vorzunehmen, <strong>zum</strong>al das Abstellen auf das Interesse des Vertretenen und damit auf<br />

ein subjektives Element vom Wortlaut des § 14 StGB nicht gefordert wird (Arloth NStZ 1990, 570, 574; Tiedemann<br />

aaO vor § 283 Rdn. 84).<br />

141


Es erscheint vielmehr geboten, für die Zurechnung der Schuldnereigenschaft im Sinne der §§ 283 ff. StGB maßgeblich<br />

daran anzuknüpfen, ob der Vertreter im Sinne des § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden<br />

ist. Dies wird bei rechtgeschäftlichem Handeln zu bejahen sein, wenn der Vertreter entweder im Namen des Vertretenen<br />

auftritt oder letzteren wegen der bestehenden Vertretungsmacht jedenfalls im Außenverhältnis die Rechtswirkungen<br />

des Geschäfts unmittelbar treffen (vgl. Radtke aaO vor § 283 Rdn. 58; Lenckner/Perron aaO § 14 Rdn. 26;<br />

Labsch wistra 1985, 59, 60). Gleiches gilt, wenn sich der Vertretene zur Erfüllung seiner außerstrafrechtlichen, aber<br />

gleichwohl strafbewehrten Pflichten (vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB) eines Vertreters bedient (Tiedemann aaO vor §<br />

284 Rdn. 84, Lenckner/Perron aaO; Radtke aaO; Arloth NStZ 1990, 570, 572; Winkelbauer JR 1988, 33, 34). Bei<br />

faktischem Handeln muss die Zustimmung des Vertretenen - unabhängig von der Rechtsform, in der dieser agiert -<br />

ebenfalls dazu führen, dass der Vertreter in seinem Auftrag handelt und ihm die Schuldnerstellung zugerechnet wird<br />

(Radtke aaO; Hoyer aaO § 283 Rdn. 106).<br />

Bei Beachtung dieser Grundsätze kann die trotz gleichartiger Verhaltensweisen mit der Interessentheorie verbundene<br />

Ungleichbehandlung zwischen Einzelkaufleuten und GmbH-Geschäftsführern ebenso vermieden werden (vgl. Radtke<br />

aaO), wie Strafbarkeitslücken bei Verstoß gegen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten, wodurch der Gläubigerschutz<br />

verbessert wird. Soweit der Vertreter eigennützig handelt, wird häufiger als bisher eine Verurteilung wegen<br />

Bankrotts in Tateinheit mit Untreue oder einem Eigentumsdelikt in Betracht kommen, insbesondere wenn die<br />

Zustimmung der Gesellschafter (oder des alleinigen Gesellschafters/Geschäftsführers) einer GmbH wegen des damit<br />

verbundenen existenzgefährdenden Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen kein tatbestandsausschließendes Einverständnis<br />

mit der nachteiligen Vermögensverfügung darstellt (vgl. BGHSt 35, 333; 49, 147, 158; BGH wistra 2003,<br />

457, 460; 2006, 265). Dieses Ergebnis ist jedoch gerechtfertigt, weil in diesen Fällen durch dieselbe Handlung unterschiedliche<br />

Rechtsgüter - der Schutz der Gläubiger einerseits und das Vermögen bzw. das Eigentum der Gesellschaft<br />

andererseits - beeinträchtigt werden.<br />

StGB § 249, § 223 Raub unter Ausnutzung von Gewalt ohne Wegnahmeabsicht<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.<strong>2009</strong> – 5 StR 39/09<br />

Allein der Umstand, dass die Wirkungen der ohne Wegnahmeabsicht ausgeübten Gewalt noch andauern<br />

und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes nicht.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. Oktober 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung, Diebstahls und Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil mit der Sachrüge gerichtete Revision des<br />

Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Landgericht.<br />

Die Verurteilung des Angeklagten wegen Raubes hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat<br />

hierzu folgende Feststellungen getroffen (UA S. 6):<br />

„Danach näherte er sich noch einmal dem Zeugen C. und gab diesem voller Wut zwei Ohrfeigen.<br />

Als der Zeuge versuchte, sich mit der linken Hand zu schützen, sprang dessen Jacke auf und der Angeklagte konnte<br />

in der linken Hemdtasche sein Portemonnaie erkennen. Unter Ausnutzung der gerade ausgeübten Gewalt entnahm er<br />

dem Portemonnaie des Zeugen das darin befindliche Geld in Höhe von 60,00 €.“<br />

Diesen Ausführungen kann nicht ausreichend deutlich entnommen werden, dass der Angeklagte die ausgeübte Gewalt<br />

oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben als Mittel eingesetzt hat, um die Wegnahme<br />

zu ermöglichen. Damit fehlt es an der erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen einer Nötigungshandlung und<br />

der Wegnahme (vgl. BGHSt 32, 88, 92; 41, 123, 124; BGH NStZ 2003, 431; Fischer, StGB 56. Aufl. § 249 Rdn. 10<br />

ff. m.w.N.). Der Angeklagte fasste den Entschluss zur Wegnahme erst, nachdem infolge der Schutzbewegung des<br />

Zeugen dessen Jacke aufgesprungen und die Geldbörse sichtbar geworden war. Eine Äußerung oder sonstige Handlung<br />

des Angeklagten vor oder bei der Wegnahme, die eine (auch schlüssige) Drohung mit weiteren Misshandlungen<br />

enthält, ist auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Allein der Umstand, dass die<br />

142


Wirkungen der ohne Wegnahmeabsicht ausgeübten Gewalt noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für<br />

die Annahme eines Raubes aber nicht.<br />

Angesichts des gegebenen engen Sachzusammenhangs hebt der Senat das Urteil insgesamt mit den Feststellungen<br />

auf. Er schließt nicht aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die den Schuldspruch wegen Raubes<br />

tragen. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben zu prüfen, ob nicht, was nach den Umständen nahe liegt, ein<br />

einheitliches, vom durchgehenden Wegnahmevorsatz des Angeklagten geprägtes Geschehen gegeben oder jedenfalls<br />

nicht auszuschließen ist. In diesem Fall wäre Tateinheit anzunehmen. Sofern das neue Tatgericht hingegen abermals<br />

von Tatmehrheit ausgehen sollte, ist darauf hinzuweisen, dass die wegen der (einfachen) Körperverletzung zugemessene<br />

Einsatzstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe ihrer Höhe nach erheblichen Bedenken begegnet.<br />

StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Raub mit Waffe Beutesicherung<br />

BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – 5 StR 445/08 - BGHSt 52, 376; NJW 2008, 3651; NStZ <strong>2009</strong>, 36; StV 2008, 64; BGHR<br />

StGB § 250 II Nr. 1 Verwenden 7<br />

LS: Die Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs nach Vollendung<br />

einer Raubtat setzt zur Verwirklichung der Qualifikation nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB Beutesi<br />

cherungsabsicht voraus.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4<br />

StPO<br />

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit<br />

gefährlicher Körperverletzung und mit versuchter Nötigung schuldig ist, und<br />

b) im Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher<br />

Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil<br />

wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel<br />

hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2<br />

StPO.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte in Ausnutzung einer kurzzeitigen Abwesenheit der<br />

Kassiererin Geld aus einer Kinokasse entnommen, war dann aber noch in unmittelbarer Nähe der Kassen von mehreren<br />

Unbeteiligten überwältigt, zu Boden gebracht und dort festgehalten worden. Der Angeklagte wehrte sich gegen<br />

diese Übermacht „massiv, indem er mit großem Kraftaufwand durch Winden und Zappeln versuchte, sich den Griffen<br />

der Zeugen zu entziehen“, was ihm jedoch nicht gelang. Vergeblich versuchte er, den Ellenbogen eines der ihn<br />

festhaltenden Zeugen nach oben zu drücken. Dabei hielt er das erbeutete Geldbündel zunächst fest. Nachdem er im<br />

weiteren Verlauf des Geschehens die Hände frei bekommen hatte, nutzte der Angeklagte dies, um Pfefferspray aus<br />

seiner Kleidung zu holen und es in Richtung der Zeugen zu sprühen, die dadurch verletzt wurden. Alsbald nach Beginn<br />

des Sprühens ließ der Angeklagte seine gesamte Beute fallen. Durch den Einsatz des Pfeffersprays wollte er<br />

seine Flucht erreichen. Das Landgericht hat es nicht auszuschließen vermocht, dass es ihm nun nicht mehr darum<br />

ging, das Geld zu behalten.<br />

2. Nach Auffassung des Landgerichts verwirklicht der Einsatz des Pfeffersprays den Qualifikationstatbestand des §<br />

250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Es hat als unschädlich angesehen, dass dieser „erst nach Aufgabe der Beutesicherungsabsicht“<br />

erfolgte. Für die Verwirklichung der Qualifikation reiche es aus, dass sich – wie hier – die tatspezifische Gefährlichkeit<br />

im Einsatz des Sprays verwirklicht habe (unter Berufung auf BGHSt 38, 295).<br />

Diese Begründung des Landgerichts geht fehl. Der Strafschärfungsgrund der gegenüber § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB<br />

erhöhten Qualifizierung des Absatzes 2 Nr. 1 liegt darin, dass es tatsächlich <strong>zum</strong> Einsatz eines mitgeführten Werkzeugs<br />

als Nötigungsmittel kommt (vgl. BT-Drucks 13/8587, S. 45). Dabei ist zu fordern, dass das gefährliche Tatmittel<br />

zur Verwirklichung der raubspezifischen Nötigung verwendet wird (Fischer, StGB 55. Aufl. § 250 Rdn. 17). So<br />

143


wie in den Fällen des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB die Waffe in einem Handlungsausschnitt mitgeführt werden muss,<br />

der wenigstens zu einer Intensivierung der tatbestandstypischen Rechtsgutsverletzung bzw. zur Sicherung des Erlangten<br />

dient (Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 250 Rdn. 12), ist es im Fall des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB<br />

erforderlich, dass diese gerade als Mittel zur Sicherung des Besitzes an dem gestohlenen Gut eingesetzt wird (vgl.<br />

BGHSt 48, 365, 366 f. hinsichtlich der erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen – qualifiziertem – Nötigungsmittel<br />

und Wegnahme beim Raub; vgl. auch Sander in MünchKomm-StGB § 250 Rdn. 58, § 252 Rdn. 13, 21). Nur<br />

der Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels zur Sicherung des durch den Diebstahl Erlangten begründet den besonderen<br />

Unrechtsgehalt des nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB qualifizierten räuberischen Diebstahls und stellt ihn dem<br />

nach derselben Vorschrift qualifizierten Raub gleich (im Anschluss an BGHSt 9, 162, 163).<br />

Vom vorliegenden Fall unterscheidet sich der der Entscheidung BGHSt 38, 295 zugrunde liegende Sachverhalt insoweit,<br />

als dort der Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels nach Vollendung der Raubtat immer noch von Beutesicherungsabsicht<br />

getragen war.<br />

Wegen des Einsatzes des Pfeffersprays im vorliegenden Fall hat der Senat ferner die tateinheitliche versuchte Nötigung<br />

in den Schuldspruch mit aufgenommen (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 354 Rdn. 17).<br />

3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, da Auswirkungen auf diesen nicht<br />

auszuschließen sind. Zwar hat das Landgericht die Strafe dem Rahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen, der auch<br />

auf den Schuldspruch nach § 250 Abs. 1 StGB anzuwenden ist. Jedoch wird nunmehr dem Umstand, dass die –<br />

verbleibenden – raubspezifischen Nötigungshandlungen des Angeklagten (Winden, Zappeln, Wegdrücken des Ellenbogens<br />

eines Zeugen) im unteren Schwerebereich der Gewalt liegen, neben dem ohnehin gravierend mildernden<br />

Moment der Versuchsnähe stärkeres Gewicht zukommen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht<br />

einen minder schweren Fall nach § 250 Abs. 3 StGB bereits ohne Berücksichtigung der erheblich verminderten<br />

Steuerungsfähigkeit des Angeklagten annehmen wird.<br />

Da es sich um einen reinen Subsumtionsfehler handelt, können die Feststellungen bestehen bleiben. Das neue Tatgericht<br />

kann weitergehende Feststellungen treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.<br />

StGB § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a Misshandlungen nach Vollendung einer Raubtat<br />

BGH, Urt. v. 26.03.<strong>2009</strong> – 5 StR 31/09<br />

LS: Schwere Misshandlungen nach Vollendung einer Raubtat können den Qualifikationstatbestand<br />

des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit.a StGB nur dann erfüllen, wenn sie weiterhin von Zueignungs- oder Bereicherungsabsicht<br />

getragen sind, insbesondere der Beutesicherung oder der Erlangung weiterer Beute<br />

dienen (im Anschluss an BGHSt 20, 194; BGH NJW 2008, 3651, zur Veröffentlichung in BGHSt<br />

bestimmt).<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. März <strong>2009</strong> für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. September 2008<br />

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagten Z. und Se. des Raubes sowie der räuberischen<br />

Erpressung, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, und der Angeklagte R. der räuberischen<br />

Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig sind, und<br />

b) betreffend den Angeklagten R. im Strafausspruch sowie betreffend die Angeklagten Z. und Se.<br />

jeweils im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels des Angeklagten R. , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.<br />

Betreffend die Angeklagten Z. und Se. wird von einer Auferlegung der Kosten des Rechtsmittels abgesehen.<br />

– –<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten Z. und Se. wegen Raubes sowie wegen (besonders) schwerer<br />

räuberischer Erpressung jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und den Angeklagten R. wegen<br />

(besonders) schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen<br />

und wie folgt verurteilt: den Angeklagten Z. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten,<br />

144


den erwachsenen Angeklagten R. – unter Anwendung des § 250 Abs. 3 StGB – zu einer Freiheitsstrafe von drei<br />

Jahren und neun Monaten und den Angeklagten Se. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung<br />

zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen,<br />

mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen, der Angeklagte Z. auch die Verletzung formellen<br />

Rechts. Die Rechtsmittel erzielen – hinsichtlich der Schuldsprüche in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt<br />

– den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

a) Die Angeklagten hatten sich am Abend vor der Tat in der Wohnung des Angeklagten R. getroffen und dort<br />

gemeinsam mit zwei Mädchen alkoholische Getränke konsumiert. Um Nachschub zu besorgen, begaben sie sich zu<br />

einem „Spätkauf“. Da ihr Geld nicht ausreichte, machte letztlich der Angeklagte Z. den Vorschlag, jemanden<br />

„abzuziehen“. Diesem Vorhaben schloss sich der Angeklagte Se. ohne Zögern an, während sich der Angeklagte<br />

R. zunächst nicht beteiligen wollte und mit den Mädchen in einigem Abstand hinter den beiden anderen<br />

herlief. Auf der Straße begegneten die Angeklagten den Geschädigten Si. und Kö. . In Ausführung ihres Planes<br />

beraubten Z. und Se. zunächst den Zeugen Si. . Unter Einsatz von Faustschlägen und Tritten<br />

nahmen sie ihm eine Schachtel Zigaretten weg.<br />

Während dieser Tat hatte sich der Zeuge Kö. ängstlich entfernt. Der Angeklagte R. verfolgte ihn und versperrte<br />

ihm mit ausgestreckten Armen den Weg. Die beiden anderen Angeklagten kamen hinzu und bauten sich, ihren Tatplan<br />

wieder aufgreifend, vor dem Zeugen auf. Sie schubsten ihn und verlangten Geld von ihm verbunden mit der<br />

Drohung, ihn im Falle der Weigerung „abzustechen“. Nachdem der inzwischen „panische“ Zeuge sich auf ihr Geheiß<br />

auf die Eingangsstufen eines Hauses gesetzt und dem Angeklagten Se. seine Geldbörse ausgehändigt hatte, trat<br />

dieser zur Seite, um sie zu durchsuchen. Als der Geschädigte nun aufstehen und sich entfernen wollte, hinderten R.<br />

und Z. ihn daran. Sie versetzten ihm so heftige Faustschläge und Tritte, dass er zu Boden ging. Beide Angeklagte<br />

traten mehrfach gegen den Kopf des Zeugen. Nachdem der Angeklagte Se. der Geldbörse des Kö. einen<br />

Fünf-Euro-Schein entnommen und die Börse weggeworfen hatte, beteiligte er sich ebenfalls an den Misshandlungen<br />

und trat wiederholt ins Gesicht des am Boden Liegenden. Die Angeklagten ließen den Geschädigten schließlich<br />

bewusstlos zurück.<br />

b) Das Landgericht hat die Tat gegen den Zeugen Kö. als (besonders) schwere räuberische Erpressung in Tateinheit<br />

mit gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4, §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a, § 25<br />

Abs. 2, § 52 StGB) gewertet. Der Umstand, dass die körperlichen Misshandlungen erst nach Herausgabe der Geldbörse<br />

erfolgten, stehe der Annahme des Qualifikationsmerkmals des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB nicht entgegen.<br />

Denn anders als bei den Zwangsmitteln des Grundtatbestandes bedürfe es insoweit keiner finalkausalen Verknüpfung.<br />

Vielmehr reiche nach dem Gesetzeswortlaut eine Misshandlung „bei der Tat“, d. h. zu irgendeinem Zeitpunkt<br />

während des Tathergangs aus.<br />

2. Diese Begründung ist unter sachlichrechtlichen Gesichtspunkten zu beanstanden.<br />

a) Zwar trifft es im Ansatz zu, dass eine Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a<br />

StGB auch noch in der Phase zwischen Vollendung und Beendigung der Raubtat möglich ist (Fischer, StGB 56.<br />

Aufl. § 250 Rdn. 26). Dies hat der Bundesgerichtshof für den ähnlichen Fall des Verwendens einer Waffe „bei der<br />

Tat“ im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 342; BGH NJW 2008, 3651, zur Veröffentlichung<br />

in BGHSt bestimmt) im Einklang mit seiner Rechtsprechung zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. (vgl. BGHSt 20,<br />

194, 197) mehrfach bejaht. Danach genügt es zur Anwendung des § 250 StGB, dass die Waffe dem Täter zu irgendeinem<br />

Zeitpunkt des Tathergangs zur Verfügung steht. Unter Tathergang ist dabei nicht nur die Verwirklichung der<br />

Tatbestandsmerkmale bis zur Vollendung des Raubes zu verstehen, sondern das gesamte Geschehen bis zu dessen<br />

tatsächlicher Beendigung. Allerdings hat der Bundesgerichtshof stets darauf abgestellt, dass der Täter die Waffe<br />

zwischen Vollendung und Beendigung des Raubes zur weiteren Verwirklichung seiner Zueignungsabsicht und in<br />

diesem Abschnitt der Tat insbesondere zur Beutesicherung eingesetzt hat. Nichts anderes hat zu gelten, wenn nach<br />

Vollendung einer räuberischen Erpressung der Waffeneinsatz in Frage steht. Er muss entsprechend zur weiteren<br />

Verwirklichung der Bereicherungsabsicht erfolgt sein.<br />

b) Der schlichte räumlichzeitliche Zusammenhang zwischen einem – vollendeten – Raub oder einer räuberischen<br />

Erpressung und einer unmittelbar nachfolgenden schweren Misshandlung genügt für die Annahme des Tatbestandsmerkmals<br />

„bei der Tat“ im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB nicht. Dem steht schon der systematische Zusammenhang<br />

entgegen, in dem der Tatbestand steht. Da die Raubdelikte durch die finale Verknüpfung von Gewalt<br />

und rechtswidriger Vermögensverfügung geprägt sind, bezieht sich das Merkmal „bei der Tat“ auf eben diese Verknüpfung.<br />

Hierfür spricht auch die Regelung des räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB, wonach der auf frischer<br />

Tat betroffene Dieb nur dann gleich einem Räuber – mit den entsprechenden Qualifikationen – bestraft werden<br />

145


kann, wenn er die Gewalt einsetzt, um sich im Besitz der Beute zu erhalten. Die Qualifikation betrifft deshalb bei<br />

den übrigen Raubtatbeständen auch nur die besondere Form oder Intensität des Gewalteinsatzes, der für die Herbeiführung<br />

der Vermögensverfügung aufgewendet wird. Dabei ist – wie der Generalbundesanwalt in seinem Terminsantrag<br />

zutreffend ausgeführt hat – bei der Auslegung des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB maßgeblich zu berücksichtigen,<br />

dass die Vorschrift gegenüber den als Vergleichsmaßstab heranzuziehenden Strafbestimmungen der §§ 224 und<br />

226 StGB eine deutlich angehobene Strafrahmenuntergrenze aufweist. Das bloße Übergehen zur schweren körperlichen<br />

Misshandlung nur bei Gelegenheit eines bereits vollendeten Raubes vermag diese signifikante Anhebung der<br />

Mindeststrafe nicht zu rechtfertigen.<br />

Zwar erscheint es vom Wortlaut her möglich, im weiteren Zusammenhang mit einem vollendeten Raub oder einer<br />

räuberischen Erpressung stehende Körperverletzungen – etwa aus Wut über eine zu geringe Beute ausgeführte<br />

schwere Misshandlung – der Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB zu unterstellen. Der besondere Schutzzweck<br />

des Raub- und Erpressungstatbestandes erfordert indes, dass die als schwere Misshandlung zu qualifizierende<br />

Körperverletzung von einer weiteren Verwirklichung der Zueignungs- oder Bereicherungsabsicht getragen ist (vgl.<br />

BGHSt 20, 194, 197; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 250 Rdn. 12; a. A. Fischer aaO).<br />

c) So liegt es hier aber nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht. Die massiven, zur Ohnmacht des<br />

Opfers führenden Verletzungshandlungen der Angeklagten standen in keinem Zusammenhang mit der Erpressungstat.<br />

Der Angeklagte Se. hatte die aus fünf Euro bestehende Tatbeute bereits an sich genommen und die offensichtlich<br />

für wertlos gehaltene Geldbörse des Opfers weggeworfen. Die Angeklagten hatten keinen Anlass für die<br />

Annahme, der Geschädigte werde versuchen, seine Geldbörse wieder zu erlangen. Des Weiteren ist nicht festgestellt,<br />

dass die Angeklagten den Geschädigten durch die Misshandlungen etwa noch zur Herausgabe weiterer Wertgegenstände<br />

veranlassen wollten.<br />

3. Das weitere Revisionsvorbringen der Angeklagten zu den jeweils erhobenen Sachrügen zeigt aus den in der Antragsschrift<br />

des Generalbundesanwalts genannten Gründen keine Rechtsfehler des angefochtenen Urteils auf; dasselbe<br />

gilt für die offensichtlich unbegründete Verfahrensrüge des Angeklagten Z. .<br />

4. Der Senat ändert den Schuldspruch, da ein anderweitiger Nachweis der Qualifikation bei der gegebenen Beweislage<br />

ausgeschlossen erscheint.<br />

5. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs gegen den Angeklagten R. und der<br />

Aussprüche über die Höhe der Jugendstrafe gegen die beiden übrigen Angeklagten. Bei dem erwachsenen Angeklagten<br />

R. unterscheidet sich der hier anzuwendende Strafrahmen des § 224 Abs. 1 erste Alternative StGB (i.V.m. §<br />

249 Abs. 2, § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB) zwar nicht wesentlich von dem angewendeten Strafrahmen des § 250 Abs. 3<br />

StGB. Indes liegt es – abgesehen von der geringeren Mindeststrafe – nicht fern, dass die konkrete Straffindung von<br />

der zu Unrecht angenommenen Qualifikation beeinflusst worden ist. Bei den jugendlichen Angeklagten lässt angesichts<br />

zweier Raubtaten der Wegfall der Qualifikation die Notwendigkeit der Verhängung von Jugendstrafen wegen<br />

der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) ersichtlich unberührt. Trotz der sehr mild bemessenen Strafen kann der<br />

Senat letztendlich nicht ausschließen, dass das Landgericht noch etwas mildere Jugendstrafen verhängt hätte. Denn<br />

die Jugendkammer hat nicht etwa, wie es auf der Hand gelegen hätte, die besondere Brutalität der Tat, sondern eine<br />

erhöhte Mindeststrafe des Normalstrafrahmens des § 250 Abs. 2 StGB bei beiden Angeklagten als maßgeblichen<br />

Zumessungsgrund benannt (UA S. 31, 34) und insgesamt erzieherische Erwägungen bei seiner Straf<strong>zum</strong>essung vernachlässigt.<br />

Da lediglich ein Subsumtionsfehler vorliegt, können sämtliche Feststellungen bestehen bleiben; sie sind allenfalls<br />

durch weitere Feststellungen ergänzbar, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.<br />

146


StGB § 250 I Nr. 1b Raub mit Hilfe von "K.O-Tropfen"<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 473/08<br />

Sogenannte "K.O-Tropfen", nach deren Genuss die Geschädigte für etwa drei Stunden bewusstlos<br />

wurde, erfüllen lediglich den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB, denn ein narkotisierendes<br />

Mittel in der vom Angeklagten verwendeten Dosierung ist kein gefährliches Werkzeug im Sinne des<br />

§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers<br />

am 27. Januar <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. Mai 2008 in den Aussprüchen<br />

über die wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verhängte Einzelstrafe<br />

und über die Gesamtstrafe aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und<br />

wegen Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt. Mit seiner<br />

Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge<br />

zu den Aussprüchen über die wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verhängte<br />

Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Schuldspruch wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung hält im Ergebnis rechtlicher<br />

Nachprüfung stand. Jedoch begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Qualifikationstatbestand<br />

des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs) verwirklicht, durchgreifenden<br />

sachlich-rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte der Geschädigten, um aus deren Wohnung<br />

Geld und andere Wertgegenstände entwenden zu können, eine narkotisierende Substanz, so genannte "K.O.-<br />

Tropfen", in den Kaffee gegeben, nach deren Genuss die Geschädigte für etwa drei Stunden bewusstlos wurde. Danach<br />

hat der Angeklagte die K.O.-Tropfen, die er bei sich führte, um den Widerstand der Geschädigten durch Gewalt<br />

zu verhindern, zwar bei der Begehung der Tat verwendet. Der Einsatz der K.O.-Tropfen erfüllt aber unter den hier<br />

gegebenen Umständen lediglich den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB, denn ein narkotisierendes Mittel in<br />

der vom Angeklagten verwendeten Dosierung ist kein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB<br />

(vgl. BGH, Beschl. vom 15. Juli 1998 - 1 StR 309/98). Auch die durch das Verabfolgen der „K.O.-Tropfen“ verursachte<br />

Körperverletzung (vgl. BGHR StGB § 223 Bewusstseinsverlust 1) hat der Angeklagte demgemäß nicht mittels<br />

eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, sondern durch Beibringung gesundheitsschädlicher<br />

Stoffe und, was das Landgericht übersehen hat, mittels eines hinterlistigen Überfalls begangen (§ 224<br />

Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB; vgl. BGHR aaO: zu § 223 a StGB).<br />

2. Die wegen dieser Tat verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten hat keinen Bestand, weil nicht<br />

auszuschließen ist, dass das Landgericht eine geringere Freiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es sie dem Strafrahmen<br />

des § 250 Abs. 1 StGB (Mindeststrafe: drei Jahre Freiheitsstrafe) entnommen hätte. Die Aufhebung dieser Einzelstrafe<br />

nötigt zur Aufhebung auch der Gesamtstrafe. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier allein<br />

vorliegenden Wertungsfehler nicht. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch<br />

stehen, sind möglich.<br />

StGB § 250, § 253, § 255 Irrtum über Anspruch bei Erpressung<br />

BGH; Beschl. v. 17.12.2008 – 1 StR 648/08<br />

1. Die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils bei der räuberischen Erpressung ist ein<br />

(normatives) Tatbestandsmerkmal, das vom - <strong>zum</strong>indest bedingten - Vorsatz des Täters umfasst<br />

147


sein muss.<br />

2. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Forderung richtet sich nicht<br />

danach, ob sie umstritten ist oder vor Gericht durchgesetzt werden muss, sondern allein nach der<br />

materiellen Rechtslage.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18. Juni 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen <strong>zum</strong> äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit drei tateinheitlichen<br />

Fällen der Bedrohung und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten<br />

verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision wendet er sich im Wesentlichen gegen die Verurteilung<br />

wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung.<br />

1. Die Strafkammer hat folgenden Geschehensablauf festgestellt:<br />

a) Die Lebensgefährtin des Angeklagten, Frau Sc. , hatte für ihren Kurierdienst bei dem Autohaus S.<br />

einen gebrauchten Pkw Renault Master 3L zu einem Kaufpreis von 16.500 € erworben. Nachdem die Hausbank die<br />

Finanzierung des Pkw nicht, wie ursprünglich vorgesehen, übernehmen wollte, wandte sich Frau Sc.<br />

am<br />

10. Juli 2007 an die Leasingfirma A. in M. , mit welcher daraufhin am 12. Juli 2007 ein<br />

Leasingvertrag geschlossen wurde. Dabei wurde eine Leasingsonderzahlung in Höhe von 1.950 € vereinbart, welche<br />

Frau Sc.<br />

am 16. Juli 2007 bar bezahlte. In der Folge kam es zunächst zu einem Rücktritt durch die Leasingfirma,<br />

weil man bemerkt hatte, dass es hinsichtlich Frau Sc. noch eine Eintragung wegen der Abgabe<br />

einer eidesstattlichen Versicherung gab. Am 23. Juli 2007 wurde die Wiederaufnahme des Leasingvertrags in Aussicht<br />

gestellt, sofern eine Bankbürgschaft sowie Belege über die Einkommensverhältnisse vorgelegt werden würden.<br />

Am 1. August 2007 wurde dann auch der Rücktritt von der Leasingfirma zurückgenommen, eine Sonderzahlung in<br />

Höhe von 7.725 € sowie andere Leasingraten vereinbart. Außerdem gab die Leasingfirma eine TÜV-Bewertung des<br />

finanzierten Fahrzeugs in Auftrag. Die restliche Leasingsonderzahlung wurde am 17. August 2007 durch Frau Sc.<br />

bezahlt. Zu einer Auszahlung des Kaufpreises an das Autohaus durch die Leasingfirma kam es in der Folge dennoch<br />

nicht, nachdem das TÜV-Gutachten lediglich zu einem Händlerverkaufswert des angekauften Pkw von 10.450 €<br />

brutto gekommen war. Frau Sc.<br />

beauftragte daraufhin einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer<br />

Rechte. Dieser erreichte die Einholung eines weiteren Wertgutachtens, welches zu einem Netto-Händlerverkaufswert<br />

von 12.700 € (= 15.113 € brutto) kam. Der von Frau Sc.<br />

beauftragte Rechtsanwalt war der<br />

Ansicht und teilte ihr dies auch mit, dass ein Anspruch auf Auszahlung des Kaufpreises gegeben sei. Dementsprechend<br />

äußerte er sich auch mehrfach schriftlich gegenüber der Leasingfirma und führte aus, dass eine gerichtliche<br />

Klärung selbstverständlich herbeigeführt werden müsse. Zusätzlich wurde von ihm noch das Angebot unterbreitet,<br />

auf der Basis des zweiten Gutachtens weitere 1.387 € als zusätzliche Sonderzahlung nachzuzahlen, wozu Frau Sc.<br />

wohl auch bereit gewesen wäre. Bei einem Telefonat mit der Leasingfirma wurde dem Rechtsanwalt zugesagt, er<br />

würde am 9. Oktober 2007 Bescheid erhalten; hierauf geschah jedoch nichts. Stattdessen erfolgte die fristlose Kündigung<br />

wegen Zahlungsverzugs, nachdem Frau Sc. zunächst keine weiteren Zahlungen erbracht hatte.<br />

b) Am 19. Oktober 2007 betrat der Angeklagte gegen 10.25 Uhr ganz in Schwarz gekleidet das Büro des bei der<br />

Leasingfirma tätigen Geschädigten St. in M. und sagte ihm, dass er im Auftrag von Frau Sc.<br />

komme, und gab ihm einen handgeschriebenen Notizzettel mit der Kontonummer des Autohauses S. in die<br />

Hand. Der Geschädigte bat ihn in sein Besprechungszimmer und bot ihm einen Sitzplatz und ein Getränk an, worauf<br />

dieser jedoch nicht einging und stehen blieb. Als der Geschädigte St. den Raum verlassen wollte, um die Akte<br />

des Vorgangs zu holen, packte ihn der Angeklagte von hinten um Brust und Hals und holte ein Elektroschockgerät<br />

hervor, welches er ihm abwechselnd an verschiedene Stellen des Körpers hielt. Um dessen Funktionstüchtigkeit zu<br />

demonstrieren, hielt er das Gerät vom Körper des St. entfernt und löste es aus. Dazu sagte er, dass er einen schönen<br />

Gruß von Frau Sc. ausrichte und dass der Geschädigte das Geld überweisen solle, womit er die Auszahlung<br />

des Kaufpreises an das Autohaus meinte. Nachdem der Geschädigte daraufhin laut um Hilfe rief, kamen<br />

zwei weitere Personen, die Geschädigten H. und G. , in den Büroraum, woraufhin der Angeklagte das Elektroschockgerät<br />

auch auf diese richtete. Außerdem zog er eine schwarze Pistole aus dem Halfter seines Gürtels und<br />

richtete diese abwechselnd auf die drei Geschädigten. Bei der Waffe handelte es sich um eine ungeladene Softair-<br />

148


pistole, was die Geschädigten jedoch nicht erkannten und die Drohung deshalb ernst nahmen. Der Angeklagte verließ<br />

daraufhin das Büro.<br />

c) Am folgenden Tag schickte der Angeklagte ein Fax an den Geschädigten St. und führte aus, dass "gestern nur<br />

gespielt" worden sei; die Sache sei bis <strong>zum</strong> 23. Oktober 2007 zu regeln, andernfalls würde er erneut aufgesucht,<br />

diesmal aber privat. Des Weiteren schickte der Angeklagte an den folgenden Tagen vier Briefe an St. , welche<br />

jeweils eine funktionstüchtige Patrone enthielten, die aus dem Nachlass des verstorbenen Vaters des Angeklagten<br />

stammten.<br />

Zu einer Zahlung des Kaufpreises durch die Leasingfirma kam es in der Folge nicht.<br />

2. Diese Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen (§ 349 Abs. 2 StPO). Jedoch war auf die Revision des Angeklagten<br />

das Urteil im Schuld- und Strafausspruch aufzuheben, weil bereits Bedenken gegen die Annahme des Landgerichts<br />

bestehen, einen Auszahlungsanspruch aus dem Leasingvertrag habe es nicht gegeben, welchen der Angeklagte<br />

durchsetzen wollte. Dass der Angeklagte selbst einen unmittelbaren Anspruch gegen die Leasingfirma habe,<br />

hat er nach den Feststellungen gegenüber dem Geschädigten St. nicht behauptet. Vielmehr hat er mit dem Hinweis<br />

auf Frau Sc. und der Übergabe der Kontonummer des Autohauses S. zu verstehen gegeben,<br />

dass er die Auszahlung aus dem Leasingvertrag an das Autohaus erreichen möchte.<br />

Danach kommt es für den Tatbestand der räuberischen Erpressung darauf an, ob der Angeklagte eine Zahlung an<br />

einen Dritten erreichen wollte, um diesen oder eine andere Person zu Unrecht zu bereichern. Die Rechtswidrigkeit<br />

des erstrebten Vermögensvorteils ist ein (normatives) Tatbestandsmerkmal, das vom - <strong>zum</strong>indest bedingten - Vorsatz<br />

des Täters umfasst sein muss (BGH StV 1991, 20; Senat, Beschl. vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08). Vorliegend<br />

bestehen bereits Zweifel, ob angesichts der erbrachten Leistungen auf den Leasingvertrag möglicherweise bereits ein<br />

Auszahlungsanspruch gegeben gewesen wäre. Die Strafkammer äußert sich hierzu nicht, sondern stellt allein fest, es<br />

habe weder einen anerkannten, noch einen gerichtlich festgestellten Anspruch gegeben. Außerdem sei die Vertragssituation<br />

über Monate hinweg äußerst komplex gewesen, wobei auch der von Frau Sc. beauftragte Rechtsanwalt<br />

ausgeführt habe, gerichtliche Hilfe müsse wohl in Anspruch genommen werden. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit<br />

oder Rechtswidrigkeit einer Forderung richtet sich aber nicht danach, ob sie unbestritten ist oder vor Gericht<br />

durchgesetzt werden muss, sondern allein nach der materiellen Rechtslage (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 6 f.; Senat,<br />

Beschl. vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 359/08).<br />

Selbst wenn die nun zur Entscheidung berufene Strafkammer zur Auffassung gelangen sollte, ein Auszahlungsanspruch<br />

sei <strong>zum</strong> Tatzeitpunkt nicht gegeben gewesen und dies habe sich dem Angeklagten trotz anderweitiger Rechtsauskunft<br />

des Rechtsanwalts von Frau Sc.<br />

aufdrängen müssen, wird zu erörtern sein, ob der Angeklagte<br />

nicht von seinem Vorhaben zurückgetreten ist, nachdem er von sich aus den Büroraum verlassen und trotz der für<br />

echt gehaltenen Waffe keine weiteren Versuche mehr unternommen hat, zu diesem Zeitpunkt eine Auszahlung des<br />

Geldes zu erreichen.<br />

3. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird auch bald über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden<br />

haben, wobei allerdings auch das weitere Verhalten des einschlägig vorbestraften Angeklagten in den Tagen<br />

nach der Tat in M. Berücksichtigung finden kann.<br />

StGB § 259 mitbestrafte Nachtat<br />

BGH, Urt. v. 27.08.2008 – 2 StR 329/08 - StraFo 2008, 479; NStZ <strong>2009</strong>, 38<br />

Zum Begriff der mitbestraften Nachtat.<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 29. Januar 2008,<br />

soweit es den Angeklagten Sch. betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit eine Verurteilung wegen versuchten oder vollendeten Betrugs <strong>zum</strong> Nachteil der Käufer unterblieben ist,<br />

b) im gesamten Strafausspruch.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in 34 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrem zu<br />

149


Ungunsten des Angeklagten eingelegten, bei sachgerechter Auslegung auf den unterbliebenen Schuldspruch wegen<br />

(versuchten) Betrugs <strong>zum</strong> Nachteil der Käufer sowie auf den Strafausspruch beschränkten Rechtsmittel die Verletzung<br />

materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in 34 Fällen Topfsets, Messerblöcke und -sets und weitere Küchengeräte,<br />

die der bereits rechtskräftig verurteilte Z. zuvor – wie der Angeklagte wusste – aus dem Hochregallager<br />

der Firma F. entwendet hatte. Hierdurch wollte er sich eine fortlaufende Einnahmequelle von erheblichem<br />

Umfang verschaffen. Er veräußerte die angekauften Waren einzeln mit Gewinn über das InternetAuktionsportal<br />

eBay.<br />

2. Der Schuldspruch wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in 34 Fällen ist wegen der wirksamen Beschränkung der Revision<br />

(vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 318 Rdn. 9 f. m.w.N.) rechtskräftig. Das Landgericht hat im Rahmen der<br />

rechtlichen Würdigung des Weiteren zutreffend erkannt, dass die Käufer gemäß § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB kein Eigentum<br />

an den gestohlenen Waren erlangen konnten; es hat gemeint, dass einem <strong>zum</strong>indest versuchten Betrug im<br />

Konkurrenzweg keine eigenständige Bedeutung zukomme. Dies ist rechtsfehlerhaft.<br />

a) Insbesondere liegt keine mitbestrafte Nachtat vor. Hierbei handelt es sich um eine selbständige, den Tatbestand<br />

eines Strafgesetzes erfüllende rechtswidrige und schuldhafte Handlung, durch die der Täter den Erfolg der Vortat<br />

oder die durch diese erlangte Position sichert, ausnutzt oder verwertet. Sie bleibt straflos, wenn die Bewertung des<br />

konkreten Sachverhalts ergibt, dass dieser nachfolgenden, an sich strafbaren Handlung wegen ihres inneren - funktionalen<br />

- Zusammenhangs mit der (Vor-)Haupttat kein eigener Unwertgehalt zukommt, so dass auch kein Bedürfnis<br />

besteht, sie neben der Haupttat selbständig zu bestrafen (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. vor § 52 Rdn. 151). Voraussetzung<br />

für die Straflosigkeit der Nachtat ist, dass die Geschädigten der beiden Straftaten identisch sind, die<br />

Nachtat kein neues Rechtsgut verletzt und der Schaden qualitativ nicht über das durch die Haupttat verursachte Maß<br />

hinaus erweitert wird (BGHSt 5, 295, 297; 6, 67, 68; BGH NStZ 1987, 23; 2008, 396; Rissing-van Saan aaO vor §<br />

52 Rdn. 153).<br />

b) Hier hat der Angeklagte mit dem Ankauf des Diebesguts die bestohlene Firma F. (weiter) geschädigt (<strong>zum</strong><br />

Rechtsgut des Hehlereitatbestands vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 259 Rdn. 1). Den versuchten oder vollendeten Betrug<br />

hat er jedoch <strong>zum</strong> Nachteil der Käufer des gestohlenen Küchenzubehörs begangen und damit jeweils einen anderen<br />

Rechtsgutsträger verletzt. Damit hat er zugleich einen weiteren Schaden über das durch die Haupttat verursachte<br />

Maß hinaus herbeigeführt.<br />

c) Zwischen der gewerbsmäßigen Hehlerei einerseits und dem (versuchten) Betrug andererseits besteht - entgegen<br />

der Auffassung des Generalbundesanwalts - Tatmehrheit (vgl. BGH bei Holtz MDR 1988, 278; NStZ 2001, 138 f.;<br />

Urt. vom 21. Mai 1996 – 1 StR 125/96, insoweit in NStZ 1996, 495 nicht abgedruckt; Lauer in MünchKomm/StGB<br />

§ 259 Rdn. 123). Die Veräußerung des Diebesguts ist von der erhobenen Anklage umfasst.<br />

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt daher insoweit zur Aufhebung des Urteils, als das Landgericht eine Verurteilung<br />

des Angeklagten wegen versuchten oder vollendeten Betrugs <strong>zum</strong> Nachteil der Käufer wegen der irrigen Annahme<br />

von Gesetzeskonkurrenz unterlassen hat. Einer Änderung des Schuldspruchs durch den Senat steht bereits die<br />

Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO entgegen. Das Landgericht wird die insoweit erforderlichen Feststellungen zu<br />

treffen und gegebenenfalls selbständige Einzelstrafen zu verhängen sowie eine neue Gesamtstrafe zu bilden haben.<br />

Schon um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zur umfassenden und ausgewogenen Neufestsetzung aller Strafen zu<br />

geben, hat der Senat auch die für die 34 Fälle der gewerbsmäßigen Hehlerei verhängten Einzelstrafen aufgehoben.<br />

4. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob zwischen Anklageerhebung und Urteil eine der<br />

Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung eingetreten ist, die einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK darstellt<br />

und eine Kompensation erfordert, welche im Wege des Vollstreckungsmodells (vgl. BGH, Beschluss vom 17.<br />

Januar 2008 - GSSt 1/07 = NJW 2008, 860 f.) vorzunehmen wäre.<br />

StGB § 261 Geldwäsche - Herrühren<br />

BGH, Beschl. v. 18.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 4/09 = JZ <strong>2009</strong>, 745 m. Anm. Fahl.<br />

LS: 1. Im Rahmen der Strafbarkeit des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB rührt bei der Bestechung nach §<br />

334 StGB als Vortat auch das Bestechungsgeld, das der Bestechende zahlt, aus der Tat her.<br />

150


2. Bei der Beurteilung, ob der Täter der Geldwäsche sich zugleich wegen der Vortat strafbar i.S.d. §<br />

261 Abs. 9 Satz 2 StGB gemacht hat, ist allein auf das deutsche Recht abzustellen.<br />

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. April 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Geldwäsche in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten<br />

verurteilt, deren Vollstreckung es zu Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es die Einziehung eines Betrages<br />

von 398.628,13 Euro zuzüglich auflaufender Zinsen angeordnet. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung<br />

materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Die Verurteilung wegen Geldwäsche in zwei tatmehrheitlichen Fällen begegnet keinen Bedenken.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts wirkte die Angeklagte von 1999 bis 2002 an der Zahlung von Bestechungsgeldern<br />

in Höhe von rund 1,15 Millionen Euro an ihren Bruder, einen Amtsträger im georgischen Transportministerium,<br />

mit. Dabei leisteten die in Deutschland ansässigen Firmen B. und F. an den Bruder der Angeklagten<br />

Zuwendungen, aufgrund derer dieser pflichtwidrig auf die Vergabe von georgischen CEMT-Genehmigungen<br />

Einfluss nahm, die die beiden Unternehmen im internationalen Straßentransport nutzten und dadurch Wettbewerbsvorteile<br />

erzielten. Die Angeklagte stellte in Kenntnis des Verwendungszwecks ihre deutschen Bankkonten zur Verfügung,<br />

nahm die dorthin überwiesenen Bestechungsgelder für ihren Bruder in Empfang und verfügte nach dessen<br />

Weisungen darüber, indem sie Überweisungen auf diverse andere Konten tätigte oder Beträge in bar abhob und weiterleitete.<br />

Dies tat die Angeklagte in erster Linie, um ihren Bruder zu unterstützen.<br />

II. Damit hat sich die Angeklagte der Geldwäsche in zwei Fällen schuldig gemacht, § 261 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr.<br />

2a, Abs. 2 Nr. 2, § 53 StGB.<br />

1. Das Landgericht hat zu Recht die Bestechung des georgischen Amtsträgers nach § 334 Abs. 1, § 335 Abs. 2 Nr. 1<br />

und Nr. 3 StGB i.V.m. Art. 2 § 1 und § 4 IntBestG als Vortat im Sinne des § 261 Abs. 1 StGB gewertet.<br />

a) Zwar stellt - wie die Revision zutreffend ausführt - der vom Bruder der Angeklagten nach georgischem Recht<br />

erfüllte Straftatbestand der Annahme von Bestechungsgeldern („Accepting Bribes“ - Art. 338 of Criminal Code of<br />

Georgia [in der englischen Übersetzung]) selbst eine Vortat gemäß § 261 Abs. 1 StGB dar. Denn nach § 261 Abs. 8<br />

StGB stehen den in § 261 Abs. 1 und Abs. 2 StGB bezeichneten Gegenständen solche gleich, die aus einer im Ausland<br />

begangenen Tat der in Absatz 1 der Vorschrift bezeichneten Art herrühren, wenn die Tat - wie vorliegend - auch<br />

am Tatort mit Strafe bedroht ist. An die aus dieser Vortat zweifelsohne herrührenden Gegenstände (die Bestechungsgelder)<br />

knüpfen die Tathandlungen der Geldwäsche an. Auch hat sich die Angeklagte durch die von ihr verwirklichten<br />

Tathandlungen nach georgischem Recht der „Komplizenschaft“ („Accomplice“ - Art. 24 Nr. 3, Art. 25 of Criminal<br />

Code of Georgia [in der englischen Übersetzung]) zur Annahme von Bestechungsgeldern („Accepting Bribes“ -<br />

Art. 338 of Criminal Code of Georgia [in der englischen Übersetzung]) strafbar gemacht.<br />

b) Dennoch war das Landgericht durch die in § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB enthaltene Konkurrenzregel nicht gehindert,<br />

die Bestechung des georgischen Amtsträgers nach § 334 Abs. 1, § 335 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 StGB i.V.m. Art. 2 § 1<br />

und § 4 IntBestG als Vortat im Sinne des § 261 Abs. 1 StGB zu werten.<br />

§ 261 Abs. 9 Satz 2 StGB beinhaltet <strong>zum</strong> einen einen persönlichen Strafausschließungsgrund und <strong>zum</strong> anderen eine<br />

Konkurrenzregel, die eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche immer dann ausschließt, wenn der Geldwäscher bereits an<br />

der Vortat beteiligt ist, also täterschaftlich gehandelt oder an ihr teilgenommen hat. Demnach geht auch die Beihilfe<br />

zur Vortat der Anschlusstat vor, wenn Beihilfe- und Geldwäschehandlung identisch sind (vgl. BGH NJW 2000,<br />

3725). Dies setzt jedoch tatsächlich eine Strafbarkeit wegen Beteiligung an der Vortat voraus und beurteilt sich anhand<br />

einer konkreten Betrachtungsweise nach deutschem Recht. Denn Ziel der Regelung des § 261 Abs. 9 Satz 2<br />

StGB ist die Vermeidung von Doppelbestrafungen in den Fällen, in denen der Vortäter Geldwäschehandlungen vornimmt<br />

(BTDrucks. 13/8651 S. 11; 13/6620 S. 7; BGH NJW 2000, 3725; Neuheuser in MüKo-StGB § 261 Rdn. 41).<br />

Das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG ist jedoch auf die Verurteilungen durch denselben Staat<br />

beschränkt und gilt daher - soweit keine bi- oder multilateralen Übereinkommen bestehen - bei ausländischen Verurteilungen<br />

nicht (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 51 Rdn. 16 m.w.N.).<br />

Vor dem Hintergrund dieses Gesetzeszwecks ist deshalb bei der Beurteilung, ob der Täter der Geldwäsche sich<br />

zugleich wegen der Vortat strafbar i.S.d. § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB gemacht hat, allein auf das deutsche Recht abzustellen.<br />

Da das Tätigwerden der Angeklagten nach deutschem Recht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der<br />

Geldwäsche strafbar ist, kommt die Konkurrenzregel des § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB nicht <strong>zum</strong> Tragen. Auf die nach<br />

151


georgischem Recht gegebene Strafbarkeit der Angeklagten wegen „Komplizenschaft“ („Accomplice“ - Art. 24 Nr. 3,<br />

Art. 25 of Criminal Code of Georgia [in der englischen Übersetzung]) - zur Annahme von Bestechungsgeldern („Accepting<br />

Bribes“ - Art. 338 of Criminal Code of Georgia [in der englischen Übersetzung]) durch ihren Bruder kommt<br />

es hierbei nicht an.<br />

2. Aus demselben Grund kommt der Angeklagten auch der persönliche Strafausschließungsgrund des § 261 Abs. 9<br />

Satz 2 StGB nicht zu Gute.<br />

3. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Revision, wonach bei der Bestechung als Vortat die Bestechungsgelder<br />

als Tatmittel nicht aus der Vortat „herrühren“ (allgemein zu der Ansicht, nach der die instrumenta sceleris nicht<br />

unter die Vorschrift des § 261 StGB fallen - vgl. etwa Neuheuser in MüKo-StGB § 261 Rdn. 44; Ruhmannseder in<br />

BeckOK-StGB § 261 Rdn. 16 jeweils m.w.N.) und somit nicht von § 261 StGB erfasst werden. Zutreffend ist das<br />

Landgericht davon ausgegangen, dass die Gelder, die die Bestechenden an den ausländischen Amtsträger gezahlt<br />

haben, auch beim Straftatbestand der Bestechung (und nicht nur bei der Bestechlichkeit) aus dieser Tat herrühren<br />

und somit der Geldwäsche gemäß § 261 StGB unterfallen. Denn ein Gegenstand ist dann als bemakelt i.S.d. § 261<br />

Abs. 1 StGB anzusehen, wenn er sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Sinne eines Kausalzusammenhangs<br />

auf die Vortat zurückführen lässt (vgl. Neuheuser in MüKo-StGB § 261 Rdn. 43; Stree in Schönke/Schröder, StGB<br />

27. Aufl. § 261 Rdn. 8; Ruhmannseder in BeckOK-StGB § 261 Rdn. 15).<br />

a) Der Gesetzgeber hat weder im Wortlaut der Vorschrift des § 261 StGB noch in den Gesetzesmaterialien klare<br />

Konturen für Inhalt und Grenzen des Tatbestandsmerkmals „herrühren“ geschaffen (<strong>zum</strong> Meinungsstand über die<br />

Auslegung dieses Begriffs vgl. Voß, Die Tatobjekte der Geldwäsche 2006 S. 30 ff.). Vielmehr hat er die Ausfüllung<br />

dieses Merkmals der Rechtsprechungspraxis überlassen (vgl. Barton NStZ 1993, 159, 160). Allerdings zeigt schon<br />

der verwendete Begriff, dass der Anspruchsgegenstand nicht notwendig unmittelbar aus der Vortat stammen muss<br />

(vgl. Hoyer in SK-StGB 116. Lfg. § 261 Rdn. 1, 10). Nach seinem allgemeinen Wortsinn bedeutet der Begriff „Herrühren“<br />

lediglich „stammt von etwas her, leitet sich von etwas her, hat seine Ursache in etwas“ (vgl. Brockhaus-<br />

Wahrig, <strong>Deutsche</strong>s Wörterbuch 3. Bd. 1981 S. 512). Gleiches ergibt sich aus dem englischen Originaltext des Übereinkommens<br />

der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und<br />

psychotropen Stoffen (BGBl II 1993, 1137 ff.), mit dem sich die Bundesregierung verpflichtet hatte, Geldwäsche<br />

unter Strafe zu stellen. Hier lautet die maßgebliche Formulierung „is derived from“ (vgl. BGBl II 1993, 1136, 1138,<br />

1140, 1142), was ebenfalls bedeutet „sich von etwas ableiten/herleiten“.<br />

Demnach genügt es grundsätzlich, wenn zwischen dem Gegenstand und der Vortat ein Kausalzusammenhang besteht,<br />

wenn also der Gegenstand seine Ursache in der rechtswidrigen Tat hat (vgl. auch BTDrucks. 12/3533 S. 12).<br />

Indes ist es nicht zwingend, dass der Täter den Gegenstand aus der für ihn strafbaren Handlung erlangt. Im Falle der<br />

Bestechung nach § 334 StGB ist vielmehr der bezahlte Bestechungslohn ein inkriminierter Gegenstand, der der<br />

Geldwäsche unterfällt.<br />

b) Dieses Begriffsverständnis steht auch im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers, den staatlichen Zugriff auf<br />

illegale Vermögenswerte zu gewährleisten und deren Einschleusen in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf<br />

zu verhindern (vgl. BTDrucks. 12/989 S. 26; BGHSt 50, 347, 354 m.w.N.). Geschützt werden soll die Aufgabe der<br />

staatlichen Rechtspflege, die Wirkungen von Straftaten zu beseitigen (BTDrucks. 12/3533 S. 11). Das Bedürfnis<br />

nach Bestrafung der Geldwäsche ist auch international im Grundsatz allgemein anerkannt und durch die staatsvertragliche<br />

Verpflichtung der Bundesrepublik zur Einführung eines diesbezüglichen Straftatbestandes vom deutschen<br />

Gesetzgeber vorausgesetzt worden (BGHSt 50, 347, 354). Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel kann aber nur dann<br />

effektiv erreicht werden, wenn die Vorschrift des § 261 StGB wirtschaftliche Transaktionen im Zusammenhang mit<br />

den Katalogtaten weitgehend erfasst und daraus resultierende wirtschaftliche Vorteile abgeschöpft werden. In den<br />

Fällen der Bestechung (und nicht nur der Bestechlichkeit) - insbesondere eines ausländischen Amtsträgers - ist daher<br />

der gezahlte Bestechungslohn in den Bereich des § 261 StGB einbezogen.<br />

c) Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Herrühren“ verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des<br />

Art. 103 Abs. 2 GG. Da das Tatbestandsmerkmal schon im Hinblick auf die Funktion der Norm als Auffangtatbestand<br />

(vgl. BGHSt 50, 347, 353 m.w.N.) eine weite Auslegung zulässt, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden,<br />

unter dem Herrühren eines Gegenstandes aus der Vortat zu verstehen, dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise<br />

zwischen dem Gegenstand und der Vortat ein Kausalzusammenhang bestehen, der Gegenstand seine<br />

Ursache also in der rechtswidrigen Tat haben, sich aus dieser ableiten lassen muss.<br />

152


StGB § 261, StPO § 24, StPO § 26a I Nr. 2 Unmut beim BGH über Amokverteidigung<br />

BGH, Beschl. v. 20.03.<strong>2009</strong> – 2 StR 545/08<br />

Eine auf sachwidrige Konfrontation, Verfahrenserschwerung und Provokation gerichtete Verfahrensstrategie<br />

dient weder den individuellen Interessen des Beschuldigten noch dem Allgemeininteresse<br />

an einem fairen, zügigen und offenen rechtsstaatlichen Strafverfahren.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 2008 wird als<br />

offensichtlich unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen<br />

Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben hat.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Anlass zu einem über die Darlegungen des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift an den Senat hinausgehenden<br />

Hinweis gibt nur die gegen die Ablehnung des zweiten Befangenheitsantrags (Revisionsbegründung S. 28 ff.) gerichtete<br />

Verfahrensrüge. Es kann dahinstehen, ob der vom Generalbundesanwalt insoweit als zulässig angesehene Austausch<br />

des Zurückweisungsgrundes gemäß § 26 a Abs. 1 StPO hier überhaupt in Betracht kommt. Denn das erkennende<br />

Gericht hat die Verwerfung des Befangenheitsgesuchs zu Recht auf § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt. Aus<br />

dem von der Revision selbst vorgetragenen Verfahrensablauf ergibt sich ohne jeden Zweifel, dass der abgelehnte<br />

Vorsitzende der Strafkammer die Verhandlung in jeder Hinsicht prozessordnungsgemäß leitete. Seine Ablehnung<br />

wegen Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Abgabe von Stellungnahmen<br />

verfügte, um die kein Verfahrensbeteiligter gebeten hatte, entbehrte offensichtlich der sachlichen<br />

Grundlage.<br />

Der von der Revision zu den Verfahrensrügen vorgetragene Prozesssachverhalt <strong>zum</strong> Ablauf der Hauptverhandlung<br />

macht beispielhaft deutlich, dass eine auf sachwidrige Konfrontation, Verfahrenserschwerung und Provokation gerichtete<br />

Verteidigungsstrategie weder den individuellen Interessen des Beschuldigten noch dem Allgemeininteresse<br />

an einem fairen, zügigen und offenen rechtsstaatlichen Strafverfahren dient. Die hier mit den Befangenheitsgesuchen<br />

des Verteidigers K.-N. vorgebrachten Vorwürfe, die abgelehnten Richter hätten "mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass<br />

ihnen die Rechte des Angeklagten völlig gleichgültig sind" (Befangenheitsantrag 1) und hätten Verfahrensgrundrechte<br />

des Angeklagten "schwerwiegend und offenbar bewusst vereitelt" (Befangenheitsantrag 2), waren angesichts der<br />

verfahrensfehlerfreien, ersichtlich prozessordnungsgemäßen Verhandlungsführung gänzlich haltlos und konnten<br />

kaum anderen Zwecken als dem der Provokation dienen. Mit einer engagierten, gegebenenfalls auch mutigen Strafverteidigung<br />

im (wohlverstandenen) Interesse des Beschuldigten hat ein solches Verhalten kaum mehr etwas zu tun.<br />

Es führt, wenn es gehäuft oder systematisch auftritt oder gar als Reaktion auf die Ablehnung von Vereinbarungen<br />

angedroht oder zu deren Erzwingung durchgeführt wird, zu einer schwerwiegenden Belastung des Strafprozesses<br />

insgesamt, zu Forderungen rechtspolitischer Gegenmaßnahmen und zu einer Veränderung der Prozesskultur, welche<br />

den Interessen der Beschuldigten nicht nützt, sondern entgegenwirkt.<br />

StGB § 263 Abs. 1 Schaden durch Risiko<br />

BGH, Beschl. v. 18.02.<strong>2009</strong> - 1 StR 731/08 – NJW <strong>2009</strong>, 330 (Anm. Rübenstahl) = StV <strong>2009</strong>, 242<br />

LS: 1. Beim betrügerisch veranlassten Eingehen eines Risikogeschäfts - mit einer nicht mehr vertragsimmanenten<br />

Verlustgefahr - ist zur Feststellung des Schadens auf den unmittelbar mit der<br />

Vermögensverfügung des Geschädigten eingetretenen Vermögensnachteil abzustellen. Allein hierauf<br />

muss sich das voluntative Element des Vorsatzes beim Täter beziehen. Auf die Billigung eines<br />

eventuellen Endschadens kommt es insoweit nicht an.<br />

2. Der mit der Vermögensverfügung unmittelbar eingetretene Vermögensschaden ist durch das<br />

Verlustrisiko <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Vermögensverfügung bestimmt. Dies stellt hinsichtlich des Straftatbestands<br />

einen endgültigen Schaden dar und nicht nur eine (schadensgleiche) Vermögensgefährdung.<br />

Die Höhe des Vermögensnachteils <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Verfügung ist nach wirtschaftlichen<br />

153


Maßstäben zu bewerten. Ist eine genaue Feststellung zur Schadenshöhe nicht möglich, sind hierzu<br />

Mindestfeststellungen zu treffen. Dies kann durch Schätzung geschehen. Dem Tatrichter steht dabei<br />

ein Beurteilungsspielraum zu.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Juli 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 60 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und<br />

zehn Monaten verurteilt und festgestellt, dass der Angeklagte aus den abgeurteilten Betrugstaten 21.215.498,98 €<br />

erlangt hat und dass dem Verfall des Erlangten und des Wertersatzes Ansprüche der Verletzten entgegenstehen.<br />

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten<br />

ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Erörterung bedarf nur Folgendes:<br />

1. Zum Betrugsschaden:<br />

Nach der Bewertung der Strafkammer erlitten die „Investoren“ mit der Bezahlung ihrer Anlagegelder an den Angeklagten<br />

bzw. seine Unternehmen sofort einen endgültigen Schaden, hier in der Gesamthöhe der jeweiligen Anlagesumme;<br />

das Vermögen der Anleger wurde insoweit nicht nur schadensgleich gefährdet. Dies ist frei von Rechtsfehlern.<br />

a) Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:<br />

Der Angeklagte versprach eine sichere, insbesondere bankgarantierte, hochrentierliche Geldanlage. Die einbezahlten<br />

Beträge dienten danach nur als Kapitalnachweis. Sie durften während der gesamten Investitionszeit nicht angetastet<br />

werden. Als Laufzeit wurden in der Regel zehn Monate vereinbart. Monatlich sollten dann 7 % an Verzinsung ausgeschüttet<br />

werden. Einem Großanleger (15 Millionen €) versprach der Angeklagte die Rückzahlung nach drei Monaten,<br />

zuzüglich einer Rendite von 50 %.<br />

Tatsächlich hatte der Angeklagte nicht vor, die erhaltenen Geldmittel sicher und gewinnbringend anzulegen. Er wollte<br />

sie <strong>zum</strong> einen zur Finanzierung seines Lebensunterhalts verwenden. Zum anderen wollte er - nach Art eines<br />

Schneeballsystems - neu eingehende Gelder einsetzen, um Rendite- und Rückzahlungsforderungen der Altinvestoren<br />

soweit wie möglich zu befriedigen, um diese in Sicherheit zu wiegen und zu weiteren Einzahlungen zu bewegen.<br />

Im Vertrauen auf die Versprechungen des Angeklagten zahlten 31 Personen in der Zeit von September 2005 bis<br />

Januar 2008 - teilweise mehrfach - insgesamt 28.206.841,12 € an die Unternehmen des Angeklagten. 7.310.145,58 €<br />

schüttete der Angeklagte wieder aus. Einzelne Anleger bekamen damit nicht nur ihr gesamtes Kapital zurück, sondern<br />

auch versprochene Erträge ausbezahlt. Mit der Verhaftung des Angeklagten konnten bei seinen Unternehmen<br />

noch Vermögenswerte in Höhe von insgesamt 16,8 Millionen € sichergestellt werden (§§ 111c, 111d StPO).<br />

b) Ein Schaden i.S.v. § 263 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung (hier die vertragsgemäße Bezahlung der<br />

Anlagesumme an den Angeklagten beziehungsweise eines seiner Unternehmen) unmittelbar zu einer nicht durch<br />

Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Prinzip<br />

der Gesamtsaldierung, vgl. BGHSt 3, 99, 102; 16, 220, 221; 30, 388, 389; 34, 199, 203; 45, 1, 4; 51,10, 15 Rdn.<br />

18; 51, 165, 174 Rdn. 31; BGHR StGB § 263 Abs. 1, Vermögensschaden 54, 70; BGH, Beschl. vom 26. Januar 2006<br />

- 5 StR 334/05 -; BVerfG, Beschl. vom 20. Mai 1998 - 2 BvR 1385/95 - 2. Kammer des 2. Senats -; Hefendehl in<br />

MünchKomm-StGB § 263 Rdn. 442 ff.).<br />

Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und<br />

unmittelbar nach der Verfügung (vgl. BGHSt 6, 115, 116; 23, 300, 303; Tiedemann in LK 6. Aufl. § 263 Rdn. 161).<br />

Spätere Entwicklungen, wie Schadensvertiefung oder Schadensausgleich (-wiedergutmachung), berühren den tatbestandlichen<br />

Schaden nicht. „Wie sich die Dinge später entwickeln, ist für die strafrechtliche Wertung ohne Belang“<br />

(BGHSt 30, 388, 389 f.). Dies hat nur noch für die Straf<strong>zum</strong>essung Bedeutung (vgl. BGHSt 51, 10, 17 Rdn.<br />

23).<br />

Beim Eingehen von Risikogeschäften - mit einer täuschungs- und irrtumsbedingten Verlustgefahr über der vertraglich<br />

vorausgesetzten - gilt nichts anderes. Auch in derartigen Fällen ist mit der Vermögensverfügung bei Saldierung<br />

der Vermögenslage vor und nach der Verfügung ein Schaden unmittelbar eingetreten. Der Begriff der konkreten<br />

Vermögensgefährdung beschreibt dies nur unzureichend und ist entbehrlich (vgl. schon BGH, Beschl. vom 20. März<br />

2008 - 1 StR 488/07 - [BGHR StGB § 266 I Nachteil 65] Rdn. 18 bis 22 zur entsprechenden Situation beim Vorwurf<br />

der Untreue gemäß § 266 StGB). Dementsprechend erkannte der Bundesgerichtshof auch schon früher: „Für Risikogeschäfte,<br />

wie sie hier in Rede stehen, folgt daraus, dass ein Vermögensschaden nur insoweit vorliegt, als die von<br />

154


dem Getäuschten eingegangene Verpflichtung wertmäßig höher ist als die ihm dafür gewährte Gegenleistung unter<br />

Berücksichtigung aller mit ihr verbundenen, zur Zeit der Vermögensverfügung gegebenen Gewinnmöglichkeiten“<br />

(BGHSt 30, 388, 390; vgl. auch BGHSt 34, 394, 395 und BGHSt 51, 165, 177 Rdn. 38, wonach die Annahme einer<br />

konkreten Vermögensgefährdung bedeutet, dass nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise schon eine Verschlechterung<br />

der gegenwärtigen Vermögenslage vorliegen muss, dass sie schon jetzt eine Minderung des Gesamtvermögens<br />

zur Folge hat; sowie Hefendehl in MünchKomm-StGB § 263 Rdn. 718: „Hierbei handelt es sich indes um ein<br />

Scheinproblem, weil die ‚Möglichkeit des Schadens’ eben ein Schaden sein muss“). „Zwischen Schaden (Verlust)<br />

und Gefährdung (Beeinträchtigung) besteht bei wirtschaftlicher Betrachtung also kein qualitativer sondern nur ein<br />

quantitativer Unterschied“ (Tiedemann in LK 6. Aufl. § 263 Rdn. 168 m.w.N.).<br />

Dass mit dem Eingehen eines Risikogeschäfts - mit einer nicht mehr vertragsimmanenten Verlustgefahr - ein unmittelbarer<br />

Wertverlust, eine Vermögenseinbuße einhergeht, liegt bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auf der Hand.<br />

Dieser Schaden ist auch benennbar. Das mit der Verfügung (hier: Zahlung des Anlagebetrags) eingegangene - aufgrund<br />

einer Täuschung und eines entsprechenden Irrtums überhöhte - Risiko und der dadurch verursachte Minderwert<br />

des im Synallagma Erlangten sind zu bewerten (vgl. Hefendehl in MünchKomm-StGB § 263 Rdn. 569 ff.), wie<br />

im Falle einer Einzelwertberichtigung (vgl. Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 33. Aufl. § 253 Rdn. 21; zu IAS<br />

[International Accounting Standards] 39.58 ff. - Finanzinstrumente, Ansatz und Bewertung - vgl. Baumbach/Hopt<br />

aaO, Rdn. 42 f., sowie Lüdenbach in Haufe IAS/IFRS, 2. Aufl. § 2 Rdn. 81, Kehm/Lüdenbach in Haufe IAS/IFRS, 2.<br />

Aufl. § 28 Rdn. 120 ff.), bei der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste (§ 249 HGB) oder auch beim<br />

Verkauf von Forderungen (vgl. auch Tiedemann in LK 6. Aufl. § 263 Rdn. 168 mit Hinweis auf die Institute des<br />

Bilanzrechts; Goldschmidt/Weigel, Die Bewertung von Finanzinstrumenten bei Kreditinstituten in illiquiden Märkten<br />

nach IAS 39 und HGB, WPg <strong>2009</strong>, 192 ff.). Dies ist kaufmännischer Alltag (nicht überzeugend deshalb Beulke/Witzigmann,<br />

JR 2008, 430, 433, wonach diese schon im Senatsbeschl. vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07 -<br />

[BGHR StGB § 266 I Nachteil 65] zur Untreue vertretene Auffassung nicht nur bei Wirtschaftswissenschaftlern auf<br />

Unverständnis stoße, sondern auch bei all denen Kopfschütteln auslöse, die in der Praxis mit der Vergabe von Krediten<br />

betraut sind).<br />

Wenn eine genaue Feststellung zur Schadenshöhe <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Vermögensverfügung nicht möglich ist, wird<br />

der Tatrichter im Hinblick auf die Besonderheiten des Strafrechts Mindestfeststellungen zu treffen haben (BGHSt 30,<br />

388, 390). Dies kann durch Schätzung im Rahmen des dabei eingeräumten Beurteilungsspielraums geschehen.<br />

Außerdem entfiele auch mit der verschleiernden Bezeichnung des Schadens als konkrete (schadensgleiche) Vermögensgefährdung<br />

im Grunde nicht die Notwendigkeit von deren Bewertung zur Erfassung des Tatunrechts, wenn dem<br />

bislang auch kaum entsprochen wurde. Die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens birgt aber gerade auch deshalb die<br />

Gefahr der Überdehnung des Betrugstatbestands hin <strong>zum</strong> Gefährdungsdelikt durch Einbeziehung tatsächlich nur<br />

abstrakter Risiken in sich (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 263 Rdn. 96). Die Notwendigkeit, den mit der Vermögensverfügung<br />

unmittelbar real eingetretenen Schaden zu bewerten und zu benennen, zwingt demgegenüber zur Klarheit<br />

und vermeidet Grenzüberschreitungen.<br />

Schließlich wäre die Subsumtion wirklich nur „schadensgleicher“ Gefährdungen unter den Tatbestand des § 263<br />

Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG kaum vereinbar. Auch deshalb ist schon die Formulierung bedenklich.<br />

Allein auf den unmittelbar mit der Vermögensverfügung des Getäuschten eingetretenen tatbestandlichen Schaden<br />

muss sich das voluntative Element des Vorsatzes des Täters erstrecken. Auf die Billigung eines eventuellen Endschadens<br />

kommt es nicht an. Ebenso ist die Absicht des späteren Ausgleichs der Vermögensminderung ohne Bedeutung<br />

(vgl. auch BGHSt 34, 199, 204 zur Schadenswiedergutmachung nach Ausübung eines eingeräumten Rücktrittsrechts;<br />

BGHSt 23, 300, 303: die Bereitschaft zur Stornierung ist unerheblich; und zur entsprechenden Situation bei<br />

der Untreue BGH, Urt. vom 29. August 2008 - 2 StR 587/07 - Rdn. 45 f.). „Wer … die ... Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs<br />

bei Kreditgewährung … erkennt und billigend in Kauf nimmt, handelt auch dann vorsätzlich, wenn<br />

er hofft oder darauf vertraut, der (spätere endgültige) Schaden werde ausbleiben“ (Tiedemann in LK 6. Aufl. § 263<br />

Rdn. 246).<br />

c) Die Täuschung der Anleger über das „Anlagemodell“, über dessen tatsächliche Nichtexistenz, begründet hier in<br />

allen Fällen von vorneherein einen Schaden im Umfang der gesamten Leistung. Diese Bewertung des Landgerichts<br />

ist rechtlich auch für die frühen Anlagen nicht zu beanstanden, auch nicht in den Fällen, bei denen vom Angeklagten<br />

später absprachegemäß geleistet wurde. Das hat die Strafkammer zu Recht - nur - als Schadenswiedergutmachung<br />

gewertet. Denn auch in diesen Fällen war der von den Investoren für ihre Zahlungen erlangte Gegenanspruch <strong>zum</strong><br />

Zeitpunkt der Verfügung wirtschaftlich wertlos. Zwar bestand - wie es einem Schneeballsystem immanent ist - für<br />

die ersten Anleger eine gewisse Chance, ihr Kapital zurück und selbst die versprochenen Erträge ausbezahlt zu erhalten.<br />

Dies beruhte aber nicht auf der Umsetzung des vom Angeklagten vorgegaukelten Anlagemodells oder auch nur<br />

155


dem Versuch hierzu. Vielmehr hing alles vom weiteren „Erfolg“ des allein auf Täuschung aufgebauten Systems und<br />

vom Eingang weiterer betrügerisch erlangter Gelder ab. Die hierauf basierende Aussicht auf Erfüllung der vom Angeklagten<br />

eingegangenen Verpflichtung war nicht, auch nicht teilweise die versprochene Gegenleistung, sondern ein<br />

aliud ohne wirtschaftlichen Wert (vgl. BGHSt 51, 10, 15 Rdn. 19). Eine auf die Begehung von Straftaten aufgebaute<br />

Aussicht auf Vertragserfüllung ist an sich schon wertlos. Wegen des objektiv völlig unrealistischen Anlagemodells<br />

und der damit verbundenen Ertragsversprechungen war hier zudem - entgegen dem tatsächlichen Ablauf - ein schnelles<br />

Ende zu erwarten, jedenfalls war von Anfang an nicht absehbar, wann das System zusammenbricht, sei es auf<br />

Grund strafrechtlicher Ermittlungen oder mangels Eingangs weiterer Anlagen.<br />

2. Zur Rüge der Verletzung des § 265 StPO:<br />

Der Angeklagte war nach den Feststellungen des Landgerichts im Besitz gefälschter Personalpapiere, nämlich eines<br />

Passes und einer Driver Licence von British Honduras sowie einer Yacht-Clubkarte, alle lautend auf den Aliasnamen<br />

J. G. . Außerdem besaß er einen Diplomatenpass der „Conch Republic Key West“, ausgestellt auf<br />

seinen tatsächlichen Namen Dr. R. . Die Staatsanwaltschaft hatte im Zusammenhang mit der Anklageerhebung<br />

in der Schlussverfügung gemäß § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung weiterer Straftaten abgesehen, also<br />

auch hinsichtlich einer möglichen Beteiligung des Angeklagten an Urkundenfälschungen (§ 267 StGB). Gleichwohl<br />

- so beanstandet die Revision - habe die Strafkammer die „ausgeschiedenen Tatteile“ strafschärfend berücksichtigt,<br />

ohne auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben.<br />

Eines rechtlichen und tatsächlichen Hinweises bedurfte es insoweit jedoch nicht.<br />

Die Strafkammer hat in den Urteilsgründen nicht auf die strafschärfende Wirkung der Begehung weiterer von der<br />

Verfolgung ausgenommener Straftaten abgestellt. Das Landgericht hat vielmehr in der Beschaffung gefälschter Personaldokumente,<br />

um sie bei Bedarf tatbezogen einsetzen zu können (UA S. 39), und in deren Verstecken in einem<br />

separaten Büro Hinweise auf die Raffinesse und damit auf die hohe kriminelle Energie des Angeklagten gesehen.<br />

Ebenso hat die Strafkammer im Verbergen der Geschäftsunterlagen der vom Angeklagten etablierten Unternehmen,<br />

im Aufbau eines internationalen Firmengeflechts und in der Nutzung verschiedener Konten zu Verschleierungszwecken,<br />

in der Vermögensverlagerung ins Ausland sowie im Nachtatverhalten gegenüber dem Hauptgeschädigten Dr.<br />

K. (Forderung der Abgabe einer „Ehrenerklärung“ für den Angeklagten sowie die Zahlung von 300.000,-- € an<br />

diesen als Voraussetzung für die Rückzahlung der geleisteten Einlage) Indizien für die hohe kriminelle Energie des<br />

Angeklagten gesehen. Auch im zuletzt genannten Punkt spielte eine mögliche strafrechtliche Relevanz bei der Bewertung<br />

seitens des Landgerichts keine Rolle.<br />

All diese Punkte gehören <strong>zum</strong> Tatgeschehen und charakterisieren Tat und Täter, wie zahlreiche andere von der<br />

Strafkammer aufgeführte straf<strong>zum</strong>essungsrelevante Aspekte. Der strafrechtliche Betrugsvorwurf hat sich durch den<br />

Besitz der gefälschten Personalpapiere weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht bezüglich der Tatrichtung,<br />

der Beteiligung oder sonstiger wesentlicher Punkte verändert. Eines ausdrücklichen Hinweises auf die Straf<strong>zum</strong>essungsrelevanz<br />

derartiger das Tat- und Täterbild kennzeichnenden Aspekte des Tatgeschehens bedarf es nicht. Dies<br />

ist selbstverständlich.<br />

Dass der Besitz der gefälschten Personalpapiere - in der Anklageschrift hatte dies keine Erwähnung gefunden - als<br />

Facette zur Kennzeichnung der Täterpersönlichkeit relevant sein könnte, war nach dem auch der Revisionsbegründung<br />

zu entnehmenden Verfahrensgang (Inaugenscheinnahme der Dokumente sowie Vernehmung des Zeugen S.<br />

hierzu) offensichtlich. Der Angeklagte hat die Existenz der Papiere in der Hauptverhandlung auch eingeräumt.<br />

3. Zur Rüge der Nichterörterung des § 41 StGB:<br />

Die Revision beanstandet die fehlende Erörterung der Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe neben einer -<br />

dann niedrigeren - Freiheitsstrafe gemäß § 41 StGB. Dies sei immer geboten, wenn die Straftaten zu erheblichen<br />

Gewinnen geführt haben, durch die ein Angeklagter ein beträchtliches Vermögen erworben hat.<br />

Die Revision übersieht hierbei jedoch, dass bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 41 Satz 1 StGB)<br />

solche Vermögenswerte außer Betracht zu bleiben haben, die dem Verfall gemäß §§ 73, 73a StGB (vgl. Fischer,<br />

StGB 56. Aufl. § 41 Rdn. 2) bzw. der Rückgewinnungshilfe nach § 111i StPO unterliegen (vgl. auch Schäfer/Sander/van<br />

Gemmeren, Praxis der Straf<strong>zum</strong>essung, 4. Aufl. Rdn. 214). Das Gericht hat gemäß § 111i Abs. 2 Satz<br />

2 StPO zwar festgestellt, dass der Angeklagte 21.215.498,98 € aus den abgeurteilten Betrugstaten erlangt hat, aber<br />

auch, dass dem Verfall des Erlangten und des Wertersatzes Ansprüche der Verletzten entgegenstehen. Die auf<br />

Betreiben der Strafverfolgungsbehörden sichergestellten Werte (Arrest- und Pfändungsbeschlüsse über 16,8 Mio. €)<br />

fließen damit an die Geschädigten oder - unter den Vorsaussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO - dann doch in die<br />

Staatskasse. Vor dem Hintergrund der sonstigen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten<br />

lag deshalb die Verhängung einer zusätzlichen Geldstrafe gemäß § 41 StGB neben einer - auch dann noch mehrjährigen<br />

Freiheitsstrafe - sehr fern. Einer Erörterung in den schriftlichen Urteilsgründen bedurfte dies deshalb nicht.<br />

156


Ausführungen hierzu hätten die Gründe, die sich auf das Wesentliche konzentrieren sollen, vielmehr nur unnötig<br />

belastet.<br />

4. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 13. Januar <strong>2009</strong><br />

verwiesen.<br />

StGB § 263 Betrug am Diebesgut<br />

BGH, Beschl. v. 27.05.2008 – 4 StR 58/08 - NStZ 2008, 627<br />

Auch der durch einen Diebstahl erlangte rechtswidrige Besitz gehört zu dem von § 263 geschützten<br />

Vermögen.<br />

I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 12. September 2007<br />

1. in den Schuldsprüchen dahin abgeändert, dass<br />

a) der Angeklagte B. des Betruges, der Nö-tigung und des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis,<br />

b) der Angeklagte S. der Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug und der Nötigung<br />

schuldig sind,<br />

2. in den Strafaussprüchen aufgehoben.<br />

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

III. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Betrug und<br />

mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (Einzelstrafe: drei Jahre Freiheitsstrafe) unter Einbeziehung rechtskräftig<br />

verhängter Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, neben der<br />

eine weitere rechtskräftige Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten bestehen blieb; außerdem hat es<br />

eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von fünf Jahren angeordnet. Den Angeklagten S. hat es wegen<br />

schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Betrug (Einzelstrafe: zwei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe)<br />

unter Einbeziehung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und<br />

sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung<br />

formellen und materiellen Rechts rügen. Die Verfahrensrügen sind nicht ausgeführt und daher unzulässig (§<br />

344 Abs. 2 Satz 2 StPO); die Sachrügen führen zur Änderung der Schuldsprüche und zur Aufhebung der erkannten<br />

Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafen.<br />

1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bot der Zeuge Se. dem Angeklagten B. einen Mercedes-Vito-Transporter,<br />

den Freunde von ihm mittels eines gefundenen Fahrzeugschlüssels gestohlen hatten, <strong>zum</strong><br />

"Kauf" an. Der Angeklagte B. ging <strong>zum</strong> Schein auf das Angebot ein und bot für den Transporter, der einen Wert<br />

von etwa 20.000 € hatte, 500 € an. Tatsächlich hatte er vor, sich das Fahrzeug zu verschaffen, ohne etwas dafür zu<br />

bezahlen. In diesen Plan weihte er den Angeklagten S. und einen unbekannten Dritten ein. Gemeinsam holten die<br />

Drei den Zeugen Se. am späten Abend ab und fuhren mit ihm im Fahrzeug des Angeklagten S. <strong>zum</strong> Abstellort<br />

des Transporters. Der Angeklagte B. ließ sich die Fahrzeugschlüssel aushändigen und erklärte dem Zeugen<br />

wahrheitswidrig, dieser werde das Geld erhalten, sobald der Transporter in L. , wohin sie nun alle fahren würden,<br />

an den Endabnehmer verkauft worden sei. Er fuhr mit dem Transporter voran, wobei er nicht im Besitz der<br />

erforderlichen Fahrerlaubnis war. Der Angeklagte S. folgte ihm zunächst mit seinem Fahrzeug, auf dessen<br />

Rücksitz der Zeuge Se. und der unbekannte Dritte saßen. Sodann bog er absprachegemäß in ein Waldstück und<br />

hielt dort an. Der unbekannte Dritte forderte den Zeugen mehrfach auf auszusteigen. Dieser widersetzte sich zunächst<br />

unter Hinweis auf die ausstehende Bezahlung. Erst als der Dritte ihm - entsprechend dem gemeinsamen Tatplan<br />

- einen waffenartigen Gegenstand, den er <strong>zum</strong> Schein laut durchgeladen hatte, an den Kopf hielt, stieg der Zeuge<br />

Se. aus und "verzichtete endgültig auf die 500 € und den Transporter" [UA 9].<br />

2. Diese Feststellungen tragen weder die Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung<br />

noch die des Angeklagten S. wegen täterschaftlich begangenen Betruges.<br />

a) Zutreffend hat das Landgericht allerdings den Angeklagten B. des Betruges schuldig befunden. Dieser Angeklagte<br />

täuschte den Zeugen Se. über seine Zahlungswilligkeit und erreichte damit, dass der Zeuge ihm den Besitz<br />

157


an dem Transporter überließ. Damit hat er den Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB erfüllt. Ohne Bedeutung ist in<br />

diesem Zusammenhang, dass die Freunde des Zeugen, für die dieser das Fahrzeug absetzen wollte, den Besitz daran<br />

durch Diebstahl erlangt hatten, denn auch der durch einen Diebstahl erlangte rechtswidrige Besitz gehört zu dem von<br />

§ 263 StGB geschützten Vermögen (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 263 Rdn. 64 m.w.N.). Der Angeklagte B. hat<br />

den rechtswidrigen Vermögensvorteil, der in dem Besitz des Transporters bestand, in dem Moment erlangt, als er das<br />

Fahrzeug an dem Abstellort übernahm und der Zeuge Se. jede Einwirkungsmöglichkeit verlor.<br />

Für eine Verurteilung des Angeklagten S. wegen mittäterschaftlich begangenen Betruges reichen die getroffenen<br />

Feststellungen dagegen nicht aus. Der Angeklagte S. spielte bei dem Betrug nur eine untergeordnete Rolle. Er<br />

unterstützte den Angeklagten B. bei der Tatbegehung lediglich dadurch, dass er die Beteiligten in Kenntnis des<br />

Tatplans <strong>zum</strong> Übergabeort fuhr. Sämtliche Täuschungshandlungen hat allein der Angeklagte B. ausgeführt; nur<br />

er hatte ein Interesse an der Durchführung der Tat, denn es ging ihm darum, "sich den Transporter kostenlos zu verschaffen"<br />

[UA 7]. Ein eigenes Tatinteresse des Angeklagten S. bestand nach den Feststellungen nicht. Er hat<br />

sich daher lediglich der Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug, §§ 263 Abs. 1, 27 StGB, schuldig gemacht.<br />

b) Die Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung hält rechtlicher Prüfung ebenfalls<br />

nicht stand. Zwar ist der Zeuge Se. durch die Bedrohung mit dem waffenartigen Gegenstand nicht nur dazu genötigt<br />

worden, das Fahrzeug des Angeklagten S. zu verlassen, sondern auch endgültig auf das Fahrzeug und die<br />

vereinbarte Zahlung von 500 € zu verzichten; ein Vermögensschaden wurde ihm dadurch aber nicht zugefügt. Der<br />

Vermögensnachteil auf Seiten des Zeugen, der in dem Besitzverlust des Transporters ohne entsprechende Gegenleistung<br />

bestand, ist bereits durch den vorangegangenen Betrug eingetreten. Die nach Beendigung des Betruges erfolgte<br />

Bedrohung diente allenfalls der Sicherung des vom Angeklagten B. bereits erlangten Vermögensvorteils (vgl.<br />

BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 2; Eser in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 253 Rdn. 37; zu den<br />

Sonderfällen unmittelbar anschließender Gewaltanwendung nach fehlgeschlagener Täuschung bzw. vor Beendigung<br />

des Betruges vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Versuch 1 m.w.N.; BGH NStZ 2002, 33).<br />

Der endgültige Verzicht auf die versprochene Gegenleistung, zu dem der Zeuge genötigt wurde, trägt die Verurteilung<br />

wegen schwerer räuberischer Erpressung ebenfalls nicht. Zwar kann eine Erpressung auch dadurch begangen<br />

werden, dass der Täter das Tatopfer durch Drohung oder Gewalt dazu veranlasst, auf die Geltendmachung einer<br />

Forderung zu verzichten. Der von dem Tatbestand vorausgesetzte Vermögensschaden tritt in diesen Fällen aber nur<br />

ein, wenn eine Forderung besteht und auch werthaltig ist. Hier stand dem Zeugen Se. jedoch kein Anspruch auf<br />

Zahlung gegen den Angeklagten B. zu.<br />

c) Die insoweit getroffenen Feststellungen ergeben allerdings, dass sich die Angeklagten der gemeinschaftlich begangenen<br />

Nötigung, §§ 240, 25 Abs. 2 StGB, schuldig gemacht haben. Entsprechend dem vom Angeklagten B.<br />

entwickelten Tatplan hat auch der Angeklagte S. daran mitgewirkt, den Zeugen Se. durch Drohung mit einem<br />

empfindlichen Übel dazu zu veranlassen, sich mit dem Besitzverlust endgültig abzufinden. Dieser Tatbestand<br />

steht in Tatmehrheit mit dem Betrug bzw. der Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug (vgl. Eser aaO § 253 Rdn. 37) sowie zu dem vom<br />

Angeklagten B. begangenen Fahren ohne Fahrerlaubnis.<br />

3. Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da auszuschließen ist,<br />

dass sich die Angeklagten gegen die geänderten Schuldvorwürfe anders als geschehen hätten verteidigen können,<br />

<strong>zum</strong>al in der Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung der Nötigungsvorwurf mit enthalten ist. Die<br />

Änderung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Einzelstrafen sowie der Aussprüche über die Gesamtstrafen<br />

nach sich. Der Maßregelausspruch bezüglich des Angeklagten B. wird davon nicht betroffen und kann bestehen<br />

bleiben.<br />

4. Der neu entscheidende Tatrichter wird zu prüfen haben, ob zwischen Anklageerhebung und Urteil eine der Justiz<br />

anzulastende Verfahrensverzögerung eingetreten ist, die einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK darstellt und<br />

eine Kompensation erfordert, welche im Wege des Vollstreckungsmodells (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar<br />

2008 - GSSt 1/07 = NJW 2008, 860 f.) vorzunehmen wäre.<br />

StGB § 263 Kein Schaden, wenn Rückzahlung sicher<br />

BGH; Beschl. v. 05.05.<strong>2009</strong> – 3 StR 475/08<br />

Bei der Hingabe eines Darlehens ist der Rückzahlungsanspruch unter Umständen dann minderwertig,<br />

wenn es an einer Sicherheit fehlt, aus der sich der Gläubiger bei ausbleibender Rückzahlung<br />

158


ohne Schwierigkeiten, namentlich ohne Mitwirkung des Schuldners befriedigen kann. In der Täuschung<br />

über das Bestehen, den Wert oder die Verwertbarkeit einer vertraglich vereinbarten Sicherheit<br />

kann daher eine das Vermögen des Darlehensgebers schädigende Betrugshandlung liegen.<br />

Trotz Vorspiegelung einer solchen Sicherheit entsteht aber kein Betrugsschaden, wenn der Rückzahlungsanspruch<br />

auch ohne die Sicherheit aufgrund der Vermögenslage des Darlehensnehmers<br />

oder sonstiger Umstände, die den Gläubiger vor der Beschädigung seines Vermögens schützen,<br />

wirtschaftlich sicher ist.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. November 2007 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Betruges in acht Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet<br />

im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Landgericht hat die Betrugshandlung darin gesehen,<br />

dass der Angeklagte bei Abschluss der Darlehensverträge jeweils gegenüber den Banken vorgab, die finanzierten<br />

Fahrzeuge als Sicherheit zu übereignen, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt vorhatte, diese zu exportieren und<br />

damit der Sicherungsnehmerin zu entziehen. Bei der Hingabe eines Darlehens ist der Rückzahlungsanspruch unter<br />

Umständen dann minderwertig, wenn es an einer Sicherheit fehlt, aus der sich der Gläubiger bei ausbleibender<br />

Rückzahlung ohne Schwierigkeiten, namentlich ohne Mitwirkung des Schuldners befriedigen kann. In der Täuschung<br />

über das Bestehen, den Wert oder die Verwertbarkeit einer vertraglich vereinbarten Sicherheit kann daher<br />

eine das Vermögen des Darlehensgebers schädigende Betrugshandlung liegen. Trotz Vorspiegelung einer solchen<br />

Sicherheit entsteht aber kein Betrugsschaden, wenn der Rückzahlungsanspruch auch ohne die Sicherheit aufgrund<br />

der Vermögenslage des Darlehensnehmers oder sonstiger Umstände, die den Gläubiger vor der Beschädigung seines<br />

Vermögens schützen, wirtschaftlich sicher ist; für die Annahme des Schädigungsvorsatzes gilt dementsprechend das<br />

Erfordernis, dass der Täter im Zeitpunkt der Kreditgewährung die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs im<br />

Vergleich zu dem erhaltenen Geldbetrag gekannt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 328 m. w. N.). Der Senat kann dem<br />

Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass die Rückzahlungsansprüche der Darlehensgeber im Hinblick<br />

auf die Vermögenslage der Darlehensnehmerin, der vom Angeklagten allein beherrschten N. GmbH, wirtschaftlich<br />

nicht sicher waren und der Angeklagte diesen Umstand und damit die Minderwertigkeit der Rückzahlungsansprüche<br />

gekannt hat.<br />

2. Auch der Strafausspruch ist nicht zu beanstanden. Dass das Landgericht die in dem dem Teilfreispruch zugrunde<br />

liegenden Verfahren erlittene Untersuchungshaft im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung nicht strafmildernd berücksichtigt<br />

hat, begründet keinen Rechtsfehler; denn die rund vier Monate dauernde Freiheitsentziehung hat der Angeklagte aus<br />

Anlass einer Tat erlitten, die<br />

Gegenstand des Verfahrens gewesen ist. Sie ist daher nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe<br />

anzurechnen und war somit nicht strafmildernd zu berücksichtigen (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 51<br />

Rdn. 6; BGH, Beschl. vom 23. April <strong>2009</strong> - 3 StR 83/09).<br />

StGB §§ 263, 352, 353<br />

BGH, Beschl. v. 09.06.<strong>2009</strong> – 5 StR 394/09<br />

LS:<br />

1. Verdrängung von § 263 StGB durch §§ 352, 353 StGB.<br />

2. Ein Irrtum im Sinne des § 263 StGB liegt schon dann vor, wenn der Anspruchsverpflichtete tatsächlich<br />

davon ausgeht, eine Abrechnung sei ordnungsgemäß vollzogen worden, auch wenn er deren<br />

Grundlagen nicht kennt.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

159


Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. März 2008 – soweit es<br />

diesen Angeklagten betrifft – gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.<br />

Die weitergehende Revision des Angeklagten G. wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs<br />

Monaten verurteilt und angeordnet, dass als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer drei Monate der verhängten<br />

Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Die umfassend eingelegte und mit der Sachrüge geführte Revision<br />

dieses Angeklagten hat nur im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2<br />

StPO.<br />

I.<br />

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit Dezember 1995 Mitglied des Vorstands der B.<br />

S. (im Folgenden: BSR) und dabei intern für die Ressorts „kaufmännische Dienstleistungen“<br />

und „Reinigung“ zuständig. Die BSR war im tatrelevanten Zeitraum eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die neben<br />

dem Vorstand auch über einen Aufsichtsrat verfügte und der Rechtsaufsicht des Berliner Senats unterstand. Der BSR<br />

oblag in ihrem hoheitlichen Bereich die Straßenreinigung mit Anschluss- und Benutzungszwang für die Eigentümer<br />

der Anliegergrundstücke. Die Rechtsverhältnisse waren privatrechtlich ausgestaltet; für die Bemessung der Entgelte<br />

galten die öffentlich-rechtlichen Grundsätze der Gebührenbemessung, wie etwa das Äquivalenz- oder das Kostendeckungsprinzip.<br />

Insoweit unterlagen die von der BSR festgesetzten Entgelte richterlicher Kontrolle nach § 315 Abs. 3<br />

BGB.<br />

Nach den gesetzlichen Regelungen des Berliner Straßenreinigungsgesetzes hatten die Anlieger 75 % der angefallenen<br />

Kosten für die Straßenreinigung zu tragen; 25 % der Kosten verblieben beim Land Berlin (§ 7 Abs. 1). Die Aufwendungen<br />

der Reinigung für Straßen ohne Anlieger musste das Land Berlin in vollem Umfang tragen (§ 7 Abs. 6).<br />

Die Entgelte, die sich nach der Häufigkeit der Reinigung in vier Tarifklassen unterteilten, wurden für den Tarifzeitraum<br />

auf der Grundlage einer Prognose der voraussichtlichen Aufwendungen festgesetzt. Die Tarifbestimmung erfolgte<br />

durch eine Projektgruppe „Tarifkalkulation“. Infolge eines Versehens wurden bei der Berechnung der Entgelte<br />

in der Tarifperiode 1999/2000 auch die Kosten für die Straßen zu 75 % einbezogen, für die es keine Anlieger gab<br />

und die das Land Berlin vollständig hätte tragen müssen. Verantwortliches Vorstandsmitglied war der Angeklagte,<br />

der – als die Tarife bereits in Kraft waren – über den Berechnungsfehler informiert wurde, diesen jedoch nicht korrigieren<br />

ließ.<br />

Für die Tarifperiode 2001/2002, den Tatzeitraum, wurde vom Gesamtvorstand der BSR eine neue Projektgruppe<br />

eingesetzt, die zunächst den Berechnungsfehler aus der vergangenen Tarifperiode beheben wollte. Auf Weisung des<br />

Angeklagten wurde dies jedoch unterlassen. Der Angeklagte beabsichtigte, <strong>zum</strong>al die BSR durch eine am 6. Juli<br />

2000 geschlossene Zielvereinbarung mit dem Land Berlin sich zu Effizienzsteigerungen und erheblichen Zahlungen<br />

verpflichtet hatte, den Fehler fortzuschreiben, um Kostenrisiken auszugleichen und um den von ihm zu verantwortenden<br />

Fehler bei der vorherigen Tarifkalkulation zu vertuschen. Der Tarif, in dessen Berechnungsgrundlage auch<br />

die anliegerfreien Straßen einbezogen worden waren, wurde vom Vorstand und Aufsichtsrat der BSR gebilligt. Der<br />

Angeklagte stellte als verantwortlicher Vorstand den Tarif dort jeweils <strong>zum</strong>indest in Grundzügen vor, ohne jedoch<br />

die Entscheidungsträger auf die Einbeziehung der anliegerfreien Straßen hinzuweisen. Die Senatsverwaltung genehmigte<br />

den Tarif. Dabei verpflichtete sie die BSR allerdings im Wege einer Auflage zu einer Nachkalkulation. Auf<br />

der Grundlage des genehmigten Tarifs wurden von den Eigentümern der Anliegergrundstücke höhere Entgelte in<br />

Höhe von insgesamt etwa 23 Mio. Euro verlangt. Die geforderten Entgelte wurden zu 98 % bezahlt. Die BSR machte<br />

mit einem vom Angeklagten unterzeichneten Schreiben gegenüber dem Senat ebenfalls Reinigungskosten in Höhe<br />

von 35 Mio. DM für Straßen ohne Anlieger geltend.<br />

2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten im Hinblick auf die gesamte Tarifperiode 2001/2002 als (einheitlichen)<br />

Betrug in mittelbarer Täterschaft gewertet. Der Angeklagte habe sich dabei der Mitarbeiter der Rechnungsstelle<br />

als gutgläubiger Werkzeuge bedient, als diese in Unkenntnis der Unrichtigkeit der Tarifberechnung die<br />

Entgelte von den Anliegern anforderten. Die Eigentümer der Anliegergrundstücke bzw. deren Verwalter seien getäuscht<br />

worden, weil sie davon ausgingen, dass die Tarife ordnungsgemäß festgesetzt worden seien. Damit hätten sie<br />

sich in einem Irrtum befunden, weil ihnen die Höhe der Reinigungstarife nicht gleichgültig gewesen sei. Durch die<br />

Bezahlung der überhöhten Tarife sei der Schaden eingetreten. Auch die noch notwendige Nachkalkulation habe<br />

diesen nicht entfallen lassen, sondern berühre lediglich die Kalkulation der nachfolgenden Tarife.<br />

160


II.<br />

Die Revision des Angeklagten ist nur im Hinblick auf die Straf<strong>zum</strong>essung erfolgreich.<br />

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.<br />

a) Einer Verurteilung wegen Betrugs stehen nicht die spezialgesetzlichen Vorschriften der §§ 352, 353 StGB entgegen.<br />

aa) Der Privilegierungstatbestand des § 352 StGB schließt allerdings eine Strafbarkeit nach § 263 StGB jedenfalls<br />

dann aus, wenn zu der Täuschungshandlung, die notwendig zu den Gebührenüberhebungen gehört, keine weitere<br />

Täuschung hinzukommt (BGH NJW 2006, 3219, 3221). Hier scheidet aber eine Strafbarkeit nach § 352 StGB aus.<br />

Der Angeklagte hat als Organ einer Anstalt des öffentlichen Rechts, die hier in einem durch einen Anschluss- und<br />

Benutzungszwang in einem dem freien Markt entzogenen Bereich tätig ist (vgl. BGH NJW 2007, 2932), zwar als<br />

Amtsträger gehandelt. Er ist jedoch kein Amtsträger im Sinne des § 352 StGB, der für seine Amtshandlungen Gebühren<br />

oder andere Vergütungen zu seinem Vorteil erheben darf. Nur solche Amtsträger, etwa Notare, Gerichtsvollzieher<br />

oder beamtete Tierärzte (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 352 Rdn. 3),<br />

die Vergütungen zu ihrem eigenen Vorteil geltend machen dürfen, fallen unter diesen Tatbestand. Es muss sich deshalb<br />

um ein eigenes Recht des Täters handeln, für seine Tätigkeit Vergütungen nach Vergütungsordnungen festsetzen<br />

zu können. Hieran fehlt es in Bezug auf den Angeklagten, der für seine Tätigkeiten gegenüber Dritten keine<br />

Vergütungen berechnen darf. Gläubiger der Vergütungsansprüche ist vielmehr die BSR, die der Angeklagte organschaftlich<br />

vertrat.<br />

Die Strafvorschrift des § 352 StGB erfasst nicht die gesetzwidrige Gebührenberechnung per se, sondern nur diejenige<br />

bestimmter, abschließend benannter Berufsgruppen. Eine Zurechnung besonderer persönlicher Merkmale nach §<br />

14 Abs. 1 StGB ist deshalb nur dann möglich, soweit der organschaftlich vertretene Rechtsträger selbst dem (strafrechtlich<br />

privilegierten) Personenkreis angehört, wie dies z. B. bei der Rechtsanwalts-GmbH nach §§ 59c ff. BRAO<br />

der Fall ist. Eine Ausdehnung auf organschaftliche Vertreter sämtlicher Rechtsträger, die Gebühren für Amtshandlungen<br />

erheben dürfen, ist mit dem Ausnahmecharakter der Vorschrift nicht zu vereinbaren (zur rechtspolitischen<br />

Fragwürdigkeit dieser Bestimmung vgl. schon BGH NJW 2006, 3219, 3221; Fischer, StGB 56. Aufl. § 352 Rdn. 2).<br />

Einer erweiternden Auslegung stehen der Wortlaut der Strafvorschrift und vor allem ihr systematischer Zusammenhang<br />

entgegen. Ein Fehlverhalten von Amtsträgern, die Gebühren nicht für sich selbst, sondern für öffentliche Kassen<br />

erheben, ist nämlich durch § 353 StGB strafrechtlich erfasst. Die unterschiedliche Beschreibung des Täterkreises<br />

der Sonderdelikte nach § 352 StGB und § 353 StGB spricht aber dafür, dass auch jeweils ein unterschiedlicher Personenkreis<br />

bezeichnet ist und § 352 StGB nur einen besonderen Teil von Amtsträgern erfassen soll, nämlich diejenigen,<br />

die Gebühren für ihre Verrichtungen <strong>zum</strong> eigenen Vorteil erheben dürfen (BGHSt 2, 35, 36; Träger in LK 11.<br />

Aufl. § 352 Rdn. 6).<br />

bb) Auch eine Strafbarkeit nach § 353 StGB, die gleichfalls gegenüber dem Betrugstatbestand im Verhältnis der<br />

Spezialität stünde (Träger in LK 11. Aufl. § 353 Rdn. 23), liegt nicht vor. Zwar ist eine „Gebührenüberhöhung“<br />

gegeben, es fehlt jedoch das zusätzliche Merkmal, dass die (rechtswidrig) überhöhten Gebühren nicht vollständig zur<br />

Kasse gebracht wurden. Da somit schon deshalb der Tatbestand des § 353 StGB nicht erfüllt ist, kommt diesem<br />

Straftatbestand auch keine Sperrwirkung zu.<br />

cc) Die Privilegierungstatbestände der §§ 352, 353 StGB können andererseits nicht als Beleg dafür herangezogen<br />

werden, dass Täuschungshandlungen im Zusammenhang mit Gebühren und öffentlichen Abgaben nur unter den dort<br />

benannten Tatbestandsvoraussetzungen überhaupt strafbar sind. Vielmehr stehen auch solche Zahlungsverpflichtungen<br />

grundsätzlich unter dem strafrechtlichen Schutz des § 263 StGB, wenn sich die Täuschungshandlung auf sie<br />

bezieht. Die Pönalisierung einer täuschungsbedingten Schädigung des Vermögens Dritter entfällt nicht deshalb, weil<br />

für Sonderformen des Betrugs überkommene Privilegierungstatbestände zugunsten einzelner Berufsgruppen fortbestehen<br />

(vgl. aber zur Straf<strong>zum</strong>essung unter 2. a) a. E.).<br />

b) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine vom Angeklagten in mittelbarer Täterschaft begangene Täuschungshandlung<br />

und eine damit korrespondierende Irrtumserregung bei den Anspruchsverpflichteten angenommen.<br />

aa) Zwar enthalten die an die Eigentümer gerichteten Schreiben unmittelbar keine falsche Tatsachenbehauptung. In<br />

der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass eine Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB auch konkludent<br />

erfolgen kann. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis <strong>zum</strong> Ausdruck<br />

bringt, sie aber nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt (BGHSt 51, 165, 169 f.; 47, 1,<br />

3). Welcher Inhalt der Erklärung zukommt, bestimmt sich ganz wesentlich durch den Empfängerhorizont und die<br />

Erwartungen der Beteiligten. Diese werden regelmäßig durch den normativen Gesamtzusammenhang geprägt sein, in<br />

dem die Erklärung steht (vgl. BGHSt 51, 165, 170). Deshalb hat der Bundesgerichtshof auch entschieden, dass ein<br />

Kassenarzt mit seiner Abrechnung gegenüber der Kasse nicht nur erklärt, dass die abgerechnete Leistung unter die<br />

161


Leistungsbeschreibung der Gebührennummer fällt, sondern auch, dass seine Leistung zu den kassenärztlichen Versorgungsleistungen<br />

gehört und nach dem allgemeinen Bewertungsmaßstab abgerechnet werden kann (BGHR StGB §<br />

263 Abs. 1 Täuschung 12; vgl. auch Täuschung 9, 11).<br />

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dem Rechnungsschreiben der BSR die (konkludent miterklärte) Aussage entnommen,<br />

dass die Tarife unter Beachtung der für die Tarifbestimmung geltenden Rechtsvorschriften ermittelt und sie<br />

mithin auch auf einer zutreffenden Bemessungsgrundlage beruhen. Der Verkehr erwartet nämlich vor allem eine<br />

wahrheitsgemäße Darstellung im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs, soweit<br />

die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne<br />

weiteres überprüfen kann (BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 22). Eine solche Möglichkeit, die geltend gemachten<br />

Straßenreinigungsentgelte auf die Richtigkeit ihrer Bemessungsgrundlage überprüfen zu können, hat der Adressat<br />

der Rechnung praktisch nicht. Die BSR nimmt deshalb zwangsläufig das Vertrauen der Adressaten in Anspruch.<br />

Dies prägt wiederum deren Empfängerhorizont. Da die Eigentümer damit rechnen dürfen, dass die Tarife nicht manipulativ<br />

gebildet werden, erklärt der Rechnungssteller dies in seinem Anspruchsschreiben konkludent. Für die BSR<br />

gilt dies im besonderen Maße, weil sie als öffentlich-rechtlich verfasster Rechtsträger wegen ihrer besonderen Verpflichtung<br />

zur Gesetzmäßigkeit gegenüber ihren Kunden gehalten ist, eine rechtskonforme Tarifgestaltung vorzunehmen.<br />

Dass sie diese Pflicht eingehalten hat, versichert sie stillschweigend, wenn sie gegenüber ihren Kunden auf<br />

der Grundlage der Tarife abrechnet.<br />

bb) Einem entsprechenden Irrtum unterlagen auch die Adressaten der Rechnungen. Der im Rahmen der Täuschungshandlung<br />

maßgebliche Empfängerhorizont spiegelt sich regelmäßig in dem Vorstellungsbild auf Seiten der Empfänger<br />

wider. Deshalb kommt es – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – nicht darauf an, ob die Adressaten<br />

sich eine konkrete Vorstellung über die Berechnung der Reinigungsentgelte und die in Ansatz gebrachten Bemessungsgrundlagen<br />

gemacht haben. Entscheidend ist vielmehr, dass die Empfänger der Zahlungsaufforderungen<br />

sich jedenfalls in einer wenngleich allgemein gehaltenen Vorstellung befanden, dass die Tarifberechnung „in Ordnung“<br />

sei, <strong>zum</strong>al die Höhe der Tarife ihre eigenen finanziellen Interessen unmittelbar berührte (vgl. BGHSt 2, 325;<br />

24, 386, 389; Fischer, StGB 56. Aufl. § 263 Rdn. 35). Damit gingen sie – jedenfalls in der Form des sachgedanklichen<br />

Mitbewusstseins (vgl. BGHSt 51, 165, 174) – davon aus, dass die Bemessungsgrundlage zutreffend bestimmt<br />

und die Tarife nicht manipulativ zu ihren Lasten erhöht wurden. Insofern ist bei ihnen ein Irrtum erregt worden, weil<br />

sie auf eine ordnungsgemäße Abrechnung vertrauten und in diesem Bewusstsein auch die Rechnungen der BSR als<br />

gesetzeskonforme Zahlungsanforderung ansahen.<br />

cc) Ohne Rechtsverstoß hat das Landgericht bei dem Angeklagten eine mittelbare Täterschaft im Sinne des § 25 Abs.<br />

1 2. Alt. StGB angenommen. Der Angeklagte hat dadurch, dass er den Entscheidungsgremien (einschließlich der<br />

Senatsverwaltung als Genehmigungsbehörde) die Tarifvorschläge unter Heranziehung falscher (überhöhter) Bemessungsgrundlagen<br />

vorlegte, deren Festlegung erreicht. Damit hat er aber zugleich die Grundlage für einen weiteren<br />

von ihm ausgelösten Kausalverlauf geschaffen, nämlich die Absendung der Zahlungsanforderungen an die anspruchsverpflichteten<br />

Anlieger, die eigentliche Betrugshandlung gegenüber den Eigentümern. Damit hat sich der<br />

Angeklagte der mit der Rechnungsstellung und Forderungseinziehung befassten (gutgläubigen) Mitarbeiter bedient,<br />

die er zu den Täuschungshandlungen gegenüber den Anliegern verleitet hat. Seine Position als Organ innerhalb der<br />

BSR und sein besonderes Wissen darum, wie die Tarife zustande gekommen sind, verschafften ihm die notwendige<br />

Tatherrschaft.<br />

Es wäre allerdings auch denkbar, in der Tariffestsetzung selbst die eigentliche Vermögensverfügung zu sehen. Dann<br />

wäre der Angeklagte unmittelbar Täter, der den Entscheidungsgremien die (falschen) Bemessungsgrundlagen dargelegt<br />

oder in seinem Beisein hat darlegen lassen. Da die BSR aufgrund ihrer Stellung zu einer einseitigen Leistungsbestimmung<br />

gemäß § 315 BGB berechtigt war, könnte aufgrund dieses hierin begründeten Näheverhältnisses eine<br />

vermögensschädigende Verfügung zu Lasten der Eigentümer der Anliegergrundstücke zu sehen sein (vgl. BGH<br />

NStZ 1997, 32; wistra 1992, 299; Hefendehl in MünchKomm § 263 Rdn. 286 ff.). Die einzelnen Rechnungsstellungen<br />

wären dann (mitbestrafte) Nachtaten. Dem braucht allerdings nicht weiter nachgegangen zu werden, weil der<br />

Angeklagte durch die Annahme eines Betrugs in mittelbarer Täterschaft jedenfalls nicht beschwert ist.<br />

c) Aus Rechtsgründen ist gleichfalls nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei dem Angeklagten eine Bereicherungsabsicht<br />

im Sinne des § 263 StGB bejaht hat.<br />

aa) Eine solche Bereicherungsabsicht kann auch dann vorliegen, wenn der Täter einem Dritten rechtswidrig einen<br />

Vorteil verschaffen will. Hierfür genügt es, dass es dem Täuschenden auf den Vermögensvorteil als sichere und<br />

erwünschte Folge seines Handelns ankommt, mag der Vorteil auch von ihm nur als Mittel zu einem anderweitigen<br />

Zweck erstrebt werden. Nicht erforderlich ist, dass der Vermögensvorteil die eigentliche Triebfeder oder das in erster<br />

Linie erstrebte Ziel seines Handelns ist (BGHSt 16, 1; vgl. auch Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl.<br />

162


§ 263 Rdn. 176 f.). Diese Voraussetzung hat das Landgericht bejaht. Nach seinen Feststellungen war die Tat in erster<br />

Linie zwar auf die Verdeckung des Fehlers aus der Tarifperiode 1999/2000, aber zugleich auch auf eine erneute,<br />

erweiterte Bereicherung der BSR gerichtet.<br />

bb) Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist diese Beweiswürdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite des<br />

Angeklagten nicht zu beanstanden. Nach den Urteilsgründen ging es dem Angeklagten zwar vorwiegend darum, den<br />

Fehler in der Tarifgestaltung 1999/2000 zu vertuschen; er billigte die Mehreinnahmen der BSR aber nicht nur, sondern<br />

sie stellten für ihn einen notwendigen, zudem nicht einmal unerwünschten Nebeneffekt dar. Diese im Übrigen<br />

nahe liegende Schlussfolgerung hat das Landgericht auf die finanziellen Unsicherheiten wegen der zuvor abgeschlossenen<br />

Zielvereinbarung mit dem Land Berlin gestützt sowie auf sein allgemeines von dem Angeklagten selbst<br />

bekundetes Bestreben, <strong>zum</strong> Wohle des Unternehmens tätig sein zu wollen. Das Landgericht hat damit seine Wertung<br />

auch hinreichend mit Tatsachen belegt. Ein Rechtsfehler ist insoweit nicht ersichtlich.<br />

2. Dagegen hält die Straf<strong>zum</strong>essung rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

a) Das Landgericht hat als ganz wesentlichen Straf<strong>zum</strong>essungsgesichtspunkt die Schadenshöhe von weit über 20<br />

Mio. Euro angeführt. Es hat entscheidend darauf abgestellt, dass eine mildere Bestrafung trotz mehrerer gewichtiger<br />

Milderungsgründe (UA S. 58) wegen der Schadenshöhe nicht in Betracht gezogen werden könne. Dabei unterlässt<br />

das Landgericht jedoch die bei der gegebenen besonderen Sachlage von vornherein gebotene Relativierung des<br />

Schadens. Es hätte nämlich bei der hier gegebenen Fallkonstellation in den Blick genommen werden müssen, dass<br />

sich der Schaden nach dem gewöhnlichen Verlauf nachhaltig reduziert hätte (vgl. BGH StV 2003, 446, 447; wistra<br />

2006, 20; Raum in Wabnitz/Janowski, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. S. 238 f.). Diese<br />

Besonderheiten ergeben sich hier aus Folgendem:<br />

Durch die zu hohe Bemessungsgrundlage, die auch Straßen ohne Anlieger erfasste, hätte die BSR Einnahmen in<br />

einer Größenordnung erzielt, die eine Absenkung der Tarife in der nächsten Periode erforderlich gemacht hätte. Da<br />

die BSR den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Gebührengrundsätzen unterlag, war sie an das Kostendeckungsprinzip<br />

(vgl. BVerfGE 108, 1, 19 ff.) gebunden. Die vereinnahmten Gebühren hätten mithin nicht zu einer der BSR<br />

verbleibenden Gewinnsteigerung führen dürfen, sondern hätten – wie das Landgericht an anderer Stelle zutreffend<br />

ausgeführt hat (UA S. 52) – periodenübergreifend ausgeglichen werden müssen. Dadurch wäre eine deutliche Relativierung<br />

der Schadenshöhe eingetreten. Im Rahmen der Nachkalkulation konnte dies nur schneller aufgedeckt werden.<br />

Eine solche Schadensreduzierung hat das Landgericht, auch wenn es die Schadenswiedergutmachung nach<br />

Tataufdeckung berücksichtigt hat, nicht ausreichend gewürdigt. Da das Landgericht ausdrücklich im besonderen<br />

Maße auf die absolute Schadenshöhe abgestellt hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass dies die Straf<strong>zum</strong>essung<br />

beeinflusst hat.<br />

Es kommt hinzu, dass im Bereich des Betrugs im Rahmen uneigentlicher Gebührenüberhebungen der Blick auf die<br />

hier nicht erfüllten, aber angesichts des verlangten materiellen Eigennutzes verwerflicheres Handeln voraussetzende<br />

Privilegierungstatbestände der §§ 352, 353 StGB für sich eine mildernde Berücksichtigung nahe legt. Da der Senat<br />

den Strafausspruch schon aus diesem Grund aufhebt, kann er offenlassen, ob die Höhe der gegen den Angeklagten<br />

verhängten Strafe angesichts der konkreten Ahndung der weiteren Tatbeteiligten in einem nicht mehr angemessenen<br />

Verhältnis stand.<br />

b) Die Verhängung einer (gegebenenfalls zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe scheint hier schon aus<br />

Rechtsgründen unerlässlich. Daher lässt der Senat die festgestellte Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

bestehen. Ebenso können die Feststellungen <strong>zum</strong> Rechtsfolgenausspruch aufrecht erhalten bleiben.<br />

Der neue Tatrichter darf allerdings weitere Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Ebenso<br />

ist, sollte eine weitere rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eintreten, die bislang angesetzte Kompensation zu<br />

erhöhen.<br />

StGB § 265 a Abs. 1 Beförderungserschleichen setzt keine Täuschung voraus<br />

BGH, Beschl. v. 08.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 117/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1091; NStZ <strong>2009</strong>, 21<br />

LS: Eine Beförderungsleistung wird bereits dann im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen,<br />

wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem An-<br />

163


schein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien,<br />

die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein und Athing, die Richterin am Bundesgerichtshof SolinStojanovic<br />

und den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann am 8. Januar <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Eine Beförderungsleistung wird bereits dann im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen, wenn der Täter ein<br />

Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den<br />

Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen.<br />

Gründe:<br />

I.<br />

1. Das Amtsgericht hat den Angeklagten B. am 6. Juni 2007 und die Angeklagten G. und Ba. am 26.<br />

September 2007 jeweils von dem Vorwurf des Erschleichens geringwertiger Leistungen in mehreren Fällen freigesprochen.<br />

Nach den Urteilsfeststellungen hatten der Angeklagte B. in der Zeit vom 29. September 2006 bis <strong>zum</strong><br />

20. Dezember 2006 in sieben Fällen, der Angeklagte G. in der Zeit vom 20. November 2006 bis <strong>zum</strong> 9. Januar<br />

2007 in sechs Fällen und die Angeklagte Ba. in der Zeit vom 10. März 2007 bis <strong>zum</strong> 5. Juni 2007 in 14 Fällen<br />

öffentliche Verkehrsmittel (Straßenbahnen) der H. V. AG (H. ) benutzt, ohne - wie bei Fahrausweiskontrollen<br />

festgestellt wurde - im Besitz eines gültigen Fahrscheins zu sein. Die Angeklagten hatten sich jeweils bemüht, durch<br />

ihr Verhalten keine Aufmerksamkeit zu erregen, um den Eindruck zu erwecken, als nutzten sie die Straßenbahn mit<br />

einem gültigen Fahrausweis.<br />

Das Amtsgericht hat in dem festgestellten Verhalten der Angeklagten keine Straftaten zu erblicken vermocht. Es hat<br />

die Auffassung vertreten, ein unauffälliges oder unbefangenes Benutzen eines öffentlichen Verkehrsmittels ohne<br />

Entgelt reiche nicht aus, um das Tatbestandsmerkmal des Erschleichens im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB zu erfüllen.<br />

Gegen diese Urteile wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen, mit denen sie die Rechtsauffassung des<br />

Amtsgerichts beanstandet. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hält die Revisionen der Staatsanwaltschaft für<br />

begründet und hat jeweils beantragt, Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen.<br />

2. Das zur Entscheidung über die Revisionen berufene Oberlandesgericht Naumburg beabsichtigt, die Revisionen der<br />

Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.<br />

Es ist - in Übereinstimmung mit der im Schrifttum inzwischen herrschenden Meinung (vgl. Lenckner/Perron in<br />

Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 265 a Rdn. 11; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 265 a Rdn. 34 ff.; Wohlers in<br />

Münch-Komm § 265 a Rdn. 53 ff.; Fischer StGB 56. Aufl. § 265 a Rdn. 6, 21; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 265 a<br />

Rdn. 6 a, jeweils m.w.N.) - der Ansicht, dass ein Erschleichen einer Beförderung durch ein Verkehrsmittel im Sinne<br />

des § 265 a Abs. 1 StGB voraussetze, dass der Täter sich mit einem täuschungsähnlichen oder manipulativen Verhalten<br />

in den Genuss der Leistung bringe; allein die Entgegennahme einer Beförderungsleistung ohne gültigen Fahrausweis,<br />

die nicht mit der Umgehung von Kontroll- oder Zugangssperren oder sonstigen Sicherheitsvorkehrungen<br />

verbunden sei, reiche nicht aus. Dies folge <strong>zum</strong> einen aus dem Wortsinn des Begriffs "Erschleichen", <strong>zum</strong> anderen<br />

aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Rahmen der §§ 263 bis 265 b StGB.<br />

An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Naumburg durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts<br />

Stuttgart vom 10. März 1989 - 1 Ss 635/88 (NJW 1990, 924, 925), des Hanseatischen Oberlandesgerichts<br />

Hamburg vom 18. Dezember 1990 - 2a Ss 119/90 (NStZ 1991, 587, 588) sowie der Oberlandesgerichte Düsseldorf<br />

vom 30. März 2000 - 2b Ss 54/00 - 31/00 I (NJW 2000, 2120, 2121) und Frankfurt a.M. vom 16. Januar<br />

2001 - 2 Ss 365/00 (NStZ-RR 2001, 269, 270) gehindert. Diese Oberlandesgerichte vertreten die Auffassung, dass<br />

unter dem Erschleichen einer Beförderung im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB jedes der Ordnung widersprechende<br />

Verhalten zu verstehen sei, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich mit<br />

dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Eines heimlichen Vorgehens des Täters, einer List, einer Täuschung<br />

oder einer Umgehung von Sicherungen oder Kontrollen bedürfe es nicht; das Erschleichen einer Beförderung entfalle<br />

auch nicht deshalb, weil der Zugang <strong>zum</strong> Verkehrsmittel nicht kontrolliert werde.<br />

Das Oberlandesgericht Naumburg hat deshalb die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung<br />

über folgende Rechtsfrage vorgelegt:<br />

"Erschleicht der Täter eine Beförderungsleistung im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB, wenn er ein Verkehrsmittel<br />

benutzt, ohne im Besitz eines nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers des Verkehrsmittels erforderlichen<br />

Fahrausweises zu sein, und - ohne sich den Genuss der Beförderungsleistung durch weitere Handlungen oder Unterlassungen<br />

zu ermöglichen oder zu erhalten - lediglich hofft, nicht aufzufallen?"<br />

164


3. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Vorlegungsfrage zu bejahen und wie folgt zu beschließen:<br />

"Eine Beförderungsleistung wird bereits dann im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen, wenn der Täter ein<br />

Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und dabei den Anschein erweckt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen<br />

des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen".<br />

II. Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG sind gegeben.<br />

Die Vorlegungsfrage ist entscheidungserheblich. Das Oberlandesgericht Naumburg kann die Revisionen der Staatsanwaltschaft<br />

nicht wie beabsichtigt verwerfen, ohne von der Rechtsansicht des Senats (Urteil vom 8. August 1974 - 4<br />

StR 264/74) sowie zahlreicher Oberlandesgerichte abzuweichen. Neben den vom vorlegenden Oberlandesgericht<br />

bereits genannten Judikaten stehen auch die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 21. Februar<br />

1969 - RReg 3 a St 16/69 (NJW 1969, 1042, 1043) und vom 4. Juli 2001 - 5 St RR 169/01 (wistra 2002, 36)<br />

sowie des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. November 1994 - 2 Ss 332/94 (NStE Nr. 6 zu § 265 a StGB) der<br />

beabsichtigten Verwerfung entgegen.<br />

III. Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage - im Wesentlichen - in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt<br />

und der herrschenden Rechtsprechung wie aus der Beschlussformel ersichtlich.<br />

1. Der Wortlaut der Norm setzt weder das Umgehen noch das Ausschalten vorhandener Sicherungsvorkehrungen<br />

oder regelmäßiger Kontrollen voraus. Nach seinem allgemeinen Wortsinn beinhaltet der Begriff der "Erschleichung"<br />

lediglich die Herbeiführung eines Erfolges auf unrechtmäßigem, unlaute-rem oder unmoralischem Wege (vgl.<br />

Grimm, <strong>Deutsche</strong>s Wörterbuch, 8. Bd. [1999], Sp. 2136; Brockhaus, 10. Aufl. Bd. 2 S. 1217). Er enthält allenfalls<br />

ein "täuschungsähnliches" Moment dergestalt, dass die erstrebte Leistung durch unauffälliges Vorgehen erlangt wird;<br />

nicht erforderlich ist, dass der Täter etwa eine konkrete Schutzvorrichtung überwinden oder eine Kontrolle umgehen<br />

muss.<br />

2. Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Erschleichen" verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des<br />

Art. 103 Abs. 2 GG. Da das Tatbestandsmerkmal schon im Hinblick auf seine Funktion der Lückenausfüllung eine<br />

weitere Auslegung zulässt, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, unter dem Erschleichen einer Beförderung<br />

jedes der Ordnung widersprechende Verhalten zu verstehen, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung<br />

bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt (BVerfG Beschluss vom 9.<br />

Februar 1998 - 2 BvR 1907/97 = NJW 1998, 1135, 1136; vgl. auch BVerfG Beschluss vom 7. April 1999 - 2 BvR<br />

480/99).<br />

3. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht für die Auslegung des Begriffs des Erschleichens im Sinne der<br />

obergerichtlichen Rechtsprechung.<br />

Die Vorschrift des § 265 a StGB geht, soweit sie das "Schwarzfahren" unter Strafe stellt, auf Art. 8 der Strafgesetznovelle<br />

vom 28. Juni 1935 zurück (RGBl. I 839, 842). Sie sollte vor allem die Lücke schließen, die sich bei der Erschleichung<br />

von Massenleistungen bezüglich der Anwendung des § 263 StGB ergaben (vgl. Lenckner/Perron aaO §<br />

265 a Rdn. 1; Tiedemann aaO § 265 a Rdn. 1-3; Falkenbach, Die Leistungserschleichung, 1983, S. 70, 75-77).<br />

Das Reichsgericht hatte bereits im Jahre 1908 in einem "Schwarzfahrerfall" entschieden, dass der Tatbestand des §<br />

263 StGB keine Anwendung finden könne, da nicht festgestellt war, in welcher Weise sich der Täter die Möglichkeit<br />

zur Benutzung der Eisenbahn verschafft und ob er einen Bahnmitarbeiter getäuscht hatte (RGSt 42, 40, 41); es hatte<br />

angeregt, die bestehende Strafbarkeitslücke für sogenannte blinde Passagiere durch eine neue Strafvorschrift zu<br />

schließen.<br />

Die im Jahre 1935 eingeführte Vorschrift des § 265 a StGB entsprach fast wörtlich dem § 347 (Erschleichen freien<br />

Zutritts) des Entwurfs eines Allgemeinen <strong>Deutsche</strong>n Strafgesetzbuchs von 1927, in dessen Begründung es unter<br />

anderem heißt: "Erschleichen ist nicht gleichbedeutend mit Einschleichen. Auch wer offen durch die Sperre geht,<br />

sich dabei aber so benimmt, als habe er das Eintrittsgeld entrichtet, erschleicht den Eintritt. Auch ein bloß passives<br />

Verhalten kann den Tatbestand des Erschleichens erfüllen; so fällt auch der Fahrgast einer Straßenbahn unter die<br />

Strafdrohung, der sich entgegen einer bestehenden Verpflichtung nicht um die Erlangung eines Fahrscheins kümmert"<br />

(Materialien zur Strafrechtsreform, 4. Band, Entwurf eines Allgemeinen <strong>Deutsche</strong>n Strafgesetzbuches 1927<br />

mit Begründung und 2 Anlagen [Reichstagsvorlage], Bonn 1954 [Nachdruck], S. 178/179; Die Strafrechtsnovellen<br />

vom 28. Juni 1935 und die amtlichen Begründungen, Amtliche Sonderveröffentlichungen der <strong>Deutsche</strong>n Justiz Nr.<br />

10, S. 41).<br />

Die Vorschrift sollte also gerade diejenigen Fälle erfassen, in denen es unklar bleibt, ob der Täter durch täuschungsähnliches<br />

oder manipulatives Verhalten Kontrollen umgeht. Der gesetzgeberische Wille ist nicht etwa deswegen<br />

unbeachtlich, weil sich die bei Schaffung des Gesetzes bestehenden Verhältnisse insoweit geändert haben, als heute,<br />

auch zu Gunsten einer kostengünstigeren Tarifgestaltung, auf Fahrscheinkontrollen weitgehend verzichtet wird (vgl.<br />

hierzu Rengier Strafrecht BT I 6. Aufl. § 16 Rdn. 6; Schmidt/Priebe Strafrecht BT II 4. Auflage Rdn. 512). Der Ge-<br />

165


setzgeber hat die Bestimmung so weit gefasst, dass sie auch auf neue Fallgestaltungen angewendet werden kann (vgl.<br />

Senatsurteil vom 8. August 1974 - 4 StR 264/74).<br />

4. Der erkennbare Wille des heutigen Gesetzgebers spricht ebenfalls für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des<br />

Erschleichens im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung. Er wird daraus deutlich, dass § 265 a Abs. 1 StGB<br />

trotz der Angriffe von Teilen des Schrifttums gegen diese Rechtsprechung und trotz verschiedener Reformvorhaben<br />

unverändert gelassen wurde.<br />

Zwei Gesetzesentwürfe scheiterten. Der Gesetzentwurf des Bundesrates (BTDrucks. 12/6484; BTDrucks. 13/374),<br />

der für eine Beförderungserschleichung eine Beschränkung des § 265 a StGB auf wiederholtes Handeln oder solches<br />

unter Umgehung von Kontrollmechanismen und die Einführung eines Ordnungswidrigkeitstatbestandes für erstmaliges<br />

Schwarzfahren vorsah, ist nach einer ersten Beratung im Bundestag nicht weiter behandelt worden. Der Gesetzentwurf<br />

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der unter anderem die Streichung der Alternative "Beförderung durch<br />

ein Verkehrsmittel" in § 265 a StGB und die Ersetzung durch einen Bußgeldtatbestand vorsah (BTDrucks. 13/2005),<br />

wurde während der Beratungen <strong>zum</strong> 6. StrRÄndG abgelehnt (BTDrucks. 13/9064 S. 2, 7). Auch die Vorschläge der<br />

niedersächsischen Kommission zur Reform des Strafrechts, die eine ersatzlose Streichung des § 265 a StGB gefordert<br />

hatte, und der hessischen Kommission "Kriminalpolitik", die eine Ergänzung der dritten Alternative des § 265 a<br />

Abs. 1 StGB um das Merkmal der Täuschung einer Kontrollperson vorgeschlagen hatte, gaben dem Gesetzgeber<br />

keine Veranlassung zu einer Änderung bezüglich der Beförderungserschleichung.<br />

5. Schließlich führt auch der Vergleich mit den anderen Tatbestandsalternativen des § 265 a Abs. 1 StGB zu keiner<br />

anderen Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Erschleichen". Zwar erfordert die unberechtigte Inanspruchnahme<br />

von Automatenleistungen oder von Leistungen eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationssystems<br />

in der Regel eine aktive Manipulation oder Umgehung von Sicherungsmaßnahmen. Dies folgt aber daraus, dass diese<br />

Leistungen nur auf eine spezielle Anforderung hin erbracht werden. Im Unterschied dazu wird die Beförderungsleistung<br />

dadurch für eine bestimmte Person erbracht, dass diese in das ohnehin in Betrieb befindliche Verkehrsmittel<br />

einsteigt und sich befördern lässt; eine vergleichbare aktive Umgehung von Kontrolleinrichtungen beim Zugang zu<br />

einem Verkehrsmittel ist daher schon der Sache nach nicht erforderlich (vgl. auch OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR<br />

2001, 269, 270). Notwendig ist deshalb auch nicht, dass der Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen<br />

gerade gegenüber dem Beförderungsbetreiber oder seinen Bediensteten erregt wird; es genügt vielmehr,<br />

dass sich der Täter lediglich allgemein mit einem entsprechenden Anschein umgibt.<br />

6. Soweit in der Literatur Gesichtspunkte der Entkriminalisierung des "Schwarzfahrens" angeführt werden (vgl. nur<br />

Albrecht NStZ 1988, 222 f., 224; Alwart JZ 1986, 563 f.; Wohlers aaO § 265 a Rdn. 4 ff. m.w.N.), ist dies für die<br />

Auslegung des § 265 a StGB unbeachtlich. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, dem Gesetzgeber vorbehaltene<br />

rechtspolitische Zielsetzungen zu verwirklichen.<br />

StGB §§ 266, 299 a.F.; IntBestG Art. 2 § 1 Nr. 2 Untreue durch „Schwarze Kasen“ - Siemens<br />

BGH, Urt. v. 29.08.2008 – 2 StR 587/07 -BGHSt 52, 323; NJW <strong>2009</strong>, 89; NStZ <strong>2009</strong>, 95; StV <strong>2009</strong>, 21<br />

LS: a) Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von<br />

verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen<br />

Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB; auf die Absicht, das Geld im wirtschaftlichen<br />

Interesse des Treugebers zu verwenden, kommt es nicht an (Weiterführung von BGHSt 51, 100).<br />

b) § 299 Abs. 2 StGB in der bis <strong>zum</strong> 29. August 2002 geltenden Fassung erfasste nur solche Handlungen<br />

im ausländischen Wettbewerb, die sich auch gegen deutsche Mitbewerber richteten.<br />

c) Der Amtsträgerbegriff nach Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG ist nicht im Sinne der jeweiligen nationalen<br />

Rechtsordnung, sondern autonom auf der Grundlage des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung<br />

der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.<br />

Dezember 1997 auszulegen.<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 14. Mai 2007, soweit es<br />

ihn betrifft,<br />

166


1. im Fall II.1 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte K. der Untreue schuldig ist und die tateinheitliche<br />

Verurteilung wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr entfällt,<br />

2. im Fall II.2 der Urteilsgründe aufgehoben; die Verurteilung des Angeklagten K. wegen Bestechung im geschäftlichen<br />

Verkehr und die dafür verhängte Einzelstrafe entfallen; und<br />

3. im Strafausspruch in den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch jeweils mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben; insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über<br />

die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

II. Auf die Revision des Angeklagten V. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

III. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil<br />

1. soweit es den Angeklagten K. betrifft, in den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe im Strafausspruch sowie im<br />

Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die weitergehende Revision wird<br />

verworfen;<br />

2. soweit es den Angeklagten V. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben; die weitergehende Revision wird<br />

verworfen; und<br />

3. soweit es die Nebenbeteiligte betrifft, verworfen; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die<br />

der Nebenbeteiligten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

IV. Auf die Revision der Nebenbeteiligten wird das Urteil, soweit es sie betrifft, aufgehoben; die Anordnung des<br />

Wertersatzverfalls entfällt. Die durch ihre Beteiligung erwachsenen Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur<br />

Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten K. der Bestechung im geschäftlichen Verkehr in Tateinheit mit Untreue<br />

(Fall II.1 der Urteilsgründe), der Bestechung im geschäftlichen Verkehr (Fall II.2 der Urteilsgründe) sowie der Untreue<br />

(Fall II.3 der Urteilsgründe) schuldig gesprochen. Es hat gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.<br />

Den Angeklagten V. hat es wegen Beihilfe zur Bestechung im geschäftlichen Verkehr in zwei Fällen (II.1 u. II.2<br />

der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung ebenfalls zur<br />

Bewährung ausgesetzt.<br />

Gegen die Nebenbeteiligte hat das Landgericht den Verfall von Wertersatz in Höhe von 38 Mio. € angeordnet.<br />

Mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen machen die Angeklagten K. und V.<br />

geltend, ihr Verhalten sei in Deutschland nicht strafbar gewesen, während sich die Nebenbeteiligte Siemens AG<br />

darüber hinaus auf ein aus Art. 54 SDÜ (Schengener Durchführungsübereinkommen) herzuleitendes Verfahrenshindernis<br />

beruft.<br />

Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit der Sachrüge eine Verurteilung des Angeklagten K. auch wegen internationaler<br />

Amtsträgerbestechung gemäß § 334 StGB in Verbindung mit Art. 2 § 1 Nr. 2 Buchst. b IntBestG sowie eine Verurteilung<br />

V. s als Mittäter bei den Bestechungsdelikten. Darüber hinaus hält sie die Höhe der verhängten Strafen<br />

und die Höhe des gegen die Siemens AG angeordneten Wertersatzverfalls für zu gering.<br />

Die Revisionen haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.<br />

A.<br />

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

I. Der Angeklagte K. war als leitender Angestellter der Siemens AG von 1991 bis <strong>zum</strong> 30. Juni 2004 einer der vier<br />

sog. „Bereichsvorstände“ des Geschäftsbereichs „Power Generation“ (im Folgenden: Siemens-PG). Die Siemens-PG<br />

beschäftigte bei einem Jahresumsatz von 10 Milliarden € 30.000 Mitarbeiter und war u.a. mit der Fertigung, dem<br />

Vertrieb und der Wartung von Gasturbinen befasst. Als „Bereichsvorstand“ war der Angeklagte unmittelbar unter<br />

der Ebene des („Zentral“-)Vorstandes der Siemens AG tätig. Ihm oblag die kaufmännische Leitung des Geschäftsbereichs;<br />

er war damit u.a. zuständig für Controlling, Betriebswirtschaft, Zentrale Aufgaben, Personal und Revision<br />

sowie für die Wirtschaftsregion Europa. Er hatte die Siemens-interne Autorisierung, Zahlungen in unbegrenzter<br />

Höhe anzuweisen. In seine Zuständigkeit fiel auch die Umsetzung der Compliance-Vorschriften der Siemens AG für<br />

167


seinen Geschäftsbereich. Diese Vorschriften sahen u.a. vor, auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit den Einsatz<br />

von Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen.<br />

Gleichwohl existierte im Geschäftsbereich der Siemens-PG, wie dem Angeklagten auf Grund seiner Leitungsfunktion,<br />

aber auch noch anderen Mitarbeitern von Siemens-PG, nicht jedoch – wie das Landgericht ausdrücklich festgestellt<br />

hat – dem Zentralvorstand bekannt war, ein etabliertes System zur Leistung von Bestechungsgeldern (sog.<br />

nützlichen Aufwendungen), und zwar zunächst in Gestalt eines Geflechts von Nummernkonten bei diversen liechtensteinischen<br />

Banken, die auf die Namen verschiedener anderer Unternehmen und liechtensteinischer Stiftungen<br />

(„Eurocell“, „Colford Investments Corp.“, „Grenusso Anstalt“) lauteten. Die Gelder auf diesen Konten, deren Höhe<br />

das Landgericht nicht festgestellt hat, waren bei zuvor durchgeführten Projekten nicht aufgebraucht worden und<br />

hatten in der offiziellen Buchhaltung der Siemens-PG – für die der Angeklagte K. verantwortlich zeichnete – keinen<br />

Niederschlag gefunden. Der Angeklagte V. , der von 1998 bis 2001 als freier Mitarbeiter und Berater für den<br />

Geschäftsbereich PG der Siemens AG tätig war, widmete etwa 2/3 seiner Tätigkeit der Abwicklung verdeckter<br />

Überweisungen für nützliche Aufwendungen, die Mitarbeiter des Geschäftsbereichs bei ihm in Auftrag gaben.<br />

Nachdem es in den Jahren 1999 und 2000 zur Aufdeckung verschiedener Finanz- und Geldwäscheaffären in Liechtenstein<br />

gekommen war, entschieden der Angeklagte K. sowie ein weiterer, ihm unterstellter Angestellter als für<br />

die liechtensteinischen Konten Verantwortliche, diese aufzulösen; die Guthaben wurden im Zeitraum Sommer 2000<br />

bis Sommer 2001 nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu Gunsten einer Firma „Technical Consulting<br />

& Service Ltd.“ überführt und dort weiterhin vom Angeklagten V. in gleicher Weise betreut.<br />

Der Angeklagte K. verwaltete neben dem liechtensteinischen Kontengeflecht seit dem Jahr 1998 zudem noch eine<br />

weitere verdeckte Kasse in der Schweiz. Dabei handelte es sich um Gelder verteilt auf ein Girokonto, ein Festgeldkonto<br />

und ein Wertpapierdepot. Diese Gelder stammten noch von der durch die Siemens AG übernommenen und in<br />

den Geschäftsbereich PG integrierten früheren KWU AG. Der ursprüngliche Verwalter dieser Kasse, der im Bereich<br />

Buchhaltung und Bilanzierung bei der Siemens-PG beschäftigte Zeuge Dr. W. , hatte anlässlich seiner bevorstehenden<br />

Pensionierung Ende 1998 den Angeklagten K. in dessen Funktion als kaufmännischer Leiter und für die<br />

Buchhaltung Verantwortlicher über die Existenz der – sonst niemandem mehr bekannten – verdeckten Kasse informiert.<br />

Der Angeklagte K. entschloss sich, die Gelder nicht in die offizielle Buchhaltung der Siemens AG einzustellen,<br />

sondern instruierte den Angeklagten V. , in Liechtenstein die Stiftung Gastelun zu errichten und für<br />

diese ein Konto zu eröffnen. Auf Geheiß des Angeklagten K. überwies Dr. W. Anfang 1999 den Bestand<br />

der verdeckten Kasse in Höhe von etwa 12 Mio. Schweizer Franken auf das Konto der Stiftung in Liechtenstein. Der<br />

Angeklagte verwendete den gesamten Betrag in der Folge, um – wie von Anfang an beabsichtigt – „nützliche Aufwendungen“<br />

zur Erlangung von Aufträgen nach seinem Gutdünken zu bestreiten. Zu diesem Zweck erteilte er jeweils<br />

konkrete Aufträge an den Angeklagten V. , der ihn fortlaufend über den Kontostand unterrichtete (Fall<br />

II.3 der Urteilsgründe).<br />

II. Bei der italienischen Firma Enel S.p.A. handelt es sich um ein zuvor auf öffentlich-rechtlicher Grundlage als<br />

Stromversorger tätig gewesenes staatliches Unternehmen, das 1992 durch Umwandlung in eine Aktiengesellschaft<br />

(S.p.A.) privatisiert worden war. Die Republik Italien hielt im November 1999 noch gut 68 % der Aktien.<br />

1. Der italienische Strommarkt befand sich auf Grund der Umsetzung der Richtlinie 96/92/EG, die eine Marktliberalisierung<br />

anordnete und durch das Gesetz Nr. 79 vom 16. März 1999 (sog. Bersani-Dekret) mit Wirkung <strong>zum</strong> 1.<br />

April 1999 in italienisches Recht umgesetzt worden war, im Umbruch. Während vor diesem Zeitpunkt die Produktion<br />

von Strom grundsätzlich nur staatlich konzessionierten Erzeugern gestattet gewesen war, zu denen neben Enel nur<br />

kommunale Unternehmen gehört hatten, war durch das Bersani-Dekret der Markt der Stromerzeugung dem freien<br />

Wettbewerb geöffnet worden. Der wichtigste Stromerzeuger in Italien war im Jahr 2000 ENEL Produzione S.p.A.,<br />

eine hundertprozentige Tochter der Enel S.p.A., mit einem Marktanteil von ca. 56 %. Zudem konnte dieses Unternehmen<br />

satzungsgemäß auch auf dem ausländischen Markt der Stromerzeugung agieren.<br />

Demgegenüber blieb die Stromübertragung und -verteilung in Italien auch nach dem 1. April 1999 staatlich konzessionierten<br />

Unternehmen vorbehalten.<br />

2. Mit dem Ziel, eine Vielzahl verschiedener Versorgungs- und Serviceleistungen anbieten zu können, gliederte Enel<br />

S.p.A. im Jahr 1999 den damaligen Geschäftsbereich „Ingenieurwesen, Beschaffung und Bau“ in eine eigene Aktiengesellschaft,<br />

die Enelpower S.p.A., aus. Enelpower S.p.A., ebenfalls eine hundertprozentige Tochter der Enel<br />

S.p.A., war in der Folge u.a. sowohl in Italien als auch im Ausland im Bau von Kraftwerksanlagen tätig, ohne in<br />

Italien eine Monopolstellung innezuhaben.<br />

III.1. Im Jahr 1999 schrieb Enelpower einen bei Siemens-PG intern mit dem Namen „La Casella“ bezeichneten Auftrag<br />

zur Lieferung von Gasturbinen europaweit aus. Die Enelpower S.p.A. hatte zuvor ihrerseits seitens der ENEL<br />

168


Produzione S.p.A. einen Auftrag <strong>zum</strong> Einbau der Gasturbinen in bestehende Stromerzeugungsanlagen <strong>zum</strong> Zweck<br />

der Erhöhung des Wirkungsgrades erhalten.<br />

Auf die Ausschreibung gab Siemens-PG in einem Konsortium mit einem italienischen Unternehmen im November<br />

1999 als einziger deutscher Wettbewerber ein Angebot ab. Darauf wandte sich im Dezember 1999 der Geschäftsführer<br />

der ENEL Produzione S.p.A., der Zeuge Cr. , an den Angeklagten V. und verdeutlichte diesem, dass er<br />

auf die Auftragsvergabe, die für Siemens-PG einen Auftragswert von etwa 132,5 Mio. € repräsentierte, zu Gunsten<br />

des Konsortiums Einfluss nehmen könne; dabei gab er zu verstehen, dass er für eine solche Einflussnahme eine<br />

Schmiergeldzahlung in Millionenhöhe erwartete. Bei einem Gesprächstermin am 15. Januar 2000, an dem auf italienischer<br />

Seite neben Cr. auch das geschäftsführende Mitglied des Verwaltungsrates der Enelpower, Gi. , und<br />

auf deutscher Seite der Angeklagte V. sowie der für Italien zuständige kaufmännische Leiter des Geschäftsbereichs<br />

Siemens-PG, der Zeuge B. , teilnahmen, wurde eine Zahlung in Höhe von insgesamt 2,65 Mio. € von Siemens-PG<br />

an Cr. und Gi. vereinbart. Der Angeklagte K. war über diese Abrede unterrichtet und billigte<br />

die Zahlung von Bestechungsgeldern zur Erlangung des Auftrags. Dabei hielt er es für möglich, dass sein Verhalten<br />

in Italien zu strafrechtlichen Folgen für ihn, seine eingebundenen Mitarbeiter und für die Siemens AG führen könnte.<br />

Darüber hinaus kalkulierte er ein, dass die in Folge der Schmiergeldzahlungen von seiner Arbeitgeberin erlangten<br />

Vorteile durch zivilrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen in Deutschland oder Italien wieder würden verloren<br />

gehen können. Jedoch schätzte er das Entdeckungsrisiko als sehr gering ein.<br />

Nachdem Gi. vereinbarungsgemäß am 18. Februar 2000 den Auftrag an das Konsortium unter Beteiligung<br />

von Siemens-PG unterschrieben hatte, veranlasste der Angeklagte V. weisungsgemäß zunächst verschiedene,<br />

den Geldfluss verschleiernde Transfers der Bestechungssumme innerhalb des damals noch bestehenden Kontengeflechts<br />

in Liechtenstein, bevor er am 6. Juli 2000 den Betrag von 2,65 Mio. € auf ein von Gi. und Cr.<br />

angegebenes Konto in Abu Dhabi überwies. Der Auftrag wurde in der Folge vollständig erfüllt und abgerechnet (Fall<br />

II.1 der Urteilsgründe).<br />

2. Im Juni 2000 schrieb Enelpower erneut die Lieferung von Gasturbinen für Stromerzeugungsanlagen für ENEL<br />

Produzione europaweit aus. Für diesen Auftrag gab wiederum der Geschäftsbereich Siemens-PG in einem Konsortium<br />

mit einem italienischen Unternehmen als einziger deutscher Wettbewerber ein Angebot ab. Der Auftrag, der für<br />

Siemens-PG einen Auftragswert von 205,6 Mio. € verkörperte, lief intern unter dem Namen „Repowering“. In der<br />

Folge gab Cr. erneut gegenüber dem Angeklagten V. zu verstehen, dass auch zur Erlangung dieses<br />

Auftrages Zahlungen an Gi. und ihn selbst erforderlich seien. Der Angeklagte K. stimmte weiteren<br />

Schmiergeldzahlungen in Höhe von 2.987.000 € und von 483.990 US-$ an Gi. und Cr. zu, wies aber<br />

seine Mitarbeiter darauf hin, im Falle einer Aufdeckung müsse jeder für sich kämpfen, die Siemens AG könne sie<br />

dann nicht decken. Gi. unterzeichnete darauf am 3. August 2001 vereinbarungsgemäß den Auftrag an das Konsortium<br />

unter Beteiligung von Siemens-PG.<br />

Schon wegen der zwischenzeitlich erfolgten Auflösung des in Liechtenstein unterhaltenen Kontengeflechts musste<br />

die Zahlung der für die Erteilung des Auftrags „Repowering“ vereinbarten Bestechungssumme auf einem anderen<br />

Wege erfolgen als im Fall „La Casella“. Die Angeklagten nutzten hierfür die aus der früheren verdeckten Kasse der<br />

KWU AG übernommenen Mittel der Stiftung Gastelun. Am 10. August 2001 transferierte der Angeklagte V.<br />

den damit aufgebrauchten Rest des Stiftungsvermögens auf ein Konto der Firma TCS in den Vereinigten Arabischen<br />

Emiraten. Von dort wiederum überwies er nach Anweisung des Angeklagten K. in der Zeit von August 2001 bis<br />

Januar 2002 nach und nach die vereinbarten Bestechungssummen auf das von Gi. und Cr. bezeichnete<br />

Konto in Abu Dhabi (Fall II.2 der Urteilsgründe). Die Siemens AG erwirtschaftete aus den beiden Aufträgen einen<br />

Gesamtgewinn in Höhe von 103,8 Mio. € vor Steuern.<br />

IV. Seit Mai 2003 ermittelte die italienische Justiz gegen Gi. u.a. wegen der Entgegennahme der von Siemens-PG<br />

gezahlten Bestechungsgelder. Dem lag die Einschätzung zu Grunde, dass Gi. nach italienischem<br />

Strafrecht als Amtsträger im Sinne von Art. 357 Abs. 2 des italienischen Strafgesetzbuches anzusehen sei, weil Enelpower<br />

wegen der indirekten Beherrschung durch den italienischen Staat und ihrer Tätigkeit auf dem Energiesektor<br />

eine öffentliche Verwaltungsfunktion wahrnehme (UA S. 33/34).<br />

Die Ermittlungen der italienischen Strafverfolgungsbehörden wurden in der Folge auch auf die Siemens AG selbst<br />

sowie auf zwei Mitarbeiter des Geschäftsbereichs PG, darunter auch der Zeuge B. , ausgedehnt. Durch Urteil des<br />

Landgerichts Mailand vom 25. Juni 2006 wurden in einem abgekürzten Verfahren die beiden Mitarbeiter wegen<br />

Amtsträgerbestechung jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt. Gegen die Siemens AG wurden wegen Unterlassens<br />

der Einführung und wirksamen Umsetzung von Organisations- und Managementmodellen, die geeignet waren, Straftaten<br />

in der Art der begangenen zu verhindern, eine Geldstrafe von 500.000 € und ein Verbot des Vertragsschlusses<br />

169


mit der öffentlichen Verwaltung für die Dauer von einem Jahr verhängt. Zugleich wurde gegen sie die Abschöpfung<br />

eines Gewinns in Höhe von 6.121.000 € angeordnet.<br />

Unter dem Druck der laufenden Ermittlungen hatte sich die Siemens AG bereits im Jahr 2003 mit der Enel S.p.A. auf<br />

umfangreiche Ausgleichsleistungen geeinigt, deren Wert das Landgericht mit 113 Mio. € beziffert hat.<br />

Nach einer internen Untersuchung, bei der der Angeklagte K. wahrheitswidrig angegeben hatte, von Zahlungen an<br />

Gi. und Cr. aus verdeckten Kassen und den zu Grunde liegenden Absprachen keine Kenntnis gehabt zu<br />

haben, beschloss der Zentralvorstand der Siemens AG wegen der unzureichenden Umsetzung der Compliance-<br />

Richtlinien in dessen Geschäftsbereich am 14. Juni 2004 die Auflösung des Anstellungsvertrages mit dem Angeklagten<br />

K. unter Gewährung von Übergangs- und Ruhebezügen. Wäre ihm der volle Umfang des Fehlverhaltens des<br />

Angeklagten bekannt gewesen, so wäre statt der Auflösung die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages erfolgt.<br />

B.<br />

I. Das Landgericht hat das Handeln der Angeklagten in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe (Schmiergeldzahlungen<br />

an Gi. und Cr. ) – unter Beschränkung der Verfolgung des Angeklagten V. auf die Vorwürfe<br />

der Bestechung und der Beihilfe hierzu gemäß § 154a Abs. 2 StPO – jeweils als Bestechung im geschäftlichen<br />

Verkehr im Sinne des § 299 Abs. 2 StGB bzw. als Beihilfe hierzu gewürdigt und zur Begründung ausgeführt, diese<br />

Vorschrift habe, auch schon vor Einfügung von § 299 Abs. 3 StGB im August 2002, die Bestechung ausländischer<br />

Angestellter erfasst, unabhängig davon, ob durch die Schmiergeldzahlungen deutsche Mitbewerber benachteiligt<br />

wurden.<br />

II. Die Schmiergeldzahlungen aus der verdeckten Kasse im Fall II.1 der Urteilsgründe (Auftrag „La Casella“) hat das<br />

Landgericht zudem als tateinheitlich begangene Untreue des Angeklagten K. in der Tatvariante des Treubruchs<br />

bewertet.<br />

Ebenso erfüllten nach Auffassung der Kammer auch die Übernahme, die Fortführung und der allmähliche Verbrauch<br />

der von der KWU herrührenden verdeckten Kasse durch den Angeklagten K. (Fall II.3 der Urteilsgründe) den<br />

Treubruchstatbestand der Untreue. Im Verhältnis zur Auszahlung der Bestechungsgelder an Gi. und Cr.<br />

im Fall „Repowering“ (Fall II.2 der Urteilsgründe) ging das Landgericht – entgegen der Anklage und seinem Eröffnungsbeschluss<br />

– von tatmehrheitlicher Begehung aus.<br />

III. Eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 334 StGB in Verbindung mit den Vorschriften des EUBestG (Gesetz<br />

zu dem Protokoll vom 27. September 1996 <strong>zum</strong> Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der<br />

Europäischen Gemeinschaften vom 10. September 1998, BGBl II 2340, zuletzt geänd. durch Ges. vom 21. Juli 2004,<br />

BGBl I 1763) oder des IntBestG (Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der<br />

Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 10. September 1998, BGBl II 2327)<br />

hat das Landgericht verneint.<br />

IV. Im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung hat die Kammer besonders schwere Fälle der Untreue (§ 266 Abs. 2 StGB<br />

i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) deshalb nicht angenommen, weil vom Vorsatz des Angeklagten K.<br />

jeweils nur der Eintritt einer Vermögensgefährdung, nicht aber der eines „Effektivschadens“ umfasst gewesen sei.<br />

V. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz gegen die Nebenbeteiligte hat das Landgericht auf § 73 Abs. 3, § 73a<br />

StGB gestützt. Das Doppelverfolgungsverbot nach Art. 54 SDÜ stehe nicht entgegen, weil es sich bei der durch das<br />

italienische Urteil vom 25. Juni 2006 angeordneten Gewinnabschöpfung nicht um eine strafähnliche Maßnahme,<br />

sondern um einen kondiktionsartigen Ausgleich gehandelt habe.<br />

C.<br />

I. Die Revision des Angeklagten K.<br />

Die Revision des Angeklagten K. führt, soweit er wegen Untreue verurteilt worden ist, zur Aufhebung der Strafaussprüche<br />

(Fälle II.1 und II.3 der Urteilsgründe). Soweit er wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr verurteilt<br />

worden ist, führt seine Revision zu einer Änderung des Schuldspruchs (Fall II.1 der Urteilsgründe) bzw. zu einer<br />

Aufhebung des Urteils (Fall II.2 der Urteilsgründe). Im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet.<br />

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten K. in den Fällen II.1 und II.3 wegen Untreue zu<br />

Lasten der Siemens AG verurteilt.<br />

a) Das Landgericht hat die Verurteilung insoweit allerdings auf unterschiedliche rechtliche Annahmen gestützt, ohne<br />

dass die Grundlagen der Differenzierung sich aus den Urteilsgründen hinreichend deutlich ergeben. Im Fall II.1 („La<br />

Casella“) hat es die Tathandlung einer Untreue im Sinne der Treubruchvariante des § 266 Abs. 1 StGB in den Zahlungen<br />

der Schmiergeldsummen an Cr. und Gi. gesehen. Den vom Tatbestand vorausgesetzten Vermögensnachteil<br />

hat das Landgericht hier darin gesehen, dass der als Gegenleistung für die Schmiergeldzahlungen erlangte<br />

vertragliche Anspruch einschließlich der Gewinnerwartung wegen der Gesetzwidrigkeit der Bestechungshand-<br />

170


lungen anfechtbar und daher in seinem wirtschaftlichen Wert gemindert gewesen sei (UA S. 56); hierdurch sei ein<br />

Schaden der Siemens AG in Form eines Gefährdungsschadens entstanden.<br />

Im Fall II.3 hat das Landgericht wohl angenommen, eine tatbestandliche Untreue liege schon in dem pflichtwidrigen<br />

Unterlassen, der Siemens AG als Vermögensinhaberin die Existenz der auf verdeckten Konten in Liechtenstein vorhandenen<br />

Geldmittel zu offenbaren; durch die hierdurch bewirkte Entziehung der Verfügungsmöglichkeit sei der<br />

Treugeberin auch in diesem Fall ein Gefährdungsschaden entstanden (UA S. 57). Die Auszahlung der Bestechungsleistungen<br />

in Höhe von insgesamt 2.987.000 € und 483.990 US-$ an Cr. und Gi. , durch welche der<br />

Bestand der Kasse, der ursprünglich 12 Mio. Schweizer Franken betragen hatte, im Fall II.2 „aufgebraucht“ wurde,<br />

hat das Landgericht, anders als im Fall II.1, nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Untreue gewürdigt. Bei der<br />

Straf<strong>zum</strong>essung hat es in beiden Fällen dem Angeklagten mildernd zu Gute gehalten, dass er mit seinen Taten letztlich<br />

einen Vorteil für die Siemens AG erwirtschaften wollte und daher zwar eine Vermögensgefährdung, nicht jedoch<br />

den Eintritt eines endgültigen Vermögensschadens gebilligt habe (UA S. 71).<br />

b) Diese rechtliche Würdigung erweist sich zwar in ihrem Ergebnis als richtig; hingegen ist die Begründung nicht<br />

tragfähig. Der Angeklagte K. als kaufmännischer Leiter des Geschäftsbereichs PG hat sich in beiden Fällen der<br />

Untreue durch Unterlassen schuldig gemacht.<br />

aa) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Tatbestand der Untreue – in der<br />

Variante des Missbrauchs- oder Treubruchstatbestands – erfüllt sein kann, wenn Angestellte einer juristischen Person<br />

des Privatrechts, insbesondere auch einer Kapitalgesellschaft, dieser ohne wirksame Einwilligung Vermögenswerte<br />

entziehen, um sie nach Maßgabe eigener Zwecksetzung, wenn auch möglicherweise im Interesse des Treugebers zu<br />

verwenden. Für die hier zunächst erforderliche Feststellung einer § 266 Abs. 1 StGB unterfallenden Pflichtverletzung<br />

kommt es auf einen mittelbar oder „letztlich“ erzielten Vermögenszuwachs bei dem zu betreuenden Vermögen<br />

insoweit nicht an; dies könnte vielmehr allenfalls bei der Feststellung eines Vermögensnachteils von Bedeutung sein.<br />

Vorliegend ist für die Beurteilung hinsichtlich beider Fälle (II.1 und II.3 der Urteilsgründe) gleichermaßen darauf<br />

abzustellen, dass der Angeklagte es unterließ, die von ihm vorgefundenen, auf verdeckten, nicht unter dem Namen<br />

der Treugeberin geführten Konten verborgenen Geldmittel seiner Arbeitgeberin zu offenbaren, indem er sie als Aktiva<br />

in die Buchführung einstellen ließ und so den Anforderungen der Bilanzwahrheit genügte. Zum Kernbereich der<br />

Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten als für die kaufmännische Leitung des Geschäftsbereichs verantwortlichem<br />

Bereichsvorstand gehörte es offensichtlich, seiner Arbeitgeberin bislang unbekannte, ihr zustehende Vermögenswerte<br />

in erheblicher Höhe zu offenbaren und diese ordnungsgemäß zu verbuchen. Diese Pflicht hat der Angeklagte<br />

verletzt.<br />

Sowohl im Hinblick auf das vom Angeklagten bereits vorgefundene Kontengeflecht bei liechtensteinischen Banken<br />

(Fall II.1) als auch hinsichtlich der ihm von dem Zeugen Dr. W. offenbarten von der KWU AG herrührenden<br />

Schmiergeldkasse in der Schweiz (Fall II.3) lag das Schwergewicht der Pflichtwidrigkeit nicht bei einzelnen Verwaltungs-<br />

oder Verschleierungshandlungen des Angeklagten, ebenso nicht erst in einzelnen Vermögensverfügungen<br />

innerhalb eines längeren Zeitraums nach Maßgabe jeweils neuer Entscheidungen, sondern schon in dem Unterlassen<br />

der Offenbarung durch ordnungsgemäße Verbuchung der Geldmittel. Entgegen der Annahme des Landgerichts war<br />

der strafrechtliche Vorwurf daher in beiden Fällen, unbeschadet einzelner aktiver Verwaltungshandlungen namentlich<br />

im Fall II.3, an ein Handeln durch Unterlassen gem. § 13 Abs. 1 StGB anzuknüpfen. Dass der Unrechtsgehalt<br />

dieses Verhaltens dem eines aktiven Tuns entsprach, steht angesichts der konkreten Pflichtenstellung des Angeklagten<br />

außer Zweifel. Darauf, dass das Landgericht demgegenüber nur unklar zwischen einem aktiven Tun durch „Zustimmen<br />

zur Überweisung“ im Fall II.1 (UA S. 55) und einem „Verbrauchen“ der Geldmittel im Fall II.3 durch das<br />

Unterlassen unterschieden hat, „gemäß § 667 BGB alles herauszugeben, was er in Ausführung seines Auftrags erlangte“<br />

(UA S. 56), ohne jedoch auf dieses Unterlassen § 13 StGB anzuwenden, kommt es nicht an.<br />

bb) Dass die Vermögenswerte auf den verdeckten Konten verborgen wurden, um sie bei gegebenem Anlass zur Leistung<br />

von Bestechungszahlungen an Dritte und damit möglicherweise im mittelbaren wirtschaftlichen Interesse der<br />

Treugeberin zu verwenden, steht einer Pflichtwidrigkeit nicht entgegen.<br />

An einer wirksamen Einwilligung der Treugeberin, welche eine Pflichtwidrigkeit hätte ausschließen können (insoweit<br />

zutr. Saliger/Gaede HRRS 2008, 57, 69; vgl. auch Dierlamm in MünchKomm-StGB § 266 Rn. 129; Fischer<br />

StGB 55. Aufl. § 266 Rn. 49 ff.; Kindhäuser in NK-StGB 2. Aufl. § 266 Rn. 66 ff.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder,<br />

StGB 27. Aufl. § 266 Rn. 38; jew. m.w.N.), fehlte es. Dabei kann es dahin stehen, ob und in welchem<br />

Umfang etwa eine auf § 76 Abs. 1 AktG gestützte Befugnis des Zentralvorstands der Siemens AG zu einer entsprechenden<br />

Einwilligung durch § 93 AktG auf Grund normativer Bindungen ausgeschlossen gewesen wäre (vgl. auch<br />

BGHSt 34, 379, 384 f.; 35, 333, 337; 49, 147, 158).<br />

171


Darauf kommt es hier nicht an, denn eine ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung des Zentralvorstands hat<br />

das Landgericht nicht festgestellt. Im Gegenteil hatte dieser den Angeklagten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass<br />

bei der Akquisition von Aufträgen die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten seien und Schmiergelder nicht gezahlt<br />

werden dürften. Der Angeklagte K. , der für die Umsetzung der Compliance-Vorschriften in seinem Unternehmensbereich<br />

zuständig war, hatte im Jahr 1999 selbst Rundschreiben an nachgeordnete Mitarbeiter veranlasst, in<br />

denen diese auf das arbeitsvertragliche Verbot jeglicher Schmiergeldzahlungen ausdrücklich hingewiesen wurden.<br />

Mit diesen Vorgaben war – entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Rönnau in FS für Tiedemann<br />

2008 S. 713, 721 Fn. 38) – erkennbar nicht erst die Zahlung von Bestechungsgeldern, sondern auch schon das Unterhalten<br />

von verdeckten Kassen <strong>zum</strong> Zweck solcher Zahlungen ausdrücklich untersagt; für eine konkludente Billigung<br />

oder eine mutmaßliche Einwilligung fehlt es schon deshalb an einer Grundlage. Soweit die Verteidigung des Angeklagten<br />

geltend gemacht hat, es habe sich bei den entsprechenden Compliance-Vorschriften um eine „bloße Fassade“<br />

gehandelt, der kein ernst gemeintes Verbot zugrunde gelegen habe, widerspricht dies den Feststellungen (UA S. 37<br />

f.), deren Rechtsfehlerhaftigkeit die Revision nicht aufgezeigt hat. Auch eine Billigung durch den Aufsichtsrat der<br />

Siemens AG ist nicht ersichtlich; eine Zustimmung durch eine Hauptversammlung liegt fern. Die Annahme, eine<br />

Treupflichtverletzung scheide im vorliegenden Fall aus, weil eine „Schattenkasse … mit Kenntnis des Geschäftsherrn“<br />

vorgelegen habe (Saliger/Gaede aaO 67 ff.), findet im angefochtenen Urteil keine Grundlage.<br />

cc) Durch die Pflichtwidrigkeiten sind der Treugeberin des Angeklagten in beiden Fällen Vermögensnachteile im<br />

Sinne von § 266 Abs. 1 StGB entstanden. Anders als das Landgericht angenommen hat, kam es hierbei nicht auf die<br />

Voraussetzungen einer schadensgleichen Vermögensgefährdung an. Es ist daher im Ergebnis unschädlich, dass das<br />

Landgericht im Fall II.1 die Annahme eines Schadens auf die Erwägung gestützt hat, der von ihm als – grundsätzlich<br />

einen Schaden ausschließende – Kompensation des Vermögensverlusts durch Schmiergeldzahlung angesehene Vergütungsanspruch<br />

aus dem Vertragsabschluss „La Casella“ sei wegen seiner Anfechtbarkeit konkret gefährdet gewesen<br />

(UA S. 56). Ebenso unschädlich ist die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe im Fall II.3 durch<br />

„Halten der schwarzen Kasse“ nur eine schadensgleiche Vermögensgefährdung bewirkt und in beiden Fällen nur<br />

eine solche Gefährdung, nicht aber den Eintritt eines „effektiven Vermögensschadens“ billigend in Kauf genommen<br />

(UA S. 55 f.). Darauf, dass der auf diese Feststellung gestützte Schuldspruch der Rechtsprechung des Senats zu den<br />

Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands der Untreue in Fällen so genannter Gefährdungsschäden wohl widerspricht<br />

(vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 499/06 = BGHSt 51, 100, 120 ff. [dazu Bernsmann GA<br />

2007, 219, 229 ff.; Ransiek NJW 2007, 1727, 1729; Saliger NStZ 2007, 545, 549 ff.]; Senatsbeschluss vom 25. Mai<br />

2007 – 2 StR 469/06 = NStZ 2007, 704 [dazu Schlösser NStZ 2008, 397 f.]; ebenso BGH, Beschluss vom 2. April<br />

2008 – 5 StR 354/07 = BGHSt 52, 182; dagegen aber BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/08 = NJW<br />

2008, 2451 [dazu Klötzer/Schilling StraFo 2008, 305 ff.; Rübenstahl NJW 2008, 2454 f.]; vgl. auch Nack StraFo<br />

2008, 277 ff.) kommt es nicht an, weil in beiden Fällen kein Gefährdungsschaden, sondern ein endgültiger Vermögensschaden<br />

eingetreten ist.<br />

(1) Indem der Angeklagte Geldvermögen der Siemens AG in den verdeckten Kassen führte und der Treugeberin auf<br />

Dauer vorenthielt, entzog er diese Vermögensteile seiner Arbeitgeberin endgültig. Diese konnte auf die verborgenen<br />

Vermögenswerte keinen Zugriff nehmen. Die Absicht, die Geldmittel – ganz oder jedenfalls überwiegend – bei späterer<br />

Gelegenheit im Interesse der Treugeberin einzusetzen, insbesondere um durch verdeckte Bestechungszahlungen<br />

Aufträge für sie zu akquirieren und ihr so mittelbar zu einem Vermögensgewinn zu verhelfen, ist hierfür ohne Belang.<br />

Dass die Mittel in der verdeckten Kasse zunächst noch vorhanden sind, ist mit Fällen nicht vergleichbar, in<br />

denen ein Treupflichtiger eigene Mittel jederzeit bereit hält, um einen pflichtwidrig verursachten Schaden auszugleichen<br />

(BGHSt 15, 342, 344; BGH NStZ 1995, 233; NStZ-RR 2004, 54; Rönnau aaO S. 732 f.; Schünemann in LK<br />

11. Aufl. § 266 Rn. 139; vgl. aber auch Fischer aaO Rn. 75). Beim Unterhalten einer verdeckten Kasse wie im vorliegenden<br />

Fall hält der Treupflichtige nicht eigenes Vermögen <strong>zum</strong> Ersatz bereit, sondern hält Geldvermögen seines<br />

Arbeitgebers verborgen, um es unter dessen Ausschaltung oder Umgehung nach Maßgabe eigener Zweckmäßigkeitserwägungen<br />

bei noch nicht absehbaren späteren Gelegenheiten für möglicherweise nützliche, jedenfalls aber<br />

risikoreiche Zwecke einzusetzen.<br />

(2) Überdies sind bei der Schadensfeststellung auch normative Erwägungen zu berücksichtigen. Die Bestimmung<br />

über die Verwendung des eigenen Vermögens obliegt dem Vermögensinhaber, im Fall einer Kapitalgesellschaft<br />

dessen zuständigen Organen. Bei pflichtwidriger Wegnahme, Entziehung, Vorenthaltung oder Verheimlichung von<br />

Vermögensteilen durch einen Arbeitnehmer kann der Eintritt eines Vermögensschadens nicht dadurch ausgeschlossen<br />

sein, dass der Täter beabsichtigt (oder dies behauptet), die Mittel gegen die ausdrückliche Weisung des Treugebers<br />

so zu verwenden, dass diesem hierdurch „letztlich“ ein Vermögensvorteil entstehen könnte. Das gilt namentlich<br />

172


dann, wenn dieser Vorteil nur durch einen seinerseits gesetz- oder sittenwidrigen und ggf. strafbaren Einsatz der<br />

Mittel erzielt werden könnte.<br />

(3) Der Entziehung des Vermögenswerts steht in diesem Fall keine schadensverhindernde unmittelbare Kompensation<br />

gegenüber. Der schadensersatzrechtliche Ausgleichsanspruch gegen den Täter ist nach ständiger Rechtsprechung<br />

kein der Schadensentstehung entgegen stehender Vorteil. Anders als in Fällen so genannter Haushaltsuntreue oder in<br />

verdeckten Kassen geführter Mittel im Bereich der öffentlichen Verwaltung spielen hier aber auch Fragen der<br />

Zweckerreichung (vgl. etwa BGHSt 43, 293, 299) oder der Einschränkung haushaltsrechtlicher Dispositionsmacht<br />

(vgl. etwa BGHSt 40, 287, 296 f.) keine Rolle. Eine dem Treugeber zugute kommende Gegenleistung oder ein durch<br />

die pflichtwidrige Handlung anderweitig unmittelbar herbeigeführter ausgleichender Vermögensvorteil liegt im Fall<br />

des verdeckten Führens einer Schmiergeldkasse nicht vor (anders Kempf in FS für Hamm, 2008, S. 255, 260 f.).<br />

Weder die vage Chance, aufgrund des Mitteleinsatzes zu Bestechungszwecken später einmal einen möglicherweise<br />

im Ergebnis wirtschaftlich vorteilhaften Vertrag abzuschließen, noch gar die bloße Absicht des Täters, die entzogenen<br />

Mittel für solche Zwecke zu verwenden, stellen einen zur Kompensation geeigneten gegenwärtigen Vermögensvorteil<br />

dar (wohl anders, aber zu weit OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 244, 245).<br />

(4) Die dauerhafte Entziehung der Verfügungsmöglichkeit über die veruntreuten Vermögensteile stellt für den Treugeber<br />

daher nicht nur eine („schadensgleiche“) Gefährdung des Bestands seines Vermögens dar, sondern einen endgültigen<br />

Vermögensverlust, der, wenn er vorsätzlich verursacht wurde, zur Vollendung des Tatbestands der Untreue<br />

und zu einem Vermögensnachteil in Höhe der in der verdeckten Kasse vorenthaltenen Mittel führt. Die Verwendung<br />

der entzogenen und auf verdeckten Konten geführten Geldmittel ist nur eine Schadensvertiefung; das Erlangen von<br />

durch spätere Geschäfte letztlich erzielten Vermögensvorteilen durch den Treugeber ist, nicht anders als eine Rückführung<br />

der entzogenen Mittel, allenfalls eine Schadenswiedergutmachung. Soweit der Senat im Urteil vom 18.<br />

Oktober 2006 – 2 StR 499/06 – (BGHSt 51, 100, 113 f.) das „bloße“ Führen einer verdeckten Kasse nur als schadensgleiche<br />

Vermögensgefährdung angesehen hat, hält er hieran nicht fest.<br />

Dem kann nicht entgegen gehalten werden, eine „bloße“ Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit des Treugebers<br />

über Vermögensteile dürfe nicht als Schaden angesehen und der Vermögensschaden nicht mit der Pflichtverletzung<br />

gleichgesetzt werden (vgl. etwa Saliger/Gaede aaO 70). Die Bewertung als „bloße“ Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit<br />

trifft nicht zu, wenn dem Treugeber Mittel endgültig entzogen oder vorenthalten werden. Ein Vermögensschaden<br />

kann nicht unabhängig von der konkreten Fallkonstellation oder Fallgruppe pauschal mit der Begründung<br />

verneint werden, dem Vermögensinhaber fehle, wenn er infolge von Manipulationen des Treunehmers von<br />

Vermögenswerten keine Kenntnis und auf sie keinen Zugriff erlange, „nur“ die Dispositionsmöglichkeit. Denn die<br />

Möglichkeit zur Disposition über das eigene Vermögen gehört <strong>zum</strong> Kern der von § 266 StGB geschützten Rechtsposition.<br />

Dass die pflichtwidrige Handlung und die Schadensentstehung inhaltlich und zeitlich zusammenfallen, ist im<br />

Übrigen eine je nach Fallkonstellation häufige und unvermeidliche Lage, die für sich allein der Feststellung eines<br />

Nachteils gleichfalls nicht entgegensteht.<br />

dd) Am Vorsatz des Angeklagten bestehen weder hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit in beiden Fällen noch hinsichtlich<br />

des so verstandenen („endgültigen“) Vermögensschadens Zweifel. Auf die in der Literatur diskutierte Bedeutung<br />

der „guten Absichten“ des Angeklagten kommt es auch insoweit ebenso wenig an wie auf die Frage, wie ein „Gefährdungsschaden“<br />

hier zu berechnen wäre (vgl. dazu einerseits Nack StraFo 2008, 277 ff.; andererseits Fischer<br />

StraFo 2008, 269 ff.; dazu auch Schünemann NStZ 2008, 430 ff.).<br />

ee) Der spätere Verbrauch der Mittel, der durch die Auszahlung an Gi. und Cr. im Fall „Repowering“<br />

abgeschlossen wurde, stellte angesichts des Fortdauerns der Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen –<br />

anders als das Landgericht im Gegensatz zur Anklage und seinem eigenen Eröffnungsbeschluss meint – keine neue<br />

Tat dar, sondern beendete die mit Übernahme der verdeckten Kasse bereits vollendete Untreue des Angeklagten.<br />

2. Demgegenüber hat der Angeklagte entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts den Tatbestand des § 299 Abs. 2<br />

StGB nicht verwirklicht. Schmiergeldzahlungen im ausländischen Wettbewerb, durch die deutsche Mitbewerber<br />

nicht benachteiligt wurden, wurden im Tatzeitraum von Januar 2000 bis Januar 2002 von § 299 Abs. 2 StGB a.F.<br />

nicht erfasst:<br />

a) Nach der obergerichtlichen, weitgehend zivilrechtlichen Rechtsprechung zu der bis 1997 geltenden Vorläufernorm<br />

des § 299 Abs. 2 StGB, dem § 12 Abs. 1 UWG, wurden Bestechungshandlungen, die sich ausschließlich gegen den<br />

ausländischen Wettbewerb richteten, vom Schutzbereich der Vorschrift nicht erfasst (vgl. BGH NJW 1968, 1572,<br />

1574 f.; OLG Karlsruhe BB 2000, 635 f.; weit. Nachw. bei Haft/Schwoerer in FS für Weber, 2004, S. 367, 374 f.;<br />

Vormbaum in FS für Schroeder, 2006, S. 649, 656; Rönnau in Achenbach/Ransiek Handbuch Wirtschaftsstrafrecht<br />

2. Aufl. S. 76, 109 Fn. 271). Dahinter stand der wettbewerbsrechtliche Gedanke, es sei Unternehmen, die auf Auslandsmärkten<br />

in einem Wettbewerb standen, an welchem sich keine deutschen Wettbewerber beteiligten, nicht zu-<br />

173


<strong>zum</strong>uten, auch in solchen Ländern den strengeren deutschen Wettbewerbsregeln unterworfen zu sein, die vor Ort<br />

ansonsten gar keine Anwendung fänden. Diese Auslegung entsprach der ganz herrschenden Meinung in der Literatur<br />

(vgl. die Nachw. bei Vormbaum aaO S. 656 f.; Rönnau aaO Fn. 270; Saliger/Gaede HRRS 2008, 57, 62 Fn. 24).<br />

b) Die nahezu wortgleiche Überführung der Regelung des § 12 Abs. 1 UWG in den § 299 Abs. 2 StGB durch das<br />

Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 (BGBl I 2038) sollte nach der Begründung <strong>zum</strong> Gesetzentwurf<br />

am sachlichen Gehalt der Norm nichts ändern (BTDrucks. 13/5584 S. 15; so auch BGHSt 46, 310, 316<br />

f.; 49, 214, 229).<br />

c) An der beschränkten Anwendbarkeit des § 299 Abs. 2 StGB auf Taten, die sich gegen den inländischen Wettbewerb<br />

richteten, änderte auch das Inkrafttreten der Gemeinsamen Maßnahme 98/742/JI des Rates der Europäischen<br />

Union betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 (ABl. L 358 vom 31. Dezember 1998<br />

S. 2) nichts.<br />

aa) Diese ordnete in Art. 3 Abs. 1 an, jeder Mitgliedstaat habe die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die<br />

Strafbarkeit einer vorsätzlichen Handlung sicherzustellen, „durch die jemand einer Person im Rahmen ihrer geschäftlichen<br />

Aufgaben unmittelbar oder über einen Mittelsmann irgendeinen unbilligen Vorteil für sich selbst oder für<br />

einen Dritten als Gegenleistung dafür verspricht, anbietet oder gewährt, dass diese Person unter Verletzung ihrer<br />

Pflichten eine Handlung vornimmt oder unterlässt“. Die von den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen sollten<br />

auf Verhaltensweisen angewendet werden, die eine Verzerrung des Wettbewerbs, <strong>zum</strong>indest im gemeinsamen Markt,<br />

mit sich bringen oder mit sich bringen könnten und die auf Grund einer regelwidrigen Vergabe oder einer regelwidrigen<br />

Ausführung eines Vertrags eine wirtschaftliche Schädigung Dritter zur Folge haben oder zur Folge haben<br />

könnten (Art. 3 Abs. 2 Satz 2).<br />

bb) Die Gemeinsame Maßnahme, die später durch den Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates der Europäischen<br />

Union zur Bekämpfung der Bestechung im Privaten Sektor vom 22. Juli 2003 (ABl. L 192 vom 31. Juli 2003 S. 54)<br />

abgelöst wurde, erforderte keine andere Auslegung des § 299 Abs. 2 StGB durch die nationalen Gerichte. Das vom<br />

Europäischen Gerichtshof aufgestellte Gebot gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung nationalen Rechts (EuGH,<br />

Urt. vom 16. Juni 2005 – Rs. C-105/03, NJW 2005, 2839, 2840 f.) ist jedenfalls auf die hier maßgebliche Gemeinsame<br />

Maßnahme 98/742/JI nicht übertragbar (so auch Saliger/Gaede aaO 65 f.; Schuster/Rübenstahl wistra 2008,<br />

201, 205 f.; aA Tiedemann in LK 11. Aufl. § 299 Rn. 55; Androulakis, Die Globalisierung der Korruptionsbekämpfung,<br />

2007, S. 428 f.). Aus dem Vergleich zwischen den Umsetzungsregelungen in Art. 9 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses<br />

2003/568/JI einerseits und Art. 8 der Gemeinsamen Maßnahme 98/742/JI andererseits folgt, dass letzterer<br />

keine Bindungswirkung zukam, die über eine Verpflichtung der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Einbringung in<br />

das nationale Gesetzgebungsverfahren hinausgegangen wäre: Art. 9 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses gab den Mitgliedstaaten<br />

auf, die erforderlichen Maßnahmen zu seiner Umsetzung vor dem 22. Juli 2005 zu treffen und bis zu<br />

diesem Zeitpunkt den Wortlaut der Umsetzungsbestimmungen ihres nationalen Rechts den zuständigen Organen der<br />

EU mitzuteilen, eine Verpflichtung, die ggf. auch eine gesetzgeberische Tätigkeit der nationalen Parlamente umfassen<br />

musste. Nach Art. 8 Abs. 1 der Gemeinsamen Maßnahme hingegen oblag es den Mitgliedstaaten lediglich, innerhalb<br />

von zwei Jahren geeignete Vorschläge zur Umsetzung zu unterbreiten, die von den zuständigen Stellen der<br />

Union im Hinblick auf ihre Annahme geprüft werden sollten, eine Verpflichtung, die gesetzgeberische Tätigkeiten<br />

der einzelnen Mitgliedstaaten vor der Prüfung durch die zuständigen Stellen der Union also gerade ausschloss und<br />

sich mithin zunächst an die Regierungen der Mitgliedstaaten richtete. Für dieses Verständnis spricht auch der Umstand,<br />

dass die spätere Ablösung der Gemeinsamen Maßnahme durch den Rahmenbeschluss 2003/568/JI ausdrücklich<br />

durch dessen größere rechtliche Bindungswirkung motiviert war (vgl. dazu die Begründung des Königreichs<br />

Dänemark in Ratsdokument Nr. 9953/02 ADD 1, S. 3 f. u. 12). Hinzu kommt, dass die Gemeinsame Maßnahme<br />

durch ihre inhaltliche Ausgestaltung in Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 3 Abs. 2 Satz 2, 4 Abs. 1 u. 2, 6, 7 Abs. 1 Buchst. b den<br />

Mitgliedstaaten erhebliche Umsetzungsspielräume eröffnete, deren Ausgestaltung im Einzelnen nicht von vornherein<br />

abgeschätzt werden konnte. War aber für ein nationales Gericht zwischen Erlass der Gemeinsamen Maßnahme und<br />

der Befassung des nationalen Gesetzgebers mit ihrer Umsetzung – die in Deutschland erst mit Inkrafttreten des § 299<br />

Abs. 3 StGB am 30. August 2002 erfolgte – nicht absehbar, ob überhaupt und mit welchem Ergebnis eine solche<br />

Befassung des Parlaments zukünftig erfolgen würde, konnte es für in der Zwischenzeit begangene Taten die den<br />

Mitgliedstaaten eingeräumten Spielräume nicht selbst durch eine geänderte, unionsrechts- oder maßnahmenkonforme<br />

Auslegung nationalen Strafrechts zu Lasten eines Angeklagten ausfüllen.<br />

cc) Auch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB könnte eine solche Ausdehnung<br />

des Schutzzwecks des § 299 Abs. 2 StGB ohne gesetzliche Grundlage bedenklich sein (vgl. hierzu BVerfG NJW<br />

2007, 1666 ff.; Saliger/Gaede aaO 63 f.).<br />

174


d) Der Auffassung des Senats steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes<br />

vom 22. August 2002, durch das der § 299 Abs. 3 StGB eingefügt worden war, eine Einbeziehung ausländischen<br />

Wettbewerbs in den Schutzbereich der Norm auch auf der Grundlage der bis dahin geltenden Fassung <strong>zum</strong>indest für<br />

möglich gehalten hatte (BTDrucks. 14/8998 S. 9 f.). In der Begründung des Gesetzentwurfs wurde ausgeführt, eine<br />

ausdrückliche „Klärung“ des Anwendungsbereichs des § 299 StGB sei deshalb geboten, weil die Vorschrift „in der<br />

Auslegung durch die überwiegende Lehre den Anforderungen der Gemeinsamen Maßnahme nicht entspricht“, mit<br />

anderen Worten bis <strong>zum</strong> Zeitpunkt dieser Klärung in einem anderen Sinne ausgelegt worden war (so auch Vormbaum<br />

aaO S. 654; Saliger/Gaede aaO 62; aA Diemer/Krick in MünchKomm-StGB § 299 Rn. 28).<br />

Ein den § 299 Abs. 2 StGB einschränkendes Verständnis lag auch einem Schreiben des Bundesministeriums der<br />

Finanzen an die Obersten Finanzbehörden der Länder vom 10. Oktober 2002 (BStBl I 1031, 1033) zu Grunde. Danach<br />

war bei § 299 StGB zu beachten, dass damit zunächst nur der Wettbewerb deutscher Unternehmen geschützt<br />

gewesen und der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erst durch das Anfügen eines Absatzes 3 an § 299 StGB mit<br />

Wirkung vom 30. August 2002 auf Handlungen im ausländischen Wettbewerb ausgedehnt worden sei mit der Folge,<br />

dass bis zu diesem Zeitpunkt im ausländischen Wettbewerb gezahlte Schmiergelder grundsätzlich steuerlich abzugsfähig<br />

seien.<br />

3. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe (nur) wegen Untreue führt zur Aufhebung der<br />

insoweit verhängten Einsatzstrafe. Darüber hinaus waren die Strafaussprüche in den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe<br />

auch deshalb aufzuheben, weil das Landgericht es unterlassen hat, sich mit der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung<br />

nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen. Die Aufhebung der Einzelstrafen bedingt<br />

auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.<br />

II. Die Revision des Angeklagten V.<br />

Die Revision des Angeklagten V. führt, soweit das Urteil ihn betrifft, zur Aufhebung des Schuldspruchs und<br />

Zurückverweisung der Sache. Die Schmiergeldzahlungen des Angeklagten K. erfüllten aus den unter C.I.2 erörterten<br />

Gründen nicht den Tatbestand der Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Daher scheidet auch eine Strafbarkeit<br />

des Angeklagten V. wegen Beihilfe zu diesem Delikt aus. Ein Freispruch des Angeklagten durch den Senat<br />

kam jedoch nicht in Betracht, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung nach<br />

Wiedereinbeziehung der ursprünglich angeklagten, jedoch gemäß § 154a Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Untreuevorwürfe<br />

eine entsprechende Verurteilung erfolgen wird.<br />

III. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt, soweit das Urteil den Angeklagten K. betrifft, zur Aufhebung und<br />

Zurückverweisung hinsichtlich des Strafausspruchs in den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe sowie hinsichtlich<br />

des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.<br />

a) Die Begründung, mit der das Landgericht in den Fällen II.1 u. II.3 einen besonders schweren Fall der Untreue<br />

durch Herbeiführung eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes gemäß § 266 Abs. 2 StGB in Verbindung mit §<br />

263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht<br />

des Landgerichts lag in den Fällen der Untreue jeweils nicht nur eine Vermögensgefährdung, sondern der Eintritt<br />

eines endgültigen Schadens vor. Was das in Liechtenstein geführte Kontengeflecht im Fall II.1 anbelangt, hat der<br />

Angeklagte einen Schaden in Höhe der auf diesen Konten verborgenen Gelder herbeigeführt. Insoweit sind in der<br />

neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen <strong>zum</strong> Volumen der dort geführten verdeckten Kasse zu treffen,<br />

wobei von einem Mindestbestand von 2,65 Mio. €, die für den Auftrag „La Casella“ entnommen wurden, auszugehen<br />

sein wird. Die im Fall II.3 aus der Schweizer Kasse stammende, nach Liechtenstein übertragene Summe belief<br />

sich auf 12 Mio. Schweizer Franken.<br />

b) Erfolglos rügt die Revision hingegen, der Angeklagte K. habe sich gem. § 334 Abs. 1 Satz 1 StGB in Verbindung<br />

mit Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG strafbar gemacht.<br />

aa) Cr. und Gi. waren keine „Amtsträger eines ausländischen Staates“ im Sinne des Art. 2 § 1 Nr. 2<br />

Buchst. a IntBestG, obschon beide durch die italienischen Strafverfolgungsbehörden als Amtsträger („pubblico ufficiale“)<br />

im Sinne des Art. 357 des Codice penale italiano behandelt worden waren.<br />

Zwar soll nach verbreiteter Ansicht in der Literatur der Begriff des „Amtsträgers eines ausländischen Staates“ im<br />

Sinne des Art. 2 § 1 Nr. 2 Buchst. a IntBestG nach dem Recht des Staates zu bestimmen sein, in dem der Betreffende<br />

tätig ist (Krause/Vogel RIW 1999, 488, 492; Pelz StraFo 2000, 302, 303; Taschke StV 2001, 78, 79; Androulakis,<br />

Die Globalisierung der Korruptionsbekämpfung 2007 S. 405). Das würde jedoch zur Schaffung eines Blanketttatbestandes<br />

führen, dessen Ausfüllung allein dem jeweiligen ausländischen Gesetzgeber überantwortet wäre. Deshalb<br />

soll nach anderer, auch vom Generalbundesanwalt vertretener Auffassung der Amtsträgerbegriff unter entsprechender<br />

Anwendung der Merkmale des deutschen Amtsträgerbegriffs in § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bestimmen sein (Kor-<br />

175


te in MünchKomm-StGB § 334 Rn. 7). Hiergegen spricht allerdings, dass Art. 2 § 1 Nr. 2 Buchst. a IntBestG das<br />

Erfordernis einer Stellung, die der eines solchen deutschen Amtsträgers entspricht, im Gegensatz zu dem zeitgleich<br />

in Kraft getretenen Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EUBestG (dazu unten C.III.1.c) gerade nicht ausdrücklich vorsieht.<br />

Eine dritte, vorzugswürdige Auffassung stellt deshalb darauf ab, dass die Vorschriften des IntBestG auf der<br />

Umsetzung des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen<br />

Geschäftsverkehr vom 17. Dezember 1997 (BGBl 1998 II 2329) beruhen und die OECD selbst mehrmals<br />

verdeutlicht hat, dass die Begriffsbestimmungen des OECD-Abkommens als autonome Definitionen zu verstehen<br />

seien, welche ohne Rückgriff auf das Heimatrecht des jeweiligen Amtsträgers auszufüllen seien. So hat die OECD<br />

diejenigen Staaten, die den Amtsträgerbegriff nicht autonom umgesetzt, sondern auf das fremde Landesrecht verwiesen<br />

hatten (Mexiko, Belgien, Portugal), kritisiert und aufgefordert, ihre Gesetze zu ändern (vgl. die OECD-<br />

Landesberichte „Report on the application of the convention on combating bribery of foreign public officials in international<br />

business transactions and the 1997 recommendation on combating bribery in international business transactions“<br />

für Mexiko – Phase 2 – vom 2. September 2004, S. 11; für Belgien – Phase 2 – vom 21. Juli 2005, S. 36;<br />

für Portugal – Phase 2 – vom 14. März 2007, S. 43; s. auch Pieth in Dölling Hdb. der Korruptionsprävention Kap. 9<br />

Rn. 24 f.).<br />

Auszugehen ist deshalb vom Amtsträgerbegriff des Art. 1 Abs. 4 des OECD-Übereinkommens, wobei wegen der<br />

spezielleren Regelungen in Art. 2 § 1 Nr. 1 u. 3, § 2 IntBestG die Bereiche der Legislative, der Justiz und des Militärs<br />

auszunehmen sind. Für den verbleibenden Personenkreis ist nach Art. 1 Abs. 4 Buchst. a des OECD-<br />

Übereinkommens der Begriff des Amtsträgers zu definieren als „eine Person, die in einem anderen Staat durch Ernennung<br />

oder Wahl ein Amt im Bereich der … Verwaltung … innehat“ (Möhrenschlager in Dölling aaO Kap. 8 Rn.<br />

352; Schuster/Rübenstahl wistra 2008, 201, 203). Auf dieser Grundlage ergibt sich keine Amtsträgereigenschaft Cr.<br />

s und Gi. s im Sinne des IntBestG, denn es fehlt im Sinne einer solchen autonomen Bestimmung des Amtsträgerbegriffs<br />

am Merkmal der Wahl oder Ernennung.<br />

bb) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass weder Cr. noch Gi. im Sinne des Art. 2 § 1<br />

Nr. 2 Buchst. b IntBestG Personen waren, die beauftragt waren, für ein öffentliches Unternehmen mit Sitz im Ausland<br />

oder sonst öffentliche Aufgaben für einen ausländischen Staat wahrzunehmen.<br />

Zwar handelte es sich sowohl bei ENEL Produzione als auch bei Enelpower um „öffentliche Unternehmen“ im Sinne<br />

dieser Vorschrift. Nach der Definition der amtlichen Auslegungshilfe in Nr. 14 der „Erläuterungen zu dem Übereinkommen<br />

über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr“<br />

(BTDrucks. 13/10428 S. 23, 24) waren beide Unternehmen deshalb öffentliche, weil sie in Folge der Mehrheitsbeteiligung<br />

des italienischen Staates an der ihrerseits sie beherrschenden Konzernmutter Enel S.p.A. mittelbar von der<br />

öffentlichen Hand beherrscht wurden.<br />

Damit waren Cr. und Gi. zwar in öffentlichen Unternehmen im Sinne des IntBestG tätig, sie waren<br />

jedoch nicht mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut. Nach Nr. 12 der Erläuterungen umfasst der Begriff<br />

„öffentliche Aufgaben“ alle Handlungen im öffentlichen Interesse, die im Auftrag des anderen Staates vorgenommen<br />

werden. Nach Nr. 15 der Erläuterungen gilt ein Angestellter eines öffentlichen Unternehmens als eine Person,<br />

die derartige öffentliche Aufgaben wahrnimmt, dies jedoch nur dann, wenn das Unternehmen in dem betreffenden<br />

Markt nicht auf einer normalen geschäftlichen Grundlage tätig ist, das heißt auf einer Grundlage, die der eines<br />

privatwirtschaftlichen Unternehmens ohne bevorzugende Subventionen oder sonstige Vorrechte im Wesentlichen<br />

gleichkommt.<br />

In diesem Sinne erfüllten weder ENEL Produzione noch Enelpower öffentliche Aufgaben. Der ursprünglich erteilte<br />

staatliche Auftrag auf dem Gebiet der Stromerzeugung war dem Enel-Konzern mit der Abschaffung des Konzessionssystems<br />

und der Liberalisierung des Erzeugermarktes in Folge des „Bersani-Dekrets“ <strong>zum</strong> 1. April 1999 entzogen<br />

worden. Ab diesem Zeitpunkt handelten auf dem Gebiet der italienischen Stromversorgung nur noch die mit der<br />

Stromübertragung und dessen Verteilung befassten Unternehmen auf der Grundlage eines ihnen von staatlicher Seite<br />

erteilten Auftrages. Demgegenüber waren ENEL Produzione und Enelpower, wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt,<br />

im Jahr 2000 als einer von mehreren im Wettbewerb stehenden Marktteilnehmern bei der Stromproduktion in<br />

Italien bzw. als international tätiger Kraftwerksbauer auf dem jeweiligen Markt ohne Monopolstellung und ohne<br />

bevorzugende Subventionen oder sonstige Vorrechte auf einer normalen geschäftlichen Grundlage tätig (vgl. auch<br />

Schuster/Rübenstahl aaO 204).<br />

c) Dahin stehen kann, in welchem Verhältnis das IntBestG und das EU-BestG zueinander stehen. Denn nicht zu<br />

beanstanden ist auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts, wonach sich die Angeklagten nicht wegen Bestechung<br />

gemäß § 334 Abs. 1 Satz 1 StGB in Verbindung mit Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EUBestG strafbar gemacht<br />

haben. Nach der letztgenannten Vorschrift steht für die Anwendung des Bestechungstatbestandes ein Amts-<br />

176


träger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union einem deutschen Amtsträger nur gleich, soweit seine<br />

Stellung derjenigen eines Amtsträgers im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB entspricht. Weder Gi. s noch Cr.<br />

s Stellung entsprachen jedoch derjenigen eines deutschen Amtsträgers im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c<br />

StGB, da es sich weder bei Enelpower S.p.A. noch bei ENEL Produzione S.p.A. um eine einer Behörde gleichgestellte<br />

„sonstige Stelle“ handelte (vgl. zu den Kriterien für die Annahme einer „sonstigen Stelle“ BGHSt 43, 370,<br />

377; 45, 16, 19; 49, 214, 219; 50, 299, 303; BGH NStZ 2008, 560, 561 f.).<br />

2. Soweit das angefochtene Urteil den Angeklagten V. betrifft, war es auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

aufzuheben, weil nach Zurückverweisung der Sache der nach § 154a Abs. 2 StPO ausgeschiedene Untreuevorwurf<br />

wieder einzubeziehen sein wird und eine entsprechende Verurteilung möglich ist. Die neu entscheidende<br />

Kammer wird ggf. zu prüfen haben, ob über die angeklagte Beihilfehandlung hinaus auch eine täterschaftliche Beteiligung<br />

V. s an den Untreuedelikten des Mitangeklagten K. in Betracht kommt, weil sich etwa aus seinem<br />

Beratervertrag eine eigene Verpflichtung zur Betreuung von Vermögensinteressen der Siemens AG ergab.<br />

3. Erfolglos bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft, soweit sie die Anordnung eines höheren Wertersatzverfalls<br />

gegen die Nebenbeteiligte erstrebt, weil die Anordnung von Wertersatzverfall wegen Fehlens einer Anknüpfungstat<br />

keinen Bestand hat.<br />

IV. Die Revision der Nebenbeteiligten<br />

Die Revision der Nebenbeteiligten führt zur Aufhebung und <strong>zum</strong> Wegfall der Anordnung des Wertersatzverfalls. Die<br />

Voraussetzungen der Anordnung des Wertersatzverfalls gegen einen Drittbeteiligten nach § 73 Abs. 3, § 73a StGB<br />

liegen nicht vor. Der Angeklagte K. hat zwar in zwei Fällen den Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB, nicht aber<br />

diejenigen der Bestechung nach § 299 Abs. 2 StGB oder nach § 334 Abs. 1 Satz 1 StGB in Verbindung mit Art. 2 §<br />

1 Nr. 2 IntBestG oder mit Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EUBestG erfüllt. Somit handelte er nicht im Sinne des §<br />

73 Abs. 3 StGB „für einen anderen“, sondern fügte im Gegenteil dem Vermögen der Nebenbeteiligten, deren Vermögensinteressen<br />

er zu wahren gehabt hätte, jeweils einen Nachteil zu. Damit fehlt es an einem Anknüpfungsdelikt<br />

für die Verhängung einer Maßnahme nach den §§ 73 ff. StGB.<br />

D.<br />

Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, von der Möglichkeit nach § 472b Abs. 3 StPO Gebrauch zu machen, die<br />

notwendigen Auslagen der Nebenbeteiligten, soweit deren Revision erfolgreich war, der Staatskasse oder einem<br />

anderen Beteiligten aufzuerlegen (vgl. Franke in KK 5. Aufl. § 472b Rn. 2). Soweit hingegen die Revision der<br />

Staatsanwaltschaft erfolglos eine höhere Verfallsanordnung erstrebt hat, richtet sich die Kosten- und Auslagenentscheidung<br />

nach § 473 Abs. 1, 2 Satz 1 StPO.<br />

StGB § 266 Freundschaft ist kein Treueverhältnis<br />

BGH, Beschl. v. 25.11.2008 – 4 StR 500/08 - wistra <strong>2009</strong>, 106<br />

Enge Freundschaft und langjährige Bekanntschaft begründet kein Treueverhältnis i.S.d. § 266<br />

StGB.<br />

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 7. Juli 2008 wird mit der Maßgabe<br />

verworfen, dass in den Fällen II 1 bis 34 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Untreue<br />

entfällt.<br />

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Untreue in 34 Fällen sowie wegen Urkundenfälschung<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die<br />

Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen<br />

Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

Zu Unrecht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich die Angeklagte in den Fällen II 1 bis 34 der Urteilsgründe<br />

jeweils neben einem Betrug tateinheitlich auch einer Untreue schuldig gemacht habe. Betrug und Untreue<br />

können nur dann tateinheitlich zusammentreffen, wenn der Täter bereits bei Vornahme der Täuschung in einem<br />

Treueverhältnis im Sinne des § 266 StGB zu dem Getäuschten oder zu dem zu Schädigenden stand (vgl. BGHSt 8,<br />

254, 260; BGH GA 1971, 83, 84; vgl. auch Fischer StGB 55. Aufl. § 266 Rdn. 87). Ein solches Treueverhältnis ist,<br />

auch wenn es sich bei den Geschädigten um enge Freunde oder langjährige Bekannte der Angeklagten handelte,<br />

177


durch die getroffenen Feststellungen nicht belegt. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab.<br />

Die Änderung des Schuldspruchs hat keine Auswirkungen auf den Strafausspruch, auch wenn das Landgericht die<br />

Einzelstrafen für die Fälle II 1 bis 34 der Vorschrift des § 266 Abs. 1 StGB entnommen hat. § 263 Abs. 1 StGB und<br />

§ 266 Abs. 1 StGB haben den selben Strafrahmen; die fehlerhafte Annahme zweier tateinheitlich begangener Straftatbestände<br />

ist nicht <strong>zum</strong> Nachteil der Angeklagten berücksichtigt worden. Dass das Landgericht kein gewerbsmäßiges<br />

Handeln der Angeklagten angenommen und daher nicht den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB angewendet hat,<br />

beschwert die Angeklagte nicht.<br />

StGB § 266, BeurkG § 54d Nr. 1 Untreue durch Notar<br />

BGH, Beschl. v. 29.07.2008 – 4 StR 232/08 - StraFo 2008, 479<br />

1. Allein die Kenntnis von der außergewöhnlichen Ausgestaltung von Kauf- und Treuhandverträgen,<br />

die einer Person eine Alleinverfügungsbefugnis über die jeweiligen Verkaufserlöse einräumte,<br />

belegt nicht, dass ein Angeklager die zweckwidrige Verwendung der Gelder <strong>zum</strong>indest für möglich<br />

hielt und billigend in Kauf nahm.<br />

2. Ein Notar nimmt im Rahmen seiner Treuhandtätigkeit als objektiver Sachwalter der Beteiligten<br />

fremde Vermögensinteressen kraft eigener Rechtsmacht wahr.<br />

3. Ein Notar, der Gelder zur treuhänderischen Verwahrung angenommen hat, muss - trotz der<br />

Treuhandverhältnisse - von der Auszahlung absehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen,<br />

dass er bei Befolgung der unwiderruflichen Weisung an der Erreichung unerlaubter oder<br />

unredlicher Zwecke mitwirken würde.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 6. Dezember 2007 mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit er in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Untreue in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit seiner Revision<br />

rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in<br />

dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2<br />

StPO.<br />

1. Die Schuldsprüche wegen Beihilfe zur Untreue in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe haben keinen Bestand, da<br />

das Landgericht insoweit einen <strong>zum</strong>indest bedingten Vorsatz des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat.<br />

Nach den Feststellungen verwandte der wegen Untreue in 25 Fällen bereits rechtskräftig verurteilte M. in diesen<br />

wie auch in den weiteren Fällen als von den Kaufvertragsparteien bestimmter Treuhänder die Verkaufserlöse weitgehend<br />

für eigene Zwecke, obwohl er nach der Treuhandabrede verpflichtet war, mit den Geldern die Verbindlichkeiten<br />

der Veräußerer zu tilgen. M. wies den Angeklagten, auf dessen Notaranderkonto sich die Gelder befanden,<br />

jeweils an, entsprechende Überweisungen zu veranlassen.<br />

Der Angeklagte überwies weisungsgemäß am 21. September 2001 zwei Beträge auf ein Konto des Gerd N. (Fälle 1<br />

und 2 der Urteilsgründe). Dieser war ein ehemaliger Geschäftspartner des M. und hatte erhebliche Verbindlichkeiten,<br />

die auszugleichen er nicht im Stande war. Indes belegen die bisherigen Feststellungen nicht, dass der Angeklagte<br />

bereits zu diesem Zeitpunkt von der Verbindung zwischen M. und N. wusste und damit Kenntnis<br />

von der treuwidrigen Verwendung des Geldes hatte.<br />

Entsprechendes gilt für den Fall 3 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte am 14. Dezember 2001 eine Auslandsüberweisung<br />

über 100.000 DM an die N. GmbH mit Sitz in L. veranlasste. Zwar<br />

178


diente die Überweisung lediglich persönlichen Zwecken des M. . Aus dem Kauf- und Abtretungsvertrag über<br />

einen Geschäftsanteil des Gerd N. an der L. Firma an M. konnte der Angeklagte einen solchen<br />

Schluss jedoch nicht ziehen, da er diesen Vertrag erst am 23. Januar 2002 beurkundet hat. Allein die Kenntnis des<br />

Angeklagten von der außergewöhnlichen Ausgestaltung der Kauf- und Treuhandverträge, die M. eine Alleinverfügungsbefugnis<br />

über die jeweiligen Verkaufserlöse einräumte, belegt nicht, dass er in den Fällen 1 bis 3 die zweckwidrige<br />

Verwendung der Gelder durch M. <strong>zum</strong>indest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm. Möglicherweise<br />

ist ihm insoweit nur fahrlässiges Handeln vorzuwerfen.<br />

Da ergänzende Feststellungen nicht auszuschließen sind, verweist der Senat die Sache an das Landgericht zurück.<br />

2. In den Fällen 4 bis 7 der Urteilsgründe ist ein bedingter Vorsatz des Angeklagten dagegen hinreichend belegt. Das<br />

Landgericht hat insoweit rechtsfehlerfrei dargelegt, weshalb der Angeklagte es in diesen Fällen billigend in Kauf<br />

genommen hat, dass die Gelder von M. nicht zur Tilgung von Verbindlichkeiten der Treugeber, bei denen es<br />

sich um landwirtschaftliche Betriebe in den neuen Bundesländern handelte, sondern treuwidrig verwendet wurden.<br />

Durch die Auszahlungsanweisungen hat der Angeklagte seine Treuepflicht gegenüber den Vertragsparteien verletzt;<br />

denn ein Notar nimmt im Rahmen seiner Treuhandtätigkeit als objektiver Sachwalter der Beteiligten fremde Vermögensinteressen<br />

kraft eigener Rechtsmacht wahr (Sandkühler in Arndt/Lerch/ Sandkühler Bundesnotarordnung 5.<br />

Aufl. § 23 Rdn. 15). Daran änderte auch die Einschaltung des Treuhänders M. nichts, nach dessen Weisungen<br />

die Auskehrung des Hinterlegungsbetrages erfolgen sollte. Dadurch wurde der Angeklagte von seiner gesetzlichen<br />

Verpflichtung nicht befreit. Ein Notar, der Gelder zur treuhänderischen Verwahrung angenommen hat, muss - trotz<br />

des Vorliegens der formalen Voraussetzungen für die Abwicklung des Treuhandverhältnisses - von der Auszahlung<br />

absehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er bei Befolgung der unwiderruflichen Weisung an<br />

der Erreichung unerlaubter oder unredlicher Zwecke mitwirken würde (§ 54 d Nr. 1 BeurkG; vgl. Sandkühler aaO §<br />

23 Rdn. 143 ff.; Renner in Huhn/von Schuckmann Beurkundungsgesetz 4. Aufl. § 54 d Rdn. 2). Dass der Angeklagte<br />

auf dieser Grundlage nur wegen Beihilfe zur Untreue des M. verurteilt worden ist, beschwert ihn nicht.<br />

Wegen der Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe konnte auch die erkannte Gesamtstrafe<br />

keinen Bestand haben.<br />

3. Im Hinblick auf die im angefochtenen Urteil festgestellte, der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung, die das<br />

Landgericht entsprechend der damaligen Rechtslage durch Verhängung niedrigerer Einzelstrafen kompensiert hat,<br />

weist der Senat auf die zur Kompensation derartiger Verzögerungen geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

hin (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 = NJW 2008, 860, <strong>zum</strong><br />

Abdruck in BGHSt bestimmt).<br />

StGB § 267 Endlich eine Lücke im totalen Strafrecht: Erwerb einer unechten Urkund<br />

BGH, Beschl. v. 05.08.2008 - 3 StR 242/08 - NStZ-RR 2008, 371; StV 2008, 565<br />

Der bloße Erwerb einer unechten Urkunde ist straflos.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 1. Februar 2008 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 13 Fällen verurteilt worden ist<br />

(Fälle 1 bis 5, 8 bis 10, 12 bis 16 der Urteilsgründe);<br />

b) im gesamten Strafausspruch.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 13 Fällen sowie wegen<br />

Urkundenfälschung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet<br />

sich gegen seine Verurteilung mit der auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten<br />

Revision. Sein Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.<br />

Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).<br />

Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit der Angeklagte wegen Betruges in 13 Fällen verurteilt<br />

worden ist.<br />

179


Nach den Feststellungen täuschte der Angeklagte seinen Kunden vor, er sei in der Lage, ihnen einen echten Doktortitel<br />

zu verschaffen. In 13 Fällen erlagen die Geschädigten einem entsprechenden Irrtum. Sie bezahlten dem Angeklagten<br />

die vereinbarten Geldbeträge und erhielten, nachdem sie oder - hauptsächlich - der Angeklagte eine "Doktorarbeit"<br />

verfasst hatten, im Gegenzug eine gefälschte Urkunde über die Verleihung eines Doktortitels der Universität<br />

Hamburg. Diesen Titel ließen sie sich teilweise in ihre Personalausweise eintragen und führten ihn auch. Nähere<br />

Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. In vier weiteren Fällen, in denen die Kunden in der Hauptverhandlung<br />

nicht vernommen worden waren, vermochte das Landgericht dagegen nicht auszuschließen, dass der Angeklagte<br />

davon ausging, diese hätten seine Vorspiegelungen durchschaut, seien aber dennoch bereit gewesen, den vereinbarten<br />

Betrag für die Erlangung eines unrichtigen Doktortitels nebst gefälschter Promotionsurkunde zu zahlen.<br />

Soweit das Landgericht sich die Überzeugung verschafft hat, in 13 Fällen hätten die Geschädigten geglaubt, einen<br />

wirksamen Doktortitel zu erwerben, ist seine Beweiswürdigung lücken- und damit rechtsfehlerhaft. Es ist insoweit -<br />

unter Erörterung der für und gegen einen derartigen Irrtum sprechenden Beweisanzeichen - letztlich den entsprechenden<br />

Angaben der Geschädigten gefolgt, auch, weil diese keinen Anlass hatten, den Angeklagten zu Unrecht zu<br />

belasten. Dabei hat es jedoch einen maßgeblichen Gesichtspunkt, der gegen die Glaubhaftigkeit dieser Angaben der<br />

Geschädigten sprechen könnte, nicht bedacht und daher auch nicht in seine Erwägungen einbezogen. Die Kammer<br />

setzt sich nicht damit auseinander, dass sich die geschädigten Zeugen - hätten sie ihre Bösgläubigkeit eingeräumt -<br />

selbst mit strafrechtlich relevantem Handeln belastet hätten und deshalb Anlass haben konnten, sich bei ihren Aussagen<br />

als Opfer eines Irrtums darzustellen. Dieser Umstand durfte angesichts der Beweislage nicht unerörtert bleiben.<br />

Nicht nur in den Fällen, in denen die Zeugen den Doktortitel geführt (vgl. § 132 a StGB) oder eine Eintragung<br />

in den Personalausweis veranlasst haben (vgl. § 271 StGB), käme strafbares Verhalten in Betracht, sondern auch<br />

dort, wo dies unterblieben ist. Denn der bloße Erwerb der unechten Urkunde ist zwar straflos (vgl. Cramer/Heine in<br />

Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 267 Rdn. 97), jedoch kann in dem Vertragsschluss mit dem Angeklagten die<br />

Erteilung des Auftrags zur Herstellung einer unechten Promotionsurkunde und damit eine Anstiftung zur Urkundenfälschung<br />

liegen (vgl. Erb in MünchKomm-StGB § 267 Rdn. 213).<br />

Die Aufhebung der Schuldsprüche wegen Betruges umfasst auch die für sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen<br />

jeweils tateinheitlich begangener Urkundenfälschung. Unberührt bleiben die Schuldsprüche in den Fällen 6, 7, 11<br />

und 17 der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte allein wegen Urkundenfälschung verurteilt worden ist. Der Senat<br />

hat aber auch in diesen Fällen die Einzelstrafen aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine insgesamt ausgewogene<br />

Straf<strong>zum</strong>essung zu ermöglichen. Auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zur Kompensation<br />

einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung wird hingewiesen.<br />

StGB § 271 Zulassungsbescheinigung öffentliche Urkunde<br />

BGH, Beschl. v. 30.10.2008 – 3 StR 156/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 120<br />

LS: Die Zulassungsbescheinigung Teil I (früher: Fahrzeugschein) ist auch hinsichtlich der Identität<br />

des <strong>zum</strong> Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeugs eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 271 StGB.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 19. Dezember 2007 wird,<br />

soweit es ihn betrifft, a) die Strafverfolgung auf die unter b) aa) genannten Vorwürfe beschränkt;<br />

b) das vorgenannte Urteil<br />

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Anstiftung zur Urkundenfälschung in Tateinheit mit<br />

Beihilfe zur versuchten Hehlerei sowie zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung gegen Entgelt schuldig ist,<br />

bb) im gesamten Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten Hehlerei<br />

und Beihilfe zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung gegen Entgelt sowie wegen Hehlerei in Tateinheit mit<br />

Urkundenfälschung und Beihilfe zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.<br />

180


Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im<br />

Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. 1. Nach den Feststellungen förderte der Angeklagte die grenzüberschreitende "Verschiebung" von zwei in Italien<br />

mit falschen italienischen Fahrzeugpapieren ausgestatteten Kraftfahrzeugen ("Fahrzeugdoubletten") durch Unterstützungshandlungen<br />

bei deren Zulassung in Deutschland (II. 1. und 4. der Urteilsgründe).<br />

a) Im Fall II. 1. der Urteilsgründe war ein PKW BMW 530 D, der - <strong>zum</strong>indest nach der Vorstellung des Angeklagten<br />

sowie des Mitangeklagten N. - durch Dritte in Italien gestohlen worden war, nach Einschlagen einer falschen,<br />

einem anderen Kraftfahrzeug zugehörigen Fahrzeug-Identifizierungsnummer und Fälschung der italienischen Fahrzeugpapiere<br />

als sog. "Fahrzeugdoublette" in Italien zugelassen und sodann nach Deutschland verbracht worden. Bei<br />

dem sich anschließenden Versuch, dieses Fahrzeug <strong>zum</strong> Zwecke des Weiterverkaufs durch den hierzu von einer<br />

italienischen Tätergruppe beauftragten Mitangeklagten N. in Deutschland zuzulassen, begleitete der Angeklagte<br />

diesen am 20. Februar 2007 zunächst bei einer Fahrt von Düsseldorf <strong>zum</strong> Kraftfahrtbundesamt nach Flensburg, um<br />

dort eine für die Zulassung erforderliche Bescheinigung abzuholen.<br />

Darüber hinaus verschaffte er dem Mitangeklagten N. - wie auf der gemeinsamen Fahrt nach Flensburg vereinbart<br />

- drei falsche italienische Personalausweise zur weiteren Verwendung sowohl bei der Zulassung des PKW BMW 530<br />

D als auch bei künftigen Taten <strong>zum</strong> Zwecke der gewinnbringenden Weiterveräußerung von anderweit rechtswidrig<br />

erlangten Kraftfahrzeugen, um für N. das Risiko einer Ergreifung zu verringern. Zur Beschaffung der Ausweispapiere<br />

gab der Angeklagte bei einem ihm bekannten Fälscher die Herstellung von drei - auf unterschiedliche Aliaspersonalien<br />

lautenden - Personalausweisen in Auftrag. Die von dem Fälscher zu einem Preis von 900 Euro auftragsgemäß<br />

hergestellten Ausweispapiere reichte er umgehend an den Mitangeklagten N. weiter, wofür er von diesem<br />

insgesamt 1.500 Euro verlangte.<br />

Nachdem N. den PKW BMW 530 D am 21. Februar 2007 bei einer TÜV-Prüfstelle zur Erteilung der Betriebserlaubnis<br />

und zur Abgasuntersuchung vorgeführt hatte, scheiterte der Versuch, das Fahrzeug am 22. Februar 2007<br />

unter Vorlage eines der gefälschten Personalausweise beim Straßenverkehrsamt in Düsseldorf zuzulassen; die Mitarbeiterin<br />

der Zulassungsstelle war misstrauisch geworden und hatte die Polizei informiert.<br />

b) Ende März/Anfang April 2007 verwendete N. eine Kopie eines der drei ihm vom Angeklagten überlassenen<br />

falschen Personalausweise, als er einen PKW Mercedes E-Klasse bei einer Düsseldorfer Autovermietung in betrügerischer<br />

Absicht anmietete. Anschließend wurde das Fahrzeug nach Italien verbracht und dort mit falscher - weil für<br />

ein anderes Fahrzeug ausgegebener - Fahrzeug-Identifizierungsnummer, falschen italienischen Fahrzeugpapieren<br />

und falschen italienischen KfZ-Kennzeichen versehen als sogenannte "Fahrzeugdoublette" <strong>zum</strong> Verkehr zugelassen.<br />

Nach Rückführung des Fahrzeuges nach Deutschland sowie nach dessen Vorführung bei einer TÜV-Prüfstelle zur<br />

Erteilung einer Betriebserlaubnis und zur Abgasuntersuchung versuchte der Mitangeklagte N. am 5. April 2007<br />

erfolglos, es beim Straßenverkehrsamt Solingen zuzulassen. Hierbei legte er wiederum einen der drei gefälschten<br />

italienischen Personalausweise vor, die er vom Angeklagten erhalten hatte. Zur Zulassung des Fahrzeuges kam es<br />

erneut nicht (Fall II. 4. der Urteilsgründe).<br />

2. Das Landgericht hat die Beschaffung und Übergabe der unechten Personalausweise durch den Angeklagten an den<br />

Mitangeklagten N. hinsichtlich des PKW BMW 530 D als mittäterschaftliche Urkundenfälschung in Tateinheit<br />

mit Beihilfe zur versuchten Hehlerei sowie zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung gegen Entgelt bewertet.<br />

Bezüglich des PKW Mercedes E-Klasse hat es den Tatbeitrag des Angeklagten rechtlich als - zu den Taten betreffend<br />

den PKW BMW in Tatmehrheit stehend - täterschaftliche Hehlerei in Tateinheit mit mittäterschaftlicher Urkundenfälschung<br />

und Beihilfe zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung eingestuft.<br />

II. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage<br />

der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte - nach Ausscheidung des Tatvorwurfs der Beihilfe<br />

zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung gegen Entgelt im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Komplex PKW BMW<br />

530 D) gemäß § 154 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO - der Anstiftung zur Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 1.<br />

Alt., § 26 StGB) in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten Hehlerei (§ 259 Abs. 1, §§ 22, 27 Abs. 1 StGB) sowie zur<br />

versuchten mittelbaren Falschbeurkundung gegen Entgelt (§ 271 Abs. 1 und 3, §§ 22, 27 Abs. 1 StGB) schuldig. Im<br />

Einzelnen:<br />

1. Dadurch, dass der Angeklagte unter Übergabe dreier Passfotos an den Fälscher die Herstellung von falschen Ausweispapieren<br />

für den Mitangeklagten N. in Auftrag gab, hat er sich nicht der mittäterschaftlichen Urkundenfälschung,<br />

sondern der Anstiftung zur Urkundenfälschung schuldig gemacht. Durch die Verdingung des Fälschers,<br />

gegen Bezahlung drei falsche Ausweispapiere herzustellen, bestimmte der Angeklagte diesen zu dessen Tat nach §<br />

267 Abs. 1 1. Alt. StGB, über die nicht er, sondern allein der Fälscher Tatherrschaft hatte (vgl. BGH StV 2008, 188,<br />

189). Gegen die Annahme eigener Tatherrschaft des Angeklagten spricht insbesondere, dass er auf die exakte Tat-<br />

181


zeit, den Tatort sowie die Art und Weise der Erstellung der Personalausweise, d. h. unter Verwendung von Blankovordrucken<br />

oder durch Verfälschung gestohlener Ausweise, keinen Einfluss hatte.<br />

2. Indem der Angeklagte die in Auftrag gegebenen, aus Blankovordrucken neu erstellten italienischen Personalausweise<br />

an sich nahm und an den Mitangeklagten N. zur weiteren Verwendung übergab, leistete er diesem Beihilfe<br />

zu dem sich anschließenden zweifachen Gebrauch der unechten Urkunden zur Täuschung im Rechtsverkehr (§ 267<br />

Abs. 1 3. Alt., § 27 Abs. 1 StGB). Denn durch Vorlage der falschen Personalausweise bei den Zulassungsstellen in<br />

Düsseldorf und Solingen wollte N. - um sich dem Risiko einer Strafverfolgung zu entziehen - über seine Identität<br />

täuschen (vgl. BGHSt 33, 159, 160 f.). Dabei hat der Angeklagte ihn durch Beschaffung und Übergabe der falschen<br />

Ausweise unterstützt.<br />

Diese Beihilfe zur zweifachen Urkundenfälschung (in der Alternative des Gebrauchens) geht indes in der Anstiftung<br />

zur Urkundenfälschung (in der Alternative des Herstellens) auf, da beide Teilnahmehandlungen eine deliktische<br />

Einheit darstellen, in der die schwerwiegendere Anstiftung der Beihilfe vorgeht (so auch Gribbohm in LK 11. Aufl. §<br />

267 Rdn. 291 aE). Diese für die täterschaftlich begangenen Alternativen des Herstellens und Gebrauchens einer<br />

unechten Urkunde anerkannte tatbestandliche Handlungseinheit, in denen der Gebrauch der Urkunde dem schon bei<br />

der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht (vgl. BGHSt 5, 291, 293; BGH GA 1955,<br />

245, 246; Erb in MünchKomm-StGB § 267 Rdn. 217; Gribbohm aaO Rdn. 288; Cramer/Heine in Schönke/Schröder,<br />

StGB 27. Aufl. § 267 Rdn. 79, 79 b; aA Hoyer in SK-StGB § 267 Rdn. 114), gilt auch für die Teilnahme an den<br />

verschiedenen Tatvarianten der Urkundenfälschung (vgl. Erb aaO Rdn. 219; Cramer/Heine aaO Rdn. 80; Gribbohm<br />

aaO Rdn. 291 aE), und zwar selbst dann, wenn sich Anstiftung und Beihilfe jeweils auf Taten unterschiedlicher<br />

Haupttäter beziehen. Auch hier verbindet der Gesamtvorsatz des doppelten Teilnehmers, zur Fälschung der Urkunde<br />

gerade deshalb anzustiften, um einem anderen deren (mehrfachen) Gebrauch zu ermöglichen, dessen Teilnahmehandlungen<br />

zu einer einheitlichen Tat.<br />

Die ebenfalls verwirklichten Tatbestände des Sich-Verschaffens (§ 276 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. StGB) und des Überlassens<br />

(§ 276 Abs. 1 Nr. 2 3. Alt. StGB) von falschen - auch ausländischen (BGH NJW 2000, 3148; BGHR StGB §<br />

276 Konkurrenzen 1) - Ausweispapieren, die insgesamt nur einen einheitlichen Verstoß gegen § 276 Abs. 1 Nr. 2<br />

StGB darstellen (Erb aaO § 276 Rdn. 5; Gribbohm aaO § 276 Rdn. 22), treten, da sie typische Vorbereitungshandlungen<br />

zu dem - in der Anstiftung als deliktische Einheit aufgegangenen - nachfolgenden Urkundengebrauch darstellen,<br />

als mitbestrafte Vortaten zurück (BGHR StGB § 276 Konkurrenzen 1; Gribbohm aaO Rdn. 27; Erb aaO; Cramer/Heine<br />

aaO § 276 Rdn. 11; Hoyer aaO § 276 Rdn. 6).<br />

3. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht in Bezug auf den PKW BMW 530 D (Fall II. 1. der Urteilsgründe) die Überlassung<br />

der unechten Personalausweise an den Mitangeklagten N. auch als Beihilfehandlung zu dessen versuchter<br />

Hehlerei in Form der Absatzhilfe an diesem Fahrzeug bewertet (§ 259 Abs. 1, §§ 22, 27 Abs. 1 StGB). Die Haupttat<br />

des N. hat es zu Recht nur als Versuch einer Hehlerei angesehen. Zwar kommt es bei der Hehlerei in Form der<br />

Absatzhilfe (für die italienischen Hintermänner, die als Zwischenhehler - vgl. BGH NStZ 1999, 351, 352 m. w. N. -<br />

ihrerseits über das Fahrzeug zu eigenen Zwecken verfügen konnten) auf einen Absatzerfolg des Hehlgutes nicht an<br />

(BGHSt 22, 206, 207; 26, 358; 27, 45). Das Landgericht konnte jedoch nicht ausschließen, dass die italienische Tätergruppe<br />

den PKW BMW 530 D im Einverständnis mit dessen Eigentümer erlangt hatte, weil dieser in betrügerischer<br />

Weise einen Versicherungsschaden geltend machen wollte. Damit hätte es an der rechtswidrigen Vortat im<br />

Sinne des § 259 Abs. 1 StGB gefehlt.<br />

4. Nicht zutreffend hat das Landgericht dagegen in Fall II. 4. der Urteilsgründe die Überlassung der unechten Ausweispapiere<br />

Ende Februar 2007 als täterschaftliche Hehlerei des Angeklagten in Form der Absatzhilfe bewertet. Der<br />

Mitangeklagte N. hat den PKW Mercedes erst Ende März/Anfang April 2007 betrügerisch erlangt. Bei diesem<br />

zeitlichen Ablauf kommt eine Hehlerei des Angeklagten durch die vorhergehende Überlassung der Personalausweise<br />

nicht in Betracht, weil der Hehlereitatbestand in sämtlichen Handlungsalternativen eine abgeschlossene Vortat voraussetzt.<br />

Tatbeiträge, die bereits erbracht werden, bevor das Hehlgut durch eine rechtswidrige Vortat erlangt ist, sich<br />

aber erst bei der Verwertung desselben auswirken, können allenfalls als Teilnahme an der Vortat oder als Beihilfe an<br />

einer etwaigen Hehlerei eines Dritten angesehen werden (vgl. BGHSt 13, 403, 405; BGH NStZ 1994, 486). Hier<br />

trifft keine der beiden Möglichkeiten zu. Insbesondere machte sich der Angeklagte bei der Überlassung der Ausweispapiere<br />

an den Mitangeklagten N. keine Gedanken über deren Verwendung bereits bei der rechtswidrigen<br />

Erlangung von Kraftfahrzeugen. Billigend in Kauf nahm er nur, dass N. die Ausweispapiere bei der gewinnbringenden<br />

Verwertung von zuvor gestohlenen Kraftfahrzeugen verwendete, so dass es für eine Teilnahme an der betrügerischen<br />

Erlangung des PKW Mercedes am Teilnahmevorsatz fehlt.<br />

5. Näherer Erörterung bedarf die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung.<br />

Da der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die Ahndung dieses Delikts gemäß § 154 a<br />

182


Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen hat, soweit dem Angeklagten die Unterstützung<br />

der versuchten Zulassung des PKW BMW 530 D am 22. Februar 2007 vorgeworfen worden ist, steht allein noch die<br />

vom Angeklagten durch Überlassung der falschen Ausweise geleistete Hilfe zu dem Versuch der Zulassung des<br />

PKW Mercedes EKlasse am 5. April 2007 (Fall II. 4. der Urteilsgründe) in Rede; zu diesem Zeitpunkt richtete sich<br />

das Zulassungsverfahren nach der <strong>zum</strong> 1. März 2007 in Kraft getretenen Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen<br />

<strong>zum</strong> Straßenverkehr vom 25. April 2006 (Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV; BGBl I 988).<br />

a) Das Landgericht hat die Bemühungen des Mitangeklagten N. , den PKW Mercedes am 5. April 2007 beim Straßenverkehrsamt<br />

Solingen <strong>zum</strong> deutschen Straßenverkehr zuzulassen, als Versuch einer mittelbaren Falschbeurkundung<br />

bewertet. Bei der Subsumtion des erfolglosen Zulassungsversuchs unter den Tatbestand der § 271 Abs. 1 und<br />

Abs. 4, § 22 StGB hat es, da die Fahrzeug-Identifizierungsnummer in den Fahrzeugpapieren selbst nicht dem öffentlichen<br />

Glauben unterliege (vgl. BGHSt 20, 186), entscheidend darauf abgestellt, ob der Mitangeklagte N. dazu<br />

angesetzt habe, falsch beglaubigen zu lassen, dass das in dem Kraftfahrzeugschein nach seinen der Verwaltungsbehörde<br />

erkennbaren Merkmalen beschriebene Fahrzeug das ist, das <strong>zum</strong> öffentlichen Verkehr zugelassen werden<br />

sollte. Insoweit sei die Fahrzeug-Identifizierungsnummer ein wesentliches, das jeweilige Fahrzeug kennzeichnendes<br />

Merkmal (vgl. BGHR StGB § 271 Abs. 1 Beweiskraft 1). Indem N. dem Straßenverkehrsamt Solingen einen gefälschten<br />

italienischen "Kraftfahrzeugbrief" vorgelegt habe, dessen Fahrzeug-Identifizierungsnummer ein anderes<br />

Kraftfahrzeug betraf als das, das zugelassen werden sollte, habe er den Versuch einer mittelbaren Falschbeurkundung<br />

begangen. Hierzu habe der Angeklagte durch Überlassung der Ausweispapiere Beihilfe geleistet.<br />

b) Diese rechtliche Würdigung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Überlassung der auf Falschpersonalien<br />

lautenden Ausweispapiere zur Verwendung bei der Zulassung eines italienischen "Doublettenfahrzeugs" in Deutschland<br />

stellt eine Beihilfe des Angeklagten zur versuchten mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 Abs. 1, §§ 22, 27<br />

StGB) des Mitangeklagten N. dar. Bei der im Rahmen des Zulassungsverfahrens auszustellenden Zulassungsbescheinigung<br />

Teil I handelt es sich um eine Urkunde i. S. d. § 271 StGB, deren öffentlicher Glaube sich auch auf die<br />

Identität des <strong>zum</strong> Straßenverkehr zugelassenen Kraftfahrzeuges erstreckt.<br />

Wegen der <strong>zum</strong> 1. März 2007 eingetretenen Änderung der rechtlichen Grundlagen des Zulassungsverfahrens bedarf<br />

es dabei keiner Entscheidung, ob die vom Landgericht in Bezug genommenen, auf der früheren Rechtslage <strong>zum</strong><br />

Zulassungsverfahren nach §§ 23, 24 StVZO aF basierenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur Frage, ob<br />

der Fahrzeugschein auch hinsichtlich der Identität des zugelassenen Fahrzeugs eine öffentliche Urkunde im Sinne<br />

des § 271 StGB darstellt (BGHSt 20, 186, 188 einerseits sowie BGHR StGB § 271 Beweiskraft 1 andererseits), miteinander<br />

vereinbar sind (verneinend Puppe JZ 1997, 490, 496 f.). Vielmehr gilt:<br />

aa) Die Zulassungsbescheinigung Teil I, die nach der <strong>zum</strong> 1. Oktober 2005 in Kraft getretenen 38. Verordnung zur<br />

Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 24. September 2004 (BGBl I 2374) den Fahrzeugschein<br />

ersetzt hat, ist wie dieser eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 271 StGB, soweit sie den Zulassungsvorgang<br />

dokumentiert und ein wesentliches Legitimationspapier bei Verkehrskontrollen darstellt (Dauer in Hentschel, Straßenverkehrsrecht<br />

39. Aufl. § 11 FZV Rdn. 2 und 5). Allerdings kann nicht jede in einer öffentlichen Urkunde enthaltene<br />

Angabe, die ein Außenstehender durch Täuschung des gutgläubigen Amtsträgers bewirkt, Gegenstand einer<br />

Straftat nach § 271 StGB sein. Strafbewehrt beurkundet im Sinne des § 271 StGB sind vielmehr nur diejenigen Erklärungen,<br />

Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d. h. die "volle Beweiswirkung für<br />

und gegen jedermann", erstreckt. Welche Angaben dies im Einzelnen sind, ist, wenn es an einer ausdrücklichen Vorschrift<br />

fehlt, den gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde<br />

maßgeblich sind. Wesentliche Kriterien zur Bestimmung der Reichweite des öffentlichen Glaubens sind dabei -<br />

neben dem Beurkundungsinhalt als solchem - das Verfahren und die Umstände des Beurkundungsvorgangs sowie<br />

die Möglichkeit des die Bescheinigung ausstellenden Amtsträgers, die Richtigkeit des zu Beurkundenden zu überprüfen<br />

(BGHSt - GS - 22, 201, 203 f.; BGHSt 42, 131 f.; BGH NJW 1996, 470). Die den öffentlichen Glauben legitimierende<br />

erhöhte Beweiswirkung kann auf den eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten des die Urkunde ausstellenden<br />

Amtsträgers beruhen (BGH NJW 1996, 470), sie kann sich für den Urkundenaussteller aber auch aus den im<br />

Verfahren vorzulegenden Bescheinigungen anderer öffentlicher Stellen mit erhöhter Richtigkeitsgewähr ergeben.<br />

bb) Nach diesen Maßstäben umfasst der öffentliche Glaube der Zulassungsbescheinigung Teil I auch die Identität des<br />

zugelassenen Fahrzeugs. Der seit 1. März 2007 in Kraft befindliche § 6 Abs. 8 FZV schreibt in Umsetzung der EG-<br />

Richtlinie 1999/37/EG des Rates vom 29. April 1999 über Zulassungsdokumente für Fahrzeuge (ABl. EG Nr. L 138<br />

S. 57) - erstmals - die Identifizierung des Fahrzeuges durch die Zulassungsbehörde im Rahmen der Zulassung vor.<br />

Wie die Identifizierung durchzuführen ist, entscheidet die Zulassungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Entsprechend<br />

der amtlichen Begründung (VkBl 2006, 604) kann sie von der Identität des Fahrzeuges mit dem in der<br />

Zulassungsbescheinigung Teil II bezeichneten grundsätzlich ausgehen, wenn es sich um ein Neufahrzeug handelt, für<br />

183


das die Zulassungsbescheinigung Teil II durch den Hersteller zugeordnet oder wenn - wie hier - das Fahrzeug bereits<br />

einer Haupt- oder Sonderuntersuchung unterzogen wurde (Dauer aaO § 6 FZV Rdn. 10). Denn sowohl bei der<br />

Hauptuntersuchung (Anlage VIII a Nr. 4.10 zur StVZO, Verordnung vom 20. Mai 1998, BGBl I 1064, 1069; neu<br />

gefasst durch Verordnung vom 3. März 2006, BGBl I 485, 492) als auch bei der Abgasuntersuchung (Nr. 2.1 der<br />

Richtlinie für die Untersuchung der Abgase von Kraftfahrzeugen nach Nummer 4.8.2 Anlage VIII a StVZO - "AU-<br />

Richtlinie", VkBl 2006, 304) muss eine Identifizierung des Fahrzeuges durchgeführt werden. Nach Nr. 4.10 der<br />

Anlage VIII a zur StVZO ist dabei der Zustand der Fahrzeug-Identifizierungsnummer und dessen Übereinstimmung<br />

mit den Fahrzeugdokumenten zu überprüfen, während nach der AU-Richtlinie bei der Fahrzeugidentifizierung als<br />

Identifizierungsangaben das amtliche Kennzeichen, die Emissionsschlüsselnummer/Emissionsklasse, der Fahrzeughersteller,<br />

Typ und Ausführung i. V. m. der Schlüsselnummer, die Kraftstoffart, der Stand des Wegstreckenzählers<br />

sowie die Fahrzeug-Identifizierungsnummer mit dem Fahrzeugdokument abzugleichen sind.<br />

cc) Nach den Feststellungen hatte der Mitangeklagte N. den PKW Mercedes unmittelbar vor dessen am 5. April<br />

2007 beantragter Zulassung bei einer TÜV-Prüfstelle zur Erteilung einer Betriebserlaubnis und zur Abgasuntersuchung<br />

vorgeführt. Nachdem damit die Identität des PKW am Tag vor dessen Zulassung im Rahmen der Abgasuntersuchung<br />

überprüft worden war und das Ergebnis dieser Überprüfung in der AU-Bescheinigung dem zuständigen -<br />

gemäß § 6 Abs. 8 FZV zur Identifizierung des Fahrzeuges verpflichteten - Amtsträger vorlag, konnte und wollte<br />

(vgl. BGH NJW 1996, 470) dieser zu öffentlichem Glauben beurkunden, dass die von dem Antragsteller angegebenen,<br />

in die Zulassungsbescheinigung Teil I aufzunehmenden Identifizierungsmerkmale, insbesondere die Fahrzeug-<br />

Identifizierungsnummer, sich auf das Kraftfahrzeug bezogen, das am Vortag einer Abgasuntersuchung unterzogen<br />

worden war und das nunmehr <strong>zum</strong> Straßenverkehr zugelassen werden sollte. Da die mitgeteilte FahrzeugIdentifizierungsnummer<br />

jedoch ursprünglich einem anderen Fahrzeug zugeteilt worden war, zu dem das zugelassene Fahrzeug<br />

nur eine "Doublette" darstellte, wäre im Falle der erstrebten Zulassung in der Zulassungsbescheinigung Teil I mit<br />

öffentlicher Beweiswirkung ein dahingehend unrichtiger Sachverhalt dokumentiert worden, dass das zugelassene<br />

Fahrzeug mit dem in der Zulassungsbescheinigung unter anderem anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummer<br />

beschriebenen identisch sei.<br />

c) Da der Angeklagte die strafschärfende Bereicherungsabsicht des Mitangeklagten N. , dem die Zulassungen von<br />

Kraftfahrzeugen als Mittel zur Erlangung von Vermögensvorteilen dienen sollten (vgl. BGHSt 34, 299, 303), auch<br />

hinsichtlich der Zulassung etwaiger weiterer Fahrzeuge kannte, hat er als Gehilfe auch hinsichtlich des PKW Mercedes<br />

den Qualifikationstatbestand des § 271 Abs. 3 StGB erfüllt (Cramer/Heine aaO § 271 Rdn. 45; Gribbohm aaO §<br />

271 Rdn. 109; Puppe in NK-StGB § 271 Rdn. 66; aA Hoyer in SK-StGB § 271 Rdn. 36: besonderes persönliches<br />

Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB). Einer dahingehenden Verschärfung des Schuldspruchs steht, auch wenn<br />

das Landgericht in dem Fall des PKW Mercedes nicht vom Qualifikationstatbestand der Entgeltlichkeit ausgegangen<br />

ist, das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) nicht entgegen (st. Rspr.; BGHSt 14, 5, 7; BGH NStZ 2006,<br />

34, 35; StV 2008, 233, 234 sowie die Nachweise bei Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 18).<br />

III.<br />

1. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die<br />

zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Taten führen. Er ändert deshalb den Schuldspruch (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />

§ 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf<br />

nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe. Die Feststellungen<br />

<strong>zum</strong> Strafausspruch sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).<br />

Ergänzende weitere Feststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, sind zulässig.<br />

StGB § 283 I Nr. 8 Bankrott<br />

BGH, Beschl. v. 24.03.<strong>2009</strong> – 5 StR 353/08 (alt: 5 StR 412/03)<br />

Der Auffangtatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB ist jedenfalls mit Blick auf die Gläubigerinteressen<br />

auszulegen: Bei der Tathandlung des Verheimlichens muss der Täter die Gläubiger oder den<br />

Insolvenzverwalter über Zugriffsmöglichkeiten auf das Schuldnervermögen in Unkenntnis setzen<br />

184


oder halten; bei der Tathandlung des Verschleierns geht es um die unrichtige Darstellung insbesondere<br />

der Vermögensverhältnisse.<br />

1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts wird das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte<br />

wegen Bankrotts in vier Fällen und wegen Betrugs zu Lasten der Arbeitnehmer Ka. und S. sowie zu<br />

Lasten des Arbeitnehmers F. verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und<br />

die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 30. Oktober 2007 demgemäß<br />

nach § 349 Abs. 4 StPO dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Betrugs und wegen vorsätzlichen Verstoßes<br />

gegen die Konkursantragspflicht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt ist, deren Vollstreckung<br />

zur Bewährung ausgesetzt wird.<br />

3. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

4. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in drei Fällen, wegen (vorsätzlichen) Verstoßes gegen die<br />

Insolvenzantragspflicht (richtig: Konkursantragspflicht) und wegen Bankrotts in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung<br />

ausgesetzt. Dabei waren die der Verurteilung wegen Betrugs zugrunde liegenden Fälle bereits Gegenstand<br />

des Senatsbeschlusses vom 7. Juli 2004 – 5 StR 412/03 (wistra 2004, 429) gewesen. Die Vorwürfe der Steuerhinterziehung,<br />

die ebenfalls Gegenstand des vorgenannten Senatsbeschlusses gewesen waren, sind im neuen Rechtsgang<br />

nach § 154 Abs. 2 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden worden. Nach weiterer Teileinstellung im Revisionsverfahren<br />

ist auf die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

auf neun Monate herabzusetzen. Das weitergehende Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Zur Verfahrenseinstellung haben folgende Erwägungen Anlass gegeben:<br />

a) Bezüglich der Verurteilung nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB teilt der Senat die Bedenken des Generalbundesanwalts,<br />

der insoweit ursprünglich Freispruch beantragt hat, zwar nicht. Um jedoch eine hier in Betracht zu ziehende Zurückverweisung<br />

zu vermeiden, ist dieser Fall einzustellen.<br />

aa) Es ist durchaus erwägenswert, die Veräußerung der Geschäftsanteile an der A. I. K. G. (AIG), die<br />

Umfirmierung, die Sitzverlegung und das Abberufen des Angeklagten vom Amt als Geschäftsführer am 22. Dezember<br />

1998 unter die Vorschrift des § 283 Abs. 1 Nr. 8 zweite Alternative, gegebenenfalls vorrangig unter § 283 Abs. 1<br />

Nr. 4 StGB zu subsumieren. Der Begriff der „geschäftlichen Verhältnisse“ ist bislang vom Bundesgerichtshof nicht<br />

ausgelegt worden. Vor allem soll dieses Tatbestandsmerkmal Umstände erfassen, die für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit<br />

(Bonität) des in der Krise befindlichen Schuldners erheblich sind (Hoyer in SK-StGB 7. Aufl. [März<br />

2002] § 283 Rdn. 94; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 283 Rdn. 172; Radtke in MünchKomm-StGB § 283 Rdn. 67).<br />

Der Auffangtatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB ist jedenfalls mit Blick auf die Gläubigerinteressen auszulegen:<br />

Bei der Tathandlung des Verheimlichens muss der Täter die Gläubiger oder den Insolvenzverwalter über Zugriffsmöglichkeiten<br />

auf das Schuldnervermögen in Unkenntnis setzen oder halten; bei der Tathandlung des Verschleierns<br />

geht es um die unrichtige Darstellung insbesondere der Vermögensverhältnisse.<br />

Hier hat sich der Angeklagte eine Option auf Rückkauf der Gesellschaftsanteile an der AIG einräumen lassen; darüber<br />

hinaus war er aufgrund einer Vollmacht zur umfassenden Vertretung der umbenannten GmbH weiterhin befugt.<br />

Dies könnte dafür sprechen, dass es sich bei der Abtretung der Anteile und dem Wechsel in der Geschäftsführung um<br />

Scheingeschäfte (§ 117 BGB) handelte; solches würde <strong>zum</strong>indest die Annahme einer Treuhänderschaft sowie einer<br />

faktischen Geschäftsführung nahe legen. Sofern der Angeklagte damit tatsächlich weiterhin bestimmenden Einfluss<br />

auf die in I. GmbH umfirmierte AIG nahm, könnte er die Fremdgläubiger über die tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse<br />

und die faktisch ausgeübte Geschäftsführung einschließlich des Firmensitzes getäuscht haben. Dies hätte<br />

zwar keine verbesserte Darstellung der Bonität der AIG zur Folge. Gleichwohl wird durch diese „Firmenbestattung“<br />

die Position der Gläubiger verschlechtert (vgl. Raik Kilper, „Firmenbestattung“, Hamburg, <strong>2009</strong>). Diese könnten<br />

durch die verschleiernden Maßnahmen davon abgehalten worden sein, in Vermögensgegenstände der AIG zu vollstrecken<br />

oder gar den Angeklagten wegen der Konkursverschleppung etwa nach § 826 BGB in Regress zu nehmen.<br />

Die sogenannte Interessentheorie dürfte auf § 283 Abs. 1 Nr. 8 zweite Alternative StGB keine Anwendung finden<br />

(vgl. allerdings BGH wistra 2000, 136 für § 283 Abs. 1 Nr. 8 erste Alternative StGB; vgl. auch Ogiermann, wistra<br />

2000, 250, 251).<br />

185


Von § 283 Abs. 1 Nr. 8 zweite Alternative StGB könnten sogar auch solche im Rahmen der „Firmenbestattung“<br />

vorgenommenen Rechtsgeschäfte erfasst sein, bei denen die Rechtsfolgen von den Beteiligten tatsächlich gewollt<br />

sind. Die Übertragung der Anteile und das Abberufen vom Amt des Geschäftsführers wären dann zwar nicht als<br />

Scheingeschäfte (§ 117 BGB) zu werten. Gleichwohl könnten die Rechtsgeschäfte wegen der beabsichtigten Gläubigerbenachteiligung<br />

und der Umgehung der insolvenzrechtlichen Pflicht zur Antragstellung zivilrechtlich unwirksam<br />

sein (BGHR StGB § 266a Abs. 1 Vorsatz 2, insoweit in BGHSt 48, 307 nicht abgedruckt; vgl. auch § 15a Abs. 3<br />

InsO n.F.). Dann hätte der bisherige Geschäftsführer sein Amt behalten und die Fremdgläubiger wären über die tatsächlichen<br />

geschäftlichen Verhältnisse der Gesellschaft getäuscht worden.<br />

bb) Einer Verurteilung könnte indes entgegenstehen, dass – ungeachtet noch pfändbarer (allerdings geringer) Bankguthaben<br />

– nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe für Dezember 1998 von Zahlungseinstellung (§ 283<br />

Abs. 6 StGB) auszugehen sein könnte. Jedenfalls für die Verletzung der Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses<br />

ist entschieden, dass der Tatbestand des Bankrotts nicht mehr verwirklicht werden kann, wenn – was dann näherer<br />

Auklärung bedürfte – die objektive Bedingung der Strafbarkeit bereits eingetreten ist (BGHR StGB § 283 Abs. 1<br />

Nr. 7b Zeit 1 m.w.N.). Entsprechendes könnte für § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB gelten. Diese wie auch die vorgenannten<br />

Fragen bedürfen wegen der Verfahrenseinstellung nicht der Vertiefung.<br />

b) Bei den drei übrigen Bankrottdelikten stehen die Schuldsprüche in Frage, weil das Landgericht etwaige Auswirkungen<br />

einer Durchsuchung und Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen im Juni 1997 auch mit Blick auf die damals<br />

anhängigen Ermittlungsverfahren nicht weiter aufgeklärt hat. Zudem fehlt es ebenso wie bei zwei Betrugsfällen<br />

an der nach § 47 Abs. 1 StGB gebotenen Begründung für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen. Mit Blick auf die<br />

lange Verfahrensdauer erscheint die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO als angemessene Verfahrenserledigung.<br />

Dies ermöglicht, das Verfahren nunmehr rechtskräftig abzuschließen.<br />

2. Das Urteil hält in dem nach Teileinstellung verbleibenden Umfang der rechtlichen Nachprüfung stand.<br />

a) Soweit der Angeklagte wegen Betrugs verurteilt worden ist, werden die Feststellungen des Landgerichts den Vorgaben<br />

aus dem Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 (vgl. auch BGHSt 1, 262, 264; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden<br />

39; BGH wistra 1986, 170) gerecht. Dem Urteil ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der geschädigten<br />

Arbeitnehmerin R. im Dezember 1998 die Vollstreckung in ein Bankguthaben in Höhe von rund 11.600<br />

DM noch möglich gewesen wäre und sie sich – wie auch die übrigen Arbeitnehmer – nur deswegen von der Beitreibung<br />

der Forderung hat abhalten lassen, weil sie auf die Erfüllung der Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung<br />

vertraute, <strong>zum</strong>al der Angeklagte persönlich mit der Bürgschaft einzustehen versprach. Eines weiteren Eingehens auf<br />

die subjektive Tatseite bedurfte es bei dieser Sachlage nicht.<br />

b) Im Rahmen der Konkursverschleppung (§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 GmbHG a.F.; jetzt, insoweit ohne inhaltliche<br />

Änderungen, § 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO n.F., § 2 Abs. 2, Abs. 3 StGB), die nicht verjährt ist (vgl. dazu insbesondere<br />

BGH wistra <strong>2009</strong>, 117, 119, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt), belegen die Feststellungen sowohl<br />

die Überschuldung als auch die Zahlungsunfähigkeit der AIG. Insoweit bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen<br />

des Generalbundesanwalts zur Aufklärungsrüge des Beschwerdeführers, die den etwaigen, angeblich vom<br />

Sachverständigen nicht berücksichtigten Rangrücktritt des Angeklagten <strong>zum</strong> Gegenstand hat (S. 25 bis 41 aus der<br />

Revisionsbegründung vom 12. Februar 2008):<br />

Die – auch in der Sache insbesondere hinsichtlich des Konkursgrundes der Zahlungsunfähigkeit ersichtlich aussichtslose<br />

– Aufklärungsrüge ist bereits deswegen unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil sie keine konkret bestimmten<br />

aufklärungsbedürftigen Tatsachen bezeichnet. Es wird nur in den Raum gestellt, dass der Angeklagte in Höhe<br />

seiner Gesellschafterforderung von rund 11,6 Mio. DM einen Rangrücktritt erklärt habe, ohne dies nach Ort, Zeit<br />

und den weiteren Umständen zu konkretisieren. Einer solchen Präzisierung hätte es insbesondere auch deswegen<br />

bedurft, weil die AIG Zinszahlungen auf das Gesellschafterdarlehen leistete, was eindeutig gegen einen Rangrücktritt<br />

spricht.<br />

c) Der Senat schließt aus, dass die für die Konkursverschleppung verhängte Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten<br />

und die für den Betrugsfall zu Lasten der Arbeitnehmerin R. verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten<br />

durch die Straffindung in den übrigen Fällen beeinflusst worden sein könnten. Auch führt der Umstand, dass das<br />

Landgericht Art und Ausmaß der von ihm festgestellten rechtsstaatswidrigen Verzögerung rechtsfehlerhaft nicht<br />

bestimmt hat, hier zu keinem durchgreifenden Straf<strong>zum</strong>essungsfehler. Noch mildere Einzelfreiheitsstrafen hätte das<br />

Landgericht angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte im Dezember 1998 die eine „Firmenbestattung“ betrieb<br />

und die Geschädigte R. als langjährige vertraute Angestellte über Jahre hinweg von dem Einfordern ihrer Lohnforderungen<br />

abhielt, ersichtlich nicht verhängt. Dass es die Einzelstrafen nach der so genannten mittlerweile überholten<br />

(BGHSt [GS] 52, 124) Strafabschlagslösung gemindert hat, beschwert den Angeklagten nicht (vgl. BGH wistra<br />

2008, 348, 349).<br />

186


3. Der Senat hat – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – die erneut erforderliche Gesamtstrafenbildung<br />

selbst vorgenommen, indem er die Einsatzstrafe um einen Monat erhöht hat. Eine noch geringere Erhöhung<br />

nach Wochen kam ersichtlich nicht in Betracht. Die so gebildete Gesamtfreiheitsstrafe berücksichtigt unter Beachtung<br />

der einer Verfahrensrüge zu entnehmenden für die Verfahrensverzögerung maßgeblichen Anknüpfungstatsachen<br />

und angesichts der bereits vom Landgericht gewährten Strafabschläge sowie der Verfahrenseinstellungen in<br />

weit ausreichendem Maße die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Ein „echter“ Härteausgleich mit Blick auf<br />

die Erledigung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. September 1998 war<br />

bereits deswegen nicht zu gewähren, weil insoweit für die verbliebenen abgeurteilten Taten zu keinem Zeitpunkt,<br />

insbesondere nicht im hierfür maßgeblichen ersten Urteil vom 23. Dezember 2002, eine Gesamtstrafenkonstellation<br />

(§ 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB) vorlag. Die Konkursverschleppung war jedenfalls nicht vor dem 22. Dezember<br />

1998 beendet (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Begehung 1; BGH NJW 1997, 750, 751, insoweit in BGHSt 42, 268<br />

nicht abgedruckt; BGH wistra 1996, 144, 145); der Betrug zu Lasten der Arbeitnehmerin R. begann sogar erst<br />

Ende Oktober 1998.<br />

Das Tatgericht wird über den gegenstandslos gewordenen Bewährungszeit- und Pflichtenbeschluss (§ 268a StPO)<br />

neu zu befinden haben.<br />

StGB § 315b I Nr. 3 Schutzzweck des § 315 b StGB gebietet restriktive Auslegung<br />

BGH, Beschl. v. 04.11.2008 – 4 StR 411/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 100<br />

Nicht jede Sachbeschädigung (oder auch Körperverletzung) im Straßenverkehr ist tatbestandsmäßig<br />

im Sinne des § 315 b StGB. Vielmehr gebietet der Schutzzweck des § 315 b StGB insoweit eine<br />

restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen<br />

Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren<br />

verstanden werden dürfen. Dies ist der Fall, wenn die konkrete Gefahr - jedenfalls auch - auf die<br />

Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs)<br />

zurückzuführen ist.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 17. April 2008 im Schuldspruch<br />

dahin abgeändert, dass die Angeklagten jeweils des tateinheitlich begangenen versuchten vorsätzlichen gefährlichen<br />

Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig sind.<br />

2. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.<br />

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen<br />

Eingriff in den Straßenverkehr und mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe, den Angeklagten A.<br />

darüber hinaus in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie (beide Angeklagten) weiterhin des Diebstahls und der<br />

Brandstiftung für schuldig befunden. Es hat deswegen den Angeklagten A. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

zehn Jahren und drei Monaten, die Angeklagte B. zu einer solchen von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat es gegen<br />

den Angeklagten A. die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil richten<br />

sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Die Revisionen<br />

der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweisen sich die<br />

Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen (vollendeten) vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr<br />

hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt:<br />

Nach Begehung des Banküberfalls, der Gegenstand der Verurteilung wegen schweren Raubes ist, flüchteten die<br />

Angeklagten mit einem Pkw, den sie zuvor entwendet hatten. Gelenkt wurde das Fluchtfahrzeug von dem Angeklagten<br />

A. . Der Zeuge W. , der das Tatgeschehen zufällig beobachtet hatte, nahm mit seinem Geländewagen die<br />

Verfolgung auf. Auf Grund der stärkeren Motorisierung des eigenen Fahrzeugs hatte W. keine Schwierigkeiten,<br />

sich dicht hinter das Fluchtfahrzeug der Angeklagten zu setzen. Der Angeklagte A. bemerkte die Verfolgung<br />

187


und fasste den Entschluss, mit einer der bei dem Banküberfall verwendeten Pistolen auf das verfolgende Fahrzeug zu<br />

schießen, um es fahruntauglich zu machen und auf diese Weise dessen Fahrer an einer weiteren Verfolgung zu hindern.<br />

Er unterrichtete die Angeklagte B. von seiner Absicht, die hiermit einverstanden war und ihm zur Ausführung<br />

seines Vorhabens eine Schusswaffe reichte. W. hatte zwischenzeitlich <strong>zum</strong> Überholen angesetzt. Als beide<br />

Fahrzeuge sich bei einer Geschwindigkeit von etwa 80 bis 90 km/h auf gleicher Höhe befanden, gab der Angeklagte<br />

A. in schneller Reihenfolge drei Schüsse auf das etwa 1,5 m entfernte Fahrzeug des Zeugen W. ab. Zwei<br />

Schüsse trafen, wobei die Projektile in einer Höhe von 97 und 118 cm jeweils die Karosserie durchschlugen, ohne<br />

jedoch W. zu verletzen. Die beiden Einschüsse führten nicht zu einer Fahrzeugerschütterung. Der Zeuge W. , der<br />

die auf sein Fahrzeug gerichtete Waffe gesehen und auch die Einschüsse akustisch wahrgenommen hatte, „fühlte<br />

sich nicht in seiner Fahrsicherheit beeinträchtigt“. Er ließ sich, auch weil sich zwischenzeitlich Gegenverkehr näherte,<br />

jedoch wieder hinter das Fahrzeug der Angeklagten zurückfallen. An dem Fahrzeug des Zeugen W. entstand<br />

durch den Einschlag der Projektile ein Sachschaden in Höhe von ca. 3.000 €.<br />

b) Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen eines vollendeten Delikts nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3<br />

StGB.<br />

aa) Der Tatbestand des § 315 b StGB ist dreistufig aufgebaut: Durch eine der in Abs. 1 bezeichneten Tathandlungen<br />

muss die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt und hierdurch eine konkrete Gefahr für eines der genannten<br />

Individualrechtsgüter begründet worden sein. Erforderlich ist danach, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für<br />

die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die sich zu einer konkreten Gefahr für eines der genannten Schutzobjekte<br />

verdichtet (BGHSt 48, 119, 122; BGH NStZ 2007, 34, 35). Regelmäßig werden hierbei der Eingriff und die Begründung<br />

der abstrakten Gefahr zeitlich dem Eintritt der konkreten Gefahr vorausgehen, etwa, wenn der Eingriff zu einer<br />

kritischen Verkehrssituation führt, durch die sodann eines der Schutzgüter konkret gefährdet wird (sog. „BeinaheUnfall“).<br />

Nach der Senatsrechtsprechung ist dies jedoch nicht zwingend (grundlegend BGHSt 48, 119, 122 ff.). Danach<br />

kann der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB in sämtlichen Handlungsalternativen auch dann erfüllt sein, wenn - wie<br />

hier - die Tathandlung (Abgabe des Schusses) unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung (Beschädigung<br />

des Kraftfahrzeugs) führt.<br />

bb) Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. Nicht jede Sachbeschädigung (oder auch Körperverletzung) im Straßenverkehr<br />

ist tatbestandsmäßig im Sinne des § 315 b StGB. Vielmehr gebietet der Schutzzweck des § 315 b StGB insoweit<br />

eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen<br />

Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden<br />

dürfen (BGHSt aaO S. 124). Dies ist der Fall, wenn die konkrete Gefahr - jedenfalls auch - auf die Wirkungsweise<br />

der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist.<br />

cc) Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die Verurteilung wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr<br />

nicht bestehen bleiben. Eine konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ (vgl. hierzu BGH NJW<br />

1995, 3131 f.) hat das Landgericht zu Recht nicht angenommen, da weder das Fahrverhalten noch die Fahrsicherheit<br />

des Zeugen W. durch die Schüsse in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden sind. Aber auch die Beschädigung<br />

des Kraftfahrzeuges durch die einschlagenden Projektile rechtfertigt hier entgegen der Auffassung des Landgerichts<br />

nicht die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Denn dieser Sachschaden steht in keinem<br />

relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik der Fahrzeuge <strong>zum</strong> Tatzeitpunkt, sondern ist ausschließlich auf die<br />

durch die Pistolenschüsse freigesetzte Dynamik der auftreffenden Projektile zurückzuführen. Er ist somit keine spezifische<br />

Folge des Eingriffs in die Sicherheit des Straßenverkehrs und muss daher bei der Bestimmung eines „bedeutenden“<br />

Sachschadens bzw. einer entsprechenden Gefährdung außer Betracht bleiben (vgl. BGHSt aaO S. 125).<br />

c) Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Angeklagten jedoch jeweils des versuchten gefährlichen Eingriffs<br />

in den Straßenverkehr schuldig gemacht. Zwar hat das Landgericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit<br />

einen (bedingten) Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz der Angeklagten feststellen können. Es liegt aber auf der<br />

Hand, dass die Angeklagten jedenfalls damit rechneten und dies auch billigend in Kauf nahmen, dass es durch die<br />

Schüsse zu einer kritischen Verkehrssituation und damit zu einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben des<br />

Zeugen W. und/oder des von ihm geführten Fahrzeugs kommen könnte. Der Senat ändert daher die Schuldsprüche<br />

entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die - im Wesentlichen<br />

geständigen - Angeklagten gegen den geänderten Schuldspruch wirksamer als geschehen hätten verteidigen<br />

können.<br />

2. Die Strafaussprüche werden durch die Änderungen der Schuldsprüche nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass<br />

das Landgericht, das die insoweit verhängten Strafen rechtsfehlerfrei dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entnommen<br />

hat, bei zutreffender Beurteilung des weiteren tateinheitlich verwirklichten Delikts nach § 315 b Abs. 1 Nr.<br />

3 StGB als Versuchstat auf geringere Einzelstrafen erkannt hätte.<br />

188


3. Der nur geringfügige Erfolg der Rechtsmittel gibt keinen Anlass, die Angeklagten auch nur teilweise von der<br />

Auferlegung von Kosten oder Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

StGB § 315c I Nr. 2a, StVO § 8, § 10 1 Zusammentreffen der Fahrlinien zweier Fahrzeuge<br />

BGH, Beschl. v . 20.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 396/08<br />

Wer beim Anfahren vom rechten Fahrbahnrand und Einfahren in den fließenden Verkehr grob<br />

verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt nicht beachtet, begeht einen Verstoß gegen § 10 Satz<br />

1 StVO, der dem fließenden Verkehr den Vorrang u.a. vor dem rechten Fahrbahnrand anfahrenden<br />

Fahrzeugen einräumt. Unter den Begriff Vorfahrt i.S.d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB<br />

fallen auch die Verkehrsvorgänge im öffentlichen Straßenverkehr, bei denen die Fahrlinien zweier<br />

Fahrzeuge (bei unveränderter Fahrweise) zusammentreffen oder einander gefährlich nahe kommen<br />

würden. Dazu gehören alle Fälle, in denen eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift einem Verkehrsteilnehmer<br />

den Fahrtvorgang einräumt (sog. erweiterter Vorfahrtbegriff<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere hält auch seine Verurteilung wegen vorsätzlicher<br />

Straßenverkehrsgefährdung, weil er beim Anfahren vom rechten Fahrbahnrand und Einfahren in den fließenden<br />

Verkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt nicht beachtet hat, rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar<br />

liegt hier keine Vorfahrtsverletzung im Sinne des § 8 StVO vor, sondern ein Verstoß gegen § 10 Satz 1 StVO, der<br />

dem fließenden Verkehr den Vorrang u.a. vor dem rechten Fahrbahnrand anfahrenden Fahrzeugen einräumt. Nach<br />

ständiger Rechtsprechung des Senats fallen aber unter den Begriff Vorfahrt im Sinne des § 315 c Abs. 1 Nr. 2<br />

Buchst. a StGB die Verkehrsvorgänge im öffentlichen Straßenverkehr, bei denen die Fahrlinien zweier Fahrzeuge<br />

(bei unveränderter Fahrweise) zusammentreffen oder einander gefährlich nahe kommen würden. Dazu gehören alle<br />

Fälle, in denen eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift einem Verkehrsteilnehmer den Fahrtvorgang einräumt (sog.<br />

erweiterter Vorfahrtbegriff; vgl. BGHSt 11, 219, 223; 13, 129, 134: jew. zu § 315 a Abs. 1 Nr. 4 StGB a.F.; VRS 38,<br />

100, 102: zu § 315 c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

189


StGB § 333 Unrechtsvereinbarung - Fall Utz Claassen (WM-Ticket-Affaire)<br />

BGH, Urt. v.1410.2008 - 1 StR 260/08 - NJW 2008, 3580; NStZ 2008, 688 Anmerkungen: Trüg, NJW <strong>2009</strong>, 196;<br />

Schlösser, wistra <strong>2009</strong>, 155; Hettinger, JZ <strong>2009</strong>, 370; Hamacher, DB 2008, 2747<br />

LS: 1. Die für eine Vorteilsgewährung nach § 333 Abs. 1 StGB erforderliche (angestrebte) Unrechtsvereinbarung<br />

setzt voraus, dass der Vorteilsgeber mit dem Ziel handelt, auf die künftige<br />

Dienstausübung des Amtsträgers Einfluss zu nehmen und/oder seine vergangene Dienstausübung zu<br />

honorieren, wobei eine solche dienstliche Tätigkeit nach seinen Vorstellungen nicht - noch nicht<br />

einmal in groben Umrissen - konkretisiert sein muss.<br />

2. Ob in diesem Sinne eine Unrechtsvereinbarung vorliegt, ist Tatfrage und unterliegt der wertenden<br />

Beurteilung des Tatgerichts, die regelmäßig im Wege einer Gesamtschau aller in Betracht<br />

kommenden Indizien zu erfolgen hat.<br />

3. In die Würdigung fließen als mögliche Indizien neben der Plausibilität einer anderen Zielsetzung<br />

namentlich ein: die Stellung des Amtsträgers und die Beziehung des Vorteilsgebers zu dessen<br />

dienstlichen Aufgaben (dienstliche Berührungspunkte), die Vorgehensweise bei dem Angebot, dem<br />

Versprechen oder dem Gewähren von Vorteilen (Heimlichkeit oder Transparenz) sowie die Art, der<br />

Wert und die Zahl solcher Vorteile.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Oktober 2008 für Recht „erkannt“ 2 :<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 28. November 2007 wird<br />

verworfen.<br />

2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der<br />

Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Vorteilsgewährung in sieben Fällen freigesprochen.<br />

Der hiergegen gerichteten Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen<br />

Rechts rügt, bleibt der Erfolg versagt.<br />

I. 1. Das Landgericht hat - für den Senat bindend - festgestellt:<br />

Der Angeklagte war Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns Energie Baden-Württemberg AG (fortan: EnBW).<br />

Bereits vor Aufnahme seiner Tätigkeit hatte die EnBW im Februar 2002 von der Fédération Internationale de Football<br />

Association (fortan: FIFA) Sponsoren- bzw. Werberechte für die im Jahre 2006 in Deutschland stattfindende<br />

Fußballweltmeisterschaft erworben. Die EnBW war Hauptsponsor der FIFA-WM 2006 und der einzige nationale<br />

Sponsor aus Baden-Württemberg. Im Rahmen von gemeinsamen Initiativen von Staat und Wirtschaft, an denen auch<br />

die Bundesregierung beteiligt war, entwickelte sich eine enge Kooperation der EnBW vor allem mit dem Land Baden-Württemberg.<br />

Bei Gesprächen mit dem Referat "Landesmarketing" des Staatsministeriums wurde vereinbart, die<br />

jeweiligen Einladungslisten für die Fußballweltmeisterschaft miteinander abzugleichen, um Doppeleinladungen zu<br />

vermeiden.<br />

Die Marketingabteilung der EnBW entwickelte ein Sponsoringkonzept. Hierzu gehörte ein Konzept zur Verteilung<br />

der ca. 14.000 Eintrittskarten, die der EnBW zur Verfügung standen. Dieses Einladungskonzept sah unter anderem<br />

vor, "einen kleinen Teil der Karten für Repräsentanten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Politik<br />

zu verwenden, um den Eingeladenen die Gelegenheit zu geben, ihre entsprechenden Institutionen zu präsentieren<br />

und repräsentieren, und zugleich durch das öffentliche Erscheinen angesehener und bekannter Persönlichkeiten die<br />

Rolle der EnBW als Hauptsponsor der Fußballweltmeisterschaft werbewirksam hervorzuheben" (UA S. 11). Geplant<br />

war, jedenfalls die hochrangigen Vertreter der Politik "zunächst" nicht in der Loge der EnBW, sondern "in erster<br />

Linie" im FIFA-Ehrenbereich unterzubringen, für den der EnBW ebenfalls Eintrittskarten zustanden. Zudem war<br />

vorgesehen, sämtliche Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierung Baden-Württemberg einschließlich<br />

der Staatssekretäre einzuladen.<br />

2<br />

190<br />

Anführungszeichen nur hier wegen des in dieser Entscheidung besonders deutlich werdenden (und nicht gelösten) Problems der Abgrenzung<br />

von Tat- und Rechtsfragen. RH


Am 20. Dezember 2005 unterzeichnete der Angeklagte als Vorstandsvorsitzender in Anwesenheit seiner persönlichen<br />

Referentin und zweier Sekretärinnen ca. 700 Weihnachtsgrußkarten. Adressaten waren Personen, deren Daten<br />

in der bei EnBW gepflegten VIP-Datei des Angeklagten gespeichert waren. "Entscheidend für die Aufnahme (einer<br />

Person) in die VIP-Datei war die persönliche Bekanntschaft <strong>zum</strong> Vorstandsvorsitzenden sowie die protokollarische<br />

Wertigkeit des Kontakts, nicht aber eine eventuelle dienstliche Relation <strong>zum</strong> Unternehmen" (UA S. 13). Auf den<br />

vorformulierten Grußkarten fügte der Angeklagte handschriftlich den jeweiligen Namen mit Anrede sowie seine<br />

Unterschrift ein, in einigen Fällen auch einige persönliche Worte. Bei etwa der Hälfte der Karten machten die drei<br />

Mitarbeiterinnen einen Vorschlag für ein Präsent, mit dem der Adressat bedacht werden sollte. Der Vorschlag erfolgte<br />

auf der Grundlage einer Präsentliste, welche die Mitarbeiterinnen gemeinsam mit der Leiterin der Protokollabteilung<br />

der EnBW erstellt hatten. Unter den Präsenten befanden sich mit dem offiziellen WM-Sponsorenlogo der<br />

EnBW versehene Gutscheine für Logenplätze bei einem Fußballweltmeisterschaftsspiel in Stuttgart oder Berlin. Eine<br />

Versendung der Eintrittskarten selbst war aufgrund der vom Veranstalter festgelegten Bedingungen noch nicht möglich.<br />

Die Gutscheine waren - so das Landgericht - "personengebunden und nicht übertragbar" (UA S. 13, 15); vorgesehen<br />

war, dass die Koordinierung und Abwicklung der Kartenvergabe über die Leiterin der Protokollabteilung der<br />

EnBW erfolgen sollte. Der Angeklagte stimmte dem aufgrund der Präsentliste gemachten Vorschlag der Mitarbeiterinnen<br />

in allen Fällen zu.<br />

Auf die beschriebene Art und Weise ließ der Angeklagte an 36 Personen mit den Weihnachtsgrußkarten WM-<br />

Gutscheine versenden, unter anderem - in den sieben verfahrensgegenständlichen Fällen - an den Ministerpräsidenten<br />

und fünf Minister des Landes Baden-Württemberg (für jeweils zwei Eintrittskarten) sowie an den beamteten<br />

Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit M. (für eine Eintrittskarte).<br />

Fünf Gutscheine waren für den Spielort Stuttgart, zwei Gutscheine für den Spielort Berlin ausgestellt. Wie das Urteil<br />

im Einzelnen ausführt, waren die Landesminister und ihre Ministerien im Rahmen ihrer Ressortzuständigkeit mit<br />

Angelegenheiten befasst, die für die Geschäftspolitik und den wirtschaftlichen Erfolg der EnBW oder den Angeklagten<br />

persönlich von erheblicher Bedeutung waren; Gleiches galt für das Bundesumweltministerium. Diese "Beziehungen"<br />

waren dem Angeklagten - wenn auch nicht im Detail - bekannt. Die Grußkarte an die Landesumweltministerin<br />

G. war mit dem handschriftlichen Zusatz "Vielen Dank für die stets exzellente Zusammenarbeit" versehen. Zu<br />

dem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte diese Worte niederschrieb, wusste er allerdings - nach den Feststellungen des<br />

Landgerichts - noch nicht, ob der Umweltministerin ein Präsent und gegebenenfalls welches ihr zugedacht war.<br />

Der Angeklagte handelte im Bewusstsein des - insofern noch offenen - Sponsoring- und Einladungskonzepts der<br />

EnBW, wobei ihm als Vorstandsvorsitzenden ein Gestaltungsspielraum zukam. Ihm war bekannt, dass die sieben<br />

verfahrensgegenständlichen Empfänger zu dem Personenkreis einzuladender hochrangiger Repräsentanten zählten.<br />

Nachdem in der Presse über die Versendung der Gutscheine berichtet worden war und die Staatsanwaltschaft Karlsruhe<br />

Mitte Februar 2006 ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet hatte, lehnte der badenwürttembergische<br />

Ministerpräsident mit Schreiben vom 2. März 2006 die Einladungen namens der Regierungsmitglieder<br />

ab. Obwohl dies im Sponsoringkonzept vorgesehen war, kam es ebenso wenig - auf Anraten des Verteidigers des<br />

Angeklagten - zur Einladung der anderen Regierungsmitglieder durch die EnBW wie <strong>zum</strong> Abgleich der Einladungslisten<br />

zwischen dieser und dem Land. Gleichfalls am 2. März 2006 zog Staatssekretär M. seine zunächst erteilte<br />

Zusage zurück.<br />

Sämtliche Mitglieder der Landesregierung hatten anderweitig freien Zugang mit Begleitung jedenfalls zu allen WM-<br />

Spielen in Stuttgart. Zur Verfügung standen ihnen Plätze sowohl in der Loge, die sich das Land mit dem Unternehmen<br />

Daimler-Chrysler teilte, als auch im FIFA-Ehrenbereich.<br />

Bereits am 31. Mai 2005 hatten die Minister des Landes Baden-Württemberg im Ministerrat einen Beschluss zur<br />

Annahme von Geschenken durch Regierungsmitglieder gefasst. Unter Nr. 4 war Folgendes festgehalten worden:<br />

"Ehrenkarten für Veranstaltungen, deren Besuch zu den Repräsentationspflichten eines Regierungsmitglieds gehört,<br />

sind nicht als Geschenke zu bewerten und unterfallen daher nicht der Genehmigungspflicht."<br />

2. Das Landgericht hat den Angeklagten "aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen" freigesprochen.<br />

Aus rechtlichen Gründen ist der Freispruch erfolgt, weil das Landgericht die Eintrittskarten nicht als Vorteil im Sinne<br />

von § 333 Abs. 1 StGB gewertet hat. Was die sechs Taten zugunsten der Mitglieder der Landesregierung betrifft,<br />

so hat es darüber hinaus den zuvor im Ministerrat gefassten Beschluss als eine Genehmigung im Sinne von § 333<br />

Abs. 3 StGB angesehen, die als Rechtfertigungsgrund zur Straflosigkeit führe. Auf tatsächlichen Gründen beruht der<br />

Freispruch dagegen insoweit, als sich das Landgericht nicht von einer "für die Tatbestandserfüllung (nach § 333 Abs.<br />

1 StGB) erforderliche(n) Unrechtsvereinbarung" hat überzeugen können (UA S. 51).<br />

II. 1. Die Verfahrensrügen dringen aus den vom Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vorgebrachten<br />

Gründen nicht durch.<br />

191


2. Der Freispruch von den Vorwürfen der Vorteilsgewährung in sieben Fällen hält sachlichrechtlicher Überprüfung -<br />

noch - stand.<br />

Die Strafkammer ist zwar zu Unrecht davon ausgegangen, es fehle schon an einem - vom Angeklagten angebotenen<br />

oder versprochenen - Vorteil im Sinne von § 333 Abs. 1 StGB (nachfolgend a). Rechtsfehlerhaft ist das Urteil auch<br />

insoweit, als sie den am 31. Mai 2005 im Ministerrat gefassten Beschluss als eine Genehmigung im Sinne von § 333<br />

Abs. 3 StGB angesehen hat (unten b). Soweit die Kammer zu dem Schluss gekommen ist, dem Angeklagten sei eine<br />

"Unrechtsvereinbarung" nicht nachzuweisen gewesen, ist dies dagegen im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden<br />

(unten c).<br />

a) Die Eintrittskarten für Fußballweltmeisterschaftsspiele in Stuttgart und Berlin, die der Angeklagte nach den Feststellungen<br />

sechs Mitgliedern der Landesregierung und dem Staatssekretär im Bundesumweltministerium anbot oder<br />

versprach, stellen Vorteile im Sinne von § 333 Abs. 1 StGB dar.<br />

Unter einem Vorteil ist jede Leistung zu verstehen, auf die der Amtsträger keinen Anspruch hat und die seine wirtschaftliche,<br />

rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert (vgl. nur BGHSt 47, 295, 304; BGH NStZ<br />

2008, 216, 217; NStZ-RR 2007, 309, 310). Besser gestellt wird der Amtsträger vor allem durch materielle Zuwendungen<br />

jeder Art. Hierzu zählen auch Eintrittskarten für regulär entgeltpflichtige Veranstaltungen, da solche Karten<br />

einen Vermögenswert haben (vgl. Korte in MüKo-StGB § 331 Rdn. 62).<br />

aa) Dass die vom Angeklagten bedachten Mitglieder der Landesregierung nach den Feststellungen ohnehin freien<br />

Zugang "mit Begleitung jedenfalls" zu allen Weltmeisterschaftsspielen in Stuttgart hatten (UA S. 41), hat auf die<br />

Bewertung der für diesen Spielort vorgesehenen Eintrittskarten als Vorteil keinen Einfluss. Insoweit gilt: Wird dem<br />

Amtsträger oder Dritten ein geldwerter Vorteil angeboten, versprochen oder gewährt, so ist es von vornherein unbeachtlich,<br />

wenn der Begünstigte einen vergleichbaren Vorteil auch auf eine andere Art und Weise erlangen kann. Auf<br />

derartige hypothetische Erwägungen kommt es grundsätzlich nicht an (vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2001, 907,<br />

908). Sie können allenfalls für die subjektive Wertschätzung durch den Begünstigten und damit für die (angestrebte)<br />

Unrechtsvereinbarung von Bedeutung sein. Identisch waren die Vorteile, die der Angeklagte anbot oder versprach,<br />

und diejenigen, die den Mitgliedern der Landesregierung ohnehin zustanden, hier nicht. Denn es handelte sich in<br />

jedem der Fälle um zweierlei Eintrittskarten für verschiedene Zuschauerplätze. Insbesondere was die "EnBW-Loge"<br />

einerseits und "Landesloge" andererseits betrifft, liegt dies auf der Hand, <strong>zum</strong>al der Aufenthalt in der "EnBW-Loge"<br />

die Bewirtung vorsah, während entsprechende Feststellungen für die "Landesloge" nicht getroffen sind.<br />

All dies gilt entsprechend in Bezug auf den Staatssekretär M. . Auf seine - rein hypothetischen - Angaben als<br />

Zeuge, er hätte "Karten zu WM-Spielen bekommen, wenn er sich in seiner Eigenschaft als Staatssekretär darum<br />

bemüht hätte" (UA S. 42), kommt es erst recht nicht an.<br />

bb) Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Kammer, es sei schon deswegen kein Vorteil gegeben, weil die<br />

Eintrittskarten den Begünstigten lediglich die Ausübung der dienstlichen Aufgabe ermöglichen sollten, das Land<br />

bzw. den Bund in der Öffentlichkeit zu repräsentieren (UA S. 50).<br />

Zwar hat die Kammer die Wahrnehmung von Repräsentationsaufgaben zu Recht zu den Dienstpflichten von Regierungsmitgliedern,<br />

auch von Staatssekretären gezählt (vgl. UA S. 35 f.). Dies nimmt den in Aussicht gestellten Eintrittskarten<br />

jedoch nicht den Vorteilscharakter. Auf die im Schrifttum teilweise vertretene Meinung, ein Vorteil ergebe<br />

sich nicht schon daraus, dass dem Amtsträger lediglich die zur Dienstausübung erforderlichen Mittel zur Verfügung<br />

gestellt würden (so etwa Fischer, StGB 55. Aufl. § 331 Rdn. 12; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 331 Rdn. 5,<br />

jew. unter Bezugnahme auf OLG Zweibrücken NStZ 1982, 204: kostenloses Benzin an Polizeibeamten für Ermittlungen<br />

in der Freizeit; a.A. etwa Heine in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 331 Rdn. 28 und Korte in MüKo-<br />

StGB § 331 Rdn. 94, denen zufolge dies ausschließlich im Rahmen der sog. Unrechtsvereinbarung zu berücksichtigen<br />

ist), kommt es dabei nicht an. Ob für den Vorteilsbegriff in § 333 Abs. 1 StGB überhaupt eine derartige Ausnahme<br />

zu machen ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn hier sollten die Eintrittskarten für die Mitglieder<br />

der Landesregierung und ihre Begleitpersonen sowie für den Staatssekretär M. nicht nur einen solchen dienstlichen<br />

Nutzen haben. Die beabsichtigten geldwerten Zuwendungen dienten vielmehr gerade der Befriedigung persönlicher<br />

Interessen, die mit dem unmittelbaren Erleben eines Weltmeisterschaftsspiels im Stadion verbunden sind. Dies<br />

sah auch der Angeklagte so, aus dessen Sicht es "Sinn der Präsentversendung (war), zu Weihnachten eine Freude zu<br />

machen, mit den Gutscheinen insbesondere die Vorfreude auf die Fußball-WM … zu wecken" (UA S. 23).<br />

b) Soweit die Strafkammer den am 31. Mai 2005 im Ministerrat gefassten Beschluss als eine Genehmigung im Sinne<br />

von § 333 Abs. 3 StGB angesehen hat, tragen die insoweit unzureichenden Feststellungen die rechtliche Wertung<br />

nicht:<br />

Es liegt schon nicht fern, dass mit dem in dem Beschluss verwendeten Begriff "Ehrenkarten" nur solche Karten gemeint<br />

sind, die von dem Veranstalter selbst - für seine "Ehrengäste" - zur Verfügung gestellt werden. Ferner könnte<br />

192


die nur auszugsweise wiedergegebene Regelung dahin zu verstehen sein, dass auf die dienstrechtliche Nichtgenehmigungsbedürftigkeit<br />

bestimmter als strafrechtlich unbedenklich angesehener Vorteile - hier "Ehrenkarten" - hingewiesen<br />

wird (vgl. dazu Korte aaO Rdn. 168); hierfür spricht der Wortlaut der Regelung ("unterfallen … nicht der<br />

Genehmigungspflicht" anstatt "werden generell genehmigt"). Dann wäre die Vorfrage der Strafbarkeit losgelöst von<br />

dieser Regelung zu beurteilen. Im Übrigen versteht sich auch nicht von selbst, dass die Regelung besagt, die bedachten<br />

Regierungsmitglieder dürften solche "Ehrenkarten" in jedem Fall - unabhängig von den konkreten protokollarischen<br />

Pflichten - zudem für eine Begleitperson annehmen.<br />

c) Die Auffassung des Landgerichts, "eine für die Tatbestandserfüllung (nach § 333 Abs. 1 StGB) erforderliche Unrechtsvereinbarung<br />

(sei) nicht nachzuweisen", hält hingegen revisionsrechtlicher Prüfung stand. Dass das Landgericht<br />

sich nicht von der notwendigen inhaltlichen Verknüpfung zwischen dem angebotenen oder versprochenen Vorteil<br />

und der Dienstausübung zu überzeugen vermocht hat, also davon, dass der Angeklagte - so der Wortlaut des §<br />

333 Abs. 1 StGB - jeweils den Vorteil "für die Dienstausübung" anbot oder versprach, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.<br />

aa) Für die Frage, wie der Gesetzeswortlaut insoweit auszulegen ist, gibt die Gesetzgebungsgeschichte wichtige<br />

Hinweise. Das am 20. August 1997 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997<br />

(BGBl I 2038) hat zwar die Anforderungen an die Unrechtsvereinbarung, die Kernstück aller Bestechungsdelikte ist,<br />

für die Vorteilsgewährung nach § 333 Abs. 1 StGB ebenso wie für die Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB<br />

herabgesetzt, aber nicht aufgegeben:<br />

Nach seiner alten Fassung hatte der Tatbestand der Vorteilsgewährung vorausgesetzt, dass der Vorteil "Gegenleistung<br />

dafür (sein soll), daß er (der Amtsträger) eine in seinem Ermessen stehende Diensthandlung künftig vornehme";<br />

dementsprechend war Bezugspunkt der Unrechtsvereinbarung die einzelne - <strong>zum</strong>indest ihrem sachlichen Gehalt nach<br />

grob umrissene (vgl. BGH NStZ 1999, 561 m.w.N.) - Diensthandlung. Nunmehr genügt es, wenn ein Vorteil "für die<br />

(vergangene oder künftige) Dienstausübung" im Allgemeinen angeboten, versprochen oder gewährt wird.<br />

Die Neufassung der Tatbestände der Vorteilsannahme und der Vorteilsgewährung führt dazu, dass der Anwendungsbereich<br />

dieser Strafnormen nun auch in größerem Umfang eröffnet ist, wenn Amtsträger höherer Ebenen mit breit<br />

gefächerten Entscheidungsspielräumen betroffen sind (vgl. BTDrucks. 16/4333 S. 2; Korte in MüKo-StGB § 331<br />

Rdn. 99). Zuvor galt: Je weiter sich der Aufgabenbereich des Amtsträgers darstellte, umso schwieriger war die Zuordnung<br />

des Vorteils zu einer bestimmten oder <strong>zum</strong>indest bestimmbaren Diensthandlung (vgl. BGH NStZ 1999,<br />

561). Anliegen der Erweiterung der Tatbestände war gerade auch, Beweisschwierigkeiten zu beseitigen, die mit dem<br />

Erfordernis der Bestimmbarkeit der Diensthandlung verbunden waren. Ferner sollte die Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme<br />

und Vorteilsgewährung auf von den Vorschriften in der bisherigen Fassung nicht erfasste Fälle (vgl.<br />

BGHSt 47, 295, 307; BGH NJW 2003, 763, 765 m.w.N. [insoweit in BGHSt 48, 44 nicht abgedr.]) erstreckt werden,<br />

in denen durch einen Vorteil nur das generelle Wohlwollen und die Geneigtheit des Amtsträgers erkauft (vgl.<br />

BTDrucks. 13/8079 S. 15) bzw. "allgemeine Klimapflege" betrieben wird (BGHSt 49, 275, 281; BGH NStZ 2008,<br />

216, 217; NStZ-RR 2007, 309, 310).<br />

Andererseits hat der Gesetzgeber bei der Neufassung der §§ 331, 333 StGB prinzipiell an dem Erfordernis einer<br />

(angestrebten) Unrechtsvereinbarung bewusst festgehalten. Für die Auslegung der Tatbestände ist von Bedeutung,<br />

dass der weiter reichende Vorschlag im Bundesratsentwurf eines Korruptionsbekämpfungsgesetzes vom 18. Dezember<br />

1995 (BTDrucks. 13/3353) nicht Gesetz wurde (vgl. BRDrucks. 483/97). Dieser hatte - beruhend auf einem Gesetzesantrag<br />

des Landes Berlin vom 24. Mai 1995 (BRDrucks. 298/95) - vorgesehen, auf die Unrechtsvereinbarung<br />

gleichsam zu verzichten und die Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme und -gewährung davon abhängig zu machen,<br />

dass dem Amtsträger ein Vorteil "im Zusammenhang mit seinem Amt" zugewendet werden soll. Auch dies sollte<br />

gewährleisten, dass Handlungen - wie etwa das sog. "Anfüttern" - erfasst werden, die dazu dienen, das generelle<br />

Wohlwollen und die Geneigtheit des Amtsträgers zu sichern (vgl. BRDrucks. 298/95 S. 9; BTDrucks. 13/3353 S.<br />

11). Ein die Strafbarkeit begründender Zusammenhang mit dem Amt sollte immer dann gegeben sein, "wenn die<br />

zuwendende Person sich davon leiten lässt, daß der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat"<br />

(BTDrucks. aaO). Die Bundesregierung und der Rechtsausschuss des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages hatten gegen den Entwurf<br />

– neben Abgrenzungsschwierigkeiten – eingewandt, dass durch die vorgesehene Erweiterung der Tatbestände<br />

"ein breites Spektrum nicht strafwürdiger Handlungen grundsätzlich in die Strafbarkeit einbezogen würde"<br />

(BTDrucks. 13/6424 S. 13; 13/8079 S. 15). Dementsprechend hat die Bundesregierung in jüngerer Zeit nochmals<br />

klargestellt, dass "auch nach der heute gültigen Fassung der §§ 331 und 333 StGB feststehen (müsse), dass der Vorteil<br />

überhaupt für dienstliche Handlungen angenommen oder gewährt" worden sei (BTDrucks. 16/4333 S. 5 f.).<br />

bb) Vor diesem Hintergrund sind für den Tatbestand der Vorteilsgewährung nach § 333 Abs. 1 StGB an die inhaltliche<br />

Verknüpfung von Vorteil und Dienstausübung folgende Anforderungen zu stellen:<br />

193


Zwischen dem Vorteil und der Dienstausübung muss ein "Gegenseitigkeitsverhältnis" in dem Sinne bestehen, dass<br />

der Vorteil nach dem (angestrebten) ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis der Beteiligten seinen<br />

Grund gerade in der Dienstausübung hat (vgl. BGH NJW 2005, 3011, 3012 m.w.N.). Dies erfordert, dass Ziel der<br />

Vorteilszuwendung ist, auf die künftige Dienstausübung Einfluss zu nehmen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 309, 310 f.)<br />

und/oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren (ähnlich Fischer, StGB 55. Aufl. § 331 Rdn. 23). In diesem<br />

allgemeinen Sinne muss der Vorteil somit nach wie vor Gegenleistungscharakter haben (vgl. Korte in MüKo-StGB §<br />

331 Rdn. 94; ferner Dölling, Gutachten für den 61. <strong>Deutsche</strong>n Juristentag [1996] C 64 f., an dessen Vorschlag die<br />

Neufassung der §§ 331, 333 StGB angeknüpft hat [vgl. BTDrucks. 13/8079 S. 15]). Unter Dienstausübung ist dabei<br />

grundsätzlich jede dienstliche Tätigkeit zu verstehen. Diese muss nach den Vorstellungen der Beteiligten nicht -<br />

noch nicht einmal in groben Umrissen - konkretisiert sein; daher genügt es, wenn der Wille des Vorteilsgebers auf<br />

ein generelles Wohlwollen bezogen auf künftige Fachentscheidungen gerichtet ist, das bei Gelegenheit aktiviert<br />

werden kann.<br />

Ob der Vorteilsgeber ein solches von § 333 Abs. 1 StGB pönalisiertes oder ein anderes Ziel verfolgt, ist Tatfrage.<br />

Die Grenzbestimmung hat in wertender Beurteilung zu erfolgen, die mit oftmals schwierigen Beweisfragen einhergeht.<br />

Pauschale Bewertungen in Anlehnung an Begrifflichkeiten wie "allgemeine Klimapflege" oder "Anfüttern"<br />

verbieten sich dabei (vgl. Korte aaO Rdn. 100; ferner Dölling ZStW 112 [2000] 334, 344 mit differenzierenden Erwägungen<br />

zur korruptiven Erscheinungsform des "Anfütterns"). Vielmehr ist die Abgrenzung nach den fallbezogenen<br />

Umständen - insbesondere der gesamten Interessenlage der Beteiligten - vorzunehmen.<br />

Als mögliche Indizien für oder gegen das Ziel, mit dem Vorteil auf die künftige Dienstausübung Einfluss zu nehmen<br />

oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren, fließen neben der Plausibilität einer anderen - behaupteten oder<br />

sonst in Betracht kommenden - Zielsetzung in die wertende Beurteilung namentlich ein: die Stellung des Amtsträgers<br />

und die Beziehung des Vorteilsgebers zu dessen dienstlichen Aufgaben, die Vorgehensweise bei dem Angebot, dem<br />

Versprechen oder dem Gewähren von Vorteilen sowie die Art, der Wert und die Zahl solcher Vorteile. So können<br />

etwa dienstliche Berührungspunkte zwischen Vorteilsgeber und Amtsträger ebenso in Ausschlag gebender Weise für<br />

eine Unrechtsvereinbarung sprechen, wie die Heimlichkeit des Vorgehens (BGH NStZ 2008, 216, 218; NStZ-RR<br />

2007, 309, 310 f.; im Hinblick auf dienstliche Berührungspunkte im Ergebnis auch BGH NStZ 2005, 334, 335; zur<br />

Heimlichkeit vgl. ferner BGHSt 48, 44, 51). Vorzunehmen ist jedoch regelmäßig eine Gesamtschau aller Indizien<br />

(vgl. BGH NStZ 2008 aaO; NStZ-RR aaO 311).<br />

Das bedeutet auch, dass die Strafbestimmung der Vorteilsgewährung nicht schon dadurch unanwendbar wird, dass<br />

eine (angestrebte) Unrechtsvereinbarung in sozialadäquate Handlungen - wie die Durchführung eines für sich gesehen<br />

in strafrechtlicher Hinsicht gänzlich unverdächtigen Sponsoringkonzepts - eingebunden wird. Auch in diesem<br />

Fall ist maßgeblich, wie sich das Vorgehen aufgrund der gesamten Umstände, unter denen es geschieht, darstellt.<br />

Der Senat ist sich bewusst, dass das Merkmal der Unrechtsvereinbarung nach der hier vorgenommenen Auslegung<br />

im Randbereich kaum trennscharfe Konturen aufweist; dies kann zu Beweisschwierigkeiten führen und räumt dem<br />

Tatrichter eine beträchtliche Entscheidungsmacht ein. Diese Auslegung trägt jedoch dem Willen des Gesetzgebers<br />

Rechnung. In ihr spiegelt sich der Kompromisscharakter der durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13.<br />

August 1997 reformierten Regelung wider, die über die alte Rechtslage hinausgeht, aber hinter dem weitergehenden<br />

Vorschlag des Bundesrats zurückbleibt, die Strafbarkeit allein an die Amtsbezogenheit der Vorteilszuwendung zu<br />

knüpfen (siehe oben aa). Inwieweit ein derartiger Vorschlag in Verbindung mit einer weitgehenden, Transparenz<br />

gewährleistenden Anzeige- oder Genehmigungslösung (vgl. den Vorschlag von T. Schäfer/Liesching ZRP 2008,<br />

173, 175 f.) sachgerechter gewesen wäre, hat der Senat indessen nicht zu entscheiden.<br />

cc) Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben ist die Beweiswürdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.<br />

Das Landgericht ist von einem zutreffenden rechtlichen Ansatz ausgegangen. Zwar ist die Formulierung, eine Unrechtsvereinbarung<br />

sei nicht nachzuweisen gewesen, missverständlich. § 333 Abs. 1 StGB setzt nämlich in der Tathandlungsvariante<br />

des Anbietens nicht voraus, dass es tatsächlich zu einer "Unrechtsvereinbarung" kommt; vielmehr<br />

reicht aus, dass das Angebot auf eine solche Übereinkunft gerichtet ist (vgl. BGH NStZ 2000, 439 f.; 2008, 33, 34;<br />

entsprechend für die Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB in der Tathandlungsalternative des Forderns eines<br />

Vorteils BGH NStZ 2006, 628, 629). Dass das Landgericht dies nicht verkannt hat, geht jedoch aus dem Urteil - trotz<br />

der missverständlichen Formulierung - eindeutig hervor. Denn die Beweiswürdigung befasst sich namentlich damit,<br />

welches Ziel der Angeklagte mit der Gutscheinversendung verfolgte.<br />

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, die Feststellung der (angestrebten) Unrechtsvereinbarung setze den<br />

Nachweis voraus, dass "die Zuwendung der Gutscheine ihren Grund gerade in der Dienstausübung hatte bzw. die<br />

Dienstausübung als Gegenleistung (mit-)bestimmender Beweggrund" für die Zuwendung war. Dabei hat es zu Recht<br />

angenommen, dass unter Dienstausübung in diesem Zusammenhang allein die Fachentscheidungen der bedachten<br />

194


Amtsträger zu verstehen sind. Dagegen genügt es insoweit nicht, dass der Angeklagte Einfluss auf die dienstliche<br />

Aufgabe der Repräsentation nehmen wollte, da der Vorteil hierfür keinen Gegenleistungscharakter hat, sondern nur<br />

Mittel zur Erfüllung dieser Aufgabe sein sollte (vgl. Korte in MüKo-StGB § 331 Rdn. 94; ferner BGH NStZ-RR<br />

2003, 171, 172).<br />

Bei der "einzelfallbezogene(n) Betrachtung" hat das Landgericht "nach einer Gesamtschau sämtlicher Umstände die<br />

… Möglichkeit nicht ausgeschlossen …, dass die Zuwendung einen (sachlich gerechtfertigten) anderen Beweggrund<br />

als den der Beeinflussung der Dienstausübung hat". Einen solchen anderen Beweggrund hat das Landgericht darin<br />

gesehen, dass, indem den Empfängern der Gutscheine die Gelegenheit zur Repräsentation bei der Fußballweltmeisterschaft<br />

gegeben werden sollte, ihr Erscheinen "zu Werbezwecken genutzt" werden sollte, um die Veranstaltung<br />

aufzuwerten und die Rolle der EnBW als Sponsor der Veranstaltung hervorzuheben (UA S. 52). Davon, dass der<br />

Angeklagte das Ziel verfolgte, die Empfänger - "gewissermaßen unter dem 'Deckmantel' Sponsoring/Repräsentation"<br />

- geneigt zu machen, bei der Dienstausübung zugunsten der EnBW zu handeln, hat sich das Landgericht hingegen<br />

nicht zu überzeugen vermocht.<br />

Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei mit den relevanten Indizien auseinandergesetzt und bei seiner Entscheidung<br />

insbesondere folgende Umstände berücksichtigt:<br />

– Zwischen den sieben Gutscheinempfängern - allesamt Personen mit weit reichenden Entscheidungskompetenzen -<br />

und der EnBW bestanden dienstliche Berührungspunkte. Das Landgericht hat aber auch festgestellt, dass der Angeklagte<br />

die Auswahl der Empfänger nicht gezielt nach diesem Kriterium vornahm: "Entscheidend für die Aufnahme<br />

(einer Person) in die VIP-Datei war die persönliche Bekanntschaft <strong>zum</strong> Vorstandsvorsitzenden sowie die protokollarische<br />

Wertigkeit des Kontakts, nicht aber eine eventuelle dienstliche Relation <strong>zum</strong> Unternehmen" (UA S. 13). Der<br />

Indizwert der dienstlichen Berührungspunkte wird zudem dadurch stark relativiert, dass der Angeklagte - so die<br />

Feststellungen des Landgerichts - im Bewusstsein des insofern noch offenen Sponsoring- und Einladungskonzepts<br />

der EnBW handelte (UA S. 42 f.). Das Konzept sah, wie der Angeklagte wusste, vor, sämtliche Mitglieder der Bundesregierung<br />

und der Landesregierung Baden-Württemberg einschließlich der Staatssekretäre einzuladen (UA S. 12,<br />

35). Der Angeklagte handelte demnach - revisionsrechtlich nicht angreifbar - in der Vorstellung, dass die nicht mit<br />

den Weihnachtsgrußkarten bedachten Regierungsmitglieder später noch Eintrittskarten erhalten würden. Dass das<br />

Einladungskonzept nachher nicht weiter verfolgt wurde, war durch die Einleitung des Ermittlungsverfahrens Mitte<br />

Februar 2006 veranlasst, der entsprechende Presseberichte vorausgegangen waren (UA S. 24).<br />

– Hinsichtlich der Vorgehensweise hat das Landgericht im Fall der an die baden-württembergische Umweltministerin<br />

G. versandten Weihnachtsgrußkarte gesehen, dass der handschriftliche Zusatz "Vielen Dank für die stets<br />

exzellente Zusammenarbeit" Indizwert für eine angestrebte Unrechtsvereinbarung haben könnte. Diesbezüglich hat<br />

das Landgericht freilich insbesondere - für den Senat bindend - festgestellt, dass der Angeklagte zu dem Zeitpunkt,<br />

zu dem er diese Worte niederschrieb, noch nicht wusste, ob der Umweltministerin überhaupt ein Präsent und gegebenenfalls<br />

welches ihr zugedacht war (UA S. 28, 38 f., 47).<br />

– Im Übrigen war die Vorgehensweise des Angeklagten nach der Wertung des Landgerichts nicht durch Verschleierung<br />

bzw. Heimlichkeit geprägt: Die Gutscheine wurden an die dienstlichen Adressen der Empfänger versandt (UA<br />

S. 44) und waren mit dem offiziellen WM-Sponsorenlogo der EnBW versehen (UA S. 13). Die Einladungen wären<br />

im Rahmen des geplanten Abgleichs der Einladungslisten zwischen der EnBW und dem Land Baden-Württemberg<br />

offen zu legen gewesen; nicht zuletzt hätte das öffentliche Auftreten der Empfänger als Gast des WM-Sponsors<br />

EnBW insoweit "Transparenz" bewirkt (UA S. 44).<br />

– Zur Beschaffenheit der Vorteile hat das Landgericht <strong>zum</strong> einen festgestellt, dass die Gutscheine "personengebunden<br />

und nicht übertragbar" waren (UA S. 13, 15). Zum anderen war, jedenfalls was die WM-Spiele in Stuttgart betrifft,<br />

für die Mitglieder der Landesregierung Baden-Württemberg der Wert der Eintrittskarten - unbeschadet der im<br />

Einzelnen schwierigen Berechnung - subjektiv gemindert. Denn die Mitglieder der Landesregierung hatten ohnehin<br />

freien Zugang "mit Begleitung jedenfalls" zu allen WM-Spielen in Stuttgart (UA S. 41).<br />

Bei alledem hat das Landgericht darüber hinaus erkennbar im Blick gehabt, dass es sich bei der Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 um ein einzigartiges sportliches Großereignis für die Bundesrepublik Deutschland handelte, das mit<br />

einer Kooperation zwischen "höchster" Politik und Wirtschaft einherging. Eine organisierte Zusammenarbeit wurde<br />

von der Bundesregierung offiziell gefördert und entspricht bei derartigen Ereignissen weltweiten Gepflogenheiten.<br />

dd) Die gegen die Beurteilung durch das Landgericht gerichteten Beanstandungen der Revision greifen nicht durch.<br />

(1) Soweit die Revision die Beweiswürdigung angreift, indem sie - im Kern ihrer Ausführungen - einzelne Feststellungen<br />

anzweifelt, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf.<br />

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Trifft er aufgrund der in der Hauptverhandlung angefallenen Erkenntnisse<br />

Feststellungen oder kann er wegen verbleibender Zweifel keine Feststellungen treffen, so ist dies durch<br />

195


das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Im Grundsatz gilt, dass allein das, was der Tatrichter festgestellt hat,<br />

bei der revisionsrechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen ist. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht<br />

Erkenntnisse anders gewürdigt oder dem Tatrichter verbleibende Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht<br />

einmal dann etwas, wenn dem Revisionsgericht vom Tatrichter getroffene Feststellungen "lebensfremd" erscheinen.<br />

Im Strafprozess gibt es keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Tatrichters, sondern<br />

auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (vgl. Senatsurt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07 - Rdn.<br />

18 m.w.N.).<br />

Anderes gilt nur dann, wenn die Beweiswürdigung Rechtsfehler, etwa Lücken, Widersprüche, Unklarheiten oder<br />

Verstöße gegen die Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze, aufweist. Solche Rechtsfehler sind hier nicht<br />

ersichtlich. Insbesondere beruhen die Feststellungen auch auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage, indem sie durch<br />

im Einzelnen benannte Beweismittel, namentlich durch die Angaben von Zeugen, belegt sind.<br />

Näherer Betrachtung bedarf insoweit nur die festgestellte - von der Leiterin der Protokollabteilung der EnBW zeugenschaftlich<br />

bestätigte (UA S. 37) - Personengebundenheit und Nichtübertragbarkeit der Gutscheine:<br />

Diese Feststellung wird nach dem oben Gesagten durch die in der Antragsschrift der Bundesanwaltschaft vom 17.<br />

Juni 2008 enthaltenen Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe nicht in Frage gestellt. Das gilt sowohl<br />

für die Erwägung, dass auf den Gutscheinen - Gegenteiliges ist nicht festgestellt - der jeweilige Empfänger nicht<br />

bezeichnet gewesen sein dürfte, als auch für diejenige, dass die Personengebundenheit und Nichtübertragbarkeit<br />

"sich nicht von selbst versteht", nach Auffassung des Senats sogar wenig lebensnah anmutet. Die Feststellung scheint<br />

zwar deswegen zu kurz zu greifen, weil, wie die Generalstaatsanwaltschaft weiter ausgeführt hat, die Identität der<br />

zweiten (Begleit-)Person offen war und augenscheinlich von den näheren Angaben des Gutscheinempfängers abhing.<br />

Deshalb ist in Betracht zu ziehen, dass die zweite Eintrittskarte einer Person hätte zugute kommen können, die über<br />

das Kartenkontingent des Landes Baden-Württemberg nicht hätte begünstigt werden können. Ob, wie die Verteidigung<br />

in ihrem Schriftsatz vom 12. August 2008 (S. 20) geltend gemacht hat, in einem protokollarischen Sinne mit<br />

Begleitperson nur der Ehe- oder Lebenspartner des hochrangigen Amtsträgers gemeint gewesen sein könnte, kann<br />

der Senat jedoch offen lassen. In Anbetracht der übrigen Umstände kann er jedenfalls ausschließen, dass - nach der<br />

Beurteilung des Landgerichts - derartige als eher nebensächlich einzustufende Erwägungen zur Begleitperson für das<br />

Handeln des Angeklagten (mit-)bestimmend waren.<br />

(2) Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin, das Landgericht habe die für die (angestrebte)<br />

Unrechtsvereinbarung sprechenden Indizien verkannt. Insbesondere hat es sich mit dem Beweiswert der dienstlichen<br />

Berührungspunkte auseinander gesetzt; des Weiteren hat es den Umstand berücksichtigt, dass die Gutscheinversendung<br />

nicht vorgesehener Teil des Sponsoring- und Einladungskonzepts war, sondern aufgrund einer autonomen<br />

Entscheidung des Angeklagten gleichsam im willkürlichen Vorgriff hierauf erfolgte und erst später mit diesem abgestimmt<br />

werden sollte. Schließlich hat das Landgericht - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - die Gutscheinversendung<br />

nicht als transparente Vorgehensweise bewertet; vielmehr hat es lediglich ein auf Verschleierung<br />

oder Heimlichkeit gerichtetes Vorgehen des Angeklagten verneint.<br />

Die den Angeklagten erheblich belastenden Indizien mögen berechtigten Anlass dazu gegeben haben, gegen ihn<br />

Anklage zu erheben und sodann wegen der noch ungesicherten Rechtslage eine höchstrichterliche Entscheidung<br />

herbeizuführen. Dass sich das Landgericht trotz dieser belastenden Indizien nicht davon hat überzeugen können, dass<br />

der Angeklagte die Versendung der Gutscheine veranlasste, um etwaige dienstliche Tätigkeiten der bedachten Amtsträger<br />

zu honorieren oder zu beeinflussen, ist jedoch - gemäß dem oben Gesagten - nach revisionsrechtlichen Maßstäben<br />

hinzunehmen. Dass eine gegenteilige Überzeugung möglicherweise ebenso revisionsrechtlich unbeanstandet<br />

geblieben wäre, ändert hieran nichts.<br />

StGB § 356 II Parteiverrat selbe Rechtssache<br />

BGH, Beschl. v. 04.11.2008 – 4 StR 195/08 - wistra <strong>2009</strong>, 113<br />

Ausschlaggebend für die Frage, ob ein Tätigwerden "dieselbe Rechtssache" i.S.d. Parteiverratstatbestandes<br />

betrifft und es sich auch nur um eine Tat handelt, ist der sachlichrechtliche Inhalt der<br />

durch das Mandat anvertrauten Interessen. Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt hierfür bildet<br />

das dem Täter anvertraute materielle Rechtsverhältnis in seinem gesamten tatsächlichen und recht-<br />

196


lichen Gehalt. Dient der Täter in derselben Sache mehrfach pflichtwidrig derselben Partei, so liegt<br />

danach auch dann eine tatbestandliche Handlungseinheit vor, wenn der Täter in mehreren, zeitlich<br />

gestreckten Akten handelt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. März 2007<br />

a) im Schuldspruch hinsichtlich der Fälle C II. Taten 1 und 18 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte<br />

insoweit des schweren Parteiverrats in Tateinheit mit Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug schuldig ist,<br />

b) im Schuldspruch im Übrigen – insoweit unter Aufrechterhaltung der Feststellungen – sowie im gesamten Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Parteiverrats, Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug in vier Fällen, davon in einem Fall<br />

tateinheitlich mit Parteiverrat, sowie wegen Beihilfe <strong>zum</strong> versuchten Betrug in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; ferner hat es gegen den Angeklagten<br />

zugleich gemäß § 41 StGB auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro erkannt. Gegen dieses<br />

Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung<br />

sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang<br />

Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils bedarf hinsichtlich der Fälle C II. Taten 1 und 18 der Urteilsgründe<br />

der Änderung, weil das Landgericht insoweit rechtsfehlerhaft von zwei tatmehrheitlichen Fällen des Parteiverrats<br />

ausgegangen ist.<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts zu diesen Taten hat der Angeklagte den Parteiverrat dadurch begangen,<br />

dass er in Kollusion mit dem gesondert abgeurteilten Volker H. gegen den Zeugen P. in der Weise vorging, dass<br />

er als Anwalt ihn zunächst dahin beriet, gegen die H. KG eine Musterklage zu erheben, sodann jedoch - ohne P.<br />

von dem Parteiwechsel zu informieren - H. dabei unterstützte, P. beim Amtsgericht Essen-Steele mit Erfolg zu<br />

verklagen, er dann zwar die Einlegung der Berufung gegen das obsiegende Urteil veranlasste, anschließend aber<br />

daran mitwirkte, dass H. - wiederum ohne Rücksprache mit P. - die Berufung zurücknahm, obwohl er, der<br />

Angeklagte, inzwischen erkannt hatte, dass das Urteil von H. betrügerisch erstritten worden war. Bei dieser Sachlage<br />

liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts nur eine einheitliche Tat des (schweren) Parteiverrats (§ 356<br />

Abs. 1 und 2 StGB) in Tateinheit mit Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug vor. Ausschlaggebend für die Frage, ob ein Tätigwerden<br />

"dieselbe Rechtssache" im Sinne des Parteiverratstatbestandes betrifft und es sich nur um eine Tat handelt, ist der<br />

sachlichrechtliche Inhalt der durch das Mandat anvertrauten Interessen (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht<br />

Besonderer Teil Teilband II § 78 Rdn. 7). Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt hierfür bildet das dem Täter anvertraute<br />

materielle Rechtsverhältnis in seinem gesamten tatsächlichen und rechtlichen Gehalt. Dient der Täter in derselben<br />

Sache mehrfach pflichtwidrig derselben Partei, so liegt danach auch dann eine tatbestandliche Handlungseinheit<br />

vor (Gillmeister in LK-StGB 11. Aufl. § 356 Rdn. 106; Kuhlen in NK-StGB 2. Aufl. § 356 Rdn. 69; Rudolphi/Rogall<br />

in SK-StGB 7. Aufl. § 356 Rdn. 38), wenn der Täter in mehreren, zeitlich gestreckten Akten handelt<br />

(Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 356 Rdn. 12). Dass der Angeklagte <strong>zum</strong> Nachteil des P. an der Berufungsrücknahme<br />

mitwirkte, setzte demnach lediglich den bereits zuvor verwirklichten Parteiverrat fort, bildete demgegenüber<br />

aber keine neue Tat.<br />

Der Senat ändert den Schuldspruch danach entsprechend. Dabei muss die – vom Landgericht im Fall C II. Tat 18 zu<br />

Recht bejahte – Qualifikation des § 356 Abs. 2 StGB („schwerer“ Parteiverrat) im Schuldspruch ihren Ausdruck<br />

finden. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen.<br />

2. Auch der Schuldspruch wegen Beihilfe <strong>zum</strong> vollendeten und <strong>zum</strong> versuchten Betrug <strong>zum</strong> Nachteil der Anleger<br />

hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.<br />

a) Soweit es die Verurteilung wegen Beihilfe <strong>zum</strong> vollendeten Betrug <strong>zum</strong> Nachteil der Anleger B. , R.<br />

und Sch. anlangt, kann dem Urteil - wie die Revision zu Recht einwendet - nicht entnommen werden, dass der<br />

Angeklagte in dem Zeitpunkt, als diese drei Geschädigten auf das Aufforderungsschreiben des H. vom 5. Februar<br />

2001 hin gezahlt haben, den betrügerischen Plan des H. bereits durchschaut hatte. Das Landgericht hat nämlich<br />

angenommen, dass der Angeklagte erst ab Mitte Februar 2001 bösgläubig war (UA 74 f., 95). Hätten die drei Anleger<br />

ihre Zahlungen bis dahin aber bereits erbracht, wäre der Betrug des H. nicht nur vollendet, sondern bereits<br />

197


eendet gewesen. Dies schlösse schon deshalb insoweit eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe aus (vgl.<br />

Fischer StGB 55. Aufl. § 27 Rdn. 6 m.w.N.).<br />

Da das Landgericht Feststellungen <strong>zum</strong> Zeitpunkt des Eingangs der Zahlungen der drei Geschädigten nicht getroffen<br />

hat, bedarf dies weiterer Aufklärung und ergänzender Feststellungen durch den neuen Tatrichter.<br />

b) Im Übrigen kann der Schuldspruch wegen Beihilfe zu den Betrugstaten des H. auch deshalb nicht bestehen bleiben,<br />

weil die Annahme von 16 tatmehrheitlich begangenen Beihilfehandlungen durch die Feststellungen nicht belegt<br />

ist. Nach der rechtlichen Würdigung im angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Schwerpunkt des Tatvorwurfs<br />

gegen den Angeklagten insoweit darin gesehen, dass er H. "nach dem 15.02.2001 nicht von der weiteren Geltendmachung<br />

seiner Ansprüche ab(hielt) oder daraufhin(wirkte), dass H. von der Verfolgung der Ansprüche Abstand<br />

nahm" (UA 98). Dabei hat das Landgericht aber bei der Prüfung der Konkurrenz nicht erkennbar bedacht, dass die<br />

Frage, ob Tatmehrheit oder Tateinheit vorliegt, für jeden Täter und Teilnehmer voneinander unabhängig und selbständig<br />

zu prüfen ist (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 Konkurrenzen 1). Danach ist der Gehilfe, der durch eine Handlung<br />

(oder Unterlassung) mehrere rechtlich selbständige Haupttaten fördert, nur einer Beihilfe im Rechtssinne schuldig<br />

(Fischer aaO § 27 Rdn. 31 m.w.N.). Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang dem Angeklagten auch<br />

angelastet hat, er habe von H. verfasste Schriftstücke unterzeichnet, die auf das Bestehen der Forderung gegenüber<br />

den Anlegern hinwiesen (UA 98), fehlt es ebenfalls an näheren Feststellungen, welche Schriftstücke damit gemeint<br />

sind und wann der Angeklagte insoweit tätig geworden ist.<br />

c) Die aufgezeigten Rechtsfehler lassen die bisher getroffenen Feststellungen unberührt; sie können deshalb bestehen<br />

bleiben. Dies hindert den neuen Tatrichter nicht, die notwendigen ergänzenden Feststellungen zu treffen, die zu den<br />

bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen.<br />

3. Die Schuldspruchänderung hinsichtlich der Taten C II. 1 und 18 sowie die Aufhebung des Urteils im Übrigen<br />

zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs nach sich.<br />

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

Die strafschärfenden Erwägungen bei Bemessung der wegen (schweren) Parteiverrats verhängten Einzelstrafen (UA<br />

102) können unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) rechtlichen Bedenken<br />

begegnen. Ebenfalls nicht frei von rechtlichen Bedenken ist die Versagung der Versuchsmilderung in den angenommenen<br />

Fällen der Beihilfe <strong>zum</strong> Betrugsversuch (UA 103); insoweit fehlt es an der gebotenen umfassenden Würdigung<br />

insbesondere der versuchsbezogenen Gesichtspunkte (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 72). Schließlich könnte der<br />

Ausspruch über die gemäß § 41 StGB verhängte (Gesamt-)Geldstrafe nicht bestehen bleiben. Denn das Gesetz lässt<br />

eine einheitliche Geldstrafe als zusätzliche Sanktion für mehrere abgeurteilte Straftaten nicht zu. Vielmehr ist, wenn<br />

neben der jeweiligen Einzelfreiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt werden soll, dies für jede Tat gesondert zu entscheiden;<br />

aus mehreren Einzelstrafen ist sodann eine Gesamtgeldstrafe zu bilden (BGHR StGB § 41 Geldstrafe 2).<br />

198<br />

Materielles Nebenstrafrecht<br />

AO § 153 Abs. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 2 steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht - Vorsatz<br />

BGH, Beschl. v. 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 479/08<br />

LS: 1. Eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO<br />

besteht auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der<br />

Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat und er später zu der sicheren<br />

Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind.<br />

2. Die sich aus § 153 AO ergebende steuerrechtliche Pflicht zur Berichtigung von mit bedingtem<br />

Hinterziehungsvorsatz abgegebenen Erklärungen wird strafrechtlich erst mit der Bekanntgabe der<br />

Einleitung eines Steuerstrafverfahrens suspendiert, das die unrichtigen Angaben erfasst (im Anschluss<br />

an BGHSt 47, 8, 14).<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. März 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).


Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2002 zu einer Geldstrafe<br />

von 270 Tagessätzen zu je 30,-- Euro verurteilt. Vom Vorwurf, auch hinsichtlich des Jahres 2003 Umsatzsteuer hinterzogen<br />

zu haben, hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der<br />

Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat<br />

keinen Erfolg.<br />

I.<br />

1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 1979 Geschäftsführer der in Nürnberg ansässigen<br />

D. KG (nachfolgend: D. KG). Seit Mitte des Jahres<br />

2001 entstanden in der Buchhaltung des Unternehmens Buchungsrückstände. Dies hatte zur Folge, dass die von der<br />

D. KG erzielten Umsätze und gezahlten Vorsteuerbeträge spätestens seit dem Jahr 2002 der EDV-Buchhaltung<br />

des Unternehmens nicht mehr entnommen werden konnten. Von Januar 2002 bis Mai 2003 wurden die beim Finanzamt<br />

einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen daher von der angestellten Buchhaltungskraft anhand der vorliegenden<br />

Eingangs- und Ausgangsrechnungen manuell erstellt, wobei ihr allerdings schwerwiegende Fehler unterliefen.<br />

Für das Jahr 2002 wurden von den tatsächlich getätigten Umsätzen im Umfang von mehr als 12,8 Mio. Euro<br />

lediglich knapp 9,1 Mio. Euro erklärt. Zugleich wurden die Vorsteuern um etwa 62.000,-- Euro zu niedrig angegeben.<br />

Auch die für die Voranmeldungszeiträume des Jahres 2003 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen waren<br />

unrichtig und enthielten zu geringe Umsatzsteuerbeträge. Der Angeklagte erfuhr spätestens im ersten Halbjahr 2002<br />

von den Rückständen in der Buchhaltung. Auch wusste er, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen manuell erstellt<br />

wurden. Gleichwohl überprüfte er die Voranmeldungen nicht. 3<br />

Im Hinblick auf die manuelle Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2003 ordnete das Finanzamt<br />

Nürnberg-Nord eine Umsatzsteuer-Nachschau an, die am 29. Oktober 2003 in den Geschäftsräumen der D. KG<br />

durchgeführt wurde. Hierbei wurde sofort festgestellt, dass die für Februar bis Mai 2003 tatsächlich erzielten Umsätze<br />

weit über den vorangemeldeten Umsätzen lagen. Dies wurde noch am gleichen Tag dem Angeklagten mitgeteilt,<br />

der die bei der Umsatzsteuer-Nachschau festgestellten Beträge als richtig anerkannte. 4<br />

Aufgrund der Mitteilung des Finanzamts rechnete der Angeklagte damit, dass auch die Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

für die Monate Januar bis Dezember 2002 unrichtig waren. Gleichwohl unterließ er die Abgabe einer richtigen<br />

Umsatzsteuerjahreserklärung, mit der er zugleich der sich aus § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ergebenden Berichtigungspflicht<br />

hätte nachkommen können, die ihm bekannt war. Die Berichtigung wäre ihm auch ohne weiteres möglich<br />

gewesen, da die Buchhaltung zwischenzeitlich vervollständigt worden war, so dass dem Angeklagten die richtigen<br />

Umsatzzahlen zur Verfügung standen. Der Angeklagte unterließ sowohl die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

für das Jahr 2002 als auch eine Berichtigung der unrichtigen Vorsteueranmeldungen, um sich die Steuervorteile,<br />

die die Gesellschaft durch die unrichtigen Voranmeldungen erzielt hatte, auf Dauer zu sichern. 5<br />

2. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich des<br />

Jahres 2002 zu der Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt. Vom Vorwurf der Hinterziehung von Umsatzsteuer für<br />

das Jahr 2003 hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. II. 6<br />

Über die <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die sich auch gegen den Teilfreispruch<br />

richtet, hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag entschieden. Die Revision des Angeklagten hat aus den<br />

Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. November 2008 keinen Erfolg. Ergänzend bemerkt<br />

der Senat <strong>zum</strong> Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen:<br />

1. Das Landgericht sieht den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO deswegen als erfüllt an, weil der Angeklagte<br />

seiner „Verpflichtung nach § 153 AO, unrichtige Voranmeldungen durch Abgabe einer richtigen Jahreserklärung zu<br />

berichtigen“ (UA S. 11), nicht nachgekommen sei. Die darin <strong>zum</strong> Ausdruck kommende Auffassung, aus § 153 AO<br />

ergebe sich die Verpflichtung zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung, wenn zuvor unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

abgegeben worden sind und der Steuerpflichtige nachträglich deren Unrichtigkeit erkannt hat, trifft<br />

nicht zu. Vielmehr handelt es sich bei der Pflicht zur Anzeige und Berichtigung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

nach § 153 AO und der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung nach § 18 Abs. 3 UStG um<br />

voneinander unabhängige Pflichten, die zudem unterschiedliche Voraussetzungen haben.<br />

2. Die Umsatzsteuer ist eine Jahressteuer. Gleichwohl hat der Unternehmer im Verfahren zur Umsatzbesteuerung<br />

bezogen auf jedes Kalenderjahr mehrere steuerliche Erklärungspflichten. Zum einen hat er beim Finanzamt bis <strong>zum</strong><br />

zehnten Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums - in der Regel des Kalendermonats (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 2<br />

UStG) - eine Umsatzsteuervoranmeldung einzureichen, in der er die Steuer für den Voranmeldungszeitraum selbst zu<br />

berechnen hat (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG). Zum anderen hat er für das Kalenderjahr - ebenfalls in Form einer Steuer-<br />

199


anmeldung - eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, in der er die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss,<br />

der sich zu seinen Gunsten ergibt, selbst zu berechnen hat (§ 18 Abs. 3 Satz 1 UStG). Bei der Pflicht zur Abgabe<br />

einer Jahreserklärung handelt es sich um eine gegenüber der Pflicht zur Einreichung von Voranmeldungen eigenständige<br />

Pflicht, deren Nichterfüllung einen selbstständigen Unrechtsgehalt besitzt (vgl. BGHSt 47, 8, 13 f.; BGHR<br />

AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 13).<br />

Sind monatlich Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, trifft den Unternehmer hinsichtlich der Umsatzsteuer<br />

bezogen auf das Kalenderjahr die Pflicht zur Abgabe von insgesamt dreizehn Steueranmeldungen, nämlich von<br />

zwölf Umsatzsteuervoranmeldungen und einer Umsatzsteuerjahreserklärung. Ist der Voranmeldungszeitraum das<br />

Vierteljahr (§ 18 Abs. 2 Satz 1 UStG), hat der Unternehmer insgesamt fünf Steueranmeldungen einzureichen.<br />

Die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung besteht auch dann, wenn einzelne oder alle Voranmeldungen<br />

für das jeweilige Kalenderjahr unrichtig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt allerdings<br />

der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BVerfGE 109, 279, 324; 56,<br />

37, 49) dazu, dass die fortbestehende steuerrechtliche Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung dann -<br />

strafrechtlich - suspendiert wird, wenn dem Erklärungspflichtigen bekannt gegeben wird, dass gegen ihn wegen der<br />

Verletzung seiner Pflicht zur Abgabe zutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet<br />

worden ist (BGHSt 47, 8, 12 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Jäger NStZ 2005, 552, 556).<br />

3. Von diesen Pflichten zu unterscheiden ist die sich aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergebende steuerrechtliche<br />

Anzeige- und Berichtigungspflicht. Nach dieser Vorschrift ist der Steuerpflichtige zur unverzüglichen, d. h. ohne<br />

schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, Steuerverfehlungen, Stand<br />

88. Ergänzungslieferung Dezember 2008, § 370 AO Rdn. 274) vorzunehmenden Anzeige und Richtigstellung gegenüber<br />

den Finanzbehörden verpflichtet, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine<br />

von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung<br />

von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. 12<br />

Bei dieser Pflicht handelt es sich um eine weitere eigenständige - und zwar steuerrechtliche - Pflicht, die nicht stets,<br />

sondern nur dann entsteht, wenn die in § 153 AO genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie verpflichtet den Steuerpflichtigen<br />

nicht zur Abgabe einer Steuererklärung, sondern zur Berichtigung der als unrichtig erkannten Erklärungen.<br />

Deshalb ergibt sich aus § 153 AO bei nachträglichem Erkennen, dass eingereichte Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

unrichtig waren, nicht die Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung. Vielmehr<br />

ist anzuzeigen, welche Umsatzsteuervoranmeldungen unrichtig sind; zudem sind diese zu berichtigen. Dies schließt<br />

freilich nicht aus, dass die Anzeige und Berichtigung der unrichtigen Voranmeldungen stillschweigend durch die<br />

Abgabe einer zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung vorgenommen werden kann (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, AO<br />

Stand 118. Lfg. März <strong>2009</strong>, § 153 Rdn. 15).<br />

4. Auch bei der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 AO handelt es sich um eine Erklärungspflicht im Sinne<br />

des § 370 Abs. 1 AO, deren gänzliche Nichterfüllung ebenso strafbar ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) wie die nur scheinbare<br />

Berichtigung mit erneut falschen Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).<br />

Die Frage, ob und gegebenenfalls wann nach Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung eine Berichtigungspflicht<br />

gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsteht, hängt maßgeblich davon ab, ob und gegebenenfalls wann der Steuerpflichtige<br />

von der Unrichtigkeit einer von ihm oder für ihn abgegebenen Erklärung Kenntnis erlangt. Denn ein nachträgliches<br />

„Erkennen“ ist begrifflich nur möglich, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit zunächst nicht gekannt<br />

hat.<br />

Eine Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO kommt daher nur dann in Betracht,<br />

wenn der Steuerpflichtige <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung keine Kenntnis von der Unrichtigkeit der Erklärung<br />

hatte. Eine solche Pflicht besteht somit dann nicht, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Abgabe der Erklärung<br />

deren Unrichtigkeit gekannt hat. Die Pflichten aus § 153 AO entstehen damit erst in dem Zeitpunkt, in dem der<br />

Steuerpflichtige die Unrichtigkeit tatsächlich erkennt. Die bloße Möglichkeit, die Unrichtigkeit zu erkennen, genügt<br />

angesichts des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes nicht (vgl. Tipke aaO Rdn. 12).<br />

5. Für die Frage der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) durch<br />

Nichterfüllung der Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind nach der Einreichung<br />

unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen je nach Kenntnisstand des Steuerpflichtigen drei Fallgruppen zu unterscheiden:<br />

a) Kennt der Steuerpflichtige bei Abgabe einer Steuererklärung deren Unrichtigkeit nicht und nimmt er eine solche<br />

auch nicht billigend in Kauf, unterliegt er einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1<br />

StGB). Er ist dann - insoweit - straflos. Hat er die Unrichtigkeit leichtfertig nicht erkannt, kommt das Vorliegen einer<br />

Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerhinterziehung (§ 378 AO) in Betracht. Erlangt der Steuerpflichtige in<br />

200


einem solchen Fall nachträglich Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben, trifft ihn die Anzeige- und Berichtigungspflicht<br />

des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Kommt er dieser Pflicht vorsätzlich nicht nach, ist er strafbar wegen<br />

Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.<br />

b) Hat der Steuerpflichtige bewusst unrichtige Voranmeldungen abgegeben, besteht bereits keine steuerrechtliche<br />

Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO. Denn dann kennt er deren Unrichtigkeit von Anfang an. Ein<br />

nachträgliches Erkennen ist in solchen Fällen begrifflich ausgeschlossen. Freilich ist dann hinsichtlich der abgegebenen<br />

Steuererklärungen regelmäßig eine mit direktem Vorsatz durch aktives Tun begangene Steuerhinterziehung<br />

gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben, sofern nicht der unwahrscheinliche Fall vorliegt, dass der Steuerpflichtige<br />

davon ausgegangen ist, seine falschen Angaben würden nicht zu einer Steuerverkürzung führen. In diesem Fall dürfte<br />

aber eine Steuerordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) gegeben sein.<br />

c) Ob eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO besteht, wenn der Steuerpflichtige<br />

erst nachträglich erfährt, dass er unrichtige Angaben gemacht hat, er aber bei Abgabe der Steuererklärung die Unrichtigkeit<br />

seiner Angaben in Kauf genommen und sich deshalb - durch die Abgabe der unrichtigen Steuererklärung -<br />

zugleich auch wegen bedingt vorsätzlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht<br />

hat, ist im Schrifttum umstritten (bejahend: Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler AO Stand 201. Lfg. Dezember<br />

2008, § 153 Rdn. 12 f.; Klein/Brockmeyer AO 9. Aufl. § 153 Rdn. 4; verneinend: Tipke aaO Rdn. 11; Kohlmann,<br />

Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 370 AO Rdn. 332 m.w.N.; Joecks in Franzen/ Gast/Joecks,<br />

Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 182; Rolletschke aaO Rdn. 273).<br />

Nach Ansicht des Senats gebieten Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, eine<br />

steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht aus dieser Vorschrift auch dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige<br />

die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf<br />

genommen hat, und er später zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind.<br />

aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht auch in diesem Fall eine Berichtigungspflicht,<br />

weil auch derjenige, der zunächst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur gerechnet, sie aber nicht sicher<br />

gekannt hat, die Unrichtigkeit „nachträglich erkennt“, wenn er später positiv erfährt, dass seine Angaben tatsächlich<br />

unrichtig waren.<br />

bb) Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO sollen Steuerpflichtige, die bereits bedingt<br />

vorsätzlich unrichtige Steuererklärungen abgegeben haben, von der steuerrechtlichen Anzeige- und Berichtigungspflicht<br />

nicht ausgenommen werden. Die Norm des § 153 AO ergänzt die §§ 149, 150 und 90 AO und dient der gesetzmäßigen<br />

Besteuerung (§ 85 AO), indem sie die in § 150 Abs. 2 AO und § 90 Abs. 1 Satz 2 AO konstituierte<br />

Wahrheitspflicht für Angaben in der Steuererklärung und in anderen Erklärungen auch nach deren Abgabe fortbestehen<br />

lässt (Heuermann aaO Rdn. 1a). Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Steuerpflichtige in der Regel über<br />

bessere Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der ihn betreffenden steuerlich erheblichen Tatsachen verfügt als die<br />

Finanzverwaltung. Zudem soll sie gewährleisten, dass die Finanzbehörde von Besteuerungsgrundlagen Kenntnis<br />

erhält, die ihr bislang noch nicht bekannt waren (vgl. Heuermann aaO Rdn. 14). Die Vorschrift begründet eine gesetzliche<br />

Garantenpflicht, die ihre Rechtfertigung in dem Fehler verursachenden vorangegangenen Tun findet (vgl.<br />

Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008, § 370 AO Rdn. 329). Insoweit besteht zwischen dem bei<br />

Abgabe der Steuererklärung gutgläubigen und dem mit bedingtem Vorsatz handelnden Steuerpflichtigen kein rechtlich<br />

bedeutsamer Unterschied.<br />

cc) Die Verpflichtung zur Berichtigung nach bedingt vorsätzlicher Abgabe unrichtiger Steuererklärungen führt auch<br />

nicht dazu, dass die Steuerhinterziehung zu einem Dauerdelikt würde (so aber Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht<br />

6. Aufl. § 370 AO Rdn. 182). Denn sie trifft den Steuerpflichtigen erst dann, wenn er von der Unrichtigkeit<br />

seiner Erklärung tatsächlich Kenntnis erlangt. Dann verwirklicht er aber nicht mehr den Tatbestand des § 370<br />

Abs. 1 Nr. 1 AO, sondern aufgrund eines neuen Tatentschlusses den des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.<br />

6. Die Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Nichtbeachtung der steuerrechtlichen Pflicht des § 153 AO ist<br />

grundsätzlich auch dann strafbewehrt, wenn der Steuerpflichtige mit der Berichtigung unrichtiger Steuervoranmeldungen<br />

bedingt vorsätzlich begangene Taten der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder Steuerordnungswidrigkeiten<br />

gemäß § 378 AO aufdeckt, die er bei der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen begangen<br />

hat.<br />

Der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum accussare“; vgl.<br />

dazu BVerfGE 56, 37; BGHSt 47, 8) steht dem nicht entgegen (vgl. BVerfG wistra 1988, 302). Art. 2 Abs. 1 GG<br />

schreibt keinen lückenlosen Schutz gegen staatlichen Zwang zur Selbstbelastung vor ohne Rücksicht darauf, ob<br />

dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden (vgl. zur Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens<br />

vom Unfallort BVerfGE 16, 190 f.). Der Staat ist darauf angewiesen, die ihm gesetzlich zustehenden Steuereinnah-<br />

201


men tatsächlich zu erzielen, um seinen vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden. Darüber hinaus ist die gleichmäßige<br />

Erfassung aller Steuerpflichten mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Es ist daher sachlich gerechtfertigt, dem<br />

Steuerpflichtigen eine wahrheitsgemäße Auskunft auch dann abzuverlangen, wenn er damit eine Steuerstraftat oder<br />

eine Steuerordnungswidrigkeit offenbaren muss (BVerfG wistra 1988, 302).<br />

Dies gilt auch für die Berichtigungspflicht nach vorangegangenem sanktionsbewehrtem Fehlverhalten. Denn durch<br />

eine Selbstanzeige kann der Steuerpflichtige regelmäßig Straf- bzw. Sanktionsfreiheit erlangen (§ 371, § 378 Abs. 3<br />

AO). Er befindet sich dann nicht in einer unauflösbaren Konfliktlage, die im Hinblick auf den Grundsatz „nemo<br />

tenetur se ipsum accusare“ und das in § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot der steuerrechtlichen<br />

Berichtigungspflicht entgegenstehen könnte. Von Bedeutung ist dabei, dass auch in der Einreichung einer<br />

wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung im Verhältnis zu den zuvor unterlassenen oder unzutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

eine Selbstanzeige liegen kann, ohne dass es ausdrücklich eines entsprechenden Hinweises<br />

bedarf (BGH wistra 1999, 27; 1991, 223, 225); die Abgabe getrennter Selbstanzeigen bezogen auf die von den<br />

Pflichtverstößen betroffenen Umsatzsteuervoranmeldungen ist nicht erforderlich (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks,<br />

Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 371 AO Rdn. 69).<br />

Soweit Fälle eines un<strong>zum</strong>utbaren Zwangs zur Selbstbelastung verbleiben, etwa weil wegen des Vorliegens eines<br />

Sperrgrundes (vgl. § 371 Abs. 2, § 378 Abs. 3 Satz 1 AO) eine wirksame Selbstanzeige ausgeschlossen ist, kann<br />

diesem Umstand bei einer vorangegangenen Steuerordnungswidrigkeit gemäß § 378 AO im Rahmen der Anwendung<br />

des § 47 OWiG Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG wistra 1988, 302; vgl. auch OLG Hamm NJW 1959,<br />

1504), bei einer (bedingt) vorsätzlich begangenen Steuerstraftat durch Annahme eines Beweismittelverwertungs oder<br />

Verwendungsverbots (vgl. BVerfGE 56, 37; BGH wistra 2005, 148; vgl. auch die Regelung in § 97 Abs. 1 Satz 2<br />

InsO).<br />

Lediglich für den Fall, dass dem Täter einer Steuerhinterziehung im Hinblick auf die Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist, hat der Bundesgerichtshof bislang im Hinblick<br />

darauf, dass sich die Erklärungspflicht auf dieselbe Steuerart und denselben Besteuerungszeitraum bezieht, für<br />

die Dauer des Steuerstrafverfahrens eine Suspendierung der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

angenommen (BGHSt 47, 8, 14; s. o. unter II.2.).<br />

Für die sich aus § 153 AO ergebende Pflicht zur Berichtigung mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebener<br />

Umsatzsteuervoranmeldungen gilt dies - bei dieser Fallgestaltung (Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens)<br />

- entsprechend. Ist eine wirksame Selbstanzeige aber lediglich deshalb nicht möglich, weil der Steuerpflichtige<br />

nicht in der Lage ist, die hinterzogenen Steuern innerhalb einer angemessenen Frist nachzuentrichten (§ 371<br />

Abs. 3 AO; vgl. dazu BVerfG wistra 1988, 302), kommt eine derartige Suspendierung der Strafbewehrung der steuerlichen<br />

Berichtigungspflicht jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige bei pflichtgemäßer und<br />

rechtzeitiger Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten zur Zahlung noch in der Lage gewesen wäre. Denn der Grundsatz<br />

der Selbstbelastungsfreiheit gebietet nicht, den Steuerhinterzieher gegenüber anderen Steuerpflichtigen besser zu<br />

stellen, nur weil er auch Steuerstraftäter ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Hinterziehung von<br />

Umsatzsteuer untreueähnlichen Charakter hat, weil der Unternehmer die Umsatzsteuer letztlich nur für den Steuerfiskus<br />

verwaltet.<br />

7. Die Nichterfüllung der danach bestehenden Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO ist als Steuerhinterziehung<br />

durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) zu bestrafen. Geht dieser Tat eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung<br />

durch aktives Tun voraus, weil der Täter bei der Abgabe der Ursprungserklärung die Unrichtigkeit<br />

seiner Angaben billigend in Kauf genommen hat, sind beide Gesetzesverstöße Teil derselben Tat im prozessualen<br />

Sinne gemäß § 264 StPO (vgl. auch BGH wistra 2005, 66, 67; 2008, 22, 25 f.). Ob - anders als im Verhältnis von<br />

unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldung und nicht abgegebener Umsatzsteuerjahreserklärung (vgl. dazu das Senatsurteil<br />

vom heutigen Tag im Verfahren 1 StR 627/08 m.w.N.) - die der Steuerhinterziehung durch aktives Tun nachfolgende<br />

Unterlassungstat eines Verstoßes gegen § 153 AO als mitbestrafte Nachtat zurücktritt oder - etwa wegen des<br />

in einem direkten Hinterziehungsvorsatz <strong>zum</strong> Ausdruck kommenden höheren Schuldgehalts - als eigenständige Tat<br />

im materiellen Sinn zur vorangegangenen Steuerhinterziehung in Tatmehrheit steht, braucht der Senat hier nicht zu<br />

entscheiden.<br />

8. Für den vorliegenden Fall gilt Folgendes:<br />

a) Die auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen<br />

hält bereits deswegen rechtlicher Nachprüfung stand, weil der Angeklagte pflichtwidrig für das Jahr 2002<br />

schon keine Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben hat. Denn nach den Urteilsfeststellungen unterließ der Angeklagte<br />

die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002, um sich die durch die Erklärung zu niedriger<br />

Umsätze erzielten „Steuervorteile“ auf Dauer zu sichern (UA S. 11). Der Frage, ob der Angeklagte die unrichtigen<br />

202


Umsatzsteuervoranmeldungen gemäß § 153 AO zu berichtigen hatte, kommt daher für die Erfolgsaussichten seiner<br />

Revision keine Bedeutung mehr zu.<br />

b) Eine von der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung unabhängige strafbewehrte Berichtigungspflicht<br />

gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hätte freilich jedenfalls dann bestanden, wenn der Angeklagte - entgegen<br />

der Überzeugung der Strafkammer (UA S. 10, 14) - bereits bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für das<br />

Jahr 2002 billigend in Kauf genommen hätte, dass die Voranmeldungen unrichtig waren. Denn er hat die Unrichtigkeit<br />

nachträglich erkannt. Den Urteilsfeststellungen ist trotz missverständlicher Formulierungen noch mit hinreichender<br />

Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Angeklagte jedenfalls dann, als er den Entschluss fasste, für das Jahr<br />

2002 keine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, um sich die durch die Anmeldung zu niedriger Umsätze erzielten<br />

„Steuervorteile“ auf Dauer zu sichern (UA S. 11), die Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen erkannt<br />

hat.<br />

Ohne Auswirkungen auf eine eventuelle Berichtigungspflicht des Angeklagten war auch der Umstand, dass von den<br />

Finanzbehörden im Hinblick auf das Jahr 2003 eine Umsatzsteuer-Nachschau und daran anschließend eine Außenprüfung<br />

durchgeführt wurde. Denn die Außenprüfung wurde erst mit Anordnung vom 13. Januar 2004 auf den Voranmeldungszeitraum<br />

2002 erstreckt. Als der Angeklagte von der Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen für<br />

das Jahr 2002 Kenntnis erlangte, hatten die Finanzbehörden noch keine Kenntnis von der Unrichtigkeit der für das<br />

Jahr 2002 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen. Damit hätte für den Angeklagten - im Fall bedingt vorsätzlich<br />

abgegebener unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen - im Hinblick auf die Berichtigungspflichten keine rechtlich<br />

relevante Konfliktsituation bestanden, weil er mit der Berichtigung der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

für das Jahr 2002 jedenfalls gemäß § 371 AO auch Straffreiheit für die zuvor begangene Steuerhinterziehung<br />

hätte erlangen können. Die Umsatzsteuer-Nachschau im Sinne von § 27b UStG, die sich auf das Jahr 2003 bezog,<br />

stellte für den Besteuerungszeitraum 2002 bereits keine steuerliche Prüfung im Sinne von § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst.<br />

a AO dar (vgl. dazu auch Kemper in Rolletschke/Kemper aaO § 371 AO Rdn. 43d).<br />

AO § 370 § 371, UStG § 18 III 1 Selbstanzeige hilft nur dem selbst anzeigenden Täter<br />

BGH, Urt. v. 02.12.2008 - 1 StR 344/08<br />

Bei der strafbefreienden Selbstanzeige handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund,<br />

der grundsätzlich nur dem Täter oder Teilnehmer zugute kommt, der die Selbstanzeige abgibt.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember 2008 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. Dezember 2007 mit<br />

den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit die Angeklagte im Fall II. B. 1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist und<br />

b) im gesamten Strafausspruch.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 14 Fällen und zur versuchten Steuerhinterziehung<br />

in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur<br />

Bewährung ausgesetzt hat. Die mit der Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft hat zur Verurteilung im<br />

Fall II. B. 1. der Urteilsgründe und <strong>zum</strong> gesamten Strafausspruch Erfolg.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: 3<br />

1. Die Angeklagte wurde ab dem Jahr 1994 von ihrem damaligen Lebensgefährten B. S. , der in V.<br />

das Bordell „Club C. “ betrieb, als Scheinbetriebsinhaberin vorgeschoben. Tatsächlich arbeitete die Angeklagte<br />

lediglich an der Theke mit und übernahm für B. S. , dem die Gaststättenkonzession entzogen<br />

worden war, die erforderlichen Abrechnungen und andere organisatorische Tätigkeiten. Im Zusammenhang mit dieser<br />

Tätigkeit wurde die Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 20. September 2002 rechtskräftig für<br />

Taten, die vor dem Jahr 2000 beendet waren, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 16 Fällen und wegen Steu-<br />

203


erhinterziehung in zwei Fällen betreffend ein von ihr selbst betriebenes Bordell zu einer zur Bewährung ausgesetzten<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. 4<br />

2. In den Jahren 2000 bis 2003 unterstützte die Angeklagte ihren Lebensgefährten B. S. weiterhin beim<br />

Betrieb des Bordells und bei der Verschleierung der damit erzielten Einkünfte. Sie befolgte dessen auf Steuerverkürzung<br />

gerichtete Anweisungen, indem sie auf sein Geheiß Rechnungsbelege von Lieferanten in bar beglich und B.<br />

S. die Tageseinnahmen des Bordells überbrachte. Zudem hielt sie Kontakt zu den angestellten Thekenkräften,<br />

die sie anwies, die Einnahmen aus der Prostitution und dem Verkauf von Getränken nur für die Abrechnung mit<br />

den Prostituierten aufzuzeichnen und danach zu vernichten. Dabei war ihr bekannt, dass die von B. S.<br />

jeweils eingesetzten Scheinbetriebsinhaber nicht die tatsächlich erzielten Einnahmen aus dem Bordell, sondern nur<br />

fingierte Umsätze und Gewinne von nicht existierenden Gewerben der Zimmervermietung bzw. des Betriebs einer<br />

„Bar mit Animierbetrieb“ gegenüber den Steuerbehörden erklärten. 5<br />

3. B. S. gab bei den Finanzbehörden hinsichtlich des von ihm geführten Bordells und der hierbei erzielten<br />

Umsätze und Gewinne für die Jahre 2000 bis 2003 keine Steuererklärungen ab. Zur Verschleierung des wahren<br />

Sachverhalts veranlasste er - was die Angeklagte wusste - jeweils Strohleute, darunter seinen Sohn, den Mitangeklagten<br />

M. S. , für fingierte Einzelunternehmen der gewerblichen Zimmervermietung und einer Schankwirtschaft<br />

Umsatzsteuer-, Gewerbesteuer- und Einkommensteuererklärungen abzugeben. Diese Steuererklärungen<br />

enthielten erfundene Angaben zu Umsätzen und Gewinnen, die plangemäß jeweils erheblich unter den tatsächlichen<br />

Umsätzen und Gewinnen des von B. S. betriebenen Bordells lagen. 6<br />

a) Für die Jahre 2000 und 2001 gab M. S. am 4. Juni 2002 in Absprache mit B. S. im eigenen<br />

Namen jeweils Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen mit fingierten Angaben ab (Fall II.<br />

B. 1. der Urteilsgründe). Hierdurch wurden zugunsten von B. S. Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer<br />

in einer Gesamthöhe von 328.600 Euro hinterzogen. 7<br />

b) Im Jahr 2002 meldeten die Eheleute G. zur Verschleierung des Bordellbetriebes B. S. s Scheingewerbe<br />

für Zimmervermietung und Schankwirtschaft an. Auf Veranlassung B. S. s gaben sie für die<br />

Monate März bis Dezember 2002 unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Da B. S. auch weiterhin<br />

keine Steuererklärungen einreichte, verkürzte er für das Jahr 2002 durch Unterlassen Umsatzsteuer in Höhe von<br />

85.600 Euro und unternahm den Versuch der Verkürzung von Gewerbesteuer im Umfang von 23.400 Euro sowie<br />

von Einkommensteuer von 81.400 Euro (Fälle II. B. 2. bis 4. der Urteilsgründe). 8<br />

c) In den Monaten Februar bis Juni und August 2003 unterstützte M. K. , der <strong>zum</strong> Schein eine Schankwirtschaft<br />

und einen Animierbetrieb angemeldet hatte, B. S. durch die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen,<br />

die jeweils fiktive Umsätze enthielten. B. S. selbst gab auch für das Jahr 2003 keine Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

ab und verkürzte hierdurch monatlich Umsatzsteuer in Höhe von jeweils annähernd 6.000<br />

Euro (Fälle II. B. 5. bis 16. der Urteilsgründe). 9<br />

d) Im Januar bzw. Februar 2004 wurden gegen B. S. und die Angeklagte steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren<br />

eingeleitet. 10<br />

4. Im Fall der am 4. Juni 2002 von M. S. eingereichten Steuererklärungen (Fall II. B. 1. der Urteilsgründe)<br />

hat das Landgericht B. S. als (Mit-)Täter einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370<br />

Abs. 1 Nr. 1 AO) und die Angeklagte als seine Gehilfin (§ 27 StGB) angesehen. In den übrigen Fällen hat die Strafkammer<br />

das Verhalten der Angeklagten jeweils tatmehrheitlich als Beihilfe zu von B. S. begangenen<br />

Steuerhinterziehungen gewertet. II.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft erfasst nur im Fall II. B. 1. der Urteilsgründe auch den Schuldspruch; im Übrigen<br />

ist sie wirksam auf den Strafausspruch beschränkt.<br />

Die Staatsanwaltschaft beanstandet zwar allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Aus der lediglich <strong>zum</strong> Strafausspruch<br />

ausgeführten Sachrüge ergibt sich jedoch, dass der Schuldspruch grundsätzlich nicht angegriffen wird<br />

(vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3 und 5; BGH wistra 2007, 112, 113; BGH, Urt. vom 16. Juni 2005 - 5 StR<br />

140/05; vgl. auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV). Dies gilt indes nicht für den Fall II. B. 1. der Urteilsgründe. Zwar wendet<br />

sich die Staatsanwaltschaft insoweit vordergründig nur gegen die Gesamtstrafenbildung; denn sie macht geltend, die<br />

Strafkammer hätte statt einer zwei Gesamtstrafen bilden müssen, weil die Umsatzsteuerhinterziehung B. S.<br />

s für die Jahre 2000 und 2001, zu der die Angeklagte Beihilfe geleistet habe, bereits vor der Vorverurteilung der<br />

Angeklagten durch das Landgericht Bielefeld vom 20. September 2002 beendet gewesen sei. Deshalb sei die hierfür<br />

zu verhängende Einzelstrafe mit den Strafen aus der Vorverurteilung gesamtstrafenfähig gewesen. Zu diesem Ergebnis<br />

gelangt die Staatsanwaltschaft aber nur deshalb, weil sie sich zugleich gegen den Schuldspruch wendet, indem sie<br />

geltend macht, die Umsatzsteuerhinterziehungen B. S. s bezüglich der Jahre 2000 und 2001 seien bereits<br />

beendet gewesen, als M. S. am 4. Juni 2002 mit weiteren Steuererklärungen auch unrichtige Um-<br />

204


satzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000 und 2001 beim Finanzamt eingereicht hat. Sie rügt damit, dass die<br />

Angeklagte nicht (bereits) wegen Beihilfe zu bereits im Mai 2001 bzw. Mai 2002 beendeten Steuerhinterziehungen<br />

durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) B. S. s, sondern (erst) zu einer von B. S. am 4.<br />

Juni 2002 gemeinschaftlich mit M. S. begangenen Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1<br />

Nr. 1 AO) in sechs tateinheitlichen Fällen verurteilt worden ist. Damit beanstandet die Staatsanwaltschaft auch das<br />

vom Landgericht angenommene konkurrenzrechtliche Verhältnis der im Fall II. B. 1. der Urteilsgründe abgeurteilten<br />

Taten. III.<br />

Der Schuldspruch im Fall II. B. 1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 14<br />

Entgegen der Auffassung der Strafkammer waren die von B. S. begangenen Steuerhinterziehungen<br />

durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) für die Jahre 2000 und 2001 jeweils bereits mit Ablauf des Monats Mai<br />

des Folgejahres vollendet und beendet. Damit war zu diesen Zeitpunkten jeweils auch die Beihilfe der Angeklagten<br />

zu diesen Taten beendet (vgl. BGHSt 20, 227, 228; Fischer, StGB 55. Aufl. § 78a Rdn. 4). 15<br />

1. B. S. war als Betreiber des Bordells verpflichtet, für die in den Jahren 2000 und 2001 getätigten<br />

Umsätze jeweils bis <strong>zum</strong> 31. Mai des Folgejahres (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO) eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben<br />

(§ 18 Abs. 3 UStG). Indem er dies unterließ, ließ er die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche<br />

Tatsachen in Unkenntnis. Mit Ablauf der Abgabefrist war die entsprechende Umsatzsteuer jeweils verkürzt (§<br />

370 Abs. 4 Satz 1 AO) und der Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) vollendet,<br />

da die Umsatzsteuererklärung als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 Satz 1 UStG, § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) einer<br />

Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO). Zugleich war die Tat jeweils<br />

beendet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 38, 165, 170; BGH wistra 1991, 215, 216). Diese Taten stehen damit nicht in Tateinheit<br />

mit den gemeinschaftlich von B. und M. S. am 4. Juni 2002 durch Einreichung unrichtiger<br />

Steuererklärungen begangenen Steuerhinterziehungen in der Form aktiven Tuns (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).<br />

2. In der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung durch M. S. auf Veranlassung B. S. s am 4.<br />

Juni 2002 lag entgegen der Auffassung des Landgerichts auch keine strafbefreiende Selbstanzeige (§ 371 AO) mit<br />

Wirkung für die Angeklagte. Zwar ist für die Selbstanzeige eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben (vgl. Joecks<br />

in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 371 AO Rdn. 65); daher kann auch in der Abgabe einer Steuererklärung<br />

eine Selbstanzeige liegen. Bei der strafbefreienden Selbstanzeige handelt es sich aber um einen persönlichen<br />

Strafaufhebungsgrund (vgl. Joecks aaO Rdn. 32 m.w.N.), der grundsätzlich nur dem Täter oder Teilnehmer zugute<br />

kommt, der die Selbstanzeige abgibt (vgl. Joecks aaO Rdn. 33). Die Angeklagte hat weder eine Selbstanzeige noch<br />

eine Steuererklärung abgegeben. Zudem setzt eine wirksame Selbstanzeige die Nachholung unterlassener oder die<br />

Berichtigung unrichtiger Angaben voraus. Jede Berichtigungserklärung erfordert aber wahrheitsgemäße Angaben<br />

über steuerlich erhebliche Tatsachen (BGHSt 3, 373, 375 f.). Daran fehlt es hier. Die von dem Mitangeklagten M.<br />

S. eingereichten Steuererklärungen enthielten ausschließlich fiktive und damit unrichtige Angaben zu einem<br />

erfundenen Sachverhalt, mit dem die Tätigkeit B. S. s als Bordellbetreiber verdeckt werden sollte.<br />

Damit liegt auch keine wirksame Teilselbstanzeige vor (vgl. dazu BGH wistra 1999, 27, 28; Joecks aaO Rdn. 75).<br />

IV. Auch der Strafausspruch hat keinen Bestand.<br />

Aufgrund der Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. B. 1. der Urteilsgründe kann auch die für diesen Tatkomplex<br />

verhängte Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe nicht bestehen bleiben. Dies zieht die<br />

Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Der Senat hebt auch die übrigen - an sich fehlerfrei festgesetzten -<br />

Einzelstrafen zwischen vier Monaten Freiheitsstrafe und 20 Tagessätzen auf, um dem neuen Tatgericht eine stimmige<br />

Abstufung der Strafen zu ermöglichen. Damit kommt es auf die vom Generalbundesanwalt beanstandete, nicht<br />

der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GS NJW 2008, 860) entsprechende Form der Kompensation<br />

einer festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht mehr an.<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Beihilfe zu mehreren Steuerhinterziehungen<br />

BGH, Beschl. v. 22.09.2008 - 1 StR 323/08 - NJW <strong>2009</strong>, 690; NStZ <strong>2009</strong>, 159; StV <strong>2009</strong>, 169 Anm. Beulke/Witzigmann<br />

StV <strong>2009</strong>, 394<br />

LS: Leistet der Gehilfe zu mehreren Taten der Steuerhinterziehung durch jeweils selbständige Unterstützungshandlungen<br />

Hilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB, steht der Umstand, dass der Angeklagte<br />

bereits bei der Anbahnung des Gesamtgeschäfts, auf das die einzelnen Haupttaten zurückge-<br />

205


hen, beteiligt war, der Annahme von mehreren im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB)<br />

zueinander stehenden Taten der Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht entgegen.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 20. November 2007 wird mit der<br />

Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in sieben Fällen<br />

schuldig ist.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerverkürzung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung<br />

formellen und sachlichen Rechts rügt, berichtigt der Senat den Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich.<br />

Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich<br />

Folgendes:<br />

I.<br />

Die Verfahrensrüge, die gegen die Berufsrichter der Strafkammer gerichteten Befangenheitsanträge seien zu Unrecht<br />

zurückgewiesen worden (§ 338 Nr. 3 StPO), bleibt ohne Erfolg.<br />

1. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:<br />

Im Laufe der knapp ein Jahr dauernden Hauptverhandlung legte ein Verteidiger des Angeklagten nach dem 16.<br />

Hauptverhandlungstag Haftbeschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts ein, die mit dem<br />

Eröffnungsbeschluss ergangen war. Begründet wurde die Beschwerde insbesondere mit der Behauptung, die Strafkammer<br />

habe bei der Terminierung der Hauptverhandlung gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen. Der Beschwerde<br />

half das Landgericht nicht ab. Da nach Auffassung des Angeklagten die Abhilfeentscheidung mit objektiv<br />

unwahren Tatsachen begründet worden war, erhob er Gegenvorstellung und erstrebte die Richtigstellung der behaupteten<br />

Tatsachen. Diesem Antrag kam die Strafkammer nicht nach und wies die Gegenvorstellung zurück. Mit der<br />

Begründung, dass die wiederholten, nach seiner Ansicht objektiv falschen Behauptungen in den vorgenannten Beschlüssen<br />

der Strafkammer Misstrauen in die Unparteilichkeit der Berufsrichter der Strafkammer begründen würden,<br />

lehnte der Angeklagte sodann am 19. Hauptverhandlungstag die Berufsrichter wegen Befangenheit ab. Dieses Ablehnungsgesuch<br />

wurde von der Strafkammer ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter als unbegründet zurückgewiesen;<br />

die Hauptverhandlung wurde dann von der Strafkammer in der ursprünglichen Besetzung fortgeführt. Am<br />

25. Verhandlungstag kam es zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einer verfahrensbeendenden Absprache. Auf die<br />

Zusage einer Strafobergrenze von vier Jahren Freiheitsstrafe hin legte der Angeklagte ein von seinem Verteidiger<br />

vorgetragenes Geständnis ab. Staatsanwaltschaft und Verteidigung nahmen alle noch nicht erledigten Beweisanträge<br />

zurück; einen Rügeverzicht im Hinblick auf die am 19. Hauptverhandlungstag geltend gemachte Befangenheit der<br />

Berufsrichter erklärte der Angeklagte nicht.<br />

2. Die Befangenheitsrüge ist bereits unzulässig (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 5; BGH, Beschl. vom 17.<br />

September 2008 - 5 StR 404/08). Der Angeklagte hat nach sachlicher Bescheidung des Befangenheitsantrags mit den<br />

zuvor als befangen abgelehnten Richtern eine Urteilsabsprache getroffen; Umstände, die trotz dieser Absprache ein<br />

Fortbestehen der von dem Angeklagten mit seinem Befangenheitsantrag geltend gemachten Besorgnis der Befangenheit<br />

rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Bei dieser Sachlage<br />

beruht die Erhebung der Befangenheitsrüge auf einem widersprüchlichen Verhalten des Beschwerdeführers; für sie<br />

besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis.<br />

a) Ein vorhandenes und fortbestehendes Rechtsschutzinteresse ist eine allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung<br />

(BVerfG - Kammer - NJW 2003, 1514, 1515 m.w.N.). Das Rechtsschutzinteresse kann<br />

fehlen, wenn die Ausübung eines an sich gegebenen Rechts zu früherem Prozessverhalten in einem unauflösbaren<br />

Selbstwiderspruch steht (BGH StV 2001, 100 und StV 2001, 101). Die Rechtsausübung kann dann auch mit dem<br />

auch im Strafprozess bestehenden Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl.<br />

Einl. Rdn. 111; vgl. auch Art. 35 Abs. 3 Var. 3 EMRK) sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der<br />

Effizienz staatlichen Handelns (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2003, 1514, 1515) nicht zu vereinbaren sein. Sie ist<br />

dann unzulässig.<br />

b) Auch die Mitwirkung an einer Urteilsabsprache kann dazu führen, dass sich daran anschließende Prozesshandlungen<br />

als selbstwidersprüchlich erweisen, so dass sie unzulässig sind. Auf die Notwendigkeit der Klärung der Frage, ob<br />

und in welchem Maße im Revisionsverfahren etwa unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens bestimmte<br />

Verfahrensrügen ausgeschlossen sein können (vgl. dazu auch BGH, Beschl. vom 17. September 2008 - 5 StR<br />

206


404/08), hat bereits der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs ausdrücklich hingewiesen (BGHSt 50,<br />

40, 52).<br />

c) Mit der hier nach einer Urteilsabsprache erhobenen Befangenheitsrüge, mit der die Befangenheit der Richter vor<br />

einer Urteilsabsprache beanstandet wird, setzt sich der Beschwerdeführer in diesem Sinne zu seinem eigenen früheren<br />

Verhalten in Widerspruch. Denn bei der einvernehmlichen Beendigung des Strafverfahrens aufgrund einer Absprache<br />

bringen die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich <strong>zum</strong> Ausdruck, dass für sie ein Grund für ein Misstrauen in<br />

die Unparteilichkeit des Richters nicht (mehr) besteht. Besondere Umstände, die hier eine andere Wertung und damit<br />

einen Ausnahmefall rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.<br />

aa) Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist, ob der Richter den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld<br />

und Straffrage bereits festgelegt. Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen<br />

in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung<br />

des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere<br />

Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei entspricht es<br />

ständiger Rechtsprechung, dass zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen nach umfassender Information über<br />

den zugrunde liegenden Vorgang gegenstandslos werden kann (vgl. BGHSt 4, 264, 269 f.; BGH wistra 2002, 267;<br />

NStZ-RR 2004, 208, 209; NJW 2006, 3290, 3295; jeweils m.w.N.). Die Besorgnis der Befangenheit kann demnach<br />

auch durch die dem Ablehnenden bekannt gemachte dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters ausgeräumt<br />

werden (BGH, Beschl. vom 3. Juli 1996 - 5 StR 107/96; vgl. auch BGHSt 45, 312, 320; BGH NStZ 1999, 629, 630).<br />

bb) Für die Beurteilung, ob ein Befangenheitsantrag begründet ist, ist dabei auf den Zeitpunkt der Entscheidung des<br />

nach § 27 StPO zuständigen Gerichts abzustellen. Nur die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Tatsachen und Beweismittel<br />

dürfen auch bei der Entscheidung des Revisionsgerichts, das die Befangenheitsrüge nach Beschwerdegesichtspunkten<br />

behandelt, berücksichtigt werden (BGHSt 21, 85, 88; BGH NJW 1960, 2106, 2108).<br />

cc) Indes gilt der Grundsatz, dass zunächst erscheinendes Misstrauen wieder ausgeräumt werden kann, auch für eine<br />

Urteilsabsprache. Wird - wie hier - eine den Grundsätzen von BGHSt 50, 40 entsprechende Urteilsabsprache getroffen,<br />

die zur Folge hat, dass der Angeklagte ein Geständnis ablegt und das Gericht dafür eine Strafobergrenze zusagt,<br />

so ist dieses Verhalten des Angeklagten grundsätzlich dahin zu verstehen, dass er die zuvor geäußerte Besorgnis in<br />

die Unparteilichkeit des Gerichts nicht mehr hegt (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 4).<br />

dd) Lässt sich der Angeklagte auf ein solches Vorgehen ein und legt er im - rechtlich geschützten - Vertrauen auf die<br />

Zusage des Gerichts ein Geständnis ab, so belegt das seine veränderte Einschätzung. Jetzt besorgt er nicht mehr, und<br />

muss auch nicht mehr besorgen, das Gericht habe sich - zu seinem Nachteil vorschnell - in der Schuld- und Straffrage<br />

festgelegt. Diese hat er nunmehr vielmehr mit dem Gericht im Wesentlichen „abgesprochen“ und das zu erwartende<br />

Urteil entspricht seiner Verteidigungsstrategie. Ist die Urteilsabsprache fair und ordnungsgemäß zustande gekommen,<br />

so vermag auch ein dabei geäußerter Vorbehalt, auf eine Befangenheitsrüge wegen des zuvor gestellten<br />

Befangenheitsantrages nicht zu verzichten, nichts daran ändern, dass der Angeklagte mit dem Eingehen auf die Absprache<br />

zu erkennen gegeben hat, dass seine Besorgnis entfallen ist.<br />

ee) Hegt aber der Angeklagte keine Besorgnis der Befangenheit mehr und geht er deshalb von einer unvoreingenommenen<br />

Haltung des Gerichts <strong>zum</strong> Urteilszeitpunkt aus, fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis für die Beanstandung<br />

einer Zwischenentscheidung, welche die Frage der Besorgnis der Befangenheit der erkennenden Richter in<br />

einem früheren Verfahrensstadium zu Gegenstand hatte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des in Art. 19 Abs. 4<br />

GG garantierten Grundrechts des Angeklagten, wonach das Rechtsmittelgericht ein von der jeweiligen Prozessordnung<br />

eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und „leer laufen“ lassen darf (BVerfGE 78, 88, 98 f.).<br />

ff) Der Senat verkennt nicht, dass bei besonderen Umständen trotz vorheriger Urteilsabsprache ein Rechtsschutzbedürfnis<br />

für die Erhebung einer Befangenheitsrüge gegeben sein kann. Dies ist etwa der Fall, wenn sich eine neue<br />

Sachlage ergibt, die dazu führt, dass das Gericht seine Zusage nicht mehr aufrechterhält. In einem solchen Fall ist<br />

auch die Besorgnis des Angeklagten neu zu bewerten. Dasselbe gilt, wenn besondere Umstände vorhanden sind, die<br />

bei verständiger Würdigung des Sachverhalts trotz der Urteilsabsprache ein fortbestehendes Misstrauen in die Unparteilichkeit<br />

des Gerichts rechtfertigen. Solche Umstände sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Soweit die<br />

Revision vorträgt, der Angeklagte habe bei Abgabe des Geständnisses bekundet, dass ein Rechtsmittelverzicht ebenso<br />

wenig beabsichtigt gewesen sei wie ein Ausschluss von Verfahrensrügen, ist dies nicht geeignet, eine nach der<br />

Urteilsabsprache fortbestehende Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Denn mit dieser Erklärung brachte der<br />

Beschwerdeführer lediglich <strong>zum</strong> Ausdruck, dass er trotz der Verständigung mit dem Gericht vor der Absprache liegende<br />

Verfahrensverstöße mit dem Rechtsmittel der Revision beanstanden will. Dass er - auch angesichts der Verständigung<br />

- nach wie vor die Voreingenommenheit der Richter besorgte, kann der Erklärung indes nicht entnommen<br />

werden.<br />

207


d) Der Unzulässigkeit der Erhebung einer Befangenheitsrüge, mit der die vor einer einvernehmlichen verfahrensbeendenden<br />

Absprache erfolgte Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs beanstandet wird, steht nicht entgegen,<br />

dass nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 3. März 2005 (BGHSt<br />

50, 40 ff.) das Tatgericht im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht<br />

mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken darf. Denn der in einem solchen Fall eintretende<br />

Rügeverlust ist nicht etwa Folge eines Rechtsmittelverzichts, sondern des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses nach<br />

einer Urteilsabsprache für die Beanstandung bestimmter Verfahrensverstöße vor der verfahrensbeendenden Absprache.<br />

Die Rechtsmittelbefugnis als solche besteht bei einer Urteilsabsprache uneingeschränkt fort.<br />

3. Die Befangenheitsrüge wäre - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls unbegründet.<br />

a) Unter Berücksichtigung der dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter hat sich der Senat nicht von der<br />

Richtigkeit der Behauptung der Revision überzeugt, die in der Haftbeschwerdeentscheidung zur Terminierung angegebenen<br />

Tatsachen seien unwahr. Vielmehr wurden die für die Terminierung bedeutsamen Umstände in den diesbezüglichen<br />

Entscheidungen der Kammer einerseits und der Haftbeschwerde sowie der Gegenvorstellung des Angeklagten<br />

andererseits von den Verfahrensbeteiligten ersichtlich unterschiedlich interpretiert. Dies wurde durch die<br />

dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter auch dem Angeklagten deutlich. Schließlich konnte der Senat<br />

auch keine Anhaltspunkte für bewusste Falschangaben der abgelehnten Richter zu den Umständen der Terminierung<br />

feststellen. Bei dieser Sachlage liegen keine Umstände vor, die geeignet sind, in den Augen eines vernünftigen Angeklagten<br />

Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter zu rechtfertigen.<br />

II.<br />

Auch die Sachrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts im Ergebnis ohne Erfolg.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen unterstützte der Angeklagte eine international tätige Organisation,<br />

die Tabakfeinschnitt, der unter Steueraussetzung aus dem Verbrauchsteuergebiet der Europäischen Gemeinschaft<br />

ausgeführt werden sollte (§ 17 TabStG), während der Beförderung dem Steueraussetzungsverfahren entzog<br />

und hiermit in nicht zugelassenen Herstellungsbetrieben in der Bundesrepublik Zigaretten herstellte, die sodann unter<br />

der Marke „Marlboro“ in Deutschland vertrieben wurden. Die insoweit nach § 11 Abs. 3, § 18 Abs. 1 Satz 1 TabStG<br />

entstandenen Steuern wurden nicht entrichtet. Der Tatbeitrag des Angeklagten bestand nach den Urteilsfeststellungen<br />

einerseits darin, dass er bei der Beschaffung des Tabakfeinschnitts in Argentinien beteiligt war, wo er für den vorgeblichen<br />

Endempfänger auftrat. Bei diesem handelte es sich um eine in Kroatien, das zur Tatzeit noch nicht Mitglied<br />

der Europäischen Union war, ansässige Firma. Nachdem der Tabakfeinschnitt aus Argentinien ordnungsgemäß<br />

an die belgische Firma T., die Inhaberin eines Steuerlagers war, geliefert worden war, veranlasste der Angeklagte<br />

nacheinander sieben Einzeltransporte mit Tabakfeinschnitt an die von ihm vertretene kroatische Firma im Steueraussetzungsverfahren,<br />

aus dem die Transporte dann jeweils entzogen wurden.<br />

2. Entgegen der Auffassung der Revision hält der Schuldspruch auch zur Frage des Konkurrenzverhältnisses der<br />

Taten rechtlicher Nachprüfung stand. Den Urteilsgründen ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der<br />

Angeklagte an jedem der sieben verfahrensgegenständlichen Tabaktransporte, die jeweils aus dem Steueraussetzungsverfahren<br />

entzogen wurden, unterstützend mitwirkte (UA S. 5). Er leistete zu jeder der Haupttaten durch selbständige<br />

Unterstützungshandlungen Hilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB. Die Beihilfehandlungen stehen daher<br />

zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB; vgl. BGH wistra 2008, 217). Der Umstand, dass der Angeklagte<br />

bereits bei der Anbahnung des Gesamtgeschäfts und an der Beschaffung des Tabaks durch die belgische Firma<br />

T. in Argentinien beteiligt war, welche den Tabak zunächst in einem Steuerlager zwischenlagerte, bevor das<br />

Steueraussetzungsverfahren eröffnet wurde, führt angesichts seiner Mitwirkung an den einzelnen Tabaktransporten<br />

zu keiner anderen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses. Zur Klarstellung berichtigt der Senat das offensichtliche<br />

Schreibversehen der Strafkammer „Beihilfe zur Steuerverkürzung“ im Urteilstenor in „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“<br />

(vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 354 Rdn. 33).<br />

3. Der Strafausspruch hat ebenfalls Bestand.<br />

Zwar setzt die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 370 Abs. 3 AO beim Gehilfen eine eigenständige<br />

Bewertung aller Umstände einschließlich seines Tatbeitrages voraus (vgl. BGH NStZ 1983, 217; wistra 2007, 461;<br />

Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 267). Das Landgericht durfte daher beim<br />

Angeklagten nicht allein deshalb vom - gemäß §§ 27, 49 StGB gemilderten - Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO ausgehen,<br />

weil die Taten bei den Haupttätern als besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung zu qualifizieren waren.<br />

Gleichwohl ist die Strafrahmenwahl des Landgerichts nicht zu beanstanden. Angesichts der Einbindung des<br />

Angeklagten in die Aktivitäten einer international operierenden Tätergruppe, die im großen Stil und mit großer krimineller<br />

Energie in illegal eingerichteten Fabrikationsstätten Zigaretten herstellte und unversteuert unter Markenbe-<br />

208


zeichnungen veräußerte (UA S. 3, 13), kam bei dem hier vorliegenden Tatbild mit einem Gesamtsteuerschaden von<br />

weit mehr als 10 Mio. Euro auch bei den Unterstützungshandlungen des Angeklagten nur die Annahme besonders<br />

schwerer Fälle im Sinne des § 370 Abs. 3 AO in Betracht. Dass der Angeklagte auf eine seiner Stellung und seiner<br />

Aufgabe im Tatgeschehen entsprechende Entlohnung verzichtet haben könnte, ist weder festgestellt, noch wird dies<br />

vom Angeklagten behauptet. Der Senat schließt zudem aus, dass sich in den Fällen fünf bis sieben der Urteilsgründe<br />

die geringfügige Überschreitung des gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c TabStG in der Fassung vom 23. Dezember<br />

2003 maßgeblichen Tabaksteuersatzes für Zigaretten durch die Strafkammer um knapp 0,13 Cent pro Zigarette auf<br />

den Strafausspruch ausgewirkt hat.<br />

AO § 370 Abs. 1 und 3; StGB § 266a, Zur Straf<strong>zum</strong>essung bei Steuerhinterziehung.<br />

BGH, Urt. v. 02.12.2008 – 1 StR 416/08 - NJW <strong>2009</strong>, 528; NStZ <strong>2009</strong>, 271; StV <strong>2009</strong>, 188<br />

LS: 1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge richtet<br />

sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV.<br />

2. Zur Straf<strong>zum</strong>essung bei Steuerhinterziehung.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe<br />

als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt<br />

schuldig ist.<br />

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in<br />

vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung sachlichen<br />

Rechts rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im<br />

Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I.<br />

Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma ein Trockenbau-Unternehmen, das für verschiedene<br />

Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten<br />

in den Jahren 2001 bis 2005 ein „auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen<br />

Teil seiner Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, ohne die Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu<br />

melden und ohne für diese Personen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Darüber hinaus erklärte<br />

er die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in den für die<br />

betreffenden Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch<br />

die Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten<br />

Leistungen vermeiden. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten<br />

Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend<br />

machen zu können, unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei<br />

diesen Rechnungen handelte es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem Vorsteuerausweis, mit denen unter dem<br />

Namen von Firmen, die tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen<br />

für die L. AG erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen Auftraggebern<br />

war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden<br />

noch an die Finanzbehörden abführen würden.<br />

Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in<br />

Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamtsozialversicherungsbeiträge<br />

in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung<br />

in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen<br />

der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen<br />

ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.<br />

II.<br />

209


Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin<br />

zu berichtigen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a<br />

StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt<br />

es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen; dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich<br />

33 Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat<br />

selbst vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 354 Rdn. 20 m.w.N.).<br />

III.<br />

Die Straf<strong>zum</strong>essung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten<br />

beschwerenden Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge -<br />

ist zutreffend bestimmt.<br />

1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die<br />

Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.<br />

2. Im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung hat das Landgericht bei den einzelnen Taten jeweils auch den zutreffenden<br />

Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe den Angeklagten<br />

wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht hat hierbei die Höhe<br />

der den Einzugsstellen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift des § 14 Abs.<br />

2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne als Nettoarbeitsentgelt<br />

gewertet hat.<br />

a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich<br />

nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten<br />

Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne<br />

auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB<br />

§ 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten<br />

Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern, der Umstand, dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur<br />

Verfügung stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten<br />

handelte (UA S. 19, 37). Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den Feststellungen des<br />

Landgerichts auch in anderen - mit den verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen bei Arbeiten im Rahmen<br />

von Trockenbaumaßnahmen 60 Prozent der Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die Schätzung der<br />

ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus<br />

Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983, 107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).<br />

b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe,<br />

d.h. für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie<br />

sich aus den mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils<br />

gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese<br />

Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die <strong>zum</strong><br />

1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).<br />

aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung<br />

der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem<br />

Umstand Rechnung getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt<br />

werden. Er hat daher bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen<br />

den Beteiligten die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem Arbeitnehmer auch wirtschaftlich<br />

ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten <strong>zum</strong><br />

Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung (BTDrucks. aaO) war die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen,<br />

die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches<br />

Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung<br />

und Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).<br />

bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale<br />

Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese Fiktion<br />

greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten besteht<br />

daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und<br />

Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn „hochzurechnen“ ist<br />

(§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt<br />

(vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB<br />

III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäfti-<br />

210


gung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen<br />

(§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen<br />

Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber<br />

verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen<br />

oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen<br />

gegen das Steuerrecht oder <strong>zum</strong> Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).<br />

cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des<br />

Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts, nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden<br />

der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde<br />

zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts<br />

durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.). Überzeugende Gründe,<br />

die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und für die Bestimmung der Höhe der<br />

vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung<br />

festzuhalten, bestehen angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.<br />

(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO)<br />

bezeichnet als maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen<br />

sprechenden Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge<br />

nicht abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung - die<br />

Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers - werde<br />

daher von den Parteien des illegalen Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH wistra 1993, 148 m.w.N.;<br />

BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis<br />

keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige Vereinbarung führt zwar zur<br />

Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede, nicht aber zu der des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105,<br />

187, 191 ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende und „früher streitige Frage, ob bei<br />

derartigen Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat<br />

der Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig<br />

und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).<br />

(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber<br />

versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen<br />

Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge.<br />

Vorenthalten im Sinne von § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich<br />

geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des § 266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt<br />

47, 318 f.; 51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich daher, wie die<br />

Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien<br />

des Beschäftigungsverhältnisses ist im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht. Für die<br />

Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten<br />

maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden<br />

Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NStZ 2001, 599, 600).<br />

Nach den tatsächlichen Verhältnissen bemessen sich auch die Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die<br />

Lohnzahlung aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei Einführung des § 14 Abs. 2<br />

Satz 2 SGB IV bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses<br />

(BTDrucks. 14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte<br />

Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV<br />

ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht getroffen werden.<br />

(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen Beschäftigung<br />

entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl.<br />

Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser<br />

Norm bei der Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge<br />

nicht entgegen. Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer Schwarzlohnabrede abzuhalten<br />

(vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs. 2 Satz 2<br />

SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung<br />

tragen (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen<br />

Regelungsgehalt und nicht den Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages oder eines Zwangsgelds (vgl.<br />

dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).<br />

211


(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des §<br />

266a StGB zur Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen ist als bei der Bestimmung des<br />

Verkürzungsumfangs der bei Schwarzlohnabreden <strong>zum</strong>eist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von Lohnsteuer<br />

(vgl. Heitmann in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner in<br />

Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der<br />

Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber<br />

aber wegen des dort geltenden Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20). Demgegenüber<br />

gilt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB IV, BGHSt 47, 318,<br />

319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61, 65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2<br />

Satz 2 SGB IV Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar <strong>zum</strong> Sozialversicherungsrecht,<br />

57. Ergänzungslieferung 2008 SGB IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese Unterschiede zwischen<br />

Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage<br />

für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits<br />

(vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB: „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“).<br />

(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem Bruttoarbeitsentgelt<br />

führen kann, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner aaO<br />

Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne<br />

von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen,<br />

dass eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt,<br />

ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt<br />

berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in<br />

diesem Zusammenhang lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als echtem Unterlassungsdelikt<br />

immanente Tatbestandsvoraussetzung beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Handlungspflicht möglich<br />

und <strong>zum</strong>utbar sein muss (BGHSt 47, 318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der legalen Beschäftigung<br />

erhöhten Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn der Angeklagte verschaffte sich<br />

durch die Schwarzlohnabrede wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal tätigen Arbeitgebern.<br />

(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im<br />

vorliegenden Fall keine Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom 8. September<br />

2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach § 39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei<br />

einem Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt wird. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen<br />

besteht regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte<br />

vorgelegt haben. Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung ergibt sich hier auch aus<br />

dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).<br />

IV.<br />

Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen<br />

Urteil insoweit zugrunde liegenden Straf<strong>zum</strong>essungserwägungen tragen den nachfolgend dargelegten Kriterien<br />

Rechnung, die bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:<br />

1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch -<br />

die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das<br />

künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt,<br />

dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den<br />

Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.<br />

2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene<br />

Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes<br />

Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut.<br />

Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen<br />

und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40, 109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist<br />

die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Straf<strong>zum</strong>essungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl.<br />

auch BGH wistra 1998, 269, 270).<br />

Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Straf<strong>zum</strong>essung<br />

in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag<br />

nicht nur ein bestimmender Straf<strong>zum</strong>essungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist,<br />

ein auch für die konkrete Straf<strong>zum</strong>essung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische<br />

Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.<br />

212


Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1<br />

AO hob die Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der zur Verschärfung des Strafrahmens führen<br />

konnte. Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) bedrohter<br />

besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß<br />

Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung für<br />

die Erfüllung des Regelbeispiels zu dem objektiven Merkmal „in großem Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal<br />

„aus grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der Gesetzgeber schon damals <strong>zum</strong> Ausdruck gebracht,<br />

dass die Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.<br />

3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Straf<strong>zum</strong>essungsgrund für die Steuerhinterziehung ist,<br />

kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe<br />

gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall<br />

ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.<br />

Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen<br />

Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Straf<strong>zum</strong>essung innerhalb des gefundenen Strafrahmens,<br />

und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen<br />

Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber<br />

eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.<br />

Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3<br />

Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266 Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.<br />

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132)<br />

erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs<br />

(§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in BGHSt 48, 360<br />

ausgeführt:<br />

„Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen … Die<br />

Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von<br />

50.000 € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte<br />

Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen<br />

des Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des<br />

Regelbeispiels aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen<br />

können, oder ob auch ohne dass dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände einen unbenannten besonders<br />

schweren Fall zu begründen vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel anzunehmen ist.“<br />

b) Das vergleichbare Merkmal des „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof<br />

bislang nicht - wie beim Betrug - betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie daran, dass bei der<br />

früheren Gesetzesfassung - zu der die Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente („großes Ausmaß“)<br />

mit der subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“) verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung nur<br />

des Merkmals „großes Ausmaß“ nicht veranlasst war.<br />

Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung<br />

unter Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war<br />

dabei insbesondere, ob sich das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommenden Verkürzungsumfang heraushebt<br />

und ob ein „Täuschungsgebäude großen Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).<br />

Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe<br />

für eine Grenzziehung. Während überwiegend - indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF - für<br />

die Annahme des „großen Ausmaßes“ eine Hinterziehung in Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde (Franzen/Gast/Joecks,<br />

Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 270; Klein/Gastde Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68;<br />

Scheurmann-Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59), finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die<br />

eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000 € für möglich erachten<br />

(Kohlmann, Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis<br />

der Straf<strong>zum</strong>essung 4. Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch für die neue Fassung des<br />

Merkmals ein „großes Ausmaß“ erst bei einem Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, AO und<br />

FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114) oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in Rolletschke/Kemper,<br />

Steuerverfehlungen, 87. Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten teilweise auch weiterhin<br />

213


auch für die Bejahung des Merkmals eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich (Rolletschke in Stbg 2008,<br />

49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).<br />

c) Das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des<br />

Senats - in gleicher Weise wie beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann erhält das Merkmal<br />

seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine Vergleichbarkeit mit dem<br />

Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat,<br />

es sei geboten, „dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der<br />

Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen<br />

Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.“<br />

Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der Prüfung des Regelbeispiels von einem großen Ausmaß<br />

auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung<br />

des Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem<br />

inzwischen aufgehobenen § 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim Begriff des Vermögensverlustes<br />

großen Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr.<br />

2 Alt. 1 StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven<br />

Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl<br />

ist bei von der Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem Betrug und der Steuerhinterziehung<br />

eine einheitliche Grenzziehung in Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).<br />

Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl.<br />

BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine<br />

Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem Ausmaß“<br />

als gegeben erachtet. Begründet wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven Merkmals des<br />

„groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75). Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen<br />

wollte, die den Begriff des „großen Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB konkretisierte, kann<br />

daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des §<br />

370 Abs. 3 AO <strong>zum</strong> Ausdruck bringen, dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer<br />

Strafwürdigkeit nicht geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99 mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71<br />

S. 194).<br />

d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wie<br />

beim Betrug nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ liegt danach nur dann<br />

vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt.<br />

aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser Größenordnung<br />

schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung<br />

regelmäßig bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1<br />

AO), dass die Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig<br />

auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von Steuererklärungen<br />

gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).<br />

Gleichwohl lassen derartige „qualitative“ Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des Ausmaßes der Steuerverkürzung<br />

unberührt, da solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern.<br />

Schutzgut des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausgeführt - das öffentliche Interesse am<br />

vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich<br />

an einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von<br />

Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

vermindern.<br />

bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes<br />

im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim Betrug<br />

- zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:<br />

(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen<br />

vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder<br />

durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“<br />

geführt - diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.<br />

(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche<br />

Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann<br />

214


kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.<br />

cc) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert<br />

zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl.<br />

Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist der Ansicht, dass bei mehrfacher<br />

tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges<br />

zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die Straf<strong>zum</strong>essung<br />

einer einheitlichen Bewertung bedarf.<br />

e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies - unabhängig von der<br />

Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung<br />

kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:<br />

Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen<br />

von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe<br />

kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in<br />

Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).<br />

Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig<br />

nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser<br />

Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung<br />

vor Gericht - das eine öffentliche Hauptverhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten ist (vgl. §<br />

407 Abs. 1 Satz 2 StPO).<br />

f) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits<br />

aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.<br />

aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der<br />

Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen<br />

Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den<br />

gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies<br />

in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des<br />

Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen, etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung<br />

verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung<br />

verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige<br />

(§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.<br />

bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe<br />

spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des<br />

Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte<br />

das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen<br />

erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise gewerbsmäßig oder gar „als Gewerbe“<br />

betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung<br />

von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.<br />

Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch<br />

der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen<br />

durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen<br />

verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. §<br />

41 Abs. 2 Satz 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt<br />

durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare<br />

Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den<br />

sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im<br />

Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).<br />

4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 - dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3<br />

Satz 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden<br />

sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen<br />

wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zu-<br />

215


sätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Ausmaß“ - wie es oben vom Senat bestimmt<br />

wurde - das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.<br />

Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet<br />

freilich, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des<br />

Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob - umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer<br />

Fall der Steuerhinterziehung vorliegt, obwohl der Hinterziehungsbetrag unter 50.000 € liegt.<br />

Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung,<br />

wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung<br />

die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen,<br />

die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des<br />

erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende<br />

Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs- und Schärfungsgründe Gewicht.<br />

5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe<br />

rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen zukommende Gewicht beigemessen.<br />

Namentlich die beiden Einsatzstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die Umsatzsteuerhinterziehungen<br />

2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in Höhe von jeweils über 150.000 € werden den oben genannten<br />

Straf<strong>zum</strong>essungskriterien gerecht.<br />

V.<br />

Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der Beitrags- als auch bei der Steuerhinterziehung einerseits<br />

die Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber<br />

strafmildernd berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern.<br />

Diese Straf<strong>zum</strong>essungserwägungen erweisen sich nicht als widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB sind sowohl<br />

die verschuldeten Folgen der Tat als auch die Schadenswiedergutmachung straf<strong>zum</strong>essungsrelevante Faktoren. Bei<br />

einer nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen<br />

Steuern und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im<br />

Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung unberücksichtigt zu lassen.<br />

VI.<br />

Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur Bewährung<br />

hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.<br />

Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht vorzunehmenden<br />

Prüfung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur Bewährung ausgesetzt<br />

werden kann, der Kriminalprognose des Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände von<br />

Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit<br />

des Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl.<br />

BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose<br />

als von vornherein für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschl.<br />

vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung<br />

auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei <strong>zum</strong> Ergebnis gelangt, dass selbst<br />

unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen<br />

wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen; sie hat aber im konkreten Fall auf<br />

das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen.<br />

So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und<br />

seinen Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung<br />

dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (UA S. 43). Aus<br />

dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im<br />

Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose <strong>zum</strong><br />

Fehlen besonderer Umstände gelangt ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in den Urteilsgründen,<br />

die Frage der Kriminalprognose könne „letztlich“ offen bleiben, nicht, die Strafkammer habe diese Frage<br />

für die nach § 56 Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.<br />

216


AO § 370 Abs. 1 und 4, UStG § 18, StGB § 46 Steuerhinterziehung „auf Zeit“ und Erfolg (nich nur-<br />

Hinterziehungszinsen)<br />

BGH, Urt. v. 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 627/08<br />

LS: Bei der Hinterziehung von Umsatzsteuern bemisst sich der Umfang der verkürzten Steuern<br />

oder erlangten Steuervorteile auch dann nach deren Nominalbetrag, wenn die Tathandlung in der<br />

pflichtwidrigen Nichtabgabe oder der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung im<br />

Sinne von § 18 Abs. 1 UStG liegt. Der Umstand, dass in solchen Fällen im Hinblick auf die Verpflichtung<br />

zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) zunächst nur eine<br />

Steuerhinterziehung „auf Zeit“ gegeben ist, führt nicht dazu, dass der tatbestandsmäßige Erfolg<br />

lediglich in der Höhe der Hinterziehungszinsen zu erblicken wäre.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Juli 2008 im<br />

gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den umfassend geständigen Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 59 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und zu einer Gesamtgeldstrafe<br />

von 360 Tagessätzen verurteilt. Die Einzelstrafen hat das Landgericht im Hinblick auf eine „rezidivierende<br />

depressive Störung“ des Angeklagten jeweils dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des §<br />

370 Abs. 1 AO entnommen; von der Bildung einer einheitlichen Gesamtfreiheitsstrafe hat es gemäß § 53 Abs. 2 Satz<br />

2 StGB abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten<br />

eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass das Landgericht<br />

hinsichtlich der Taten der Lohnsteuerhinterziehung sowie der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Abgabe<br />

von Umsatzsteuervoranmeldungen statt kurzer Freiheitsstrafen (§ 47 Abs. 1 StGB) lediglich Geldstrafen verhängt<br />

und bei der Gesamtstrafenbildung keine einheitliche Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I.<br />

1. Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte seit dem Jahr 1999 als Einzelfirma einen Pizzalieferservice<br />

mit Filialen in Nürnberg, Fürth und Erlangen. Im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit entnahm er in den Jahren 2002<br />

bis 2006 einen erheblichen Teil der Betriebseinnahmen, ohne diese als Umsätze und Einnahmen in der Buchhaltung<br />

des Unternehmens zu erfassen; Lohnzahlungen an Aushilfskräfte erfasste er ebenfalls nicht. Auch seinen steuerlichen<br />

Erklärungspflichten kam er nicht ordnungsgemäß nach, so dass in zehn Fällen Umsatzsteuer, in jeweils drei<br />

Fällen Gewerbesteuer und Einkommensteuer und in 43 Fällen Lohnsteuer verkürzt wurde. Im Einzelnen hat das<br />

Landgericht hierzu festgestellt: 3<br />

a) Für die Jahre 2002 und 2003 gab der Angeklagte zunächst keine Umsatzsteuerjahreserklärungen ab. Nachdem das<br />

Finanzamt insoweit Schätzungsbescheide erlassen hatte, reichte er verspätet Umsatzsteuerjahreserklärungen ein, mit<br />

denen er geringere als die tatsächlich erzielten Umsätze erklärte. Hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 2004 gab<br />

er zwar fristgemäß eine Umsatzsteuerjahreserklärung ab, nahm aber die in diesem Zeitraum erzielten Umsätze nicht<br />

vollständig auf. Für die Quartale I/2005 bis III/2006 gab der Angeklagte keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Die<br />

Gesamtsumme der hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 verkürzten Umsatzsteuern hat die Strafkammer<br />

mit 80.500,-- Euro beziffert. Im Hinblick auf die nicht eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen für die<br />

Jahre 2005 und 2006 hat sie lediglich den „Zinsverlust als Hinterziehungsschaden“ angesehen, den sie nach Maßgabe<br />

des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO berechnet hat. 4<br />

b) Für die Jahre 2002 und 2003 gab der Angeklagte auch keine Gewerbesteuer- und Einkommensteuererklärungen<br />

ab; in die für das Jahr 2004 eingereichten Gewerbesteuer- und Einkommensteuererklärungen nahm er nur solche<br />

Einkünfte auf, die in die Buchhaltung der Firma Eingang gefunden hatten. Die insoweit ergangenen Steuerbescheide<br />

- hinsichtlich der Jahre 2002 und 2003 Schätzungsbescheide - enthielten deshalb jeweils zu niedrige Steuerfestsetzungen;<br />

als Gesamtverkürzungsumfang einschließlich Solidaritätszuschlag hat das Landgericht einen Betrag von<br />

mehr als 300.000,-- Euro errechnet. 5<br />

217


c) Aufgrund von Schwarzlohnzahlungen, die der Angeklagte in seine Lohnsteueranmeldungen nicht aufnahm, verkürzte<br />

er in den Jahren 2002 bis 2006 in insgesamt 43 Fällen Lohnsteuern und Solidaritätszuschlag in Höhe von<br />

mehr als 200.000,-- Euro. 6<br />

2. Den Ausführungen eines Sachverständigen für Psychiatrie und Psychologie folgend ist das Landgericht davon<br />

ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer „rezidivierenden depressiven Störung“<br />

im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen ist. Der Sachverständige habe dargelegt, es handele sich um<br />

eine krankhafte seelische Störung, die „beim Angeklagten so weitgehende Veränderungen in dessen Denken und<br />

insbesondere Aktivitätsniveau (Antriebsdefizit) bewirkte, dass die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit<br />

gerechtfertigt sei“ (UA S. 21). II.<br />

Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam.<br />

1. Eine isolierte Überprüfung der Straf<strong>zum</strong>essung ist möglich, ohne dass der Schuldspruch hiervon berührt wird (vgl.<br />

BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.); denn nach den vom Landgericht zur „depressiven Störung“ des Angeklagten<br />

getroffenen Feststellungen ist sicher auszuschließen, dass sich aufgrund einer neuen Hauptverhandlung ein Ausschluss<br />

der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) bei Begehung der Taten erweisen könnte. Die den Schuldspruch<br />

tragenden Feststellungen bilden auch im Übrigen eine ausreichende Grundlage für die Prüfung des Strafausspruchs<br />

(BGHSt 33, 59).<br />

2. Eine weitergehende, schlüssige Beschränkung der Revision auf die Nichtverhängung kurzer Einzelfreiheitsstrafen<br />

gemäß § 47 Abs. 1 StGB sowie auf den Gesamtstrafausspruch liegt nicht vor. Zwar wendet sich die Staatsanwaltschaft<br />

nicht ausdrücklich gegen die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB;<br />

sie beanstandet aber die Zumessung der Einzelstrafen, bei der die Strafkammer jeweils den typisierten Strafmilderungsgrund<br />

der verminderten Schuldfähigkeit zur Strafrahmenverschiebung herangezogen hat. Das Revisionsvorbringen<br />

ist deshalb mit Rücksicht auf das erstrebte Anfechtungsziel dahin auszulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom<br />

11. April 2000 - 1 StR 55/00 - und vom 23. Oktober 1997 - 4 StR 226/97; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25.<br />

Aufl. § 344 Rdn. 10), dass der gesamte Strafausspruch angegriffen ist.<br />

Eine Beschränkung der Revision auf die ausdrücklich genannten Angriffsziele wäre jedenfalls unwirksam, weil die<br />

Frage, ob der Angeklagte bei der Tatbegehung vermindert schuldfähig war, bei der Prüfung, ob die Verhängung<br />

kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB geboten war, nicht außer Betracht bleiben kann. Beide Fragen<br />

stehen in einem untrennbaren Zusammenhang, der ohne die Gefahr von Widersprüchen eine isolierte Nachprüfung<br />

nicht zulässt.<br />

III.<br />

Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.<br />

1. Bereits die Erwägungen, aufgrund deren das Landgericht für den gesamten Tatzeitraum eine erhebliche Verminderung<br />

der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB angenommen hat, sind nicht tragfähig.<br />

a) Als Begründung für diese Annahme gibt das Landgericht in den Urteilsgründen allein die „Feststellungen“ des<br />

psychiatrischen Sachverständigen wieder, nach denen aus den von diesem vorgenommenen Untersuchungen zu folgern<br />

sei,<br />

„dass die depressive Problematik des Angeklagten ihren Ausgangspunkt im Jahre 2002 genommen habe. Bereits<br />

beim durchgeführten ambulanten Untersuchungsgespräch habe sich der Eindruck einer depressiven Verstimmung<br />

beim Angeklagten mit deutlicher Antriebsbeeinträchtigung ergeben; dieses Antriebsdefizit sei dauerhaft vorhanden.<br />

Insgesamt sei davon auszugehen, dass beim Angeklagten B. eine rezidivierende depressive Störung vorliege,<br />

die mit unterschiedlich schwer ausgeprägten depressiven Episoden einhergehe. Während <strong>zum</strong> aktuellen Untersuchungszeitpunkt<br />

(Mai 2008) von einer lediglich mittelgradigen Problematik auszugehen sei, müsse davon ausgegangen<br />

werden, dass zu früheren Zeitabschnitten schwerwiegendere Auffälligkeiten zu Tage getreten seien. Die einzelnen<br />

depressiven Episoden seien mit Stimmungsveränderungen, Verlust von Freude und üblichen Interessen, Antriebsbeeinträchtigung,<br />

vermehrten Befürchtungen und Ängsten einhergegangen; vor diesem Hintergrund sei auch zu<br />

bewerten, dass der Angeklagte aufgrund wahnhafter Befürchtungen im Jahr 2002 über längere Zeit seine gewohnte<br />

soziale Umgebung verlassen hatte.“<br />

Insgesamt habe die von dem Sachverständigen<br />

„klassifizierte krankhafte seelische Störung, d.h. die immer wieder in unterschiedlichem Ausmaß zutage tretende<br />

depressive Problematik, beim Angeklagten so weitgehende Veränderungen in dessen Denken und insbesondere Aktivitätsniveau<br />

(Antriebsdefizit) bewirkt, dass die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gerechtfertigt<br />

sei. Anhaltspunkte dafür, dass von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden könne, ließen<br />

sich hingegen nicht finden“ (UA S. 21 f.).<br />

218


) Dies hält rechtlicher Nachprüfung bereits deshalb nicht stand, weil die Strafkammer von einem unzutreffenden<br />

Prüfungsansatz ausgegangen ist.<br />

aa) Bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB ist, handelt es<br />

sich um eine Rechtsfrage, die das Tatgericht ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten<br />

hat. Dabei fließen normative Erwägungen ein. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens<br />

hängt auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen stellt. Dies zu<br />

beurteilen, ist allein Sache des Gerichts. Lediglich zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinischpsychiatrischen<br />

Anknüpfungstatsachen bedarf es sachverständiger Hilfe, wenn es hierüber nicht aufgrund eigener<br />

Sachkunde befinden kann (BGHSt 43, 66, 77; BGH StV 1999, 309, 310).<br />

bb) Ob eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit - und zwar „bei Begehung der Tat“ - vorliegt, hat das<br />

Tatgericht im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 43, 66, 78). Dabei ist zu klären,<br />

ob sich die Fähigkeit des Angeklagten, motivatorischen und situativen Tatanreizen in der konkreten Tatsituation zu<br />

widerstehen und sich normgemäß zu verhalten, im Vergleich mit dem „Durchschnittsbürger“ in einem solchen Maß<br />

verringert hat, dass die Rechtsordnung diesen Umstand bei der Durchsetzung ihrer Verhaltenserwartungen nicht<br />

übergehen darf (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 21 Rdn. 7a).<br />

cc) Eine derartige Gesamtwürdigung hat die Strafkammer, die in den Urteilsgründen allein die „Feststellungen“ des<br />

Sachverständigen wiedergibt, nicht vorgenommen. Mehrere belangvolle Umstände, die für die Beurteilung der<br />

Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten von maßgeblicher Bedeutung sind, finden in den Urteilsgründen<br />

keine Erwähnung. So setzt sich die Strafkammer nicht mit der bei Annahme einer „depressiven Störung“<br />

bedeutsamen Tatsache auseinander, dass der Angeklagte im Hinblick auf seine steuerlichen Erklärungspflichten<br />

nicht etwa gänzlich untätig geblieben ist, sondern <strong>zum</strong> Teil Steuererklärungen mit unrichtigem Inhalt eingereicht hat.<br />

Der Erörterung hätte auch bedurft, dass der Angeklagte in der Lage war, ein Unternehmen mit drei Filialen zu leiten,<br />

das in den Jahren 2005 und 2006 Bruttoumsätze von mehr als 100.000,-- Euro pro Monat tätigte und bei dem eine<br />

Mehrzahl von Arbeitnehmern mit einer monatlichen Lohnsumme von mehr als 20.000,-- Euro beschäftigt waren. Die<br />

Leitung eines Gewerbebetriebs dieses Umfangs erfordert nicht unerhebliche Organisationsmaßnahmen im Bereich<br />

des Kassenwesens, der Materialbeschaffung sowie der Auswahl und Überwachung des Personals. War der Angeklagte<br />

aber zur Wahrnehmung dieser Aufgaben in der Lage, hätte die Annahme, dass die „depressive Störung“ des<br />

Angeklagten so erheblich war, dass er seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte,<br />

besonderer Begründung bedurft.<br />

c) Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten halten auch deswegen rechtlicher Nachprüfung<br />

nicht stand, weil sie nicht auf die jeweiligen Tatzeitpunkte bezogen sind. Eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit<br />

gemäß § 21 StGB kommt nur in Betracht, wenn die Schuldfähigkeit „bei Begehung der Tat erheblich<br />

vermindert“ war. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei derjenige der Tathandlung im Sinne von § 8 Satz 1 StGB. Werden<br />

- wie hier - innerhalb eines längeren Zeitraums mehrere Taten begangen, ist deshalb die Prüfung nicht generell,<br />

sondern in Bezug auf jede einzelne Tat vorzunehmen (vgl. BGH NStZ 2004, 437, 438; NStZ-RR 2007, 105, 106).<br />

Daran fehlt es hier. Insbesondere hat das Landgericht nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte den Tatbestand<br />

der Steuerhinterziehung <strong>zum</strong> Teil durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), in den übrigen Fällen durch<br />

Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) verwirklicht hat.<br />

d) Die Erwägungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit sind zudem widersprüchlich; denn die Strafkammer misst<br />

trotz Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten dessen „planmäßiger“ Steuerhinterziehung<br />

strafschärfende Bedeutung bei.<br />

e) Auf diesen Rechtsfehlern beruht der gesamte Strafausspruch. Der Senat muss deshalb besorgen, dass das Landgericht<br />

eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten für einzelne oder alle Taten verneint<br />

hätte, wenn es die gebotene Gesamtwürdigung der für die Schuldfähigkeit des Angeklagten maßgeblichen Umstände<br />

rechtsfehlerfrei vorgenommen hätte.<br />

2. Soweit der Angeklagte seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, fristgemäß Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

abzugeben (Fälle 4 bis 10 der Urteilsgründe), hält die Straf<strong>zum</strong>essung auch deswegen rechtlicher Nachprüfung nicht<br />

stand, weil das Landgericht als „Hinterziehungsschaden“ allein den sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden<br />

„Zinsverlust“ des Fiskus angesehen hat.<br />

a) Tatbestandlicher Erfolg einer Steuerhinterziehung ist gemäß § 370 Abs. 1 AO die Steuerverkürzung bzw. die<br />

Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile. Der Umfang der verkürzten Steuern oder erlangten Steuervorteile<br />

bemisst sich dabei nach deren Nominalbetrag; denn die Steuerhinterziehung bezieht sich auf die Steuern und Steuervorteile,<br />

nicht auf die Hinterziehungszinsen. Dies gilt bei der Hinterziehung von Umsatzsteuern auch dann, wenn die<br />

Tathandlung in der pflichtwidrigen Nichtabgabe oder der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung<br />

219


esteht. Der Umstand, dass der Unternehmer nicht nur Umsatzsteuervoranmeldungen, sondern für jedes Kalenderjahr<br />

auch eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben hat, führt zu keinem anderen Ergebnis.<br />

aa) Nach § 18 Abs. 1 UStG ist der Unternehmer verpflichtet, bis <strong>zum</strong> 10. Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraumes<br />

eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben. Voranmeldungszeitraum ist dabei das Kalendervierteljahr (§ 18<br />

Abs. 2 Satz 1 UStG), unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG der Kalendermonat. In der Umsatzsteuervoranmeldung<br />

hat der Unternehmer die geschuldete Steuer selbst zu berechnen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG), eine<br />

sich daraus ergebende Vorauszahlung ist nach § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums<br />

fällig.<br />

Nach Ablauf des Kalenderjahres hat der Unternehmer gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG eine Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

abzugeben, in der er die zu entrichtende Steuer oder einen sich zu seinen Gunsten ergebenden Überschuss selbst<br />

zu berechnen hat. Aufgrund der Jahreserklärung wird die Steuer für das Kalenderjahr als Besteuerungszeitraum (§ 16<br />

Abs. 1 Satz 2 UStG) erstmals festgesetzt (vgl. Bülow in Vogel/Schwarz UStG Stand 144. Lfg. 2/<strong>2009</strong> § 18 UStG<br />

Rdn. 132). Die Umsatzsteuerjahreserklärung ist grundsätzlich bis <strong>zum</strong> 31. Mai des auf das jeweilige Veranlagungsjahr<br />

folgenden Jahres abzugeben (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO). Soweit sich auf der Grundlage der Jahreserklärung abweichend<br />

zu den Voranmeldungen ein Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Finanzamts ergibt, ist dieser nach § 18<br />

Abs. 4 Satz 1 UStG einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. Die Fälligkeit rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen<br />

nach § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG wird dadurch nicht berührt (§ 18 Abs. 4 Satz 3 UStG).<br />

Die Umsatzsteuervoranmeldung und die Umsatzsteuerjahreserklärung sind Steueranmeldungen im Sinne von § 150<br />

Abs. 1 Satz 3 AO. Sie stehen einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO).<br />

Lediglich dann, wenn sich aus der Voranmeldung oder der Jahreserklärung eine Steuervergütung ergibt, tritt die<br />

Wirkung einer Steuerfestsetzung nach § 168 Satz 2 AO erst ein, wenn die Finanzbehörde zustimmt, was nach § 168<br />

Satz 3 AO formlos möglich ist.<br />

Die steuerlichen Verfahren betreffend die Umsatzsteuervoranmeldungen einerseits und die Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

andererseits sind steuerrechtlich selbstständig und können sich zeitlich überschneiden (vgl. Zeuner in Bunjes/Geist<br />

UStG 8. Aufl. § 18 Rdn. 23; Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 370 AO Rdn.<br />

1364). Dabei löst die Festsetzung der Jahresumsatzsteuer die Vorauszahlungsfestsetzungen für die zukünftige sachlich-rechtliche<br />

Beurteilung des Steueranspruchs ab, ohne aber die Steuerfestsetzung für die Voranmeldungszeiträume<br />

aufzuheben oder zu ändern und ohne Aussagen über ihre materielle Richtigkeit zu treffen (vgl. Bülow in Vogel/Schwarz<br />

UStG Stand 144. Lfg. 2/<strong>2009</strong> § 18 UStG Rdn. 131). Auch wird die Fälligkeit rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen<br />

durch die Fälligkeit eines sich eventuell aus der Jahreserklärung ergebenden Unterschiedsbetrags<br />

zu Gunsten des Finanzamts nicht berührt (§ 18 Abs. 4 Satz 3 UStG). Auf der anderen Seite ist ein sich gegebenenfalls<br />

aus einer Umsatzsteuervoranmeldung ergebender Überschuss nach Zustimmung des Finanzamtes (§ 168<br />

Satz 2 AO) als Erstattungsbetrag ohne besonderen Antrag auszuzahlen; er ist nicht auf die Jahreserklärung vorzutragen<br />

(vgl. Zeuner in Bunjes/Geist UStG 8. Aufl. § 18 Rdn. 24).<br />

Aufgrund der verfahrensrechtlichen Selbstständigkeit beider Arten von Steueranmeldungen entbindet die Abgabe<br />

wahrheitsgemäßer Umsatzsteuervoranmeldungen den Unternehmer nicht von der Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung.<br />

Umgekehrt lässt eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung die steuerrechtliche Pflicht zur<br />

Einreichung noch ausstehender Umsatzsteuervoranmeldungen nicht entfallen (vgl. Zeuner in Bunjes/Geist UStG 8.<br />

Aufl. § 18 Rdn. 23). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Summe der Vorauszahlungen mit der Steuer für den Besteuerungszeitraum<br />

deckt (vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb UStG Stand 60. Lfg. September 2008 § 18 UStG Rdn. 60).<br />

bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, stehen Steuerhinterziehungen wegen<br />

der Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuervoranmeldungen und solche,<br />

bezogen auf die Pflicht zur rechtzeitigen Einreichung einer zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung, auch dann im<br />

Verhältnis der Tatmehrheit zueinander, wenn sie dasselbe Kalenderjahr betreffen (vgl. BGHSt 38, 165, 171; BGH<br />

wistra 2005, 66; 2005, 145, 146; 2005, 228, 229). Aufgrund der steuerrechtlichen Selbstständigkeit beider Besteuerungsverfahren<br />

(vgl. oben Abschnitt aa) kommt einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) im<br />

Verhältnis zu vorangegangenen unzutreffenden monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen in demselben Kalenderjahr<br />

(§ 18 Abs. 1 UStG) in steuerstrafrechtlicher Hinsicht ein selbständiger Unrechtsgehalt zu. Jede Steueranmeldung<br />

hat einen eigenständigen Erklärungswert, der auch durch die Zusammenfassung in der Jahreserklärung nicht deckungsgleich<br />

wird (BGH NStZ 1996, 136, 137).<br />

Somit verwirklicht der Täter mit der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung weiteres Handlungsunrecht<br />

und schafft zudem neues Erfolgsunrecht, indem er eine eigenständige Gefährdung für das Umsatzsteueraufkommen<br />

herbeiführt. Deshalb ist die Steuerhinterziehung aufgrund der Verletzung der Pflicht zur (rechtzeitigen)<br />

Abgabe einer wahrheitsgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung auch nicht mitbestrafte Nachtat, wenn der Täter be-<br />

220


eits wegen Verletzung seiner Pflicht zur (rechtzeitigen) Abgabe zutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen strafbar<br />

ist (vgl. BGHSt 38, 165, 171; BGH NStZ 1996, 136, 137). Dies gilt selbst dann, wenn die unrichtigen Angaben in<br />

der Umsatzsteuerjahresanmeldung und vorangegangenen Umsatzsteuervoranmeldungen inhaltlich übereinstimmen<br />

(a.A. offenbar OLG Frankfurt wistra 2006, 198).<br />

Ausgehend von den Besonderheiten des umsatzsteuerlichen Besteuerungsverfahrens sind für jedes Kalenderjahr (§<br />

16 Abs. 1 Satz 2 UStG) bei vierteljährlichem Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 2 Satz 1 UStG) bis zu fünf und bei<br />

monatlich abzugebenden Voranmeldungen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 UStG) bis zu dreizehn materiell voneinander unabhängige<br />

Taten der Steuerhinterziehung möglich. Sie sind bei unrichtigen Angaben vollendet, sobald die jeweilige<br />

Anmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung hat (BGHR AO § 370 Abs. 1<br />

Vollendung 2), in den Fällen des § 168 Satz 1 AO also bereits mit Einreichung der Steueranmeldung, sonst mit Zustimmung<br />

der Finanzbehörde (§ 168 Satz 2 AO).<br />

Von der Tatvollendung zu unterscheiden ist der - insbesondere für den Beginn der Strafverfolgungsverjährung maßgebliche<br />

- Zeitpunkt der Tatbeendigung als endgültigem Abschluss des Tatgeschehens. Wegen der engen Verzahnung<br />

der umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten, die sich jeweils auf dasselbe Kalenderjahr beziehen, ist das Tatgeschehen<br />

bei der Umsatzsteuerhinterziehung auch im Hinblick auf die unrichtigen oder pflichtwidrig nicht abgegebenen<br />

Umsatzsteuervoranmeldungen regelmäßig erst dann endgültig abgeschlossen, wenn diejenige Steuerhinterziehung<br />

beendet ist, die durch Nichteinreichung einer Umsatzsteuerjahreserklärung oder durch Abgabe einer unrichtigen<br />

Jahreserklärung begangen worden ist; lediglich diese Steuerhinterziehung ist im Zeitpunkt ihrer Vollendung<br />

zugleich beendet (vgl. BGHSt 38, 165, 171; BGH NJW 1989, 2140, 2141; BGH wistra 1991, 215, 216). Die vorsätzliche<br />

Verletzung mehrerer umsatzsteuerlicher Erklärungspflichten für ein und dasselbe Kalenderjahr gehört nach der<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs <strong>zum</strong> selben geschichtlichen Ereignis und ist damit Teil derselben Tat im<br />

prozessualen Sinn im Sinne des § 264 StPO (BGHSt 49, 359).<br />

Dem Umstand, dass die umsatzsteuerlichen Pflichten zur Abgabe für das jeweilige Kalenderjahr eng verzahnt sind<br />

und im Ergebnis der Durchsetzung desselben Steueranspruchs dienen, ist bei gleichzeitiger Aburteilung bei der Gesamtstrafbildung<br />

Rechnung zu tragen (BGH wistra 2005, 145, 147). Im Hinblick auf die Teilidentität im Unrechtsgehalt<br />

zwischen unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen und der dasselbe Jahr betreffenden Jahreserklärung wird<br />

aber das Tatgericht im Regelfall - schon aus Gründen der Vereinfachung - in Verfahren dieser Art gemäß § 154a<br />

Abs. 2 StPO die Verfolgung entweder auf die falsche Umsatzsteuerjahreserklärung oder die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

beschränken können (vgl. BGHSt 49, 359, 365).<br />

cc) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung<br />

ebenso wie das pflichtwidrige Unterlassen der Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung zunächst lediglich zu<br />

einer Steuerhinterziehung „auf Zeit“; erst die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung oder die<br />

pflichtwidrige Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung bewirkt die endgültige Steuerverkürzung, d.h. die<br />

Verkürzung „auf Dauer“ (vgl. BGHSt 43, 270, 276; BGH wistra 2002, 185).<br />

Diese aus dem System der Umsatzbesteuerung folgende Unterscheidung beschreibt nur die Art der Rechtsgutsverletzung;<br />

sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen auf die Bestimmung von Umsatzsteuervorauszahlungen<br />

gerichtet sind während die Jahresumsatzsteuer in einem eigenständigen Verfahren (§ 18 Abs.<br />

3 UStG) festgesetzt wird. Eine Aussage über den tatbestandlichen Verkürzungsumfang ist damit aber nicht getroffen.<br />

Aus der Differenzierung in eine Steuerhinterziehung „auf Zeit“ und eine solche „auf Dauer“ folgt insbesondere nicht,<br />

dass bei einer nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung die tatbestandliche Steuerverkürzung allein im Zinsverlust des<br />

Fiskus bestehen würde. Zwar entspricht der durch eine Steuerverkürzung „auf Zeit“ verursachte Verspätungsschaden<br />

der Höhe nach dem Zinsverlust, der sich nach der Rechtsprechung nach Maßgabe der Vorschriften über die Hinterziehungszinsen<br />

(§§ 235, 238 AO) mit 0,5 Prozent des nicht rechtzeitig festgesetzten Steuerbetrages pro Monat errechnet<br />

(BGHSt 43, 270, 276; BGH wistra 1998, 225, 226; wistra 1998, 146; ebenso BayObLG wistra 1991, 313;<br />

318; Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 78; a.A. Rolletschke in Rolletschke/Kemper,<br />

Steuerverfehlungen, Stand 88. Ergänzungslieferung Dezember 2008 § 370 AO Rdn. 99, der den jeweils geltenden<br />

Kapitalmarktzins zu Grunde legen will).<br />

Die auf die Art der Rechtsgutsverletzung abstellende Differenzierung determiniert jedoch nicht die Höhe der tatbestandlichen<br />

Steuerverkürzung und beschränkt diese bei Umsatzsteuervorauszahlungen auch nicht auf den Zinsschaden.<br />

Soweit der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen möglicherweise abweichende Aussagen getroffen<br />

hat (vgl. BGHSt 43, 270, 276; BGH wistra 1997, 262, 263; wistra 1998, 225, 226; wistra 1998, 146; freilich<br />

jeweils unter Bezugnahme auf BGHSt 38, 165 und BGH wistra 1996, 105, aus denen sich lediglich eine Differenzierung<br />

in eine Steuerverkürzung auf Zeit und eine solche auf Dauer ergeben könnte), hält der Senat an dieser Rechtsprechung<br />

nicht fest. Der tatbestandsmäßige Erfolg der Steuerhinterziehung ist vielmehr ausgehend vom Schutz-<br />

221


zweck des verwirklichten Straftatbestandes zu bestimmen, wobei die gesetzgeberischen Wertungen des materiellen<br />

Steuerrechts, das die Blankettnorm des § 370 AO ausfüllt, zu berücksichtigen sind. Danach gilt Folgendes:<br />

(1) Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch - wie die Vorschrift des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt -<br />

nicht notwendig Verletzungsdelikt (vgl. Senat wistra <strong>2009</strong>, 114, 117). Die im Festsetzungsverfahren begangene<br />

Steuerhinterziehung ist vielmehr konkretes Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht<br />

6. Aufl. § 370 AO Rdn. 15), wobei die geschuldete Steuer bereits dann verkürzt ist, wenn die Steuer nicht rechtzeitig<br />

festgesetzt wird.<br />

(2) Voranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG dienen der zeitnahen Erfassung und Erhebung der Umsatzsteuer (vgl.<br />

Bülow in Vogel/Schwarz UStG 144. Lfg. 2/<strong>2009</strong> § 18 UStG Rdn. 63; Peter/Burhoff/Stöcker Umsatzsteuer Stand 80.<br />

Lfg. 11/2008 § 18 UStG Rdn. 22). Bereits auf deren Grundlage und nicht erst nach Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

soll dem Staat der wesentliche Teil des Umsatzsteueraufkommens zufließen. Deshalb hat der Unternehmer<br />

schon für die Voranmeldungszeiträume die geschuldeten Steuern binnen zehn Tagen nach Ablauf des jeweiligen<br />

Voranmeldungszeitraums nicht nur selbst zu berechnen, sondern auch an das Finanzamt abzuführen (§ 18 Abs.<br />

1 Satz 1 und 3 UStG).<br />

(3) Bei einer Verletzung der Pflichten zur Einreichung von Umsatzsteuervoranmeldungen besteht die gemäß § 370<br />

AO strafbewehrte Gefährdung des sich aus § 18 Abs. 1 und 2 UStG ergebenden Steueranspruchs unabhängig davon,<br />

ob der Steuerschuldner beabsichtigt, zu einem späteren Zeitpunkt - namentlich in der Umsatzsteuerjahreserklärung -<br />

falsche Angaben zu berichtigen bzw. fehlende Angaben nachzuholen, oder ob er eine Steuerverkürzung auf Dauer<br />

anstrebt. In jedem Fall bezweckt er zunächst eine unrichtige Festsetzung. Deren spätere Korrektur ist zwar möglich;<br />

diese ist aber von weiteren in der Zukunft liegenden und noch ungewissen Ereignissen abhängig. Unterschiedlich ist<br />

insoweit lediglich - in Abhängigkeit von den Planungen des Täters - die Intensität der Gefährdung. Dieser Umstand<br />

ist zwar für die Straf<strong>zum</strong>essung von Bedeutung, lässt aber den Umfang des tatbestandsmäßigen Erfolgs unberührt. In<br />

beiden Fällen ist das Erfolgsunrecht identisch (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn.<br />

77).<br />

(4) Im Hinblick auf den Charakter der Steuerhinterziehung als Gefährdungsdelikt unterscheiden sich daher bei der<br />

Umsatzsteuerhinterziehung die Verkürzung „auf Dauer“ und diejenige „auf Zeit“ nicht im Erfolgs-, sondern - im<br />

Hinblick auf das Vorstellungsbild des Täters - nur im Handlungsunrecht (vgl. Franzen/Gast/Joecks aaO). Will der<br />

Täter sich - was freilich nur in seltenen Fällen gegeben sein wird und deshalb sorgfältig zu prüfen ist - durch unrichtige<br />

Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich auf Zeit Liquidität verschaffen und hat er vor, im Rahmen der Jahreserklärung<br />

zutreffende Angaben zu machen und den sich ergebenden Unterschiedsbetrag im Sinne von § 18 Abs. 4 Satz<br />

1 UStG zu entrichten, ist sein Ziel nur eine Schadenswiedergutmachung. Es gilt dann Folgendes:<br />

(a) Berichtigt der Täter - seinem Tatplan entsprechend - in der Umsatzsteuerjahreserklärung seine unrichtigen Angaben<br />

und zahlt er die zunächst hinterzogenen Steuern nach, stellt sich die Frage, wie die Steuerhinterziehung „auf<br />

Zeit“ zu ahnden ist, regelmäßig nicht, da in solchen Fällen <strong>zum</strong>eist die Voraussetzungen einer strafbefreienden<br />

Selbstanzeige gemäß § 371 AO vorliegen (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008 § 371 AO<br />

Rdn. 64.2). Tritt ausnahmsweise keine Straffreiheit ein, ist - freilich erst - im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung zugunsten<br />

des Täters zu berücksichtigen, dass sein Vorsatz nur auf eine Verkürzung „auf Zeit“ gerichtet war und er den Steuerschaden<br />

wiedergutgemacht hat.<br />

(b) Berichtigt der Täter seine in den Voranmeldungen gemachten unrichtigen Angaben entgegen seinem ursprünglichen<br />

Vorhaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung nicht, geht die als Verkürzung „auf Zeit“ geplante Hinterziehung<br />

in eine solche „auf Dauer“ über. Das bereits in den unrichtigen Voranmeldungen liegende Erfolgsunrecht der Gefährdung<br />

des Steueranspruchs wird dadurch nicht berührt. Es findet lediglich keine Schadenswiedergutmachung<br />

statt. Mit der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung begeht der Täter dann eine weitere Tat mit<br />

neuem Handlungsunrecht und weiterem Erfolgsunrecht, das in einer neuen und eigenständigen Gefährdung des Steueraufkommens<br />

besteht.<br />

(c) Scheitert die vom Täter zunächst beabsichtigte Schadenswiedergutmachung daran, dass es ihm nach einer wahrheitsgemäßen<br />

Umsatzsteuerjahreserklärung aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich ist, den Unterschiedsbetrag<br />

im Sinne von § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG nachzuentrichten, kommt es ebenfalls zu einer dauerhaften Verkürzung der<br />

Steuer. Im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung kann dem Täter dann zwar zugute gehalten werden, dass er bei der Tatbegehung<br />

eine spätere Schadenswiedergutmachung vorhatte. Waren allerdings bereits bestehende finanzielle Schwierigkeiten<br />

Motiv für die Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen, relativiert dies die strafmildernde Bedeutung<br />

der Wiedergutmachungsabsicht. Denn in solchen Fällen ist die spätere Unmöglichkeit der Entrichtung der vom Unternehmer<br />

wie von einem Treuhänder für den Staat verwalteten Umsatzsteuerbeträge regelmäßig vorhersehbar. Die<br />

„Absicht“ der Wiedergutmachung erweist sich dann als bloße - oft sogar unrealistische - „Hoffnung“. Eine andere<br />

222


Situation besteht, wenn - was eher selten vorkommen dürfte - die Unmöglichkeit der Schadenswiedergutmachung für<br />

den Unternehmer aus einem plötzlichen und unvorhersehbaren Ereignis resultiert. Waren aber von Anfang an ausreichend<br />

Zahlungsmittel für die Entrichtung der Steuern vorhanden, ist sorgfältig zu prüfen, ob der Steuerpflichtige bei<br />

Abgabe unrichtiger Steuervoranmeldungen tatsächlich nur eine Steuerverkürzung auf Zeit geplant hatte, da in einem<br />

solchen Fall die Schaffung von Liquidität als Tatmotiv regelmäßig ausscheidet.<br />

b) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Straf<strong>zum</strong>essung in den Fällen 4 bis 10 der Urteilsgründe auch<br />

deswegen einen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Vorteil des Angeklagten enthält, weil das Landgericht zu Unrecht lediglich die<br />

Hinterziehungszinsen als verkürzt angesehen und damit einen zu niedrigen Verkürzungsumfang angenommen hat.<br />

Hierauf beruht das Urteil. Denn das Landgericht hat bei der Straf<strong>zum</strong>essung auch nicht in den Blick genommen, ob<br />

es das Handlungsziel des Angeklagten war, die zunächst bewirkte Hinterziehung „auf Zeit“ später in eine solche „auf<br />

Dauer“ übergehen zu lassen (vgl. BGHSt 43, 270, 276). Dies liegt nach dem Tatbild aber nahe; für die Annahme, der<br />

Angeklagte könnte lediglich beabsichtigt haben, sich durch die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

„auf Zeit“ einen Liquiditätsvorteil zu verschaffen, bestehen aufgrund der bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte.<br />

3. Soweit das Landgericht in sieben Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung (Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

2005 und 2006, Fälle 4 bis 10 der Urteilsgründe) sowie in den 43 Fällen der Lohnsteuerhinterziehung als<br />

Einzelstrafen jeweils lediglich Geldstrafen verhängt hat, weist das Urteil in der Straf<strong>zum</strong>essung ebenfalls einen<br />

durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.<br />

a) Zwar unterliegt die Straf<strong>zum</strong>essung nur in eingeschränktem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht.<br />

Denn es ist Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung<br />

von der Tat und der Person des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen,<br />

sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Straf<strong>zum</strong>essung<br />

des Tatgerichts ist aber dann zulässig und geboten, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von<br />

unzutreffenden Tatsachen ausgehen oder gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte<br />

Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319,<br />

320; 34, 345, 349; st. Rspr.).<br />

b) Ein derartiger Rechtsfehler liegt hier vor; denn das Tatgericht hat bei der Verhängung von Einzelgeldstrafen das<br />

Vorliegen einer Tatserie nicht erkennbar berücksichtigt.<br />

In Fällen sachlich und zeitlich ineinander verschränkter Vermögensdelikte, von denen die gewichtigeren die Verhängung<br />

von Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten und mehr gebieten, liegt die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen<br />

nach § 47 StGB in den Einzelfällen mit geringeren Schäden nahe. Denn in solchen Fällen ist nicht allein der<br />

jeweils durch die Einzeltat verursachte Schaden maßgeblich für die Bemessung der Einzelstrafe; vielmehr muss auch<br />

bei der Zumessung der Einzelstrafen die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamtschaden in den Blick genommen<br />

werden (BGH NStZ 2001, 311; NStZ 2004, 554). Dies gilt auch bei Steuerstraftaten (vgl. BGH HFR 1995,<br />

227).<br />

Danach ist es zwar auch bei einer Tatserie nicht ausgeschlossen, neben Freiheitsstrafen auch Einzelgeldstrafen zu<br />

verhängen. Allerdings müssen dann die Urteilsgründe für das Revisionsgericht nachprüfbar erkennen lassen (vgl.<br />

Engelhardt in KK 6. Aufl. § 267 Rdn. 32; Theune in LK 12. Aufl. § 47 Rdn. 33), dass das Tatgericht bei der Zumessung<br />

der Einzelstrafen die Tatserie als solche und den durch sie verursachten Schaden gesehen und gewertet hat und<br />

aus welchen Gründen es gleichwohl in einem Teil der Fälle Freiheitsstrafen für geboten, im übrigen aber Geldstrafen<br />

für ausreichend erachtet hat. Der Umstand, dass nach § 47 Abs. 1 StGB die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen die<br />

Ausnahme ist, rechtfertigt für sich allein bei einer Tatserie nicht, von einer näheren Begründung des Nebeneinanders<br />

von Geld- und Freiheitsstrafen abzusehen.<br />

Diesen Maßstäben genügt das Urteil nicht. Ob im Hinblick auf die Tatserie gemäß § 47 Abs. 1 StGB die Verhängung<br />

kurzer Freiheitsstrafen anstelle der festgesetzten Geldstrafen geboten war, wird im Urteil nicht erörtert. Die pauschale<br />

Wendung, dass die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in den Fällen, in denen solche Strafen<br />

verhängt wurden, erforderlich gewesen sei, kann die gebotene Würdigung der Tatserie bei der Zumessung der Einzelstrafen<br />

nicht ersetzen. Das Urteil beruht auch auf dem Darlegungsmangel.<br />

4. Die gebotene Aufhebung der Einzelstrafen entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafen die Grundlage. Dieser<br />

könnte auch deshalb keinen Bestand haben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht gemäß § 53 Abs. 2<br />

Satz 2 StGB von der Verhängung einer einheitlichen Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen hat, rechtlicher Nachprüfung<br />

nicht standhält. Angesichts der im wesentlichen gleich gelagerten Fälle, bei der die Bildung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe<br />

fern liegt (vgl. BGH NStZ 2001, 311), erwecken sie den Eindruck, dass das Tatgericht nur deshalb<br />

von einer an sich schuldangemessenen Gesamtfreiheitsstrafe von über zwei Jahren abgesehen hat, damit die Voll-<br />

223


streckung nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden konnte; das aber wäre rechtlich zu beanstanden<br />

(vgl. BGHSt 29, 319, 321).<br />

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei der Verurteilung wegen Hinterziehung von<br />

Umsatzsteuern Vorsteuern, die der Täter zur Verheimlichung seiner Taten nicht geltend gemacht hat, im Rahmen der<br />

Straf<strong>zum</strong>essung zu berücksichtigen sind (BGH wistra 2005, 144, 145).<br />

AO § 370 Abs. 1 und Abs. 4 , StGB § 46 Abs. – Straf<strong>zum</strong>essung bei Steuerdelikten<br />

BGH, Urt. v. 30.04.<strong>2009</strong> – 1 StR 342/08<br />

1. In Fällen fingierter Ketten- oder Karussellgeschäfte, die auf Hinterziehung von Steuern angelegt<br />

sind, ist bei der Straf<strong>zum</strong>essung der aus dem Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden als<br />

verschuldete Auswirkung der Tat zu Grunde zu legen, soweit den einzelnen Beteiligten die Struktur<br />

und die Funktionsweise des Gesamtsystems bekannt sind (im Anschluss an BGHSt 47, 343).<br />

2. Werden durch ein komplexes und aufwändiges Täuschungssystem, das die systematische Verschleierung<br />

von Sachverhalten über einen längeren Zeitraum bezweckt, in beträchtlichem Umfang<br />

Steuern verkürzt, kann sich die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung<br />

als notwendig erweisen.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. April <strong>2009</strong> für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 23. November 2007 aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte in zwei Fällen wegen Untreue verurteilt wurde; das Verfahren wird insoweit eingestellt;<br />

b) im Gesamtstrafenausspruch.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil in den Fällen, in denen der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung<br />

verurteilt wurde, im Ausspruch über die jeweilige Einzelstrafe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe<br />

aufgehoben.<br />

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen sowie wegen Untreue in zwei Fällen<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.<br />

Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur<br />

Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte wegen Untreue in zwei Fällen verurteilt<br />

wurde. Der Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.<br />

Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom Generalbundesanwalt<br />

vertreten wird, gegen den Rechtsfolgenausspruch; das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I.<br />

Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit 1985 Geschäftsführer der J.<br />

(nachfolgend J. GmbH). Deren Geschäftsgegenstand war der An- und Verkauf von Nutzfahrzeugen, insbesondere<br />

von Betonmischern.<br />

1. Die Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in zehn Fällen beruht auf folgenden Feststellungen:<br />

In einer Vielzahl von Fällen verlangten die Halter der Gebrauchtfahrzeuge, die die J. GmbH ankaufen wollte,<br />

dass nicht der vollständige Kaufpreis in der Rechnung ausgewiesen wurde. Sie wollten auf diese Weise die Zahlung<br />

der auf den nicht in die Rechnung aufgenommenen Teil des Kaufpreises entfallenden Steuer vermeiden. Um diesem<br />

Ansinnen der Halter der Fahrzeuge zu entsprechen, wurde unter Anleitung des Angeklagten J. und unter Mitwirkung<br />

früherer Mitangeklagter ein System von Scheinfirmen sowie Scheingeschäften entwickelt und in der Folge<br />

auch umgesetzt. Dieses ermöglichte einerseits den Haltern, geringere Kaufpreise als die tatsächlich gezahlten zu<br />

fakturieren. Auf der anderen Seite konnte die J. GmbH durch das nachstehend näher dargelegte System<br />

224


Rechnungen erlangen, die ihr ermöglichten, Vorsteuer aus Beträgen geltend zu machen, die noch über dem tatsächlich<br />

gezahlten Kaufpreis lagen.<br />

Im Einzelnen ging der Angeklagte gemeinsam mit den Mitangeklagten wie folgt vor:<br />

Der ursprüngliche Halter des jeweiligen Gebrauchtfahrzeugs, der dieses verkaufen wollte, erstellte für Firmen, die<br />

<strong>zum</strong> Schein als unmittelbarer Käufer des Gebrauchtfahrzeugs auftraten (Erstankäufer), eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis<br />

über einen Teil des tatsächlichen Kaufpreises. Der verbleibende Rest des Kaufpreises wurde bar gezahlt,<br />

ohne dass dieser Teilbetrag versteuert wurde.<br />

Der Erstankäufer stellte einem Zwischenhändler eine Scheinrechnung mit Umsatzsteuerausweis aus, wobei der dort<br />

angeführte Nettobetrag über dem Kaufpreis lag, der tatsächlich - als Rechnungsbetrag zuzüglich Schwarzgeldbetrag -<br />

an den letzten Halter des Fahrzeuges gezahlt worden war. Der Zwischenhändler erstellte seinerseits für die J.<br />

GmbH eine Rechnung, in der er einen nochmals höheren Nettopreis sowie die darauf anfallende Umsatzsteuer auswies.<br />

Die J. GmbH veräußerte die Fahrzeuge sodann, nachdem sie teilweise durch das Unternehmen instand<br />

gesetzt worden waren, im Inland oder - weit überwiegend - in das Ausland. Die Lieferungen ins Ausland waren umsatzsteuerfrei.<br />

Einzelne Geschäfte wichen insoweit von dem dargestellten Grundmuster ab, als der ursprüngliche Halter des Fahrzeuges<br />

eine Rechnung an ein in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ansässiges Scheinunternehmen<br />

ausstellte, in der entsprechend § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG keine Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Parallel<br />

dazu wurde eine Lieferkette in Deutschland fingiert, nach der das identische Fahrzeug von einer Scheinfirma an<br />

einen Zwischenhändler und von diesem an die J. GmbH verkauft wurde. In anderen Fällen trat ein ansonsten<br />

als Zwischenhändler fungierendes Unternehmen unmittelbar als Käufer gegenüber dem ursprünglichen Halter der<br />

Fahrzeuge auf. In weiteren Fällen wurden die Teile des Kaufpreises, die von dem ursprünglichen Halter nicht versteuert<br />

wurden, durch Scheinrechnungen über den - tatsächlich nicht erfolgten - Verkauf von Ersatzteilen verschleiert.<br />

Allen Geschäften war gemeinsam, dass tatsächlich der ursprüngliche Halter des jeweiligen Gebrauchtfahrzeugs mit<br />

Geldern bezahlt wurde, die die J. GmbH dem Zwischenhändler zur Verfügung gestellt hatte, der diese an die<br />

Verkäufer weiterleitete. Die Fahrzeuge wurden jeweils direkt an die J. GmbH geliefert. Die Entscheidung<br />

über den Ankauf eines Fahrzeuges und den zu zahlenden Preis traf in allen Fällen jeweils der Angeklagte J. , der<br />

für die J. GmbH handelte.<br />

Die J. GmbH versteuerte die aus ihren Lieferungen resultierenden Umsätze im Inland. Umsätze aus Auslandslieferungen<br />

und innergemeinschaftlichen Lieferungen wurden als solche deklariert. Die sich aus den Rechnungen<br />

der Zwischenhändler ergebende Vorsteuer wurde nach § 15 UStG abgezogen. Auch die als Zwischenhändler<br />

auftretenden Unternehmen erklärten die Umsätze, die in ihren Rechnungen an die J. GmbH ausgewiesen<br />

wurden, und führten die ausgewiesene Umsatzsteuer ab. Von der daraus resultierenden Zahllast wurde die Vorsteuer<br />

abgezogen, die sich aus den Rechnungen ergab, die den Zwischenhändlern von den als Erstankäufer auftretenden<br />

Scheinfirmen ausgestellt worden waren. Demgegenüber erklärten die Erstankäufer die in den Rechnungen an die<br />

Zwischenhändler ausgewiesenen Umsätze nicht und führten die dort ausgewiesene Umsatzsteuer, die sich auf knapp<br />

570.000,-- Euro belief, auch nicht ab.<br />

Der Angeklagte J. machte in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1997 bis 2001 und in den Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

für die Monate März, April, Juni, Juli und Oktober 2002 für die J. GmbH die Vorsteuer<br />

aus den Rechnungen der Zwischenhändler geltend. Diese belief sich auf etwas mehr als 665.000,-- Euro.<br />

Nach Auffassung des Landgerichts wurde insoweit durch die Abgabe falscher Umsatzsteuererklärungen Umsatzsteuer<br />

in einer Gesamthöhe von 433.900,-- Euro hinterzogen, die bei der Straf<strong>zum</strong>essung zu Grunde zu legen sei. Bei<br />

diesem Betrag handelt es sich um die jeweilige Umsatzsteuer, die auf den Anteil des Kaufpreises entfiel, der unversteuert<br />

an den ursprünglichen Halter des jeweiligen Fahrzeugs gezahlt wurde. Diesen berechnete die Strafkammer,<br />

indem sie den Nettobetrag der Ausgangsrechnung des ursprünglichen Halters an die Erstankäufer von dem Nettobetrag<br />

der Rechnung, die dieser den Zwischenhändlern ausstellte, subtrahierte. Demgegenüber sah die Strafkammer die<br />

Umsatzsteuer, die in den Rechnungen der Erstankäufer an die Zwischenhändler und in den Rechnungen der Zwischenhändler<br />

an die J. GmbH ausgewiesen wurde, nicht als straf<strong>zum</strong>essungsrelevanten Hinterziehungsschaden<br />

an. Bei einer Verurteilung wegen Vergehen nach § 370 AO sei im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung „nach Sinn und<br />

Zweck der Vorschrift nur auf die Verkürzung solcher Steuersummen abzustellen, die bei ordnungsgemäßem Verhalten<br />

von vornherein an den Fiskus abzuführen gewesen wären“.<br />

2. Daneben verurteilte das Landgericht den Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen <strong>zum</strong> Nachteil der J.<br />

GmbH. Nach den diesbezüglichen Feststellungen entnahm der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2001 unter Verletzung<br />

der ihn treffenden Pflichten als Geschäftsführer aus dem Vermögen der Gesellschaft ohne rechtfertigenden<br />

225


Grund insgesamt knapp 175.000,-- Euro, um das Geld für eigene Zwecke zu verwenden. Diese Entnahmen verschleierte<br />

er durch Scheinrechungen, die er in die Buchhaltung der J. GmbH einstellte. Die in den Scheinrechnungen<br />

ausgewiesene Umsatzsteuer machte der Angeklagte in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000<br />

bzw. 2001 als Vorsteuer geltend. Alleinige Gesellschafterin zur Tatzeit war die Ehefrau des Angeklagten.<br />

II.<br />

Die Revision des Angeklagten führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Teilaufhebung und -einstellung und zur<br />

Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

unbegründet.<br />

1. Soweit der Angeklagte wegen Untreue <strong>zum</strong> Nachteil der J. GmbH verurteilt wurde, ist die Verurteilung<br />

aufzuheben und das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Es besteht ein von Amts wegen zu berücksichtigendes<br />

Verfahrenshindernis, da der nach § 266 Abs. 2 StGB i.V.m. § 247 StGB für die Strafverfolgung erforderliche<br />

Strafantrag der Verletzten fehlt.<br />

a) Nach den Feststellungen war allein die Ehefrau des Angeklagten Gesellschafterin der J. GmbH. Als Verletzte<br />

der Untreuetaten <strong>zum</strong> Nachteil der J. GmbH ist daher allein die Ehefrau des Angeklagten anzusehen<br />

(vgl. BGH NStZ-RR 2005, 86). Dass sie den erforderlichen Strafantrag gestellt hat, ist weder festgestellt, noch anderweitig<br />

ersichtlich. Auch für eine Ausnahme von dem Strafantragserfordernis, die dann in Betracht kommt, wenn<br />

durch die Untreuehandlung eine konkrete Existenzgefährdung der Gesellschaft verursacht worden ist (vgl. BGH<br />

NStZ-RR 2007, 79, 80), ergeben sich keine Anhaltspunkte.<br />

b) Der Senat schließt aus, dass noch ein wirksamer Strafantrag gestellt werden könnte. Dies gilt um so mehr, als die<br />

Antragsfrist nach § 77b Abs. 1 StGB, deren Lauf mit Kenntniserlangung der Antragsberechtigten von Tat und Täter<br />

beginnt (§ 77b Abs. 2 StGB), mit hoher Wahrscheinlichkeit verstrichen ist. Diesbezügliche, sich angesichts der konkreten<br />

Situation aufdrängende Zweifel würden zu Gunsten des Angeklagten wirken (vgl. BGHSt 22, 90, 93).<br />

c) Der Wegfall der Verurteilung wegen Untreue führt vorliegend nicht zur Aufhebung der diesbezüglichen Feststellungen<br />

(vgl. Schoreit in KK StPO 6. Aufl. § 260 Rdn. 46), da die zu den Untreuetaten getroffenen Feststellungen<br />

auch für die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärungen<br />

für die Jahre 2000 und 2001 von Bedeutung sind.<br />

2. Wegen des Wegfalls der wegen Untreue verhängten Einzelstrafen kann der Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand<br />

haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt<br />

hätte.<br />

3. Im Übrigen bleiben die Verfahrensrügen und die Sachrüge aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

dargelegten Gründen, die auch durch die Gegenerklärung des Angeklagten nicht entkräftet werden, ohne Erfolg.<br />

Ergänzend dazu bemerkt der Senat lediglich Folgendes:<br />

a) Soweit der Angeklagte rügt, dass die Berufsrichter und die Schöffen vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren<br />

eingeführten Urkunden keine Kenntnis erlangt haben, deckt er keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Urteil<br />

könnte auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler auch nicht beruhen. Denn der Angeklagte hat die einzelnen<br />

Lieferungen, deren Daten durch die verlesenen Urkunden eingeführt wurden, nicht bestritten (UA S. 110). Ist aber<br />

der Inhalt eines ansonsten zuverlässigen Schriftstücks in der Hauptverhandlung nicht bestritten worden, kann das<br />

Urteil im Allgemeinen nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen wurde (vgl. Senat StV 2007 - 569,<br />

570 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend etwas anderes gelten könnte, sind nicht gegeben.<br />

b) Auch im Hinblick auf die Rüge, ein Beweisantrag, der am 19. Juni 2007 gestellt wurde, sei rechtsfehlerhaft abgelehnt<br />

worden, kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem behaupteten Rechtsfehler beruhen<br />

könnte.<br />

Zutreffend weist die Revision zwar darauf hin, dass die Strafkammer in dem Ablehnungsbeschluss lediglich die zur<br />

Begründung des Beweisantrags angeführte Schlussfolgerung des Antragstellers als bereits erwiesen erachtete, nicht<br />

aber die eigentliche Beweisbehauptung. In der Sache erweisen sich aber die unter Beweis gestellten Tatsachen aus<br />

Sicht des Landgerichts als in tatsächlicher Hinsicht bedeutungslos. Denn im Hinblick auf das Beweisziel kam den<br />

Beweistatsachen keine Bedeutung zu. Die Strafkammer erachtete die Tatsachen, auf die nach Feststellung der unter<br />

Beweis gestellten (Indiz-)Tatsachen geschlossen werden sollte, bereits anderweitig als erwiesen an. Dies war angesichts<br />

der Begründung des Beschlusses für den Angeklagten und seine Verteidiger auch erkennbar. Ein Beruhen des<br />

Urteils auf der fehlerhaften Ablehnung kann deshalb ausgeschlossen werden.<br />

c) Der Sachrüge ist der Erfolg auch unabhängig davon zu versagen, ob es sich bei den Zwischenhändlern um Unternehmer<br />

handelte und ob diese tatsächlich eine Lieferung an die J. GmbH i.S.v. § 3 UStG erbrachten. Denn<br />

nach den Feststellungen wusste der Angeklagte J. um seine Einbindung in eine auf Hinterziehung von Umsatz-<br />

226


steuer ausgerichtete Lieferkette. Nach der Rechtsprechung des Senats zu missbräuchlichen Umsatzgeschäften bei<br />

innergemeinschaftlichen Lieferungen im Sinne von § 6a UStG sind aber auf Grund des im Gemeinschaftsrecht verankerten<br />

Verbots missbräuchlicher Praktiken für alle Beteiligten eines oder mehrerer Umsatzgeschäfte, die auf die<br />

Hinterziehung von Steuern gerichtet sind, die Steuervorteile, die für die einzelnen Geschäfte grundsätzlich vorgesehen<br />

sind, zu versagen (BGH DStR <strong>2009</strong>, 577 ff.). Dies gilt auch für rein inländische Umsatzgeschäfte (vgl. auch<br />

EuGH, Urt. vom 6. Juli 2006 - Rechtssache C-439/05 - Kittel Rdn. 56 f.).<br />

III.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.<br />

1. Sie beantragt zwar, „das Urteil im angefochtenen Umfang aufzuheben“. Aus dem Inhalt der Revisionsbegründung<br />

lässt sich indes entnehmen, dass sich die Beschwerdeführerin allein gegen den Gesamtstrafenausspruch, die Aussetzung<br />

der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung und die Einzelstrafen, die für die zehn<br />

Fälle der Steuerhinterziehung verhängt wurden, wendet.<br />

2. Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Eine isolierte Überprüfung der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

ist möglich, ohne dass die den Schuldspruch tragenden Feststellungen hiervon berührt würden (vgl. BGH<br />

NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.). Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen bilden eine ausreichende Grundlage<br />

für die Nachprüfung der Straf<strong>zum</strong>essung (BGHSt 33, 59); sowohl das steuerrechtlich erhebliche Verhalten des<br />

Angeklagten als auch die Höhe der verkürzten Steuern hat das Landgericht dargelegt.<br />

3. Einer Aufhebung und Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte in zwei Fällen wegen Untreue verurteilt<br />

wurde, auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft bedarf es nicht, da - unabhängig davon, dass dieses Rechtsmittel<br />

auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO) - das Urteil insoweit bereits auf die Revision des Angeklagten<br />

aufzuheben und das Verfahren einzustellen war (vgl. auch Senat, Urt. vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02 m.w.N.).<br />

4. Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht der Straf<strong>zum</strong>essung einen zu geringen<br />

Schuldumfang zu Grunde gelegt hat.<br />

a) Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannte Kriterium<br />

der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht.<br />

„Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das<br />

durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und<br />

vollständigen Steueraufkommens jeder einzelnen Steuerart. Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender<br />

Straf<strong>zum</strong>essungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH NJW <strong>2009</strong>, 528, 531 m.w.N.).<br />

Vorliegend wurde zur Ermöglichung der Hinterziehung der Steuern, die der ursprüngliche Halter der Gebrauchtfahrzeuge<br />

hätte entrichten müssen, eine Kette von Scheingeschäften gebildet, durch die weitere Steuern hinterzogen<br />

wurden. Die Sachverhaltsvarianten, die das Landgericht festgestellt hat, sind betrügerischen Karussellgeschäften<br />

vergleichbar, die auf die Erschleichung von ungerechtfertigten Steuervorteilen gerichtet sind. Hier wie dort gilt aber<br />

hinsichtlich der verschuldeten Auswirkungen der Tat folgendes:<br />

Aufgrund der Ausgestaltung des Gesamtsystems besteht in Fällen solcher fingierter Ketten- oder Karussellgeschäfte<br />

typischerweise die Situation, dass für einzelne Glieder der Kette die umsatzsteuerlichen Auswirkungen neutral erscheinen<br />

können. Werden nämlich von einzelnen Kettengliedern sämtliche Umsatzsteuern bezahlt und stehen den<br />

von diesem Kettenglied gezogenen Vorsteuern vom Scheinrechnungsaussteller gezahlte Umsatzsteuern gegenüber,<br />

dann scheint die umsatzsteuerliche Bilanz an sich ausgeglichen. Nach den Feststellungen bestand eine ebensolche<br />

Situation bei der J.<br />

GmbH. Diese machte zwar zu Unrecht die in den Rechnungen der Zwischenhändler<br />

ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Die Zwischenhändler führten aber die Umsatzsteuer, die in den<br />

Rechnungen ausgewiesen waren, die der J. GmbH ausgestellt wurden, an das jeweils zuständige Finanzamt<br />

ab.<br />

Dieser Umstand berührt aber den Schuldspruch nicht. Denn ein Vorsteuerabzug scheidet aus, da den Rechnungen der<br />

Zwischenhändler keine tatsächlich durchgeführten Lieferungen zu Grunde lagen. Nur wenn solche tatsächlich gegeben<br />

gewesen wären, wäre der Rechnungsadressat <strong>zum</strong> Vorsteuerabzug berechtigt gewesen (BGH NJW 2002, 1963,<br />

1965).<br />

Der Umstand, dass die umsatzsteuerliche Bilanz der J. GmbH auf Grund der Entrichtung der Umsatzsteuer<br />

durch die Zwischenhändler als neutral erscheint, hätte aber Auswirkungen auf die Bestimmung des Schuldumfangs.<br />

b) Eine solche auf das einzelne Scheinrechnungsverhältnis beschränkte Betrachtung würde dem Gesamtunrechtsgehalt<br />

des Hinterziehungssystems aber nicht gerecht. Dieser wird nämlich nicht durch das einzelne Rechnungsverhältnis<br />

geprägt, sondern durch das System als Ganzes. Es ist anerkannt, dass jedenfalls, soweit - wie hier - den einzelnen<br />

Beteiligten die Struktur und die Funktionsweise des Gesamtsystems bekannt sind, dies auch bei der Feststellung der<br />

für die Straf<strong>zum</strong>essung bestimmenden verschuldeten Auswirkungen der Tat Gewicht erlangen kann. Maßgeblich ist<br />

227


deshalb der vom Vorsatz umfasste, aus dem Gesamtsystem erwachsene deliktische Schaden, der in dem Überschuss<br />

von gezogener Vorsteuer im Vergleich zu gezahlter Umsatzsteuer besteht (BGH NJW 2002, 3036, 3039).<br />

Es ist daher rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht allein die Umsatzsteuer, die durch die ursprünglichen Halter hinterzogen<br />

wurde, der Straf<strong>zum</strong>essung zu Grunde gelegt hat. Denn hierdurch wird der aus dem Gesamthinterziehungssystem<br />

erwachsene Schaden nicht vollständig erfasst.<br />

aa) Die Feststellungen der Strafkammer sind bereits deshalb bedenklich, weil sie nicht zweifelsfrei feststellen konnte,<br />

welche Höhe der nicht versteuerte Kaufpreis hatte, der an die ursprünglichen Halter gezahlt wurde (UA S. 110,<br />

112, 116). Die Strafkammer stellt allein fest, dass der Nettobetrag, der in den Rechnungen der Erstankäufer aufgeführt<br />

wurde, über dem Kaufpreis lag, der tatsächlich an den letzten Halter des Fahrzeuges gezahlt worden war (UA<br />

S. 16, 110). Im Ergebnis beschwert dies den Angeklagten aber nicht, da aufgrund der Feststellungen zu seinen Lasten<br />

anderweitig hinterzogene Steuern in den Blick zu nehmen sind, die der Höhe nach zweifelsfrei feststehen und den<br />

Betrag, den die Strafkammer der Straf<strong>zum</strong>essung zu Grunde gelegt hat, übersteigen.<br />

bb) Denn jedenfalls die von den als formelle Erstankäufer eingesetzten Scheinfirmen in den Rechnungen an die Zwischenhändler<br />

ausgewiesene Umsatzsteuer, die sich nach den Feststellungen auf circa 570.000,-- Euro belief, wurde<br />

hinterzogen. Dies ergibt sich aus Folgendem:<br />

(1) Die als Erstankäufer eingesetzten Scheinfirmen gaben keine Umsatzsteuervoranmeldungen oder -<br />

jahreserklärungen ab und führten die in den Scheinrechnungen an die Zwischenhändler ausgewiesene Umsatzsteuer<br />

entgegen § 14 Abs. 3 UStG aF (bzw. § 14c Abs. 2 UStG nF) auch nicht ab. Daher haben die Erstankäufer den Tatbestand<br />

des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht. Bei der Ausstellung einer Scheinrechnung mit gesondert ausgewiesener<br />

Umsatzsteuer ist eine Gefährdung des Steueraufkommens jedenfalls dann gegeben, wenn diese Rechnung <strong>zum</strong><br />

Vorsteuerabzug benutzt werden kann und der Rechnungsaussteller die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer nicht<br />

an das Finanzamt abgeführt hat (BGH NStZ 2001, 380, 381).<br />

(2) Die von den Scheinfirmen ausgestellten Rechnungen wurden zudem von den Zwischenhändlern dafür genutzt,<br />

unberechtigt Vorsteuern geltend zu machen. Die Steuergefährdung, der der Gesetzgeber mit Schaffung des § 14 Abs.<br />

3 UStG aF (§ 14c UStG nF) entgegenwirken wollte (vgl. BGH NJW 2002, 3036, 3037), ist in einen Schaden umgeschlagen.<br />

Die Umsatzsteuer, die die Zwischenhändler aus den Rechnungen abzuführen hatten, die der J.<br />

GmbH ausgestellt worden waren, wurde hierbei verkürzt. Bezieht man auch die an anderer Stelle hinterzogene Umsatzsteuer<br />

in die gebotene Gesamtbetrachtung mit ein, erweist sich die umsatzsteuerrechtliche Bilanz der J.<br />

GmbH nicht mehr als neutral.<br />

(3) Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Landgerichts, dass nach § 14 Abs. 3 UStG aF (resp. § 14c Abs. 2<br />

UStG nF) geschuldete Steuern für die Straf<strong>zum</strong>essung irrelevant seien, da sie bei steuerehrlichem Verhalten nicht an<br />

den Fiskus abzuführen gewesen wären, rechtlich nicht zutreffend. Diese Sichtweise vernachlässigt, dass durch die<br />

Rechnungen, in denen Umsatzsteuer ausgewiesen wird, dem Rechnungsempfänger eine weitere Möglichkeit der<br />

Steuerhinterziehung eröffnet wird. Wenn sich die mit der Scheinrechnung verbundene Gefahr dann aber - wie hier -<br />

realisiert, hat diese verschuldete Auswirkung der Tat für die Straf<strong>zum</strong>essung Bedeutung. Es ist zu berücksichtigen,<br />

dass die Verkürzung, die aus den unrichtigen Erklärungen des Zwischenhändlers resultiert, den schon durch das<br />

Unterlassen der Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. -jahreserklärung durch den Erstankäufer verursachten Steuerschaden<br />

fortsetzt und allenfalls vergrößert. Damit ist das Steueraufkommen zwar nicht in der Summe der beiden<br />

Hinterziehungen, aber im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrages gefährdet (BGH NStZ 2003, 268).<br />

c) Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil auch zu Gunsten des Angeklagten. Angesichts der Tatsache, dass sowohl<br />

der Schaden der einzelnen Hinterziehungstaten als auch der Gesamtschaden weitaus höher ist, als von der Strafkammer<br />

angenommen, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden<br />

Schadensumfangs sowohl auf höhere Einzel- als auch eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.<br />

Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die vom Landgericht getroffenen Feststellungen aufrechterhalten<br />

bleiben. Der neue Tatrichter darf aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.<br />

5. Da bereits der aufgezeigte Rechtsfehler zur Aufhebung des Strafausspruchs führt, bedarf es keines Eingehens auf<br />

die weiteren Beanstandungen, die die Beschwerdeführerin gegen den Rechtsfolgenausspruch erhebt. Für die neue<br />

Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

a) Nach § 153a Abs. 2 oder § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Taten bzw. Tatteile, von deren Ahndung nach § 154a<br />

StPO abgesehen wurde, dürfen lediglich dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie prozessordnungsgemäß<br />

festgestellt wurden und der Angeklagte darauf hingewiesen wurde (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. §<br />

46 Rdn. 46 f.).<br />

b) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben zu prüfen, ob die Taten einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung<br />

darstellen. Dies bestimmt sich vorliegend, soweit in diesem Zusammenhang auf die Höhe der hinterzoge-<br />

228


nen Steuern abgestellt wird, nach § 370 Abs. 3 AO aF. Insoweit müssten Steuern in „großem Ausmaß“ aus „groben<br />

Eigennutz“ hinterzogen worden sein.<br />

c) Soweit die Höhe der Umsatzsteuer, die seitens der ursprünglichen Halter hinterzogen wurde, beziffert werden<br />

kann, ist dieser Hinterziehungsbetrag ebenfalls zu Ungunsten des Angeklagten als verschuldete Auswirkung der Tat<br />

mit in die Straf<strong>zum</strong>essung einzuziehen. Denn gerade auch, um dem ursprünglichen Halter diese eigenständige Hinterziehung<br />

zu ermöglichen, wurde das Gesamtsystem unter Mitwirkung des Angeklagten installiert. Der Umstand,<br />

dass insoweit für sich genommen eine eigenständige Beihilfe zur Steuerhinterziehung der ursprünglichen Halter<br />

gegeben ist, die als solche nicht angeklagt wurde, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 2003, 268). Wie dargelegt<br />

kann insoweit allerdings zur Ermittlung des Schwarzgeldanteils, auf dessen Grundlage die hinterzogene Umsatzsteuer<br />

zu berechnen wäre, nicht die Differenz zwischen dem Nettobetrag der Rechnungen, die die Erstankäufer den<br />

Zwischenhändlern ausstellten und dem Nettobetrag der Rechnungen der Halter an die Erstankäufer herangezogen<br />

werden. Soweit der Schwarzgeldanteil am Kaufpreis nicht anderweitig festgestellt werden kann, wäre insoweit der<br />

Schwarzgeldanteil für die einzelnen Geschäfte zu schätzen.<br />

d) Für den Fall, dass die neu zu bemessende Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigen sollte, wäre auch §<br />

56 Abs. 3 StGB in den Blick zu nehmen.<br />

Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei Steuerhinterziehungen beträchtlichen Umfangs<br />

auch von Gewicht ist, die Rechtstreue der Bevölkerung, auch auf dem Gebiet des Steuerrechts zu erhalten. Die Vollstreckung<br />

einer Freiheitsstrafe kann sich daher zur Verteidigung der Rechtsordnung als notwendig erweisen, wenn<br />

die Tat Ausdruck einer verbreiteten Einstellung ist, die eine durch einen erheblichen Unrechtsgehalt gekennzeichnete<br />

Norm nicht ernst nimmt und von vornherein auf die Strafaussetzung vertraut (BGH NStZ 1985, 459; GA 1979, 59;<br />

Urt. vom 28. September 1983 - 3 StR 280/83). Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung<br />

ist insbesondere dann geboten, wenn eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf schwerwiegende<br />

Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und<br />

dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt<br />

24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 15; BGH wistra 2000, 96, 97).<br />

Besondere Umstände, die die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe gebieten könnten, liegen nach den bisherigen<br />

Feststellungen hier vor. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass durch Umsatzsteuerhinterziehungen große<br />

Steuerausfälle verursacht werden (vgl. die Nachweise bei Muhler wistra <strong>2009</strong>, 1). Zudem hat sich der Angeklagte an<br />

einem komplexen und aufwändigen Täuschungssystem beteiligt, das die systematische Verschleierung von Sachverhalten<br />

über einen längeren Zeitraum bezweckte (vgl. BGH NJW <strong>2009</strong>, 533). Eine solche Vorgehensweise weist<br />

Merkmale einer organisierten Kriminalität (vgl. § 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO) auf. Andererseits liegen die Taten<br />

bereits einige Zeit zurück. Erforderlich ist eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter<br />

umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 5, 6 und 16; NStZ-RR<br />

1998, 7, 8).<br />

AO § 370, UStG § 2 I 1, EGV Art 234 III EU und Steuerhinterziehung<br />

BGH, Beschl. v. 19.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 633/08<br />

Das im Gemeinschaftsrecht verankerte grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken, das<br />

auch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer gilt, führt für alle Beteiligten eines oder mehrerer Umsatzgeschäfte,<br />

die auf die Hinterziehung von Steuern gerichtet sind, zur Versagung der insoweit für<br />

die einzelnen Geschäfte grundsätzlich vorgesehenen Steuervorteile. Dies gilt unabhängig davon, ob<br />

die sonstigen objektiven Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Norm, die den Steuerpflichtigen begünstigen<br />

soll (hier: § 6a UStG), gegeben sind. Demnach ist insbesondere unerheblich, ob der Abnehmer<br />

die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfüllt.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 6. August 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

229


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen unter Einbeziehung einer Einzelstrafe<br />

aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die<br />

Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist aus den Gründen der<br />

Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Januar <strong>2009</strong>, die auch durch die Erwiderung der Revision vom 10.<br />

Februar <strong>2009</strong> nicht entkräftet wird, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Verfahrensrüge, die im Zusammenhang<br />

mit der Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachungsmaßnahme erhoben wurde, ist<br />

zulässig aber unbegründet. Darüber hinaus bedarf lediglich Folgendes der Erörterung:<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit April 2003 Alleingesellschafter und Geschäftsführer<br />

der C. GmbH mit Sitz in K. . Geschäftsgegenstand der Gesellschaft war der Handel mit<br />

Mobilfunktelefonen.<br />

Im Laufe des Jahres 2003 vereinbarte der Angeklagte mit anderweitig in Italien verfolgten Personen, durch Karussellgeschäfte<br />

mit Mobilfunktelefonen den Abnehmern der Telefone in Italien unberechtigte Steuervorteile zu verschaffen.<br />

Die vom Angeklagten geführte Gesellschaft erwarb in Vollzug des Tatplans von einem in Italien ansässigen<br />

Unternehmen Mobilfunktelefone in größerer Stückzahl. Unmittelbar daran anschließend veräußerte die Gesellschaft<br />

die Geräte an ein in Italien ansässiges Unternehmen, das in der Rechtsform einer Società a responsabilità limitata<br />

(s.r.l.) geführt wurde. An diese Gesellschaft wurden die Mobiltelefone auch tatsächlich geliefert. Diese Lieferung<br />

deklarierte der Angeklagte in den Umsatzsteuervoranmeldungen der GmbH als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche<br />

Lieferung. Von dem Abnehmer in Italien wurden die Telefone an einen italienischen Zwischenhändler<br />

unter offenem Ausweis italienischer Umsatzsteuer zu einem geringeren Nettopreis weiterverkauft. Die insoweit<br />

anfallende Umsatzsteuer wurde dem Tatplan entsprechend zu keiner Zeit erklärt oder gar abgeführt. Der Zwischenhändler<br />

verkaufte die Geräte dann an den ursprünglichen Lieferanten der vom Angeklagten geführten Gesellschaft<br />

ebenfalls unter offenem Ausweis italienischer Umsatzsteuer zu einem Nettopreis, der unter dem lag, der der Gesellschaft<br />

des Angeklagten in Rechnung gestellt worden war. Der Zwischenhändler und dessen Abnehmer machten die<br />

in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend.<br />

Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer handelte es sich bei dem Verkaufskreislauf um Scheingeschäfte,<br />

die - wie der Angeklagte wusste - von dem italienischen Lieferanten der Gesellschaft des Angeklagten initiiert wurden,<br />

um in Italien einen unberechtigten Vorsteuerabzug zu ermöglichen und die Mobiltelefone dann zu einem günstigeren<br />

Preis verkaufen zu können.<br />

II. Auf der Grundlage dieser rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht<br />

bei den Lieferungen nach Italien das Vorliegen von innergemeinschaftlichen Lieferungen im Sinne des § 6a UStG<br />

verneint, die zur Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG geführt hätten. Da der Angeklagte in den Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

der Gesellschaft für Juli, Oktober und November 2003 die Umsätze aus den Geschäften mit seinem<br />

italienischen Abnehmer demnach zu Unrecht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen deklarierte, hat<br />

der Angeklagte in drei Fällen Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 622.962,42 EUR hinterzogen.<br />

1. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem unmittelbaren Abnehmer der C. GmbH um<br />

einen Unternehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1, § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UStG handelt oder ob bei den<br />

vorliegenden Gegebenheiten die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UStG erfüllt sind.<br />

2. Unabhängig davon waren die Lieferungen nicht nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG umsatzsteuerbefreit, da die Geltendmachung<br />

der Umsatzsteuerbefreiung bei dem festgestellten Sachverhalt rechtsmissbräuchlich wäre.<br />

a) Der Senat hat auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften<br />

bereits entschieden, dass die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet<br />

keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG darstellt, wenn der inländische Unternehmer<br />

unter Zwischenschaltung von Scheinfirmen kollusiv mit dem Abnehmer zusammenwirkt, um diesem die<br />

Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen (Senat, Beschl. vom 20. November 2008 - 1 StR 354/08). Eine betrügerische<br />

oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht ist nicht erlaubt. Das Gemeinschaftsrecht erlaubt<br />

nicht, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden. Bei denjenigen Umsätzen, die<br />

nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den<br />

Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen, sind diese Vorteile zu versagen (EuGH,<br />

Urt. vom 21. Februar 2006 - Rechtssache C-255/02 - Halifax, Rdn. 69).<br />

b) Dies gilt nicht nur dann, wenn innerhalb einer Lieferkette Scheingeschäfte vorgenommen werden. Vielmehr müssen<br />

die aus dem gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbot folgenden Grundsätze erst recht Anwendung finden,<br />

wenn - wie hier - ein Warenkreislauf in Gang gesetzt wird, dessen alleiniges Ziel ist, die jeweilige Ware durch<br />

Scheingeschäfte künstlich zu verbilligen.<br />

230


c) Das im Gemeinschaftsrecht verankerte grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken, das auch auf dem Gebiet<br />

der Mehrwertsteuer gilt (EuGH aaO Rdn. 70 f.) und das auch in der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen<br />

Gemeinschaften vom 27. September 2007 auf die Vorlagefrage des Bundesfinanzhofs vom 10. Februar 2005<br />

(BStBl II 2005, 537) bekräftigt wurde (EuGH, Urt. vom 27. September 2007 - Rechtssache C-146/05 - Collée), führt<br />

daher für alle Beteiligten eines oder mehrerer Umsatzgeschäfte, die auf die Hinterziehung von Steuern gerichtet sind,<br />

zur Versagung der insoweit für die einzelnen Geschäfte grundsätzlich vorgesehenen Steuervorteile (EuGH, Urt. vom<br />

6. Juli 2006 - Rechtssache C-439/05 - Kittel, Rdn. 56 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die sonstigen objektiven<br />

Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Norm, die den Steuerpflichtigen begünstigen soll (hier: § 6a UStG), gegeben<br />

sind. Demnach ist insbesondere auch unerheblich, ob der Abnehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr.<br />

2 UStG erfüllt.<br />

3. Eine Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV besteht in diesem Zusammenhang<br />

nicht. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage liegt nicht vor. Die maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Fragen<br />

waren - wie dargelegt - bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof, so dass eine gesicherte Rechtsprechung<br />

des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst<br />

ist (vgl. EuGH, Urt. vom 6. Oktober 1982 - Rechtssache 283/81 - Cilfit = NJW 1983, 1257, 1258).<br />

AO § 386 Abs. 4; StGB § 258a<br />

BGH, Beschl. v. 30.04.09 – 1 StR 90/09<br />

LS: Zum Zusammenwirken von Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im steuerstrafrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahren. Zu strafrechtlichen Folgen bei vorwerfbarer Verfahrensverzögerung.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. September 2008 wird als<br />

unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten am 25. September 2008 wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der<br />

Angeklagte insgesamt 2.439.888,-- DM an Einkommen- und Gewerbesteuer hinterzogen, betreffend die Veranlagungszeiträume<br />

1997 und 1998.<br />

Die Strafkammer hat eine konventionswidrige Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens von zwei Jahren festgestellt<br />

und deshalb bestimmt, dass acht Monate der erkannten Strafe als verbüßt gelten. Soweit der Angeklagte eine<br />

höhere Kompensation begehrt, genügt der Vortrag in der Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 344<br />

Abs. 2 Satz 2 StPO, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 12. März <strong>2009</strong> zutreffend dargelegt<br />

hat.<br />

Der der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft vom 15. Januar <strong>2009</strong> zu entnehmende Ablauf des Ermittlungsverfahrens<br />

gibt jedoch Anlass zu dem Hinweis, dass es in Fällen dieser Größenordnung schon während des<br />

Ermittlungsverfahrens einer frühzeitigen Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden und der Staatsanwaltschaft<br />

bedarf.<br />

Hieran fehlte es im vorliegenden Fall:<br />

Am 27. August 1999 leitete die Steuerfahndungsstelle das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen Verdachts<br />

der Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuerhinterziehung für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 1998<br />

ein. Die Bekanntgabe an den Angeklagten erfolgte am 14. Januar 2000. Am 15. Februar 2002 stellte die Steuerfahndung<br />

den Prüfbericht fertig. Mit Schreiben vom 9. Juli 2002 wurde die Sache der Bußgeld- und Strafsachenstelle für<br />

die Finanzämter des Saarlands zugeleitet. Nach Steuerneuberechnungen und sonstigen (weitgehend vom Angeklagten<br />

bzw. seiner Verteidigung veranlassten und in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Einzelnen dargestellten)<br />

Verfahrensvorgängen wurden die Akten am 18. März 2004 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken <strong>zum</strong> Zwecke der<br />

Anklageerhebung vorgelegt, die am 6. Mai 2004 - erstmals - Anklage <strong>zum</strong> Landgericht Saarbrücken erhob.<br />

231


Bis <strong>zum</strong> 18. März 2004 „war die Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen nicht eingebunden“ und - soweit ersichtlich<br />

- über die Existenz des Ermittlungsverfahrens auch nicht informiert. Im Bericht der Steuerfahndung vom 15. Februar<br />

2002 findet sich vielmehr folgende Bemerkung (unter Punkt 23):<br />

„Bemühungen des Prüfers, den Fall im Ermittlungsverfahren wegen seiner Bedeutung und Größenordnung an die<br />

Staatsanwaltschaft (Haftbefehl) abzugeben, sind bisher gescheitert.“<br />

Eine Praxis, wie sie im vorliegenden Fall zu Tage tritt, entspricht - unabhängig davon, ob ein Haftbefehlsantrag geboten<br />

erscheint - nicht der Intention der gesetzlichen Regelungen über das Zusammenwirken zwischen Finanzbehörden<br />

und Staatsanwaltschaften im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren.<br />

Zwar hat die Finanzbehörde bei Verdacht einer Steuerstraftat (und Begleitdelikten gemäß § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO) im<br />

Grundsatz eine eigenständige Ermittlungskompetenz (§ 386 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO; vgl. auch Erb in<br />

Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 160 Rdn. 11). Zudem bestimmt § 400 AO: „Bieten die Ermittlungen genügenden<br />

Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so beantragt die Finanzbehörde beim Richter den Erlass eines Strafbefehls,<br />

wenn die Strafsache zur Behandlung im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint; ist dies nicht der Fall, so legt<br />

die Finanzbehörde die Akten der Staatsanwaltschaft vor.“ Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Finanzbehörde<br />

in allen Fällen die Sache bis zur Anklagereife (bzw. Einstellungsreife) ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft<br />

selbständig ausermittelt.<br />

Dies wäre mit der in § 386 Abs. 4 AO geregelten Rollenverteilung zwischen Finanzbehörde und Staatsanwaltschaft<br />

nicht vereinbar. Danach hat nicht nur die Finanzbehörde das Recht, eine Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft<br />

abzugeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO). Vor allem kann die Staatsanwaltschaft die Steuerstrafsache jederzeit von<br />

sich aus an sich ziehen (Evokationsrecht der Staatsanwaltschaft gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Dies bedeutet, dass<br />

die Staatsanwaltschaft zwar in den steuerstrafrechtlichen Verfahren, die von den Finanzbehörden gemäß § 386 Abs.<br />

2 AO autonom betrieben werden, abweichend von § 152 Abs. 1 GVG den ermittelnden Steuerfahndungsbeamten<br />

keine Weisungen erteilen kann. Die Staatsanwaltschaft bleibt aber auch in diesen Fällen (entsprechend dem den §§<br />

152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO zu entnehmenden Grundsatz) insoweit „Herrin des Verfahrens“,<br />

als sie - wenn z.B. bei Kontroversen über die Gestaltung eines bei der Finanzbehörde geführten Verfahrens<br />

kein Einvernehmen erzielt werden kann - dieses zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen jederzeit gemäß § 386 Abs. 4<br />

Satz 2 AO übernehmen kann (vgl. OLG Stuttgart wistra 1991, 190; Randt in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht,<br />

6. Aufl. § 386 AO Rdn. 4; Muhler in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. § 15 Rdn. 14). Die<br />

Steuerfahndungsbeamten haben dann den Anordnungen der Staatsanwaltschaft als deren Ermittlungsgehilfen Folge<br />

zu leisten (§ 152 Abs. 1 GVG).<br />

Mit dieser Stellung der Staatsanwaltschaft in allen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren korrespondiert eine<br />

Unterrichtungspflicht der Finanzbehörden gegenüber der Staatsanwaltschaft (vgl. Randt aaO Rdn. 47). Allerdings<br />

besteht keine gesetzliche Pflicht, wonach die Finanzbehörden sämtliche von ihr eingeleiteten Ermittlungsverfahren<br />

dorthin mitzuteilen haben. Dies wäre auch nicht sinnvoll. Damit die Staatsanwaltschaft ihr Recht und ihre Pflicht zur<br />

Prüfung einer Evokation auch in jedem Einzelfall und in jedem Stadium des Verfahrens sachgerecht ausüben kann,<br />

muss sie aber in den „in Betracht kommenden Fällen“ frühzeitig eingebunden sein. Die Finanzbehörden haben daher<br />

die Staatsanwaltschaft über alle bei der Steuerfahndung anhängigen Ermittlungsverfahren, bei denen eine Evokation<br />

nicht fern liegt, frühzeitig zu unterrichten, etwa bei regelmäßig stattfindenden Kontaktgesprächen.<br />

Die Übernahme durch die Staatsanwaltschaft kann wegen der Bedeutung einer auch kleineren Sache - wegen einer<br />

besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit etwa - im Raum stehen, jedenfalls dann, wenn Zweifel bestehen oder während<br />

des Gangs der Ermittlungen entstehen, ob die Sache zur Erledigung im Strafbefehlsverfahren geeignet ist, insbesondere<br />

wenn - oder sobald - wegen der Größenordnung oder der Bedeutung des Falls eine Anklage beim Landgericht<br />

zu erwarten ist. Die frühzeitige Einbeziehung der Staatsanwaltschaft ist gerade auch dann angezeigt, wenn sich<br />

die Beweislage - wie im vorliegenden Fall - zu Beginn als schwierig darstellt.<br />

Für diese Sache ist - unabhängig von der fehlenden Zulässigkeit der entsprechenden Rüge - abschließend an<strong>zum</strong>erken,<br />

dass die fehlende frühzeitige Unterrichtung der Staatsanwaltschaft hier zu keiner (weiteren) konventionswidrigen<br />

Verfahrensverzögerung (während des Ermittlungsverfahrens) geführt hat. Dies wurde durch die rasche Anklageerhebung<br />

nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft noch vermieden. Fehlende frühzeitige Abstimmung<br />

zwischen Staatsanwaltschaft und Finanzbehörden kann aber auch ohne konventionswidrige Verzögerung eine frühzeitige<br />

Aburteilung vereiteln. Eine damit verbundene Verfahrensverlängerung ist jedenfalls straf<strong>zum</strong>essungsrelevant.<br />

Dies gilt erst recht bei einer konventionswidrigen Verzögerung, wenn diese zu einer Reduzierung der Strafe führt<br />

(BGHSt 52, 124). Zu weiteren Konsequenzen für Amtsträger siehe BGHR StGB § 258 Abs. 1 Vollendung 1 (Verzögerung),<br />

die auch eine ausreichende Personalausstattung im Blick haben müssen.<br />

232


AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 7, § 61 Abs. 1 Satz 2 Verletzung von Auflagen<br />

BGH, Beschl. v. 17.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 381/08<br />

LS: Eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist nicht gegeben, wenn einer Auflage gemäß<br />

§ 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, mit der eine räumliche Beschränkung behördlich angeordnet worden<br />

ist, wiederholt zuwidergehandelt wird.<br />

Eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist nicht gegeben, wenn einer Auflage gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2<br />

AufenthG, mit der eine räumliche Beschränkung behördlich angeordnet worden ist, wiederholt zuwidergehandelt<br />

wird.<br />

Gründe:<br />

I. 1. Die Angeklagte ist äthiopische Staatsangehörige. Sie reiste im Juli 2004 in die Bundesrepublik ein und stellte<br />

einen Asylantrag. Dieser wurde im September 2004 zurückgewiesen. Ihre hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos.<br />

Mit Verwaltungsakt vom 3. Februar 2005 war ihr die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung bescheinigt und<br />

ihr Aufenthalt im Wege einer Auflage gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf den Landkreis Bad Kissingen beschränkt<br />

worden. Trotzdem wurde sie am 1. März 2006 und am 2. Juli 2006 außerhalb des ihr zugewiesenen Bezirks<br />

angetroffen. Am 19. Januar 2007 hielt sie sich erneut ohne behördliche Erlaubnis außerhalb des Landkreises Bad<br />

Kissingen am Hauptbahnhof in Schweinfurt auf.<br />

Das Amtsgericht Bad Kissingen hat die Angeklagte von dem hierauf gestützten Vorwurf eines Verstoßes gegen § 95<br />

Abs. 1 Nr. 7 AufenthG mit Urteil vom 11. Januar 2008 aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Ein Verstoß gegen<br />

eine räumliche Beschränkung i.S.d. § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sei nicht vom Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7<br />

AufenthG umfasst. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft fristgerecht (Sprung-) Revision eingelegt. Sie rügt<br />

die Verletzung materiellen Rechts.<br />

2. Das Oberlandesgericht Bamberg will der gegen dieses Urteil gerichteten, auf die Sachrüge gestützten (Sprung-)<br />

Revision der Staatsanwaltschaft stattgeben. Auch ein wiederholter Verstoß gegen eine von der Ausländerbehörde<br />

angeordnete räumliche Beschränkung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfülle den Straftatbestand des § 95 Abs.<br />

1 Nr. 7 AufenthG. Der Wortlaut des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG verweise auf den gesamten § 61 Abs. 1 AufenthG.<br />

Deshalb sei nicht nur der wiederholte Verstoß gegen die bereits durch Gesetz angeordnete räumliche Beschränkung<br />

auf das Bundesland (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), sondern auch der wiederholte Verstoß gegen eine durch die Ausländerbehörde<br />

angeordnete weitergehende räumliche Beschränkung des Aufenthalts (§ 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG)<br />

von § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG umfasst. Hierfür spreche auch die amtliche Überschrift des § 61 AufenthG, da der<br />

erste Teil der Überschrift („Räumliche Beschränkung“) erkennbar auf den gesamten § 61 Abs. 1 AufenthG Bezug<br />

nehme und mit der in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG verwendeten Formulierung korrespondiere. Mit der Verwendung<br />

des Begriffs der „räumlichen Beschränkung“ in der Strafvorschrift habe der Gesetzgeber zudem deutlich machen<br />

wollen, dass behördliche Anordnungen gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, die keine räumliche Beschränkung<br />

enthielten, nicht von dem Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG umfasst sein sollen. Schließlich spreche der<br />

von dem Gesetzgeber verfolgte Zweck dafür, dass auch ein wiederholtes Zuwiderhandeln gegen eine behördlich<br />

angeordnete räumliche Beschränkung strafbar sei. Nach den Gesetzesmaterialien diene die Vorschrift der Angleichung<br />

der aufenthaltsrechtlichen Folgen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer und Asylbewerber. So sei in §<br />

85 Nr. 2 AsylVfG ebenfalls eine wiederholte Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs.<br />

1, Abs. 2 AsylVfG unter Strafe gestellt, wobei der Aufenthalt der Asylbewerber jedoch schon von Gesetzes wegen<br />

auf den Bezirk der jeweils zuständigen Ausländerbehörde beschränkt sei. Daher könne eine inhaltliche Gleichstellung<br />

zwischen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern und Asylbewerbern nur dadurch erreicht werden, dass bei<br />

vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern auch der wiederholte Verstoß gegen eine behördlich angeordnete Beschränkung<br />

auf den Bezirk der Ausländerbehörde - nach § 95 Abs.1 Nr. 7 AufenthG strafbar sei.<br />

3. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Bamberg durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts<br />

Karlsruhe vom 16. Oktober 2006 - 3 Ss 204/06 (StV 2007, 136), des Oberlandesgerichts Hamm vom 12.<br />

Februar 2007 - 2 Ss 6/07, des Thüringer Oberlandesgerichts vom 1. März 2007 - 1 Ss 1/07, des Oberlandesgerichts<br />

Köln vom 11. Oktober 2007 - 83 Ss 126/07 (NStZ-RR 2008, 90) und des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 31.<br />

Januar 2008 - Ss 39/08 (StraFo 2008, 128) gehindert. Dieser Auffassung hat sich zuletzt auch das Oberlandesgericht<br />

Frankfurt (Beschl. vom 27. Mai 2008 - 1 Ss 362/07) angeschlossen. Diese Entscheidungen sind darauf gestützt, dass<br />

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ein wiederholtes Zuwiderhandeln gegen eine auf einer behördlichen Anordnung beruhenden räumlichen Beschränkung<br />

gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht von dem Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG umfasst sei.<br />

4. Das Oberlandesgericht Bamberg hat deshalb die Sache mit Beschluss vom 24. Juni 2008 gemäß § 121 Abs. 2<br />

GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:<br />

„Macht sich ein Angeklagter bei einem wiederholten Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung i.S.d. § 61 Abs. 1<br />

Satz 2 AufenthG nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG strafbar?“<br />

5. Der Generalbundesanwalt hat sich der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Bamberg angeschlossen und<br />

beantragt zu beschließen:<br />

„Der wiederholte Verstoß eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers gegen eine nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG<br />

behördlich angeordnete räumliche Beschränkung seines Aufenthalts ist strafbar gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.“<br />

II.<br />

Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 GVG sind gegeben.<br />

Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Das Oberlandesgericht Bamberg kann der Revision der<br />

Staatsanwaltschaft nicht wie beabsichtigt stattgeben, ohne von der Rechtsansicht der genannten Oberlandesgerichte<br />

abzuweichen.<br />

III.<br />

Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich.<br />

1. Ob ein wiederholtes Zuwiderhandeln gegen eine nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG von der Ausländerbehörde<br />

angeordnete räumliche Beschränkung von der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG umfasst wird, ist umstritten.<br />

Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, schon aus der in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG enthaltenen<br />

Verweisung auf den gesamten Absatz 1 des § 61 AufenthG ergebe sich, dass nicht nur ein wiederholtes Zuwiderhandeln<br />

gegen die gesetzlich angeordnete räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG von dem<br />

Straftatbestand umfasst sein soll, sondern auch das wiederholte Zuwiderhandeln gegen eine nach § 61 Abs. 1 Satz 2<br />

AufenthG behördlich angeordnete räumliche Beschränkung. Der Gesetzgeber habe den Begriff der „vollziehbaren<br />

Anordnung“, den er in der Bußgeldvorschrift des § 98 Abs. 3 Nr. 4 AufenthG für Verstöße gegen behördlich angeordnete<br />

räumliche Beschränkungen nach § 61 Abs. 1 Satz 2 verwendet habe, in der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1<br />

Nr. 7 AufenthG nicht gebraucht, weil er aus der Fülle der denkbaren Anordnungen der Ausländerbehörde allein die<br />

wiederholten Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung unter Strafe stellen wollte. Da zugleich strafrechtliche<br />

Verstöße gegen die gesetzliche Begrenzung des Aufenthalts auf das Bundesland strafrechtlich geahndet werden<br />

sollten, habe sich eine zusammenfassende Formulierung der „räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG“,<br />

wie sie in der Strafvorschrift verwendet worden sei, angeboten (Zühlcke ZAR 2007, 99).<br />

2. Dieser Auffassung wird entgegengehalten, dass sich aus der Gesetzessystematik ergebe, dass lediglich das wiederholte<br />

Zuwiderhandeln gegen die sich aus § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergebende räumliche Beschränkung auf das<br />

Bundesland, nicht aber der wiederholte Verstoß gegen eine weitergehende behördliche Anordnung nach § 61 Abs.1<br />

Satz 2 AufenthG von der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfasst würde. Dies folge aus der Unterscheidung<br />

zwischen den beiden Arten der räumlichen Beschränkung, die der Gesetzgeber für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten<br />

in § 98 Abs. 3 AufenthG vorgenommen habe. Nach § 98 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 4 AufenthG begehe<br />

derjenige eine Ordnungswidrigkeit, der vorsätzlich oder fahrlässig einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1<br />

Satz 1 AufenthG zuwider handele. Der wiederholte Verstoß gegen eine vollziehbare Auflage nach § 61 Abs. 1 Satz 2<br />

AufenthG falle dagegen unter die Bußgeldvorschrift des § 98 Abs. 3 Nr. 4 Alt. 4 AufenthG. Aus dieser Differenzierung<br />

wird deshalb geschlossen, dass von dem Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nur eine Zuwiderhandlung<br />

gegen die räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG umfasst sei. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber<br />

wie für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten auch in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG durch die Verwendung einer<br />

entsprechenden Formulierung deutlich gemacht, dass auch Verstöße gegen vollziehbare Auflagen gemäß § 61 Abs. 1<br />

Satz 2 AufenthG den Straftatbestand erfüllen. Da er dies aber gerade nicht getan habe, sei bei einem Verstoß gegen<br />

eine behördliche Auflage, die über die gesetzliche Begrenzung des Aufenthalts auf das Bundesland hinausgehe, nur<br />

der Bußgeldtatbestand des § 98 Abs. 3 Nr. 4 Alt. 4 AufenthG verwirklicht. Dies entspreche im Übrigen der Regelung<br />

in § 85 Nr. 2 AsylVfG, da auch dort nur der Verstoß gegen die im Gesetz statuierte räumliche Beschränkung nach §<br />

56 Abs. 1 oder Abs. 2 AsylVfG unter Strafe gestellt sei, nicht aber der Verstoß gegen eine durch die Verwaltungsbehörde<br />

erlassene weitergehende Beschränkungsanordnung (so die genannten Oberlandesgerichte aaO; auch Mosbacher<br />

in GK-AufenthG 28. Lfg. § 95 Rdn. 194; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 169. Lfg. AufenthG<br />

§ 95 Rdn. 39; Hailbronner, AuslR 40. Lfg. AufenthG § 95 Rdn. 48; Stoppa in Widmaier, Münchener An-<br />

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waltshandbuch Strafverteidigung S. 1872 Rdn. 226, 227; derselbe in Westpal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei<br />

3. Aufl. S. 714).<br />

3. Der Senat schließt sich dieser letztgenannten Auffassung an.<br />

a) Die gesetzliche Regelung im Aufenthaltsgesetz ist nicht eindeutig. Auch wenn in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG auf<br />

den gesamten Absatz 1 des § 61 AufenthG Bezug genommen wird, spricht die von dem Gesetzgeber im Bereich der<br />

Bußgeldtatbestände vorgenommene Unterscheidung zwischen der gesetzlich und der behördlich angeordneten räumlichen<br />

Beschränkung dafür, dass von dem Straftatbestand nur der Verstoß gegen die sich aus dem Gesetz ergebende<br />

räumliche Beschränkung erfasst sein soll. Neben der Gesetzessystematik (vgl. oben III 2) ergibt sich dies auch aus<br />

der Regelungstechnik des Gesetzgebers im Bereich des Ausländerrechts. Dieser ordnet es nämlich regelmäßig ausdrücklich<br />

an, wenn ein Verstoß gegen vollziehbare Auflagen eine strafrechtliche Sanktion oder ein Bußgeld nach<br />

sich ziehen soll (vgl. § 95 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 6a, § 98 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 2, Nr. 4 AufenthG; § 85 Nr. 3, Nr. 4<br />

AsylVfG). Diese Vorgehensweise des Gesetzgebers bei der Normierung der Straf- und Bußgeldvorschriften im Bereich<br />

des Ausländerrechts spricht dafür, dass er eine entsprechende Formulierung auch bei der Ausgestaltung des<br />

Straftatbestandes des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG gebraucht hätte, wenn er einen wiederholten Verstoß gegen eine<br />

behördlich angeordnete und vollziehbare räumliche Beschränkung hätte unter Strafe stellen wollen.<br />

b) Dies wäre insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil unter die in § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG genannten<br />

„weiteren Bedingungen und Auflagen“ nicht nur behördlich angeordnete räumliche Beschränkungen auf den Bezirk<br />

der Ausländerbehörde oder sogar auf eine bestimmte Gemeinde fallen. So kann dem Ausländer darüber hinaus auch<br />

aufgegeben werden, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, wenn dies für die Durchsetzung aufenthaltsbeendender<br />

Maßnahmen erforderlich sein sollte (Hailbronner, aaO § 61 Rdn. 12 m.w.N.). Daneben kann mit Auflagen<br />

und Bedingungen nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Verfestigung seines Aufenthalts verhindert werden, indem<br />

ihm <strong>zum</strong> Beispiel verboten wird, ein Studium aufzunehmen oder fortzusetzen (Hailbronner, aaO § 61 Rdn. 12). Auch<br />

kann ihm auferlegt werden, die Kosten für die Ausreise bzw. Abschiebung auf einem Bankkonto anzusparen<br />

(Hailbronner, aaO § 61 Rdn. 17 m.w.N.). Die Vielfalt der Maßnahmen, die nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG angeordnet<br />

werden können, spricht somit ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber bei der pauschalen Verweisung in § 95<br />

Abs. 1 Nr. 7 AufenthG auf § 61 Abs. 1 AufenthG nur die gesetzlich definierte räumliche Beschränkung auf das Bundesland<br />

im Blick hatte, weil ansonsten mangels klarstellender gesetzlicher Regelung gerade nicht deutlich wird, dass<br />

darüber hinaus von allen in Betracht kommenden behördlichen Anordnungen nur diejenigen unter Strafe gestellt sein<br />

sollen, die lediglich eine weitergehende räumliche Beschränkung des Aufenthalts enthalten.<br />

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Gesetzgeber den Weg einer pauschalen Verweisung auf § 61 Abs. 1 AufenthG<br />

für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten nicht beschritten hat, obwohl dies angesichts des Regelungszusammenhangs<br />

in § 98 Abs. 3 AufenthG sehr viel eindeutiger gewesen wäre als in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG. In §<br />

98 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG ist nämlich nicht nur der Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1<br />

Satz 1 AufenthG geregelt, sondern auch Verstöße gegen räumliche Beschränkungen, die sich sowohl aus dem Gesetz<br />

nach § 54a Abs. 2 AufenthG als auch aus vollziehbaren Auflagen nach § 12 Abs. 2 und Abs. 4 AufenthG ergeben.<br />

Diese Vorschrift enthält somit eine nahezu ausnahmslose Regelung der Verstöße gegen räumliche Beschränkungen<br />

für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten, bei der lediglich die Verstöße gegen eine behördlich angeordnete räumliche<br />

Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausge-nommen sind und dem Bußgeldtatbestand des § 98 Abs.<br />

3 Nr. 4 AufenthG unterfallen. Angesichts des Regelungsbereichs des § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG, nämlich Verstöße<br />

gegen räumliche Beschränkungen als Ordnungswidrigkeiten zu sanktionieren, unabhängig davon ob diese sich aus<br />

Gesetz oder einer behördlicher Anordnung ergeben, hätte es bei einer allgemeinen Verweisung auf § 61 Abs. 1 AufenthG<br />

keinem Zweifel unterlegen, dass hiervon auch das wiederholte Zuwiderhandeln gegen eine behördlich angeordnete<br />

Begrenzung des Aufenthalts nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG umfasst wäre. Da der Gesetzgeber aber dennoch<br />

von einer entsprechenden Verweisung in § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG abgesehen hat, obwohl dies vom Regelungsgehalt<br />

- anders als in der Strafvorschrift - eindeutig gewesen wäre, spricht auch dies dagegen, dass der Gesetzgeber<br />

mit der Formulierung „räumliche Beschränkung“ eine „zusammenfassende Formulierung“ (vgl. Zühlcke, ZAR<br />

2007, 99) gewählt hat und dass sich die in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG enthaltene Verweisung somit auch auf eine<br />

räumliche Begrenzung des Aufenthalts des Ausländers nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bezieht.<br />

c) Auch der von dem Gesetzgeber mit der Schaffung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG verfolgte Zweck spricht nicht<br />

dafür, dass wiederholte Zuwiderhandlungen gegen behördlich angeordnete räumliche Beschränkungen nach § 61<br />

Abs. 1 Satz 2 AufenthG unter Strafe gestellt werden sollten. Nach den Gesetzesmaterialien soll der vollziehbar Ausreisepflichtige<br />

zwar rechtlich nicht besser gestellt werden als ein Asylbewerber, so dass wie in § 85 Nr. 2 AsylVfG<br />

auch in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG der wiederholte Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1<br />

AufenthG als Straftatbestand verankert worden ist (BTDrucks. 15/420 S. 98). Von § 85 Nr. 2 AsylVfG ist aber nur<br />

235


der Verstoß gegen die räumlichen Beschränkungen umfasst, die sich aus § 56 Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG und damit<br />

unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Eine Ermächtigungsgrundlage für weitergehende behördliche Anordnungen<br />

enthält diese Vorschrift nicht.<br />

Soweit der Aufenthalt des Asylbewerbers nach § 56 Abs. 1, Abs. 2 AsylVfG auf den Bezirk der Ausländerbehörde<br />

beschränkt wird und damit enger gefasst ist, als dies in § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehen ist, bedeutet das<br />

ebenfalls nicht, dass die von dem Gesetzgeber gewollte Angleichung der aufenthaltsrechtlichen Folgen von vollziehbar<br />

Ausreisepflichtigen gegenüber Asylbewerbern inhaltlich nur dadurch erreicht werden kann, dass in § 95 Abs. 1<br />

Nr. 7 AufenthG nicht zwischen der sich aus dem Gesetz ergebenden räumlichen Beschränkung auf ein Bundesland<br />

und einer weitergehenden behördlich angeordneten räumlichen Beschränkung - etwa auf den Sitz der Ausländerbehörde<br />

- differenziert wird. Zum einen ist eine Angleichung der aufenthaltsrechtlichen Folgen gegenüber der vor dem<br />

Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes bestehenden Rechtslage, wonach schon ein Verstoß gegen die räumliche Beschränkung<br />

einer Duldung auf das Bundesland nach dem Ausländergesetz nicht strafbar war (vgl. BGHSt 42, 291),<br />

bereits dadurch erreicht worden, dass nunmehr auch der vollziehbar Ausreisepflichtige bei einem wiederholten Zuwiderhandeln<br />

gegen die sich aus dem Gesetz ergebende räumliche Beschränkung bestraft wird. Zum anderen macht<br />

der Vergleich zwischen § 56 Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG auf der einen und § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf der<br />

anderen Seite deutlich, dass der Gesetzgeber bei der Begrenzung des Aufenthalts grundsätzlich zwischen Asylbewerbern<br />

und vollziehbar Ausreisepflichtigen unterscheidet. Hieraus ergibt sich, dass eine inhaltliche Angleichung<br />

der aufenthaltsrechtlichen Folgen dahingehend, dass beide Gruppen von Ausländern von vorneherein engen räumlichen<br />

Beschränkungen unterliegen sollen, vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war. So ist der Aufenthalt von vollziehbar<br />

Ausreisepflichtigen von Gesetzes wegen nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen räumlich auf den<br />

Bezirk der Ausländerbehörde und damit in dem gleichen Umfang wie bei Asylbewerbern beschränkt (vgl. § 54a Abs.<br />

2, § 61 Abs. 1a Satz 1 AufenthG).<br />

) Gegen die Auffassung, wonach auch ein Verstoß gegen eine nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG behördlich angeordnete<br />

räumliche Beschränkung unter den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG fällt, spricht schließlich auch,<br />

dass der Gesetzgeber in Kenntnis der entgegenstehenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG<br />

Karlsruhe StV 2007, 136) und der ihm folgenden Oberlandesgerichte keinen Handlungsbedarf gesehen hat (zur Bedeutung<br />

der Kenntnis obergerichtlicher Rechtsprechung durch den Gesetzgeber für die Gesetzesauslegung vgl. allgemein<br />

BGHSt 38, 93, 95; 47, 202, 206). So wurden mit dem „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher<br />

Richtlinien der Europäischen Union“ vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) unter anderem Änderungen in §<br />

61, § 95 und § 98 AufenthG vorgenommen. Das diesbezügliche Gesetzgebungsverfahren hatte mit einem Entwurf<br />

des Bundesrates vom 30. März 2007 (BRDrucks. 224/07) begonnen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatten das Oberlandesgericht<br />

Karlsruhe mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 (OLG Karlsruhe StV 2007, 136), das Oberlandesgericht<br />

Hamm mit Beschluss vom 12. Februar 2007 - 2 Ss 6/07 und das Thüringer Oberlandesgericht mit Beschluss<br />

vom 1. März 2007 - 1 Ss 1/07 entschieden, dass eine Zuwiderhandlung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers<br />

gegen eine behördlich angeordnete räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht nach § 95<br />

Abs. 1 Nr. 7 AufenthG strafbar ist, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 4 AufenthG geahndet<br />

werden kann. Wenn diese Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG tatsächlich in Diskrepanz zu dem gesetzgeberischen<br />

Willen bei der Schaffung dieser Vorschrift gestanden hätte, hätte der Gesetzgeber schon im Rahmen<br />

des Gesetzgebungsverfahrens zu dem „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen<br />

Union“ vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) reagieren und § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG - entsprechend<br />

seiner üblichen Regelungstechnik im Ausländerrecht - klarstellend dahingehend ergänzen können, dass auch wiederholte<br />

Verstöße gegen vollziehbare Auflagen nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG unter diese Strafvorschrift fallen. Da<br />

er dies aber gerade nicht getan hat, spricht dies ebenfalls dafür, dass unter § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nur das wiederholte<br />

Zuwiderhandeln gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG fällt.<br />

AWG § 34 Abs. 2 Nr. 3 Störung auswärtiger Beziehungen<br />

BGH, Beschl. v. 13.01.<strong>2009</strong> – AK 20/08<br />

LS: 1. Zur Eignung einer Straftat nach dem Außenwirtschaftsgesetz, die auswärtigen Beziehungen<br />

der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden.<br />

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2. Holen die Strafverfolgungsorgane zu dieser Frage eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes<br />

ein, so ist dieses allein gehalten, die aufgrund seiner besonderen Sachkunde dort bekannten, für die<br />

Beurteilung des konkreten Falles relevanten Tatsachen mitzuteilen; die Erstattung eines Rechtsgutachtens<br />

obliegt ihm nicht.<br />

3. Zur Strafverfolgungskompetenz des Bundes und damit des Generalbundesanwalts und der<br />

Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte bei Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz.<br />

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.<br />

Eine etwaige erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Koblenz übertragen.<br />

Gründe:<br />

I.<br />

Der Angeschuldigte ist am 20. Juni 2008 festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft,<br />

zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tage (1 BGs<br />

115/2008). Mit Beschluss vom 11. Juli 2008 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl aufrechterhalten<br />

und seinen weiteren Vollzug angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Angeschuldigten<br />

hat der Senat durch Beschluss vom 8. September 2008 (StB 19/08) verworfen. Mit Beschluss vom 21. November<br />

2008 (1 BGs 212/2008) hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl neu gefasst. Am 12. Januar<br />

<strong>2009</strong> hat der Generalbundesanwalt gegen den Angeschuldigten Anklage <strong>zum</strong> Oberlandesgericht Koblenz erhoben.<br />

II.<br />

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.<br />

1. Der Angeschuldigte ist dringend verdächtig, mehrfach in strafbarer Weise gegen das Außenwirtschaftsgesetz<br />

(AWG) verstoßen zu haben:<br />

Der Angeschuldigte ist langjähriger Geschäftsführer der C. GmbH (im Folgenden: C. GmbH) mit<br />

Sitz in B. ; bis Ende 2006 war er gleichzeitig Alleingesellschafter dieses Unternehmens. Seit Mai 2001 ist er<br />

außerdem an dem türkischen Unternehmen IN.<br />

Ltd. beteiligt; dessen<br />

Geschäftsführer und Mitgesellschafter ist der gesondert Verfolgte I. . Spätestens Anfang 2006 kamen der<br />

Angeschuldigte, I. und der gesondert Verfolgte H. überein, zukünftig regelmäßig hochwertiges<br />

Graphit verschiedener Güteklassen ohne die erforderliche Genehmigung über die Türkei an die iranische S.<br />

(im Folgenden: S.<br />

) zu liefern. Derartiges Graphit fällt unter den Anhang I der Verordnung (EG) Nr.<br />

1334/2000 (Dual-Use-Verordnung); seine Ausfuhr ist deshalb genehmigungspflichtig. Das Material ist auch von<br />

dem am 4. März 2008 im Bundesanzeiger veröffentlichten Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 (Iran-<br />

Embargo-Verordnung) erfasst; eine Lieferung in den Iran ist seitdem verboten. Es findet bei der Herstellung von<br />

Mittel- und Langstreckenraketen Verwendung. Die S. ist am Programm des Iran für ballistische Raketen beteiligt;<br />

H. vertrat sie als zentraler Einkäufer. Die S. und H. sind in dem am 8. Mai 2007 im Bundesanzeiger<br />

veröffentlichten Anhang IV der Iran-Embargo-Verordnung aufgeführt; deshalb ist seit diesem Zeitpunkt die<br />

Lieferung jeglicher Waren an sie nicht erlaubt. Der Angeschuldigte beabsichtigte, sich durch die folgenden Taten<br />

eine dauerhafte, nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen:<br />

a) Zwischen März 2006 und Januar 2007 lieferte der Angeschuldigte in Ausführung der mit I. und H. getroffenen<br />

Vereinbarung in sechs Fällen Graphit der beschriebenen Art aus Deutschland über die Türkei in den Iran.<br />

Zur Umgehung der Ausfuhrkontrollen wurde das Material in den Unterlagen als geringwertiges Graphit bezeichnet,<br />

das nicht unter die Dual-Use-Verordnung gefallen wäre und somit genehmigungsfrei hätte ausgeführt werden können.<br />

Bei mehreren Lieferungen wurde das hochwertige Graphit in den Transportbehältnissen mit minderwertigem<br />

Material bedeckt. Die Gesamtmenge des in den Iran gelieferten hochwertigen Graphits betrug 13.173 kg. Ein Kaufpreis<br />

für das angeblich geringwertige Material wurde auf Firmenkonten der C. GmbH gutgeschrieben; ein darüber<br />

hinausgehender Betrag wurde vereinbarungsgemäß auf Konten des Angeschuldigten auf den Seychellen transferiert.<br />

b) Im Februar/März 2007 vereinbarten der Angeschuldigte und I. , weitere insgesamt zehn Tonnen hochwertiges<br />

Graphit an die S. in den Iran zu liefern. Zur Umgehung der deutschen Exportkontrolle wandte sich der Angeschuldigte<br />

an den Geschäftsführer der in England ansässigen T. Ltd. (im Folgenden: T. Ltd.), den<br />

Zeugen D. . Diesem spiegelte er vor, es handele sich um eine Lieferung in die Türkei; er verheimlichte ihm,<br />

dass in Wahrheit Endabnehmer des Graphits die S. im Iran sein sollte. In Absprache mit dem Angeschuldigten<br />

bestellte I. bei der T. Ltd. 120 Graphitblöcke zu einem Gesamtpreis von 124.800 €. Der Angeschuldigte ver-<br />

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pflichtete sich, bei Nichtbezahlung des Materials durch den türkischen Abnehmer dieses selbst zu übernehmen. In<br />

der Folgezeit wurde die Lieferung von Teilmengen vereinbart.<br />

Im April/Mai 2007 wurde der erste Teil der Bestellung in die Türkei versandt. Aufgrund der unzutreffenden Angaben<br />

des Angeschuldigten beantragte die T. Ltd. keine Genehmigung für eine Ausfuhr in den Iran. H. verpflichtete<br />

sich, neben dem offiziellen Kaufpreis in Höhe von 36.680 € außerhalb der Buchführung weitere 60.000 €<br />

an den Angeschuldigten zu zahlen. Das Graphit verließ das EU-Gebiet im Mai 2007; es wurde durch den türkischen<br />

Zoll in Istanbul aufgehalten und im September 2007 zurückgesandt.<br />

Danach entschieden der Angeschuldigte und I. , das für den Iran bestimmte Graphit erneut von der T. Ltd. in<br />

die Türkei versenden zu lassen. Der Angeschuldigte gab der T. Ltd. einen angeblichen neuen Empfänger in der<br />

Türkei vor und veranlasste, dass aus den Lieferpapieren die Angaben entfernt wurden, die einen Rückschluss auf<br />

"gelistetes" Material zuließen. Das Graphit verließ das EU-Gebiet kurz nach dem 29. November 2007; es wurde<br />

jedoch vom türkischen Zoll erneut angehalten und im Februar 2008 wieder nach England zurückgeschickt.<br />

c) In der Folgezeit erwarb der Angeschuldigte für die C. GmbH das Graphit von der T. Ltd. Er erörterte mit I.<br />

verschiedene Möglichkeiten der Lieferung an die S. . Sie entschieden, das Graphit über andere Drittstaaten in den<br />

Iran transportieren zu lassen; dabei wurde konkret eine Lieferung über Rumänien und Aserbeidschan angestrebt. Zu<br />

diesem Zweck nahm I. Kontakt zu einem dem Angeschuldigten bekannten "A. " in Rumänien auf. Sodann erörterten<br />

der Angeschuldigte und I. die Zahlung einer Provision an "A. ". Die Aufbewahrung des erworbenen Graphits<br />

erfolgte außerhalb des eigentlichen Lagers der C. GmbH in einem Zelt. Das Material wurde weder verarbeitet<br />

noch an andere Kunden verkauft und der Anweisung des Angeschuldigten entsprechend nicht in die übliche Lagerbuchhaltung<br />

aufgenommen. Es wurde anlässlich einer Durchsuchung am 19./20. Juli 2008 sichergestellt.<br />

2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich vor allem aus den mitgeteilten Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes,<br />

den Gutachten der Bundesanstalt für Materialforschung, den Ergebnissen der Auswertung der sichergestellten<br />

EDV-Datenträger, den Aussagen mehrerer Zeugen und dem Inhalt zahlreicher schriftlicher Unterlagen sowie abgehörter<br />

Telefongespräche. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Haftbefehlen<br />

des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni und 21. November 2008, dessen Haftfortdauerentscheidung<br />

vom 11. Juli 2008 sowie die in der Anklageschrift vom 7. Januar <strong>2009</strong> aufgeführten Beweismittel verwiesen.<br />

Der Senat hat zudem in seinem Beschluss vom 8. September 2008 den dringenden Verdacht bezüglich der beabsichtigten<br />

Lieferung weiterer zehn Tonnen Graphit in den Iran ausführlich begründet. Die dortigen Ausführungen<br />

gelten fort; der Senat nimmt auf sie Bezug.<br />

3. Danach hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wie folgt strafbar gemacht:<br />

a) In sechs Fällen (s. o. II. 1. a) führte er jeweils gewerbsmäßig entgegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.<br />

1334/2000 (Dual-Use-Verordnung) ohne die erforderliche Genehmigung Güter mit doppeltem Verwendungszweck<br />

aus, die im Anhang I dieser Verordnung aufgeführt sind; dadurch handelte er einer unmittelbar geltenden Vorschrift<br />

in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften über die Beschränkung des Außenwirtschaftsverkehrs zuwider. Da<br />

die erste Lieferung am 31. März 2006 und damit vor der Neufassung des Außenwirtschaftsgesetzes am 8. April 2006<br />

durchgeführt wurde, richtet sich die Strafbarkeit insoweit nach § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2, § 33 Abs. 4 AWG<br />

aF; § 70 Abs. 5 a Nr. 1 AWV aF; § 25 Abs. 2 StGB. Für die weiteren fünf Taten gelten § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr.<br />

2, § 33 Abs. 4 AWG nF; § 70 Abs. 5 a Nr. 1 AWV; § 25 Abs. 2, § 53 StGB. Die Handlungen des Angeschuldigten<br />

waren geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Hierzu gilt<br />

Folgendes:<br />

aa) Das Merkmal der Eignung, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden,<br />

ist sprachlich sehr weit gefasst. Die auswärtigen Beziehungen umfassen diejenigen Sachverhalte, die für das<br />

Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten oder zwischenstaatlichen Einrichtungen, insbesondere<br />

für die Gestaltung der Außenpolitik Bedeutung haben. Nach allgemeinem Verständnis können hierzu im konkreten<br />

Regelungszusammenhang auch Kontakte politischer, wirtschaftlicher und kultureller Art gehören. Trotz der damit<br />

gegebenen Konzentration auf die staatliche Ebene erstreckt sich das Merkmal auf eine praktisch nicht überschaubare<br />

Vielfalt von Beziehungen. Seine Verwendung ist deshalb verfassungsrechtlich mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot<br />

des Art. 103 Abs. 2 GG in hohem Maße problematisch (vgl. BVerfG NJW 2004, 2213, 2219).<br />

Allerdings zwingt das Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber nicht dazu, auf auslegungsfähige Begriffe vollständig zu<br />

verzichten. Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, hängt von dessen<br />

Besonderheiten und den Umständen ab, die zu einer gesetzlichen Regelung führen (vgl. etwa BVerfGE 28, 175, 183;<br />

75, 329, 341). Vorliegend wird <strong>zum</strong> einen eine konkretere Fassung der Norm durch die Komplexität der internationalen<br />

Beziehungen und die Vielfalt der Konfliktmöglichkeiten erschwert. Zum anderen besteht ein erhebliches öffentliches<br />

Interesse daran, die gemeinsamen Interessen, welche die Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten<br />

238


verbinden, gerade auch auf dem Gebiet der Außenwirtschaft - nötigenfalls durch Strafbestimmungen - zu wahren.<br />

Vor diesem Hintergrund begegnet der Straftatbestand letztlich zwar noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken; indes begibt sich der Gesetzgeber mit der Verwendung eines derartigen Tatbestandselements in den<br />

Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen. Den Anforderungen an eine ausreichende Bestimmtheit genügt<br />

somit nur eine enge, konkretisierende Auslegung des Tatbestandsmerkmals durch die Strafgerichte. Bereits von<br />

Verfassungs wegen ist somit eine restriktive Interpretation dahin erforderlich, dass nicht jede denkbare negative<br />

Reaktion irgendeines fremden Staates, sondern nur eine mögliche schwerwiegende Beeinträchtigung der eigenen<br />

Interessen der Bundesrepublik Deutschland eine erhebliche Gefährdung der auswärtigen Beziehungen darstellen<br />

kann (vgl. BVerfG NJW 1993, 1909, 1910; Diemer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 166. ErgLfG.<br />

AWG § 34 Rdn. 18).<br />

Führt demnach schon der verfassungsrechtliche Kontext der Norm zur Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung,<br />

so wird dieses Ergebnis durch Überlegungen auf der Ebene des einfachen Gesetzes bestätigt (vgl. Wolffgang/Simonsen,<br />

Kommentar <strong>zum</strong> Außenwirtschaftsrecht Stand Februar 2008, AWG § 34 Rdn. 48, 58 ff.):<br />

§ 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG setzt nicht voraus, dass die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik<br />

Deutschland konkret gefährdet oder gar gestört werden; bei der Norm handelt es sich vielmehr um ein abstraktkonkretes<br />

Gefährdungsdelikt (vgl. BGH NJW 1999, 2129; Bieneck, Handbuch des Außenwirtschaftsrechts 2.<br />

Aufl. § 29 Rdn. 2; Hocke/Berwald/ Maurer/Friedrich, Außenwirtschaftsrecht Stand Juni 2008 AWG § 34 Rdn. 26),<br />

so dass es genügt, wenn die Handlungen des Täters bei genereller Betrachtung ihrer Art nach typischerweise geeignet<br />

sind, eine solche Gefährdung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit herbeizuführen (vgl. Bieneck aaO § 29 Rdn.<br />

17; Diemer aaO § 34 Rdn. 14). Jedoch kann die abstrakte Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik,<br />

anders als diejenige eines Individualrechtsgutes, nur mit Mühe an tatsächliche Sachverhalte angeknüpft werden.<br />

Durch das weitere Erfordernis, dass die Tat geeignet sein muss, die auswärtigen Beziehungen erheblich zu gefährden,<br />

kommt ein wertendes Element hinzu, das eine Abgrenzung zu Delikten mit minderer Gefährdungseignung<br />

erforderlich macht, für die - jedenfalls im Grenzbereich - kaum geeignete Beurteilungskriterien zur Verfügung stehen.<br />

Dies macht die Auslegung und Anwendung dieses Tatbestands- bzw. Qualifizierungsmerkmals, auf das sich auf<br />

der subjektiven Deliktsseite der Vorsatz oder <strong>zum</strong>indest die Erkennbarkeit der Gefährdungseignung (§ 34 Abs. 7<br />

AWG) erstrecken muss, schon für sich einfachrechtlich außerordentlich schwierig.<br />

Hinzu kommt, dass sich auch auf dieser Ebene die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation des Merkmals<br />

ergibt. Dies folgt <strong>zum</strong> einen schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm, wonach die Handlung des Täters geeignet<br />

sein muss, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht in irgendeiner Weise, sondern<br />

erheblich zu gefährden (vgl. Bieneck aaO § 29 Rdn. 25; Wolffgang/Simonsen aaO § 34 Rdn. 60). Zum anderen ist<br />

dieses Normverständnis aus der Gesetzessystematik herzuleiten: Im Fall des § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG führt die Erfüllung<br />

der Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals dazu, dass die Handlung des Täters nicht lediglich als Ordnungswidrigkeit<br />

nach § 33 Abs. 1, 4 oder 5 AWG zu bewerten, sondern als Straftat mit einem Strafrahmen, der von<br />

Geldstrafe bis Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren reicht, zu verfolgen ist. Diese erhebliche Verschärfung der angedrohten<br />

Sanktion ist nur bei einer adäquaten Erhöhung des tatbestandlichen Unrechts zu rechtfertigen; sie erfordert somit<br />

eine Auslegung, bei der dem Tatbestandsmerkmal ein erhebliches, das Tatunrecht wesentlich steigerndes Gewicht<br />

zukommt. Daneben ist lediglich auf diese Weise zu gewährleisten, dass der Straftatbestand des § 34 Abs. 2 AWG in<br />

sich stimmig ausgelegt und angewendet werden kann; denn in den übrigen Alternativen der Norm sind mit der äußeren<br />

Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 AWG) und dem friedlichen Zusammenleben der<br />

Völker (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 AWG) Rechtsgüter von erheblichem Belang aufgeführt. Dem Merkmal der erheblichen<br />

Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland (§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG) muss deshalb<br />

eine vergleichbar hohe Bedeutung zukommen.<br />

Diese Überlegungen gelten für den Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG entsprechend.<br />

Hier führt die Bejahung des Tatbestandsmerkmals zu einer erheblichen Verschärfung des Strafrahmens; dieser beträgt<br />

im Fall des § 34 Abs. 4 AWG sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe, während demgegenüber § 34 Abs. 6<br />

AWG Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vorsieht. In den weiteren Alternativen des § 34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. a<br />

und b AWG sind im Übrigen ebenfalls die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und das friedliche<br />

Zusammenleben der Völker als Schutzgüter genannt.<br />

Aus alldem folgt, dass eine erhebliche Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland<br />

nur dann anzunehmen ist, wenn anhand konkreter tatsächlicher Umstände (vgl. Hocke/Berwald/Maurer/Friedrich<br />

aaO § 34 Rdn. 29) festzustellen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Tat in eine Lage gebracht werden<br />

kann, die es ihr unmöglich macht oder ernsthaft erschwert, ihre Interessen an gedeihlichen Beziehungen zu anderen<br />

Staaten zu wahren. Danach kann das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur erheblichen Gefährdung beispielsweise<br />

239


erfüllt sein, wenn aufgrund der Tat ein Akt starker diplomatischer Missbilligung, eine feindselige Kampagne der<br />

führenden Medien eines wichtigen Landes der Völkergemeinschaft oder eine Verurteilung der Bundesrepublik<br />

Deutschland in inter- bzw. supranationalen Gremien ausgelöst werden kann (vgl. OLG Hamm ZfZ 1992, 291, 292;<br />

Holthausen/Hucko NStZ-RR 1998, 225, 231; Wolffgang/Simonsen aaO § 34 Rdn. 58; Diemer aaO § 34 Rdn. 18, 20;<br />

vgl. auch die weiteren Beispiele bei Bieneck aaO § 29 Rdn. 25). Demgegenüber reicht nicht jede mögliche negative<br />

Reaktion eines fremden Staates, wie z. B. eine bloße Demarche, für sich allein bereits aus (für eine zurückhaltende<br />

Anwendung ebenso Hocke/Berwald/Maurer/ Friedrich aaO § 34 Rdn. 57).<br />

bb) Ob die Handlung des Täters nach diesen Maßstäben geeignet ist, eine erhebliche Gefährdung der auswärtigen<br />

Beziehungen herbeizuführen, ist aufgrund einer Gesamtschau der konkreten Einzelfallumstände zu entscheiden. Ein<br />

wichtiges Indiz hierbei ist, ob staatlichen deutschen Stellen ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass es zu<br />

dem Verstoß gegen die außenwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen kommen konnte (zweifelnd Bieneck aaO § 29<br />

Rdn. 26); denn in diesen Fällen liegt es deutlich näher, dass die Bundesrepublik Deutschland negativen Reaktionen<br />

anderer Staaten oder internationaler Organisationen ausgesetzt ist, als bei Fallgestaltungen, in denen den staatlichen<br />

Organen kein Fehlverhalten anzulasten ist. Erst recht gilt dies, wenn diese durch ihr Eingreifen eine verbotene oder<br />

ohne die erforderliche Genehmigung geplante Lieferung eines Wirtschaftsgutes sogar verhindert haben. Daneben<br />

werden regelmäßig die sonstigen Umstände wie etwa Art und Menge der Ware, deren Verwendungsmöglichkeit und<br />

-zweck, das konkrete Empfängerland ebenso in die Gesamtbetrachtung einzustellen sein wie Umfang und Gewicht<br />

der konkreten außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Tat gefährdet werden<br />

können.<br />

cc) Der Generalbundesanwalt hat zur Klärung der insoweit aufgeworfenen tatsächlichen Fragen eine Stellungnahme<br />

des Auswärtigen Amtes eingeholt. Diese gibt zunächst Anlass zu folgendem klarstellenden Bemerken: Das Auswärtige<br />

Amt legt - möglicherweise veranlasst durch die entsprechende Fragestellung in dem Anschreiben des Generalbundesanwalts<br />

vom 25. November 2008 - zu Beginn seiner Ausführungen und an weiteren Stellen dar, nach seiner<br />

Meinung seien auf der Grundlage der ihm mitgeteilten Tatsachen sämtliche Handlungen des Angeschuldigten geeignet,<br />

die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Auf diese Rechtsauffassung<br />

kommt es indessen nicht an (vgl. Bieneck aaO § 29 Rdn. 17). Holen die Strafverfolgungsorgane, was regelmäßig<br />

und vor allem in Zweifelsfällen in besonderem Maße angezeigt erscheint, eine Stellungnahme des Auswärtigen<br />

Amtes zu der in Rede stehenden Frage ein, so ist dieses gehalten, die aufgrund seiner besonderen Sachkunde dort<br />

bekannten Tatsachen mitzuteilen, soweit sie für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6<br />

Nr. 4 Buchst. c AWG im konkreten Fall relevant sind; die Erstattung eines Rechtsgutachtens ist nicht veranlasst. Die<br />

Funktion des Auswärtigen Amtes in dem Straf- bzw. Ermittlungsverfahren unterscheidet sich insoweit nicht von<br />

derjenigen sonstiger Sachverständiger oder Zeugen. Vielmehr obliegt es allein den Strafverfolgungsorganen, auf der<br />

durch das Auswärtige Amt vermittelten tatsächlichen Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Handlungen<br />

des Täters geeignet waren, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden.<br />

dd) Soweit das Auswärtige Amt ausführt, wenngleich es nicht zu offiziellen Demarchen gekommen sei, sei die gegebene<br />

Konstellation typischerweise geeignet, Kritik von staatlicher israelischer Seite auszulösen und trage außerdem<br />

zur Verringerung der Akzeptanz der legalen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Iran bei, würde dies<br />

sowie der Umstand, dass sich das zuständige US-amerikanische Generalkonsulat zur Klärung weiterer Einzelheiten<br />

an den Generalbundesanwalt gewandt hat, allein nicht ausreichen, um nach den dargelegten Maßstäben die Voraussetzungen<br />

des § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG zu erfüllen. Den vom Auswärtigen Amt mitgeteilten<br />

tatsächlichen Umständen ist bei einer Gesamtschau indes noch ausreichend zu entnehmen, dass in den Fällen, in<br />

denen das Graphit über die Türkei in den Iran geliefert wurde, die Handlungen des Angeschuldigten zur erheblichen<br />

Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland geeignet waren. In diesen Fällen haben<br />

sich die deutschen Exportkontrollbehörden über wesentliche Umstände täuschen lassen. Der Angeschuldigte lieferte<br />

jeweils eine erhebliche Menge Graphit, das beim Bau von Mittel- und Langstreckenraketen Verwendung finden<br />

kann. Jeder Einzelfall war Teil einer sich über längere Zeit hinziehenden Tatserie. Unter diesen Umständen waren<br />

die nicht verhinderten Lieferungen solchen Materials an die S. , einem an dem iranischen Raketenprogramm maßgeblich<br />

Beteiligten, in besonderem Maße geeignet, Zweifel an der Effektivität der deutschen Exportkontrolle aufzuwerfen.<br />

Hinzu kommt, dass die Politik des Empfängerlandes Iran insbesondere gegenüber Israel von einer aggressiven<br />

Grundhaltung geprägt ist. Mit Blick auf die in der Stellungnahme dargelegten besonderen außenpolitischen Interessen<br />

und Aktivitäten der Bundesrepublik Deutschland zur Stabilisierung der Region des Nahen und Mittleren Ostens<br />

waren die Handlungen des Angeschuldigten somit bei genereller Betrachtung ihrer Art nach typischerweise mit<br />

hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet, Akte starker diplomatischer Missbilligung oder Medienkampagnen gegen<br />

die Bundesrepublik Deutschland in wichtigen Partnerländern herbeizuführen.<br />

240


) Durch das Verbringen der Teillieferung des Graphits in die Türkei im Mai und erneut Ende 2007 (s. o. II. 1. b) ist<br />

der Angeschuldigte dringend verdächtig, in zwei Fällen versucht zu haben, gewerbsmäßig entgegen Art. 7 Abs. 3 der<br />

Verordnung (EG) Nr. 423/2007 im Anhang IV dieser Verordnung aufgeführten natürlichen und juristischen Personen,<br />

Organisationen und Einrichtungen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu<br />

stellen oder zugute kommen zu lassen, mithin jeweils versucht zu haben, einem im Bundesanzeiger veröffentlichten<br />

unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-,<br />

Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften zuwider zu handeln, der<br />

der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik<br />

beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (§ 34 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 Nr. 2 AWG nF; §§ 22, 23,<br />

25 Abs. 2, § 53 StGB). Demgegenüber kommen versuchte Verstöße gegen Art. 2 Buchst. a i. V. m. Anhang I der<br />

genannten Verordnung nicht in Betracht, weil die betreffende Güterliste erst am 4. März 2008 und damit nach Begehung<br />

der Taten im Bundesanzeiger veröffentlicht worden ist. Die Publikation des Anhangs IV erfolgte indes bereits<br />

am 8. Mai 2007 und demnach vor den Taten.<br />

Bei diesen Delikten ist kein dringender Verdacht dahin anzunehmen, dass der Angeschuldigte versucht hat, den<br />

Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG zu verwirklichen, oder in strafbarer Weise gegen die<br />

Dual-Use-Verordnung verstoßen hat (§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG); denn sie waren nach den oben dargelegten Maßstäben<br />

nicht geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Der Angeschuldigte<br />

veranlasste jeweils von Deutschland aus lediglich eine Lieferung des Graphits aus England, die nur bis<br />

in die Türkei gelangte. An dem Ausfuhrvorgang waren deutsche Behörden nicht beteiligt. Nach dem erhobenen<br />

Tatvorwurf wandte sich der Angeklagte vielmehr gerade deshalb an den Geschäftsführer der T. Ltd., um die<br />

strengen deutschen Exportkontrollbestimmungen zu umgehen. Seine Handlungen konnten deshalb allenfalls geeignet<br />

sein, Zweifel an der Effektivität der englischen Exportkontrolle hervorzurufen.<br />

c) Die Vereinbarung mit I. , das Graphit über Umwege doch noch in den Iran zu liefern (s. o. II. 1. c), begründet<br />

den dringenden Verdacht, dass der Angeschuldigte mit einem Anderen verabredet hat, gewerbsmäßig entgegen Art.<br />

2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 im Anhang I dieser Verordnung aufgeführte Güter mit oder ohne<br />

Ursprung in der Gemeinschaft unmittelbar oder mittelbar an juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen<br />

in Iran zu verkaufen, zu liefern, weiterzugeben oder auszuführen und durch dieselbe Handlung mit einem Anderen<br />

verabredet zu haben, gewerbsmäßig entgegen Art. 7 Abs. 3 der genannten Verordnung den im Anhang IV dieser<br />

Verordnung aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen unmittelbar oder<br />

mittelbar wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder zugute kommen zu lassen, mithin verabredet zu<br />

haben, einem im Bundesanzeiger veröffentlichten unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-,<br />

Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsakts der<br />

Europäischen Gemeinschaften zuwider zu handeln, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im<br />

Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient<br />

(§ 30 Abs. 2 StGB; § 34 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 Nr. 2 AWG nF; § 25 Abs. 2, § 52 StGB).<br />

Bei dem hochwertigen Graphit handelt es sich um wirtschaftliche Ressourcen i. S. d. Art. 7 Abs. 3 der Verordnung<br />

(EG) Nr. 423/2007. Hierunter fallen nach der Definition des Art. 1 Buchst. i derselben Verordnung Vermögenswerte<br />

jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich<br />

nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden<br />

können. Der Senat verweist zur Begründung im Übrigen auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom 8. September<br />

2008 (StB 19/08 S. 8 f.), die weiterhin gelten.<br />

An seiner Annahme, gegen den Angeschuldigten bestehe der dringende Verdacht eines Verbrechens nach § 34 Abs.<br />

4 Nr. 2, Abs. 6 Nr. 2 AWG i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) 423/2007 durch Erbringung von<br />

Vermittlungsdiensten im Zusammenhang mit den in Anhang I zur Iran-Embargo-Verordnung aufgeführten Gütern<br />

(vgl. Beschl. vom 8. September 2008 S. 9 f.), hält der Senat indes nicht fest.<br />

Ein dringender Verdacht eines Verstoßes gegen § 34 Abs. 6 Nr. 4 Buchst. c AWG besteht auch bezüglich dieser Tat<br />

nicht. Dem Angeschuldigten wird lediglich zur Last gelegt, mit einem Anderen eine verbotene Lieferung verabredet<br />

zu haben. Das bei der C. GmbH gelagerte Material wurde von den deutschen Behörden sichergestellt und damit<br />

durch diese eine Lieferung in den Iran gerade verhindert. Es ist - auch unter Berücksichtigung aller sonstigen maßgebenden<br />

Umstände des vorliegenden Falles - nicht zu erkennen, inwiefern diese Fallgestaltung geeignet gewesen<br />

sein soll, erhebliche, den auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland <strong>zum</strong> Nachteil gereichende Reaktionen<br />

hervorzurufen.<br />

4. Da der Haftbefehl des Ermittlungsrichters vom 21. November 2008 ausdrücklich nur auf die dargestellten Taten<br />

gestützt ist, hat sich der Senat nicht damit zu befassen, ob der Beschuldigte dreier weiterer vollendeter Lieferungen<br />

241


hochwertigen Graphits in den Iran im Jahre 2005 (vgl. Taten 1. bis 3. der Anklageschrift vom 7. Januar <strong>2009</strong>) dringend<br />

verdächtig ist.<br />

5. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs<br />

sowie des Oberlandesgerichts Koblenz ist gegeben (§ 120 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a, § 142 a Abs. 1 Satz 1<br />

GVG; § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO).<br />

a) Wie dargelegt, waren in den sechs Fällen der vollendeten Lieferung des Graphits in den Iran (s. o. II. 1. a) die<br />

Taten nach den Umständen geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu<br />

gefährden. Damit ist für diese Taten auch das der materiellrechtlichen Regelung in § 34 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 4<br />

Buchst. c AWG entsprechende Kriterium des § 120 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a GVG erfüllt.<br />

Dieser Umstand allein reicht nach der gesetzlichen Regelung allerdings nicht aus, um die Zuständigkeit der genannten<br />

Strafverfolgungsorgane des Bundes zu begründen. § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG setzt zusätzlich voraus, dass dem Fall<br />

eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Hannich in KK 6. Aufl. § 120 GVG Rdn. 4 d). Diese hat der Generalbundesanwalt<br />

in den genannten sechs Fällen im Ergebnis mit Recht bejaht.<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats fällt die Strafverfolgung der in § 120 Abs. 2 GVG aufgeführten Delikte<br />

entsprechend dem in der Norm deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers sowie mit Blick auf<br />

den verfassungsrechtlichen Maßstab des Art. 96 Abs. 5 GG (vgl. BGHR GVG § 120 Abs. 2 besondere Bedeutung 1)<br />

grundsätzlich in die Kompetenz der Bundesländer; dies gilt sogar dann, wenn sich die Tat gegen die Bundesrepublik<br />

als Gesamtstaat richtet. Die Zuständigkeit des Bundes und damit die Evokationsbefugnis des Generalbundesanwalts<br />

werden nur begründet, wenn dem Fall darüber hinaus eine besondere Bedeutung zukommt. Dies ist erst dann der<br />

Fall, wenn es sich unter Beachtung des Ausmaßes der Rechtsgutsverletzung um ein staatsgefährdendes Delikt von<br />

erheblichem Gewicht handelt, das seine besondere Bedeutung dadurch gewinnt, dass es die Schutzgüter des Gesamtstaates<br />

in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine Aburteilung<br />

durch ein Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten ist. An die Bejahung der besonderen Bedeutung<br />

sind strenge Anforderungen zu stellen, weil durch die Übernahmeerklärung nicht nur der gesetzliche Richter (Art.<br />

101 GG) bestimmt, sondern auch in die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern<br />

eingegriffen wird (vgl. etwa BGHSt 46, 238, 253 f.; BGHR GVG § 120 Abs. 2 Besondere Bedeutung 1, 4; BGH<br />

NStZ 2008, 146, 147).<br />

In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung wird in der Literatur (vgl. Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 120 Rdn.<br />

6; Hannich in KK 6. Aufl. § 120 GVG Rdn. 3; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 120 GVG Rdn. 6;<br />

Frister in SK-StPO 50. Lfg. § 120 GVG Rdn. 10; Welp NStZ 2002, 1, 7 sowie 609, 610) zu Recht darauf hingewiesen,<br />

das Tatbestandsmerkmal der besonderen Bedeutung solle vermeiden, dass die in der Verfassung angeordnete<br />

Regelzuständigkeit der Landesjustiz durch einen ausufernden Gebrauch des Evokationsrechts in eine solche des<br />

Bundes umgekehrt wird (vgl. Frister in SK-StPO aaO). Es habe die Funktion eines Korrektivs, mit dem verhindert<br />

werden solle, dass sich die Regelzuständigkeit der Landesjustiz in eine Regelzuständigkeit des Bundes umkehre (vgl.<br />

Franke in Löwe/Rosenberg aaO). In § 120 Abs. 2 GVG normiere das Gesetz die besondere Bedeutung des Falles als<br />

zusätzliche Qualität der Katalogtaten. Die Bundeskompetenz beziehe sich nicht lediglich auf besonders schwerwiegende<br />

Delikte, sondern auf solche Taten, die die Bundesinteressen besonders nachhaltig berühren. Auch die Quantifizierung,<br />

die mit der besonderen Bedeutung des Falles verlangt sei, könne sich daher nur auf diesen Schutzzweck<br />

beziehen. Das Ausmaß der individuellen Rechtsverletzung und der Grad der Schuld seien daher für diese Frage nur<br />

insofern von Bedeutung, als sie das Gewicht des Angriffs auf das jeweils betroffene Rechtsgut des Gesamtstaates<br />

mitbestimmten (vgl. Welp NStZ 2002, jeweils aaO).<br />

Hieraus folgt, dass eine Katalogtat des § 120 Abs. 2 GVG selbst dann, wenn sie nach Schwere oder Umfang erhebliches<br />

Unrecht verwirklicht und daher staatliche Sicherheitsinteressen in besonderer Weise beeinträchtigt hat, nicht<br />

allein aus diesem Grund das Evokationsrecht des Generalbundesanwalts zu begründen vermag (vgl. BGHR GVG §<br />

120 Abs. 2 besondere Bedeutung 1; Rebmann NStZ 1986, 289, 293). Es besteht kein Anlass, von diesen für alle<br />

Alternativen des § 120 Abs. 2 GVG geltenden Grundsätzen gerade in den Fällen des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG abzuweichen.<br />

Auch die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist in erster Linie Aufgabe der Länder; die Zuständigkeit<br />

der Bundesgerichtsbarkeit ausübenden Organe ist daher nur bei einem spezifischen, ausreichend gewichtigen Angriff<br />

auf gesamtstaatliche Interessen gegeben.<br />

Aus diesen Gründen kann der vereinzelt in der Literatur vertretenen Ansicht nicht gefolgt werden, es sei davon auszugehen,<br />

dass der Generalbundesanwalt die Strafverfolgung jedenfalls in den Fällen des § 34 Abs. 6 AWG grundsätzlich<br />

zu übernehmen habe, weil diese sowohl die Erheblichkeit als auch die besondere Bedeutung nach der gesetzlichen<br />

Bewertung gleichsam in sich trügen, ohne dass es eines weiteren Begründungsaufwandes bedürfe (vgl. Diemer<br />

aaO § 34 Rdn. 46). Gegen diese Auffassung spricht auch, dass etwa bei - in der Praxis häufig vorkommender -<br />

242


gewerbsmäßiger Begehung einer ansonsten nach § 34 Abs. 1, 2 oder 4 AWG strafbaren Tat (§ 34 Abs. 6 Nr. 2<br />

AWG) die Zuständigkeit der Bundesjustiz begründet wäre, ohne dass es auf die sonstigen Umstände des Falles noch<br />

maßgebend ankäme. Dies würde dem dargelegten Regel-/Ausnahmeverhältnis in eklatanter Weise widersprechen. Es<br />

ist kein Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der durch das 2. Gesetz zur Modernisierung der Justiz<br />

vom 22.12.2006 (BGBl I 3416) neu geschaffenen Regelung des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG eine derart weitgehende<br />

Umverteilung der Zuständigkeit von den Ländern auf den Bund beabsichtigte. Nach den Gesetzesmaterialien soll<br />

dem Generalbundesanwalt vielmehr die Möglichkeit eröffnet werden, auch für Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz<br />

seine Ermittlungszuständigkeit zu begründen, um zu gewährleisten, dass die sicherheitspolitische Dimension<br />

dieser Straftaten erhellt wird; hierdurch könne ein wesentlicher Beitrag zur effektiven Gestaltung der Ermittlungen<br />

und damit zur Bekämpfung einer für die äußere Sicherheit und das Ansehen Deutschlands in der Staatengemeinschaft<br />

besonders nachteiligen Kriminalität geleistet werden. Der Gesetzgeber hat jedoch ausdrücklich auf die<br />

notwendige Staatsschutzqualität der betreffenden Straftaten - unabhängig von einem geheimdienstlichen Hintergrund<br />

- hingewiesen. Im Übrigen soll es bei der originären Zuständigkeit der Landesjustiz für Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz<br />

bleiben (vgl. BTDrucks. 16/3038 S. 27).<br />

Demnach erfordert die Beurteilung der besonderen Bedeutung des Falles auch im Rahmen des § 120 Abs. 2 Nr. 4<br />

GVG eine Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts<br />

ihres Angriffs auf den Gesamtstaat. Allein die Schwere der Tat und das Ausmaß der von ihr hervorgerufenen<br />

Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter vermag für sich die besondere Bedeutung nicht zu begründen; allerdings<br />

können die konkrete Tat- und Schuldschwere den Grad der Gefährdung bundesstaatlicher Belange durchaus<br />

mitbestimmen (vgl. Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 120 Rdn. 6). Von Bedeutung kann auch sein, ob aufgrund der<br />

Erheblichkeit des Delikts eine Verfolgung mit besonderer Sachkunde geboten und angesichts des Auslandsbezuges<br />

ein spezieller Ermittlungsaufwand erforderlich erscheint. Bei der Beurteilung der besonderen Bedeutung ist zudem<br />

zu erwägen, inwieweit die konkrete Tat den Gesamtstaat etwa durch eine Schädigung des Ansehens Deutschlands in<br />

der Staatengemeinschaft zu beeinträchtigen vermag (vgl. BTDrucks. 16/3038 S. 31).<br />

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Bejahung der besonderen Bedeutung des Falles durch den Generalbundesanwalt<br />

im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Angeschuldigte hat in insgesamt sechs Taten über einen langen Zeitraum<br />

hinweg immer wieder hochwertiges Graphit in den Iran geliefert. Aufgrund der Verbindungen nach England und in<br />

die Türkei bestand ein vielschichtiger Auslandsbezug, der einen speziellen Ermittlungsaufwand erforderlich machte.<br />

Nach den konkreten Umständen - Lieferung in den Iran, potentielle Bedrohung von Israel - kann eine von den Taten<br />

ausgehende Schädigung des Ansehens Deutschlands in der Staatengemeinschaft nicht ausgeschlossen werden. Die<br />

Umstände und Auswirkungen der Taten stellen somit - jedenfalls bei einer Gesamtschau - einen derart gewichtigen<br />

Angriff auf die Interessen des Gesamtstaates dar, dass die Begründung der Bundesgerichtsbarkeit noch als vertretbar<br />

anzusehen ist.<br />

b) Die Zuständigkeit der Strafverfolgungsorgane des Bundes erfasst auch diejenigen drei Taten (s. o. II. 1. b und c),<br />

bei denen die Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 Nr. 4 GVG nicht vorliegen, weil sie nicht geeignet sind, die auswärtigen<br />

Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu beeinträchtigen. Eine derartige Erstreckung erfordert<br />

vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Zuständigkeitsregelung zwar grundsätzlich, dass die betreffenden<br />

Straftaten mit <strong>zum</strong>indest einem die Bundeszuständigkeit begründenden Staatsschutzdelikt materiell- oder verfahrensrechtlich<br />

eine Tat bilden (vgl. BGHR GVG § 120 Zuständigkeit 1). Darüber hinaus besteht das Evokationsrecht des<br />

Generalbundesanwalts jedoch ausnahmsweise auch dann, wenn ein derart enger persönlicher und deliktsspezifischsachlicher<br />

Zusammenhang besteht, dass eine getrennte Verfolgung und Aburteilung auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als in hohem Maße sachwidrig<br />

erscheint.<br />

Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Die drei genannten Taten waren Teil einer insgesamt einheitlichen Serie<br />

dem Angeschuldigten zur Last gelegter, gleichgerichteter, gewerbsmäßig begangener Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz.<br />

Als solche waren sie dem Grunde nach geeignet, unter den Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 Nr.<br />

4 GVG die Bundeszuständigkeit zu begründen. Sie unterscheiden sich, soweit in diesem Zusammenhang von Relevanz,<br />

in tatsächlicher Hinsicht von den in Rede stehenden Staatsschutzdelikten im Wesentlichen nur dadurch, dass<br />

das Graphit nicht in den Iran gelangte. Die sie betreffenden Beweismittel sind - jedenfalls teilweise - mit denjenigen<br />

der Taten identisch, bei denen eine Gefährdungseignung i. S. v. § 120 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a GVG noch bejaht werden<br />

kann. Unter diesen Umständen widerspräche eine getrennte Verfolgung und Aburteilung in ganz besonderem<br />

Maße dem Gebot einer effizienten Strafverfolgung.<br />

6. Bei dem Angeschuldigten besteht aus den in den Haftbefehlen vom 20. Juni sowie 21. November 2008 und dem<br />

Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichthofs vom 11. Juli 2008 zutreffend aufgeführten Gründen der<br />

243


Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Senat verweist insoweit auch auf seine Ausführungen in<br />

dem Beschluss vom 8. September 2008. Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz. Der<br />

Angeschuldigte besitzt die Staatsangehörigkeit der Seychellen und verfügt dort über ein beträchtliches Grund- und<br />

sonstiges Vermögen. Dies und die weiteren, in den genannten Entscheidungen aufgeführten Umstände machen es<br />

wahrscheinlich, dass der Angeschuldigte sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird. Weniger einschneidende<br />

Maßnahmen i. S. d. § 116 StPO kommen nicht in Betracht.<br />

7. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs.<br />

1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch<br />

nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten<br />

waren zahlreiche, <strong>zum</strong> Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen wie etwa die Auswertung eines<br />

großen Teils der Datenverarbeitung der C. GmbH und Maßnahmen der internationalen Rechtshilfe durchzuführen.<br />

Entgegen der Auffassung der Verteidigung gebot der Beschleunigungsgrundsatz es nicht, vorab eine Teilanklage<br />

bezüglich der Taten II. 1. b und c zu erheben. Die von der Verteidigung insoweit angeführten Entscheidungen des<br />

Bundesverfassungsgerichts und verschiedener Oberlandesgerichte betreffen durchweg andere, mit dem vorliegenden<br />

Verfahren nicht vergleichbare Sachverhalte. Die weiteren Ermittlungsmaßnahmen betrafen hier insbesondere nicht<br />

nur Randbereiche; sie waren auch nicht lediglich geeignet, die bisherigen Ermittlungsergebnisse abzurunden. Sie<br />

bezogen sich vielmehr auf die gewerbsmäßig durchgeführten Lieferungen von Graphit in den Iran und damit auf<br />

Straftaten von erheblichem Gewicht, die für das Verfahren zentrale Bedeutung haben. Mit der zwischenzeitlichen<br />

Erhebung der Anklage bezüglich aller ermittelten Straftaten des Angeschuldigten ist das Verfahren insgesamt mit der<br />

in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.<br />

8. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwürfen, die<br />

teilweise mit einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bedroht sind, nicht außer Verhältnis (§<br />

120 Abs. 1 Satz 1 StPO).<br />

BtmG § 29 a Handeltreiben Mittäterschaft<br />

BGH, Beschl. v. 21.04.<strong>2009</strong> – 3 StR 107/09<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln setzt nicht voraus, dass die <strong>zum</strong> Umsatz bestimmten Betäubungsmittel<br />

vorhanden sind, objektiv zur Verfügung stehen oder gar sich schon im Besitz des Täters<br />

befinden. Sieht der Täter eine reelle Chance, sich die Drogen beschaffen zu können, so ist die<br />

Tat vielmehr bereits mit der ernsthaft getroffenen Abrede vollendet, die Betäubungsmittel sodann<br />

gewinnbringend weiter zu veräußern; hieran ändert es nichts, wenn die Erwartung des Täters später<br />

fehlschlägt.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 21. April <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Juli 2008<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe <strong>zum</strong> unerlaubten Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie des Besitzes kinderpornographischer Schriften schuldig ist;<br />

b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall III. 2. a) der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben;<br />

jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in zwei Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die<br />

Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

244


Nach den Feststellungen des Landgerichts vereinbarten der Angeklagte sowie die Zeugen M. und O. , ein verdeckter<br />

Ermittler des LKA Nordrhein-Westfalen, im Fall III. 2. a) der Urteilsgründe ("Türkeigeschäft") für unbekannt<br />

gebliebene niederländische Hinterleute 200 kg Heroin aus der Türkei nach Deutschland zu schmuggeln. Sie<br />

trafen sich am 21. Juni 2006 im Büro des Angeklagten in Duisburg und besprachen dort die Angelegenheit, wobei<br />

der Angeklagte an dem Gespräch nicht aktiv teilnahm, ihm aber folgte und mit den getroffenen Abreden einverstanden<br />

war. M. und O. vereinbarten, als Entlohnung einen Anteil von 7% des Rauschgifts zu entnehmen. Sie<br />

planten, das Heroin eigenständig zu verkaufen und den Erlös aufzuteilen, wobei die Betäubungsmittel zunächst<br />

gleichmäßig zwischen ihnen geteilt werden sollten und der Angeklagte sodann von dem Anteil des M. einen<br />

geringeren Teil erhalten sollte. Sie gingen davon aus, dass der Wirkstoffgehalt nicht weniger als 10% betragen werde.<br />

Für den Transport sollte ein von O. zu beschaffender LKW eingesetzt werden. Bei einem weiteren Treffen am<br />

18. Juli 2006, das erneut im Büro des Angeklagten stattfand, erkundigte sich dieser nach dem Stand der Angelegenheit.<br />

Die Bestätigung, dass die Sache laufe, nahm er erfreut zur Kenntnis und verließ sodann den Raum. Als er wieder<br />

zurückkam, teilte O. ihm mit, er werde ihm eine Bestätigung für die Buchung der Fähre bringen oder faxen,<br />

damit M. sie abholen könne. Damit war der Angeklagte einverstanden. Am 20. Juli 2006 faxte O. die entsprechende<br />

Bestätigung an den Angeklagten; dieser sorgte dafür, dass M. sie abholte. An den weiteren Vorbereitungen<br />

des Geschäfts beteiligten M. und O. den Angeklagten nicht mehr. Der Angeklagte fragte auch nicht mehr<br />

nach. Im August 2006 begab sich der Zeuge W. , bei dem es sich wie bei O. um einen verdeckten Ermittler<br />

handelte, mit einem LKW nach Istanbul, um die Betäubungsmittel entgegenzunehmen. Zu einer Übergabe des Heroins<br />

kam es jedoch nicht.<br />

1. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt in Bezug auf die gesamte Menge Heroin rechtlich als mittäterschaftlich<br />

begangenes unerlaubtes Handeltreiben des Angeklagten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs.<br />

1 Nr. 2 BtMG) gewürdigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Angeklagte sei nicht lediglich Gehilfe gewesen.<br />

Letztlich habe zwar ein unbekannter Empfänger die Betäubungsmittel erhalten sollen. Der Angeklagte habe jedoch<br />

aufgrund eines gemeinsamen Tatplans mehrere, nicht nur ganz geringfügige Tatbeiträge geleistet.<br />

Dies hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die getroffenen Feststellungen belegen ein täterschaftliches<br />

Handeltreiben des Angeklagten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nur bezüglich des Anteils an dem zu<br />

schmuggelnden Heroin, der dem Angeklagten selbst <strong>zum</strong> Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs zukommen<br />

sollte. Im Übrigen ist die festgestellte Tat für den Angeklagten lediglich als Beihilfe <strong>zum</strong> unerlaubten Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu werten.<br />

a) Als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sind alle Tätigkeiten anzusehen, die auf den Umsatz von Rauschgift<br />

gerichtet sind; als tatbestandliche Handlungen sind damit im Grundsatz auch Tätigkeiten mit primär unterstützendem<br />

Charakter erfasst (st. Rspr.; vgl. BGHSt 50, 252, 256 ff.). Trotz dieser weiten Begriffsbestimmung richtet sich die<br />

Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe indes nach den allgemeinen Regeln der §§ 25, 27 StGB (vgl. BGHSt<br />

51, 219, 221). Danach ist Mittäter, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Beitrag derart in eine<br />

gemeinschaftliche Tat einfügt, dass dieser als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung<br />

seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten<br />

Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen (vgl. BGH NStZ<br />

2007, 531). Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung<br />

und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein; Durchführung und Ausgang der<br />

Tat müssen somit <strong>zum</strong>indest aus der subjektiven Sicht des Tatbeteiligten maßgeblich auch von seinem Willen abhängen.<br />

Dabei deutet eine ganz untergeordnete Tätigkeit schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist<br />

(st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2005, 228; vgl. auch Winkler NStZ 2008, 444 f.).<br />

b) Nach diesen Maßstäben liegt ein mittäterschaftliches Handeltreiben des Angeklagten mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge lediglich in Bezug auf denjenigen Teil des Rauschgifts vor, den er nach der getroffenen Vereinbarung<br />

von dem Anteil des M. erhalten sollte und sodann eigenständig verkaufen wollte; denn nur insoweit<br />

sind ein Tatinteresse und ein Wille zur Tatherrschaft festgestellt, die die Bewertung rechtfertigen, der Angeklagte<br />

habe täterschaftlich mit Betäubungsmitteln Handel getrieben. Aufgrund der in Rede stehenden Menge und des Wirkstoffgehalts<br />

des Heroins ergibt sich zwanglos, dass auch durch diese Teilmenge die Grenze zur nicht geringen Menge<br />

im Sinne des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG deutlich überschritten war. M. wollte sich 3,5% von 200 kg, mithin 7 kg<br />

Heroin mit einem Wirkstoffanteil von 10% (= 700 gr. HHCl) verschaffen. Selbst wenn der Angeklagte nach den<br />

insoweit nicht völlig eindeutigen Feststellungen hiervon nur einen "geringeren Teil" erhalten sollte, ist auszuschließen,<br />

dass dieser so geringfügig sein sollte, dass der Wirkstoffanteil unter der bei 1,5 gr. HHCl liegenden Grenze zur<br />

nicht geringen Menge lag.<br />

245


c) Hinsichtlich des übrigen Rauschgifts ergibt die vorzunehmende Gesamtwürdigung dagegen, dass der Beitrag des<br />

Angeklagten zu dessen Umsatz als Gehilfentätigkeit zu werten ist. Wenn auch nach der neueren Rechtsprechung des<br />

Bundesgerichtshofs die Entscheidung, ob die Tätigkeit eines an einem Rauschgiftumsatz Beteiligten als Beihilfe oder<br />

(Mit-)Täterschaft beim Handeltreiben zu bewerten ist, nicht allein davon abhängig gemacht werden darf, ob er unmittelbar<br />

am Erwerb oder Absatz der Betäubungsmittel beteiligt ist (vgl. BGH NStZ 2008, 40, 41), so fällt doch<br />

zunächst ins Gewicht, dass die Tätigkeiten des Angeklagten sowie von M. und O. insgesamt nur dem Transport<br />

des Rauschgifts aus der Türkei nach Deutschland dienen sollten und damit lediglich einen Teilbereich des geplanten<br />

Geschäfts durch die niederländischen Hintermänner betrafen. Den konkreten objektiven Tatbeiträgen des<br />

Angeklagten im Rahmen dieser Transporttätigkeit kam mit Blick auf ihre Bedeutung für das Gesamtgeschäft eine<br />

lediglich untergeordnete Bedeutung zu. Sie beschränkten sich auf die - überwiegend passive - Teilnahme an vorbereitenden<br />

Gesprächen, das Zurverfügungstellen des eigenen Büros für die Unterhaltungen und die Entgegennahme<br />

und Weiterleitung eines Faxes mit einer Buchungsbestätigung. Auch der Grad des Interesses des Angeklagten an<br />

dem Geschäft war eher gering. Dies wird <strong>zum</strong> einen dadurch belegt, dass der Gewinn, der ihm nach den Vorstellungen<br />

der Beteiligten zukommen sollte, nicht so hoch war wie derjenige von M. und O. . Zum anderen fragte er<br />

in der Folgezeit nur noch bei einem Treffen kurz nach dem geplanten Geschäft, nahm die Antwort zur Kenntnis und<br />

kümmerte sich sodann um dieses nicht mehr.<br />

d) Mit den zwischen den Beteiligten getroffenen Absprachen war das Handeltreiben jeweils bereits vollendet; denn<br />

dies setzt nicht voraus, dass die <strong>zum</strong> Umsatz bestimmten Betäubungsmittel vorhanden sind, objektiv zur Verfügung<br />

stehen oder gar sich schon im Besitz des Täters befinden. Sieht der Täter wie hier eine reelle Chance, sich die Drogen<br />

beschaffen zu können, so ist die Tat vielmehr bereits mit der ernsthaft getroffenen Abrede vollendet, die Betäubungsmittel<br />

sodann gewinnbringend weiter zu veräußern; hieran ändert es nichts, wenn die Erwartung des Täters<br />

später fehlschlägt (vgl. Weber, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 202, 261, 265 f. jeweils m. w. N.).<br />

e) Das täterschaftliche Handeltreiben des Angeklagten mit der ihm zu überlassenden Betäubungsmittelmenge und<br />

seine Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit dem übrigen Rauschgift stehen im Verhältnis der Tateinheit.<br />

2. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die ein<br />

täterschaftliches Handeltreiben des Angeklagten in Bezug auf die gesamte Menge des Heroins belegen könnten; er<br />

ändert deshalb den Schuldspruch selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht<br />

dem nicht entgegen; denn der Angeklagte hätte sich gegen den geänderten Vorwurf nicht anders als geschehen verteidigen<br />

können.<br />

3. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung der in diesem Fall verhängten, sich auf vier Jahre und<br />

sechs Monate belaufenden Freiheitsstrafe; der Wegfall dieser Einzelstrafe, die zugleich die Einsatzstrafe ist, zieht die<br />

Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da die festgestellten Straf<strong>zum</strong>essungstatsachen von dem Wertungsfehler<br />

nicht betroffen sind, können sie bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen<br />

- etwa zu der genauen Menge des Rauschgifts, das dem Angeklagten selbst <strong>zum</strong> gewinnbringenden Weiterverkauf<br />

zugedacht war - zu treffen, die indes zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.<br />

BtMG § 29 a Nicht geringe Menge ab 5 Gramm Metamfetamin-Base<br />

BGH, Urt. v. 03.12.2008 – 2 StR 86/08 - NJW <strong>2009</strong>, 863<br />

LS: Die nicht geringe Menge Metamfetamin beginnt bei fünf Gramm Metamfetamin-Base.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2007 im<br />

Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe des unerlaubten bandenmäßigen<br />

Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und<br />

unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln schuldig ist.<br />

Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das oben genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

246


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen als<br />

Mitglied einer Bande handelnd, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Nach den<br />

Feststellungen hatte der Angeklagte Kontakt zu einem Philippino namens „T. “, über den er Metamfetaminhydrochlorid/“Shabu“<br />

von einem Labor auf den Philippinen <strong>zum</strong> gewinnbringendem Weiterverkauf in Deutschland<br />

bezog. Der Angeklagte erhielt im Jahre 2006 vier Lieferungen mit jeweils mindestens 20 g Metamfetaminhydrochlorid<br />

per Luftfracht zugesandt, die fünfte mit 21,775 g Metamfetaminhydrochlorid wurde auf dem Frankfurter Flughafen<br />

beschlagnahmt. Der Angeklagte konsumierte von den ersten vier Lieferungen jeweils zwei Gramm selbst, den<br />

Rest veräußerte er. Ab der vierten Lieferung setzte er den gesondert Verfolgten „J. “ als Läufer ein. Das Landgericht<br />

hat gestützt auf die Ausführungen einer Sachverständigen die nicht geringe Menge Metamfetamin abweichend<br />

von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die dreißig Gramm Metamfetamin-Base festgelegt hat,<br />

mit fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid angesetzt.<br />

Gegen das Urteil haben der Angeklagte und zu seinen Ungunsten die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der<br />

Angeklagte beanstandet die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende Annahme der nicht geringen<br />

Menge von fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung wegen<br />

bandenmäßiger Begehung in allen Fällen. Sie rügt, dass das Landgericht in den beiden Fällen der Verurteilung wegen<br />

bandenmäßiger Begehung nicht den Verbrechenstatbestand des § 30 a BtMG mit einer erheblich höheren Mindeststrafe,<br />

sondern den des § 30 BtMG zugrunde gelegt hat. Ferner beanstandet sie, dass das Landgericht die nicht<br />

geringe Menge fehlerhaft in Hydrochlorid und nicht in Base berechnet habe. Zwar habe es wegen der hohen Gefährlichkeit<br />

des Metamfetamins zutreffend die nicht geringe Menge niedriger festgesetzt als die bisherige Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichtshofs, dies aber nur unzureichend begründet, so dass die Umstände, die eine solche Entscheidung<br />

rechtfertigen können, nicht hinreichend deutlich würden.<br />

I. Die Revision des Angeklagten bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Die von ihm <strong>zum</strong> Weiterverkauf eingeführten<br />

Mengen von Metamfetaminhydrochlorid haben jeweils die Grenze zur nicht geringen Menge überschritten (1.). Der<br />

fehlerhafte Schuldspruch in den Fällen 4 und 5 des angefochtenen Urteils hat sich nicht <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten<br />

ausgewirkt (2.).<br />

1. Der Senat hält angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Toxizität des Metamfetamins in den letzten<br />

zehn Jahren einen gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutlich niedrigeren Grenzwert<br />

der nicht geringen Menge für erforderlich. Er setzt, anders als das Landgericht, den Grenzwert der nicht geringen<br />

Menge im Sinne von §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4, 30 a Abs. 1 BtMG für Metamfetamin jedoch nicht auf<br />

fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid, sondern auf fünf Gramm Metamfetamin-Base fest. Fünf Gramm Metamfetamin-Base<br />

entsprechen nach Maßgabe des Umrechnungsfaktors1 bei der Verbindung mit Salzsäure von 1,2446<br />

(gerundet 1,245) 6,223 Gramm Metamfetaminhydrochlorid.<br />

1 Dieser errechnet sich aus dem Verhältnis des Molekulargewichts des Metamfetaminhydrochloridsalzes von 185,7<br />

(Summe der Molekulargewichte von Metamfetamin-Base – 149,2 – und Salzsäure – 36,5) zu demjenigen der Metamfetaminbase<br />

von 149,2. Dividiert man das Molekulargewicht des Hydrochloridsalzes durch das Molekulargewicht<br />

der Base erhält man den Umrechnungsfaktor 1,2446, gerundet 1,245.<br />

a) Zur Wirkung und zur Gefährlichkeit von Metamfetamin hat der Senat Gutachten des Leiters des Instituts für Forensische<br />

Toxikologie der Universität Frankfurt, Prof. Dr. Dr. K. , sowie des Apothekers für experimentelle<br />

Pharmakologie und Toxikologie Dr. D. vom Bundeskriminalamt eingeholt. Danach ergibt sich Folgendes:<br />

aa) Metamfetamin wurde Mitte der 30er Jahre in Deutschland für die medizinische Anwendung als sogenanntes<br />

Weckamin bzw. Psychostimulans entwickelt. 1937 wurde es patentiert und 1938 als Medikament unter dem Namen<br />

Pervitin auf den Markt gebracht. Im Zweiten Weltkrieg diente es als Wachhaltemittel innerhalb der Wehrmacht und<br />

wurde besonders von Piloten gebraucht. Nach dem Krieg setzten es u. a. Sportler und Fernfahrer zur Leistungssteigerung<br />

ein, aber auch zahlreiche Appetitzügler enthielten Metamfetamin. Pervitin wurde in Deutschland therapeutisch<br />

in Ampullen- oder Tablettenform als Analepticum (kreislaufwirksames Mittel bei Kräfteverfall) und psychomotorisches<br />

Stimulanz u. a. bei psychischen Depressionen oder Vergiftungen eingesetzt. 1988 wurde das Medikament vom<br />

Markt genommen. In Japan kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu weit verbreitetem Missbrauch, der bis in die<br />

Gegenwart andauert. Von Japan aus verbreitete sich der Konsum über den ost- und südostasiatischen Raum. So wird<br />

etwa in Thailand hochkonzentriertes Metamfetamin als Yaba-Tabletten konsumiert, wobei immer wieder über Suizide<br />

und amokartige Gewaltausbrüche berichtet wurde. Aus dem philippinischen Raum stammt Shabu, welches aus<br />

hochreinen farblosen Kristallen besteht. In den USA eskalierte der Metamfetaminmissbrauch Anfang der 80er Jahre.<br />

Bis Anfang der 90er Jahre kam Metamfetamin als illegale Droge in Europa nur eine untergeordnete Bedeutung zu.<br />

Zwischenzeitlich hat sich Metamfetamin unter den Synomymen „Crystal“ oder „Ice“ auch hier etabliert. Im europäi-<br />

247


schen Raum wird es heute hauptsächlich in Laboren in Osteuropa hergestellt. Die Herstellung ist aus gängigen<br />

Grundstoffen ohne großen technischen Aufwand in kleinen Laboren möglich. Ende der 90er Jahre erfolgten erste<br />

größere Sicherstellungen in Sachsen. Beim Bundeskriminalamt wird Metamfetamin erst seit 2006 gesondert erfasst.<br />

Im Jahr 2006 kam es laut Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2007 zu 416 Sicherstellungsfällen mit insgesamt<br />

10,7 kg „Crystal“, im Jahr 2007 zu 454 Sicherstellungsfällen mit 10 kg „Crystal“. Der zunehmende Missbrauch von<br />

Metamfetamin hat zur Umstufung des Stoffes aus der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes in die Anlage II (verkehrs-,<br />

aber nicht verschreibungsmittelfähige Betäubungsmittel) durch die 21. BtMÄndVO vom 18. Februar 2008<br />

(BGBl. I 246) geführt (BR-Drs. 48/08 S. 9). Von einer Umstufung in die Anlage I hat der Verordnungsgeber abgesehen,<br />

weil der Stoff als Ausgangsstoff für die Arzneimittelherstellung dient und deshalb verkehrsfähig bleiben soll.<br />

bb) Metamfetamin [chemische Bezeichnung: (2S)-N-Methyl-1-phenylpropan-2-amin] ist ein am Stickstoffarm der<br />

Seitenkette mit einer Methylgruppe versehenes Derivat des Amfetamins. Chemisch sind die Amfetamine in die<br />

Gruppe der Phenylakylamine einzuordnen, deren Struktur eine enge Verwandtschaft mit zahlreichen biologischsynthetisierten<br />

sogenannten „biogenen Aminen“ (Botenstoffen des Gehirns) aufweist. Durch Amfetamine wird der<br />

sympathische Teil des vegetativen Nervensystems aktiviert, d. h. die Konzentration der Botenstoffe im zentralen<br />

Nervensystem wird erhöht, was zu einem Gefühl des körperlichen Wohlbefindens, einer Antriebssteigerung, einer<br />

Hebung der Stimmung (Euphorie), Unterdrückung von Hungergefühl und von körperlicher Erschöpfung führt. Nach<br />

dem Abklingen der Wirkung treten Effekte wie Verstimmung und Abgeschlagenheit auf. Bei wiederholter Zufuhr<br />

gewöhnt sich der Körper an diese Stoffe, so dass die Dosis sehr schnell gesteigert werden muss. Bei rasch aufeinander<br />

folgendem Konsum von Metamfetamin-Zubereitungen kommt es innerhalb weniger Stunden zu einer Toleranzentwicklung<br />

(Tachyphylaxie), wie sie vom LSD bekannt ist. Metamfetamin überwindet aufgrund seiner chemischen<br />

Eigenschaften die Blut-Hirn-Schranke schneller als Amfetamin und führt somit zu einer stärkeren Aufputschwirkung,<br />

während sein Abbau andererseits verlangsamt ist, wobei wiederum Amfetamin als Abbauprodukt entsteht.<br />

Nebenwirkungen und toxische Effekte treten bereits nach Konsum üblicher Dosen und verstärkt nach Inhalation,<br />

hoher Dosierung, Dauergebrauch und Mischkonsum auf.<br />

cc) Die bekannten akut toxischen Effekte sind zentrale Erregung mit psychiatrischen und neurologischen Komplikationen<br />

wie von Todesangst, Schwindel und Übelkeit begleitete Panikattacken, halluzinatorische Zustände mit räumlicher<br />

Desorientierung, paranoide und/oder affektive Psychosen, akute depressive Episoden, bei polytoxikomanen<br />

Konsumenten Intoxikationspsychosen mit Beziehungs- und Verfolgungswahn, bei Überdosierung u. a. cerebrale<br />

Krampfanfälle, Hirninfarkte und generalisierte Angststörungen. Außerdem gibt es toxische Effekte auf verschiedene<br />

Organsysteme wie das Herz-Kreislauf-System, Leber und Niere, das Gerinnungssystem und das hämatopoetische<br />

System (Blutkörperchen bildendes System). Eine der am häufigsten beobachteten schwerwiegenden, akut lebensbedrohlichen<br />

Wirkungen ist die Entwicklung der Hyperthermie (starke Erhöhung der Körpertemperatur bis auf Werte<br />

um 42 bis 43° C) durch Beeinträchtigung der zentralen Thermoregulation im Gehirn, verbunden mit Dehydratation<br />

(Entwässerung), die nicht von der eingenommenen Dosis abhängt. Die Wirkung wird verstärkt durch hohe Raumtemperaturen<br />

in Diskotheken und starke körperliche Belastung durch Tanzen. Als Folge kann es <strong>zum</strong> Kreislaufzusammenbruch<br />

und <strong>zum</strong> Hitzschlag kommen. Als Komplikationen sind weiterhin belegt Störungen des Elektrolyt und<br />

Wasserhaushaltes (z. B. Hyponatriämien, die zu Koma, Desorientierung und dystonen Bewegungsstörungen führen<br />

können), „Herzjagen“ (Tachykardie) bis hin zu tödlichen Herzrhythmusstörungen, Blutdrucksteigerungen mit der<br />

Folge fokaler Hirnblutungen, akutes Nierenversagen und/oder toxische Leberschädigungen, Lungenödem, Magen<br />

und Darmgeschwüre, Gefäßspasmen und Auslösen von Migräneanfällen. Nach inhalativem und nasalem Konsum<br />

kommt es wesentlich häufiger zur Ausbildung depressiver Verstimmungen mit Wahnvorstellungen, Anzeichen paranoider<br />

Schizophrenie und/oder Halluzinationen. Besonders gefährlich wird der Konsum durch den Umstand, dass<br />

sich die noch einigermaßen sichere Dosierung für den Einzelnen nicht vorhersagen lässt, weil die aktuelle Verfassung<br />

des Einzelnen („Set“) und die jeweiligen Umgebungsbedingungen („Setting“) den Grad der Wirkungen beeinflussen.<br />

Japanische Studien belegen zudem, dass der chronische Missbrauch zur Manifestation einer Metamfetamininduzierten<br />

Psychose mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen führt, die sich vom Erscheinungsbild her kaum<br />

von endogenen Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis unterscheidet. Das Risiko der Ausbildung dieses<br />

Krankheitsbildes ist bei Metamfetamin wesentlich höher als bei Amfetamin.<br />

Metamfetamin kann zu psychischer Abhängigkeit führen. Die Gefahr einer schweren psychischen Abhängigkeitsentwicklung<br />

besteht insbesondere bei der Konsumform des Rauchens. Weil die ungewöhnlich starke und lang anhaltende<br />

(durchschnittlich zwölf Stunden) Wirkung des Metamfetamins beim Rauchen bereits bei wenigen Wiederholungen<br />

abflacht, muss der Konsument die Dosis stetig erhöhen. Nach dem Rausch folgt eine stark depressive Phase,<br />

die neues Verlangen auslöst. Auch leiden die Konsumenten unter starker Schlaflosigkeit. Das für den Metamfetaminmissbrauch<br />

typische Konsummuster der Stimulierung durch Metamfetamin und Herbeiführung von Entspannung<br />

248


zur Befriedigung des Schlafbedarfs durch Konsum von Haschisch oder Benzodiazepinen, die bei chronischem Missbrauch<br />

auch durch stärker sedierende Stoffe wie Heroin ersetzt werden, kann schließlich zur Polytoxikomanie führen.<br />

Schon 3 mg Metamfetamin genügen, um auf die meisten Menschen anregend zu wirken. Zu der üblichen Dosierung<br />

von Metamfetamin im Rahmen von therapeutischen Maßnahmen hat der Sachverständige Dr. D.<br />

ausgeführt,<br />

dass die empfohlene Einzeldosis bei 3 bis 6 mg Metamfetaminhydrochlorid lag, als maximale Tagesdosis<br />

wurden 15 mg Metamfetaminhydrochlorid genannt. Orale Dosierungen über 20 mg können bei Nicht-Gewöhnten<br />

bereits erhebliche Nebenwirkungen psychischer und vegetativer Art auslösen. Von Landeskriminalämtern in den<br />

letzten Jahren sichergestellte Metamfetamintabletten enthielten zwischen 25 und 60 mg Metamfetaminhydrochlorid<br />

(20 bis 48 mg Metamfetamin-Base) pro Tablette, durchschnittlich 26 bis 30 mg Metamfetaminhydrochlorid (21 bis<br />

24 mg Metamfetamin-Base). Während bei der oralen Aufnahme nur ein Teil der aufgenommenen Dosis das Gehirn<br />

erreicht, kommt es bei venöser Injektion und noch mehr bei Inhalation/Rauchen zur schnellen Aufnahme hoher Drogenanteile<br />

ins Gehirn, so dass eine ungewöhnlich starke Rauschwirkung erzielt wird. Bei Aufnahme durch Inhalation<br />

oder Rauchen haben beide Gutachter übereinstimmend eine mit Crack vergleichbare Wirkung bestätigt. Hinzu<br />

kommt Folgendes: Wegen seines geringen Molekulargewichts hat Metamfetamin einen deutlich niedrigeren<br />

Schmelz- und Verdampfungspunkt als Kokain. Beim Rauchen von Crack sind somit wesentlich höhere Temperaturen<br />

erforderlich, bei denen ein nicht unerheblicher Teil des Kokains durch Pyrolyse zersetzt wird und keine Rauschwirkung<br />

mehr hat. Demgegenüber geht Metamfetamin bereits bei leichtem Erwärmen ohne Zersetzung in die Gasphase<br />

über, so dass die „Bioverfügbarkeit“ noch höher ist als bei Crack. Diese besondere Gefährlichkeit besteht beim<br />

Amfetamin nicht, weil dessen Moleküle beim Erhitzen zerfallen. Amfetamin ist daher für diese Konsumform nicht<br />

geeignet.<br />

dd) Danach ist die bisherige Gleichstellung des Metamfetamins mit den Amfetaminderivaten Methylendioxyamfetamin<br />

(MDA), Methylendioxymetamfetamin (MDMA) und Methylendioxyethylamfetamin (MDE) nach den Erfahrungen<br />

der letzten Jahre nicht gerechtfertigt. Zwar handelt es sich auch beim Metamfetamin um ein Amfetaminderivat,<br />

jedoch unterscheiden sich die chemische Zusammensetzung der Moleküle von Metamfetamin einerseits und von<br />

MDA, MDMA und MDE andererseits und auch die Wirkungsweise grundlegend. Bei MDA, MDMA und MDE ist<br />

chemisch der Kern durch ein zweites Ringsystem stark verändert, was auch pharmakologisch eine deutliche Veränderung<br />

der Wirkart zur Folge hat. Bei diesen Amfetaminderivaten steht nicht die aufputschende Wirkung im Vordergrund,<br />

sondern eine affektive Zustandsänderung im Sinne einer anregenden, soziokontaktsteigernden, enthemmenden<br />

Stimmungslage bei gleichzeitiger Erhöhung der motorischen Aktivität („Entaktogene“). Bei hohen Dosen<br />

kommt es anders als bei Amfetamin und Metamfetamin zu einer stark halluzinogenen Wirkung. Am schwächsten<br />

ausgeprägt sind die Wirkungen bei MDE, das milder und kürzer wirkt. Die effektive Einzeldosis liegt bei diesen<br />

Drogen deutlich höher als bei Metamfetamin, etwa bei MDE bei 120 mg Base, bei MDMA bei 80 mg Base (vgl.<br />

ergänzend Cassardt NStZ 1995, 257, 260; NStZ 1997, 135).<br />

b) Ausgehend von diesen von beiden Gutachtern übereinstimmend dargelegten chemisch-toxikologischen Ausgangswerten<br />

ist der Grenzwert der „nicht geringen Menge“ im Sinne des Betäubungsmittelstrafrechts bei Metamfetamin<br />

auf 5 Gramm Metamfetamin-Base festzusetzen, um dessen Gefährdungspotential im Vergleich zu anderen<br />

Betäubungsmitteln hinreichend gerecht zu werden. Wie insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. Dr. K. ausgeführt<br />

hat, empfiehlt sich eine Festlegung der nicht geringen Menge bei den Amfetaminderivaten bezogen auf die<br />

wirkungsbestimmende Base. Da die basischen Rauschmittel mit Säuren Salze mit unterschiedlichen Molekulargewichten<br />

bilden (z. B. mit Salzsäure Hydrochloride, mit Schwefelsäure Sulfate usw.), ist der Anteil der wirksamen<br />

Base je nach Art des Salzes anders zu berechnen.<br />

aa) Bei der Festlegung der im Hinblick auf Gefährlichkeit und Toxizität des Metamfetamins realistischen nicht geringen<br />

Menge stützt sich der Senat auf die inzwischen in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandte<br />

Methode (BGHSt 41, 1, 10; 49, 306, 312 f.; 51, 318, 321). Danach kann die nicht geringe Menge eines Betäubungsmittels<br />

wegen der in illegalen Betäubungsmitteln sehr unterschiedlichen Wirkstoffgehalte grundsätzlich<br />

nicht anders festgesetzt werden als durch ein Vielfaches des <strong>zum</strong> Erreichen eines stofftypischen Rauschzustandes<br />

erforderlichen jeweiligen Wirkstoffs (Konsumeinheit). Dabei müssen die Grenzwerte für die verschiedenen Betäubungsmittel<br />

gerade wegen ihrer qualitativ unterschiedlichen Wirkung aufeinander abgestimmt sein. Ausschlaggebend<br />

ist deshalb zunächst die pharmakodynamische Wirkung von Metamfetamin im Verhältnis namentlich zu Amfetamin.<br />

Insoweit entnimmt der Senat den Gutachten beider Sachverständiger, dass bei oraler Aufnahme Metamfetamin<br />

etwa anderthalb- bis zweimal so stark wirkt wie Amfetamin. In der - beim Amfetamin nicht möglichen - Konsumform<br />

Rauchen wirkt Metamfetamin mindestens doppelt so stark wie Amfetamin und vor allem erheblich schneller,<br />

weil wegen der höheren Lipophilie (Fettlöslichkeit) des Metamfetamins die Blut-Hirn-Schranke schneller über-<br />

249


wunden wird. Auch gelangt beim Rauchen das gesamte aufgenommene Rauschgift unmittelbar <strong>zum</strong> Gehirn, während<br />

beim oralen Konsum mehrere Stunden bis zur vollständigen Resorption im Körper vergehen können. Für die Konsumform<br />

des Rauchens ist daher eine Gleichsetzung in der Wirkung mit Crack (Kokain-Base) gerechtfertigt. Diese<br />

gefährlichste Konsumform fällt für die Festlegung des Grenzwerts erheblich ins Gewicht, denn Drogenkonsumenten<br />

wollen naturgemäß eine möglichst schnelle und starke Wirkung erzielen. Das Rauchen ist demgemäß heute die gängigste<br />

Methode des Metamfetaminkonsums.<br />

bb) Für den Erst- oder Gelegenheitskonsumenten ist nach den Darlegungen beider Sachverständiger eine Konsumeinheit<br />

von 20 bis 30 mg Metamfetamin-Base schon sehr hoch angesetzt und schon bei oraler Aufnahme mit der<br />

Gefahr erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen verbunden. Ausgehend von den bei der Festlegung des<br />

Grenzwertes der nicht geringen Menge bei Amfetamin zu Grunde gelegten 200 Konsumeinheiten (vgl. BGHSt 35,<br />

43, 48; anders, nämlich 250 Konsumeinheiten, BGHSt 42, 255, 267 betr. MDE-Base) ergibt sich bei einer für nicht<br />

Metamfetamingewöhnte sehr hohen Einzeldosis von 25 mg Metamfetamin-Base eine Gesamtwirkstoffmenge von<br />

200 x 25 mg = 5 Gramm, d. h. 6,2 Gramm Metamfetaminhydrochlorid als Grenze der nicht geringen Menge. Diese<br />

Festlegung entspricht auch in etwa der nicht geringen Menge der beim Rauchen/Inhalieren wirkungsgleichen Droge<br />

Crack (Kokain-Base), bei der die nicht geringe Menge bei 5 Gramm Kokainhydrochlorid, d. h. 4,5 Gramm Kokain-<br />

Base liegt. Darin liegt gemessen an der bisherigen nicht geringen Menge von 30 Gramm Metamfetamin-Base zwar<br />

eine erhebliche Herabsetzung. Diese ist aber angesichts der neueren Erkenntnisse über das hohe Suchtpotential des<br />

Metamfetamins und die gesundheitlichen Konsequenzen des missbräuchlichen Konsums nicht nur gerechtfertigt,<br />

sondern notwendig. Die Erkenntnisse über den zunehmenden Missbrauch von Metamfetamin haben erst in jüngerer<br />

Vergangenheit die Bundesregierung als Verordnungsgeber veranlasst, mit Zustimmung des Bundesrates Metamfetamin<br />

aus der Anlage III zu § 1 BtMG (verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel) in die Anlage II (verkehrs-,<br />

aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) hochzustufen.<br />

cc) Der Senat hat beim 1. und beim 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs angefragt, ob an den entgegenstehenden<br />

Entscheidungen vom 25. Juli 2001 – 5 StR 183/01 (NStZ 2002, 267), 23. August 2001 – 5 StR 334/01 (NStZ-RR<br />

2001, 379) und 18. Dezember 2002 – 1 StR 340/02 (StV 2003, 281) festgehalten wird, bei den übrigen Strafsenaten,<br />

ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten<br />

wird (§ 132 Abs. 3 GVG). Der 5. Strafsenat hat erklärt, dass er an seiner abweichenden Rechtsprechung<br />

nicht festhält. Der 1., der 3. und der 4. Strafsenat haben der Festlegung der nicht geringen Menge Metamfetamin auf<br />

5 Gramm Metamfetamin-Base zugestimmt. Rechtsprechung anderer Senate steht der Festlegung der nicht geringen<br />

Menge Metamfetamin auf 5 Gramm Metamfetamin-Base danach nicht (mehr) entgegen.<br />

dd) Mit der Festsetzung der nicht geringen Menge auf 5 Gramm Metamfetamin-Base wird zwar eine realistische<br />

Einordnung des Metamfetamins im Vergleich zu Amfetamin, Kokain und Heroin, nicht aber zu den 3,4-<br />

Methylendioxy-Derivaten (MDA, MDMA, MDE) erreicht, bei denen die nicht geringe Menge 30 Gramm<br />

MDA/MDMA/MDE-Base beträgt (BGHSt 42, 255, 267; BGH NStZ 2001, 381). Nach den von den Sachverständigen<br />

Prof. Dr. Dr. K. und Dr. D. dargelegten neurobiologischen Forschungen der jüngeren Zeit haben<br />

alle Amfetamin-Derivate eine mehr oder weniger starke neurotoxische, d. h. Nervenzellen zerstörende Wirkung. Es<br />

erschiene dem Senat daher durchaus gerechtfertigt, die nicht geringe Menge bei diesen Amfetamin-Derivaten in<br />

Übereinstimmung mit der für Amfetamin geltenden Grenze auf 10 Gramm Base herabzusetzen. Der vorliegende Fall<br />

gibt dafür jedoch keinen Anlass.<br />

2. Der Schuldspruch in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe weist danach keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Angeklagten auf. In den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe hat das Landgericht die Qualifikation des § 30 a Abs. 1<br />

BtMG nicht angewendet, deren Voraussetzungen nach den Feststellungen gegeben sind. Das bandenmäßige unerlaubte<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verbindet in den Fällen des § 30 a Abs. 1<br />

BtMG die im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes aufeinander folgenden Teilakte, zu einer einzigen Tat im<br />

Sinne einer Bewertungseinheit, die auch die unerlaubte Einfuhr umfasst (st. Rspr., vgl. BGH NStZ-RR 1999, 219;<br />

BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 – 3 StR 519/07 und Urteil vom 24. Oktober 2007 – 2 StR 232/07). Tateinheitliche<br />

Einfuhr und tateinheitlicher Erwerb (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) liegen daher nur vor hinsichtlich der <strong>zum</strong> Eigenverbrauch<br />

bestimmten Mengen, die hier die nicht geringe Menge nicht erreicht haben (vgl. BGH NStZ 2007, 529).<br />

Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Eines Hinweises nach § 265 StPO bedurfte es nicht, da ausgeschlossen<br />

ist, dass sich der weitgehend geständige Angeklagte anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

Der Strafausspruch hat im Hinblick auf die Revision des Angeklagten Bestand. Der Senat kann ausschließen, dass<br />

der rechtsfehlerhafte Schuldspruch in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe und die Annahme eines zu niedrigen<br />

Grenzwertes der nicht geringen Menge die Höhe der Einzelstrafen zu Lasten des Angeklagten beeinflusst haben. In<br />

den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe ändert sich der Unrechtsgehalt der Tat durch die Schuldspruchänderung nicht.<br />

250


Dadurch entfällt zwar die vom Landgericht tateinheitlich mit bandenmäßigem Handeltreiben ausgeurteilte bandenmäßige<br />

Einfuhr hinsichtlich des <strong>zum</strong> Weiterverkauf bestimmten Metamfetamins, hinzu treten jedoch tateinheitlich<br />

Erwerb und Einfuhr hinsichtlich der <strong>zum</strong> Eigenkonsum bestimmten Mengen. Das Landgericht hat die Strafen in<br />

diesen Fällen statt aus dem Qualifikationstatbestand des § 30 a Abs. 1 oder 3 BtMG aus dem niedrigeren Strafrahmen<br />

des § 30 Abs. 2 BtMG entnommen und dadurch den Angeklagten ungerechtfertigt begünstigt. Auch nach dem<br />

geänderten Schuldspruch hat der Angeklagte jeweils mehrere Delikte tateinheitlich verwirklicht. Zwar hat das Landgericht<br />

in allen Fällen einen Grenzwert der nicht geringen Menge von 5 Gramm Metamfetaminhydrochlorid anstelle<br />

von 5 Gramm Metamfetamin-Base (6,22 Gramm Metamfetamin-hydrochlorid) zugrunde gelegt. Bei der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

hat es jedoch nur zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass die nicht geringe Menge nicht unerheblich überschritten<br />

wurde. Dies trifft auch bei einem Grenzwert von 6,22 Gramm Metamfetaminhydrochlorid zu.<br />

II.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Das Landgericht hat das Bestehen einer Bande in<br />

den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe nicht rechtsbedenkenfrei verneint (1.). Darüber hinaus hat es die Qualifikationsnorm<br />

des § 30 a BtMG nicht erörtert und § 30 BtMG unzutreffend ausgelegt (2.).<br />

1. Nach den Urteilsausführungen gehörten der Angeklagte und „T. “ derselben Organisation an, die auf den Philippinen<br />

ein Rauschgiftlabor betrieb. Es liegt danach nahe, dass <strong>zum</strong>indest eine weitere Person auf den Philippinen zu<br />

dieser Organisation gehörte, die sich vor Ort um Herstellung und Vertrieb des Metamfetamins kümmerte. Hierfür<br />

spricht auch das im Urteil wiedergegebene Telefonat vom 5. September 2006, bei dem T. bezogen auf die Verhältnisse<br />

im Heimatland von „unser Mann“ und „unsere Männer“ sprach. Das Landgericht hätte deshalb in den Fällen<br />

1 bis 3 der Urteilsgründe eine Bandenabrede mit weiteren Personen auf den Philippinen prüfen müssen. Die Feststellung<br />

einer Bande setzt nicht voraus, dass die einzelnen Bandenmitglieder namentlich oder von Person bekannt<br />

sein müssen (BGHSt 50, 160, 164 ff.; BGH Beschluss vom 22. Januar 2008 - 5 StR 253/07).<br />

2. Auch die Verurteilung wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „als Mitglied einer Bande handelnd“ in den Fällen 4 und 5<br />

der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Urteilstenor in Verbindung mit der rechtlichen<br />

Würdigung und der Angabe der angewendeten Strafvorschriften, hier § 30 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, Abs. 2 BtMG, lässt<br />

besorgen, dass das Landgericht den Qualifikationstatbestand des § 30 a BtMG übersehen hat. Es hat offenbar verkannt,<br />

dass § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nur das bandenmäßige Handeltreiben mit normalen Mengen Betäubungsmitteln<br />

unter Strafe stellt und zudem § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, den das Landgericht fälschlicherweise genannt hat, nur die<br />

gewerbsmäßige unerlaubte Abgabe usw. durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre erfasst, wie<br />

sich aus der Bezugnahme auf § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG ergibt. Der Senat hat davon abgesehen, den Schuldspruch in<br />

den Fällen 4 und 5 selbst zu ändern, um dem neuen Tatrichter einheitliche Feststellungen <strong>zum</strong> Bestehen einer Bande<br />

in allen Fällen zu ermöglichen. Im Übrigen erscheinen auch neue Feststellungen <strong>zum</strong> Umfang des Eigenkonsums des<br />

Angeklagten nicht ausgeschlossen.<br />

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf die oben unter I 2. dargelegten Konkurrenzverhältnisse<br />

hin.<br />

BtMG § 29a I Nr. 2 Auffangtatbestand zu Verbrechenstatbeständen, Beihilfe<br />

BGH, Beschl. v. 02.10.2008 – 3 StR 352/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 58<br />

1. Im Verhältnis zu den Begehungsweisen, die zu Verbrechenstatbeständen erhoben und in § 29 a<br />

Abs. 1 Nr. 2 BtMG aufgeführt sind, hat der Besitz seine Funktion als (bloßer) Auffangtatbestand<br />

nicht verloren.<br />

2. Beim Zusammentreffen von Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln mit einem täterschaftlich<br />

begangenen Besitz von Betäubungsmitteln besteht Tateinheit.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 17. März 2008 im Schuldspruch<br />

dahin geändert, dass die in den Fällen II. 1. bis 7. und 9. erfolgte tateinheitliche Verurteilung wegen Besitzes<br />

von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

251


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit<br />

mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren<br />

Verurteilung zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, und<br />

wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem<br />

Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zur weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht gegen den Angeklagten den Verfall von Wertersatz<br />

in Höhe von 31.675 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts<br />

gestützte Revision führt in den Fällen der Verurteilung des Angeklagten wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 1. bis 7. und 9. der Urteilsgründe) <strong>zum</strong> Wegfall der Verurteilung<br />

wegen tateinheitlich begangenen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und zur entsprechenden<br />

Änderung des Schuldspruchs; denn der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tritt gegenüber<br />

dem täterschaftlich begangenen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zurück (st. Rspr.; vgl.<br />

BGHSt 42, 162, 165 f.). Im Verhältnis zu den Begehungsweisen, die ebenso zu Verbrechenstatbeständen erhoben<br />

und in § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG aufgeführt sind, hat der Besitz seine Funktion als (bloßer) Auffangtatbestand nicht<br />

verloren (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 a Rdn. 197). Gleiches gilt dagegen nicht im Fall II. 8. der Urteilsgründe<br />

für das konkurrenzrechtliche Verhältnis der Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge zu dem damit zusammentreffenden täterschaftlichen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.<br />

Hier besteht - wie auch im Grunddelikt des § 29 BtMG beim Zusammentreffen von Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit<br />

Betäubungsmitteln mit einem täterschaftlich begangenen Besitz von Betäubungsmitteln - Tateinheit (vgl. Weber aaO<br />

§ 29 Rdn. 408 m. w. N.), sodass der Schuldspruch des Landgerichts in diesem Fall Bestand hat. Auch im Übrigen ist<br />

das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung der betroffenen Taten auf geringere<br />

Einzelstrafen und mildere Gesamtstrafen erkannt hätte.<br />

Angesichts des nur geringen Teilerfolgs ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines<br />

Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).<br />

BtMG § 29a I Nr. 2, BtMG § 30 I Nr. 4 Duldung von Lagerung ist noch keine Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben<br />

BGH, Beschl. v. 12.02.<strong>2009</strong> - 3 StR 12/09<br />

Allein die Kenntnis und Duldung der Lagerung von Betäubungsmitteln in einer Wohnung erfüllt<br />

die Voraussetzungen strafbarer Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht. Zum Einschreiten<br />

gegen den Betäubungsmittelhandel ist der Wohnungsinhaber grundsätzlich rechtlich<br />

nicht verpflichtet.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 22. September 2008, soweit es ihn<br />

betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben<br />

a) im Fall II. 1. der Urteilsgründe,<br />

b) im gesamten Strafausspruch.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

Tateinheit mit Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe<br />

<strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren<br />

verurteilt und sichergestellte Betäubungsmittel eingezogen. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge<br />

gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen hat<br />

die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

252


1. Die Verurteilung im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Eine Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird durch die Feststellungen nicht belegt. Danach vermietete<br />

der Angeklagte ein Zimmer seiner Wohnung an den nicht revidierenden Mitangeklagten K. weiter, das<br />

dieser in der Folgezeit ohne Wissen des Angeklagten im Interesse anderer Betäubungsmittelhändler zur Aufbewahrung<br />

von drei Kilo Marihuana nutzte. Erst zwei Wochen später erfuhr der Angeklagte davon. Weil er den Untermietzins<br />

nicht verlieren wollte, unternahm er gegen K. nichts. Dieser lieferte mindestens einmal Betäubungsmittel<br />

aus dem "Bunker" <strong>zum</strong> Verkauf aus.<br />

Den Feststellungen kann nicht entnommen werden, dass der Angeklagte die Tat des K. und seiner Hintermänner<br />

durch aktives Tun gefördert hätte. Allein die Kenntnis und Duldung der Lagerung der Betäubungsmittel in der Wohnung<br />

erfüllt die Voraussetzungen strafbarer Beihilfe nicht. Zum Einschreiten gegen den Betäubungsmittelhandel war<br />

er als Wohnungsinhaber grundsätzlich rechtlich nicht verpflichtet (vgl. BGH NStZ 1999, 451). Umstände, die ausnahmsweise<br />

eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, wie dies etwa für den Fall einer die Begehung von Straftaten<br />

in besonderer Weise erleichternden Beschaffenheit oder Lage der Wohnung in Betracht kommen könnte (vgl.<br />

BGH NStZ-RR 2003, 153 m. w. N.), sind nicht festgestellt.<br />

Der Senat kann nicht ausschließen, dass ein neuer Tatrichter in der Zusammenschau mit dem rechtsfehlerfrei festgestellten<br />

zweiten Tatkomplex zu weitergehenden, eine Verurteilung wegen Beihilfe tragenden Feststellungen gelangt.<br />

Die Sache muss deshalb insoweit erneut verhandelt werden.<br />

2. Die Aufhebung im Fall II. 1. der Urteilsgründe zieht nicht nur die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich; der<br />

Senat kann nicht ausschließen, dass die für den Fall II. 2. verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei<br />

Monaten durch die erste Tat beeinflusst ist. Das führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die Einziehungsentscheidung<br />

bleibt davon unberührt.<br />

GmbHG § 84 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzantragspflicht des Schuldners entfällt nicht schondurch Insolvenzantrag<br />

des Gläubigers<br />

BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08 = NJW <strong>2009</strong>, 157 =StV <strong>2009</strong>, 193 Anm. Schröder, Christian GmbHR<br />

<strong>2009</strong>, 207, Poertzgen, NZI <strong>2009</strong>, 127<br />

LS: Die Insolvenzantragspflicht des Schuldners entfällt nicht schon, wenn ein Gläubiger Insolvenzantrag<br />

gestellt hat, sondern erst mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens.<br />

Ein Liquidator ist nicht nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG strafbar, wenn er nach Ablehnung der Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens mangels Masse die Stellung eines Insolvenzantrags unterlässt, obwohl<br />

der in Liquidation befindlichen Gesellschaft mittlerweile neue Vermögenswerte zugefallen<br />

sind, die allerdings nicht ausreichen, die Insolvenzlage zu beseitigen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 15. Januar 2007 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO aufgehoben<br />

a) im Fall II. H der Urteilsgründe; insoweit wird der Angeklagte auf Kosten der Staatskasse freigesprochen; dieser<br />

werden die ihm hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt;<br />

b) in den Fällen II. A 2. a, II. A 2. b, II. B 1., II. B 2. und II. D 1. bis II. D 25. der Urteilsgründe mit den zugehörigen<br />

Feststellungen und im Ausspruch über die Gesamtstrafen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung 1. b wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren<br />

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen Betrugs in drei Fällen, wegen Vorenthaltens<br />

von Arbeitsentgelt in 25 Fällen und wegen vorsätzlichen Bankrotts in zwei Fällen unter Einbeziehung einer<br />

Freiheitsstrafe (und unter Außerachtlassung von Einzelgeldstrafen) aus dem Urteil des Amtsgerichts Löbau vom 28.<br />

Mai 2002 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es mit Blick auf<br />

eine Zäsurwirkung der Vorentscheidung eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten wegen<br />

Untreue und wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in zwei Fällen verhängt. Die Revision des Angeklagten<br />

253


hat mit der Sachrüge den – über den vom Generalbundesanwalt beantragten Umfang hinausgehenden – aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Teilerfolg. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2<br />

StPO.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

1. Der Angeklagte überredete als Geschäftsführer der R. B. mbH (im Folgenden: R. ) im<br />

August 2001 den Botschafter der Republik Mongolei (davon im zweiten Fall durch den von ihm beeinflussten gutgläubigen<br />

Betriebsleiter Z. ), für den Umbau von Botschaftsgebäuden Baukostenvorschüsse in Höhe von jeweils<br />

über 300.000 DM zu leisten. Dabei verschwieg der Angeklagte, dass die R. infolge spätestens Ende Juli 2001<br />

eingetretener Zahlungsunfähigkeit nicht mehr zahlungsfähig war. Das Landgericht hat diese Feststellung aus kriminalistischen<br />

Anzeichen abgeleitet (rückständigem Arbeitslohn, ausbleibender Bezahlung der Lieferanten und Subunternehmer<br />

mit der Folge des Abbruchs der Bauarbeiten sowie rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen nach erfolglosem<br />

Vollstreckungsversuch und Einstellung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens nach Antragsrücknahme<br />

durch die Krankenkasse im Zeitraum April und Mai 2001, Stundungsschreiben an die Krankenkassen vom 27. Juli<br />

2001). In Höhe der geleisteten Baukostenvorschüsse hat das Landgericht konkrete Vermögensgefährdungen angenommen.<br />

Soweit die Vorschüsse tatsächlich nicht mehr für das Bauvorhaben verwendetet worden seien, nämlich in<br />

Höhe von rund 48.000 DM (Fall II. A 2. a der Urteilsgründe) bzw. rund 109.000 DM (II. A 2. b der Urteilsgründe),<br />

sei von einem tatsächlichen Vermögensschaden auszugehen.<br />

2. Der Angeklagte beauftragte für das genannte Bauvorhaben im September 2001 einen Maler (II. B 1. der Urteilsgründe)<br />

bzw. Anfang November 2001 einen Maurer (II. B 2. der Urteilsgründe) als Subunternehmer, obwohl die R.<br />

zahlungsunfähig war. Die Subunternehmer, die die geschuldeten Bauleistungen in entsprechendem Umfang erbrachten,<br />

fielen mit rund 40.000 DM bzw. 20.000 DM aus. Diesen Sachverhalt hat das Landgericht, wohl mit Blick auf<br />

einen einheitlichen Tatentschluss des Angeklagten, als Betrug in zwei tateinheitlich begangenen Fällen gewertet.<br />

3. In 25 Fällen führte der Angeklagte im Zeitraum von Februar 2001 bis Januar 2002 die Sozialversicherungsbeiträge<br />

für Arbeitnehmer der R. gegenüber verschiedenen Krankenkassen zunächst nicht ab (Fälle II. D 1. bis II. D 25.<br />

der Urteilsgründe), beglich aber nachträglich einen gewichtigen Teil der offenen Beitragsforderungen.<br />

4. Trotz der eingetretenen (von ihm spätestens am 27. Juli 2001 erkannten) Zahlungsunfähigkeit stellte der Angeklagte<br />

den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2000 nicht bis <strong>zum</strong> 30. Juni 2001, sondern erst am 27. Februar 2002<br />

auf (Fall II. E der Urteilsgründe); desgleichen sammelte er seit Januar 2001 weder sämtliche Rechnungen und Belege<br />

noch erfasste er die Bargeschäfte mittels Kasse ordnungsgemäß (Fall II. F der Urteilsgründe). Der Angeklagte stellte<br />

auch keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Fall II. C der Urteilsgründe). Erst aufgrund eines vom<br />

Finanzamt am 8. April 2002 gestellten Insolvenzantrags wurde mit Beschluss vom 5. August 2002 die Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens über das Vermögen der R. mangels eines die Kosten des Verfahrens deckenden Vermögens<br />

abgelehnt: Die R. verfügte laut einer damals erstellten Vermögensübersicht lediglich über einen Geldbetrag<br />

in Höhe von 100 Euro. Dem standen Verbindlichkeiten in Höhe von rund 813.000 Euro gegenüber.<br />

5. Im Zuge eines weiteren, schließlich nicht realisierten Bauvorhabens gelang es dem Angeklagten, der nunmehr die<br />

Stellung eines Liquidators innehatte, der R. zustehende Auflassungsvormerkungen für 100.000 Euro im Oktober<br />

2004 zu verkaufen. Den nach Abzug der Notarkosten am 21. Oktober 2004 überwiesenen Betrag von rund<br />

99.400 Euro verbrauchte der Angeklagte überwiegend für sich (Fall II. G der Urteilsgründe). Auch stellte er (wiederum)<br />

keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis spätestens <strong>zum</strong> Ablauf des 11. November 2004 (Fall<br />

II. H der Urteilsgründe).<br />

II. Die Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.<br />

1. Der Schuldspruch hält in den Fällen II. A 2. a, II. A 2. b, II. B 1., II. B 2. sowie II. D 1. bis II. D 25. und II. H der<br />

Urteilsgründe der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Eines Eingehens auf die vom Beschwerdeführer erhobene<br />

Aufklärungsrüge (unterbliebene Vernehmung des Sachverständigen M. zur Frage der fortbestehenden Zahlungsunfähigkeit<br />

im Zeitraum von Juli 2001 bis Mai 2002) bedarf es insoweit nicht.<br />

a) In den beiden zu Lasten der Republik Mongolei begangenen Betrugstaten (II. A 2. a und II. A 2. b der Urteilsgründe)<br />

ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts dem Urteil hinreichend deutlich zu entnehmen, dass das<br />

Landgericht die schadensrelevante Täuschungshandlung in der Vorspiegelung tatsächlich nicht mehr gegebener<br />

Zahlungsfähigkeit gesehen hat (UA S. 19 f.). Nach den Urteilsfeststellungen war wegen der bereits eingetretenen<br />

Zahlungsunfähigkeit der R. die vertragsgerechte Verwendung der ungesicherten Vorschussleistungen nicht<br />

gewährleistet. Eine entsprechende, regelmäßig konkludente Täuschungshandlung ist grundsätzlich betrugsrelevant.<br />

Gleichwohl weist das Urteil hier insoweit einen Rechtsfehler auf, als das Landgericht das Leistungsunvermögen der<br />

R. nicht allein am Maßstab der generellen Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO hätte feststellen<br />

dürfen. Dies wird der vorliegend gegebenen Fallkonstellation nicht gerecht. Denn anders als in den Fällen des Liefe-<br />

254


antenkreditbetrugs (BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 1, 2) oder des Betrugs gegenüber Subunternehmern (vgl. dazu<br />

BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 67) geht es im Vertragsverhältnis zur Republik Mongolei nicht um<br />

die Erfüllung von Geldforderungen, sondern um die Zusage zur vertragsgerechten Verwendung von im Voraus gezahltem<br />

Werklohn. Die Erwägungen des Landgerichts lassen unberücksichtigt, dass der Angeklagte im ersten Betrugsfall<br />

mehr als 80 % des Vorschusses und im zweiten Betrugsfall immerhin noch fast 60 % des Vorschusses für<br />

das Bauvorhaben verwendete. Ob die Restbeträge, über deren Verbleib das Landgericht keine Feststellungen getroffen<br />

hat, infolge der Zahlungsunfähigkeit der R. , insbesondere etwa infolge von Pfändungen, nicht mehr in<br />

das Bauvorhaben investiert werden konnten, bleibt hingegen offen. Damit ist nach den bisherigen Feststellungen<br />

nicht auszuschließen, dass die R. bei der Zusage im August 2001 <strong>zum</strong>indest zur vollständigen vertragsgerechten<br />

Verwendung der Baukostenvorschüsse noch in der Lage war und der Angeklagte als Geschäftsführer mit entsprechendem<br />

Willen handelte.<br />

Auf die nur die Verurteilung in den Fällen II. A 2. a und II. A 2. b betreffende Verfahrensrüge (rechtsfehlerhafte<br />

Belehrung des Botschafters im Rahmen der nach § 247a StPO durchgeführten audiovisuellen Vernehmung) kommt<br />

es wegen des durchgreifenden sachlichrechtlichen Fehlers nicht mehr an.<br />

b) Im Betrugsfall zu Lasten des Malers fehlen Feststellungen, ob die Baukostenvorschüsse zur Begleichung dieser<br />

Rechnungen noch ausgereicht hätten. Dies liegt deswegen nicht fern, weil die R. , wie ausgeführt, noch über<br />

Restbeträge aus den Vorschüssen verfügte. Die subjektive Tatseite seitens des Angeklagten, die Vorschüsse nicht an<br />

die Subunternehmer weiterzuleiten (vgl. dazu BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 67), ist ebenfalls nicht<br />

festgestellt.<br />

Die nunmehr vollständige Zahlungsunfähigkeit im Betrugsfall zu Lasten des Maurers ist zwar für sich genommen<br />

mit Blick auf den Verbrauch der Geldmittel im November 2001 belegt (UA S. 25). Jedoch erfolgt wegen der – in der<br />

Sache gleichwohl rechtsfehlerhaften – tateinheitlichen Verurteilung auch insoweit die Urteilsaufhebung (vgl. Meyer-<br />

Goßner, StPO 51. Aufl. § 353 Rdn. 7a).<br />

c) In den 25 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) genügt bereits die Berechnungsdarstellung<br />

hinsichtlich der Höhe der nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile nicht den vom Bundesgerichtshof in ständiger<br />

Rechtsprechung (BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 4 und 5; BGH wistra 2006, 425, 426; jeweils m.w.N.) aufgestellten<br />

Grundsätzen. Es sind weder die Löhne noch die Höhe der jeweiligen Beitragssätze der betroffenen Sozialversicherungsträger<br />

festgestellt.<br />

Bezüglich 20 Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt hat das Landgericht zudem nicht die Vorschrift des § 266a<br />

Abs. 5 Satz 2 StGB a.F. (= § 266a Abs. 6 Satz 2 StGB n.F.) berücksichtigt. Danach wird der Arbeitgeber nicht bestraft,<br />

wenn er spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe<br />

der vorenthaltenen Beträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich<br />

ernsthaft darum bemüht hat, und die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten<br />

angemessenen Frist entrichtet werden. Das Urteil lässt mangels Feststellungen zu den Umständen der nachträglichen<br />

Zahlungen eine Überprüfung dieses Strafaufhebungsgrundes nicht zu. Es wird weder mitgeteilt, ob der Angeklagte<br />

rechtzeitig die Krankenkassen über die Rückstände und deren Gründe benachrichtigte, noch, ob er die Sozialversicherungsbeiträge<br />

rechtzeitig, das heißt innerhalb ihm gesetzter Fristen, nachzahlte.<br />

In den verbleibenden fünf Fällen waren die Arbeitnehmeranteile erst ab Mitte November 2001, überwiegend im<br />

Dezember 2001 und Januar 2002 fällig. Für diesen Tatzeitraum ist aber – auch nach dem Gesamtzusammenhang der<br />

Urteilsgründe unter besonderer Berücksichtigung der Feststellungen <strong>zum</strong> Fall II. B 2. – nicht belegt, dass die R.<br />

noch in ausreichendem Umfang liquide Mittel hatte, um die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen (vgl. dazu<br />

BGHSt 47, 318, 319 f.; BGH wistra 2008, 384). Vielmehr geht das Landgericht ganz im Gegenteil davon aus, dass<br />

im November 2001 die finanziellen Mittel „vollständig aufgebraucht“ waren (UA S. 25). Es hätte deshalb in den<br />

Urteilsgründen der Darlegung bedurft, ob der Angeklagte die Erfüllung der Beitragspflichten schon vorher hätte<br />

sichern können und dies auch erkannt hat.<br />

d) Im Fall II. H der Urteilsgründe tragen die Feststellungen – anders als im Fall II. C der Urteilsgründe für den Zeitraum<br />

ab dem 17. August 2001 (dazu unter aa) – nicht den Schuldspruch wegen (erneuter) Insolvenzverschleppung;<br />

der Angeklagte ist in diesem Fall aus rechtlichen Gründen freizusprechen (dazu unter bb). Entgegen der Auffassung<br />

des Landgerichts oblag dem Angeklagten nach der Überweisung von fast 100.000 Euro am 21. Oktober 2004, nachdem<br />

die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits abgelehnt war, keine erneute strafbewehrte Pflicht zur Stellung<br />

eines Insolvenzantrags nach § 84 Abs. 1 Nr. 2, § 64 Abs. 1 GmbHG.<br />

aa) Nach § 84 Abs. 1 Nr. 2, § 64 Abs. 1 GmbHG macht sich der Geschäftsführer einer GmbH strafbar, wenn er nicht<br />

spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

beantragt. Die Pflicht als Geschäftsführer der R. , einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah-<br />

255


ens zu stellen, hat der Angeklagte vorsätzlich verletzt. Mithin ist die Verurteilung unter II. C der Urteilsgründe und<br />

zwar in vollem Umfang zu Recht erfolgt:<br />

(1) Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO (vgl. dazu BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit<br />

2) ist hier ausreichend – auch mit Blick auf das Geständnis des sachkundigen Angeklagten – durch die vom<br />

Landgericht angeführten „wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen“ (vgl. dazu BGH wistra 2003, 232 m.N.;<br />

<strong>zum</strong> Inhalt eines Liquiditätsstatus BGH wistra 2001, 306, 307; Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4.<br />

Aufl. § 76 Rdn. 57 ff.) für den Zeitraum ab Ende Juli 2001 belegt. Entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers<br />

ist nicht von einer bloßen Zahlungsstockung im Zeitraum Juli/August 2001 auszugehen. Denn dem Gesamtgeschehensablauf<br />

(insbesondere UA S. 25) ist zu entnehmen, dass die geleisteten Baukostenvorschüsse alsbald verbraucht<br />

waren und die Zahlungsfähigkeit nicht dauerhaft wiederherstellen konnten. Bereits ab Oktober 2001 bezahlte<br />

die R. wiederum nicht die Subunternehmer, die daraufhin erneut die Baustelle verließen.<br />

(2) Die ohnehin erst nach Tatvollendung erfolgte Antragstellung durch das Finanzamt vom 8. April 2002 ließ die<br />

Pflicht des Angeklagten zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Die Insolvenzverschleppung<br />

war mithin erst mit Rechtskraft des Beschlusses vom 5. August 2002 beendet, mit dem die Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde.<br />

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Konkursordnung ist die Pflicht des Gemeinschuldners nicht<br />

bereits dadurch entfallen, dass ein Gläubiger Konkursantrag gestellt hat (BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Antragspflicht<br />

1; BGH, Urteil vom 5. Juli 1956 – 3 StR 140/56). Die Konkursverschleppung als Dauerdelikt und Unterlassungstat<br />

war erst dann beendet, wenn das Konkursverfahren auf Antrag des Gläubigers eröffnet wurde (BGH, Beschluss vom<br />

13. Februar 1979 – 5 StR 814/78; offen gelassen in BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Antragspflicht 1 für den Fall der<br />

Ablehnung des Konkursantrags mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse). Trotz gewichtiger Gegenargumente<br />

(vgl. Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4. Aufl. § 84 Rdn. 91; Müller-Gugenberger/Bieneck aaO § 84 Rdn. 10;<br />

Wegner in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht 2. Aufl. Kap. VII Rdn. 43) lässt auch unter Geltung<br />

der Insolvenzordnung die Antragstellung durch einen Gläubiger die eigene Pflicht des Schuldners nicht entfallen.<br />

Zwar muss nach der Insolvenzordnung der Schuldner nicht mehr – wie nach § 104 KO a.F. – ein besonderes Verzeichnis<br />

der Gläubiger und Schuldner sowie eine Übersicht über die Vermögensmasse mit seinem Insolvenzantrag<br />

zusammen vorlegen. Er ist vielmehr nach Maßgabe des § 20 Abs. 1 InsO zur Erteilung von Auskünften verpflichtet.<br />

Damit enthält der Schuldnerantrag aufgrund der Neuregelung des Antragsrechts in der Insolvenzordnung gegenüber<br />

der alten Rechtslage nunmehr für das Insolvenzgericht keine vorteilhafteren Informationsmöglichkeiten.<br />

Gleichwohl sprechen die gewichtigeren Argumente dafür, dass es bei der eigenen Antragstellung durch den Schuldner<br />

für die Beendigung der Strafbewehrung verbleiben muss (so auch Schaal in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze<br />

160. Ergänzungslieferung [Februar 2006] § 84 GmbHG Rdn. 21; Grube/Maurer GmbHR 2003, 1461 ff.;<br />

OLG Dresden GmbHR 1998, 830 zur Gesamtvollstreckungsordnung).<br />

Der Gläubiger kann, ohne dies zu begründen, seinen Antrag nach § 13 Abs. 2 InsO bis zur Verfahrenseröffnung oder<br />

rechtskräftigen Abweisung seines Antrags mit der Folge zurücknehmen, dass die – nach Amtsermittlungsgrundsätzen<br />

vorzunehmende – Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen entfällt. In diesem Falle entstünde – bei weiter gegebenen<br />

Insolvenzgründen wie hier – dann erneut der mit § 64 GmbHG unvereinbare Zustand, dass die Gesellschaft<br />

zwar insolvenzreif ist, über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber nicht entschieden wird. Der mit der Antragspflicht<br />

des Geschäftsführers verfolgte Zweck, bei Vorliegen von Insolvenzgründen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts<br />

über die weitere werbende Tätigkeit der GmbH oder aber die geordnete Verwertung ihres Vermögens zur<br />

gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger (§ 1 Satz 1 InsO) herbeizuführen, würde verfehlt, wollte man einen<br />

Insolvenzantrag eines zur Antragstellung nicht verpflichteten Gläubigers einer GmbH mit der damit verbundenen<br />

jederzeitigen Möglichkeit der voraussetzungslosen Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Antragsrücknahme<br />

als einen Grund für ein Erlöschen der Antragspflicht des Geschäftsführers anerkennen. Die Stellung eines Insolvenzantrags<br />

eines Gläubigers kann somit nicht geeignet sein, die Pflicht des Geschäftsführers gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG<br />

<strong>zum</strong> Erlöschen zu bringen, und vermag dessen nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG gegebene Strafbarkeit nicht zu beenden.<br />

Soweit der Verpflichtete den Insolvenzantrag nicht selbst stellt und die ihm obliegende Handlungspflicht unterlässt,<br />

verliert dies erst dann an Relevanz, wenn über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden wurde. Erst<br />

ab diesem Zeitpunkt ginge nämlich eine Insolvenzantragstellung durch den nach § 64 Abs. 1 GmbHG verpflichteten<br />

Geschäftsführer ins Leere. Deshalb ist der für die Beendigung maßgebliche Zeitpunkt der Eintritt der Rechtskraft des<br />

Beschlusses vom 5. August 2002 als Tag der Entscheidung über die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.<br />

An das Ende der Antragspflicht ist die Beendigung der Insolvenzverschleppung geknüpft. Im Interesse der Rechtssicherheit<br />

muss der Beendigungszeitpunkt, der insbesondere für den Verjährungsbeginn ausschlaggebend ist, eindeutig<br />

256


estimmt sein. Dies wäre bei einem Fremdantrag wegen der Rücknahmemöglichkeit nicht in gleicher Weise gewährleistet.<br />

Mit dem Abstellen auf den Schuldnerantrag ist auch die Konstruktion eines Wiederauflebens der Antragspflicht<br />

für den Schuldner nach Rücknahme des Fremdantrags (vgl. dazu Tiedemann aaO Rdn. 91; Müller-<br />

Gugenberger/Bieneck aaO Rdn. 10) entbehrlich.<br />

bb) Nach dem Beschluss des Insolvenzgerichts ist keine neuerliche strafbewehrte Antragspflicht nach § 64 Abs. 1<br />

GmbHG mehr entstanden.<br />

(1) Die R. war mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 5. August 2002 aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 5<br />

GmbHG, § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO). Diese Auflösung, die eine nach §§ 66 ff. GmbHG vorzunehmende Abwicklung<br />

der GmbH einleitet (Schulze-Osterloh/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl. § 60 Rdn. 27), war gemäß §<br />

65 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GmbHG von Amts wegen in das Handelsregister einzutragen. Der Angeklagte als Liquidator<br />

(§ 66 Abs. 1 GmbHG) hatte damit die nach § 70 GmbHG bezeichneten Aufgaben zur Beendigung der R. zu<br />

erfüllen und u. a. die Pflichten aus § 71 Abs. 4 GmbHG, darunter eine bestehende Insolvenzantragspflicht, wahrzunehmen.<br />

Etwa noch vorhandenes Vermögen musste er nach §§ 73, 72 GmbHG vorrangig an die Fremdgläubiger der<br />

R. verteilen. Die Abwicklung ist dabei erst dann im Sinne des § 74 Abs. 1 GmbHG beendet, wenn kein<br />

verteilungsfähiges Aktivvermögen mehr zur Verfügung steht (Schaal in Erbs/Kohlhaas aaO § 66 GmbHG Rdn. 2<br />

m.N.). Zwar trifft auch den Liquidator eine strafbewehrte Pflicht zur Insolvenzantragstellung (§ 71 Abs. 4 i.V.m. §<br />

64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Dies gilt aber nur für den Fall, dass die Gesellschaft in der Liquidation insolvenzreif<br />

wird, nicht aber für das Liquidationsverfahren nach der Ablehnung der Insolvenzeröffnung, weil in dem<br />

letzteren ja bereits über die Durchführung eines Insolvenzverfahrens abschlägig entschieden wurde.<br />

(2) Eine strafbewehrte Insolvenzantragspflicht ist auch durch den Zahlungseingang am 21. Oktober 2004 nicht wieder<br />

aufgelebt. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen konnten durch den Geldbetrag von fast 100.000<br />

Euro Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der GmbH nicht beseitigt werden; vielmehr hätte er nur ausgereicht,<br />

die Kosten für das Insolvenzverfahren zu decken. Mithin bestand die Insolvenzlage unverändert fort.<br />

Bei dieser Sachlage kommt eine Strafbarkeit wegen (erneuter) Insolvenzverschleppung nicht in Betracht. Das strafbewehrte<br />

„Aufleben“ der Antragspflicht infolge neuer die Kosten eines Insolvenzverfahrens nunmehr voraussichtlich<br />

deckender Vermögensmittel im Beendigungsstadium der nach Auflösung abzuwickelnden GmbH ist vom Wortlaut<br />

der Strafvorschriften der § 84 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 71 Abs. 4, § 64 Abs. 1 GmbHG nicht erfasst (a.A. Tiedemann<br />

aaO § 84 Rdn. 88; Müller-Gugenberger/Bieneck aaO § 84 Rdn. 21; Köhler in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des<br />

Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. Kap. 7 Rdn. 338; Wegner in Achenbach/Ransiek aaO Rdn. 41; Maurer<br />

wistra 2003, 174, 176; vgl. auch Schaal in Erbs/Kohlhaas aaO § 84 GmbHG Rdn. 22 gegen ein strafbewehrtes Wiederaufleben<br />

der Antragspflicht bei einer bereits gelöschten GmbH; zustimmend Michalski, GmbHG 2002 § 84 Rdn.<br />

90; Pelz in Heidelberger Kommentar <strong>zum</strong> AktG, § 401 Rdn. 3). Diese Normen knüpfen die Strafbewehrung der<br />

Verletzung der Antragspflicht allein an den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung. So macht sich<br />

etwa der Liquidator einer durch Beschluss der Gesellschafter aufgelösten (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG), an sich aber<br />

nach wie vor „lebensfähigen“ oder nach Überwindung der Insolvenz wieder „lebensfähig“ gewordenen GmbH nach<br />

§ 84 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 71 Abs. 4, § 64 Abs. 1 GmbHG strafbar, wenn im Stadium zwischen Auflösung und Beendigung<br />

der GmbH diese zahlungsunfähig wird oder überschuldet ist und der Liquidator nicht fristgemäß Antrag<br />

auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt.<br />

(3) Das „Wiederaufleben“ der Antragspflicht im Liquidationsstadium mag in zivilrechtlicher Hinsicht begründbar<br />

sein, wenn die GmbH – anders als <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

– über ausreichende Geldmittel zur Deckung der Verfahrenskosten verfügt. Diese Frage bedarf ebenso wenig der<br />

Vertiefung wie diejenige, ob der Liquidator auch nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §<br />

20 Abs. 1 i.V.m. § 97 Abs. 1 InsO insolvenzrechtlich zu einer Mitteilung verpflichtet sein könnte. Für die Beurteilung<br />

der Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 64 Abs. 1, § 71 Abs. 4 GmbHG ist dies ohne Belang, weil nach<br />

dem Wortlaut dieser Vorschriften nur dann eine Strafbarkeit entsteht, wenn Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit<br />

eintritt und der Liquidator die Stellung eines Insolvenzantrags unterlässt. Daraus folgt aber umgekehrt, dass die<br />

Gesellschaft vorher nicht in der Krise gewesen sein darf, sondern vielmehr erst in den Zustand der Krise geraten<br />

muss, der dann die Insolvenzantragspflicht auslöst. Ist dagegen das Tatbestandsmerkmal der Zahlungsunfähigkeit<br />

bzw. der Überschuldung durchgängig erfüllt, stünde einer Strafbarkeit, mag auch eine zivilrechtliche Pflicht bestehen,<br />

das Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) entgegen. Im Falle einer nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelösten<br />

GmbH ist eine (erneute) Insolvenzverschleppung nur in der (allerdings theoretischen) Konstellation mit dem Wortlaut<br />

vereinbar, dass die Überschuldung bzw. die Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Liquidationsverfahren beseitigt<br />

wird und die GmbH anschließend wiederum in eine Krise gerät. Eine Strafbarkeitslücke entsteht hierdurch nicht,<br />

257


weil die zweckwidrige Verwendung im Beendigungsstadium eingehender Gelder für den Liquidator regelmäßig –<br />

wie auch hier – eine Strafbarkeit wegen Untreue begründen wird.<br />

Eine erneute Verurteilung des Angeklagten wegen einer nunmehr als Liquidator begangenen Insolvenzverschleppung<br />

bei hier unverändert gegebenen Insolvenzgründen würde zudem das Schuldprinzip verletzen (vgl. BVerfG –<br />

Kammer – StraFo 2007, 369 <strong>zum</strong> Unterlassungsdauerdelikt in § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB; Schaal in Erbs/Kohlhaas<br />

aaO 170. Ergänzungslieferung [Mai 2008] § 401 AktG Rdn. 50; a.A. RGSt 47, 154, 155; BGHSt 14, 280, 281 für<br />

eine erneute Verurteilung bei weiterer Verletzung der Antragspflicht nach der Vorverurteilung; Otto, Großkommentar<br />

AktG 4. Aufl. § 401 Rdn. 51).<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung<br />

im Fall II. C (wie ausgeführt), wegen Bankrotts in den Fällen II. E und II. F sowie wegen Untreue im Fall II. G der<br />

Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung stand.<br />

a) Die vom Beschwerdeführer erhobene, die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit betreffende Aufklärungsrüge ist aus<br />

den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).<br />

b) Der Senat bemerkt ergänzend zur Verurteilung wegen Bankrotts in zwei Fällen (aa) sowie wegen Untreue (bb) in<br />

sachlichrechtlicher Hinsicht:<br />

aa) Zum 30. Juni 2001 als dem für die Tatbegehung maßgeblichen Zeitpunkt (§ 264 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz,<br />

§ 267 Abs. 1 HGB) ist zwar weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung belegt (vgl. dazu BGH wistra<br />

2003, 232, 233; 1998, 105). Es liegt jedoch nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu diesem Zeitpunkt<br />

jedenfalls eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor. Dieser Krisengrund ist gegenüber der vom Landgericht zugrunde<br />

gelegten Zahlungsunfähigkeit auch gleichgewichtig, weshalb sich der Fehler nicht auswirkt. Die objektive Bedingung<br />

der Strafbarkeit nach § 283 Abs. 6 StGB ist jedenfalls nicht vor Ablauf der Frist zur Aufstellung der Bilanz<br />

eingetreten (vgl. dazu BGHR StGB § 283 Abs. 1 Nr. 7b Bilanz 2; Zeit 1). Die Zahlungseinstellung (vgl. dazu BGH<br />

BB 2008, 634, 635 m.w.N.) ist erst für November 2001 mit dem vollständigen Verbrauch sämtlicher Finanzmittel<br />

einschließlich der Baukostenvorschüsse festgestellt.<br />

Die rechtsfehlerfrei als tateinheitlich begangen gewerteten und nicht behobenen Verstöße gegen die Grundsätze<br />

ordnungsmäßiger Buchführung (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB) sind dem angefochtenen Urteil hinreichend deutlich zu<br />

entnehmen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. März 1954 – 3 StR 232/53).<br />

bb) Die R. war auch überschuldet, wie insbesondere aus der Vermögensaufstellung <strong>zum</strong> 5. August 2002 zu<br />

schließen ist. Diese Überschuldung hat der Angeklagte im Herbst 2004 dadurch vertieft, dass er als Liquidator den<br />

der R. zustehenden Geldbetrag von rund 99.400 Euro für private Zwecke entnahm. Die Vertiefung einer<br />

Überschuldung begründet die Strafbarkeit wegen Untreue (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 21; BGH wistra<br />

2008, 379, 380). Im Übrigen hat der Angeklagte nicht die Vorschrift des § 73 GmbHG eingehalten, indem er das<br />

Guthaben für eigene ersichtlich gesellschaftsfremde Zwecke verwandte.<br />

III.<br />

Die Sache bedarf nach alledem in den Fällen II. A 2. a, II. A 2. b, II. B 1., II. B 2. und II. D 1. bis II. D 25. der Urteilsgründe<br />

umfassend neuer Aufklärung und Bewertung, sofern nicht mit Blick auf die vier rechtskräftigen Einzelstrafen<br />

(Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr acht Monaten, von sieben Monaten und zweimal zwei Monaten) insbesondere<br />

hinsichtlich der Fälle II. D 1. bis II. D 25. von der Vorschrift des § 154 StPO Gebrauch gemacht wird. Für<br />

die erneut erforderliche zweifache Gesamtstrafbildung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Löbau vom<br />

28. Mai 2002 weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:<br />

Aus der rechtskräftigen Vorentscheidung sind sämtliche Einzelstrafen, also auch die Einzelgeldstrafen, einzubeziehen<br />

(BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 3; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 176/08 Rdn. 8). Die<br />

bereits vollstreckte Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen ist auf die erste Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen<br />

(§ 51 Abs. 2 StGB).<br />

Die Beendigungszeitpunkte für die Delikte nach § 266a StGB sind in den 20 Fällen, in denen der Angeklagte die<br />

Beitragsschulden nachträglich beglich, nicht ordnungsgemäß festgestellt: Da das Vergehen des Vorenthaltens von<br />

Arbeitnehmeranteilen der Beiträge zur Sozialversicherung ein echtes Unterlassungsdelikt darstellt, ist dieses Delikt<br />

beendet, wenn die Beitragspflicht erloschen ist, sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners<br />

(BGH wistra 1992, 23). Feststellungen dazu, wann die Beitragsschulden erfüllt worden sind, hat das<br />

Landgericht, wie dargelegt, nicht getroffen.<br />

Die Bankrottdelikte sind hier mit dem Eintritt der objektiven Bedingung der Strafbarkeit beendet (vgl. Stree/Heine in<br />

Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 283 Rdn. 69 m.w.N.) und damit in die erste Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen.<br />

Die R. hat, wie ausgeführt, die Zahlungen im November 2001 eingestellt.<br />

258


Die Insolvenzverschleppung ist hingegen, wie dargelegt, erst nach dem 28. Mai 2002 beendet und damit in die zweite<br />

Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen.<br />

Bei Bildung der neuen Gesamtstrafen wird, wenn unter Berücksichtigung des bislang gewährten Strafabschlags Anlass<br />

zu einer weitergehenden Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung bestehen sollte,<br />

dieser durch eine Anrechnung auf die neuen Gesamtstrafen Rechnung zu tragen sein (vgl. dazu BGHSt [GS] 52, 124;<br />

BGH wistra 2008, 348, 349).<br />

WStG § 30 § 31 Abs. 1, § 5 Abs. 1 „Geiselnahmeübungen“. 3<br />

BGH, Urt. v. 14.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 158/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1360; NStZ <strong>2009</strong>, 289<br />

LS: 1. Wesen des militärischen Dienstes und sozialwidrige Be-handlungen von Untergebenen in der<br />

Bundeswehr.<br />

2. Entwürdigende Behandlung von Untergebenen in der Bundeswehr bei „Geiselnahmeübungen“.<br />

3. Der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten sei durch gesetzliche Bestimmungen,<br />

Dienstvorschriften oder einen rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt, unterfällt dem besonderen<br />

Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG.<br />

Verfahrensrecht<br />

StPO § 004, § 266; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 (faires Verfahren)<br />

BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – 4 StR 318/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1429; NStZ <strong>2009</strong>, 222; StraFo <strong>2009</strong>, 110<br />

LS: Wird eine weitere Anklage gegen denselben Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung zu<br />

einem bereits anhängigen Verfahren in einer laufenden Hauptverhandlung zur gemeinsamen Verhandlung<br />

und Entscheidung hinzuverbunden, so muss, wenn die Voraussetzungen des § 266 StPO<br />

nicht vorliegen, mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden (im Anschluss an BGH NStZ-RR<br />

1999, 303).<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer<br />

am 11. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:<br />

I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 7. Februar 2008<br />

1. a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte B. in den Fällen II. 1 und 6 bis 11 und der Angeklagte<br />

T. in den Fällen II. 15 bis 22 der Urteilsgründe verurteilt wor den ist. Insoweit wird die Sache an die<br />

III. große Strafkammer - Jugendkammer als Jugendschutzkammer - des Landgerichts Bielefeld zu rückgegeben; b)<br />

in den Schuldsprüchen dahin abgeändert, dass<br />

aa) der Angeklagte B. des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen (Fälle 2 bis 5 und 23 der<br />

Urteilsgründe),<br />

bb) der Angeklagte T. des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen (Fälle 12 bis 14 und 23<br />

der Urteilsgründe)<br />

schuldig ist;<br />

2. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben a) in den beiden Gesamtstrafenaussprüchen und<br />

b) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel beim<br />

Angeklagten T. .<br />

3 Die Entscheidung ist sehr umfangreich und wenig praxisrelevant für die Alltagsforensik. Deshalb wir hier vom<br />

Abdruck der Gründe abgesehen.<br />

259


Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine<br />

andere Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

II. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in neun Fällen und<br />

des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in weiteren drei Fällen schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten B.<br />

hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Den Angeklagten T.<br />

hat es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt<br />

angeordnet, wobei es bestimmt hat, dass ein Jahr, sieben Monate und zwei Wochen der Gesamtfreiheitsstrafe vor<br />

dem Vollzug der Maßregel zu vollstrecken sind. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen<br />

und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen<br />

sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Verurteilung der Angeklagten in den in der Beschlussformel unter Ziffer I. 1 a) bezeichneten Fällen hat keinen<br />

Bestand, weil insoweit eine von den Angeklagten erhobene Verfahrensrüge (Verstoß gegen § 266 Abs. 1 StPO<br />

i.V.m. dem Grundsatz des fairen Verfahrens) durchgreift.<br />

a) Mit Anklage vom 27. April 2007 (1. Anklage) wurde den - die ihnen vorgeworfenen Taten bestreitenden - Angeklagten<br />

zur Last gelegt, mehrfach vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin, der am 14. April 1994 geborenen<br />

G. , durchgeführt zu haben, und zwar der Angeklagte B. in fünf Fällen, der Angeklagte T.<br />

in vier Fällen. Die in der Beschlussformel unter Ziff. I. 1 a) bezeichneten Fälle sind von dieser Anklage nicht umfasst.<br />

Die 1. Anklage wurde mit Eröffnungsbeschluss der III. Strafkammer vom 14. Juni 2007 zur Hauptverhandlung<br />

zugelassen. Sie begann am 16. August 2007. Bereits in diesem Termin wurden Beweise erhoben und u.a. mehrere<br />

Beweis- und Beweisermittlungsanträge gestellt. Die Nebenklägerin wurde am 2. und 3. Hauptverhandlungstag (20.<br />

und 23. August 2007) als Zeugin vernommen. Weil sie in ihren Vernehmungen weitere Missbrauchshandlungen<br />

geschildert hatte, leitete die Staatsanwaltschaft ein neues Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten ein (verbundene<br />

Akte Az. 66 Js 393/07 Bl. 1, 5). Am 6. September 2007 reichte sie beim Landgericht eine weitere Anklageschrift<br />

(2. Anklage) wegen der neuen Tatvorwürfe mit dem Antrag ein, das Hauptverfahren zu eröffnen und das<br />

Verfahren mit dem bereits anhängigen Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.<br />

Die in der Beschlussformel unter Ziff. I. 1 a) bezeichneten Taten sind Gegenstand dieser neuen Anklage.<br />

Im (5.) Hauptverhandlungstermin am selben Tage wurden den Angeklagten und ihren Verteidigern Abschriften der<br />

neuen Anklageschrift <strong>zum</strong> Zwecke der Zustellung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme ausgehändigt. Der Verteidiger<br />

des Angeklagten T.<br />

erklärte hierauf u.a., dass es sich um eine verdeckte Nachtragsanklage handele<br />

und die Zustimmung zu ihrer Einbeziehung bereits jetzt verweigert werde. Im Falle einer Einbeziehung seien alle<br />

Beweise neu zu erheben. Die Zeugen seien zu der neuen Anklage nicht befragt worden und es sei auch nicht darauf<br />

hingewiesen worden, dass Gelegenheit bestehe, sie zu diesen Vorwürfen zu fragen. Wegen der neuen Anklage beantrage<br />

er die Aussetzung des Verfahrens (Prot. S. 107). Dieser Antrag wurde ebenso wie der Antrag, alle Beweise neu<br />

zu erheben, zurückgewiesen (Prot. S. 174 f., 283). Die Hauptverhandlung wurde am 20.9. und 8.10.2007 mit weiteren<br />

Beweiserhebungen fortgesetzt.<br />

Durch Beschluss vom 26. Oktober 2007 ließ die III. Strafkammer in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung<br />

die neue Anklage - mit Änderungen - zur Hauptverhandlung zu und verband das Verfahren mit dem bereits anhängigen<br />

Verfahren "zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung in der bereits laufenden Hauptverhandlung ...". In<br />

dem den Angeklagten und den Verteidigern bekannt gemachten Beschluss ist u.a. ausgeführt, es handele sich nicht<br />

um eine "verdeckte Nachtragsanklage", sondern um eine "normale" Anklage, die lediglich zu einem Verfahren verbunden<br />

werde, in welchem bereits verhandelt werde.<br />

Am 12. November 2007 reichte die Staatsanwaltschaft eine gemäß § 207 Abs. 3 StPO geänderte Anklageschrift beim<br />

Landgericht ein. Den Angeklagten und ihren Verteidigern wurden im (10.) Hauptverhandlungstermin vom 16. November<br />

2007 Abschriften der geänderten Anklageschrift übergeben. Im (11.) Hauptverhandlungstermin (3. Dezember<br />

2007) wurde die Anklageschrift vom 12. November 2007 verlesen. Die Angeklagten wurden darauf hingewiesen,<br />

"dass seitens der Kammer beabsichtigt sei, die in der bisherigen Hauptverhandlung gewonnenen Beweisergebnisse<br />

auch der Entscheidungsfindung über die nunmehr zusätzlich verlesene Anklage als gerichtsbekannt zugrunde zu<br />

legen; einer Wiederholung von Teilen der Beweisaufnahme (bedürfe) es nicht, da sämtliche Verfahrensbeteiligte<br />

jeweils anwesend gewesen (seien) bzw. - soweit es sich um anwaltliche Beteiligte (handele) - <strong>zum</strong>indest die Möglichkeit<br />

(gehabt hätten), der Beweiserhebung beizuwohnen" (Prot. S. 198). So wurde verfahren. Das Urteil erging<br />

nach weiteren Beweiserhebungen am 7. Februar 2008, dem 19. Hauptverhandlungstag.<br />

b) Die vom Landgericht gewählte Verfahrensweise entspricht nicht dem Gesetz.<br />

260


aa) Die neue Anklage ist nicht gemäß § 266 Abs. 1 StPO in das laufende Verfahren einbezogen worden. Das Landgericht<br />

hat es in dem Eröffnungs- und Verbindungsbeschluss vom 26. Oktober 2007 ausdrücklich abgelehnt, die<br />

neue Anklage als Nachtragsanklage zu behandeln. Es hat eine "Einbeziehung" außerhalb der gesetzlichen Regelung<br />

in § 266 StPO angestrebt, um die Einbeziehung nicht von der Zustimmung der Angeklagten abhängig zu machen. Im<br />

Hinblick auf den Beschluss vom 26. Oktober 2007 scheidet auch eine etwa "konkludente" Einbeziehung gemäß §<br />

266 Abs. 1 StPO aus.<br />

bb) Die Einbeziehung der zweiten Anklage in die fortdauernde Hauptverhandlung war auf dem vom Landgericht<br />

gewählten Weg nicht zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 266 Rdn. 4, § 4 Rdn. 9; Gubitz/Bock StraFo<br />

2007, 225 ff.); denn innerhalb einer laufenden Hauptverhandlung darf dem Angeklagten jenseits der Tatidentität des<br />

§ 264 Abs. 1 StPO eine Anklageerweiterung nicht aufgezwungen werden (vgl. BGH NStZ 1997, 145, 146; NStZ-RR<br />

1999, 303). Der Gesetzgeber hat aus Gründen des “praktischen Bedürfnisses“ allein mit § 266 StPO eine Möglichkeit<br />

eröffnet, ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen (die Erhebung einer [weiteren] Anklage in der<br />

Hauptverhandlung, ihre Einbeziehung in das Verfahren durch Beschluss des erkennenden Gerichts (vgl. BGH StV<br />

1995, 342) und die [ausdrückliche] Zustimmung des Angeklagten), den den Angeklagten betreffenden Prozessgegenstand<br />

in einer bereits begonnenen Hauptverhandlung zu erweitern (vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zu den<br />

Reichs-Justizgesetzen 2. Aufl. Bd. 3 Abt. 1 S. 921 [an sich “prinzipwidrige“ Vorschrift], Abt. 2 S. 1377 f. [die Bestimmung<br />

stehe zwar nicht “auf dem Boden des Systems“, das “praktische Bedürfnis“ dränge aber zu einer derartigen<br />

Vorschrift]). Er hatte dabei gerade die Fälle im Blick, in denen sich - wie hier - während der Hauptverhandlung<br />

neue Tatvorwürfe ergeben (vgl. Hahn aaO). Liegen die Voraussetzungen des § 266 StPO nicht vor, so hat der Tatrichter<br />

abzuwägen, ob er zunächst die begonnene Hauptverhandlung im ursprünglichen, eingeschränkt angeklagten<br />

Umfang <strong>zum</strong> Abschluss bringen und über die weitere Anklage in einem gesonderten Verfahren entscheiden will oder<br />

ob er beide Verfahren verbindet und sie insgesamt <strong>zum</strong> Gegenstand einer neu zu beginnenden, einheitlichen Hauptverhandlung<br />

macht (BGH NStZ-RR 1999, 303).<br />

cc) Allerdings hat der 1. Strafsenat in einem gleich gelagerten Fall entschieden, dass eine Verfahrensweise, wie sie<br />

das Landgericht als rechtlich möglich erachtet hat, kein Verfahrenshindernis begründet (Beschluss vom 19. Februar<br />

2008 - 1 StR 503/07 = StV 2008, 226, 227). Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen; denn der 1. Strafsenat hat ausdrücklich<br />

offen gelassen, ob der Tatrichter in einem solchen Fall gehalten ist, mit der Hauptverhandlung neu zu beginnen.<br />

Mit dem 5. Strafsenat (Beschluss vom 3. August 1998 - 5 StR 311/98 = NStZ-RR 1999, 303 [nicht tragend])<br />

bejaht der Senat diese Frage.<br />

dd) Da die Angeklagten die Verfahrensweise des Landgerichts mit Verfahrensrügen beanstandet haben, muss das<br />

Urteil mit den Feststellungen aufgehoben werden, soweit die Angeklagten wegen der in der zweiten Anklage genannten<br />

Taten verurteilt worden sind. Das Verfahren ist insoweit noch bei der III. Strafkammer des Landgerichts<br />

anhängig; es ist daher an diese Strafkammer zurückzugeben.<br />

2. Die Schuldsprüche und die vom Landgericht verhängten Einzelstrafen in den (mit der ersten Anklage angeklagten)<br />

Fällen 2 bis 5 und 23 (B. ) sowie 12 bis 14 und 23 (T. ) der Urteilsgründe weisen keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Angeklagten auf. Der Senat ändert daher die Schuldsprüche des angefochtenen Urteils entsprechend<br />

ab und lässt die Einzelstrafen in den genannten Fällen bestehen. Die Teilaufhebung des Urteils zieht jedoch<br />

die Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche nach sich. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten T.<br />

in einer Entziehungsanstalt kann ebenfalls bestehen bleiben, weil die Maßregel schon aufgrund der verbleibenden<br />

Verurteilung anzuordnen war (vgl. UA 9 f., 19, 84 f., 95 ff., 108 f.). Jedoch wird unter Berücksichtigung der nunmehr<br />

zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe über die Vollstreckungsreihenfolge neu zu entscheiden sein. Mit der Teilaufhebung<br />

des Urteils ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten T. gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner aaO §<br />

464 Rdn. 20).<br />

3. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Strafkammern, an die die Verfahren zurückverwiesen sind, jeweils<br />

das Verschlechterungsverbot zu beachten haben.<br />

StPO § 010, § 13 a Gerichtsbarkeit bei Hoheitsgewalt des deutschen Flaggenstaates<br />

BGH, Beschl. v. 07.04.<strong>2009</strong> – 2 ARs 180/09 2 AR 108/09<br />

LS: Zum Regelungsgehalt des § 10 StPO.<br />

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.<br />

261


Von Gesetzes wegen zuständig ist das Landgericht Kiel (§ 10 StPO).<br />

Gründe:<br />

I.<br />

Am 29. März <strong>2009</strong> wurde der Betriebsstoffversorger "S. " der <strong>Deutsche</strong>n Marine mit Heimathafen in Kiel im Golf<br />

von Aden (in internationalen Gewässern) von einem mit den sieben Beschuldigten besetzten offenen Motorboot<br />

(Skiff) angegriffen. Die an Bord der "S. " befindlichen Soldaten der Marineschutzkräfte erwiderten das Feuer<br />

und stellten, unterstützt von anderen im betreffenden Seegebiet operierenden Schiffen der Europäischen Union und<br />

der NATO das Piratenboot. Die sieben in Gewahrsam genommenen Beschuldigten befinden sich seit dem 30. März<br />

<strong>2009</strong> an Bord der Fregatte "R. - P. ".<br />

Bei dem Betriebsstoffversorger "S. " handelt es sich nicht um ein im zivilen Seeverkehr eingesetztes Schiff,<br />

sondern um ein im Rahmen der europäischen Operation EU NAVFOR ATALANTA zivil besetztes Schiff der Bundeswehr.<br />

Die Bundesregierung hat wegen des Angriffs Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Kiel gestellt. Diese<br />

hält sich nicht für zuständig und beantragt, gemäß § 13 a StPO ein zuständiges Gericht zu bestimmen.<br />

II.<br />

Die Bestimmung des zuständigen Gerichts war abzulehnen. Die Voraussetzungen des § 13 a StPO liegen nicht vor.<br />

Gemäß § 13 a StPO bestimmt der Bundesgerichtshof das zuständige Gericht, wenn es im Geltungsbereich dieses<br />

Bundesgesetzes an einem zuständigen Gericht fehlt oder dieses nicht ermittelt ist. Auf diese Frage hat sich die Prüfung<br />

durch den Senat im Verfahren nach § 13 a StPO zu beschränken (BGHSt 18, 19, 20). Die Zulässigkeit der Bestimmung<br />

eines zuständigen Gerichts nach § 13 a StPO ist allerdings nicht davon abhängig, ob ein in den §§ 7 ff.<br />

StPO vorgesehener Gerichtsstand ermittelt werden kann; maßgebend ist vielmehr, dass ein solcher nicht ermittelt ist<br />

(BGHSt 10, 255). Dies ist der Fall, wenn sich keine Anhaltspunkte für einen der in §§ 7 ff. StPO begründeten Gerichtsstände<br />

ergeben und ein solcher nicht ohne nähere Erhebungen feststellbar ist (BGHSt 10, 255, 257; BGH<br />

BGHR StPO § 13 a Anwendungsbereich 4).<br />

Im vorliegenden Fall greift § 13 a StPO nicht ein, weil es weder an einem zuständigen Gericht im Geltungsbereich<br />

dieses Bundesgesetzes fehlt noch dieses nicht ermittelt ist. Vielmehr ist hier die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts<br />

Kiel gemäß § 10 Abs. 1 StPO gegeben.<br />

Nach der ersten Variante dieser Bestimmung ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen des Schiffs<br />

liegt, wenn die Straftat auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, außerhalb des Geltungsbereichs<br />

der Strafprozessordnung begangen worden ist.<br />

Die "S. " ist berechtigt, die Bundesflagge zu führen; dabei kann, wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt<br />

hat, dahinstehen, ob es sich um ein zur Seefahrt bestimmtes Schiff oder um ein zu den Seestreitkräften der<br />

Bundeswehr gehörendes Schiff handelt. Im ersten Fall folgt das Recht zur Führung der Bundesflagge aus §§ 1, 3, 8<br />

FlaggRG, im zweiten Fall aus der Anordnung des Bundespräsidenten über die Dienstflagge der Seestreitkräfte der<br />

Bundeswehr vom 25. Mai 1956 (BGBl. I S. 447 = BGBl. III 1130-5). Kiel ist zu-dem der Heimathafen des betroffenen<br />

Schiffs. Dies alles sieht auch die Staatsanwaltschaft Kiel ersichtlich nicht anders. Sie meint jedoch, die Straftat<br />

sei nicht außerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozessordnung begangen, weil an Bord der "S. " infolge der<br />

uneingeschränkten Ausübung der Hoheitsgewalt des deutschen Flaggenstaates die deutsche Strafprozessordnung<br />

gelte.<br />

Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, dass nach dem Flaggengrundsatz die Hoheitsgewalt<br />

über Schiffe dem Staat zusteht, unter dessen Flagge es registriert ist. Der Flaggenstaat übt damit auch die<br />

Strafgewalt über die auf dem Schiff begangenen Straftaten aus, unabhängig davon, wo es sich <strong>zum</strong> Tatzeitpunkt<br />

befindet und welche Staatsangehörigkeit die Täter haben (MünchKomm-StGB/Ambos vor § 3 Rdn. 34). Aus dieser<br />

"pragmatischen extraterritorialen Hoheits- und Strafgewaltserstreckung" (so Ambos aaO) kann jedoch für den Anwendungsbereich<br />

des § 10 StPO nicht ge-folgert werden, dass Straftaten auf einem unter deutscher Flagge fahrenden<br />

Schiff innerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozessordnung begangen wor-den sind. Dass eine solche Auslegung<br />

nicht zutreffen kann, ergibt sich bereits daraus, dass sie dem § 10 StPO keinen Anwendungsbereich beließe. Vielmehr<br />

entspricht der Geltungsbereich der Strafprozessordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 StPO dem Hoheitsbereich<br />

der Bundesrepublik Deutschland: Er umfasst an Land das Gebiet innerhalb der Bundesgrenzen, an der deutschen<br />

Küste die Eigengewässer und das Küstenmeer sowie allgemein den über den vorgenann-ten Bereichen liegenden<br />

Luftraum. Jenseits dieser Gebiete beginnt der von § 10 erfasste Bereich (Löwe-Rosenberg/Erb StPO 26. Aufl. § 10<br />

Rdn. 1). Diese Be-stimmung ist also nur dann unanwendbar, wenn die Tat ausschließlich in dem vorbezeichneten<br />

räumlichen Bereich begangen worden ist (Erb aaO Rn. 3); so liegt der Fall hier indes nicht.<br />

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kiel ergibt sich demzufolge bereits eindeutig aus § 10 StPO. Daher<br />

bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob ein Schiff nach dem Flaggenprinzip (vgl. auch § 4 StGB) "schwim-<br />

262


mendes Territorium" des Flaggenstaates ist (so RGSt 23, 266, 267: "wandelnde Gebietsteile"; 50, 218, 220; BSG<br />

SozR 4460, § 8 Nr. 7; BAGE 26, 242, 252; Jeschek IRuD 1956, 75, 86) oder ob die Flaggenzugehörigkeit weder der<br />

Per-sonalhoheit noch der Territorialhoheit eines Staates zuzurechnen ist, sondern eine eigenständige Form der Anknüpfung<br />

staatlicher Hoheitsgewalt darstellt, die gleichberechtigt neben den beiden genannten Formen steht (so LG<br />

Mannheim NStZ-RR 1996, 147; MünchKomm-StGB/Ambos § 4 Rn. 5; Wolfrum in Graf Vitzthum, Handbuch des<br />

Seerechts Kap. 4 Rdn. 36; Hoog, <strong>Deutsche</strong>s Flaggen-recht S. 232 ff.). Der Umstand, dass Schiffe, die im Staatsdienst<br />

ausschließlich für andere als Handelszwecke genutzt werden, völkerrechtlich auf Hoher See Immunität genießen<br />

(Art. 96 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen), hat im Zusammenhang mit § 10 StPO keine Auswirkungen<br />

(vgl. Löwe-Rosenberg/Erb aaO § 10 Rdn. 5 Fußn. 8).<br />

StPO § 016 Rügerecht bei Präklusion bez. Mitangeklagtem<br />

BGH, Urt. v. 30.09.2008 – 5 StR 215/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 221; StraFo <strong>2009</strong>, 102; BGHR StPO § 13 I Zusammenhang 4<br />

1. Verfahrensrechtliche Tatsachen, welche dem Eröffnungsbeschluss zeitlich nachfolgen, müssen für<br />

die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit außer Ansatz bleiben.<br />

2. Die Erstreckung des § 13 Abs. 1 StPO auf den Fall der rügelosen Einlassung durch Mitangeklagte<br />

widerspräche dem Rügerecht des Angeklagten aus § 16 Sätze 2 und 3 StPO. Die Präklusionsvorschrift<br />

darf nicht dahin ausgeweitet werden, dass das Rügerecht auch entfiele, weil Mitangeklagte<br />

nicht von ihrem Recht <strong>zum</strong> Einwand Gebrauch machen.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 26. November 2007 wird verwor-fen.<br />

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen<br />

Aus-lagen zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten eingestellt (§ 260 Abs. 3 StPO), weil es sich – auf den<br />

entsprechenden Einwand des Angeklagten vor dessen Vernehmung zur Sache – für örtlich unzuständig erklärt hat.<br />

Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt<br />

erfolglos.<br />

I. Die Staatsanwaltschaft hat am 2. März 2007 gegen den Angeklagten und zwei weitere, mittlerweile im abgetrennten<br />

Verfahren rechtskräftig verur-teilte Mitangeklagte Anklage erhoben und ihm vorgeworfen, als Apotheker in<br />

Berlin in 18 Fällen vorsätzlich unerlaubt Grundstoffe erworben und veräußert zu haben. Hauptabnehmer soll der<br />

bereits vor Eingang der Anklage rechts-kräftig verurteilte B. gewesen sein, so auch im Fall 15 der Anklage.<br />

In diesem Fall habe B. das Ephedrinhydrochlorid an den ebenfalls rechtskräftig verurteilten L. veräußert,<br />

der es seinerseits an weitere Abnehmer weiterreichte. Schließlich sollen die gesondert verfolgten H. und N.<br />

fünf Kilogramm aus dieser Liefermenge übernommen und dann an die rechtskräftig verurteilte Scho. übergeben<br />

haben, die diese Teilmenge in den Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Görlitz verbrachte, um es anschließend<br />

nach Tschechien zu befördern. Mit Beschluss vom 1. Juni 2007 hat sich das Landgericht für örtlich unzuständig<br />

erklärt. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Oberlan-desgericht Dresden diesen<br />

Beschluss aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Vor seiner Vernehmung zur Sache hat der<br />

Angeklagte den Einwand der Unzuständigkeit des Landgerichts erhoben (§ 16 Sätze 2 und 3 StPO). Die vormals<br />

Mitangeklagten haben diesen Ein-wand nicht erhoben und sind nach Verfahrensabtrennung rechtskräftig verur-teilt<br />

worden.<br />

II. Die Revision ist unbegründet. Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei für örtlich unzuständig gehalten. Weder<br />

der Angeklagte noch die beiden Mit-angeklagten begingen ihre Taten im Gerichtsbezirk des Landgerichts Görlitz (§<br />

7 Abs. 1 StPO, § 9 StGB); sie hatten dort weder ihren Wohnsitz bzw. ge-wöhnlichen Aufenthaltsort (§ 8 StPO) noch<br />

wurden sie dort ergriffen (§ 9 StPO). Aber auch mit dem <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anklageerhebung noch gegen Hänchen<br />

und Niemann anhängigen Strafverfahren lässt sich eine Zuständig-keit des Landgerichts nicht über die Vorschriften<br />

der § 13 Abs. 1, § 3 StPO begründen. Nach § 13 Abs. 1 StPO ist ein Gerichtsstand für zusammenhän-gende Strafsachen,<br />

die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden,<br />

bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist. Ein Zusammenhang in diesem Sinne ist nach<br />

263


§ 3 StPO unter anderem dann gegeben, wenn bei ei-ner Tat mehrere Personen als Täter oder Teilnehmer beschuldigt<br />

werden. Seitens des Generalbundesanwalts ist im Terminsantrag zutreffend dazu ausgeführt worden:<br />

„1. Kein Sachzusammenhang mit einer im Bezirk des Landgerichts Görlitz begangenen Tat<br />

Der Begriff der Tatbeteiligung in § 3 StPO ist nicht auf die Teilnahme im Sinne des materiellen Strafrechts beschränkt;<br />

es genügt die strafbare, in dieselbe Richtung zielende Mitwirkung an einem einheitlichen geschichtli-chen<br />

Vorgang (vgl. BGH NJW 1988, 150 = BGHR StPO § 3 Teilnahme 1). Dabei ist entscheidend, wie weit gemäß § 264<br />

Abs. 1 StPO die Tat des An-geklagten reicht und ob sich die gesondert Verfolgten N. , H. und K.<br />

daran beteiligt haben.<br />

Die Beschwerdeführerin bezieht sich auf das vorbezeichnete Urteil; für sie soll sich die erforderliche einheitliche<br />

Richtung aller ‚Beteiligten’ daraus ergeben, dass das innerhalb der Kette ver- und gekaufte Ephedrin identisch ist.<br />

Diese Sicht der Beschwerdeführerin vermag indes nicht zu überzeu-gen.<br />

In dem der oben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Fall handelte es sich um einen<br />

Verkauf auf Kommissi-onsbasis zwischen zwei Angeklagten. In einer solchen Konstellation stellt sich das Verhalten<br />

des Verkäufers noch als Teilakt des auf Abgabe an den Endverbraucher gerichteten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

dar, weil der Kommissionsverkäufer regelmäßig ein wirtschaftliches Interesse an dem Weiterverkauf hat.<br />

So lag der Fall hier freilich nicht.<br />

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt sich das Zusammenwirken von Veräußerer und<br />

Erwerber von Betäubungsmitteln grundsätzlich als jeweils selbständige Täterschaft dar, weil sich beide als Geschäftspartner<br />

gegenüberstehen und gegenteilige Interessen verfolgen, so dass ihr Zusammenwirken allein durch die<br />

Art der Deliktsverwirklichung notwendig vorgegeben ist. Aus dem gleichen Grund kann in dem täterschaft-lichen<br />

Handeltreiben des Verkäufers auch nicht zugleich eine Beihilfehand-lung zu dem durch den Erwerb und die Weiterveräußerung<br />

der Betäubungs-mittel begründeten Handeltreiben des Abnehmers gesehen werden (vgl. BGH NJW<br />

2002, 3486, 3487).<br />

Ausgehend hiervon war die Tat des Angeklagten im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO mit der Übergabe des Ephedrin an<br />

und der Barzahlung durch B. voll- und beendet. Sie stellt sich gerade nicht als ein Teilakt des auf Abgabe an<br />

einen Endverbraucher gerichteten Handeltreibens mit Betäu-bungsmitteln dar. Das ergibt sich aus Folgendem:<br />

Der Angeklagte verfolgte mit der Übergabe des Ephedrin an den ge-sondert Verfolgten B. in Berlin allein<br />

seine eigenen Interessen. Das ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass weder ihm noch den beiden ehe-maligen<br />

Mitangeklagten Se. die Abnehmer des B. bekannt waren und dass zwischen den verschiedenen Erwerbern<br />

und Veräußerern des Ephedrins eine Risiko- oder Gewinnbeteiligung nicht vereinbart wurde (vgl. UA S. 5, 6). Ein<br />

mittäterschaftliches, in dieselbe Deliktsrichtung zielendes Verhalten des Angeklagten mit den übrigen Erwerbern und<br />

Veräußerern, welches den erforderlichen Sachzusammenhang begründen könnte, scheidet damit aus. Im Übrigen hat<br />

sich das Landgericht auf UA S. 8-10 ausführlich und rechtlich zutreffend mit diesem Aspekt auseinandergesetzt, so<br />

dass zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug genommen wird.<br />

2. Kein Sachzusammenhang durch rügeloses Einlassen der früheren Mitangeklagten Se.<br />

Die Beschwerdeführerin will den nach §§ 3, 13 Abs. 1 StPO erforderli-chen Sachzusammenhang zudem daraus ableiten,<br />

dass das Verfahren ge-gen die früheren Mitangeklagten Se. am ersten Tag der Hauptverhandlung abgetrennt,<br />

diese den Einwand nach § 16 StPO nicht erhoben haben und es dadurch zu einer Zuständigkeitsperpetuierung<br />

für diese gekommen ist. Damit sei ein Verfahren beim Landgericht Görlitz anhängig, welches im Zusam-menhang<br />

mit dem Verfahren gegen den Angeklagten stehe.<br />

Dabei stellt sie indes auf einen falschen Zeitpunkt ab. Verfahrens-rechtliche Tatsachen, welche dem Eröffnungsbeschluss<br />

zeitlich nachfolgen, müssen für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit außer Ansatz bleiben (vgl. Meyer-Goßner,<br />

StPO, 50. Aufl., § 355 Rdnrn. 2, 3 m.w.N.). Das Haupt-verfahren gegen alle drei Angeklagten wurde<br />

gemeinsam eröffnet (vgl. Bd. VI Bl. 2255, Bd. V Bl. 2074 ff.), so dass zu diesem Zeitpunkt ein weiteres, im Zusammenhang<br />

mit dem Verfahren gegen den Angeklagten stehendes Ver-fahren beim Landgericht Görlitz nicht anhängig<br />

war.“<br />

Der Senat bemerkt ergänzend: Die rügelose Einlassung der vormals Mitangeklagten kann bereits deswegen nicht den<br />

Gerichtsstand des Zusam-menhangs nach § 13 Abs. 1 StPO begründen, weil dieser Fall nicht vom Ge-setzeswortlaut<br />

erfasst ist. § 13 Abs. 1 StPO kann nur einen weiteren Ge-richtsstand für insbesondere von § 7 StPO, § 9 StGB nicht<br />

erfasste Fälle be-gründen und setzt damit also voraus, dass gegen die anderen Beteiligten ein erster Gerichtsstand<br />

nach §§ 7 bis 11 StPO gegeben ist (BGHR StPO § 13 Abs. 1 Auslandstat 1). Dies war hier, wie ausgeführt, bezüglich<br />

der beiden Mitangeklagten nicht der Fall.<br />

Die Erstreckung des § 13 Abs. 1 StPO auf den Fall der rügelosen Ein-lassung durch Mitangeklagte ließe sich zudem<br />

mit dem Rügerecht des Ange-klagten aus § 16 Sätze 2 und 3 StPO nicht vereinbaren. Die Präklusions-vorschrift darf<br />

264


nicht dahin ausgeweitet werden, dass das Rügerecht auch entfiele, weil Mitangeklagte nicht von ihrem Recht <strong>zum</strong><br />

Einwand Gebrauch machen.<br />

StPO § 022 Nr. 1 Bruder des Richters Verletzter<br />

BGH, Beschl. v. 24.03.2008 – 5 StR 394/08<br />

Eine mittelbare Beeinträchtigung des Vermögens gestattet noch nicht die Annahme einer Verletzteneigenschaft.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Richter am Bundesgerichtshof S. – nicht aber Vorsit-zender Richter am Bundesgerichtshof B. und Richterin<br />

am Bundesgerichtshof Sc. – ist an der Mitwirkung an der Entscheidung des Senats über die Revisionen der<br />

Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. März 2008 ausgeschlossen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten G. wegen Betru-ges zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und<br />

sechs Monaten sowie den Angeklagten W. wegen „Beihilfe durch Unterlassen <strong>zum</strong> Betrug“ zu ei-ner Geldstrafe<br />

von 120 Tagessätzen zu je 75 Euro verurteilt.<br />

1. Das Landgericht hat es für erwiesen erachtet, dass der Angeklagte G. als für Finanzen und Reinigung zuständiges<br />

Vorstandsmitglied der B. St. , einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, die die<br />

Straßenreinigung im Wege des Anschluss- und Benutzungs-zwangs wahrgenommen und dafür von den Eigentümern<br />

der Anlieger-grundstücke privatrechtliche Entgelte erhoben hat, eine fehlerhafte Berech-nung der von den Grundstückseigentümern<br />

zu zahlenden Straßenreini-gungsentgelte in der Tarifperiode 2001/2002 fortgeführt hat. Deshalb<br />

wurden allen Berliner Grundstückseigentümern für den Zeitraum 1. April 2001 bis 31. Dezember 2002 überhöhte<br />

Entgelte in Höhe von insgesamt über 23 Milli-onen Euro in Rechnung gestellt und – was sich aus dem Zusammenhang<br />

der Urteilsgründe ergibt – von den Eigentümern auch bezahlt. Der Angeklagte W. hat es pflichtwidrig<br />

unterlassen, den Vorstandsvorsitzenden und weitere Vorstandsmitglieder von dem Abrechnungsfehler in Kenntnis zu<br />

set-zen.<br />

Der Angeklagte W. erhebt u. a. die auf eine Verletzung von § 338 Nr. 2 i.V.m. § 22 Nr. 1 StPO gestützte Verfahrensrüge,<br />

wonach Richter der erkennenden Strafkammer von der Mitwirkung an der Entscheidung zwingend<br />

ausgeschlossen gewesen seien, weil sie als Berliner Mieter Ver-letzte im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO gewesen seien.<br />

2. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 hat Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof B. mitgeteilt, er wohne<br />

in Berlin als Mieter. Der nach der senatsinternen Geschäftsverteilung ferner zur Mitwirkung an der Ent-scheidung<br />

berufene Richter am Bundesgerichtshof S. hat mitgeteilt, er sei 2001/2002 in Berlin Mieter gewesen, sein Bruder<br />

indes Grundstücksei-gentümer. Die als Vertreterin von Richter am Bundesgerichtshof zur Mitwirkung berufene<br />

Richterin am Bundesgerichtshof Sc. hat mit-geteilt, sie sei ebenfalls Mieterin in Berlin.<br />

Im Hinblick auf die Selbstanzeigen dieser Richter hat der Senat ge-mäß § 30 StPO darüber zu entscheiden, ob die<br />

Richter kraft Gesetzes von der Mitwirkung an der Entscheidung über die Revisionen ausgeschlossen sind.<br />

3. Bezüglich Richter am Bundesgerichtshof S. liegt ein Aus-schlussgrund vor. Er ist in der Seitenlinie im ersten<br />

Grad mit einem Verletz-ten verwandt (§ 22 Nr. 3 StPO).<br />

Verletzter im Sinn von § 22 Nr. 1 StPO ist ein Richter, wenn er selbst oder ein Angehöriger im Sinne des § 22 Nr. 3<br />

StPO durch die Straftat, die Gegenstand des Verfahrens ist, persönlich unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist<br />

(BGHSt 51, 100, 109 f. m.w.N.).<br />

Dies ist im Tatzeitraum bei sämtlichen Grundstückseigentümern Berlins und somit auch bei dem Bruder des Richters<br />

S. der Fall. Gegen die Grundstückseigentümer wurden überhöhte Straßenreinigungsentgelte gel-tend gemacht und<br />

nachfolgend durchgängig erfüllt. Dadurch haben die Grundstückseigentümer jeweils einen Vermögensschaden in<br />

Höhe der sach-lich unbegründeten Reinigungskosten erlitten.<br />

4. Bezüglich Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof B. und Richterin am Bundesgerichtshof Sc.<br />

liegt indes kein Ausschluss-grund vor. Sie waren als Mieter nicht Adressaten der geltend gemachten Reinigungskosten.<br />

Sollten sie aufgrund mietvertraglicher Vereinbarungen verpflichtet gewesen sein, Straßenreinigungsentgelte als<br />

Mietnebenkosten dem Vermieter zu erstatten, läge lediglich eine mittelbare Beeinträchtigung ihres Vermögens vor,<br />

265


was die Annahme einer Verletzteneigenschaft noch nicht gestattet (vgl. <strong>zum</strong> spiegelbildlichen Fall mittelbar verminderter<br />

Ein-nahmen BGHSt 1, 298).<br />

StPO § 024 II Ablehnung der Richter des 1. StS wegen (überflüssiger) Ausführungen in Senatsentscheidung<br />

(„wenn die abgelehnten Richter dem Instanzgericht eine Beweiswürdigung ans Herz legen,<br />

der ein Denkfehler innewohnt“)<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – 1 StR 541/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 85<br />

Die Ausführung des Senats, bei Vermeidung der Rechtsfehler einer Beweiswürdigung hätte das<br />

Gericht möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen, steht einer unbefangenen Prüfung bei<br />

der neuerlichen Urteilsfindung nicht entgegen.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2008 be-schlossen:<br />

Die Befangenheitsanträge des Angeklagten vom 29. September 2008 ge-gen - den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof<br />

Nack, - den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, - den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kolz und<br />

- die Richterin am Bundesgerichtshof Elf werden als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Der Senat hat über eine Revision des Angeklagten zu entscheiden. Dieser meint, die Abgelehnten seien zu seinem<br />

Nachteil voreingenommen. Dies folge aus den Gründen einer ersten Revisionsentscheidung in dieser Sache, an der<br />

die abgelehnte Richterin und die abgelehnten Richter beteiligt waren.<br />

I. Das Landgericht Heilbronn sprach den Angeklagten mit Urteil vom 21. April 2006 vom Vorwurf des Mordes und<br />

des zweifachen Mordversuchs frei. Das landgerichtliche Urteil hob der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf die<br />

Revision der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 22. Mai 2007 4 mit den Fest-stellungen auf.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte mit der Sachrüge wegen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung Erfolg. Der<br />

Strafsenat führte dazu in sei-nem Urteil vom 22. Mai 2007 (Rdn. 17 bis 33) aus:<br />

„Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so<br />

ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht<br />

angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann<br />

etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung 'lebensfremd' erscheinen mag. Es gibt im Strafprozess keinen<br />

Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrschein-lichkeit<br />

eines Geschehensablaufs beruht.<br />

Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehler-haft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden<br />

Ansatz ausgeht, z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft<br />

ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht er-örtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze<br />

der Logik oder gesicherte Verfahrenssätze verstößt oder wenn an die zur Verurtei-lung erforderliche Gewissheit<br />

überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2005, 1727; BGH NStZ-RR 2003, 371;<br />

BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jew. m.w.N.).<br />

2. Das Landgericht hat umfänglich und detailliert eine Vielzahl den Angeklagten belastender Indizien sowie die ihn<br />

entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt. Die Abwägungen werden gleichwohl den vor-stehenden<br />

Grundsätzen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Strafkammer hat bei der Gesamtwürdigung wichtige belastende<br />

Indizien nicht hinreichend einbezogen, denen sie für sich gesehen keinen 'zwingenden' Beweiswert beigemessen<br />

hat (Buchst. a). Sie sieht erhebliche konkrete Verdachtsmomente aufgrund nicht tragfähiger Hypothesen und<br />

bloß denktheoretischer Möglichkeiten als entwertet an (Buchst. b). Einzelne belastende Beweisanzeichen hat sie<br />

überhaupt nicht erörtert (Buchst. c). Schließlich liegen Erörterungsmängel hinsichtlich entlastender Beweis-mittel<br />

vor (Buchst. d).<br />

a) Die Strafkammer hatte zu prüfen, ob die beiden die Tat überlebenden Opfer, H. C. und T. M. den Angeklagten<br />

überzeugungskräftig als Täter identifiziert haben. Sie kam - sachverständig beraten - jeweils zu dem Ergebnis, dass<br />

4 1 StR 582/06 (BGHNack: „Der Bäcker von Siegelsbach“)<br />

266


sie wegen verbleibender Zweifel nicht feststellen könne, die Zeugen hätten den Angeklagten 'sicher' als Täter erkannt.<br />

Sie hat damit zwei wesentliche Beweisanzeichen für die Täteridentifikation einzeln unter Zugrundelegung des<br />

Zweifelssatzes als letztlich nicht überzeugend erachtet. Der Zweifelssatz, der eine Entscheidungs- und keine Beweisregel<br />

ist, darf jedoch nicht auf einzelne Indiztatsachen angewen-det werden, sondern kann erst bei der Gesamtbetrachtung<br />

<strong>zum</strong> Tragen kommen (vgl. BGH NStZ 2001, 609 m.w.N.). Es ist deshalb zu besorgen, dass die Kammer<br />

nicht hinreichend bedacht hat, dass diese wichtigen Indizien, auch wenn sie sie - einzeln für sich betrachtet - nicht<br />

<strong>zum</strong> Nachweis der Täterschaft für ausreichend zu erachten vermochte, doch mit ihrem verbleibenden erheblichen<br />

Beweiswert in der Gesamtheit aller belastenden Indizien dem Gericht die entsprechende Überzeugung ver-mitteln<br />

könnten (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 20 m.w.N.). Gerade angesichts der Häufung und<br />

gegenseitigen Durchdrin-gung der den Angeklagten belastenden Umstände erscheint es möglich, dass die Kammer<br />

bei einer sachgerechten Gesamtschau die Überzeu-gung von der Täterschaft gewonnen hätte. Der formelhafte Hinweis,<br />

nach einer 'Auseinandersetzung mit allen für den Tathergang wesentlichen Umständen und Indizien' verblieben<br />

vernünftige Zweifel an der Täter-schaft des Angeklagten, vermag die gebotene Gesamtwürdigung unter Gewichtung<br />

der einzelnen Beweise nicht zu ersetzen (vgl. BGH NStZ 1998, 475).<br />

b) Das Landgericht lässt der molekulargenetisch untersuchten Blutspur aus dem Fahrzeug des Angeklagten insbesondere<br />

deshalb 'al-lenfalls Indizwirkung' zukommen, weil weder an den Kleidungsstücken des Angeklagten noch in<br />

seinem Fahrzeug weitere entsprechende Blut-spuren festgestellt wurden. Die Kammer stellt ihre Erwägung unter den<br />

Vorbehalt, dass die betroffenen Kleidungsstücke des Angeklagten gewa-schen oder beseitigt worden sein könnten.<br />

Entgegen ihrer Ankündigung (UA S. 97) ist sie auf diesen Vorbehalt aber nicht mehr eingegangen. Der Senat kann<br />

daher aufgrund dieser Lücke der Urteilsfeststellungen nicht prüfen, ob diese von der Strafkammer selbst als wesentlich<br />

angesehene Möglichkeit mit rechtsfehlerfreier Begründung ausgeschlossen wurde. Im Übrigen ändert die Tatsache,<br />

dass keine weiteren Blutspuren festgestellt wurden, grundsätzlich nichts an dem Beweiswert der tatsächlich<br />

gefun-denen Spur mit ihrem molekulargenetisch festgestellten Aussagewert.<br />

Weiterhin hat das Landgericht den Beweiswert des nach der Tat in einem Steinbruch abgebrannten Feuers in Frage<br />

gestellt, weil aus zeitli-chen Gründen erhebliche Zweifel daran bestünden, dass es dem Ange-klagten möglich gewesen<br />

sein könnte, das Feuer zu entzünden. Die Kammer hat sich jedoch bei dieser eher nachrangigen Frage den Blick<br />

dafür verstellt, dass in dem Brandschutt tatsächlich sowohl Reste von Gegenständen des Angeklagten als auch Reste<br />

eines Jagdgummistiefels der Marke Le Chameau gefunden wurden. Nimmt man hinzu, dass der Angeklagte zweimal<br />

ein Paar dieser wenig verbreiteten Stiefel erworben hatte, am Tattage Stiefel trug und dass die am Tatort gefundenen<br />

Ab-druckfragmente von einem Stiefel der Marke Le Chameau stammen, wird auch hier deutlich, dass gerade in der<br />

Kombination dieser einzelnen Fak-ten ein besonderer Beweiswert liegt. Dem hat die Kammer nicht hinrei-chend<br />

Rechnung getragen, indem sie isoliert auf die Einzelindizien abge-stellt hat. Wenn die Kammer im Übrigen angesichts<br />

des Umstandes, dass die Stiefelreste erst 13 Monate nach der Tat an der Brandstelle ge-funden wurden, die<br />

Gefahr einer Manipulation durch Dritte in Rechnung stellt, wird nicht erkennbar, warum es sich dabei um mehr als<br />

eine nur theoretische Erwägung handeln könnte, die keinen realen Anknüpfungs-punkt hat. Die Kammer stellt selbst<br />

fest (UA S. 166), dass der Stiefel verbrannt worden war, bevor die Öffentlichkeit über die Bedeutung von Stiefeln<br />

der Marke Le Chameau für das vorliegende Verfahren erfahren hatte.<br />

c) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf.<br />

Allerdings können und müssen die Gründe auch eines freispre-chenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen<br />

Umstand aus-drücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und<br />

insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter<br />

einzelner Beweisumstände erübrigt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Das Tatgericht hat<br />

vielmehr auf Freispruch erkannt, obwohl eine Fülle erheblicher Belastungsindizien vorlag. Bei solcher Sachlage<br />

muss es in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden<br />

Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH NStZ-RR 2002,<br />

338 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Ur-teil trotz der umfangreichen Beweiserwägungen nicht gerecht:<br />

Die Würdigung der Belastungsindizien erstreckt sich <strong>zum</strong> einen nicht auf den Umstand, dass der Angeklagte nach<br />

mehreren mit Nach-druck ausgesprochenen Mahnungen des Filialleiters der Volksbank selbst davon ausging, bis<br />

spätestens zu dem von ihm als 'Endtermin' an-gesehenen 7. Oktober 2004 - dem Tattag - eine größere Summe einzah-len<br />

zu müssen.<br />

Darüber hinaus ist nicht erkennbar in die Beweiswürdigung einbezogen, dass die Tatbeute 15 Scheine im Wert von<br />

je 500 € enthielt und der Angeklagte bei der Volksbank 14 Scheine in diesem Wert eingezahlt hat. Der Angeklagte<br />

will das eingezahlte Geld in nebenher durchgeführ-ten Schwarzgeldgeschäften - Verkauf von Wild und Ausschlach-<br />

267


tungsar-beiten auf einer staatlichen Liegenschaft - verdient haben. Es erscheint nicht ohne weiteres plausibel, dass er<br />

aus diesen Geschäften weit über-wiegend allein 500-Euro-Scheine erlangt hat.<br />

Nicht erörtert ist auch - gerade vor dem Hintergrund der von der Strafkammer erörterten These, ein Fremder hätte die<br />

Bank überfallen können -, dass es dem nicht maskierten Täter darum ging, die in der Bank anwesenden Personen zu<br />

töten, und er zu diesem Zweck sogar die Eheleute C. vom Eingangsbereich zurück in den Kundenraum drängte, um<br />

sie dort geradezu hinrichtungsartig zu töten. Dies legt den erörte-rungsbedürftigen Schluss sehr nahe, dass die Opfer<br />

den Täter gekannt haben und dieser von seiner Identifizierung ausgehen musste, wenn sie am Leben blieben.<br />

d) Von der Zuverlässigkeit der Aussage des Alibizeugen B. - dem zentralen Entlastungsbeweismittel - hat sich das<br />

Landgericht in einer für den Senat nicht nachprüfbaren Weise vorschnell überzeugt. Daher hat es auch dessen Zeitangabe<br />

bei der Abwägung mit den übrigen Beweis-anzeichen rechtsfehlerhaft als bereits feststehend behandelt.<br />

aa) Das Landgericht hält die Angabe des Zeugen B. für glaubhaft, er habe den Angeklagten mit seinem Fahrzeug um<br />

exakt 13.54 Uhr ge-sehen, als dieser - aus der L.gasse kommend - nach rechts stadtaus-wärts abgebogen sei. Die<br />

Zeitangabe habe der Zeuge deshalb so präzi-se machen können, weil er dabei von seinem Hofeingangsbereich aus<br />

auf die katholische Kirchturmuhr gesehen habe, die er immer kontrolliere. Wäre diese Zeitangabe des Zeugen auf die<br />

Minute genau zuverlässig, dann wäre es - wie das Landgericht ausgehend von dieser Prämisse zu Recht folgert - dem<br />

Angeklagten in der Tat zeitlich nicht möglich gewe-sen, vor dem Eintreffen der Eheleute C. um 13.55 Uhr die Bank<br />

zu betre-ten und es wäre auch ausgeschlossen, dass der Angeklagte zu dem da-vor liegenden Zeitpunkt, als der<br />

Bankangestellte M. die Bank betrat, schon an der Bank gewesen sein konnte.<br />

bb) Von dem Blick auf die Kirchturmuhr hat der Zeuge in der Hauptverhandlung berichtet, jedoch ergibt sich aus<br />

dem Urteil nicht, wie er sich dazu bei seinen polizeilichen Vernehmungen geäußert hatte. Das Landgericht bewertet<br />

die Aussageentstehung jedenfalls dahin, dass 'kei-ne gravierenden Widersprüche hinsichtlich seiner Angaben in der<br />

Haupt-verhandlung und bei seinen polizeilichen Vernehmungen' vorhanden sei-en.<br />

Ob diese Bewertung zutrifft, kann der Senat anhand der Ur-teilsausführungen (vgl. UA S. 144 ff.) nicht überprüfen:<br />

Bei seiner ersten Befragung am 8. Oktober 2004 (dem Tag nach der Tat) hatte der Zeuge offenbar nur bekundet, er<br />

sei 'kurz vor zwei' losgefahren; dass er den Angeklagten zuvor gesehen habe, scheint er nicht erwähnt zu haben ('Ansonsten<br />

sei ihm im Bereich der Sparkasse nichts aufgefallen.'). Bei der zweiten Vernehmung, am Vormittag des 9.<br />

Oktober 2004, berichtete er davon, den Angeklagten 'fünf bis sechs Minuten vor 14.00 Uhr' gese-hen zu haben. Bei<br />

seiner dritten Vernehmung, am Nachmittag dieses Tages, präzisierte er den Zeitpunkt auf 13.54 Uhr. Unklar bleibt<br />

danach, ob, wann und wie der Zeuge bei diesen polizeilichen Vernehmungen sei-ne Erinnerung mit dem Blick auf<br />

die Kirchturmuhr begründet oder den Zeitpunkt, zu dem er den Angeklagten sah, gar anderweitig rekonstruiert hat<br />

(etwa allein durch den mitgeteilten Blick auf die Küchenuhr um 13.45 Uhr).<br />

cc) Bei der zentralen Bedeutung der Aussage des Entlastungs-zeugen B. hätte die Aussageentstehung - offenbar von<br />

einer zunächst vagen zu einer schließlich ganz präzisen Zeitangabe - näherer Wieder-gabe und Erörterung bedurft.<br />

Es erscheint nämlich eher fern liegend, dass der zeitnah zur Tat vernommene Zeuge eine derart markante Besonderheit<br />

- wie den Kontrollblick auf die Kirchturmuhr - zunächst nicht erwähnt, obwohl es schon bei der ersten<br />

Befragung auf minutengenaue Zeitangaben angekommen war. Danach kommt ernsthaft in Betracht, dass der Zeuge,<br />

der sich darauf festgelegt hat, dass der Angeklagte nicht der Täter sein könne (UA S. 147), sich nicht konkret an die<br />

Uhrzeit erin-nert, sondern diesen Zeitpunkt lediglich rekonstruiert hat.<br />

Wegen dieses Erörterungsmangels besorgt der Senat, dass das Landgericht die - möglicherweise nur scheinbar präzise<br />

- Zeitangabe des Zeugen B. allein aufgrund dessen eigener Aussage, also vorschnell und damit rechtsfehlerhaft,<br />

als feststehenden zeitlichen Fixpunkt im Beweis-gebäude angesehen hat. Die Frage, ob die Zeitangabe des Zeugen B.<br />

zur Überzeugung des Landgerichts zuverlässig war, durfte vielmehr erst im Rahmen der abschließenden Gesamtschau<br />

mit den übrigen Beweisanzeichen beantwortet werden. Wäre dies geschehen, dann ist nicht auszuschließen,<br />

dass die Alibibekundung des Zeugen B. als nicht hinrei-chend zuverlässig eingestuft worden wäre. In diesem Fall<br />

wäre es dem Angeklagten zeitlich doch möglich gewesen, die Tat zu begehen.“<br />

Der Senat verwies die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart zurück. Dieses hat den Angeklagten<br />

nach erneuter Hauptverhandlung am 10. April 2008 wegen Mordes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung,<br />

mit zweifachem Mordversuch und mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe<br />

unter der Feststellung besonderer Schuldschwere verurteilt. Hiergegen revidiert nunmehr der Angeklagte.<br />

Darüber haben nach dem GVG, dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs und dem internen Geschäftsverteilungsplan<br />

des 1. Strafsenats im Grundsatz dieselben Richter zu befinden, die bereits die erste Revisionsentscheidung<br />

getroffen haben, soweit nicht Hinderungsgründe, wie etwa Eintritt in den Ruhestand, Urlaub oder Krankheit,<br />

<strong>zum</strong> Entscheidungszeitpunkt entgegenstehen. Nach dem Eintritt von Richter am Bundesgerichtshof Dr. Boetti-<br />

268


cher, der ebenfalls am Senatsurteil vom 22. Mai 2007 mitwirkte, in den Ruhestand sind dies aus gegenwärtiger Sicht<br />

die verbleibenden vier mit der Sache vorbefassten Senatsmitglieder, gegen die sich die Befangenheitsanträge richten.<br />

Hinzu tritt dann ein weiteres Senatsmitglied.<br />

II.<br />

Zur Besorgnis der Befangenheit wird vorgetragen:<br />

Als der Beschuldigte über die voraussichtliche Mitwirkung der vier vorbefassten Senatsmitglieder bei der Entscheidung<br />

über seine Revision erfahren habe, habe er dies mit der resignierenden Bemerkung quittiert, dass man deren<br />

Meinung dazu, ob er der Täter sei, doch bereits kenne. Dies wird von der Verteidigung dann mit der Bewertung der<br />

Beweiswürdigung des Landgerichts im Hinblick auf die Aussage des Zeugen B. im Urteil des Senats vom 22. Mai<br />

2007 begründet:<br />

Die Verteidigung habe zwar versucht, dem Angeklagten zu erklären, weshalb er - unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten<br />

- zu Unrecht über den Senat verärgert sei. Damit sei sie gescheitert. "Selbst wenn man es für zulässig<br />

hält, die Inhalte der" - im Rahmen von Verfahrensrügen dem Senat zur Kenntnis gebrachten - "polizeilichen Vernehmungen<br />

zu verwerten, ist es der Verteidigung nicht möglich, dem Angeklagten zu erklären, weshalb der Senat<br />

<strong>zum</strong> Befund kommen konnte, dass es bereits bei der ersten Befragung auf die minutenge-naue Zeitangabe (und den<br />

Blick auf die Kirchturmuhr) angekommen war (oben unter cc). Eine solche Bewertung stand dem Senat - als Revisionsge-richt<br />

- nicht zu. Sie ist überdies falsch". Nach weiteren Ausführungen hierzu kommt die Verteidigung zu dem<br />

Schluss: "Daher ist es dem Angeklagten nicht abzuspre-chen, dass er der Ansicht ist, die von ihm abgelehnten Richter<br />

seien ihm nicht mehr neutral entgegengetreten, sondern hätten sich bereits im ersten Revisi-onsverfahren festgelegt,<br />

dass der Zeuge B. nicht zu seiner Entlastung heran-zuziehen sei".<br />

Ergänzend führt die Verteidigung mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2008 im Hinblick auf die Stellungnahmen des<br />

Generalbundesanwalts vom 23. Okto-ber 2008 u.a. noch aus:<br />

"Hätten sich die abgelehnten Richter im Rahmen der ersten Revisionsentscheidung darauf beschränkt eine eigene<br />

Beweiswürdigung vorzunehmen, so wäre das sicherlich 'lediglich' ein Rechtsfehler. Hätten die abgelehnten Richter<br />

die Beweise zudem noch fehlerhaft gewürdigt, so könnte man auch insoweit noch daran denken, dass es 'nur' ein<br />

(tatsächlicher) Fehler ist.<br />

Diese Fehler bilden aber nur den Auftakt. Die Komposition erreicht ihren Höhepunkt, wenn die abgelehnten Richter<br />

dem Instanzgericht eine Beweiswürdigung ans Herz legen, der ein Denkfehler innewohnt. Ein Denkfehler, der nicht<br />

nur ein Fehler ist, sondern zeigt, welch Geistes Kind derjenige ist, der ihn for-muliert: Der Zeuge B. musste bei<br />

seiner ersten Aussage den Angeklagten nur dann mit dem Bankraub in Verbindung bringen, wenn er gewusst hätte<br />

oder davon ausgegangen wäre, dass der Angeklagte der Täter ist oder sein soll. Das konnte der Zeuge B. zu diesem<br />

Zeitpunkt aber nicht wissen. Ihm zuzu-schreiben, dass er es aber hätte wissen oder vermuten müssen, kann nur,<br />

wer selbst davon ausgeht, dass der Angeklagte der Täter ist".<br />

III.<br />

Die Befangenheitsanträge sind unbegründet. Es liegen keine Gründe vor, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit<br />

des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Nack, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl und<br />

Dr. Kolz sowie der Richterin am Bundesgerichtshof Elf zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).<br />

a) Eine den Verfahrensgegenstand berührende Vortätigkeit eines Rich-ters ist, soweit kein gesetzlicher Ausschließungsgrund<br />

vorliegt (vgl. § 22 Nr. 4, 5, § 23, § 148a Abs. 2 Satz 1 StPO), für sich allein nie ein Ablehnungsgrund<br />

(vgl. BGH, Beschl. vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99; BVerfG [1. Kammer des 2. Senats], Beschl. vom 29. März<br />

2007 - 2 BvR 412/07; EGMR [Fünfte Sektion, Kammer], Urt. vom 10. August 2006 - 75737/01 - Schwarzenberger<br />

./. Deutsch-land). Auch "ein Richter, der bei einer vom Revisionsgericht aufgehobenen Ent-scheidung mitgewirkt<br />

hat, ist nach Zurückweisung der Sache weder kraft Ge-setzes von der Mitwirkung bei der neuen Entscheidung ausgeschlossen,<br />

noch rechtfertigt seine Mitwirkung bei der früheren Entscheidung für sich allein die Ablehnung wegen<br />

Besorgnis der Befangenheit" (BGH, Urt. vom 9. September 1966 - 4 StR 261/66 [= BGHSt 21, 142]; vgl. auch<br />

EGMR, Urteile [Kammer] vom 16. Juli 1971 - Ringeisen ./. Österreich - Ser. A, Bd. 13, S. 40 Nr. 97 und vom 26.<br />

September 1995 - 25/1994/472/553 - Diennet ./. Frankreich - Ser. A, Bd. 325-A, S. 16, Nr. 38). Denn ein verständiger<br />

Angeklagter wird von der (zu-treffenden) Erwägung ausgehen, dass ein Richter sich auf Grund der ihm nach<br />

seiner Stellung, Erziehung und Ausbildung eigenen Haltung von Befangenheit frei hält und sich nicht durch dienstliche<br />

Vorentscheidungen bei künftigen Ent-scheidungen, namentlich dem Urteil, beeinflussen lässt (Siolek in Löwe/Rosen-berg,<br />

StPO 26. Aufl. § 24 Rdn. 40 m.w.N.). Ein Befangenheitsantrag, der ledig-lich damit begründet wird,<br />

der Richter sei an einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten beteiligt gewesen, ist deshalb schon unzulässig<br />

gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO (BGH, Beschl. vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05 [= BGHSt 50, 216, 221]).<br />

269


Hat sich ein Richter im früheren Verfahren sachlich verhalten, so recht-fertigen auch Prozessverstöße oder Fehler bei<br />

der Anwendung des materiellen Rechts grundsätzlich nicht die Annahme seiner Voreingenommenheit gegen-über<br />

dem Angeklagten (vgl. BGH, Beschl. vom 18. Mai 1994 - 3 StR 628/93).<br />

Eine andere Beurteilung ist dann geboten, wenn darüber hinaus die Un-parteilichkeit eines abgelehnten, mit der<br />

Sache vorbefassten Richters aufgrund von - das Gebot der Sachlichkeit verletzenden - Äußerungen, Maßnahmen<br />

oder Verhalten in Zweifel zu ziehen ist. Ebenso können in der Sache nicht gebotene abträgliche Werturteile über den<br />

Angeklagten oder sein Verhalten in den Ur-teilsgründen die Ablehnung in einem späteren Verfahren rechtfertigen<br />

(BGH, Beschl. vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72 [= BGHSt 24, 336, 338]). Auch gro-be, insbesondere objektiv<br />

willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Ver-fahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße<br />

gegen das Verfah-rensrecht können aus der Sicht eines Angeklagten die Befangenheit eines Rich-ters begründen<br />

(BGH, Beschl. vom 4. Oktober 1984 - 4 StR 429/84).<br />

Dabei ist die subjektive Sicht des Angeklagten nicht ausschlaggebend. Auf einen objektiven Maßstab kann nicht<br />

verzichtet werden, wie schon aus dem Begriff (das Misstrauen) "rechtfertigen" in § 24 Abs. 2 StPO folgt. Abzustellen<br />

ist auf die verständige, die vernünftige Würdigung aller Umstände (vgl. BGH, Urt. vom 9. Februar 1951 - 3 StR<br />

48/58 [= BGHSt 1, 34, 39]; BGH, Urt. vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66 [= BGHSt 21, 334, 341]). Es kommt<br />

darauf an, dass die Befürchtung [der Befangenheit] objektiv gerechtfertigt ist (EGMR [Fünfte Sektion, Kammer] Urt.<br />

vom 10. August 2006 - 75737/01 - Schwarzen-berger ./. Deutschland).<br />

b) Von diesen Grundsätzen geht wohl auch die Verteidigung aus. Damit ist aber selbst aus deren Sicht die Ablehnung<br />

der Senatsmitglieder, die an der ersten Revisionsentscheidung mitwirkten, wegen Besorgnis der Befangenheit<br />

nicht gerechtfertigt, wenn sie - zutreffend - anmerkt, unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten sei der Angeklagte<br />

zu Unrecht über den Senat verärgert. Dar-auf, dass dies dem Mandanten nicht zu vermitteln war, kommt es nicht an.<br />

c) Darüber hinaus kann den inhaltlichen Ausführungen zu den Gründen des Urteils des Senats vom 22. Mai 2007 und<br />

deren Bewertungen seitens der Verteidigung nicht gefolgt werden.<br />

Der Senat befand ausweislich dieser Urteilsgründe weder direkt noch indirekt, auch nicht andeutungsweise, über die<br />

Schuld oder Unschuld des Angeklagten. Ebenso wenig gab der Senat dem Tatgericht Hinweise, auch keine versteckten,<br />

dazu, ob oder in welchem Umfang die Angaben des Zeugen B. vom Tatrichter letztlich als zuverlässig angesehen<br />

werden können. Der Senat nahm weder eine eigene Beweiswürdigung vor, noch legte er dem neuen Tatgericht<br />

eine bestimmte Beweiswürdigung "ans Herz". Der Senat sah lediglich revisionsrechtliche Mängel in der<br />

Beweiswürdigung der Strafkammer. Diese sei schon deshalb lückenhaft, da sie wesentliche Indizien <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten außer Betracht gelassen habe. Unter Verkennung des Grundsatzes "in dubio pro reo" habe das<br />

Landgericht diesen schon auf einzelne belastende In-dizien angewendet, statt dies erst am Schluss einer Gesamtbetrachtung<br />

in Er-wägung zu ziehen. In der Konsequenz fehle es an einer Gesamtwürdigung aller für und gegen den<br />

Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. Die Strafkammer habe deshalb vorschnell allein auf die - den Angeklagten<br />

entlastende - Angabe des Zeugen B. <strong>zum</strong> genauen Zeitpunkt seiner Beobachtung des vorbeifah-renden Angeklagten<br />

abgestellt, die eine Täterschaft des Angeklagten aus-schließt. Dabei fehle es - eine weitere Lücke in der Beweiswürdigung<br />

- hinsicht-lich dieser Angaben an einer - revisionsrechtlicher Überprüfung zugänglichen - Darstellung<br />

der Aussageentwicklung während des Verfahrens - "offenbar von einer zunächst vagen zu einer schließlich<br />

ganz präzisen Zeitangabe" -, die e-benfalls in die Gesamtwürdigung hätte einbezogen werden müssen. Diese Erwägungen<br />

des Senats sind weder fehlerhaft, beinhalten insbesondere keinen "Denkfehler", noch ist dem Senat ein<br />

Irrtum unterlaufen und schon gar nicht hat der Senat eine "Komposition" gefertigt.<br />

Vielmehr irrt der Antragsteller, wenn er meint, den Gründen des Senats-urteils entnehmen zu können, der Senat habe<br />

festgeschrieben, die Zeitangabe des Zeugen B. in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Heilbronn sei unzuverlässig.<br />

Zwar führte der Senat aus, es erscheine fern liegend, dass der kurz nach der Tat vernommene Zeuge eine<br />

derart markante Besonderheit - wie den Kontrollblick auf die Kirchturmuhr - zunächst nicht erwähnt, obwohl es<br />

schon bei der ersten Befragung auf minutengenaue Zeitangaben angekommen sei, und es komme deshalb ernsthaft in<br />

Betracht, dass der Zeuge, da er sich nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn darauf festgelegt<br />

habe, dass der Angeklagte nicht der Täter sein könne, sich nicht konkret an die Uhrzeit erinnert, sondern diesen Zeitpunkt<br />

lediglich rekonstruiert habe. Damit hat der Senat aber nicht "festgelegt, dass der Zeuge B. nicht zu seiner<br />

[des Angeklagten] Entlastung heranzuziehen sei". Der Senat hatte lediglich zu prü-fen, ob das Urteil des Landgerichts<br />

Heilbronn - ausgehend von den darin getrof-fenen Feststellungen - auf der fehlerhaften Beweiswürdigung<br />

beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), d.h. ob das Landgericht Heilbronn bei Vermeidung der Rechts-fehler möglicherweise<br />

eine andere Entscheidung getroffen hätte. Und das komme - so der Senat - "ernsthaft in Betracht". Mehr beinhaltet<br />

diese Passage nicht. Sie steht insbesondere einer unbefangenen Prüfung bei der neuerlichen Urteilsfindung nicht<br />

entgegen.<br />

270


d) Die Befangenheitsanträge sind nach allem unbegründet.<br />

StPO § 024 II, § 136a, StPO § 337, StPO § 345 I, EMRK Art 6 I 1 Keine Ablehnungsrüge nach Dealgesprächen<br />

BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 3 StR 431/08 - StV <strong>2009</strong>, 171<br />

Eine allgemein auf die Verletzung des fairen Verfahrens gestützte Rüge kommt nicht in Betracht,<br />

wenn der Richter, der bei den Gesprächen über die einvernehmliche Verfahrensbeendigung unzulässigen<br />

Druck ausübte, bereits in der Tatsacheninstanz wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt<br />

werden und nach Zurückweisung des Ablehnungsantrags der absolute Revisionsgrund des §<br />

338 Nr. 3 StPO geltend gemacht oder gegebenenfalls die Unverwertbarkeit seines unter Druck zustande<br />

gekommenen Geständnisses gerügt werden konnte.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 20. Juni 2008 werden als unbegründet<br />

ver-worfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisions-rechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Angeklag-ten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines<br />

Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Die - nicht zulässig ausgeführte (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen<br />

Verfahrens im Rahmen der verfah-rensbeendenden Absprache könnte auch in der Sache keinen Erfolg haben. Auf<br />

der Grundlage des von ihm behaupteten Verfahrensgeschehens konnte der Revisionsführer nach deutschem Strafprozessrecht<br />

entweder den Richter, der bei den Gesprächen über die einvernehmliche Verfahrensbeendigung unzulässigen<br />

Druck ausübte, bereits in der Tatsacheninstanz wegen Besorgnis der Be-fangenheit (§ 24 Abs. 2 StPO) ablehnen<br />

(vgl. BGH NStZ 2005, 526; BVerfG, Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 799/05) und nach Zurückweisung<br />

des Ablehnungsantrags den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO gel-tend machen oder gegebenenfalls<br />

die Unverwertbarkeit seines unter Druck zu-stande gekommenen Geständnisses rügen (§§ 136 a, 337 StPO).<br />

Daneben kommt eine allgemein auf die Verletzung des fairen Verfahrens gestützte Rüge nicht in Betracht.<br />

Die beiden weiteren von dem Angeklagten G.<br />

erhobenen Ver-fahrensrügen sind ebenfalls nicht in der<br />

Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben und deshalb unzulässig. Soweit sein Verteidiger mit der Gegenerklärung<br />

nach § 349 Abs. 3 StPO und damit nach Ablauf der Revisionsbegrün-dungsfrist - teilweise - den Formerfordernissen<br />

genügt hat, ändert das an der Unzulässigkeit der Rügen nichts. Denn die gesamte Revisionsbegründung ist<br />

innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO anzubringen; ein Nachschieben von Vortrag zur Begründung bereits erhobener<br />

Verfahrensbeanstandungen ist nicht möglich (Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 66).<br />

StPO § 024, § 26a I Nr. 1, StPO § 27 Unverzügliches Ablehnungsgesuch<br />

BGH, Beschl. v. 27.08.2008 – 2 StR 261/08 - wistra 2008, 473; NStZ <strong>2009</strong>, 223<br />

Die Erwägung des Gerichts, ein Ablehnungsgesuch sei nicht unverzüglich, weil der Angeklagte nach<br />

Kenntnis von dem Ablehnungsgrund vor weiteren Beweiserhebungen eine Unterbrechung der<br />

Hauptverhandlung hätte beantragen müssen, um sich sein weiteres Vorgehen zu überlegen und sich<br />

mit seinem Verteidiger zu beraten, ist durchaus erwägenswert und keinesfalls grob fehlerhaft.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 9. Oktober 2007 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben hat.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Urteil der Kammer vom 11. Mai 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte<br />

271


Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Juli 2008 offensichtlich<br />

unbegründet. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:<br />

1. Ein Verfahrenshindernis bestand nicht. Das Urteil des Landgerichts vom 11. Mai 2006 führte nicht zu einem<br />

Strafklageverbrauch, da die diesem zu Grunde liegende Straftat mit der hier abgeurteilten Straftat nicht identisch ist.<br />

Gegenstand des jetzigen Verfahrens ist ein Handelsgeschäft des Angeklagten mit 100 g Kokain, das er am 30. April<br />

2005 aus den Beständen der Bande um den gesondert abgeurteilten W. erhalten hatte. Dagegen bezog sich<br />

die Verurteilung vom 11. Mai 2006 ausschließlich auf ein Handeltreiben mit den in dem Garagendepot des Angeklagten<br />

nach dessen Festnahme am 17. Juni 2005 aufgefundenen 1.360,6 g Amfetaminzubereitung, 4.096 Ecstasytabletten<br />

und 28 g MDE-Base.<br />

Die beiden Handelsgeschäfte sind auch nicht durch eine <strong>zum</strong>indest teilweise identische Ausführung zu einer Tat<br />

verbunden. Zwar hat der Angeklagte am 22. Mai 2005 eine Teilmenge von 60 g des am 30. April 2005 bezogenen<br />

Kokains an die Bande zurückgegeben. Am selben Tag hat er 3 kg Amfetamin aus den Beständen der Bande erhalten.<br />

Es ist aber schon nicht ersichtlich, dass es sich bei diesem Amfetamin noch um dasselbe handelte, das sich bei der<br />

Festnahme des Angeklagten in seinem Garagendepot befand und das Gegenstand seiner Verurteilung vom 11. Mai<br />

2005 war. Hiergegen spricht, dass nach den Feststellungen des Urteils vom 11. Mai 2005 die dort gegenständlichen<br />

Betäubungsmittel "am oder zeitnah vor dem 17. Juni 2005" in das Depot verbracht worden sind. Von einer zeitlichen<br />

Nähe zu diesem Datum kann bezüglich des Erwerbs am 22. Mai 2005 jedoch nach allgemeinem Sprachverständnis<br />

nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Zudem bezog der Angeklagte in kurzen Zeitabständen größere Mengen an<br />

Betäubungsmitteln; so hatte er aus den Beständen der Bande bereits am 18. Mai 2005 ein Kilogramm Amfetamin<br />

erhalten. Dies lässt es als nahe liegend erscheinen, dass die bei dem Angeklagten nach dessen Festnahme am 17. Juni<br />

2005 sichergestellten Drogen nicht noch aus der Lieferung vom 22. Mai 2005, sondern vielmehr aus einer späteren<br />

Lieferung stammten.<br />

Das kann letztlich jedoch dahinstehen, da es jedenfalls an der von der Revision behaupteten Verknüpfung der Handelsgeschäfte<br />

durch einen einheitlichen Zahlungsvorgang mangelt. Entgegen der in der Hauptverhandlung als Einlassung<br />

des Angeklagten verlesenen Verteidigererklärung ist die Kammer zu Recht nicht von einer Anrechnung des am<br />

22. Mai 2005 zurückgegebenen Kokains auf den Kaufpreis für das am selben Tag bezogene Amfetamin ausgegangen.<br />

Dies folgt aus den von dem gesondert abgeurteilten S. für die Bande gefertigten Handelsaufzeichnungen.<br />

In diesen ist vermerkt, dass der Angeklagte am 22. Mai 2005 60 g Kokain zurückgegeben hat. Unmittelbar unterhalb<br />

dieser Zeile findet sich der Hinweis "Ich habe die Schulden beglichen 2.400". Welche Schulden der Angeklagte<br />

damit beglichen hat, wird aus den Aufzeichnungen nicht ersichtlich. Jedenfalls kann es sich nicht um Schulden aus<br />

dem am selben Tag, aber zeitlich später erfolgten Amfetamingeschäft gehandelt haben; erst in der darauf folgenden<br />

Zeile der Aufzeichnungen ist nämlich vermerkt, dass an den Angeklagten 3 kg Speed zu je 1.500, insgesamt 4.500,<br />

abgegeben wurden.<br />

Eine weitere Aufklärung dieser Umstände war weder möglich noch veranlasst. Insbesondere konnte der im übrigen<br />

schweigende Angeklagte nicht darauf vertrauen, die Kammer werde seiner von seinem Verteidiger für ihn abgegebenen<br />

Einlassung uneingeschränkt folgen, <strong>zum</strong>al er nicht bereit war, Nachfragen des Gerichts <strong>zum</strong> Inhalt seiner Erklärung<br />

zu beantworten.<br />

2. Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO durch eine fehlerhafte<br />

Verwerfung seines Ablehnungsgesuchs vom 10. November 2006 rügt, dringt ebenfalls nicht durch. Dem lag folgendes<br />

Verfahrensgeschehen zu Grunde:<br />

a) Im Hauptverhandlungstermin vom 9. November 2006 beantragte der Verteidiger des Angeklagten, vor der Vernehmung<br />

eines Belastungszeugen zunächst die Akten aus sämtlichen gegen diesen Zeugen geführten Ermittlungsverfahren<br />

beizuziehen. Nach Ablehnung des Antrags begann die Vorsitzende mit der Vernehmung des Zeugen, die um<br />

11.30 Uhr unterbrochen und auf einen späteren Verhandlungstermin verlegt wurde. Nach der Vernehmung eines<br />

weiteren Zeugen wurde die Hauptverhandlung um 11.55 Uhr beendet und Termin zur Fortsetzung auf den 10. November<br />

2006, 9.30 Uhr, bestimmt. Mit einem am 10. November 2006 um 8.59 Uhr bei Gericht eingegangenen Faxschreiben<br />

lehnte der Angeklagte die Vorsitzende Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Er stützte die<br />

Ablehnung auf die unterlassene Beiziehung der den Belastungszeugen betreffenden Ermittlungsakten und berief sich<br />

zudem auf weitere Gründe, die jedoch in seinem schriftlichen Ablehnungsgesuch nicht eindeutig spezifiziert sind.<br />

Unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin verwarf die Kammer das Gesuch als unzulässig, da es nicht unverzüglich<br />

angebracht worden sei.<br />

b) Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch des Angeklagten im Ergebnis zu Recht verworfen. Dabei kann hier<br />

offen bleiben, ob die Kammer das Ablehnungsgesuch gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 1 StPO unter Mitwirkung der abgelehnten<br />

Vorsitzenden zu Recht als unzulässig weil verspätet zurückgewiesen hat.<br />

272


Zwar ist in Fällen, in denen das Gericht über ein Ablehnungsgesuch in falscher Besetzung entschieden hat und dadurch<br />

das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist, allein deswegen<br />

der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben (BVerfG NJW 2005, 3410, 3413 f.; StraFo 2006, 232,<br />

236; BGHSt 50, 216, 219; NStZ 2007, 161, 162). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn ein Verstoß gegen<br />

die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26 a, 27 StPO führt nicht stets, sondern nur dann zu einer Verletzung von Art.<br />

101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Vorschriften willkürlich angewendet werden, der abgelehnte Richter sich mithin<br />

<strong>zum</strong> "Richter in eigener Sache" macht, oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie<br />

verkennt. Dagegen liegt bei einer "nur" schlicht fehlerhaften Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften<br />

ein Verfassungsverstoß nicht vor (vgl. BVerfG aaO.).<br />

Erfolgt wie hier die Verwerfung allein aus formalen Erwägungen, wurden die Ablehnungsgründe aber nicht inhaltlich<br />

geprüft, ist daher danach zu differenzieren, ob die Entscheidung des Gerichts auf einer groben Missachtung oder<br />

Fehlanwendung des Rechts beruht, ob also Auslegung und Handhabung der Verwerfungsgründe nach § 26 a Abs. 1<br />

StPO offensichtlich unhaltbar oder aber lediglich schlicht fehlerhaft sind (BGHSt 50, 216, 219 f.). In letzterem Fall<br />

entscheidet das Revisionsgericht nach Beschwerdegrundsätzen sachlich über die Besorgnis der Befangenheit (BGH<br />

NStZ 2007, 161, 162; NStZ-RR 2008, 246, 247).<br />

Eine grob fehlerhafte, Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkennende Anwendung des § 26 a<br />

Abs. 1 StPO lag hier nicht vor. Die Rechtsansicht der Kammer, das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende sei<br />

hier verspätet angebracht worden und deshalb unzulässig, beruht - falls überhaupt - jedenfalls nicht auf einer groben<br />

Missachtung oder Fehlanwendung des Rechts. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO verlangt, dass eine Ablehnung unverzüglich<br />

geltend zu machen ist. An die Auslegung des Begriffs "unverzüglich" ist im Interesse einer zügigen Durchführung<br />

des Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGHSt 21, 334, 339; BGH NStZ 1993, 141; StV 1995,<br />

396). Die Ablehnung muss zwar nicht "sofort", aber "ohne schuldhaftes Verzögern", d.h. ohne unnötige, nicht durch<br />

die Sachlage begründete Verzögerungen geltend gemacht werden. Durch die Sachlage begründet ist eine Verzögerung,<br />

die dadurch entsteht, dass der Antragsteller, nachdem er Kenntnis vom Ablehnungsgrund erlangt hat, eine<br />

gewisse Zeit <strong>zum</strong> Überlegen und <strong>zum</strong> Abfassen des Gesuchs benötigt. Welche Zeitspanne dafür zuzubilligen ist,<br />

hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.<br />

Hier war dem Angeklagten die Ablehnung seines Beweisermittlungsantrags - auf die er sein späteres Ablehnungsgesuch<br />

gründete - bereits vor Vernehmung des Belastungszeugen bekannt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

durfte der Angeklagte die Vernehmung dieses und eines weiteren Zeugen abwarten und nach entsprechender<br />

Überlegungszeit sein Ablehnungsgesuch noch am Folgetag vor Beginn der fortgesetzten Hauptverhandlung<br />

rechtzeitig anbringen (so BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 und zuletzt Beschl. vom 10. Juni 2008 - 5 StR<br />

24/08). Gleichwohl ist auch die dem Verwerfungsbeschluss des Landgerichts offensichtlich zu Grunde liegende<br />

Auffassung, der Angeklagte hätte nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund vor weiteren Beweiserhebungen eine<br />

Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragen müssen, um sich sein weiteres Vorgehen zu überlegen und sich mit<br />

seinem Verteidiger zu beraten (vgl. dazu BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 5), durchaus erwägenswert und<br />

keinesfalls grob fehlerhaft.<br />

Die dem Senat damit eröffnete Prüfung des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerdegrundsätzen ergibt keine die Besorgnis<br />

der Befangenheit rechtfertigende Einstellung der abgelehnten Richterin. Die von der Kammer bestätigte<br />

Entscheidung der Vorsitzenden Richterin, nicht sämtliche den Belastungszeugen betreffenden Ermittlungsakten vor<br />

seiner Vernehmung beizuziehen, war ersichtlich nicht geeignet, Misstrauen in ihre Unvoreingenommenheit dem<br />

Angeklagten gegenüber zu begründen. Vielmehr handelte es sich insoweit um eine im Rahmen der Durchführung der<br />

Beweisaufnahme vertretbare Entscheidung, die keine Rückschlüsse auf die innere Einstellung der abgelehnten Richterin<br />

erlaubte.<br />

StPO § 024, 273 I Weigerung des Vorsitzenden, mündlich vorgetragenen Ablehnungsgründe in Protokoll<br />

aufzunehmen<br />

BGH, Beschl. v. 12.12.2008 – 2 StR 479/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 142; StraFo <strong>2009</strong>, 145<br />

Die Weigerung des Vorsitzenden, die mündlich vorgetragenen Ablehnungsgründe in das Hauptverhandlungsprotokoll<br />

aufzunehmen, entspricht der Rechtslage; gem. § 273 Abs. 1 StPO wird bei ei-<br />

273


nem mündlich in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsgesuch lediglich der Antrag protokolliert.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Gera vom 3. Juni 2008, soweit es ihn betrifft,<br />

im Aus-spruch über den Verfall von Wertersatz mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-wiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Be-täubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

20 Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen<br />

unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen tateinheitlich begangener Ausübung der tatsächlichen<br />

Gewalt über eine Schusswaffe und eine verbotene Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt<br />

und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat seine Unterbringung in einer Entzie-hungsanstalt bei Vorwegvollzug<br />

eines Teils der Strafe angeordnet. Ferner hat es auf den Verfall von Wertersatz in Höhe von 246.430 Euro erkannt.<br />

Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge ge-stützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel<br />

hat in dem aus der Be-schlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet<br />

im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Befangenheitsrügen (§ 338 Nr. 3 StPO) greifen nicht durch. Das gilt auch für das am 6. Mai 2008 von Rechtsanwalt<br />

M. -M. gestellte Ableh-nungsgesuch.<br />

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Im Fortset-zungstermin am 6. Mai 2008 ist der Zeuge U.<br />

vernommen worden. Zu Beginn haben die Verteidiger des Angeklagten angeregt, den Zeugen gemäß § 55 StPO zu<br />

belehren. Nach dem Vortrag der Revision ist der Vorsitzende dem nicht sofort nachgekommen. Nach einem Disput<br />

über die Form des dieserhalb angekündigten Ablehnungsgesuchs hat Rechtsanwalt M. -M. mündlich einen<br />

Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden der erkennenden Strafkam-mer gestellt. Unter dessen Mitwirkung hat die<br />

Kammer das Ablehnungsgesuch am 19. Mai 2008 als unzulässig verworfen, weil es ohne Rücksprache mit dem<br />

Angeklagten angebracht worden sei.<br />

b) Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch des Angeklagten im Er-gebnis zu Recht verworfen. Dabei kann hier<br />

offen bleiben, ob die Kammer den Antrag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden mit Recht als unzulässig<br />

behandelt hat.<br />

aa) Zwar ist in Fällen, in denen das Gericht über ein Ablehnungsgesuch in falscher Besetzung entschieden hat und<br />

dadurch das Recht auf den gesetzli-chen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist, allein deswegen<br />

der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben (BVerfG NJW 2005, 3410, 3413 f.; StraFo 2006,<br />

232, 236; BGHSt 50, 216, 219; NStZ 2007, 161, 162). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn ein Verstoß<br />

gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26 a, 27 StPO führt nicht stets, sondern nur dann zu einer Verletzung von<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Vorschriften willkürlich angewendet werden, der abgelehnte Richter sich mithin<br />

<strong>zum</strong> "Richter in eigener Sache" macht, oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der<br />

Verfassungsgarantie verkennt. Dagegen liegt bei einer "nur" schlicht fehlerhaften Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften<br />

ein Verfas-sungsverstoß nicht vor (vgl. BVerfG aaO).<br />

Erfolgt wie hier die Verwerfung allein aus formalen Erwägungen, wurden die Ablehnungsgründe aber nicht inhaltlich<br />

geprüft, ist daher danach zu diffe-renzieren, ob die Entscheidung des Gerichts auf einer groben Missachtung<br />

oder Fehlanwendung des Rechts beruht, ob also Auslegung und Handhabung der Verwerfungsgründe offensichtlich<br />

unhaltbar oder aber lediglich schlicht feh-lerhaft sind (BGHSt 50, 216, 219 f.). In letzterem Fall entscheidet das<br />

Revisi-onsgericht nach Beschwerdegrundsätzen sachlich über die Besorgnis der Be-fangenheit (BGH NStZ 2007,<br />

161, 162; NStZ-RR 2008, 246, 247; Beschl. vom 27. August 2008 - 2 StR 281/08).<br />

bb) Eine grob fehlerhafte Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkennende Anwendung des<br />

Befangenheitsrechts lag hier nicht vor. Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob die Begründung des Landgerichts zutrifft;<br />

jedenfalls ist sie nicht willkürlich. Nach dem vorgetragenen Verfahrens-ablauf schloss sich - wie die Kammer<br />

in dem Verwerfungsbeschluss näher aus-führt - der Befangenheitsantrag unmittelbar einem Disput mit dem Vorsitzenden<br />

an. Eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten sei "erkennbar nicht erfolgt". Auch wenn in der<br />

Regel anzunehmen ist, dass der Verteidiger ein Ab-lehnungsgesuch im Namen des Angeklagten anbringt (Meyer-<br />

Goßner StPO 51. Aufl. § 24 Rdn. 20), kann die Begründung der Strafkammer hier nach dem Verfahrensablauf nicht<br />

als willkürlich bezeichnet werden.<br />

274


Die dem Senat damit eröffnete Prüfung des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerdegrundsätzen ergibt keine die Besorgnis<br />

der Befangenheit rechtferti-gende Einstellung des abgelehnten Richters. Über die Frage, wann ein Zeuge<br />

gemäß § 55 Abs. 2 StPO zu belehren ist, entscheidet - jedenfalls zunächst - der Vorsitzende im Rahmen der ihm<br />

gemäß § 238 Abs. 1 StPO obliegenden Sach-leitung nach pflichtgemäßem Ermessen; derartige Maßnahmen vermögen<br />

grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO zu begründen (vgl. Meyer-Goßner<br />

aaO § 24 Rdn.17 f.; § 55 Rn. 14 f.; § 238 Rdn. 5); für ein sachwidriges Hinauszögern der Belehrung gibt der Revisions-vortrag<br />

schon deshalb nichts her, weil er eine gegen den Zeugen bestehende Verdachtslage nicht vorträgt.<br />

Die Weigerung des Vorsitzenden, die mündlich vorgetragenen Ableh-nungsgründe in das Hauptverhandlungsprotokoll<br />

aufzunehmen, entspricht der Rechtslage; gemäß § 273 Abs. 1 StPO wird bei einem mündlich in der Hauptverhandlung<br />

gestellten Ablehnungsgesuch lediglich der Antrag protokolliert (KK-Fischer StPO 6. Aufl. § 24 Rdn. 2).<br />

2. Die Anordnung des Wertersatzverfalls in Höhe von 246.430 Euro hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 21. Oktober 2008 ausgeführt:<br />

"Die Nichtanwendung der Härtevorschrift des § 73 c StGB indessen ist nicht nachvollziehbar begründet. Zwar hat<br />

die Kammer die Höhe des Erlangten im Sinne des § 73 a StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Das Gericht kommt<br />

außerdem in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, dass von dem Erlangten nur noch der PKW Volvo V<br />

40 vorhanden ist (UA S. 27), so dass es zu Recht geprüft hat, ob die Anordnung nach § 73 c Abs. 1 StGB unterbleiben<br />

konnte. Indessen ermöglichen die Urteilsgründe nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung, ob das Landgericht<br />

den Begriff der unbilligen Härte nach § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB richtig angewandt und sein Ermessen nach § 73 c<br />

Abs. 1 Satz 2 StGB fehlerfrei ausgeübt hat. Der Angeklagte verfügte vor seiner Fest-nahme über ein Nettoeinkommen<br />

von 690 Euro (UA S. 4). Soweit aus den Feststellungen im Urteil ersichtlich, waren außer dem PKW keine<br />

Vermögens-werte vorhanden. Der Angeklagte gewärtigt die Verbüßung einer langjährigen Freiheitsstrafe. Angesichts<br />

dessen dürfte sich seine Vermögenslage in abseh-barer Zeit nicht verbessern, jedenfalls aber verhält sich das<br />

Urteil dazu nicht. Bei dieser Sachlage kommt es entscheidend darauf an, wie sich die Anordnung konkret auf sein<br />

Vermögen auswirkt. Dazu enthält das Urteil keine Feststellun-gen (vgl. BGHR StGB § 73 c Härte 3). Auch hat das<br />

Landgericht nicht in seine Erwägung einbezogen, ob eine Zahlungsverpflichtung von über 246.000 Euro im konkreten<br />

Fall möglicherweise die Resozialisierung nach einer Haftentlas-sung erschwert (BGH NStZ-RR 2003, 75)."<br />

Dem tritt der Senat bei, weil er nicht ausschließen kann, dass der Tat-richter bei rechtsfehlerfreier Ermessensausübung<br />

nicht auf den vollen Verfalls-betrag erkannt hätte (vgl. auch BGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 - 4 StR<br />

153/08).<br />

StPO § 052 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1, § 154 Abs. 1 und 2<br />

BGH, Beschl. v. 30.04.<strong>2009</strong> – 1 StR 745/09<br />

LS:<br />

Das Zeugnisverweigerungsrecht, das der Angehörige eines Beschuldigten im Verfahren gegen einen<br />

Mitbeschuldigten hat, erlischt, wenn das gegen den an-gehörigen Beschuldigten geführte Verfahren<br />

rechtskräftig abgeschlossen wird, auch bezüglich solcher Tatvorwürfe, hinsichtlich deren das Verfahren<br />

gemäß § 154 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (im Anschluss an BGHSt 38, 96<br />

sowie BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 7 und 9).<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. April <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13. August 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Augsburg hat den Angeklagten wegen Umsatzsteuer-hinterziehung in neun Fällen und wegen versuchter<br />

Umsatzsteuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die<br />

Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist aus den Gründen der<br />

Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedürfen<br />

ledig-lich die Verfahrensrügen, mit denen der Beschwerdeführer die Verletzung von § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1<br />

StPO und von § 252 StPO geltend macht.<br />

275


1. Zum Verfahrensablauf trägt die Revision folgendes vor:<br />

Das Ermittlungsverfahren habe sich zunächst gegen den Angeklagten und die damaligen Mitbeschuldigten Z. und<br />

B., den Neffen Z. s, gerichtet. Gegen diese drei Personen habe die Staatsanwaltschaft am 2. Mai 2006 Anklage<br />

<strong>zum</strong> Landgericht Augsburg erhoben, das mit Beschluss vom 31. Juli 2006 das Hauptverfahren eröffnet habe. Bereits<br />

am ersten Hauptver-handlungstag sei das Verfahren gegen den Angeklagten abgetrennt und aus-gesetzt worden,<br />

nachdem Z. und B. - im Gegensatz <strong>zum</strong> nicht ge-ständigen Angeklagten - eine geständige Einlassung<br />

angekündigt hätten. Nach Teileinstellung des Verfahrens durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO seien<br />

mit Urteil vom 23. Oktober 2006 Z. wegen Umsatzsteuerhin-terziehung in drei Fällen (betreffend die Umsatzsteuerjahreserklärungen<br />

2000 bis 2002) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und B. wegen Beihilfe<br />

zur Umsatzsteuerhinterziehung (betreffend die Umsatzsteuer-voranmeldungen für die Monate Juni bis November<br />

2003) zu einer zur Bewäh-rung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.<br />

Beide Verurteilungen seien rechtskräftig; B. habe auf Rechtsmittel verzichtet, die von Z. eingelegte Revision<br />

sei am 12. September 2007 vom Bundesgerichtshof verworfen worden.<br />

In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten seien dann Z. und B. am 11. August 2008 als Zeugen<br />

vernommen worden, dabei auch zu Tatvorwürfen, die in ihren eigenen Verfahren von der Verfahrenseinstellung<br />

gemäß § 154 Abs. 2 StPO erfasst worden seien. Eine Belehrung von Z. und B. über ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO sei dabei nicht erfolgt.<br />

In derselben Hauptverhandlung habe das Landgericht auch den Zeugen K. , einen Sohn Z. s, vernommen.<br />

Auch er sei nicht über ein Zeug-nisverweigerungsrecht belehrt worden. Zwar habe er umfassend von seinem Auskunftsverweigerungsrecht<br />

nach § 55 StPO Gebrauch gemacht. Das Land-gericht habe jedoch seine Angaben aus<br />

einer Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung der Vernehmungsbeamten der Steuerfahndung<br />

in die Hauptverhandlung eingeführt und zur Verurteilung des Ange-klagten herangezogen.<br />

2. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass die Angaben der Zeu-gen Z. und B. im Verfahren gegen<br />

den Angeklagten nicht verwertbar seien, weil ihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden habe, über das sie<br />

entgegen § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht belehrt worden seien. Zwar sei der Angeklagte mit diesen Personen nicht<br />

verwandt; den Zeugen habe jedoch un-tereinander wegen ihres Verwandtschaftsverhältnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zugestanden. Im Hinblick auf die frü-here prozessuale Gemeinsamkeit<br />

habe dieses Zeugnisverweigerungsrecht trotz Verfahrensabtrennung auch im Verfahren gegen den Angeklagten<br />

bestanden. Dieses Recht sei auch nicht hinsichtlich solcher Tatvorwürfe erloschen, hinsicht-lich deren die Strafverfahren<br />

gegen Z. und B. zuvor gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden seien. Im Hinblick auf die<br />

Möglichkeit der Wie-deraufnahme entfalte diese Einstellung - anders als eine rechtskräftige Verurtei-lung oder ein<br />

rechtskräftiger Freispruch - nur eine beschränkte Sperrwirkung und führe deshalb nicht zu einem Erlöschen des<br />

Zeugnisverweigerungsrechts. Der Verwertung der Angaben der Vernehmungsbeamten der Steuerfahndung als Zeugen<br />

in der Hauptverhandlung stehe gemäß § 252 StPO ebenfalls ein Beweisverwertungsverbot entgegen, soweit<br />

durch deren Vernehmung die An-gaben des Zeugen K. in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, die<br />

er als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren gemacht habe. Der Verwertung stehe entgegen, dass der Zeuge K.<br />

damals nicht über sein Zeugnisver-weigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO belehrt worden sei. Die Verurteilung<br />

des Angeklagten beruhe auf diesen Verfahrensverstößen, denn die Straf-kammer habe ihre Überzeugung von<br />

der Schuld des Angeklagten auch auf die-se Zeugenaussagen gestützt.<br />

3. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg; sie sind jedenfalls unbe-gründet. Das Landgericht hat bei den Zeugen<br />

Z. und B. nicht gegen die Belehrungspflicht aus § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO verstoßen und war auch nicht<br />

nach § 252 StPO gehindert, die von dem Zeugen K. im Ermitt-lungsverfahren gemachten Angaben durch<br />

Vernehmung der damaligen Ver-nehmungsbeamten in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar waren die Zeu-gen<br />

Z. , B. und K. jeweils Angehörige eines früheren Mitbe-schuldigten im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 3<br />

StPO. Das sich aus dieser Vorschrift ergebende Zeugnisverweigerungsrecht war <strong>zum</strong> Zeitpunkt der jeweiligen Vernehmung<br />

der Zeugen jedoch bereits erloschen, weil die Strafverfahren gegen die Zeugen Z. und B. bereits<br />

beendet waren, <strong>zum</strong> Teil durch rechts-kräftige Verurteilung, im Übrigen durch gerichtliche Einstellung nach § 154<br />

Abs. 2 StPO.<br />

a) Allerdings ist ein Zeuge nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs hinsichtlich aller Beschuldigter<br />

zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigt und hierüber auch zu belehren, wenn sich ein<br />

einheitliches Verfahren gegen mehrere Beschuldigte richtet und der Zeuge jedenfalls zu einem von ihnen in einem<br />

von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Ange-hörigenverhältnis steht, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch<br />

seinen Angehörigen betrifft (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldig-ter 12 m.w.N.). Nach überkommener<br />

276


Rechtsprechung erlischt dieses Zeugnis-verweigerungsrecht selbst dann nicht, wenn der Angehörige des Zeugen<br />

später aus dem Verfahren gegen den Angeklagten ausscheidet (vgl. nur BGHSt 34, 138, 139).<br />

b) Ob hieran festzuhalten ist oder ob das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen nur solange Bestand haben kann,<br />

wie das Verfahren auch gegen einen seiner Angehörigen geführt wird, und daher auch nur insoweit als Rechts-reflex<br />

nicht-angehörige Beschuldigte begünstigt (vgl. dazu BGHSt 38, 96, 99), braucht der Senat nicht zu entscheiden.<br />

Denn nach der Rechtsprechung be-steht ein Zeugnisverweigerungsrecht in dem Verfahren gegen den nichtangehörigen<br />

Beschuldigten jedenfalls dann nicht mehr, wenn das zwischen den Angehörigen eines früheren Mitbeschuldigten<br />

und dem jetzigen Beschuldigten geknüpfte Band so schwach geworden ist, dass es den empfindlichen<br />

Eingriff, den die Zeugnisverweigerung für den noch vor Gericht stehenden Beschuldig-ten bedeutet, nicht mehr<br />

rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 96, 101; BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9). Als Fallgruppen sind in der<br />

Rechtsprechung anerkannt die Fälle des endgültigen Abschlusses des Verfahrens gegen den Mitbeschuldigten durch<br />

dessen rechtskräftige Verurteilung (vgl. BGHSt 38, 96, 101), seinen rechtskräftigen Freispruch (vgl. BGHR StPO §<br />

52 Abs. 1 Nr. 3 Mit-beschuldigter 9) oder seinen Tod (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbe-schuldigter 7).<br />

c) Ob Entsprechendes auch dann gilt, wenn der Mitbeschuldigte nach vorläufiger Einstellung gemäß § 153a StPO die<br />

ihm gesetzten Auflagen und Weisungen erfüllt (§ 153a Abs. 1 Satz 4 StPO) und nach Sachlage ausge-schlossen<br />

werden kann, dass die Tat noch als Verbrechen verfolgt werden kann, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen (vgl.<br />

BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 12). Dies bedarf auch hier keiner Entscheidung.<br />

d) Jedenfalls bedürfen aber die bislang anerkannten Fallgruppen eines Erlöschens des Zeugnisverweigerungsrechts<br />

bei Beendigung des Strafverfah-rens der Erweiterung um den Fall einer Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO bei<br />

rechtskräftiger Verurteilung des Mitbeschuldigten. Im Hinblick auf die sehr eingeschränkten Möglichkeiten der<br />

Wiederaufnahme des Verfahrens nach einer solchen Verfahrenseinstellung erlischt das Zeugnisverweigerungsrecht,<br />

das der Angehörige eines Mitbeschuldigten im Verfahren gegen den Beschul-digten hat, wenn das gegen den Mitbeschuldigten<br />

geführte Verfahren rechts-kräftig abgeschlossen wird, auch bezüglich solcher Tatvorwürfe, hinsichtlich<br />

deren das Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt worden ist. Ob es sich bei der Teileinstellung des Verfahrens um<br />

eine solche nach § 154 Abs. 2 StPO durch das Gericht handelt, oder ob die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1<br />

StPO die Verfahrenseinstellung vorgenommen hat, ist insoweit ohne Bedeu-tung.<br />

Begründet wird das Fortbestehen des Zeugnisverweigerungsrechts für den Zeugen nach Ausscheiden seines Angehörigen<br />

aus dem Verfahren vor al-lem damit, dass das familiäre Verhältnis zwischen Zeugen und Angehörigen geschützt,<br />

d.h. der Familienfrieden gewahrt werden soll (vgl. BGHSt 38, 96, 99). Dieser Ansatz begegnet indes bereits<br />

vor dem Hintergrund, dass sich das Ver-fahren nicht mehr gegen den Angehörigen richtet, unter dem Gesichtspunkt<br />

effektiver Strafverfolgung (vgl. BVerfG, Beschl. vom 18. März <strong>2009</strong> - 2 BvR 2025/07) erheblichen rechtlichen Bedenken;<br />

zudem handelt es sich für den nicht-angehörigen Beschuldigten um einen von außen kommenden, fremden<br />

und zufälligen Eingriff in sein Verfahren (vgl. BGHSt aaO). Ein fortbestehendes Zeugnisverweigerungsrecht wäre<br />

daher allenfalls in solchen Fällen anzuerken-nen, in denen noch ernsthaft mit einer weiteren Verfolgung des Angehörigen<br />

wegen der zunächst gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe zu rechnen ist. Ist aber das Verfahren gegen den Angehörigen<br />

des Zeugen, der zunächst Mitbeschul-digter war, durch Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 oder Abs. 2<br />

StPO im Hinblick auf seine rechtskräftige Verurteilung wegen anderer Taten beendet, kommt grundsätzlich eine<br />

weitere Verfolgung dieser Tatvorwürfe nicht mehr in Betracht. Es ist daher regelmäßig auch nicht mehr zu besorgen,<br />

dass der Zeu-ge durch seine Aussage im Verfahren gegen andere Beschuldigte den Famili-enfrieden erheblich gefährden<br />

und in eine seelische Zwangslage geraten könn-te. Der von § 52 Abs. 1 StPO bezweckte Schutz der familiären<br />

Interessen des Zeugen hat deshalb in solchen Fällen hinter dem Erfordernis einer wirksamen Strafverfolgung<br />

bezüglich eines Beschuldigten zurückzutreten, der nicht auf-grund persönlicher Umstände, sondern lediglich aufgrund<br />

einer - zufälligen - früheren prozessualen Gemeinsamkeit mit dem früheren Mitbeschuldigten und dem Zeugen<br />

verbunden ist.<br />

aa) Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO durch die Staats-anwaltschaft oder durch das Gericht führt -<br />

anders als eine Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO - regelmäßig zu einer endgültigen Beendigung der strafrechtlichen<br />

Verfolgung des Beschuldigten, wenn die Verfahrenseinstellung im Hinblick auf eine anderweitige bereits<br />

erfolgte oder im Zeitpunkt der Einstellung erst zu erwartende Verurteilung vorgenommen worden ist, die dann in<br />

Rechts-kraft erwachsen ist.<br />

Der gerichtliche Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO beendet nicht nur die gerichtliche Anhängigkeit des<br />

von ihm betroffenen Teils der Ankla-ge und schafft insoweit ein Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Beschl. vom 16.<br />

Dezember 2008 - 4 StR 559/08), sondern er erlangt - unter bestimmten Vor-aussetzungen - auch Rechtskraft (vgl.<br />

BGHSt 30, 197, 198). Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO<br />

ein-gestellten Verfahrens ist bereits aus Gründen des verfassungsrechtlich gebote-nen Vertrauensschutzes (Art. 20<br />

277


Abs. 3 GG) erheblich eingeschränkt (vgl. § 154 Abs. 3 und 4 StPO). Je umfangreicher die Möglichkeiten für eine<br />

Ermittlung des Schuldvorwurfs und je ausgeprägter die Sicherungen für eine sachgerechte Entscheidung waren,<br />

umso mehr Vertrauen darf der Angeklagte in den Bestand und die Endgültigkeit der getroffenen behördlichen Entscheidung<br />

setzen. Ein erneutes Aufgreifen des gerichtlich eingestellten Verfahrens durch die Staats-anwaltschaft<br />

kommt daher nur bei einem deutlich erhöhten Schuldgehalt in Be-tracht, wenn sich die Tat nachträglich als Verbrechen<br />

darstellt. Solches ist bei Steuerstraftaten mangels Verbrechenstatbestandes freilich von vornherein ausgeschlossen.<br />

Der gerichtliche Einstellungsbeschluss führt deshalb zu einem beschränkten Strafklageverbrauch (vgl.<br />

BGHSt 48, 331 <strong>zum</strong> Strafklagever-brauch bei einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO).<br />

Demgegenüber bewirkt die Einstellung des Verfahrens durch die Staats-anwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO keinen<br />

Strafklageverbrauch und steht einer Fortsetzung des Strafverfahrens grundsätzlich nicht entgegen. Vielmehr<br />

kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren jederzeit wieder aufnehmen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 20 m.w.N.).<br />

Gleichwohl schafft aber auch die staatsan-waltschaftliche Verfahrenseinstellung für den Beschuldigten regelmäßig<br />

eine Vertrauensgrundlage. Nach der Einstellung kann der Beschuldigte darauf ver-trauen, dass der von der Einstellung<br />

erfasste Tatvorwurf in einem anderen Ver-fahren nicht ohne ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis und ohne<br />

prozessord-nungsgemäße Feststellung des betreffenden Tatgeschehens zu seinem Nach-teil berücksichtigt wird (vgl.<br />

BGHR StPO § 154 Abs. 2 Hinweispflicht 4 m.w.N.; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 153 Rdn. 87).<br />

Darüber hinaus ha-ben der Beschuldigte und die Allgemeinheit ein schutzwürdiges Interesse an dem Bestand und der<br />

Verlässlichkeit der von der Staatsanwaltschaft getroffe-nen Entscheidung. Der Verfahrensabschluss befreit den Beschuldigten<br />

nicht nur von einer erheblichen Belastung, die das Strafverfahren mit sich bringt (vgl. Schroeder NStZ<br />

1996, 319, 320), sondern er dient auch der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Um diesen Interessen umfassend<br />

gerecht zu werden, erfordert auch eine Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwalt-schaft nach dem Opportunitätsprinzip<br />

eine gewisse Beständigkeit (vgl. Beulke aaO Rdn. 56). Eine Wiederaufnahme eines durch die<br />

Staatsanwaltschaft einge-stellten Verfahrens darf daher nicht willkürlich, sondern nur bei Vorliegen eines sachlichen<br />

Grundes erfolgen (vgl. BGHSt 37, 10, 13), um das Vertrauen des Beschuldigten und der Allgemeinheit in den Bestand<br />

des Verfahrensabschlus-ses nicht zu gefährden.<br />

bb) Selbst in den Fällen, in denen nach einer Verfahrenseinstellung ge-mäß § 154 StPO die Fortführung der Strafverfolgung<br />

gegen den Angehörigen grundsätzlich möglich ist, bedarf es in einem Verfahren gegen einen nichtangehörigen<br />

Beschuldigten <strong>zum</strong> Schutz des Familienfriedens zwischen Zeugen und seinem Angehörigen eines<br />

Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht. Vielmehr kann der Zeuge auch ohne ein derartiges<br />

umfassendes Aussageverweigerungsrecht die Auskunft auf solche Fragen ver-weigern, deren Beantwortung ihm<br />

selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat<br />

oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§ 55 Abs. 1 StPO). Damit ist der Familienfrieden zwischen dem<br />

Zeugen und seinem Angehörigen ausreichend geschützt; der Beschuldigte, der nicht Angehöriger des Zeugen ist, hat<br />

insoweit keine schützenswerte Rechtsposition.<br />

cc) Angesichts der sehr eingeschränkten Möglichkeiten einer Wiederauf-nahme eines gemäß § 154 StPO im Hinblick<br />

auf eine rechtskräftige Verurtei-lung eingestellten Verfahrens und des Umstandes, dass der Zeuge in einem<br />

Verfahren aussagen soll, aus dem sein Angehöriger bereits ausgeschieden ist, ist somit dem Erfordernis der effektiven<br />

Strafverfolgung der Vorrang vor dem Schutz des Familienfriedens zwischen dem Zeugen und seinem Angehörigen<br />

durch Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts zu geben. Dieser Schutz ist durch das Aussageverweigerungsrecht<br />

des § 55 Abs. 1 StPO hinreichend gewährleistet.<br />

d) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Zeugen Z. und B. nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung<br />

auch hinsichtlich der durch Ge-richtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrensteile nicht<br />

mehr berechtigt waren, im Verfahren gegen den Angeklagten das Zeugnis ge-mäß § 52 Abs. 1 StPO zu verweigern.<br />

Eine Wiederaufnahme der durch § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrensteile kam wegen des beschränkten Strafklageverbrauchs<br />

schon deshalb nicht in Betracht, weil die Möglichkeit, dass sich die ihnen zur Last liegenden Steuerstraftaten<br />

als Verbrechen darstellen könn-ten, von vornherein ausgeschlossen war. Der von der Revision vermissten<br />

Be-lehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO bedurfte es daher nicht.<br />

Aus denselben Gründen stand auch dem Zeugen K. in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten kein<br />

Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu. Die Einführung der Aussage des Zeugen K.<br />

aus seiner Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung seiner damaligen Vernehmungsbeamten<br />

war daher zulässig und verstieß nicht gegen die Vorschrift des § 252 StPO.<br />

278


StPO § 059 I 1, StPO § 60 Zeugeneid Ermessen des Gerichts<br />

BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – 3 StR 429/08 – NStZ <strong>2009</strong>, 343 = StV <strong>2009</strong>, 225<br />

Die Neufassung des § 59 StPO eröffnet dem Tatrichter für diese Entscheidung einen Beurteilungsspielraum<br />

("wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer<br />

wahren Aussage") kombiniert mit einer Ermessensbefugnis ("nach seinem Ermessen für notwendig<br />

hält"). Wie in sonstigen Fällen kann auch hier mit der Revision geltend gemacht werden, der Tatrichter<br />

habe den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten oder sein Ermessen rechtsfehlerhaft<br />

ausgeübt.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 11. Dezember 2008 einstimmig beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Juni 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat zur Rüge der Verletzung des § 59 StPO:<br />

Der vom Generalbundesanwalt unter Hinweis auf Teile der Literatur (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 59 Rdn.<br />

13 m. w. N.) vertretenen Auffassung, die Revision könne nur darauf gestützt werden, dass die Vereidigung unter<br />

Ver-stoß gegen § 60 StPO erfolgt sei, im Übrigen sei die Entscheidung über die Vereidigung nicht revisibel, vermag<br />

der Senat nicht zu folgen. Die Neufassung des § 59 StPO eröffnet dem Tatrichter für diese Entscheidung einen Beurtei-lungsspielraum<br />

("wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren<br />

Aussage") kombiniert mit einer Ermessensbe-fugnis ("nach seinem Ermessen für notwendig hält"). Wie in sonstigen<br />

Fällen kann auch hier mit der Revision geltend gemacht werden, der Tatrichter habe den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum<br />

überschritten oder sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt (vgl. etwa Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn.<br />

16; Kuck-ein in KK 6. Aufl. § 337 Rdn. 19, jeweils m. w. N.).<br />

Umstände, die einen nach diesen Maßstäben beachtlichen Rechtsfehler begründen, zeigt die Revision nicht auf. Somit<br />

kommt es nicht entscheidungs-erheblich darauf an, ob die Rüge auch deshalb nicht durchdringen könnte, weil<br />

der Beschwerdeführer nicht vorgetragen hat, dass er die Anordnung des Vorsit-zenden, den Zeugen unvereidigt zu<br />

lassen, in der Hauptverhandlung beanstan-det und eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO beantragt<br />

hat (vgl. BGHSt 50, 282, 284). Jedenfalls in den Fällen, in denen erst aus den Ur-teilsgründen zutage tritt, dass nach<br />

der Beurteilung des Gerichts die tatbestand-lichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO für die Vereidigung<br />

des Zeugen an sich vorlagen, wird die Zulässigkeit der Revisionsrüge schwerlich davon abhängig gemacht werden<br />

können, dass in der Hauptverhandlung gegen die Anordnung des Vorsitzenden zur Nichtvereidigung (vorsorglich)<br />

auf Ent-scheidung des Gerichts angetragen wurde.<br />

StPO § 099 § 95 Abs. 2 Sicherstellung von E-Mails beim E-Mail-Provider<br />

BGH, Beschl. v. 31.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 76/09<br />

LS: Die Sicherstellung von E-Mails beim E-Mail-Provider ist entsprechend den Voraussetzungen<br />

des § 99 StPO mit der Herausgabepflicht nach § 95 Abs. 2 StPO anzuordnen.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 2. Oktober 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtferti-gung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendi-gen Auslagen zu tragen.<br />

Unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Antragsschrift des Ge-neralbundesanwalts vom 11. Februar <strong>2009</strong><br />

bemerkt der Senat:<br />

279


Den Angeklagten beschwert es nicht, wenn die Strafkammer - keinesfalls zwingend - unter Zugrundelegung des<br />

Zweifelsatzes die Voraussetzungen des § 21 StGB auf eine "erhebliche Minderung der Einsichts- und Steuerungsfähig-keit<br />

des Angeklagten im Tatzeitraum" gestützt hat. Jedenfalls konnte sie ohne Rechtsfehler eine Strafrahmenverschiebung<br />

ablehnen, weil sich der Angeklagte im Vorfeld der Tat geplant in eine Situation begeben hat, in welcher<br />

die Tat für ihn vorhersehbar war.<br />

Die Verwertung von E-Mails des Angeklagten, welche im Ermittlungsver-fahren beschlagnahmt wurden, wobei alle<br />

in dem jeweiligen E-Mail-Postfach des Angeklagten abgespeicherten - gelesenen und noch nicht gelesenen - E-<br />

Mails betroffen waren und erfasst wurden, begegnet letztlich keinen durch-greifenden rechtlichen Bedenken. Zwar<br />

hat der Ermittlungsrichter des Amtsge-richts die Beschlagnahmeanordnung allein auf §§ 94, 98 StPO gestützt, was<br />

<strong>zum</strong>indest bezüglich bislang ungelesener E-Mails rechtlich umstritten ist (vgl. hierzu BVerfG, 3. Kammer, Beschl.<br />

vom 29. Juni 2006 - 2 BvR 902/06 - MMR 2007, 169; mehrfach verlängert, zuletzt durch Beschl. vom 13. November<br />

2008). Jedoch bedurfte es für die im Postfach beim E-Mail-Provider abgespei-cherten E-Mails, ob bereits gelesen<br />

oder noch ungelesen, auch nicht der Vor-aussetzungen des § 100a StPO, denn während der möglicherweise auch nur<br />

Sekundenbruchteile andauernden Speicherung in der Datenbank des Mail-Providers ist kein Telekommunikationsvorgang<br />

(mehr) gegeben (vgl. hierzu nä-her KK-StPO/Nack § 100a Rdn. 22 f.; BeckOK-StPO/Graf § 100a StPO<br />

Rdn. 28 ff.; KMR/Bär § 100a Rdn. 29; aA LG Hanau NJW 1999, 3647; LG Hamburg wistra 2008, 116; dem zustimmend<br />

Gaede, StV <strong>2009</strong>, 96, 97, allerdings bereits mit aus technischer Sicht fragwürdiger Begründung; bislang zu<br />

einer Gesamt-betrachtung neigend Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 100a Rdn. 6).<br />

Vielmehr ist die Beschlagnahme von E-Mails bei einem E-Mail-Provider, welche dort bis zu einem ersten oder weiteren<br />

Aufruf abgespeichert sind, auch unter Berücksichtigung des heutigen Kommunikationsverhaltens in jeder Hinsicht<br />

vergleichbar mit der Beschlagnahme anderer Mitteilungen, welche sich <strong>zum</strong>in-dest vorübergehend bei einem<br />

Post- oder Telekommunikationsdiensteleister befinden, bspw. von Telegrammen, welche gleichfalls auf dem Telekommunika-tionsweg<br />

dorthin übermittelt wurden. Daher können beim Provider gespeicherte, eingegangene oder<br />

zwischengespeicherte, E-Mails - auch ohne spezifische ge-setzliche Regelung - jedenfalls unter den Voraussetzungen<br />

des § 99 StPO be-schlagnahmt werden (vgl. hierzu BeckOK-StPO/Graf § 100a StPO Rdn. 28 f. m.w.N.). Der einer<br />

E-Mail-Sendung, selbst wenn diese aus technischen Grün-den und insbesondere auch während des Transports leichter<br />

"lesbar" ist als beispielsweise verschlossene Briefsendungen auf dem Postweg, zukommende grundrechtssichernde<br />

Schutz wird bei einer Anordnung nach § 99 StPO durch das Erfordernis einer richterlichen Anordnung bzw. Bestätigung<br />

bei (eher selte-nen) Eilfällen nach § 100 StPO gewahrt, <strong>zum</strong>al bei der konkreten Beschlag-nahme einer E-<br />

Mail erneut eine richterliche Prüfung stattzufinden hat.<br />

Für eine Anwendung des § 99 StPO spricht auch die Neufassung des § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO durch das Gesetz<br />

zur Neuregelung der Telekommuni-kationsüberwachung vom 21. Dezember 2007 (BGBl I 3198), wonach -<br />

anders als noch bei der früheren Rechtslage - nun auch für diese Maßnahmen aus-drücklich eine Benachrichtigungspflicht<br />

festgelegt ist. Zudem können die Betrof-fenen nachträglichen Rechtsschutz begehren (§ 101 Abs. 7 StPO).<br />

Dass in §§ 99, 100 StPO selbst keine zwangsweise Durchsetzung des Heraus-gabeanspruchs geregelt ist, ändert an<br />

der hier dargestellten Rechtslage nichts, sondern beruht allein darauf, dass ursprünglich allein die mit hoheitlichen<br />

Be-fugnissen ausgestattete <strong>Deutsche</strong> Bundespost Verpflichteter einer solchen Maßnahme sein konnte, bei welcher<br />

eine Weigerung nicht zu erwarten war. Nach der Öffnung der Märkte in diesem Bereich muss aber gewährleistet<br />

sein, dass eine Maßnahme nach § 99 StPO auch durchsetzbar ist. Deshalb gilt auch hier der in § 95 Abs. 1 und 2<br />

StPO seine Ausprägung gefundene allgemeine Grundsatz, dass richterlichen Herausgabeanordnungen allgemein<br />

Folge zu leisten ist und deshalb zu deren Durchsetzung die in § 70 StPO bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel<br />

festgesetzt werden können, soweit Verpflichtete nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind.<br />

Nachdem bei der vorgenannten Beschlagnahmeanordnung des Ermitt-lungsrichters auch die Voraussetzungen des §<br />

99 StPO gegeben waren, steht einer Verwertung hiervon betroffener E-Mails nichts entgegen, <strong>zum</strong>al die Verteidigung<br />

keine Einwände in der Hauptverhandlung erhoben hat.<br />

280


StPO § 100f, MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Überwachung von Ehegattengesprächen in Besuchsraum in<br />

der Untersuchungshaft<br />

BGH, Urt. vom 29. April <strong>2009</strong> - 1 StR 701/08 – NJW <strong>2009</strong>, 2463 = JUS <strong>2009</strong>, 861 (Anm. Jahn) = NStZ <strong>2009</strong>, 519 =<br />

demnächst in JR (Anm. Zuck)<br />

Zur Frage der Zulässigkeit einer heimlichen Überwachung von Ehegattengesprächen in einem eigens<br />

dafür zugewiesenen separaten Besuchsraum in der Untersuchungshaft ohne die übliche erkennbare<br />

Überwachung.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Kempten (Allg.) vom 1. August 2008 mit den<br />

Feststellun-gen aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist und<br />

b) im Gesamtstrafenausspruch.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, begangen aus niedrigen Beweggründen, und wegen unerlaubten<br />

Besitzes einer halbautomati-schen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von zwei Schusswaffen und<br />

in weiterer Tateinheit mit dem Besitz eines verbotenen Fallmessers zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.<br />

Die sichergestellten Waffen wurden eingezogen.<br />

Die Revision des Angeklagten greift mit Verfahrensrügen und der Sach-rüge die Verurteilung wegen Mordes an. Sie<br />

hat mit einer Verfahrensrüge Er-folg, damit entfällt zugleich die Gesamtstrafe.<br />

A. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der nicht vorbestrafte Angeklagte, ein marokkanischer Staatsangehöriger,<br />

nach seiner Hochzeit im Jahr 2006 mit seiner Frau nach Kempten. Dort besuchte er ab Oktober 2006<br />

einen Deutschkurs. Seine Deutschlehrerin war die ebenfalls verheiratete A. G. , das spätere Opfer der Tat. Zwischen<br />

ihr und dem Angeklagten entwickelte sich ab Februar 2007 eine außereheliche intime Beziehung. Wäh-rend für A.<br />

G. von Anfang an feststand, dass sie für den Angeklag-ten weder ihren Ehemann noch ihre beiden Kinder verlassen<br />

würde, entwickelte der Angeklagte die Vorstellung, gemeinsam mit A. G. Deutschland zu verlassen und ins Ausland<br />

zu gehen. Nachdem diese die Sommerferien ge-meinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern in Litauen verbracht<br />

hatte, kehrte sie mit ihrer Familie am Abend des 8. September 2007 nach Kempten zurück.<br />

Am 12. September 2007 traf sie sich mit dem Angeklagten in dessen Wohnung. Bei diesem Treffen, das von dem<br />

Angeklagten heimlich gefilmt wur-de, kam es zunächst einvernehmlich <strong>zum</strong> Geschlechtsverkehr, anschließend verlangte<br />

der Angeklagte von A. G. , dass sie ihre Familie verlassen solle. Als sie dieses Ansinnen zurückwies, kam es<br />

zwischen ihr und dem Angeklagten zu einem heftigen Streit. Der Angeklagte warf ihr vor, auch noch mit anderen<br />

Männern außereheliche Beziehungen zu unterhalten. Außerdem droh-te er ihr, ihren Mann von ihrer Affäre zu unterrichten<br />

und ihr Leben „kaputt“ zu machen. Am nächsten oder übernächsten Tag kam es wegen dieser Streitigkeit auf<br />

einem Parkplatz zu einer Aussprache zwischen dem Angeklagten und A. G. , in deren Verlauf der Angeklagte vorgab,<br />

ihre Entscheidung, sich nicht von ihrem Mann zu trennen, zu akzeptieren. Tatsächlich war er hiermit jedoch<br />

nicht einverstanden.<br />

Deshalb versuchte der Angeklagte am Morgen des 17. September 2007, dem Tattag, mehrfach A. G. anzurufen, weil<br />

er sich noch einmal mit ihr treffen wollte. Als er sie von seinem Mobiltelefon aus erreichte, telefo-nierte der Angeklagte<br />

20 Minuten mit ihr, bis sein Gesprächsguthaben aufge-braucht war. Dann rief er sie von seinem Festnetzanschluss<br />

in der ehelichen Wohnung an und telefonierte nochmals eine halbe Stunde mit ihr. A. G. war schließlich mit<br />

einem weiteren Treffen einverstanden. Dieses fand um 10.00 Uhr auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Kempten<br />

statt. Von dort aus fuhren A. G. und der Angeklagte gemeinsam in dem Pkw der Familie G. <strong>zum</strong> Oyweiher, einem<br />

kleinen Stausee zwischen B. und W. . Dort kam es erneut zu einem Streit, weil sich A. G. weiterhin weigerte, ihre<br />

Familie zu verlassen und mit dem Ange-klagten ins Ausland zu gehen. Der Angeklagte schlug ihr daraufhin heftig<br />

ins Gesicht, so dass es bei ihr zu erheblichem Nasenbluten kam. Mit einem weite-ren kräftigen Schlag gegen den<br />

Hals brach er ihr das rechte obere Kehlkopf-horn. Dann entschloss er sich, A. G. zu töten, weil sie nicht bereit war,<br />

ihre Familie zu verlassen und mit ihm ins Ausland zu gehen. Der Ange-klagte wollte damit seinen absoluten Machtund<br />

Besitzanspruch gegenüber A. G. durchsetzen. Er erwürgte sie und legte ihren Leichnam in einer versteckt lie-<br />

281


genden Erdmulde ab. Sodann bedeckte er die Leiche mit be-laubten Ästen. A. G. s Handtasche versenkte er im Oyweiher.<br />

An-schließend fuhr er zurück nach Kempten, wo er das Auto der Familie G. auf dem Parkplatz eines ehemaligen<br />

Elektronik-Fachmarktes ab-stellte. Von dort ging er zu Fuß zu seinem 900 Meter entfernt geparkten Fahr-zeug<br />

und fuhr nach Hause, wo er noch an seinem Computer arbeitete. Danach holte er seine Ehefrau von der Arbeit ab,<br />

fuhr mit ihr zur Bank und hob von ih-rem gemeinsamen Konto 10.800,-- Euro ab.<br />

Bereits am Nachmittag des 17. September 2007 fiel auf, dass A. G. verschwunden war. Sie hatte ihren Sohn nicht<br />

wie üblich von der Schule abgeholt und war auch über ihr Mobiltelefon nicht zu erreichen. Über ihre Telefonverbindungsdaten<br />

konnte festgestellt werden, dass sie zuletzt mit dem Angeklagten telefoniert hatte. Nachdem am 21. September<br />

2007 der Pkw der Familie G. verlassen aufgefunden worden war, wurde der Ange-klagte festgenommen.<br />

Seitdem befindet er sich aufgrund richterlichen Haftbe-fehls in der Justizvollzugsanstalt Kempten in Untersuchungshaft.<br />

Bei der Durchsuchung der Garage des Angeklagten fand die Polizei eine funktionsfähi-ge halbautomatische<br />

Kurzwaffe, zwei Gaspistolen und ein Fallmesser, für die der Angeklagte keine waffenrechtliche Erlaubnis besaß. Am<br />

9. Dezember 2007 wurde A. G. s stark verwester Leichnam zufällig am Oyweiher ent-deckt.<br />

2. Der Angeklagte bestreitet die Tat. Das Landgericht hat seine Über-zeugung von der Täterschaft des Angeklagten<br />

im Wesentlichen gestützt auf die Erkenntnisse aus den Telefonverbindungsdaten vom Tattag, auf die vom Opfer<br />

stammenden Blutspuren an der vom Angeklagten am Tattag getragenen Klei-dung, auf von ihm stammende DNA-<br />

Spuren im Fahrzeug der Getöteten und auf die vom Angeklagten am 12. September 2007 heimlich gefertigte Videoauf-zeichnung<br />

seines Zusammenseins mit A. G. in seiner Wohnung. Außerdem hat es die Strafkammer als ein deutliches<br />

Indiz für die Täterschaft des Angeklagten angesehen, dass er in einem heimlich abgehörten Gespräch mit seiner<br />

Ehefrau, das am 15. Oktober 2007 in einem separaten Besuchsraum der Haftanstalt stattfand, noch vor dem Auffinden<br />

der Leiche geäußert hatte, dass A. G. tot sei. In diesem Gespräch bat der Angeklagte seine Ehefrau zudem, die<br />

Schuld für A. G. s Tod auf sich zu nehmen und gegenüber den Ermittlungsbehörden anzugeben, dass sie zwei Russen<br />

mit de-ren Ermordung beauftragt habe, um den Angeklagten dafür zu bestrafen, dass er sie hintergangen habe.<br />

B. Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der allein noch angegriffe-nen Verurteilung wegen Mordes bereits<br />

mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Ge-genstand der Rüge ist die Beanstandung, die Strafkammer habe zu Unrecht die<br />

Erkenntnisse aus dem am 15. Oktober 2007 in einem separaten Besuchsraum während der Untersuchungshaft heimlich<br />

abgehörten Gespräch zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau zur Überführung des Angeklagten herangezo-gen.<br />

Auf die übrigen Verfahrensrügen und die Sachrüge kommt es daher nicht mehr an.<br />

I. Der Verfahrensrüge liegt folgender Geschehensablauf zugrunde:<br />

Mit Beschluss vom 25. September 2007 ordnete der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Kempten auf Antrag der<br />

Staatsanwaltschaft an, dass Be-suchskontakte zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau in der Untersuchungshaft<br />

in einem separaten Raum durchzuführen und die dabei geführten Gespräche mittels Anbringung von<br />

Mikrofonen abzuhören und aufzuzeichnen seien. Die Anordnung wurde darauf gestützt, dass nach den bisherigen<br />

Ermitt-lungen davon ausgegangen werden müsse, dass der Angeklagte A. G. getötet habe. Sie sei seit einem Treffen<br />

mit dem Angeklagten am 17. September 2007 spurlos verschwunden. Die Angaben des Angeklagten, A. G. sei während<br />

des Treffens auf ihrem Mobiltelefon angerufen worden, habe russisch mit dem Anrufer gesprochen und sei im<br />

Anschluss an das Treffen mit dem Angeklagten zu zwei Russen ins Auto gestiegen, seien aufgrund der eingeholten<br />

Telefonverbindungsdaten widerlegt. Es sei deshalb zu erwarten, dass der Angeklagte mit seiner Ehefrau Einzelheiten<br />

zur Tat bespre-chen werde. Ohne die Abhörmaßnahme seien die weiteren Ermittlungen aus-sichtslos oder würden<br />

wesentlich erschwert.<br />

In Vollziehung der ermittlungsrichterlichen Anordnung wurden die Ge-spräche des Angeklagten mit seiner Ehefrau<br />

bei deren jeweils halbstündigen Besuchen in der Untersuchungshaft von beiden unbemerkt akustisch über-wacht. Die<br />

Gespräche fanden jeweils in einem separaten Raum der Haftanstalt statt; dabei wurde - entsprechend der richterlichen<br />

Anordnung - seitens der Er-mittlungsbehörden bewusst auf die sonst übliche Anwesenheit einer Aufsichtsperson<br />

verzichtet, so dass dem Angeklagten, der sich mit seiner Ehefrau in seiner Muttersprache unterhalten konnte,<br />

der Eindruck einer unüberwachten Ge-sprächssituation vermittelt wurde. Um gleichwohl eine Verwertung der Äußerungen<br />

des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau zu ermöglichen, wurden die Gespräche mittels einer Abhöreinrichtung<br />

elektronisch aufgezeichnet und zu-dem in einen Nebenraum übertragen, wo sie von einer Dolmetscherin<br />

mitgehört wurden. Auf der Grundlage der elektronischen Gesprächsaufzeichnung fertigte die Dolmetscherin anschließend<br />

noch eine wörtliche Übersetzung in schriftlicher Form. Hierdurch wurde auch dokumentiert, dass der<br />

Angeklagte bei dem am 15. Oktober 2007 aufgezeichneten Gespräch seiner Ehefrau mitgeteilt hatte, dass A. G. tot<br />

sei. In dem aufgezeichneten Gespräch forderte der Angeklagte seine Ehefrau mehrfach auf, ihm ein Alibi zu verschaffen.<br />

Sie solle eine Videonachricht anfertigen und an die Staatsanwaltschaft und seine Vertei-diger schicken.<br />

Darin solle sie die Verantwortung für den Tod der A. G. auf sich nehmen und behaupten, sie habe aus Eifersucht<br />

282


zwei russische Auftragsmörder engagiert, die A. G. für 30.000,-- Euro getötet hätten. Anschließend solle seine Ehefrau<br />

nach Italien fliehen.<br />

Am fünften Hauptverhandlungstag wurde die Niederschrift dieses aus der marokkanischen Sprache übersetzten Gesprächs<br />

zwischen dem Angeklag-ten und seiner Ehefrau auf Anordnung des Vorsitzenden verlesen. Den von der<br />

Verteidigung gegen die Verwertung des abgehörten Gesprächs erhobenen Wi-derspruch wies das Landgericht mit<br />

der Begründung zurück, dass die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Überwachungsmaß-nahme<br />

vorgelegen hätten und die dabei gewonnenen Erkenntnisse deshalb verwertbar seien. - 11 -<br />

II. Die Revision beanstandet, dass die Erkenntnisse aus dem abgehörten Gespräch nicht hätten verwertet werden<br />

dürfen. Die gerichtlich angeordnete Abhörmaßnahme sei insbesondere deshalb unstatthaft gewesen, weil Gesprä-che<br />

eines Untersuchungsgefangenen mit Angehörigen im Rahmen eines Be-suchs in der Untersuchungshaft nach § 100f<br />

StPO nur dann abgehört werden dürften, wenn der Besuch erkennbar von einem Vollzugsbeamten überwacht werde.<br />

Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr habe die zur Überwa-chung geschaffene Besuchssituation einen „unmittelbar<br />

täuschenden und irre-führenden Charakter“ gehabt, indem dem Angeklagten erlaubt worden sei, sei-ne<br />

Ehefrau in einem separaten Raum und ohne die in der Untersuchungshaft übliche (erkennbare) Überwachung durch<br />

einen Vollzugsbeamten zu empfan-gen. Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden sei gezielt darauf ausgerichtet gewesen,<br />

den Angeklagten und seine Ehefrau „in Sicherheit zu wiegen“ und bei ihnen den Eindruck zu erwecken, sie<br />

könnten unbelauscht über „alles“ spre-chen. Dies führe zur Unzulässigkeit der Abhörmaßnahme und zu einem Verbot<br />

der Verwertung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse. Auf der unzulässigen Verwertung der Abhörmaßnahme<br />

beruhe das Urteil, weil das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich auf die<br />

Er-kenntnisse aus der Abhörmaßnahme gestützt habe.<br />

III. Die zulässige Rüge hat Erfolg. Das am 15. Oktober 2007 heimlich abge-hörte Gespräch zwischen dem Angeklagten<br />

und seiner Ehefrau bei deren Be-such in der Untersuchungshaft durfte nicht zu Beweiszwecken verwertet<br />

wer-den. Die Gesamtschau der Umstände der akustischen Gesprächsüberwachung belegt eine Verletzung des Rechts<br />

auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Dies ist im vorliegenden Fall durch ein Beweisverwer-tungsverbot<br />

zu kompensieren.<br />

1. Das Beweisverwertungsverbot lässt sich allerdings nicht unmittelbar aus § 100f StPO und auch nicht aus einer<br />

entsprechenden Anwendung der Kernbereichsregelungen in § 100c und § 100a StPO herleiten.<br />

a) Die ermittlungsrichterliche Anordnung der Maßnahme erging auf der Grundlage des hierfür einschlägigen § 100f<br />

StPO. Allein daran gemessen, wäre das Vorgehen nicht zu beanstanden.<br />

aa) Denn das nichtöffentlich gesprochene Wort wurde mit technischen Mitteln außerhalb von Wohnungen abgehört<br />

und aufgezeichnet. Der Besuchs-raum der Haftanstalt ist keine Wohnung im Sinne des Art. 13 GG. Bereits Hafträume<br />

einer Justizvollzugsanstalt werden vom Schutzbereich des Art. 13 GG nicht umfasst, da das Hausrecht der<br />

Anstalt die Befugnis der Vollzugsbediens-teten beinhaltet, die Hafträume jederzeit unabhängig vom Einverständnis<br />

der dort untergebrachten Gefangenen zu betreten (BVerfG NStZ 1996, 511). Für Besuchsräume gilt dies wegen der<br />

dort bestehenden besonderen Überwa-chungs- und Eingriffsbefugnisse des Anstaltspersonals (für die Untersuchungs-haft<br />

gemäß § 119 Abs. 3 StPO, Nr. 27 Abs. 1 und Abs. 3 UVollzO; für die Straf-haft gemäß § 168 Abs. 3<br />

StVollZG) erst recht (BGHSt 44, 138, 141; vgl. auch Roxin NStZ 1999, 149, 150 f.); sie schaffen keine räumliche<br />

Privatsphäre, wie sie bei einer Wohnung besteht.<br />

bb) Der Ermittlungsrichter hat in seinem Anordnungsbeschluss vom 25. September 2007 dargelegt, dass gegen den<br />

Angeklagten der Verdacht das - 13 -<br />

Mordes - einer Katalogtat nach § 100a Satz 1 Nr. 2 StPO aF (jetzt: § 100a Abs. 2 Nr. 1h StPO) - bestand und dass die<br />

Erforschung des Sachverhalts ohne die Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder erheblich erschwert gewesen<br />

wäre (vgl. § 100f Abs. 1, 2 und 4 i.V.m. § 100d Abs. 2 StPO).<br />

Der Ermittlungsrichter hat den ihm hierbei zustehenden Beurteilungs-spielraum nicht überschritten (vgl. BGH NStZ<br />

2003, 215, 216 m.w.N.). Seine Bewertung der Beweislage und des Subsidiaritätsgrundsatzes war mindestens vertretbar.<br />

So war namentlich die Leiche des vermissten Tatopfers noch nicht aufgefunden und ausweislich der Telekommunikationsverbindungsdaten<br />

hatte der Angeklagte kurz vor dem Verschwinden des Opfers mit diesem telefoniert.<br />

cc) Dass der Anordnungsbeschluss keine ausdrückliche Befristung der Maßnahme auf drei Monate enthielt (vgl. §<br />

100f Abs. 2 i.V.m. § 100b Abs. 2 Satz 4 aF sowie § 100f Abs. 4 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 4 StPO nF), ist hier unschädlich.<br />

Die Überwachung wurde innerhalb von drei Monaten durchgeführt und damit noch vor Überschreiten der<br />

vom Gesetzgeber für derartige Maßnah-men normierten zeitlichen Obergrenze.<br />

dd) Die Maßnahme war auch nicht allein schon deshalb unzulässig, weil, wie die Revision meint, jedes Gespräch des<br />

Untersuchungsgefangenen mit ei-nem Besucher „erkennbar von einem Beamten überwacht“ werden müsse. Die<br />

akustische Gesprächsüberwachung darf nach § 100f Abs. 1 StPO „auch ohne Wissen der Betroffenen“ angeordnet<br />

283


werden. Insofern wäre - gemessen an § 100f StPO - die Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH vom 24. Juli 1998<br />

(BGHSt 44, 138), falls sie so zu verstehen wäre, schon durch die später erfolgte Gesetzgebung überholt. Zudem war<br />

das Kriterium „Erkennbarkeit der Besuchs-überwachung“ so nicht zu verstehen; denn für den 3. Strafsenat war es<br />

lediglich eines von mehreren Kriterien, das im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall für die Zulässigkeit<br />

auch heimlicher Überwachungsmaßnahmen streiten konnte. Eine zusätzliche Eingriffsvoraussetzung für derartige<br />

Ge-sprächsüberwachungen sollte damit nicht statuiert werden (vgl. auch Schneider NStZ 2001, 8, 14).<br />

b) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Kernbereichsregelun-gen des § 100c oder des § 100a StPO entsprechend<br />

anzuwenden sind. Denn selbst nach den diesen Vorschriften zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen<br />

läge hier kein Beweiserhebungs- oder -verwertungsverbot vor.<br />

aa) Die in §§ 100c, 100a StPO <strong>zum</strong> Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung normierten Beweiserhebungs-<br />

und -verwertungsverbote be-ruhen auf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 109, 279 zu<br />

den sich aus Art. 1 und Art. 13 GG ergebenden Grenzen einer akustischen Wohnraumüberwachung. Die Regelungen<br />

entsprechen diesen Vorgaben (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2007, 2753).<br />

Der Gesetzgeber hatte bei der Neuregelung der §§ 100a ff. StPO ein in sich geschlossenes Regelungskonzept vor<br />

Augen, dem je nach Eingriffsintensi-tät der Maßnahmen abgestufte Verwertungsverbote zugrunde liegen. Ersichtlich<br />

deshalb hat er für § 100f StPO - anders als bei §§ 100c und 100a StPO - keinen Kernbereichsschutz vorgesehen. Von<br />

daher könnte sich bereits die Frage stel-len, ob Gerichte überhaupt noch befugt sind, diese gesetzgeberische Konzepti-on<br />

durch eine Ausweitung der Kernbereichsregelungen der §§ 100a und 100c StPO auf § 100f StPO zu durchbrechen.<br />

Für eine entsprechende Anwendung - freilich nur im Einzelfall - könnte aber immerhin sprechen, dass auch bei<br />

einer akustischen Gesprächsüberwachung außerhalb von Wohnungen der Kernbereich tangiert sein kann und dass<br />

der Gesetzgeber den - eher ungewöhnlichen - Fall der heimlichen Gesprächsüberwachung von Untersuchungsgefangenen<br />

mit nahen Angehörigen nicht im Blick hatte.<br />

bb) Eine entsprechende Anwendung des Beweiserhebungsverbots des § 100c Abs. 4 Satz 1 StPO oder des § 100a<br />

Abs. 4 Satz 1 StPO kommt aber schon deshalb nicht in Betracht, weil die ex ante zu treffende Kernbereichs-prognose<br />

des Ermittlungsrichters bei der hier gegebenen Fallgestaltung negativ ausgefallen ist und auch so ausfallen musste.<br />

Wegen des Gesprächsinhalts käme auch ein Verwertungsverbot aufgrund der Ausnahmeregelung des § 100c Abs. 5<br />

Satz 3 StPO nicht in Betracht.<br />

(1) Schon die „Art der zu überwachenden Räumlichkeiten“ - hier der Be-suchsraum der Untersuchungshaftanstalt -<br />

drängt zu einer negativen Kernbe-reichsprognose. Dass sich Untersuchungsgefangene aufgrund gerichtlicher Entscheidungen<br />

und damit staatlichen Zwangs in der Untersuchungshaft befin-den, führt nicht dazu, dass der Besuchsraum<br />

der Haftanstalt als unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung des Untersuchungsgefangenen einzustufen<br />

wäre. Ein Einzelbesuchsraum in der Haftanstalt wird auch nicht dadurch <strong>zum</strong> geschützten Privatraum, dass bei<br />

Besuchen von der gemäß § 119 Abs. 3 StPO, Nr. 27 Abs. 1 und Abs. 3 UVollzO gebotenen offenen Besuchsüberwachung<br />

durch einen Vollzugsbeamten abgesehen wird. Der Untersuchungsge-fangene muss aufgrund der Beschränkungen<br />

und des Zwecks der Untersu-chungshaft jederzeit damit rechnen, dass Vollzugsbedienstete den Besuchsraum<br />

ohne Vorankündigung betreten und von ihren Überwachungs- und Ein-griffsbefugnissen Gebrauch machen<br />

(vgl. BGHSt 44, 138, 141).<br />

(2) Das gilt auch für Gespräche mit nahen Angehörigen, denn das „Ver-hältnis der zu überwachenden Personen<br />

zueinander“ lässt - jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie hier - die Prognose begründet erscheinen, dass solche Gespräche<br />

nicht ausschließlich privaten Charakter, sondern auch „Verdunkelungs-handlungen“ <strong>zum</strong> Gegenstand haben.<br />

Deshalb wird die Kernbereichsprognose noch eher negativ ausfallen müssen, als bei Gesprächen in Betriebs- oder<br />

Ge-schäftsräumen (§ 100c Abs. 4 Satz 2 StPO).<br />

Der Überwachungsanordnung des Ermittlungsrichters lag die Prognose zugrunde, der Beschuldigte werde mit seiner<br />

Ehefrau über die Tat sprechen. Diese Prognose ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden; denn sie stützte sich auf<br />

eine ausreichende Tatsachengrundlage. Es bestanden gewichtige An-haltspunkte dafür, dass der Angeklagte mit A.<br />

G. seit längerer Zeit ein intimes Verhältnis gehabt hatte. Er hatte selbst eingeräumt, sich mit ihr noch am Tag ihres<br />

Verschwindens getroffen zu haben. Außerdem hatte er in Bezug auf einen angeblichen Telefonanruf, den A. G. während<br />

des Treffens von einem russisch sprechenden Anrufer erhalten habe, nachweislich die Un-wahrheit gesagt, was<br />

letztlich auch zu seiner Verhaftung geführt hatte. Ange-sichts dieser Umstände war zu erwarten, dass die Ereignisse<br />

im Zusammen-hang mit diesem Treffen und der Verhaftung des Angeklagten Gegenstand des Gesprächs mit der<br />

Ehefrau sein würden.<br />

cc) Tatsächlich hat sich die Prognose des Ermittlungsrichters auch bes-tätigt, weil der Angeklagte mit seiner Ehefrau<br />

„Gespräche über begangene Straftaten“ führte; solche Gespräche sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung<br />

zuzurechnen (§ 100c Abs. 4 Satz 3 StPO).<br />

284


Der Angeklagte gab im Verlauf des überwachten Gesprächs nicht nur an, dass die zu diesem Zeitpunkt lediglich<br />

vermisste A. G. tot sei. Er forderte seine Ehefrau zudem mehrfach auf, eine Videoaufzeichnung anzuferti-gen und<br />

diese an die Staatsanwaltschaft und seine Verteidiger zu schicken. In diesem Video sollte sie gestehen, aus Eifersucht<br />

zwei russische Auftragsmör-der mit der Tötung A. G. s beauftragt zu haben, die von diesen dann gefesselt und<br />

verletzt worden sei. Weiterhin sollte sie angeben, Blut und Sper-ma des Angeklagten am Mund bzw. an der Scheide<br />

des Opfers hinterlassen zu haben. Die Äußerungen des Angeklagten im abgehörten Gespräch mit seiner Ehefrau<br />

enthielten somit Angaben, die sich auf die ihm vorgeworfene Straftat - nämlich die Ermordung A. G. s - bezogen.<br />

Der Senat braucht deshalb auch nicht zu entscheiden, ob die Erhe-bungs- und Verwertungsverbote des § 100c Abs. 4<br />

und Abs. 5 StPO für den Fall der Wohnraumüberwachung, die in § 100f StPO keine Entsprechung ha-ben, aufgrund<br />

eines Erst-recht-Schlusses für den Bereich der akustischen Überwachung außerhalb von Wohnungen überhaupt zur<br />

Anwendung kommen können.<br />

2. Auch wenn danach ein Erhebungs- und Verwertungsverbot aus § 100f StPO - selbst bei unterstellter entsprechender<br />

Anwendung der Kernbereichsre-gelungen der §§ 100c, 100a StPO - nicht hergeleitet werden kann, liegt bei der<br />

hier gegebenen Fallgestaltung ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Ver-fahren (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art.<br />

2 Abs. 1 GG) mit der Folge eines Beweis-verwertungsverbots vor.<br />

Ein solcher Verstoß folgt aus einer Gesamtschau der Umstände bei der Durchführung der akustischen Gesprächsüberwachung<br />

und des Vorgehens der Ermittlungsbehörden vor dem Hintergrund der besonderen Situation des Angeklagten<br />

in der Untersuchungshaft. Der Verstoß führt zu einem Beweisverwer-tungsverbot, weil das Beweismittel auf<br />

eine unzulässige, gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßende Weise erlangt wurde.<br />

a) Das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren wurzelt im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten<br />

des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Es verbietet, den Menschen <strong>zum</strong> bloßen<br />

Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen, und es verpflich-tet den Staat zu korrektem und fairem<br />

Verfahren (BVerfG, Beschl. vom 18. März <strong>2009</strong> - 2 BvR 2025/07 - m.w.N.).<br />

aa) Die Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts in einer Weise, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens gewahrt<br />

wird, ist in erster Linie dem Ge-setzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerich-ten bei<br />

der ihnen obliegenden Rechtsanwendung und -auslegung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires<br />

Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung<br />

durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Forde-rungen nicht gezogen worden sind oder<br />

rechtsstaatlich Unverzichtbares preis-gegeben wurde (BVerfG aaO; vgl. auch BVerfGE 57, 250, 276; 64, 135, 145).<br />

Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktions-tüchtigen Strafrechtspflege in den Blick<br />

zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239, 250; 80, 367, 375). Das Rechtsstaatsprinzip, das die Idee der Gerechtigkeit als<br />

we-sentlichen Bestandteil enthält, fordert nicht nur eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts.<br />

Es gestattet und verlangt auch die Be-rücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege,<br />

ohne die der Gerechtigkeit nicht <strong>zum</strong> Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367, 383; 46, 214, 222).<br />

Der Rechtsstaat kann sich aber nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter<br />

im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Be-strafung zugeführt werden (st.<br />

Rspr.; vgl. nur BVerfGE 33, 367, 383; 46, 214, 222; BVerfG, Beschl. vom 18. März <strong>2009</strong> - 2 BvR 2025/07).<br />

bb) Das Recht auf ein faires Verfahren umfasst dabei das Recht jedes Angeklagten auf Wahrung seiner Aussage- und<br />

Entschließungsfreiheit inner-halb des Strafverfahrens. Es hat in dem verfassungsrechtlich verankerten Ge-bot der<br />

Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum accusare“) und in den Vorschriften der § 136a, § 163a Abs. 4 Satz<br />

2 StPO seinen Niederschlag ge-funden. Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung bedeutet, dass im Rah-men des<br />

Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder<br />

zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 109, 279, 324; 56, 37, 49). Nach der Rechtspre-chung des<br />

EGMR ist das Schweigerecht eines Beschuldigten und seine Ent-scheidungsfreiheit, in einem Strafverfahren auszusagen<br />

oder zu schweigen, etwa dann verletzt, wenn die Strafverfolgungsbehörden in einem Fall, in dem sich der<br />

Beschuldigte für das Schweigen entschieden hat, eine Täuschung an-wenden, um ihm Geständnisse oder andere<br />

belastende Angaben zu entlocken, die sie in einer Vernehmung nicht erlangen konnten, und die so erlangten Geständnisse<br />

oder selbst belastenden Aussagen in den Prozess als Beweise ein-führen (EGMR StV 2003, 257, 259). Ob<br />

das Schweigerecht in einem solchen Maß missachtet wurde, dass eine Verletzung von Art. 6 MRK gegeben ist, hängt<br />

von den Umständen des Einzelfalls ab (EGMR aaO).<br />

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt sich im vorliegenden Fall die heimliche akustische Überwachung des<br />

Ehegattengesprächs im Besucherraum bei einer Gesamtschau aller hierfür bedeutsamen Umstände als eine Verletzung<br />

des Rechts auf ein faires Verfahren dar.<br />

285


aa) Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die gesetzlichen Re-gelungen der StPO sich als Konkretisierungen<br />

des Rechtsstaatsprinzips in sei-ner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung darstellen. Das gilt auch<br />

und besonders für die heimliche Gesprächsüberwachung nach den §§ 100a ff. StPO.<br />

Hier liegt aber eine besondere Fallgestaltung vor, die dadurch gekenn-zeichnet ist, dass gleich mehrere unverzichtbare<br />

rechtsstaatliche Grundsätze tangiert wurden, und das nicht nur am Rande. Zwar sind die einzelnen Grund-sätze -<br />

jeweils für sich isoliert betrachtet - noch nicht in einem Ausmaß verletzt, dass allein schon aus dem jeweils einzelnen<br />

Grundsatz ein Verwertungsverbot abzuleiten wäre. Eine derart isolierte Betrachtung würde indessen der hier von den<br />

Ermittlungsbehörden praktizierten Vorgehensweise nicht gerecht. Daraus folgt, dass eine der Gesamtsituation angemessene<br />

Bewertung nur durch eine Betrachtung des Verfahrens als Ganzes - also bei Berücksichtigung aller Umstände<br />

der Gesprächsüberwachung - erfolgen kann.<br />

bb) Der Senat verkennt nicht, dass die Strafverfolgungsbehörden den Angeklagten nicht durch gezieltes und beharrliches<br />

Einwirken seitens eines nur zu diesem Zweck auf ihn angesetzten Gesprächspartners zu einer selbstbelastenden<br />

Aussage veranlasst haben, wie dies etwa bei dem Einsatz eines Ver-deckten Ermittlers oder bei dem Tätigwerden<br />

eines als Vertrauensperson ein-gesetzten Mitgefangenen der Fall sein könnte (vgl. dazu BGHSt 34, 362,<br />

363; 44, 129, 136; BGH NJW 2007, 3138, 3141). Vielmehr wurde durch die eigentli-che Überwachungsmaßnahme<br />

lediglich „abgeschöpft“, was der Angeklagte aus freien Stücken gegenüber seiner Ehefrau äußerte, weil er sich unbeobachtet<br />

fühlte. Für sich genommen begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken, <strong>zum</strong>al die Ermittlungsbehörden auf<br />

den Gesprächsinhalt der Eheleute keinerlei Ein-fluss genommen haben.<br />

cc) In die für die Frage, ob dem Angeklagten ein faires Verfahren zuteil wurde, vorzunehmende Gesamtschau sind<br />

aber auch die besonderen Verhält-nisse des Untersuchungshaftvollzuges und die Ausgestaltung der Ehegatten-<br />

Besuchskontakte durch die Ermittlungsbehörden im konkreten Fall einzubeziehen.<br />

(1) Der Vollzug der Untersuchungshaft hat den Zweck, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten<br />

und die spätere Strafvoll-streckung sicherzustellen. Die Untersuchungshaft darf aber weder dazu missbraucht<br />

werden, das Aussageverhalten des Beschuldigten zu beeinflussen (BGHSt 34, 362, 363), noch darf sie auf<br />

eine Totalausforschung des Untersu-chungsgefangenen hinauslaufen. Deshalb wäre es unzulässig, wenn etwa sämtliche<br />

Gespräche eines Untersuchungsgefangenen ohne konkreten Anlass abgehört würden, um überhaupt erst feststellen<br />

zu können, ob die Informati-onserhebung für das Strafverfahren relevante Inhalte betrifft (vgl. BVerfGE 109,<br />

279, 323; BGHSt 44, 138, 143; Schneider aaO S. 14). Andererseits müssen Besuche in der Untersuchungshaft oft<br />

bereits deshalb - offen oder verdeckt - überwacht werden, damit Verdunkelungshandlungen verhindert werden können.<br />

(2) Deswegen war es im vorliegenden Fall, in dem angesichts der Be-weissituation Verdunkelungshandlungen nicht<br />

fern lagen, für sich allein auch nicht bedenklich, dass die Kontaktmöglichkeiten des Angeklagten zu seiner E-hefrau<br />

während der Untersuchungshaft zeitlich und örtlich erheblich eingeschränkt wurden. Vor dem Hintergrund des<br />

Zwecks der Untersuchungshaft hat-te der Angeklagte auch keinen Anspruch darauf, mit seiner Ehefrau ungestört und<br />

unüberwacht sprechen zu können.<br />

(3) Allerdings ist in die Gesamtbetrachtung auch die durch die Haft be-dingte Beschränkung des Angeklagten einzubeziehen,<br />

die ihm ein Ausweichen auf einen anderen Gesprächsort - etwa eine Wohnung - unmöglich machte. Er<br />

war daher darauf angewiesen, auch Persönliches, das keinen Bezug zu der ihm vorgeworfenen Tat hatte, im Rahmen<br />

dieser Besuche mit seiner Ehefrau zu besprechen. Auch dieser Umstand macht die Überwachungsmaßnahme für sich<br />

allein nicht zu einer unfairen Verfahrensgestaltung; denn die Überwachung wurde angeordnet, weil aufgrund konkreter<br />

Anhaltspunkte damit zu rechnen war, dass gerade der Tatvorwurf und nicht nur persönliche Dinge der Ehegatten<br />

zur Sprache kommen würden. Es lag auf der Hand, dass der gegen den Ange-klagten erhobene gravierende Tatvorwurf<br />

und die Umstände, die zu seiner Ver-haftung geführt haben, zwischen den Eheleuten zur Sprache kommen<br />

würden, <strong>zum</strong>al es lebensfremd gewesen wäre, anzunehmen, die Ehefrau würde die au-ßereheliche Beziehung des<br />

Angeklagten zu der Person, deren Tötung dem An-geklagten zur Last lag, unerörtert lassen. Auch wenn es in einer<br />

solchen Situa-tion einem Beschuldigten regelmäßig schwer fallen dürfte, nicht über den Tat-vorwurf zu sprechen -<br />

insbesondere, um nicht eventuelles Täterwissen zu of-fenbaren - stellt die akustische Überwachung der Besuchskontakte<br />

<strong>zum</strong> Ehe-gatten noch keinen Zwang zur Selbstbelastung dar. Der Beschuldigte kann letztlich selbst entscheiden,<br />

was er seinem Ehegatten offenbart und was nicht, auch wenn der in Betracht kommende Gesprächsstoff angesichts<br />

der Überwa-chungssituation erheblich eingeschränkt ist.<br />

dd) In der von den Beschränkungen des Untersuchungshaftvollzuges geprägten Gesprächssituation erlangt hier aber<br />

das Vorgehen der Ermittlungs-behörden besonderes Gewicht, das die Fehlvorstellung beim Angeklagten nicht nur<br />

hervorrufen musste, sondern auch sollte, er könne mit seiner Ehefrau un-überwacht sprechen.<br />

286


Zwar ist die Anwendung einer kriminalistischen List auch bei Ermitt-lungsmaßnahmen in der Haftanstalt nicht unzulässig;<br />

auch ist es gerade das Charakteristikum von heimlichen Überwachungsmaßnahmen, dass der Über-wachte<br />

sich unbeobachtet fühlt.<br />

Die Ermittlungsbehörden haben sich aber in einer Situation, in der dem Angeklagten ein Ausweichen auf ein von<br />

ihm selbst gewählten Gesprächsort nicht möglich war, nicht darauf beschränkt, die Gespräche des Angeklagten zu<br />

seiner Ehefrau akustisch zu überwachen. Sie haben vielmehr bewusst eine von den üblichen Abläufen in der Untersuchungshaft<br />

derart abweichende Besuchs-situation geschaffen, dass nicht lediglich ein Irrtum des Angeklagten<br />

ausgenutzt wurde. Vielmehr wurde, anders kann man das Vorgehen nicht verstehen, die Situation - gezielt - zur Erlangung<br />

einer gerichtsverwertbaren Selbstbelastung des Angeklagten herbeigeführt. Im Rahmen ihres Vorgehens<br />

haben die Ermitt-lungsbehörden mit mehreren aufeinander abgestimmten Maßnahmen dem An-geklagten den Eindruck<br />

vermittelt, er erhalte nun eine Sonderbehandlung und dürfe sich völlig ungestört und ohne jegliche Überwachung<br />

mit seiner Ehefrau - noch dazu in marokkanischer Sprache - unterhalten.<br />

Zum einen wurde für die Besuche der Ehefrau des Angeklagten nicht der gewöhnlich verwendete Besuchsraum<br />

genutzt; vielmehr wurde dem Angeklag-ten für den Besuchskontakt mit seiner Ehefrau ein „separater Raum“ zugewiesen.<br />

Zum anderen fanden diese Besuche - abweichend von den üblichen Ab-läufen in der Haftanstalt - stets ohne<br />

offene Überwachung durch einen Voll-zugsbeamten statt. Besuche in der Untersuchungshaft werden aber nach § 119<br />

Abs. 3 StPO entsprechend Nr. 27 UVollzO in der Regel erkennbar überwacht, gerade weil bei diesen auch die Gefahr<br />

von Verdunkelungshandlungen besteht und deshalb ein unmittelbares Eingreifen durch den überwachenden<br />

Beamten erforderlich werden kann (vgl. Nr. 27 Abs. 3 UVollzO).<br />

Angesichts dieser Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Angeklagten, die ihn zu der Fehlvorstellung gelangen<br />

ließ, die Besuche würden nicht über-wacht, ist das Vorgehen der Ermittlungsbehörden unter gezielter Ausnutzung<br />

der besonderen Situation des Untersuchungshaftvollzuges zur Erlangung einer prozessverwertbaren Selbstbelastung<br />

des Angeklagten schon vor dem Hinter-grund des verfassungsrechtlich verankerten Verbots eines Zwangs zur Selbstbelastung<br />

(„nemo tenetur se ipsum accusare“) bedenklich.<br />

Dieser Bewertung steht hier nicht entgegen, dass - isoliert betrachtet - der Abwesenheit eines Vollzugsbediensteten<br />

zur Besuchsüberwachung nach außen regelmäßig allenfalls der Erklärungsinhalt zukommt, dass Beeinträchti-gungen<br />

der Haftzwecke während des Besuchs von Seiten der Strafverfol-gungsbehörden nicht besorgt werden (vgl. Schneider<br />

aaO S. 14). Jedenfalls dann, wenn einem Untersuchungsgefangenen für die Kontakte mit der Ehefrau abweichend<br />

von der allgemeinen Praxis stets ein gesonderter Raum zur Verfü-gung gestellt wird, in dem zu keinem Zeitpunkt<br />

ein Vollzugsbediensteter zur Gesprächsüberwachung anwesend ist, verliert die Überwachungsmaßnahme den<br />

Charakter einer bloßen „Abschöpfung“ freiwilliger Äußerungen und wird zur bewussten Irreführung (<strong>zum</strong> Ausnutzen<br />

eines bestehenden Irrtums durch die Strafverfolgungsbehörden vgl. BGHSt 39, 335, 348).<br />

Zwar hat diese - wie auch die Verteidigung zu Recht in der Hauptver-handlung hervorgehoben hat - noch nicht die<br />

Qualität einer Täuschung oder eines unzulässigen Zwangs im Sinne von § 136a StPO. Jedenfalls in der Gesamtschau<br />

stellt sich hier aber das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden mit Blick auf die besondere Situation des<br />

Untersuchungshaftvollzuges als Verlet-zung des Rechts auf ein faires Verfahren dar. Die Beweisgewinnung greift<br />

da-nach in erheblicher Weise in die Verfahrensrechte des Angeklagten ein und war somit unzulässig. Sie hat ein<br />

Beweisverwertungsverbot zur Folge.<br />

c) Eine andere Wertung ergibt sich hier auch nicht mit Blick auf die bei der Gesamtschau der maßgeblichen Umstände<br />

zu beachtenden Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege.<br />

Dieser kommt freilich bei schwer wiegenden Delikten - wie hier beim Tat-vorwurf des Mordes - erhebliche Bedeutung<br />

zu. Der Grundsatz des fairen Ver-fahrens verlangt nicht, allein im Hinblick auf die besonderen Umstände des<br />

Un-tersuchungshaftvollzuges von heimlichen Ermittlungsmaßnahmen in der Haft-anstalt - generell - Abstand zu<br />

nehmen. Im Gegenteil gebietet es gerade der Rechtsstaat, dass auch in Justizvollzugsanstalten effektive Ermittlungen<br />

durch-geführt werden, um zu gewährleisten, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt<br />

und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden können.<br />

Dies bedeutet, dass auch in der Untersuchungshaft akustische Überwa-chungsmaßnahmen gemäß § 100f StPO<br />

grundsätzlich zulässig und - wenn an-dere erfolgversprechende Maßnahmen nicht in Betracht kommen - sogar geboten<br />

sein können. Allerdings ist bei der Anordnung und Durchführung von Maßnahmen, die letztlich darauf gerichtet<br />

sind, den Beschuldigten „als Beweismittel gegen sich selbst“ zu verwenden, auf die besonderen Umstände der Haft<br />

Be-dacht zu nehmen. Daran fehlte es hier.<br />

Gegen die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme bestehen dagegen kei-ne Bedenken, wenn der Untersuchungsgefangene<br />

weiß oder jedenfalls - etwa durch entsprechende Hinweise - wissen kann, dass Besuchskontakte generell oder<br />

287


im konkreten Fall - auch akustisch - überwacht und aufgezeichnet werden. So gewonnene Erkenntnisse wären nach<br />

den dargelegten Maßstäben verwertbar.<br />

3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes beruht auf dem Ver-fahrensfehler. Zwar liegt es angesichts der<br />

Fülle und des Gewichts der übrigen Beweisanzeichen nicht fern, dass das Landgericht auch dann zu einer Verurteilung<br />

des Angeklagten wegen Mordes gelangt wäre, wenn es die Erkenntnisse aus der akustischen Gesprächsüberwachung<br />

in der Untersuchungshaft nicht verwertet hätte. Da die Strafkammer aber die heimlich aufgezeichneten Äußerungen<br />

des Angeklagten während des Besuchskontaktes mit seiner Ehefrau ausdrücklich zu seiner Überführung<br />

herangezogen und als „deutliches Indiz“ für seine Täterschaft gewertet hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass<br />

sie diesen Erkenntnissen letztlich ausschlaggebende und damit fallentscheidende Bedeutung beigemessen hat.<br />

StPO § 100 a Abs. 2 Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei TÜ<br />

BGH, Urt. v. 27.11.<strong>2009</strong> – 3 StR 342/08 - NJW <strong>2009</strong>, 791; NStZ <strong>2009</strong>, 224<br />

LS: Zur Verwertbarkeit von Zufallsfunden aus der Überwachung der Telekommunikation, wenn<br />

sich zwischen der Durchführung der Maßnahme und der Verwendung der ge-wonnenen Erkenntnisse<br />

die Anordnungsvoraussetzungen geändert haben.<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts Oldenburg vom 27. Februar 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in neun Fällen freigesprochen. Hiergegen richtet<br />

sich die Revision der Staatsanwalt-schaft mit Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das<br />

Rechtsmittel hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg.<br />

1. Dem Angeklagten, der wegen vielfachen Betruges derzeit eine lang-jährige Freiheitsstrafe verbüßt, an deren Ende<br />

die Vollstreckung von Siche-rungsverwahrung notiert ist, liegt zur Last, während des Strafvollzuges die Zeu-gen E.<br />

, M. und K. in neun Fällen durch Vortäuschung fal-scher Tatsachen zu Zahlungen von insgesamt mehr als<br />

116.000 € an ihn bzw. an Dritte veranlasst zu haben, um sich dadurch eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle<br />

von einigem Umfang zu verschaffen. Das Landgericht hat fest-gestellt, dass vom Zeugen E. und dessen<br />

Ehefrau sowie vom Zeugen M. Zahlungen in dieser Höhe geleistet wurden. Der Zeuge M. leitete da-bei möglicherweise<br />

auch Gelder des Zeugen K. weiter. Das Landgericht hat sich aber nicht davon überzeugen können,<br />

dass diese Zahlungen durch be-trügerische Einwirkungen des Angeklagten auf die genannten Personen bewirkt worden<br />

waren.<br />

2. Mit einer Aufklärungsrüge wendet sich die Staatsanwaltschaft dage-gen, dass das Landgericht es unterlassen hat,<br />

den Inhalt von 17 Telefonge-sprächen zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. sowie zwischen diesem<br />

und dem Zeugen K. und anderen Personen in die Hauptverhand-lung einzuführen. Die Rüge greift durch. Das<br />

vom Landgericht angenommene Beweisverwertungsverbot besteht nicht.<br />

a) Die Erkenntnisse über den Inhalt der 17 Telefongespräche, deren Verwertung von der Beschwerdeführerin vermisst<br />

wird, sind im Einzelnen wie folgt gewonnen worden:<br />

Die Überwachung der Festnetzanschlüsse von Horst und Annelie M. war in dem Ermittlungsverfahren gegen<br />

Horst M. wegen des Verdachts der Geldwäsche durch Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 25. Januar<br />

2006 angeordnet worden. Grundlage der Anordnung war die Erkenntnis der Strafverfolgungsbehörden, dass Horst<br />

M. im Juli und Oktober 2005 jeweils 25.000 € in bar auf das Konto des Angeklagten eingezahlt hatte, die angesichts<br />

der Vermögenslage der Eheleute M. vermutlich nicht von diesen stammen konnten. Der Verdacht beruhte<br />

auch darauf, dass Horst M. im Januar 2006 bestätigte Bankschecks im Wert von ca. 100.000 €, gezogen auf die<br />

Royal Bank of Canada, zur Einreichung auf sein Konto vorgelegt hatte, in seiner poli-zeilichen Vernehmung indes<br />

keinen plausiblen wirtschaftlichen Hintergrund für die Begebung der Schecks an ihn zu benennen vermochte. Die<br />

genannten Überweisungen sind Gegenstand der gegen den Angeklagten erhobenen Be-trugsvorwürfe <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Horst M. und des Rolf Dieter K. (Nr. 4a und Nr. 8a der Anklage).<br />

Die Überwachung des Mobilfunkanschlusses von Annelie M. war in demselben Ermittlungsverfahren gegen<br />

Horst M. wegen des Verdachts der Geldwäsche durch Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 31. Januar<br />

288


2006 angeordnet worden, nachdem festgestellt worden war, dass Horst M. auch diesen Anschluss <strong>zum</strong> Kontakt<br />

mit dem Angeklagten nutzte.<br />

In Ausführung der Beschlüsse sind die 17 Telefongespräche, die zwi-schen dem 26. Januar 2006 und dem 23. März<br />

2006 geführt worden sind, auf-gezeichnet und hiervon Leseabschriften (TÜ-Protokolle) bzw. zusammenfas-sende<br />

Berichte der Kriminalpolizei über die Gesprächsinhalte gefertigt worden.<br />

Das gegen Horst M. geführte Ermittlungsverfahren wegen Geldwä-sche ist am 12. Oktober 2006 gem. § 170 Abs.<br />

2 StPO eingestellt worden, weil die Ermittlungen ergeben hätten, "dass er selbst als Geschädigter anzusehen" sei.<br />

Demgemäß hat die Staatsanwaltschaft auch wegen Betrugstaten zu sei-nem Nachteil im vorliegenden Verfahren im<br />

August 2006 Anklage gegen den Angeklagten erhoben.<br />

Am 22. Februar 2008 hat die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhand-lung die TÜ-Protokolle sowie die zusammenfassenden<br />

Berichte dem Gericht übergeben und deren Inaugenscheinnahme bzw. Verlesung beantragt.<br />

b) Die Erkenntnisse über den Inhalt der Telefongespräche (die Kommu-nikationsdaten) sind in dem Ermittlungsverfahren<br />

gegen Horst M. zulässig gewonnen worden, da bestimmte Tatsachen den Verdacht begründet hatten, dass<br />

dieser als Täter oder Teilnehmer eine Geldwäsche begangen oder zu be-gehen versucht hatte, und die Erforschung<br />

des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert gewesen wäre (§ 100 a Nr. 2 StPO aF). Dies ergibt sich<br />

zwar nicht aus den ermittlungsrichterlichen Anordnungsbeschlüssen, die sich in formelhaften Wendungen ohne näheren<br />

Tatsachenbezug erschöpfen, folgt aber aus den mit der Revisionsbegründung vorgelegten polizeilichen Ermitt-lungsberichten,<br />

die den Anordnungen zugrunde lagen (vgl. BGHSt 47, 362, 367 ff.).<br />

c) Die Inhalte der Telefonate sind in dem gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Betrugs gerichteten Strafverfahren<br />

jedenfalls als sog. Zufalls-funde nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO verwertbar. Danach dürfen die auf Grund<br />

der Telefonüberwachung (rechtmäßig) erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme<br />

betroffenen Personen zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche<br />

Maß-nahme nach der Strafprozessordnung hätte angeordnet werden dürfen. Dies ist hier der Fall:<br />

§ 100 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO erlaubt die Überwachung und Auf-zeichnung der Telekommunikation beim<br />

tatsachengestützten Verdacht des Be-truges im schweren Fall (§ 263 Abs. 3 Satz 2 StGB). Diese Regelung ist zwar<br />

erst am 1. Januar 2008 in Kraft getreten (Art. 16 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung<br />

und anderer verdeckter Ermittlungsmaß-nahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.<br />

Dezem-ber 2007 - TKÜG - BGBl I 3198) und galt deshalb im Zeitpunkt der Anordnung der Überwachungsmaßnahmen<br />

und ihrer Durchführung noch nicht. Hierauf kommt es indes entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht<br />

an.<br />

Ändern sich im Verlauf eines anhängigen Strafverfahrens strafprozes-suale Vorschriften, so ist für das weitere Verfahren<br />

grundsätzlich die neue Rechtslage maßgeblich (vgl. BGHSt 22, 321, 325; 26, 288, 289; 46, 310, 317 ff.; Kühne<br />

in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschnitt F Rdn. 22; Knierim StV 2008, 599, 600; für Änderungen des<br />

Verfahrensrechts im Zeitpunkt zwi-schen dem tatrichterlichen Urteil und der Entscheidung des Revisionsgerichts<br />

vgl. § 354 a StPO und Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 354 a Rdn. 4). Dieser Grundsatz wird für die hier zu beurteilende<br />

Fallkonstellation durch folgende Überlegung bestätigt: Der Angeklagte war durch die im Verfahren gegen<br />

Horst M. (rechtmäßig) angeordneten Telefonüberwachungen allenfalls mittelbar in seinen Rechten betroffen.<br />

Denn diese in Grundrechte eingreifende strafprozes-sualen Ermittlungsmaßnahmen richteten sich unmittelbar allein<br />

gegen den da-maligen Beschuldigten und dessen Ehefrau, während der Angeklagte lediglich reflexartig als einer der<br />

Kommunikationspartner Horst M. s in seinen Rech-ten berührt wurde; soweit es sich um Telefonate zwischen<br />

den Zeugen M. und K. handelt, sind durch die Überwachung und Aufzeichnung der Ge-spräche Rechte des<br />

Angeklagten nicht einmal mittelbar beeinträchtigt. Der ei-gentliche, unmittelbare Eingriff in die Rechtssphäre des<br />

Angeklagten lag viel-mehr erst darin, dass die Staatsanwaltschaft die durch die Telefonüberwachung gewonnenen<br />

Daten in das Verfahren gegen den Angeklagten einführte mit dem Begehren, sie zur Aufklärung des gegen diesen<br />

gerichteten Tatvorwurfs zu ver-wenden. In einer derartigen Verwendung der gewonnenen Daten liegt eine er-neute<br />

Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses (vgl. BVerfGE 100, 313, 391 f.), die gesonderter rechtlicher Grundlage<br />

insbesondere deswegen bedarf, weil die Datenverwendung nunmehr der Strafverfolgung eines Dritten dienen soll,<br />

gegen den sich die ursprüngliche Anordnung der heimlichen Datengewin-nung nicht gerichtet hatte. Diese rechtliche<br />

Grundlage war im Zeitpunkt der von der Staatsanwaltschaft begehrten Datenverwendung durch § 477 Abs. 2 Satz 2<br />

StPO in Verbindung mit § 100 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO indes gegeben. Der vor dem 1. Januar 2008 bestehenden<br />

Rechtslage, die die Verwendung der durch die Telefonüberwachung rechtmäßig erlangten Zufallsfunde zur Aufklä-rung<br />

eines Betrugs im besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 3 Satz 2 StGB) nicht zuließ (vgl. § 100 b Abs. 5 in<br />

Verbindung mit § 100 a Abs. 1 StPO aF), kommt demgegenüber keine Bedeutung mehr zu. Ein berechtigtes Vertrauen<br />

des Angeklagten in die Fortgeltung dieses früheren Rechtszustands ist nicht anzuerkennen.<br />

289


Letztlich steht der Verwertung auch nicht entgegen, dass die Staatsan-waltschaft die Eheleute M. im November<br />

2006 von den gegen sie durchge-führten Telefonüberwachungsmaßnahmen unterrichtet und ihnen mitgeteilt hat, die<br />

erlangten Unterlagen würden vernichtet, dies indes in der Folgezeit unter-blieben ist. Die Staatsanwaltschaft war<br />

berechtigt, von der Löschung der Daten abzusehen, da zeitgleich mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen<br />

Horst M. und damit noch vor der Unterrichtung der Eheleute M. wegen desselben Sachverhalts ein Ermittlungsverfahren<br />

wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen Rechtsanwalt B. eingeleitet worden war, in<br />

dem die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung als Beweismittel unmittelbar hätten verwertet werden können<br />

(vgl. § 100 b Abs. 6 StGB aF; § 101 Abs. 8 StPO nF). Dieses Verfahren ist erst nach dem Erlass des hier angegriffenen<br />

Urteils einge-stellt worden.<br />

Nach alledem kann dahinstehen, ob es sich bei dem Verfahren gegen den Angeklagten, soweit es die betrügerische<br />

Erlangung der vom Zeugen M. gezahlten Beträge von zweimal 25.000 € betrifft, überhaupt um ein im Verhältnis<br />

zu dem vormaligen Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen M. "an-deres Strafverfahren" im Sinne von §<br />

477 Abs. 2 Satz 2 StPO (= § 100 b Abs. 5 StPO aF) handelt oder ob nicht vielmehr eine einheitliche Tat im prozessualen<br />

Sinn vorliegt, so dass jedenfalls in diesem Umfang die durch die Überwachung gewonnenen Beweisergebnisse<br />

ohne Einschränkung auch gegen den Ange-klagten verwertet werden durften.<br />

d) Die unterlassene Beweiserhebung hat sich aufgedrängt, denn die von der Revision mitgeteilten Inhalte der Telefonate<br />

enthalten Indizien für ein mögli-ches täuschendes Verhalten des Angeklagten sowie dafür, dass die Gesprächsteilnehmer<br />

M. und K. nicht auf Seiten des Angeklagten in Be-trugstaten verstrickt, sondern selbst Opfer<br />

von Täuschungen des Angeklagten gewesen sein können.<br />

e) Das Urteil beruht auf der fehlerhaft unterlassenen Verwertung der Te-lefonate. Es ist nicht auszuschließen, dass<br />

sich das Landgericht durch deren Inhalt und den Umstand, dass der Angeklagte mit teilweise identischer Vorgehensweise<br />

bereits in der Vergangenheit ganz erhebliche Summen ertrogen hat, die Überzeugung von der Schuld des<br />

Angeklagten verschafft hätte.<br />

StPO § 101 Abs. 7 Nachträglicher Rechtsschutz nach heimliche Ermittlungsmaßnahmen<br />

BGH, Beschl. v. 08.10.2008 – StB 12-15/08<br />

LS: Zum Verfahren auf Gewährung von nachträglichem Rechtsschutz gemäß § 101 Abs. 7 StPO<br />

gegen die Anordnung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen und die Art und Weise ihres Vollzugs.<br />

Die Sache wird an den 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin abgegeben.<br />

Gründe:<br />

I. Der Generalbundesanwalt führt bzw. führte ein Ermittlungsverfahren ge-gen sieben Beschuldigte wegen des Verdachts<br />

der mitgliedschaftlichen Beteili-gung an einer kriminellen Vereinigung ("militante gruppe"). Auf seinen Antrag<br />

erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im Zuge dieses Ermitt-lungsverfahrens am 18. Mai 2007<br />

einen Postbeschlagnahmebeschluss nach §§ 99, 100 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 StPO, mit dem er für den Zeitraum<br />

vom 18. bis 22. Mai 2007 die Beschlagnahme durch bestimmte äußere Merkmale ge-kennzeichneter Briefe an vier<br />

Berliner Zeitungsverlage im Briefzentrum 10 in Berlin-Mitte anordnete. Auf diese Weise sollten etwaige Bekennerschrei-ben<br />

zu einem am 18. Mai 2007 begangenen Brandanschlag vor deren Ausliefe-rung durch die <strong>Deutsche</strong> Post<br />

AG sichergestellt und untersucht werden. Zwei Bekennerschreiben, gerichtet an zwei Zeitungen, auf die die im Beschlagnahmebeschluss<br />

genannten äußeren Merkmale zutrafen, wurden auf diese Weise als Beweismittel gesichert.<br />

Mit Beschluss vom 31. Mai 2007 bestätigte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs deren Beschlag-nahme.<br />

Eine Benachrichtigung der betroffenen Adressaten von der Anordnung und dem Vollzug der Maßnahme wurde aus<br />

Ermittlungsgründen zurückgestellt. Die Betroffenen haben hiervon Anfang November 2007 von dritter Seite Kenntnis<br />

erlangt.<br />

Ohne dass zwischenzeitlich eine Benachrichtigung nach § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StPO vorgenommen worden<br />

war, haben die im Beschluss vom 18. Mai 2007 als mögliche Adressaten der Briefe benannten vier Berliner<br />

Zeitungsverlage mit Schriftsatz vom 28. Januar 2008 gegen die Beschlagnah-meanordnung sowie hilfsweise gegen<br />

die Art und Weise des Vollzugs der Maß-nahme "Beschwerde" eingelegt; den Beschluss vom 31. Mai 2007 haben<br />

sie nicht angefochten. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat das Rechtsmittel in einen Antrag nach §<br />

101 Abs. 7 Satz 2 StPO auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Postbeschlagnahme sowie der Art<br />

290


und Weise ihres Vollzuges umgedeutet. Hinsichtlich der Anordnung der Maßnahme hat er den Antrag mit Beschluss<br />

vom 5. Mai 2008 als unbegründet zurückge-wiesen. Dem hilfsweise gestellten Antrag hat er entsprochen.<br />

Gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Feststellung der Rechtswid-rigkeit der richterlichen Anordnung der<br />

Postbeschlagnahme haben die Betroffe-nen am 8. Mai 2008 sofortige Beschwerde eingelegt und diese am 3. Juni<br />

2008 begründet. Sie sind der Auffassung, bereits die ermittlungsrichterliche Anord-nung der Postbeschlagnahme sei<br />

im Hinblick auf die Pressefreiheit einschließ-lich des Informantenschutzes und des Redaktionsgeheimnisses unverhältnis-mäßig<br />

und damit verfassungswidrig gewesen.<br />

Unter dem 21. Juni 2008 hat der Generalbundesanwalt gegen drei der sieben Beschuldigten Anklage <strong>zum</strong> 1. Strafsenat<br />

des Kammergerichts Berlin erhoben. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis der Anklageschrift sind die beschlagnahmten<br />

zwei Selbstbezichtigungsschreiben der "militanten gruppe" vom 18. Mai 2007 als Beweismittel benannt.<br />

Die Ermittlungsverfahren hinsichtlich der übrigen vier Beschuldigten sind abgetrennt worden und dauern an.<br />

II.<br />

Die Sache ist an den 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin ab-zugeben. Aufgrund der Anklageerhebung ist die<br />

Entscheidungszuständigkeit gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf das Kammergericht übergegangen.<br />

1. Das Verfahren zur Gewährung von nachträglichem Rechtsschutz ge-gen die Postbeschlagnahme richtet sich nach<br />

§ 101 Abs. 7 StPO. Diese Vor-schrift beinhaltet insoweit eine spezielle Regelung für alle dort benannten heim-lichen<br />

Ermittlungsmaßnahmen, die die allgemeinen Rechtsbehelfe verdrängt. Der Ermittlungsrichter hat daher die "Beschwerde"<br />

zu Recht in den allein statt-haften Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO umgedeutet (§ 300 StPO).<br />

Dass es sich bei § 101 StPO um eine abschließende Sonderregelung handelt, deren Absatz 7 - jedenfalls für bereits<br />

beendete Maßnahmen - den Rechtsbehelf der Beschwerde sowie den von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsschutz<br />

entsprechend § 98 Abs. 2 StPO verdrängt, ergibt sich neben dem Grundsatz des lex specialis insbesondere aus<br />

der Systematik des § 101 StPO. Stünde den Betroffenen neben dem Verfahren des nachträglichen Rechts-schutzes<br />

nach § 101 Abs. 7 StPO das bisherige Rechtsbehelfssystem parallel zur Verfügung, so liefe die gesetzliche Bestimmung<br />

einer Antragsfrist von zwei Wochen nach Benachrichtigung von der Maßnahme (§ 101 Abs. 7 Satz 2 StPO)<br />

sowie die Ausgestaltung des Anschlussrechtsmittels als sofortige Beschwerde (§ 101 Abs. 7 Satz 3 StPO) leer (kritisch<br />

aber Glaser/Gedeon GA 2007, 415, 434). Die Befristung des Rechtsbehelfs war vom Gesetzgeber im Hinblick<br />

auf die Löschungsregelung in § 101 Abs. 8 StPO jedoch ausdrücklich für notwendig erachtet worden, da ein unbefristeter<br />

Rechtsbehelf einer Löschung dauerhaft entgegenstünde (BTDrucks. 16/5846 S. 62 letzter Absatz; kritisch<br />

hierzu Puschke/Singelnstein NJW 2008, 113, 116; Klaws StRR 2008, 7, 10; vgl. auch Nöding StraFo 2007, 456,<br />

463).<br />

Insbesondere handelt es sich bei dem Rechtsmittel nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nicht um einen Auffangtatbestand,<br />

der nur dann Anwendung fin-det, wenn das Rechtsschutzbedürfnis - auch nach den Maßstäben der Rechts-sprechung<br />

zu dessen Fortbestehen bei schwer wiegenden Grundrechtseingrif-fen (BVerfG NJW 1997, 2163; BGHSt 44, 265) -<br />

mit Erledigung der Maßnahme entfallen ist (aA Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 101 Rdn. 26; Eisenberg, Beweisrecht<br />

der StPO 6. Aufl. Rdn. 2499, 2535; Löffelmann ZIS 2006, 87, 97; ders. in: AnwK-StPO § 100 d Rdn. 10;<br />

unklar ders. ZStW 118 (2006) 358, 368). Denn die Funktion und praktische Bedeutung des § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO<br />

erschöpfen sich nicht allein darin, dem Betroffenen den Nachweis eines fortbe-stehenden Rechtsschutzbedürfnisses<br />

im Einzelfall zu ersparen (dahingehend Puschke/Singelnstein NJW 2008, 113, 116; Zöller StraFo 2008, 15, 23; Löffelmann<br />

aaO), sondern zielen insgesamt darauf ab, ein "harmonisches Gesamt-system" der strafprozessualen heimlichen<br />

Ermittlungsmaßnahmen (BTDrucks. 16/5846 S. 91) und des Rechtsschutzes gegen diese zu schaffen. Aufgrund<br />

des klaren Wortlauts und Zwecks der gesetzlichen Neuregelung können die teilwei-se missverständlichen Formulierungen<br />

in der Gesetzesbegründung, die auf ei-nen nicht fristgebundenen parallelen Rechtsschutz entsprechend § 98<br />

Abs. 2 Satz 2 StPO hindeuten (BTDrucks. 16/5846 S. 62), für die Gesetzesauslegung keine maßgebliche Bedeutung<br />

gewinnen. Andernfalls wären wiederum erhebli-che Abgrenzungsprobleme zu gewärtigen.<br />

2. Mit Erhebung der Anklage durch den Generalbundesanwalt ist die Zu-ständigkeit für die Entscheidung über den<br />

Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf den 1. Strafsenat des Kammergerichts übergegangen.<br />

Nach der - insoweit eindeutigen - Gesetzesbegründung (BTDrucks. 16/5846 S. 63) soll für Anträge auf nachträglichen<br />

Rechtsschutz in Fällen, in denen bereits Anklage erhoben wurde, aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Effizienz<br />

die ausschließliche Entscheidungszuständigkeit des nunmehr mit der Sache befassten erkennenden Gerichts<br />

begründet sein. Auch wenn eine Ent-scheidung des Anordnungs- bzw. Beschwerdegerichts über die Rechtmäßigkeit<br />

der Anordnung der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzuges keine Entscheidung über die Verwertbarkeit<br />

der hierdurch gewonnenen Beweismittel beinhaltet (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 44, 45; Nack in KK 6. Aufl. §<br />

101 Rdn. 35; Nöding StraFo 2007, 456, 463) und für das im Hauptverfahren erken-nende Gericht auch nicht präjudizierend<br />

ist (BTDrucks. 16/5846 S. 62; Meyer-Goßner aaO § 101 Rdn. 25; Nack aaO § 101 Rdn. 35; Eisenberg aaO<br />

291


Rdn. 2535), soll der Gefahr divergierender Entscheidungen dadurch begegnet wer-den, dass dieses über den Antrag<br />

nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO in der das Verfahren abschließenden Entscheidung einheitlich befindet.<br />

Dies kann, wenn bereits vor Anklageerhebung um nachträglichen Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nachgesucht<br />

worden ist, zu ei-nem Übergang der gerichtlichen Entscheidungszuständigkeit auf das erkennen-de Gericht<br />

führen (BTDrucks. 16/5846 S. 63; Meyer-Goßner aaO § 101 Rdn. 25). Der dem § 162 StPO zu entnehmende allgemeine<br />

Rechtsgedanke, dass mit Anklageerhebung jedwede Kompetenz des Ermittlungsrichters beendet ist und diese<br />

auf das erkennende Gericht übergeht (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 44, 45; Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26.<br />

Aufl. § 162 Rdn. 52, 52 a; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 162 Rdn. 20), hat in § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO eine spezialgesetzliche<br />

Konkretisierung erfahren.<br />

a) Dem Übergang der Zuständigkeit steht hier nicht entgegen, dass die nachträgliche Überprüfung der Maßnahme<br />

nicht von einem Beschuldigten oder Angeklagten, sondern als Drittbetroffenen von den Zeitungsverlagen begehrt<br />

wird, an die die Briefe adressiert waren, die der Anordnung nach § 99 StPO unterworfen worden sind. Ausweislich<br />

der amtlichen Begründung war im Ge-setzgebungsverfahren zunächst erwogen worden, die Zuständigkeitsregelung<br />

des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf die Fälle zu beschränken, in denen der An-geklagte um nachträglichen Rechtsschutz<br />

ersucht. Aus Gründen einer effizien-ten Verfahrensweise sowie zur Vermeidung divergierender Entscheidungen<br />

zwischen Anordnungs- oder Beschwerdegericht einerseits und erkennendem bzw. Rechtsmittelgericht andererseits<br />

soll die durch den Zuständigkeitsüber-gang bedingte Zuständigkeitskonzentration bei dem erkennenden Gericht<br />

je-doch auch für diese Konstellation gelten (BTDrucks. 16/5846 S. 63; ebenso Ei-senberg aaO Rdn. 2499; kritisch<br />

Nack aaO Rdn. 37).<br />

b) Dass bislang nur gegen drei der ursprünglich sieben Beschuldigten Anklage erhoben worden ist und das Ermittlungsverfahren<br />

gegen die weiteren vier Beschuldigten noch andauert, steht dem Übergang der Zuständigkeit auf das<br />

erkennende Gericht ebenfalls nicht entgegen. Denn die Gefahr divergie-render Entscheidungen stellt sich, sobald das<br />

erkennende Gericht - als Vorfra-ge im Rahmen der eventuellen Prüfung eines Verwertungsverbotes - inzident auch<br />

zur Rechtmäßigkeit der Anordnung und Vollziehung der Maßnahme Stellung bezieht. Da die Bekennerschreiben in<br />

dem Verfahren vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts als Be-weismittel eine Rolle spielen können, hat sich die<br />

Gefahr divergierender Ent-scheidungen hier im Übrigen sogar konkretisiert.<br />

c) Letztlich wird der Zuständigkeitswechsel auch nicht dadurch gehindert, dass der Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2<br />

StPO sowie die sofortige Beschwer-de nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO bereits vor Anklageerhebung angebracht worden<br />

waren; denn mit dem Wegfall der Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes ist auch diejenige<br />

des Senats als Beschwerdegericht (§ 135 Abs. 2 GVG, § 304 Abs. 5 GVG) entfallen (BGHSt 27, 253). Der dem<br />

§ 101 Abs. 7 Satz 4 StPO zugrunde liegende Rechtsgedanke, divergierende Entscheidungen verschiedener Gerichte<br />

zu vermeiden, gilt auch in dieser Ver-fahrenskonstellation (vgl. BGHSt 27, 253, 254). Daher hat nunmehr das erkennende<br />

Gericht zu entscheiden (siehe auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 44, 45; Meyer-Goßner aaO § 162 Rdn.<br />

19).<br />

StPO § 111 b Abs. 3 Satz 3<br />

BGH, Beschl. v. 16.06.<strong>2009</strong> – StB 19/09<br />

Zur Aufhebung eines Arrest durch das Instanzgericht, wenn die Anklagebehörde gegen die gleichzeitige<br />

Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens Beschwerde eingelegt hat.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni <strong>2009</strong> gemäß § 304 Abs. 4, § 307 Abs. 2 StPO beschlossen:<br />

Nach Gewährung rechtlichen Gehörs für den Angeschuldigten und seine Verteidiger wird der Beschluss des Senats<br />

vom 23. April <strong>2009</strong> teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:<br />

Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts vom 2. April <strong>2009</strong> wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München<br />

vom 1. April <strong>2009</strong> abgeändert.<br />

Die Vollziehung des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 19. März <strong>2009</strong> wird bis zu der Entscheidung<br />

des Senats über die Rechtsmittel des Generalbundesanwalts gegen den vorbezeichneten Beschluss ausgesetzt, soweit<br />

darin aufgehoben worden sind<br />

- die Beschlagnahmebeschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. November 2006 (1 BGs<br />

192/2006), 7. Dezember 2006 (1 BGs 198/2006) und 21. Mai 2007 (1 BGs 226/2007);<br />

292


- die Arrestbeschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesge-richtshofs in das Vermögen des Angeschuldigten und<br />

der H. Limited, vom 19. Oktober 2006 (1 BGs 142/2006) und 13. Dezember<br />

2006 (1 BGs 208/2006), letztgenannter Beschluss jedoch nur, soweit sich die Aufhebung durch das Oberlandesgericht<br />

München auf einen Teilbetrag von 277.041,07 € erstreckt; ein Restbetrag von 133.364,31 € ist daher freizugeben.<br />

Die weitergehende Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München<br />

vom 1. April <strong>2009</strong> wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Mit Beschluss vom 19. März <strong>2009</strong> hat es das Oberlandesgericht Mün-chen abgelehnt, die Anklage des Generalbundesanwalts<br />

vom 7. August 2008 zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten<br />

zu eröffnen. Zugleich hat es - neben der Aufhebung des Haftbefehls und der Freigabe der Sicherheitsleistung<br />

- die in der Entscheidungsformel ge-nannten Beschlagnahme- und Arrestbeschlüsse des Ermittlungsrichters des<br />

Bundesgerichtshofs aufgehoben und die Anordnung der Beschlagnahme einer Reihe von Gegenständen abgelehnt,<br />

die als Beweismittel und Einziehungsge-genstände in Betracht kommen könnten.<br />

Der Generalbundesanwalt hat am 27. März <strong>2009</strong> gegen die Nichteröff-nung des Hauptverfahrens sofortige Beschwerde<br />

und gegen die Nebenent-scheidungen Beschwerde eingelegt und dies mit dem Antrag verbunden, ge-mäß §<br />

307 Abs. 2 StPO die Vollziehung der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidungen auszusetzen. Der Beschwerde<br />

hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 1. April <strong>2009</strong> nicht abgeholfen und zugleich den Antrag auf<br />

Aus-setzung der Vollziehung verworfen. Gegen die letztgenannte Entscheidung hat der Generalbundesanwalt am 2.<br />

April <strong>2009</strong> Beschwerde eingelegt, soweit sie "die Aufhebung von Beschlagnahme- und Arrestbeschlüssen" betrifft.<br />

In diesem Umfang hat der Senat daraufhin mit Beschluss vom 23. April <strong>2009</strong> die Vollzie-hung des Beschlusses des<br />

Oberlandesgerichts vom 19. März <strong>2009</strong> ausgesetzt.<br />

Der Beschluss des Senats ist aus Gründen der Eilbedürftigkeit ohne An-hörung des Angeschuldigten und seiner<br />

Verteidiger ergangen; ihnen ist nach-träglich rechtliches Gehör gewährt worden (§ 311 a StPO). Die daraufhin erhobenen<br />

Einwände der Verteidiger gegen den Senatsbeschluss vom 23. April <strong>2009</strong> führen zu dessen teilweiser Abänderung,<br />

soweit er sich auf den Arrestbe-schluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember<br />

2006 (1 BGs 208/2006) bezieht. Die Vollziehung der Aufhebung dieser Arrest-anordnung durch das Oberlandesgericht<br />

wird nur noch in dem aus der Ent-scheidungsformel ersichtlichen Umfang ausgesetzt. Hinsichtlich des überschie-ßenden<br />

Betrages von 133.364,31 € liegen die Voraussetzungen für die Ausset-zung der Vollziehung des oberlandesgerichtlichen<br />

Beschlusses dagegen nicht vor. In diesem Umfang erweist sich die Beschwerde des Generalbundesanwalts<br />

gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 1. April <strong>2009</strong> daher als unbegründet. Im Übrigen<br />

verbleibt es bei dem Beschluss des Senats vom 23. April <strong>2009</strong>. Im Einzelnen ist, namentlich mit Blick auf die erhobenen<br />

Ein-wände der Verteidigung, im jetzigen Verfahrensstadium lediglich folgendes aus-zuführen:<br />

1. Der Senat ist befugt, im Beschwerdewege über die vom Generalbun-desanwalt erstrebte Aussetzung der Vollziehung<br />

zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 307 Rdn. 4). Er ist dabei weder an die rechtliche Bewertung<br />

der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Handlungen durch das Ober-landesgericht gebunden, noch kommt<br />

dem Zeitraum, der zwischen dem Be-schluss des Oberlandesgerichts über die Aufhebung der Arrestbeschlüsse und<br />

der Vorlage der Beschwerde durch den Generalbundesanwalt an den Senat liegt, eine die Sachentscheidung des Senats<br />

ausschließende Wirkung zu. Auch durch § 120 Abs. 2 StPO wird eine Entscheidung über die Fortdauer der<br />

Arrestierungen und der Beschlagnahmen nicht gehindert. Diese Regelung be-trifft allein die Freilassung eines Beschuldigten<br />

aus der Untersuchungshaft. Sie stellt eine Ausnahme von § 307 Abs. 2 StPO dar, die auf weitere Eingriffe<br />

nicht ausdehnend anwendbar ist.<br />

2. Hinsichtlich eines arrestierten Betrags von 575.093,72 € sowie hin-sichtlich der Beschlagnahmebeschlüsse verbleibt<br />

es bei der Aussetzung der Vollziehung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses vom 19. März <strong>2009</strong>. Dem<br />

steht insbesondere nicht entgegen, dass gemäß § 111 b Abs. 3 Satz 3 StPO ohne das Vorliegen dringender Gründe<br />

eine Arrestanordnung über zwölf Mona-te hinaus nicht aufrechterhalten werden darf.<br />

Ob hier dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz<br />

vorliegen, ist eine Frage, die erst mit der Beschlussfassung des Senats über die Rechtsmittel des Generalbundesanwalts<br />

gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens sowie der Nebenentscheidungen zu beantworten<br />

ist. Diese Entscheidung kann im Verfah-ren nach § 307 Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht vorweggenommen werden.<br />

Hebt das Ausgangsgericht einen Arrestbeschluss lediglich isoliert auf, weil es dringende Gründe im Sinne des §<br />

111 b Abs. 3 Satz 3 StPO nicht (mehr) als gegeben ansieht, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Beschwerde-gericht<br />

über das Vorliegen der dringenden Gründe erst in der Hauptsache zu entscheiden hat und durch §<br />

111 b Abs. 3 Satz 3 StPO nicht gehindert ist, bis zu dieser Entscheidung den Vollzug des mit der Beschwerde ange-<br />

293


fochtenen Beschlusses auszusetzen. Nichts anderes kann aber gelten, wenn sich die Auf-hebung eines Arrestbeschlusses<br />

lediglich als folgerichtige Annexentscheidung zu der Nichtzulassung einer Anklage darstellt mit der Folge,<br />

dass die Beantwor-tung der Frage, ob die für die weitere Arrestierung notwendigen dringenden Gründe weiterhin<br />

vorliegen, untrennbar mit der Entscheidung über die Be-schwerde gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens<br />

verknüpft ist.<br />

Anders liegt es nur dann, wenn sich die Beschwerde gegen die Nichter-öffnung des Hauptverfahrens schon bei vorläufiger<br />

Prüfung als aller Voraussicht nach unbegründet erweist, so dass es schon aus diesem Grund nicht sachgerecht<br />

ist, den Vollzug des Nichteröffnungsbeschlusses sowie der daran anknüp-fenden Annexentscheidungen auszusetzen.<br />

Dies ist hier indes - mit der unter 3. dargelegten Einschränkung - nicht der Fall; denn die sofortige Beschwerde<br />

des Generalbundesanwalts gegen die Nichtzulassung der von ihm erhobenen An-klage ist nicht von vorneherein<br />

aussichtslos.<br />

Bei dieser Sachlage hat der Senat unter Berücksichtigung aller Umstän-de des Einzelfalls abzuwägen, ob das öffentliche<br />

Interesse an der Aufrechter-haltung der Arrestierung und der Beschlagnahmen das Interesse des Angeschuldigten<br />

am sofortigen Vollzug der angefochtenen Entscheidung und der Freigabe seiner Vermögenswerte und<br />

der Beweismittel überwiegt (vgl. Matt in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 307 Rdn. 5; Engelhardt in KK-StPO 6.<br />

Aufl. § 307 Rdn. 7). Dabei ist für den Fall, dass - wie hier - der Erfolg der sofortigen Beschwerde weder auf der<br />

Hand liegt noch äußerst unwahrscheinlich ist, von Bedeutung, ob durch die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung<br />

(oder durch die Aussetzung des Vollzugs) irreparable Nachteile entstehen würden (vgl. Frisch in SK-StPO<br />

§ 307 Rdn. 12 m. w. N.).<br />

Diese Abwägung ergibt, dass vorliegend in dem aus der Entscheidungs-formel ersichtlichen Umfang die Gründe für<br />

eine Aussetzung der Vollziehung überwiegen. Würden die arrestierten Geldbeträge und die Beweismittel freigegeben<br />

werden und würde der Senat sodann in der Hauptsache der sofortigen Beschwerde des Generalbundesanwalts<br />

stattgeben, dann ging im Fall einer Verurteilung die Vollstreckung einer Wertersatzverfallsanordnung mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit ins Leere, Beweismittel stünden im Verfahren nicht mehr zur Verfügung. Würde andererseits die<br />

Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Nichteröffnung des Hauptverfahrens bestätigt oder das Hauptverfahren<br />

nur in geringerem Umfang eröffnet, als es dem Anklagevorwurf entspricht, so hätte der Angeschuldigte bis zur<br />

Entscheidung des Senats in der Hauptsache für ei-nen gewissen Zeitraum den vorläufigen Entzug seines Vermögens<br />

und der Be-weisgegenstände weiter zu dulden; ihm stünden dann aber Entschädigungsan-sprüche zu, die diesen<br />

Nachteil jedenfalls in einem solchen Umfang ausglei-chen würden, dass die trotz einer derartigen Entschädigung zu<br />

befürchtenden verbleibenden Nachteile die weitere Arrestierung im jetzigen Zeitpunkt nicht un-angemessen erscheinen<br />

lassen (vgl. Frisch aaO Rdn. 12 aE).<br />

3. Jedoch ist auch im Falle eines umfassenden Erfolgs der sofortigen Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen<br />

die Nichteröffnung des Haupt-verfahrens schon jetzt nicht damit zu rechnen, dass im Falle einer Verurteilung des<br />

Angeschuldigten gegen ihn Wertersatzverfall in einer Höhe angeordnet werden wird, die der Gesamtsumme der in<br />

den beiden Arrestbeschlüssen be-zeichneten Teilbeträgen entspricht. Hierzu gilt:<br />

Wie der Generalbundesanwalt im Beschwerdeverfahren selbst dargelegt hat, beträgt die Summe des vom Angeschuldigten<br />

im Fall 3 der Anklage Erlang-ten nur 13.530,00 €. Insgesamt hat der Angeschuldigte danach nach dem<br />

An-klagevorwurf aus allen Taten 575.093,72 € erlangt (589.779,86 € abzüglich des der Anklage irrtümlich zugrunde<br />

gelegten Mehrbetrags von 14.686,14 €). In Hö-he dieses Betrages verbleibt es bei der Arrestierung. Indes sind entgegen<br />

der Ansicht des Generalbundesanwalts die Voraussetzungen für die Arrestierung des darüber hinausgehenden<br />

Betrages nicht gegeben. Für die vom Beschwer-deführer insoweit vorgenommene Schätzung gezogener Nutzungen<br />

ist kein Raum. Zwar können auch Nutzungen für verfallen erklärt und dieser Ausspruch durch Arrestbeschluss gesichert<br />

werden, indes setzt eine Schätzung die sichere Überzeugung davon voraus, dass überhaupt Nutzungen gezogen<br />

worden sind. Darüber hinaus bedarf es einer gesicherten Schätzungsgrundlage. Zumindest die letztgenannte Voraussetzung<br />

ist, wie die wahlweisen Mutmaßungen in der Beschwerdeschrift über die Konditionen verschiedener Geldanlagemöglichkei-ten<br />

zeigen, nicht gegeben. Danach ist der Betrag von 133.364,31 € nunmehr freizugeben.<br />

294


StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 Belehrungsmangel, qualifizierte Belehrung, Widerspruch<br />

BGH, Urt. v. 18.12.2008 – 4 StR 455/08 - NJW <strong>2009</strong>, BGHSt 53, 112; 1427; NStZ <strong>2009</strong>, 281; StraFo <strong>2009</strong>, 150<br />

LS:<br />

1. Wird ein Tatverdächtiger zunächst zu Unrecht als Zeuge vernommen, so ist er wegen des Belehrungsverstoßes<br />

(§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) bei Beginn der nachfolgenden Vernehmung als Beschuldigter<br />

auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben hinzuweisen („qualifizierte“ Belehrung).<br />

2. Unterbleibt die „qualifizierte“ Belehrung, sind trotz rechtzeitigen Widerspruchs die nach der<br />

Belehrung als Beschuldigter gemachten Angaben nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall<br />

verwertbar.<br />

3. Neben dem in die Abwägung einzubeziehenden Gewicht des Verfahrensverstoßes und des Sachaufklärungsinteresses<br />

ist maßgeblich darauf abzustellen, ob der Betreffende nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung<br />

davon ausgegangen ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr abrücken zu<br />

können [im Anschluss an BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07 = StV 2007, 450, 452].<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember 2008 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 4. März 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die Revisionen der Angeklagten T. und C. gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. Es wird davon<br />

abgesehen, diesen Angeklagten die Kos-ten ihrer Rechtsmittel aufzuerlegen. Jedoch haben sie die durch ihre<br />

Rechtsmittel dem Nebenkläger entstande-nen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten Sch. , T. und C. jeweils des (gemeinschaftlich begangenen) versuchten<br />

schweren Raubes, den Angeklagten Sch. darüber hinaus der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung,<br />

für schuldig befunden. Den Angeklagten Sch. hat es zu einer Ju-gendstrafe von vier Jahren und sechs<br />

Monaten, den Angeklagten T. zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und den Angeklagten C. zu einer Jugendstrafe<br />

von drei Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten A. hat das Landgericht wegen Beihilfe <strong>zum</strong> (gemeinschaftlich<br />

begangenen) versuchten schweren Raub eine Jugendstrafe von einem Jahr verhängt, deren Vollstreckung es zur<br />

Bewäh-rung ausgesetzt hat. Ferner hat das Landgericht ein Messer und einen Kabel-schlagstock eingezogen. Gegen<br />

dieses Urteil wendet sich die Staatsanwalt-schaft mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts<br />

gestützten Revisionen, mit denen sie beanstandet, dass das Landgericht die Angeklagten nicht auch wegen eines<br />

versuchten Tötungsdelikts bzw. der Beteiligung daran für schuldig befunden hat. Die Angeklagten T. und C.<br />

rügen mit ihren Revisi-onen ebenfalls die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der Angeklag-te C.<br />

greift insoweit insbesondere die Beweiswürdigung und die Strafzu-messung des angefochtenen Urteils an. Die Revisionen<br />

der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Dagegen erweisen sich die Revisionen der Angeklagten T. und C. als<br />

offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I.<br />

Das Landgericht hat festgestellt:<br />

Die Angeklagten Sch. , T. und C. fassten im Verlauf des 30. Mai 2007 den Entschluss, durch einen Überfall<br />

auf den Kiosk der Eheleute S. zu Geld zu kommen, um sich anschließend Kokain zu besorgen. Sie vereinbarten,<br />

dass ein Messer eingesetzt werden sollte, um damit den Kioskinhaber S. bedrohen zu können. In<br />

diesem Zusammenhang for-derte der Angeklagte T. den Angeklagten Sch. auf, aus seiner Wohnung ein Messer<br />

zu holen, das lang und spitz sein müsse, weil das stark übergewich-tige Opfer so dick sei. Dementsprechend holte der<br />

Angeklagte Sch. aus seiner Wohnung ein Steakmesser mit 12,5 cm langer, spitz zulaufender und einseitig gezahnt<br />

geschliffener Klinge. Sodann rief absprachegemäß der Ange-klagte C. den mit ihm befreundeten Angeklagten<br />

A. an und bat ihn, mit dem Pkw zu ihnen zu kommen, was A. auch tat. Gemeinsam fuhren sie dann am<br />

Kiosk der Eheleute S. vorbei, wobei A. erst zu diesem Zeitpunkt in den Tatplan eingeweiht wurde. Ob<br />

dabei auch über das Messer und dessen geplante Verwendung gesprochen wurde, vermochte das Landge-richt nicht<br />

festzustellen. Der Angeklagte A. stellte den Pkw in der Nähe des vorgesehenen Tatortes ab und verblieb beim<br />

Fahrzeug, während die drei ande-ren Angeklagten auf dem Weg <strong>zum</strong> Kiosk die konkreten Einzelheiten der bis dahin<br />

295


nur grob geplanten Tat besprachen. Der Angeklagte T. überredete den Angeklagten Sch. , den Kioskbetreiber S.<br />

mit dem Messer "in Schach zu halten" und ihm "auf die Ohren zu boxen", falls dieser anfange zu schreien. Der Angeklagte<br />

Sch. traf als erster auf den Kioskbetreiber S. , als dieser sich gerade vor seinem Kiosk befand.<br />

Kurz bevor der Angeklagte Sch. ihn erreichte, richtete sich S. auf und drehte sich mit dem Ober-körper in<br />

Richtung des Angeklagten. Dieser "stach - enthemmt von dem fort-dauernden Verlangen nach weiteren Drogen und<br />

überrascht und überfordert davon, dass der Geschädigte sich plötzlich in seine Richtung drehte - ungezielt mit nicht<br />

erheblichem Kraftaufwand auf den Geschädigten ein. Er fühlte sich dabei 'wie im Film'". Der Stich drang knapp<br />

oberhalb der rechten Gesäßhälfte maximal 3 cm in dessen Rücken ein. "Aus Panik und Überforderung mit der Situation"<br />

stach der Angeklagte Sch. mindestens drei weitere Male ungezielt auf sein Opfer ein, das blutüberströmt zu<br />

Boden sank. S. erlitt eine mindes-tens 15 cm tiefe Stichwunde im Epigastrium mit Pene- tration des Bauchfells<br />

sowie Eröffnung der Bauchhöhle mit linksseitiger Verlet-zung der Leber, ferner einen ca. 6 cm tiefen Stich in den<br />

rechten Brustkorb so-wie einen ca. 3 cm tiefen Stich in den linken Unterbauch; er verlor noch am Tatort 1,5 bis 2<br />

Liter Blut. "Bei sämtlichen Stichen hatte der Angeklagte Sch. nicht den Tod des Geschädigten gewollt und nicht<br />

billigend in Kauf genommen und auch diese Möglichkeiten nicht in sein Bewusstsein aufgenommen". Während<br />

dessen begab sich der Angeklagte T. durch die seitliche Eingangstür in den Kiosk, gefolgt von dem Angeklagten C.<br />

. Dabei trafen die Angeklagten auf die Ehefrau des Geschädigten, die auf die Hilferufe ihres Mannes aus ihrem<br />

Wohnhaus in den angrenzenden Kiosk geeilt war. Auf ihren Zuruf: "Was wollt ihr hier? Macht, dass ihr rauskommt!"<br />

flüchteten beide Angeklagte aus dem Ki-osk und rannten mit dem Angeklagten Sch. weg. Der Angeklagte<br />

A. hatte das Geschehen aus der Nähe beobachtet. Ihm war bewusst, dass die Ausfüh-rung des Raubes gescheitert<br />

war. Deshalb rannte er zu seinem Pkw und fuhr davon; er erhielt aber kurz darauf einen Anruf des Angeklagten<br />

C. , holte ihn ab und fuhr ihn nach Hause. Der blutüberströmt vor dem Kiosk liegende Ge-schädigte wurde<br />

von der Fahrerin eines vorbeifahrenden Linienbusses bemerkt, die den Notarzt und die Polizei verständigte. Die<br />

Stichverletzungen waren nicht unmittelbar lebensbedrohlich.<br />

II.<br />

Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die Beschwerdeführerin hat schon mit ihren Verfahrensbeschwerden Er-folg. Mit diesen beanstandet sie, dass das<br />

Landgericht entgegen den Anträgen der Staatsanwaltschaft die Kriminalbeamten Schu. und B. sowie den<br />

Richter am Amtsgericht J. nicht als Zeugen zu den Angaben der Angeklagten C. und A. bei ihren Vernehmungen<br />

am 21. Juni 2007 vernommen und diese Angaben auch nicht verwertet hat. Daraus hätte sich ergeben, dass unter<br />

den Angeklagten Sch. , T. und C. von vornherein abgesprochen worden war, das mitgeführte Tatmesser gegen<br />

den Geschädigten S. einzusetzen, und der Angeklagte A. hiervon auch wusste.<br />

Das Landgericht hat insoweit ein Beweiserhebungsverbot angenommen, weil die Polizeibeamten die Angeklagten C.<br />

und A. trotz gegen sie bereits bestehenden Tatverdachts als Zeugen vernommen und deshalb nicht ord-nungsgemäß<br />

nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt hätten. Auch habe der Kriminalbeamte Schu. den Angeklagten C. im<br />

späteren Verlauf der Ver-nehmung ebenso wie der Ermittlungsrichter die beiden Angeklagten zwar als Beschuldigte<br />

belehrt; die Vernehmungspersonen hätten dabei aber den Hinweis auf die Unverwertbarkeit der bei den Vernehmungen<br />

als Zeugen gemachten Angaben unterlassen ("qualifizierte" Belehrung; vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 136<br />

Rdn. 9 m.N.).<br />

Die deshalb unterbliebene Beweiserhebung zu den Angaben der Ange-klagten C. und A. im Ermittlungsverfahren<br />

rügt die Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht.<br />

1. Allerdings ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte C. bereits auf Grund der<br />

Auswertung des von ihm noch in der Tatnacht mit dem Mitangeklagten T. geführten SMS-Verkehrs der Tatbeteiligung<br />

verdächtig war und er deshalb bereits zu Beginn seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter hätte<br />

belehrt werden müssen, auch wenn gegen ihn noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet war und er nicht die Stellung<br />

ei-nes formell Beschuldigten hatte.<br />

a) Zwar begründet nicht jeder Tatverdacht bereits die Beschuldigtenei-genschaft mit der Folge einer entsprechenden<br />

Belehrungspflicht; vielmehr kommt es auf die Stärke des Tatverdachts an. Es obliegt der Strafverfolgungs-behörde,<br />

nach pflichtgemäßer Beurteilung darüber zu befinden, ob ein Tatver-dacht sich bereits so verdichtet hat, dass die<br />

vernommene Person ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Straftat in Betracht kommt (st. Rspr.;<br />

BGHSt 37, 48, 51 f.; 51, 367, 371; Senatsurteil vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03). Falls der Tatverdacht aber so<br />

stark ist, dass die Strafverfolgungsbe-hörde anderenfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten<br />

würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende dennoch als Zeuge und nicht als Beschuldigter<br />

vernommen wird (vgl. BGHSt aaO).<br />

296


So verhält es sich hier hinsichtlich des Angeklagten C. . Denn aus der Auswertung der SMS-Nachrichten und der<br />

Erklärung des C. anlässlich der Durchsuchung am frühen Morgen noch vor Beginn seiner Zeugenvernehmung, er<br />

habe die fraglichen SMS-Nachrichten an den Mitangeklagten T. versandt, ergab sich bereits zweifelsfrei, dass außer<br />

T. auch der Angeklagte C. am Tatort gewesen war und sie dort gemeinsam hatten Beute machen wollen. Zu Recht<br />

hat deshalb das Landgericht – nach Widerspruch – ein Beweiserhe-bungs- und Verwertungsverbot jedenfalls hinsichtlich<br />

der Angaben des Ange-klagten C. angenommen, die dieser bei seiner Vernehmung durch den Kriminalbeamten<br />

Schu. vor der Beschuldigtenbelehrung als Zeuge gemacht hat (st. Rspr.; BGHSt 38, 214, 224 f.; 47,<br />

172, 173 a.E.). Denn der Verstoß gegen die Belehrungspflicht wurde nicht dadurch geheilt, dass der Angeklagte C.<br />

anschließend nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt wurde und danach erneut aussagte (BGHSt 51, 367, 376 m.<br />

Anm. Roxin JR 2008, 16 ff.).<br />

b) Daraus folgt jedoch noch nicht ohne Weiteres, dass auch die Anga-ben, die der Angeklagte C. im Ermittlungsverfahren<br />

nach erfolgter Beschuldig-tenbelehrung gemacht hat, einem Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot<br />

unterlagen.<br />

aa) Allerdings hätte der Angeklagte C. – was nicht erfolgt ist – bei Be-ginn der Beschuldigtenvernehmung zusammen<br />

mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darauf hingewiesen werden müssen, dass wegen der bis-her<br />

unterbliebenen Belehrung als Beschuldigter die vorangehende Zeugenaus-sage unverwertbar sei (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452, insoweit in BGHSt 51, 367 nicht abgedruckt; ferner BGH, Urteil<br />

vom 19. September 2000 – 1 StR 205/00 [der 1. Strafsenat ersichtlich unter Abweichung von seiner Entscheidung<br />

BGHSt 22, 129]; Diemer in KK-StPO 6. Aufl. § 136 Rdn. 27 m.w.N.; Gleß in Löwe-Rosenberg StPO 26. Aufl. §<br />

136 Rdn. 106; Lesch in KMR StPO § 136, Rdn. 28; Roxin aaO S. 17; wohl auch Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 9<br />

m.w.N.).<br />

Das Recht zu schweigen und das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen („nemo tenetur“-Grundsatz), gehören<br />

<strong>zum</strong> „Kernstück des von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten fairen Verfahrens“ (EGMR NJW 2002, 499, 501; JR<br />

2005, 423 m. Anm. Gaede; dazu weiter BGHSt – GS – 42, 139, 151 ff.). Gerade deshalb muss die rechtsstaatliche<br />

Ordnung Vorkehrungen in Form einer „quali-fizierten“ Belehrung treffen, die verhindert, dass ein Beschuldigter auf<br />

sein Aus-sageverweigerungsrecht nur deshalb verzichtet, weil er möglicherweise glaubt, eine frühere, unter Verstoß<br />

gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können (Roxin<br />

aaO). Zwar ergibt sich ein gewisser Widerspruch insofern, als die Rechtsprechung bislang bei den – schwerer<br />

wiegenden – Verstößen nach § 136 a StPO eine solche „qualifizierte“ Belehrung nicht verlangt (vgl. Meyer-Goßner<br />

aaO § 136 a Rdn. 30 m.N.); ob daran festzuhalten ist, hat der Senat hier jedoch nicht zu entscheiden.<br />

bb) Der Verstoß gegen die Pflicht zur "qualifizierten" Belehrung hat aller-dings nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß<br />

gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Deshalb ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der<br />

weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung nach neuerer Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs<br />

durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452; krit.<br />

dazu Roxin aaO S. 17; Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 9 a.E.).<br />

Bei einer solchen Abwägung ist <strong>zum</strong> einen auf das Gewicht des Verfah-rensverstoßes abzustellen und dabei insbesondere<br />

zu berücksichtigen, ob die Vernehmung als Zeuge - wofür hier nichts spricht - in bewusster Umgehung der<br />

Belehrungspflichten erfolgt ist; weiter muss das Interesse an der Sachauf-klärung Beachtung finden (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 3. Juli 2007 aaO; BGHSt 42, 139, 157 [Hörfalle]; 47, 172, 179 f.; BGH NJW 2007, 3138, 3142). Darüber<br />

hin-aus ist maßgeblich darauf abzustellen, ob sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass der Vernommene davon<br />

ausgegangen ist, von seinen vor der Be-schuldigtenbelehrung gemachten Angaben als Zeuge bei seiner weiteren Vernehmung<br />

als Beschuldigter nicht mehr abrücken zu können. Dies wird insbe-sondere dann anzunehmen sein, wenn<br />

sich die Beschuldigtenvernehmung in-haltlich als bloße Wiederholung oder Fortsetzung der in der Zeugenvernehmung<br />

gemachten Angaben darstellt. So verhält es sich hier jedoch nicht. Denn der Angeklagte C. hat nach seiner<br />

Belehrung als Beschuldigter gerade nicht seine früheren Angaben lediglich im Wesentlichen wiederholt. Er hat auch<br />

nicht nur weiterhin – nunmehr allerdings detailliert – die Mitangeklagten Sch. und T. belastet. Vielmehr hat er<br />

erstmals auch sich selbst massiv belastende An-gaben gemacht, denen zufolge Sch. das Opfer "auf jeden Fall<br />

abstechen" sollte und ihm, C. , "absolut klar (war), dass der Mann dabei sterben kann". Angesichts dessen liegt die<br />

Annahme eher fern, dass sich der Angeklagte C. seiner Entscheidungsfreiheit nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbelehrung<br />

nicht bewusst war und dass deshalb der ursprüngliche Belehrungsverstoß fort-wirkte. Jedenfalls spricht<br />

danach die – vom Landgericht unterlassene – Abwä-gung hier gegen das von der Jugendkammer angenommene<br />

Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot hinsichtlich der nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung gemachten Angaben<br />

des Angeklagten C. ; das Gericht hätte deshalb den ent-sprechenden Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Vernehmung<br />

des Kriminal-beamten Schu. und des Ermittlungsrichters stattgeben müssen.<br />

297


2. Soweit die Beschwerdeführerin die unterbliebene Beweiserhebung und -verwertung hinsichtlich der Angaben des<br />

Angeklagten A. beanstandet, die dieser bei seinen Vernehmungen als Zeuge durch den Kriminalbeamten B.<br />

am 21. Juni 2006 und nachfolgend als Beschuldigter bei seiner richterlichen Vernehmung am selben Tage gemacht<br />

hat, dringt die Rüge schon deshalb durch, weil der vom Landgericht auch insoweit angenommene Belehrungsverstoß<br />

nicht vorliegt. Anders als bei dem Angeklagten C. bestand gegen ihn bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung<br />

noch kein solcher Verdacht der Beteili-gung an dem Überfall auf den Kiosk, dass nach den aufgezeigten Maßstäben<br />

der vernehmende Beamte die Grenzen seines Beurteilungsspielraums willkür-lich überschritt, indem er den<br />

Angeklagten A. nicht von vornherein als Be-schuldigten vernahm (vgl. BGH NStZ 2008, 48). Denn bezüglich A.<br />

stand selbst nach Auswertung der zwischen den Angeklagten C. und T. ausge-werteten SMS-Nachrichten vom<br />

Tattag nur fest, dass er Anschlussinhaber des von dem Angeklagten C. benutzten Mobil-Telefons war. Das allein<br />

genügte jedoch nicht, um einen hinreichenden Tatverdacht der Beteiligung an dem Ü-berfall gegen ihn zu begründen.<br />

Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dar-gelegt hat, musste der Vernehmungsbeamte auch nicht unter dem<br />

Gesichts-punkt einer Strafbarkeit nach § 138 StGB zu einer Beschuldigtenvernehmung übergehen, nachdem der<br />

Angeklagte seine Anwesenheit am Tatort eingeräumt hatte. Denn A. hatte weiter angegeben, er habe mit der Sache<br />

nichts zu tun haben wollen und habe noch versucht, den Anderen die Tat auszureden. Inso-weit war die erfolgte<br />

Belehrung nach § 55 StPO durch den Vernehmungsbeam-ten ausreichend, um den Angeklagten vor einer übereilten,<br />

sich selbst belas-tenden Aussage zu schützen (vgl. BGH aaO). Hinderungsgründe, die der Be-weisaufnahme und der<br />

Verwertung seiner Angaben im Ermittlungsverfahren entgegengestanden hätten, lagen danach nicht vor.<br />

3. Auf der unterbliebenen Beweiserhebung zu den Angaben des Ange-klagten C. nach seiner Belehrung als Beschuldigter<br />

und denjenigen des An-geklagten A. im Ermittlungsverfahren beruht das angefochtene Urteil (§ 337<br />

StPO). Denn es liegt nahe, dass der Tatrichter, hätte er die Vernehmungsper-sonen gehört und die betreffenden Angaben<br />

der Angeklagten verwertet, sich entgegen der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil die Überzeugung<br />

ver-schafft hätte, dass es dem Plan der Angeklagten entsprach, dass der Angeklag-te Sch. auf den Geschädigten<br />

S. auch um den Preis seines Todes einstechen sollte.<br />

4. Dringen die Verfahrensbeschwerden der Staatsanwaltschaft somit schon deshalb durch, weil das Landgericht zu<br />

Unrecht Angaben der Angeklag-ten C. und A. im Ermittlungsverfahren für unverwertbar erachtet hat, braucht der<br />

Senat nicht zu entscheiden, ob der Auffassung zu folgen ist, dass ein Ver-wertungsverbot wegen eines Verstoßes<br />

gegen die Belehrungspflicht jeweils nur zu Gunsten desjenigen Angeklagten wirkt, demgegenüber der Verstoß began-gen<br />

wurde, nicht aber auch zu Gunsten von Mitbeschuldigten und Mitangeklag-ten (so aber BGH NStZ 1994,<br />

595, 596; ebenso BGH wistra 2000, 311, 313; NJW 2002, 1279; zustimmend Diemer aaO § 136 Rdn. 26; Meyer-<br />

Goßner aaO § 136 Rdn. 20; a.A. Gleß in Löwe-Rosenberg aaO Rdn. 90 m.w.N.).<br />

III.<br />

Revisionen der Angeklagten T. und C.<br />

Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisions-rechtfertigungen der beiden Beschwerdeführer<br />

hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil dieser Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat zur Vermei-dung<br />

von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbun-desanwalts in seinen Antragsschriften vom<br />

14. Oktober 2008 nach § 349 Abs. 2 StPO.<br />

StPO § 136 I 2 Täuschung durch Verdeckten Ermittler<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 296/08 – NStZ <strong>2009</strong>, 343 = StV <strong>2009</strong>, 225<br />

Ein verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat,<br />

nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage<br />

drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen <strong>zum</strong> Tatgeschehen entlocken.<br />

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 13. November 2007 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

298


Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in drei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe<br />

verurteilt und die besondere Schwere der Schuld der Angeklagten festgestellt. Als Mordmerkmal hat es jeweils niedrige<br />

Beweggründe angenommen. Nach den Feststellungen erstickte die Angeklagte am 23. Juli 2001 ihre zwei Monate<br />

alte Tochter Chantal, am 13. September 2001 ihren 20 Monate alten Sohn Pascal sowie am 25. April 2004 ihren<br />

am 24. September 2002 geborenen Sohn Kevin jeweils mit einem Kissen. Ihre Kinder, um die sich schon zu Lebzeiten<br />

überwiegend andere Personen gekümmert hatten, waren der Angeklagten “lästig“ geworden, weil sich die Beziehungen<br />

zu den jeweiligen Vätern abgekühlt hatten, die Angeklagte neue Beziehungen eingegangen war und die Kinder<br />

diesen “im Wege“ standen. Die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen und formellen<br />

Rechts rügt, hat keinen Erfolg. Sie ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend<br />

ausgeführt hat - offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf nur folgendes:<br />

1. Die Angeklagte macht die Verletzung der Grundsätze der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens geltend.<br />

Der im Ermittlungsverfahren eingesetzte Verdeckte Ermittler habe ihr unter Ausnutzung des von ihm geschaffenen<br />

Vertrauensverhältnisses in vernehmungsähnlichen Befragungen selbstbelastende Angaben entlockt. Deshalb<br />

unterlägen sowohl ihre Angaben gegenüber dem Verdeckten Ermittler als auch ihre Angaben bei den polizeilichen<br />

Vernehmungen, bei der Vernehmung durch den Haftrichter und bei der Exploration durch die Sachverständige einem<br />

Verwertungsverbot. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:<br />

Am 30. April 2004 wurde die Angeklagte wegen des Verdachts, ihre drei Kinder getötet zu haben, nach Belehrung<br />

über ihre Rechte polizeilich als Beschuldigte vernommen. Sie erklärte, zu dem Tod ihrer Kinder Chantal und Pascal<br />

wolle sie keine Angaben machen, weil „die Sache“ für sie abgeschlossen sei. Bezüglich ihres Sohnes Kevin war sie<br />

zu einer Aussage bereit, stellte jedoch den Vorwurf in Abrede. Auf Vorhalt der gegen sie vorliegenden Verdachtsmomente<br />

bestritt sie, ihre Kinder umgebracht zu haben. Schließlich erklärte sie, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen<br />

nichts mehr sagen zu wollen. Nach weiteren ergebnislosen Ermittlungen stimmte das Amtsgericht Dortmund am<br />

21. Januar 2005 dem Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gegen die Angeklagte für die Dauer von zunächst sechs<br />

Monaten zu und erneuerte die Zustimmung mehrfach. Der Verdeckte Ermittler gab sich als Verfasser eines Buches<br />

über Chatgewohnheiten aus, der Personen suche, deren Geschichten er für sein Buch verwenden könne. In der Zeit<br />

von Anfang Februar 2005 bis <strong>zum</strong> 29. August 2006 trafen sich der Verdeckte Ermittler und die Angeklagte insgesamt<br />

28-mal. Darüber hinaus hatten sie per SMS, E-Mail und Telefon Kontakt. Um das Vertrauensverhältnis zur<br />

Angeklagten zu untermauern, lenkte der Verdeckte Ermittler in Absprache mit seinem Führungsbeamten ab Anfang<br />

2006 die Aufmerksamkeit der Angeklagten wiederholt auf seine eigene Vergangenheit und vertraute ihr am 14. Februar<br />

2006 - wahrheitswidrig - an, er habe im Alter von ca. 20 Jahren seine Schwester getötet, was sonst niemand<br />

wisse. Zu einem Treffen der Angeklagten mit dem Verdeckten Ermittler in einem Café im Juli 2006 kam der die<br />

Ermittlungen führende Kriminalbeamte hinzu und erklärte, dass er noch immer davon überzeugt sei, dass die Angeklagte<br />

etwas mit dem Tod ihrer drei Kinder zu tun habe. Nach weiteren Treffen gestand die Angeklagte dem Verdeckten<br />

Ermittler schließlich, ihren Sohn Pascal getötet zu haben. Auf Nachfragen des Verdeckten Ermittlers äußerte<br />

sie sich zu ihrem Motiv und zu Einzelheiten der Ausführung der Tat.<br />

Bei ihrer Festnahme am 2. Oktober 2006 wurde die Angeklagte gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt. Ihr wurde<br />

der Haftbefehl wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen in drei Fällen ausgehändigt, der unter anderem darauf<br />

gestützt war, dass sie gegenüber einem Verdeckten Ermittler die Tötung Pascals eingeräumt habe. Die Angeklagte<br />

verzichtete nach erneuter Belehrung über ihre Rechte als Beschuldigte auf die Hinzuziehung ihres Verteidigers. Nach<br />

einem Vorgespräch, in dessen Verlauf ihr klar wurde, dass ihre Beziehung zu dem Verdeckten Ermittler auf einer<br />

Lüge aufgebaut war, räumte die Angeklagte ein, ihre drei Kinder Chantal, Pascal und Kevin mit einem Kissen erstickt<br />

zu haben. Bei der Verkündung des Haftbefehls durch den Haftrichter erklärte sie nach Belehrung, dass der<br />

Inhalt des Haftbefehls zutreffe. Im Rahmen der Exploration durch die psychiatrische Sachverständige wiederholte<br />

die Angeklagte ihr Geständnis. In der Hauptverhandlung erklärte sie, ihre Angaben bei der Exploration seien von der<br />

Sachverständigen zutreffend wiedergegeben worden; im Übrigen berief sie sich im Wesentlichen auf ihr Schweigerecht.<br />

2. Die Verurteilung wegen des Mordes <strong>zum</strong> Nachteil des Kindes Kevin wird, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend<br />

hingewiesen hat, von der Verfahrensrüge schon deshalb nicht berührt, weil das Landgericht seine Überzeugungsbildung<br />

insoweit nicht auch auf die geständigen Angaben der Angeklagten, sondern rechtsfehlerfrei allein auf<br />

das übrige Beweisergebnis gestützt hat. Auch soweit das Landgericht die Verurteilung wegen der Morde <strong>zum</strong> Nachteil<br />

der Kinder Chantal und Pascal auf die geständigen Angaben der Angeklagten gestützt hat, hat die Verfahrensrüge<br />

im Ergebnis keinen Erfolg.<br />

299


a) Die Revision beanstandet mit der insoweit zulässig erhobenen Rüge allerdings zu Recht, dass das Landgericht die<br />

geständigen Angaben der Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler zur Tötung ihres Sohnes Pascal verwertet<br />

hat.<br />

Zwar sind die von einem Verdeckten Ermittler gewonnenen Erkenntnisse im Grundsatz verwertbar, wenn die Voraussetzungen<br />

für seinen Einsatz und die hierfür erforderliche richterliche Zustimmung (§§ 110 a Abs. 1 Satz 4, 110 b<br />

Abs. 2 Nr. 2 StPO) vorlagen (vgl. BGHSt 52, 11, 14 f.), was hier der Fall war und von der Revision auch nicht in<br />

Frage gestellt wird. Ein Verdeckter Ermittler darf aber einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen<br />

hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und<br />

ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen <strong>zum</strong> Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung<br />

verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, und hat regelmäßig ein<br />

Beweisverwertungsverbot zur Folge (BGHSt 52, 11 f. [L. S.], 17 ff.; vgl. EGMR StV 2003, 257, 259). So liegt es<br />

hier.<br />

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Verdeckte Ermittler, was unbedenklich wäre (vgl. BGH aaO S.<br />

22), das zwischen ihm und der Angeklagten bestehende Vertrauensverhältnis nicht lediglich genutzt, um Informationen<br />

aufzunehmen, die ihm die Angeklagte von sich aus gegeben hat. Zwar hatte sich der Verdeckte Ermittler zunächst<br />

darauf beschränkt, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu pflegen, in der Hoffnung, die Angeklagte<br />

werde eines Tages von sich aus auf die Vorwürfe zu sprechen kommen und die Taten einräumen. Als die Angeklagte<br />

nach nahezu einem Jahr keine sich selbst belastenden Angaben gemacht hatte, begann der Verdeckte Ermittler aber<br />

in Absprache mit seinem Führungsbeamten damit, auf die Angeklagte mit dem Ziel, sie zu solchen Angaben zu veranlassen,<br />

einzuwirken. Mit dem wahrheitswidrigen Bekenntnis bei dem Treffen am 14. Februar 2006, er habe seine<br />

Schwester getötet, brachte er die Angeklagte dazu, dass sie nur wenige Tage später Angaben <strong>zum</strong> Tod ihrer Tochter<br />

Chantal machte und schließlich auf Nachfragen des Verdeckten Ermittlers ihren Ehemann der Tat bezichtigte. Am 6.<br />

Juli 2006 erschien der ermittelnde Kriminalbeamte nach Absprache mit dem Verdeckten Ermittler in dem Café, in<br />

dem sich die Angeklagte und der Verdeckte Ermittler getroffen hatten, und konfrontierte sie gezielt erneut mit dem<br />

Verdacht, ihre Kinder getötet zu haben, um dem Verdeckten Ermittler Gelegenheit zu geben, das laufende Verfahren<br />

und die Tatumstände zu Sprache zu bringen. Durch den anschließenden Vorschlag des Verdeckten Ermittlers, er<br />

könne die Polizei aufsuchen und angeben, dass ihr Ehemann Chantal getötet habe, wurde der Druck auf die Angeklagte<br />

erhöht. „Angesichts der von ihr empfundenen ‚Seelenverwandtschaft‘“ vertraute die Angeklagte am 10. August<br />

2006 in einem vom Verdeckten Ermittler heimlich aufgezeichneten Gespräch diesem schließlich an, Pascal<br />

erstickt zu haben.<br />

Die Vorgehensweise des Verdeckten Ermittlers war verfahrensrechtlich unzulässig, weil er der Angeklagten unter<br />

Ausnutzung des im Verlauf seines fast anderthalb Jahre dauernden, in der Intensität zunehmenden Einsatzes geschaffenen<br />

Vertrauens selbstbelastende Angaben zur Sache entlockt hat, obwohl sie sich bei ihrer polizeilichen Vernehmung<br />

am 30. April 2004 für das Schweigen zu den gegen sie erhobenen Tatvorwürfe entschieden hatte (vgl. BGH<br />

aaO S. 19). Das Gespräch mit dem Verdeckten Ermittler am 10. August 2006, in dem die Angeklagte die Tötung<br />

ihres Sohnes Pascal einräumte, stellt sich wegen der vorausgegangen Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der<br />

Angeklagten „als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung“ dar (vgl. EGMR aaO).<br />

b) Auch soweit die Angeklagte wegen Mordes <strong>zum</strong> Nachteil ihrer Kinder Chantal und Pascal verurteilt worden ist,<br />

beruht das Urteil jedoch nicht auf der aus den vorgenannten Gründen unzulässigen Verwertung der Angaben der<br />

Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler. Die Feststellungen zur vorsätzlichen Tötung der Kinder Chantal<br />

und Pascal beruhen vielmehr maßgeblich auf den geständigen Angaben der Angeklagten bei den polizeilichen Vernehmungen,<br />

bei der Vernehmung durch den Haftrichter, auf ihren - in der Hauptverhandlung bestätigten - Angaben<br />

bei der Exploration durch die Sachverständige und auf dem übrigen Beweisergebnis. Soweit sich die Angeklagte mit<br />

der Verfahrensrüge gegen die Verwertung dieser geständigen Angaben wendet, greift die Rüge schon deshalb nicht<br />

durch, weil sie insoweit aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen nicht den<br />

Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Insbesondere hätte es der Mitteilung des Inhalts der Vernehmungsprotokolle,<br />

der im schriftlichen Gutachten der Sachverständigen wiedergegebenen Angaben der Angeklagten<br />

bei der Exploration und des Inhalts des Haftbefehls bedurft.<br />

300


StPO § 141, § 143, § 413 Mindeststandards für Verteidigung zu prüfen durch Gericht<br />

BGH, Beschl. v. 30.09.2008 – 5 StR 251/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 107; BGHR StPO § 142 I Entpflichtung 3<br />

Grobe Pflichtverletzungen des Verteidigers, namentlich die Einhaltung unverzichtbarer Mindeststandards,<br />

sind der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen, wenn der Beschuldigte einen Entpflichtungsantrag<br />

bzgl. seines Verteidigers stellt. Hierzu gehört ein Mindestmaß an Bemühungen des gerichtlich<br />

bestellten Verteidigers um Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten.<br />

Die Revision der Beschuldigten gegen das Urteil des Land-gerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 wird nach § 349<br />

Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

1. Die auf unzulängliche Verteidigung der Beschuldigten gestützte Verfah-rensrüge bleibt ohne Erfolg.<br />

Allerdings ist die Darstellung des Pflichtverteidigers in der erbetenen dienstli-chen Erklärung, an die zutage getretenen<br />

Differenzen mit der Beschuldigten keine Erinnerung zu haben, angesichts der Fallbesonderheiten schwer nachvollziehbar.<br />

Auch sind die Ausführungen des Strafkammervorsitzenden zur Begründung der Ablehnung des Entpflichtungsantrags<br />

der Beschuldigten – die eigenständige, keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegende Ausübung<br />

des Pflichtverteidigermandats betreffend – nur im Ansatz, nicht hingegen mit absoluter Geltung zutreffend: Grobe<br />

Pflichtverletzungen des Verteidigers, namentlich die Nichteinhaltung unverzichtbarer Mindeststandards, sind der<br />

gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen (vgl. BGHSt 39, 310, 314; BGHR StPO § 141 Bestellung 5; BGH, Urteil vom<br />

11. Juli 1995 – 1 StR 189/95 – und Be-schluss vom 5. April 2001 – 5 StR 495/00; Laufhütte in KK-StPO 5. Aufl. §<br />

143 Rdn. 4; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers 7. Aufl. Rdn. 29). Hierzu gehört ein Mindestmaß an Bemühungen<br />

des gerichtlich bestellten Verteidi-gers um Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten (vgl. Widmaier –Hrsg.–/ Richter/Tsambikakis<br />

in MAH Strafverteidigung 2006 S. 29; Dahs aaO Rdn. 17, 481 ff.). Dies gilt namentlich bei einer<br />

Verteidigung im Sicherungs-verfahren, und zwar auch bei Erkrankungen eines Beschuldigten, die den Kontakt eines<br />

bestellten Verteidigers zu ihm und den gerade in diesem Fall unbedingt notwendigen Versuch der Herstellung eines<br />

Vertrauensverhältnis-ses nachhaltig erschweren.<br />

Indes sind mangels näheren Vortrags der Revision zu Zeitpunkt und Um-ständen der Bestellung des in der Hauptverhandlung<br />

tätigen Verteidigers die Voraussetzungen für einen revisiblen Verfahrensverstoß noch nicht gegeben.<br />

Dies gilt jedenfalls vor dem Hintergrund mangelnden belegten Beschwerde-vorbringens der Beschuldigten über den<br />

Verteidiger am ersten Verhand-lungstag und der dienstlichen Erklärung des Strafkammervorsitzenden im Revisionsverfahren,<br />

aus der sich Ansätze für eine Erfüllung der Mindestvor-aussetzungen der gebotenen Verteidigeraktivitäten<br />

ergeben.<br />

2. Die die Maßregelanordnung tragenden, vom Landgericht gebilligten Aus-führungen der medizinischen Sachverständigen<br />

sind – <strong>zum</strong>al angesichts der eindeutig gelagerten Fallgestaltung – im Urteil noch ausreichend belegt, obgleich<br />

durch das Einkopieren wesentlicher Teile des lediglich vorbereitenden Sachverständigengutachtens regelmäßig<br />

keine sachgerechte Urteilsfassung gewährleistet ist.<br />

3. Der Senat versteht die Urteilsausführungen <strong>zum</strong> Verhalten der Beschuldig-ten während der mündlichen Urteilsbegründung<br />

als unschädliche beiläufige Zusatzinformation und nicht etwa als Darstellung eines auch nur ergänzenden<br />

oder abrundenden Indizes für die Beurteilung des Zustandes der Be-schuldigten, woraus sich durchgreifende<br />

Bedenken nach § 261 StPO ergä-ben (vgl. BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 8).<br />

StPO § 147 Akteneinsicht vor Beginn des Verfahrens?<br />

BGH, Beschl. v. 22.01.<strong>2009</strong> – StB 29/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 145<br />

Erst mit Beginn des Verfahrens - ggf. auch bei der Einleitung von Vorermittlungen - entsteht ein<br />

Anspruch auf Akteneinsicht.<br />

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewie-sen.<br />

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.<br />

Gründe:<br />

301


I. Im Oktober 2007 erschien in der Zeitschrift "Stern" ein Artikel, nach dem das Bundesamt für Verfassungsschutz<br />

und das Bundeskriminalamt zu einem nicht genau genannten Zeitpunkt vor dem Jahr 2001 eine "Rangliste der Tatverdächtigen"<br />

mit "Beschuldigten-Status im Hinblick auf die Anschläge der RAF von 1984 bis 1991" erstellt hätten.<br />

In dem Artikel wurde als eine der Personen auf dieser Rangliste eine Frau genannt, auf die mehrere personenbezogene<br />

Daten der Antragstellerin zutreffen. Diese wandte sich daraufhin über ihren Verfahrensbevollmächtigten im Januar<br />

2008 an den Generalbundesanwalt und bat um Auskunft, ob gegen sie ein Ermittlungsverfahren geführt werde und<br />

ge-gebenenfalls um Mitteilung des Aktenzeichens. Der Generalbundesanwalt teilte der Antragstellerin mit Schreiben<br />

vom 18. Februar 2008 mit, dass er gemäß § 491 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 19 Abs. 4 Nr. 1 BDSG keine Auskunft<br />

ertei-len könne. Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 15. April 2008 beantragte die Antragstellerin<br />

sodann Akteneinsicht gemäß § 147 StPO, weil sie aufgrund der erteilten Antwort davon ausgehe, dass ein Ermittlungsverfah-ren<br />

anhängig sei. Nachdem der Generalbundesanwalt mitgeteilt hatte, dass er auch das Gesuch vom<br />

April 2008 als Ersuchen um Auskunft aus dem bei ihm geführten Verfahrensregister ansehe und eine weitergehende<br />

Auskunft nicht erteilt werde, beantragte die Antragstellerin die gerichtliche Entscheidung ge-gen die Verfügungen<br />

des Generalbundesanwalts sowie diesen anzuweisen, ihr über ihren Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht zu<br />

gewähren.<br />

II.<br />

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.<br />

1. Nach § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO kann gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die<br />

Staatsanwaltschaft beantragt wer-den, wenn diese den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat, wenn<br />

sie die Einsicht in privilegierte Unterlagen nach § 147 Abs. 3 StPO ver-sagt, oder wenn der Beschuldigte sich nicht<br />

auf freiem Fuß befindet. Im Übri-gen ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Akteneinsicht verweigert,<br />

regelmäßig nicht anfechtbar (Laufhütte in KK 6. Aufl. § 147 Rdn. 25). Stets ist indes Voraussetzung, dass<br />

überhaupt ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten eingeleitet worden ist, denn erst mit Beginn des Verfahrens<br />

- gegebenenfalls auch bei der Einleitung von Vorermittlungen - entsteht ein Anspruch auf Akteneinsicht<br />

(Lüderssen/Jahn in LR 26. Aufl. § 147 Rdn. 119 f.; Wohlers in SK-StPO - 38. Lfg. Stand April 2004 - § 147 Rdn.<br />

21).<br />

§ 491 Abs. 1 Satz 1 StPO gewährt demgegenüber einen Auskunftsan-spruch für die Fälle, die in der StPO nicht besonders<br />

geregelt sind. Gegen eine ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 491 StPO kann sich der<br />

Betroffene gemäß § 491 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 19 Abs. 5 Satz 2 BDSG an den Bundesbeauftragten für den<br />

Datenschutz und die Informations-freiheit wenden (Weßlau in SK-StPO - 50. Lfg. Stand Oktober 2006 - § 491 Rdn.<br />

27), worauf die Antragstellerin vom Generalbundesanwalt auch hingewie-sen worden ist.<br />

2. Vorliegend hat der Generalbundesanwalt nicht Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 StPO verweigert, sondern ein<br />

Auskunftsbegehren der Antragstel-lerin nach § 491 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 19 Abs. 4 Nr. 1 BDSG abgelehnt.<br />

Dagegen ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung grundsätzlich nicht gege-ben.<br />

Allenfalls, wenn in dieser Entscheidung auch eine - <strong>zum</strong>indest faktische (vgl. dazu Lüderssen/Jahn in LR aaO § 147<br />

Rdn. 163 a) - Verweigerung des tatsächlich bestehenden Anspruchs auf Akteneinsicht der Antragstellerin als Beschuldigte<br />

zu sehen wäre, käme bei Vorliegen der weiteren Voraussetzun-gen des § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO ein Antrag<br />

auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 161 a Abs. 3 StPO als statthafter Rechtsbehelf in Betracht. Für das Vorliegen<br />

einer solchen Fallkonstellation bestehen hingegen - abgesehen von den Mutmaßungen der Antragstellerin -<br />

keinerlei Anhaltspunkte.<br />

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 a Abs. 3 Satz 3, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.<br />

302


StPO § 147 Keine Akteneinsicht in das Senatsheft des Revisionsgerichts<br />

BGH, Beschl. v. 05.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 697/08<br />

Das Senatsheft stellt eine rein interne Arbeitsgrundlage dar. Abgesehen von Notizen, Bearbeitungshinweisen<br />

u.ä. von Senatsmitgliedern, auf die sich das Akteneinsichtsrecht nicht beziehen kann, Im<br />

Senatsheft befinden sich ausschließlich Vorgänge, die im Original oder in Ablichtung auch in den<br />

Sachakten enthalten sind oder die zu den Sachakten gelangen, so dass insoweit ein Bedürfnis für ein<br />

gesondertes Akteneinsichtsrecht nicht erkennbar ist<br />

Der Antrag des Verurteilten, das Verfahren wegen Verletzung sei-nes Anspruchs auf rechtliches Gehör in die Lage<br />

vor Erlass des Beschlusses vom 13. Januar <strong>2009</strong> zurückzuversetzen, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.<br />

Die vom Verteidiger des Verurteilten beantragte Einsicht in die Revisionsakte wird abgelehnt.<br />

Gründe:<br />

Der Senat hat die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Land-gerichts München II vom 12. Juni 2008 mit<br />

Beschluss vom 13. Januar <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Rechtsanwalt Dr. W. , den<br />

der Verurteilte mit einer Postkarte vom 15. Januar <strong>2009</strong> mandatiert hat und der bis zu seiner Entbindung am 25.<br />

September 2008 <strong>zum</strong> Pflichtverteidiger bestellt war, hat mit Schriftsatz vom 22. Januar <strong>2009</strong> die Anhörungsrüge<br />

erho-ben und die Einsicht in die Revisionsakte beantragt.<br />

1. Die Anhörungsrüge ist bereits unzulässig. Denn der Antrag ist weder in der gebotenen Weise begründet noch ist<br />

der Zeitpunkt der maßgeblichen Kenntniserlangung glaubhaft gemacht worden (§ 356a Satz 2 und 3 StPO).<br />

Die Anhörungsrüge wäre zudem unbegründet. Der Senat hat bei seiner Entscheidung vom 13. Januar <strong>2009</strong> keinen<br />

tatsächlichen Verfahrensstoff be-rücksichtigt, den der Verurteilte nicht gekannt hat oder zu dem er nicht hat Stellung<br />

nehmen können. Insbesondere hat der Senat die Ausführungen in Rechts-anwalt Dr. W. s Schriftsatz vom 25.<br />

September 2008 zur Kenntnis genommen. Diese hätten - ihre Zulässigkeit unterstellt - nicht <strong>zum</strong> Erfolg der Revision<br />

ge-führt. Soweit der Verurteilte in einem Schreiben vom 19. Januar <strong>2009</strong> vermutet, der anstelle von Rechtsanwalt<br />

Dr. W. <strong>zum</strong> Pflichtverteidiger bestellte Rechts-anwalt Wi. könnte im Revisionsverfahren untätig geblieben sein,<br />

trifft dies nicht zu. Denn Rechtsanwalt Wi. hat mit Schriftsatz vom 23. September 2008 zur Begründung der Revision<br />

die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Hinzu kommt, dass während des gesamten Revisionsverfahrens zudem<br />

Rechtsanwalt Dr. Wa. als gewählter Verteidiger gemeldet war. Der Verurteilte hat bereits deshalb keinen Anspruch<br />

auf die von ihm mit seinem bezeichneten Schreiben begehrten Auskünfte (§ 147 Abs. 7 Satz 1 StPO).<br />

2. Dem Antrag auf Einsicht in das als „Revisionsakte“ bezeichnete Se-natsheft kann nicht entsprochen werden. Denn<br />

dieses stellt eine rein interne Arbeitsgrundlage dar. Abgesehen von Notizen, Bearbeitungshinweisen u.ä. von Senatsmitgliedern,<br />

auf die sich das Akteneinsichtsrecht ohnehin nicht beziehen kann, befinden sich im Senatsheft ausschließlich<br />

Vorgänge, die im Original oder in Ablichtung auch in den Sachakten enthalten sind oder die zu den<br />

Sach-akten gelangen, so dass insoweit ein Bedürfnis für ein gesondertes Aktenein-sichtsrecht nicht erkennbar ist<br />

(vgl. BGH NStZ 2001, 551; Beschl. vom 1. Februar 2005 - 4 StR 486/04; KK-Laufhütte 6. Aufl. § 147 Rdn. 8).<br />

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO.<br />

StPO § 168c Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Benachrichtigungspflicht kein Verwertungsverbot bei Mitbeschuldigten<br />

BGH, Beschl. v. 17.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 691/08<br />

LS: Der Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht aus § 168c Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StPO<br />

führt nicht zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich eines Mitbeschuldigten.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26. Mai 2008 wird als unbegründet<br />

verwor-fen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrecht-fertigung keinen den Angeklagten<br />

beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

303


Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in 33 Fällen, davon in 22 Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge, wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Nötigung in<br />

Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von elf Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen<br />

ihn den Verfall von Wertersatz in Höhe von 100.000 Euro angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte<br />

die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des General-bundesanwalts<br />

unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten vorgenommene<br />

Verwertung der Zeugen-aussage des Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Nürnberg S. über eine<br />

ermittlungsrichterliche Vernehmung des Mitangeklagten H. als unzu-lässig beanstandet.<br />

1. Die Revision trägt hierzu folgenden Verfahrensablauf vor:<br />

Der nicht revidierende Mitangeklagte H. (im Folgenden: der Mitan-geklagte) sei am 7. Februar 2007 anlässlich<br />

eines Rauschgifttransports von Holland nach Deutschland auf der Autobahn Frankfurt-Würzburg von der Polizei<br />

kontrolliert und vorläufig festgenommen worden. Am 8. Februar 2007 sei er dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts<br />

Aschaffenburg vorgeführt worden. Nach einer Belehrung gemäß § 136 StPO und § 163 StPO habe der Mitange-klagte<br />

Angaben zu seiner Person gemacht und die Hinzuziehung eines Vertei-digers gefordert. Erst nach dessen<br />

Erscheinen habe der Mitangeklagte Anga-ben zur Sache gemacht. Mit Beschluss vom selben Tag habe das Amtsgericht<br />

den erschienen Verteidiger <strong>zum</strong> Pflichtverteidiger bestellt; zudem sei der gegen den Mitangeklagten ergangene<br />

Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug ge-setzt worden. In der Folgezeit habe die Staatsanwaltschaft Nürnberg-<br />

Fürth das Strafverfahren übernommen. Auf deren Antrag hin sei am 5. Juni 2007 durch das Amtsgericht Nürnberg<br />

gegen den Mitangeklagten ein neuer Haftbefehl er-lassen worden. Am 27. Juni 2007 sei der Mitangeklagte wieder<br />

festgenommen und am Folgetag dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg S. vorgeführt worden.<br />

Dort sei er erneut belehrt worden, insbesondere auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Anschließend<br />

habe der Mitange-klagte ein Geständnis abgelegt, mit dem er den Angeklagten erheblich belastet habe. Der<br />

damalige Pflichtverteidiger des Mitangeklagten sei bei dieser Ver-nehmung nicht anwesend gewesen, weil er entgegen<br />

§ 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht von dem Vernehmungstermin benachrichtigt worden sei.<br />

Am ersten Hauptverhandlungstag hätten sich der Angeklagte und der Mitangeklagte nicht zur Sache geäußert. Deshalb<br />

habe die Strafkammer den Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Nürnberg S. zu den Angaben des Mitangeklagten<br />

bei dessen Vernehmung vom 28. Juni 2007 vernommen. Ge-gen die Verwertung dieser Aussage hätten die<br />

Verteidiger des Angeklagten und des Mitangeklagten rechtzeitig Widerspruch erhoben.<br />

Am dritten Hauptverhandlungstag habe sich der Mitangeklagte geständig zur Sache eingelassen. Sodann habe der<br />

Angeklagte auf seine - von denen des Mitangeklagten abweichenden - Angaben bei der Polizei Bezug genommen<br />

und erklärt, diese seien richtig gewesen. Die Widersprüche gegen die Verwertung der Aussage des Ermittlungsrichters<br />

seien nicht zurückgenommen worden.<br />

Die Strafkammer sei der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt. Sie habe ihren Feststellungen vielmehr das Geständnis<br />

des Mitangeklagten zugrunde gelegt. Dabei habe sie ihre Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses<br />

des Mitangeklagten, die sie unter anderem aus der Aussage-konstanz geschlossen habe, auf die Aussage des<br />

Ermittlungsrichters zu der Vernehmung des Mitangeklagten anlässlich der Haftbefehlseröffnung am 28. Juni 2007<br />

gestützt, wenngleich „nur ergänzend, nicht entscheidend“.<br />

2. Die Revision ist der Auffassung, dass die Angaben des Zeugen S. über die ermittlungsrichterliche Vernehmung<br />

des Mitangeklagten vom Landgericht nicht hätten verwertet werden dürfen, auch nicht <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Beschwerdeführers, weil der Verteidiger des Mitangeklagten entgegen § 168c Abs. 1, Abs. 5 StPO vom Vernehmungstermin<br />

nicht benachrichtigt worden sei. Auf dieses Verwertungsverbot, auf dessen Nichtbeachtung das Urteil<br />

beruhe, könne sich auch der Beschwerdeführer berufen.<br />

3. Die Verfahrensrüge ist unbegründet, denn die Verwertung der Aussa-ge des Ermittlungsrichters <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Beschwerdeführers begegnet bei dem von der Revision vorgetragenen Sachverhalt keinen rechtlichen Bedenken.<br />

a) Die Revision weist zwar zu Recht darauf hin, dass gemäß § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO der Verteidiger eines Beschuldigten<br />

vor der Vernehmung seines Mandanten von einem Vernehmungstermin zu benachrichtigen ist; nach §<br />

168c Abs. 5 Satz 2 StPO unterbleibt die Benachrichtigung, wenn sie den Un-tersuchungszweck gefährden würde.<br />

Ebenso trifft es zu, dass nach der Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs in den Fällen, in denen diese Benachrichti-gungspflicht<br />

verletzt worden ist, zugunsten des vernommenen Beschuldigten ein Verwertungsverbot angenommen<br />

worden ist, wenn er der Verwertung sei-ner Vernehmung widersprochen hat (vgl. BGH NStZ 1989, 282, 283; NStZ<br />

2003, 671; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 168c StPO Rdn. 22 m.w.N.).<br />

304


Der Senat muss nicht entscheiden, ob in Fällen der vorliegenden Art die unterbliebene Benachrichtigung des Verteidigers<br />

stets einen so schwer wiegen-den Verfahrensverstoß darstellt, dass er die Annahme eines Beweisverwertungsverbots<br />

zur Folge haben muss. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht nämlich<br />

selbst bei einer unterbliebenen Beschuldig-tenbelehrung - und damit einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO<br />

i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO - ein Verwertungsverbot dann nicht, wenn dem Beschuldigten seine Rechte bei<br />

Beginn seiner Vernehmung bekannt wa-ren; denn in diesem Fall ist er nicht in dem gleichen Maße schutzbedürftig<br />

wie ein Beschuldigter, der sein Schweigerecht nicht kannte (BGHSt 38, 214, 224). Im vorliegenden Fall könnte es an<br />

einer solchen Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit des Mitangeklagten fehlen. Ihm war nämlich bei seiner<br />

zwei-ten richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Nürnberg zweifelsfrei be-kannt, dass er ein Recht auf Hinzuziehung<br />

eines Verteidigers zur Vernehmung hatte. Über dieses Recht war er nicht nur bei Vernehmungsbeginn<br />

belehrt wor-den, sondern kannte es bereits aufgrund einer entsprechenden Belehrung vor seiner ersten richterlichen<br />

Vernehmung beim Amtsgericht Aschaffenburg. Dort hatte er sogar auf der Benachrichtigung eines Verteidigers<br />

bestanden und erst Angaben zur Sache gemacht, als der Verteidiger erschienen war.<br />

b) Selbst wenn zu Gunsten des Mitangeklagten ein Verwertungsverbot bestanden hat, vermag dies der Revision des<br />

Angeklagten nicht <strong>zum</strong> Erfolg zu verhelfen, denn ein solches Verwertungsverbot erstreckt sich nicht auf Mitbeschuldigte.<br />

aa) Ob sich ein Angeklagter auf einen Verfahrensfehler, der lediglich ei-nen Mitangeklagten in eigenen Rechten<br />

verletzt hat, - hier den Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht gemäß § 168c Abs. 5 StPO - berufen kann, wenn<br />

das Verfahren gegen beide Angeklagte gemeinsam geführt wird und die verfah-rensfehlerhaft erlangten Erkenntnisse<br />

auch <strong>zum</strong> Nachteil des nicht durch den Verfahrensverstoß in seinen Rechten verletzten Angeklagten verwertet werden<br />

sollen, ist allerdings bislang in Rechtsprechung und Lehre umstritten.<br />

(1) Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob ein Verwertungsverbot auch zugunsten von Mitbeschuldigten wirkt,<br />

entweder ausdrücklich offen gelas-sen (BGHSt 38, 214, 228; 42, 15, 24) oder - jeweils nicht tragend - verneint. Der<br />

3. Strafsenat hat in einem Urteil vom 10. August 1994, das die Verwertung von Angaben eines Mitangeklagten <strong>zum</strong><br />

Gegenstand hatte, der in der Schweiz ver-nommen und, weil es die dortige Rechtsordnung damals nicht vorsah, nicht<br />

ü-ber seine Beschuldigtenrechte im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ver-nommen worden war, ausgeführt, dass<br />

die Regelung über die Beschuldigtenbe-lehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ausschließlich den Schutz des jeweils<br />

betroffenen Beschuldigten bezwecke und nicht den Interessen von Mitbeschul-digten diene. Deren Rechtskreis werde<br />

von einem gegen andere Beschuldigte gerichteten Verstoß gegen die Belehrungsvorschrift nach § 136 Abs. 1 Satz<br />

2 StPO grundsätzlich nicht berührt. Insoweit müssten die zu § 55 StPO entwickel-ten Rechtsgrundsätze entsprechende<br />

Anwendung finden (BGHR StPO § 136 Belehrung 5). Der 2. Strafsenat hat diese Rechtsprechung aufgegriffen<br />

und ausgeführt, dass selbst das Unterbleiben einer Belehrung des einen Mitbe-schuldigten die Verwertung seiner<br />

Angaben gegen einen anderen Mitbeschul-digten nicht hindern würde (BGH wistra 2000, 311, 313). Ebenso hat sich<br />

der 5. Strafsenat in einem Beschluss vom 5. Februar 2002 geäußert und geurteilt, dass sich eine Angeklagte nicht auf<br />

eine unzulängliche Belehrung einer Mitan-geklagten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO berufen könne, da ihre Rechte<br />

hier-von nicht berührt würden (BGHSt 47, 233, 234).<br />

(2) Im Schrifttum wird dagegen <strong>zum</strong> Teil die Auffassung vertreten, dass eine Wirkungserstreckung von Beweisverwertungsverboten<br />

dann anzunehmen sei, wenn der verbotene Beweis in einem gemeinsamen Verfahren zugleich gegen<br />

den unmittelbar Betroffenen und den Mitbeschuldigten verwertet werden soll oder wenn dem Schutzzweck der<br />

Beweiserhebungsnorm nur dann Genüge getan werden kann, wenn die Verwertung auch für und gegen Dritte verboten<br />

ist (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. Einleitung Rdn. 57b m.w.N.). Nach dieser Auffassung darf für die Frage der<br />

Verwertbarkeit nicht auf den „Rechtskreis“ des Beschuldigten abgestellt werden, dessen Rechte im Ermittlungsverfahren<br />

verletzt worden sind. Dies wird <strong>zum</strong> einen damit begründet, dass der „Rechts-kreis“ des Betroffenen in den<br />

Fällen, in denen es um Verstöße gegen wesentli-che prozessuale Vorschriften geht, die grundlegende Bedeutung für<br />

ein rechts-staatliches Verfahren besitzen - etwa die Belehrung nach § 136 StPO - keine Rolle spiele. Deshalb müsse<br />

ein Verwertungsverbot aus Gründen des fairen Verfahrens nicht nur für den von dem Verfahrensverstoß unmittelbar<br />

betroffe-nen Beschuldigten, sondern auch für den nur mittelbar betroffenen Mitbeschul-digten gelten (Dencker StV<br />

1995, 232 ff.). Zum anderen wird gegen die Anwen-dung des „Rechtskreisgedankens“ angeführt, dieser könne zur<br />

Folge haben, dass in einem Urteil im Sinne einer „gespaltenen Beweiswürdigung“ dieselbe Aussage zu Gunsten oder<br />

zu Lasten des einen Angeklagten verwertet und be-züglich des anderen Angeklagten nicht verwertet werde. Selbst<br />

wenn eine „ge-spaltene Beweiswürdigung“ dadurch ausgeschlossen würde, dass die Verwert-barkeit der verfahrensfehlerhaft<br />

erlangten Beweismittel allein davon abhängig gemacht werde, ob der von dem Verstoß betroffene Beschuldigte<br />

der Verwer-tung widerspricht, wäre das nach dieser Auffassung „nicht erträglich“. Denn der Inhaber des<br />

Widerspruchsrechts hätte es dann allein in der Hand, seinem Mit-beschuldigten entlastende Tatsachen zu entziehen.<br />

305


Eine „gespaltene Beweis-würdigung“ solle daher unabhängig von der Frage des „Rechtskreises“ in einem rechtsstaatlichen<br />

Strafverfahren dadurch vermieden werden, dass jedem Ange-klagten ein eigenes Recht eingeräumt werde,<br />

einer gegen sich gerichteten Verwertung rechtsfehlerhaft zustande gekommener Beweismittel zu widerspre-chen<br />

(vgl. Hamm NJW 1996, 2185, 2189).<br />

(3) Dem wird entgegengehalten, dass diese Lösung im Hinblick auf den Grundsatz der einheitlichen Tatsachenfeststellung<br />

nicht nur zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten, sondern ebenfalls zu einer „gespaltenen Tatsachenfeststellung“<br />

führen könne, nämlich dann, wenn der von dem Verfahrens-verstoß unmittelbar betroffene Angeklagte<br />

der Verwertung nicht widerspricht, weil das Beweisergebnis für ihn günstig ist (vgl. Nack StraFo 1998, 366,<br />

373).<br />

bb) Der Senat folgt der Auffassung, die trotz Verstoßes gegen die Be-nachrichtigungspflicht aus § 168c Abs. 5 Satz<br />

1 i.V.m. Abs. 1 StPO die Verwer-tung einer Beschuldigtenvernehmung zu Gunsten und zu Lasten von Mitangeklagten<br />

für zulässig hält.<br />

(1) Die Norm des § 168c Abs. 5 StPO dient allein dem Schutz des ver-nommenen Beschuldigten. Sie soll verhindern,<br />

dass im Ermittlungsverfahren unter Verletzung des Anspruchs des Beschuldigten auf rechtliches Gehör (Art. 103<br />

Abs. 1 GG) ein für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens mögli-cherweise entscheidendes Beweisergebnis herbeigeführt<br />

werden kann, ohne dass der vernommene Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, hierauf<br />

Einfluss zu nehmen (BGHSt 26, 332, 334). Dagegen dient die Benach-richtigungspflicht nicht den Interessen von<br />

Mitbeschuldigten. Aus diesem Grund ist bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten lediglich dessen Vertei-diger<br />

gemäß § 168c Abs. 1 StPO die Anwesenheit gestattet, Mitbeschuldigte oder deren Verteidiger haben dagegen<br />

kein Anwesenheitsrecht (BGHSt 42, 391, 393). Hätte der Gesetzgeber auch einem Mitbeschuldigten die Möglichkeit<br />

einer Einflussnahme auf den Ablauf der Beschuldigtenvernehmung geben wol-len, hätte er für die Verteidiger<br />

von Mitbeschuldigten, wie bei richterlichen Zeu-genvernehmungen gemäß § 168c Abs. 2 StPO, ein Anwesenheitsrecht<br />

nor-miert. Dies hat er indes nicht getan; vielmehr hat er ausdrücklich zwischen Beschuldigtenvernehmungen<br />

(§ 168c Abs. 1 StPO) einerseits und der Verneh-mung von Zeugen und Sachverständigen<br />

(§ 168c Abs. 2 StPO) andererseits differenziert.<br />

(2) Die Sachlage bei einem Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht aus § 168c Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 StPO entspricht<br />

auch nicht derjenigen bei ei-nem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, bei dem aus übergeordneten<br />

Gründen <strong>zum</strong> Schutz der Familie des Angeklagten einem verwandten Zeugen ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht<br />

gewährt wird (BGHSt 11, 213, 216) und das dergestalt mit dem Rechtskreis des Angeklagten verbunden<br />

ist, dass es sich bei untrennbaren strafrechtlichen Vorwürfen nicht zu Ungunsten eines Mitangeklagten einschränken<br />

lässt (BGHSt 7, 194, 196). Auch mit den Zeugnisverweigerungsrechten nach den §§ 53, 53a StPO werden andere<br />

Schutzzwecke verfolgt. Im Zentrum steht hier der Vernehmungsgegenstand. Entscheidend ist, ob es sich um Erkenntnisse<br />

handelt, die dem Zeugen in sei-ner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden sind, was<br />

für ein und denselben Vernehmungsgegenstand aber nur einheitlich beurteilt werden kann. Wegen der prozessualen<br />

Bedeutung der berufsbezogenen Zeugnisver-weigerungsrechte in Bezug auf das Geheimhaltungsinteresse und den<br />

Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen der Vertrauensperson und demjenigen, der das Vertrauen in Anspruch<br />

nimmt, können Verstöße gegen die §§ 53, 53a StPO ohne Rücksicht darauf gerügt werden, ob der Beschwerdeführer<br />

selbst zu den durch das Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar geschützten Personen gehört oder nicht (BGHSt 38,<br />

148, 153).<br />

Demgegenüber fehlt es bei der Benachrichtigungspflicht nach § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO an einer entsprechenden<br />

Interessenlage, die es gebieten würde, Mitbeschuldigte, die in Bezug auf ihre eigene Person nicht von einem Verstoß<br />

gegen die Benachrichtigungspflicht betroffen sind, durch die Annahme eines Verwertungsverbots zu schützen. Anders<br />

als bei den Zeugnisverweige-rungsrechten aus § 52 StPO oder den §§ 53, 53a StPO ist hier kein Vertrauensverhältnis<br />

betroffen, das aufgrund der diesem zugrunde liegenden Bezie-hungen von grundlegender prozessualer<br />

Bedeutung und damit besonders schützenswert wäre. Dies ergibt sich bereits aus der Überlegung, dass der von dem<br />

Verfahrensverstoß betroffene Angeklagte über die Verwertbarkeit der er-langten Erkenntnisse mit seinem Widerspruch<br />

disponieren kann, um auf diese Weise seiner Entlastung dienende Umstände oder Belege für seine Einlassung<br />

in die Hauptverhandlung einzuführen. Entscheidet er sich gegen einen Wider-spruch, dann realisiert sich darin für<br />

den von dem Verfahrensverstoß nicht be-troffenen Mitangeklagten lediglich das Risiko, das jeder Straftäter tragen<br />

muss, der gemeinsam mit anderen eine Straftat begeht. Er muss damit rechnen, dass das Prozessverhalten Mitbeschuldigter<br />

zu seiner Überführung verwendet wird (vgl. Nack in KK 6. Aufl. § 100d Rdn. 43). Ein besonderes schützenswertes<br />

Ver-trauensverhältnis lässt sich aus dieser Situation somit weder für den einen noch für den anderen<br />

Angeklagten ableiten.<br />

306


(3) Auch mit dem Argument der Gefahr einer „gespaltenen Tatsachen-feststellung“ ließe sich eine Ausdehnung des<br />

Beweisverwertungsverbots auf-grund eines Verstoßes gegen die Benachrichtigungspflicht des § 168c Abs. 1, Abs. 5<br />

StPO auf Mitbeschuldigte nicht rechtfertigen; denn diese Gefahr würde dadurch im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis<br />

jedes Angeklagten über die Geltendmachung des Verwertungsverbotes nicht entfallen.<br />

cc) Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass das Landgericht die Zeugenaussage des Ermittlungsrichters S.<br />

trotz der rechtsfehlerhaft unterlassenen vorherigen Benachrichtigung des Verteidigers des Mitangeklag-ten H.<br />

gegen den Angeklagten verwerten durfte. Sein Widerspruch geht ins Leere, weil seine prozessualen Rechte nicht<br />

verletzt wurden. Es wäre ledig-lich ein für den Angeklagten günstiger Rechtsreflex gewesen, wenn der Mitangeklagte<br />

in Anwesenheit seines vorher ordnungsgemäß benachrichtigten Pflichtverteidigers beim Ermittlungsrichter<br />

die Aussage verweigert und den An-geklagten nicht belastet hätte. Verstöße gegen Bestimmungen, die ausschließlich<br />

dem Schutz anderer Personen dienen, kann der Angeklagte auch mit seiner Revision nicht erfolgreich rügen.<br />

StPO § 217 II, § 218 I. Verzicht auf die Ladung des Wahlverteidigers liegt nicht in der rügelosen<br />

Einlassung<br />

BGH, Beschl. v. 24.07.2008 – 4 StR 84/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 48; StV 2008, 563; wistra 2008, 398<br />

Weder in der rügelosen Einlassung noch im Unterlassen eines Aussetzungsantrags kann ein wirksamer<br />

Verzicht auf die Ladung des Wahlverteidigers und die Verteidigung in der Hauptverhandlung<br />

durch den Wahlverteidiger gesehen werden.<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. November 2007 in den<br />

Aussprüchen über die wegen schweren Raubes ver-hängte Einzelfreiheitsstrafe und die Gesamtfreiheitsstrafe mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

II. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-wiesen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 14. Dezember 2006 wegen schweren Raubes und Verabredung<br />

<strong>zum</strong> schweren Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten<br />

hob der Senat mit Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 227/07 - das Urteil in den Aussprüchen über<br />

die gegen den Angeklagten wegen schwe-ren Raubes verhängte Einzelstrafe (Freiheitsstrafe von sieben Jahren) und<br />

die Gesamtstrafe auf und verwies die Sache insoweit an das Landgericht zurück. Dieses hat nunmehr den Angeklagten<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sie-ben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklag-te<br />

mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das<br />

Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.<br />

2. Die Revision beanstandet zu Recht, dass der Verteidiger des Ange-klagten, Rechtsanwalt R., entgegen § 218 Satz<br />

1 StPO nicht zur Hauptverhand-lung geladen worden ist (vgl. BGHSt 36, 259).<br />

a) Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007, beim Landgericht eingegangen am 1. Juni 2007, teilte Rechtsanwalt R. unter<br />

Vorlage einer Vollmacht mit, der An-geklagte habe ihn mit seiner Verteidigung beauftragt, und bat um Akteneinsicht.<br />

Ihm wurde darauf hin vom Gericht eine Abschrift des Urteils vom 14. Dezember 2006 zugesandt und mitgeteilt,<br />

dass sich die Akten in der Revisionsinstanz be-finden. Im Weiteren erhielt Rechtsanwalt R. weder Akteneinsicht<br />

noch eine La-dung zur Hauptverhandlung, die am 22. November 2007 stattfand. Der Ange-klagte wurde in der<br />

Hauptverhandlung von dem bestellten Verteidiger Rechts-anwalt F. verteidigt.<br />

b) Nach § 218 Satz 1 StPO ist der gewählte Verteidiger zur Hauptver-handlung zu laden, wenn die Wahl dem Gericht<br />

angezeigt worden ist. Hat der Angeklagte mehrere Verteidiger, muss - sofern es sich nicht um mehrere Anwälte<br />

einer Sozietät handelt – jeder von ihnen geladen werden (BGHSt 36, 259, 260). Danach hätte Rechtsanwalt R.<br />

<strong>zum</strong> Hauptverhandlungstermin vom 22. November 2007 geladen werden müssen.<br />

c) Das Fehlen einer förmlichen Ladung könnte unschädlich sein, wenn der Verteidiger auf andere Weise rechtzeitig<br />

vom Termin zuverlässig Kenntnis erlangt hätte (BGH aaO S. 261 m.w.N.). Auf Anfrage des Senats hat Rechtsanwalt<br />

R. jedoch mitgeteilt, dass dies nicht der Fall gewesen sei.<br />

d) Der Angeklagte hat auch nicht in der Hauptverhandlung auf die Ver-teidigung durch Rechtsanwalt R. verzichtet.<br />

Weder in der rügelosen Einlassung noch im Unterlassen eines Aussetzungsantrags (vgl. §§ 218 Satz 2, 217 Abs. 2<br />

307


StPO) kann hier ein wirksamer Verzicht des Angeklagten gesehen werden. Ein solcher Verzicht setzt die Kenntnis<br />

des Angeklagten voraus, dass sein Verteidi-ger nicht geladen wurde und dass er deshalb die Aussetzung beantragen<br />

kann (BGH aaO). Allein aus dem Umstand, dass in der Ladung des Angeklagten nur die Ladung des bestellten Verteidigers<br />

vermerkt war, kann nicht bereits ge-schlossen werden, dass ihm positiv bekannt war, sein gewählter Verteidiger<br />

sei weder zu dem Termin geladen noch auf andere Weise über dessen Stattfinden informiert worden. Im Übrigen<br />

besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der von der Vorsitzenden der Strafkammer nicht belehrte Angeklagte sein<br />

Recht kannte, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Aus den genannten Gründen kann daher auch von einer<br />

Verwirkung des Rügerechts nicht die Rede sein.<br />

3. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils in den Aussprü-chen über die wegen schweren Raubes<br />

verhängte Einzelfreiheitsstrafe und die Gesamtfreiheitsstrafe, da nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen<br />

werden kann, dass die Hauptverhandlung in Anwesenheit von Rechtsan-walt R. zu einem für den Angeklagten<br />

günstigeren Ergebnis geführt hätte.<br />

StPO § 228 I, § 229 Unterbrechung der Hauptverhandlung auch durch unvorsehbar kurze Verhandlung<br />

BGH, Besch. v. 05.11.2008 – 1 StR 583/08 - NJW <strong>2009</strong>, 384; NStZ <strong>2009</strong>, 168<br />

LS: Zur Wahrung der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO, wenn eine Hauptverhandlung<br />

aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse nur in wesentlich geringerem Umfang als vorgesehen, insbesondere<br />

nur durch eine Entscheidung über die Unterbrechung des Verfahrens nach § 228 Abs. 1<br />

StPO gefördert wer-den kann.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2008 beschlos-sen:<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-richts München I vom 7. Mai 2008 werden als unbegründet<br />

ver-worfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisions-rechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Angeklag-ten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen<br />

not-wendigen Auslagen zu tragen.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Oktober 2008 bemerkt der Senat:<br />

Ein Verstoß gegen § 228 Abs. 1 Satz 1 und § 229 Abs. 1 StPO liegt nicht vor. Eine Hauptverhandlung gilt dann im<br />

Sinne des § 229 Abs. 4 StPO als fort-gesetzt und muss nicht wegen Überschreitung der Frist des § 229 Abs. 1 StPO<br />

ausgesetzt werden, wenn in dem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird (vgl.<br />

BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhand-lung 6 m.w.N.). Insofern ist auch nach der Verlängerung der Unterbrechungs-frist<br />

des § 229 Abs. 1 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198)<br />

anerkannt, dass hierfür jedenfalls eine auch nur geringfügige Beweisaufnahme genügt. Aber auch die Erörterung von<br />

Verfah-rensfragen reicht <strong>zum</strong>indest dann, wenn der Sitzungstag nicht von vornherein als sog. Schiebetermin konzipiert<br />

war.<br />

Diesen Anforderungen wird der Hauptverhandlungstermin vom 18. März 2008 gerecht. Denn es war ein Zeuge geladen,<br />

der an diesem Tag vernommen werden sollte. Der Umstand, dass es zu der beabsichtigten Vernehmung des<br />

Zeugen nicht kam, sondern die Hauptverhandlung alsbald nach deren Beginn erneut durch Verfügung des Vorsitzenden<br />

unterbrochen wurde, lag darin be-gründet, dass die Kammer den drei Angeklagten unmittelbar vor dem Fortsetzungstermin<br />

neu gefasste Haftbefehle verkündet hatte, die auf der Grundlage der bisherigen Beweisaufnahme ergangen<br />

waren, und einer der Verteidiger im Termin wegen dieser Haftbefehle die erneute Unterbrechung der Hauptverhandlung<br />

beantragt hatte. Zwar war mit dem unerwarteten Antrag lediglich eine zweistündige Unterbrechung begehrt<br />

worden. Dass der Vorsitzende ihm statt-gab und dem Verteidiger nicht nur wenige Stunden, sondern bis <strong>zum</strong> nächsten<br />

Verhandlungstag Zeit gab, sich auf die neue prozessuale Situation einzustellen, war aber eine im Rahmen seiner<br />

Sachleitungsbefugnis und aus Gründen der Fairness mögliche Entscheidung, durch die das Verfahren gefördert wurde.<br />

Dieser Verfahrensablauf stellt ein Verhandeln zur Sache dar, mit dem die Un-terbrechungsfrist des § 229 Abs. 1<br />

StPO gewahrt wurde.<br />

Hierfür spricht auch folgende Überlegung: Es sind regelmäßig Situationen vorstellbar, in denen eine Hauptverhandlung<br />

aufgrund unvorhersehbarer Ereig-nisse nur in wesentlich geringerem Umfang als geplant, möglicherweise nur<br />

durch eine Entscheidung über die Unterbrechung des Verfahrens nach § 228 StPO gefördert werden kann. Dies ist<br />

308


<strong>zum</strong> Beispiel dann der Fall, wenn der An-geklagte ohne vorherige Ankündigung nicht <strong>zum</strong> Termin erscheint oder<br />

unmit-telbar nach Terminsbeginn plötzlich feststellt, dass er aufgrund einer Erkran-kung der weiteren Verhandlung<br />

nicht weiter folgen kann, wenn für einen Haupt-verhandlungstermin nur ein Zeuge geladen wurde und dieser überraschend<br />

ausbleibt oder wenn die Verfahrensbeteiligten aufgrund etwa von der Staats-anwaltschaft kurzfristig überlassener<br />

Unterlagen, wie etwa Sachverständigen-gutachten oder Ermittlungsberichte, nicht in der Lage sind, sich auf die<br />

weitere Beweisaufnahme vorzubereiten. Würde in diesen - für das Gericht jeweils un-vorhersehbaren - Fallgestaltungen<br />

die Entscheidung über die Unterbrechung einer Hauptverhandlung nicht zur Fristwahrung ausreichen, hätte<br />

dies zur Fol-ge, dass mit der Verhandlung neu begonnen werden müsste (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO). Dies stünde<br />

aber weder mit der Verfahrensökonomie noch mit dem Anspruch des Angeklagten auf einen zügigen Abschluss des<br />

Verfahrens in Einklang (so auch BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 7).<br />

StPO § 231c, § 338 Nr. 5, JGG § 31 II 1 Beurlaubung Voraussetzungen<br />

BGH, Beschl. v. 05.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 609/08<br />

Die Möglichkeit der Beurteilung nach § 231c Satz 1 StPO besteht nur, wenn auszuschließen ist, dass<br />

die während der Abwesenheit des Angeklagten behandelten Umstände auch nur mittelbar die gegen<br />

ihn erhobenen Vorwürfe berühren. Auch wenn der Verhandlungsteil nur für den Ausspruch über<br />

eine Rechtsfolge für den Angeklagten von Bedeutung ist, wird dieser von ihm betroffen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 16. Juli 2008 im Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Land-gerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten der versuchten gemeinschädlichen Sachbeschädigung in zwei Fällen sowie der<br />

vorsätzlichen Brandstiftung für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung zweier Urteile des Amtsgerichts Eisleben<br />

zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte<br />

mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das<br />

Rechtsmittel hat <strong>zum</strong> Strafausspruch mit einer Verfahrensrüge Erfolg; im Übri-gen ist es unbegründet im Sinne des §<br />

349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Revision hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen den Schuld-spruch richtet. Insoweit nimmt der Senat Bezug<br />

auf die Ausführungen zu I. 2. und 3. sowie II. der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Januar <strong>2009</strong>,<br />

denen gegenüber auch das weitere Vorbringen im Schriftsatz des Vertei-digers vom 2. Februar <strong>2009</strong> nicht durchdringt.<br />

2. Demgegenüber kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. In-soweit macht die Revision mit Erfolg den absoluten<br />

Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 231 c StPO geltend.<br />

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:<br />

Der Angeklagte war durch das hier einbezogene Urteil des Amtsgerichts Eisleben vom 18. März 2008 u.a. wegen<br />

gemeinschaftlich mit den beiden Mit-angeklagten des vorliegenden Verfahrens am 11. Januar 2008 begangener gefährlicher<br />

Körperverletzung zu der zur Bewährung ausgesetzten Einheitsju-gendstrafe von einem Jahr und sechs<br />

Monaten verurteilt worden. Diese Tat war, soweit es den Mittäter Carsten E. betrifft, nach Abtrennung des Verfahrens<br />

durch das Amtsgericht und dessen Übernahme durch das Landgericht Gegenstand des mit dem Verfahren<br />

gegen u.a. den Angeklagten zu gemeinsa-mer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahrens. Im Hauptver-handlungstermin<br />

vom 3. Juli 2008 beurlaubte die Jugendkammer den Ange-klagten sowie den Mitangeklagten H.<br />

und ihre Verteidiger auf deren Anträ-ge gemäß § 231 c StPO für die Dauer der Vernehmungen derjenigen Zeugen,<br />

"die ausschließlich zu der Tat vom 11.01.08 vernommen werden soll(t)en", dar-unter ausdrücklich auch der Zeugin<br />

Evelin S. . Danach verließen diese beiden Angeklagten und ihre Verteidiger den Saal.<br />

Im angefochtenen Urteil hat das Landgericht bei der Bemessung der Ju-gendstrafe den erheblichen Erziehungsbedarf<br />

des Angeklagten in erster Linie mit der brutalen Art und Weise des Vorgehens bei der Tat vom 11. Januar 2008<br />

begründet und dabei ausdrücklich auch strafschärfend gewertet, dass der An-geklagte sich selbst durch die Anwesenheit<br />

von mehreren Tatzeugen, "u.a. der Apothekerin Frau S. als Hausrechtsinhaberin der betreffenden Apo-<br />

309


theke", nicht in seinem Handeln stören ließ. Die Anwesenheit der Zeugin S. bei der Tat war in dem einbezogenen<br />

Urteil des Amtsgerichts Eisleben vom 18. März 2008 nicht erwähnt.<br />

b) Mit Erfolg macht die Revision geltend, dass in Abwesenheit des Ange-klagten und seines Verteidigers - wie das<br />

Urteil belegt - Umstände erörtert wor-den sind, die den Angeklagten betrafen, und deshalb die Voraussetzungen für<br />

eine Beurlaubung nach § 231 c Satz 1 StPO nicht vorlagen. Nach dieser Vor-schrift besteht die Möglichkeit der<br />

Beurlaubung nur für einzelne Teile der Ver-handlung, von denen der zu beurlaubende Angeklagte und sein Verteidiger<br />

„nicht betroffen“ sind. Letzteres trifft nur zu, wenn auszuschließen ist, dass die während der Abwesenheit des<br />

Angeklagten behandelten Umstände auch nur mittelbar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe berühren. Auch wenn der<br />

Verhand-lungsteil nur für den Ausspruch über eine Rechtsfolge für den Angeklagten von Bedeutung ist, wird dieser<br />

von ihm betroffen (Gmel in KK-StPO 6. Aufl. § 231 c Rdn. 4; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 231 c Rdn. 12; jew.<br />

m.N.).<br />

Hiernach war die Beurlaubung ungeachtet des Antrags des Verteidigers des Angeklagten unstatthaft. Dies folgt bereits<br />

aus dem Wesen der Einbezie-hung des früheren Urteils gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG. Zwar sind der Schuldspruch<br />

des früheren Urteils und die ihn tragenden Feststellungen für das einbeziehende Gericht grundsätzlich bindend<br />

und ist deshalb auch eine voll-ständige oder teilweise Wiederholung der Beweisaufnahme über Umstände, die<br />

Gegenstand des früheren Verfahrens gewesen sind, grundsätzlich ausge-schlossen (vgl. Eisenberg JGG 13. Aufl. §<br />

31 Rdn. 37 und 58). Dies schließt aber ergänzende Feststellungen, die zu den im früheren Verfahren getroffenen<br />

nicht in Widerspruch stehen, nicht aus. Im Übrigen ist das einbeziehende Ge-richt hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs<br />

nicht an die Feststellungen im früheren Urteil gebunden, sondern es hat unter zusammenfassender eigenständiger<br />

Würdigung der in dem früheren Urteil festgestellten und der neuen Straftaten auf eine sämtliche Straftaten<br />

gerecht werdende Rechtsfolge zu er-kennen (vgl. Eisenberg aaO Rdn. 38 m.N.). Schon deshalb war der Angeklagte<br />

von der Beweisaufnahme zu den Umständen der gefährlichen Körperverletzung vom 11. Januar 2008 im Sinne des §<br />

231 c Satz 1 StPO "betroffen". Auch wenn sich das Verfahren insoweit unmittelbar nur noch gegen den Mitangeklagten<br />

E. richtete, mussten auch der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit haben, die Beweisaufnahme<br />

zu dieser Tat zu verfolgen und sich zu allen Um-ständen, die für die einheitlich zu entscheidende Straffrage – und<br />

damit auch in Bezug auf diese Tat – von Bedeutung sein konnten, zu äußern. Dies machte ihre Anwesenheit während<br />

dieses Verhandlungsteils zwingend erforderlich.<br />

c) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zwingt zur Aufhe-bung des Strafausspruchs. Dagegen ist der<br />

Schuldspruch von dem Verfahrens-fehler offenkundig nicht betroffen; das angefochtene Urteil hat deshalb im<br />

Schuldspruch Bestand (zur Möglichkeit der Teilaufhebung Kuckein in KK-StPO § 338 Rdn. 6 m.w.N.).<br />

StPO § 244 II Stattgebende Entscheidung zu Beweisantrag begründet auch unter Fairnessaspekten<br />

nicht § 338 Nr. 8 StPO<br />

BGH, Urt. v. 09.12.2008 – 5 StR 412/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 75<br />

1. Wenn einem Beweisantrag vollständig stattgegeben wird, macht dies schon im Blick auf die notwendigerweise<br />

fehlende Begründung einer solchen Entscheidung die Beweiserwägungen des Gerichts<br />

in keiner Hinsicht transparent. Hieraus lässt sich für den Antragsteller kein Vertrauenstatbestand<br />

herleiten, auf den eine Rüge gem. § 338 Nr. 8 StPO gestützt werden könnte.<br />

2. Die Erwägung stärkere psychische und verbale Gegenwehr der Nebenklägerin hätte den Angeklagten<br />

möglicherweise mit höheren moralischen Hemmschwellen konfrontiert, beschreibt zulässigerweise<br />

eine nur geringe Gegenwehr überwindende Tatausführung, sie darf im Kontext mit dem<br />

Einsatz von Gewalt auf unterster Stufe schuldmindernd bewertet werden.<br />

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 4.<br />

März 2008 werden verworfen.<br />

Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsan-waltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen<br />

Auslagen.<br />

310


G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und<br />

deren Vollstreckung zur Be-währung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich das Rechtsmittel des Angeklag-ten. Er erhebt<br />

Verfahrensrügen und die Sachrüge. Die Revision der Staats-anwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten<br />

wird, ist auf den Straf-ausspruch beschränkt. Beide Rechtsmittel bleiben erfolglos.<br />

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:<br />

a) Die Mutter des 1980 geborenen Angeklagten betrieb 2006 eine auf einem Reiterhof gelegene Gaststätte. Der Angeklagte<br />

hielt sich dort oft auf und nahm auch Reitunterricht. Mehrere Schülerinnen verbrachten auf dem Reiterhof<br />

ihre Freizeit. Zu diesen entwickelte der Angeklagte freundschaftli-che Beziehungen; der Angeklagte meinte, sie<br />

seien „wie ein Harem“ (UA S. 20). Zwei Mädchen brachte er <strong>zum</strong> Geschlechtsverkehr; anschließend ließ er sie „wie<br />

eine heiße Kartoffel fallen“ (UA S. 19). Der Angeklagte spielte die Mädchen gegeneinander aus und versuchte –<br />

nach Meinung einer Zeugin – „sie alle ins Bett zu bekommen“ (UA S. 18).<br />

Der Angeklagte pflegte auch mit der am 22. April 1990 geborenen Ne-benklägerin L. R. , die auf dem Reiterhof<br />

voltigierte, ein freund-schaftliches Verhältnis. Sie konnte mit ihm über alles reden, insbesondere über die<br />

Probleme mit ihrer Mutter, mit der sie sich häufig stritt. Während der Osterferien 2006 gab der Angeklagte der Nebenklägerin<br />

einen Kuss, den sie jedoch nicht erwiderte. Daraufhin nannte er sie „Schisser“ (UA S. 4). Der Angeklagte<br />

und L. „kuschelten“ dann aber, wobei sie auf seinem Schoß saß. Am Abend des 15. Juli 2006 wollte<br />

die Nebenklägerin das auf dem Rei-terhof veranstaltete Scheunenfest verlassen, um in einer Diskothek in Ahlshausen<br />

an einer dort stattfindenden Geburtstagsfeier des T. S. , in den sie verliebt war, teilzunehmen. Der<br />

Angeklagte erklärte sich nach Befra-gen durch die Nebenklägerin am späten Abend bereit, diese mit seinem Pkw<br />

dorthin zu fahren.<br />

Der Angeklagte bog plötzlich von der Landstraße in einen Waldweg ein und hielt seinen Wagen an einer nicht von<br />

der Straße einsehbaren Stelle an. Er fasste L. am Unterkörper an. Sie forderte ihn auf, dies zu unter-lassen. Der<br />

Angeklagte lachte nur, bezeichnete sie als „Schisser“ und fasste sie weiter am Oberschenkel und zwischen den Beinen<br />

an. Auch ihrer erneu-ten Aufforderung, dies zu unterlassen, folgte er nicht. L. war aus Angst wie versteinert.<br />

Er forderte sie auf, sich auf den Rücksitz zu begeben. Sie sagte ihm, dass sie dies nicht möchte, kletterte aber<br />

schließlich aus Angst vor dem Angeklagten zwischen den Sitzen hindurch und legte sich auf den Rücksitz. Der Angeklagte<br />

kam hinterher, zog ihr die Hose und den Slip aus und streichelte mehrmals über ihre Brüste. Auch nachdem<br />

die Nebenklägerin ihn mehrfach eindringlich aufgefordert hatte, von ihr abzulassen, führte er den vaginalen Geschlechtsverkehr<br />

aus. Die Nebenklägerin versuchte wäh-renddessen erfolglos, den Angeklagten mit beiden Händen<br />

von sich wegzu-stoßen; der Angeklagte drückte sie jedoch mit seinem Körpergewicht nach unten. Die Nebenklägerin<br />

bat ihn immer wieder aufzuhören, er machte je-doch weiter, auch nachdem sie ihm gesagt hatte, dass er ihr sehr<br />

wehtäte. Nachdem der Angeklagte <strong>zum</strong> Orgasmus gekommen war, ließ er von der Geschädigten ab, gab ihr ein Taschentuch,<br />

forderte sie auf, sich damit abzu-wischen und fuhr sie zur Diskothek. Er selbst kehrte anschließend <strong>zum</strong><br />

Rei-terhof zurück. Auf dem T-Shirt des Angeklagten befanden sich Blutspritzer.<br />

b) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten – vorher ver-einbarter freiwilliger Geschlechtsverkehr auf<br />

Fahrersitz und Rücksitz und sei-ne danach entflammte Liebe zur Nebenklägerin, die indes von dieser nicht erwidert<br />

worden sei – durch das Ergebnis der Beweisaufnahme als widerlegt angesehen. Dagegen sprächen sein spezielles,<br />

die Nebenklägerin mit Wor-ten bedrängendes Tatvorverhalten, die Unwahrscheinlichkeit eines freiwilli-gen Geschlechtsverkehrs<br />

der jungen Frau mit einem Dritten auf dem Weg zu dem jungen Mann, in den die Nebenklägerin<br />

damals gerade verliebt gewe-sen sei, das <strong>zum</strong> Ausdruck gebrachte Bewusstsein eines Fehlverhaltens (UA S. 20; bei<br />

Kenntnisnahme der Ladung zur Polizei fragte der Angeklagte so-fort: „L. ?“) und seine als eine Art Vorwärtsverteidigung<br />

bewerteten Mit-teilungen gegenüber vier Zeuginnen, darunter auch die Mutter der Nebenklä-gerin, über<br />

einen freiwilligen Geschlechtsverkehr mit L. . Die der Aussa-ge der Nebenklägerin widerstreitende Einlassung<br />

des Angeklagten, L. sei nicht mehr Jungfrau gewesen, hat das Landgericht durch die Aussagen von als Zeugen<br />

benannten Freunden der Nebenklägerin nicht bestätigt ge-funden; sie widersprachen zudem als erwiesen angesehenen<br />

früheren eige-nen Bekundungen des Angeklagten.<br />

c) Das Landgericht hat den Schuldspruch auf § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB gestützt und die Strafe<br />

dem ersten Absatz dieser Vorschrift entnommen. Dabei hat es in einer Gesamtbetrachtung neben dem Maß des der<br />

Nebenklägerin zugefügten seelischen Schmerzes auf die bishe-rige Straffreiheit des Angeklagten, das nur geringe<br />

Maß der Gewaltanwen-dung und auf die vorherige persönliche Nähe zwischen Täter und Opfer ab-gestellt. Zwar<br />

habe keine sexuelle Beziehung zwischen ihnen bestanden, aber eine durch Küssen und Kuscheln gekennzeichnete<br />

Nähe, woraus der Angeklagte eine Hoffnung auf einverständliche sexuelle Handlungen hätte ableiten können. Die<br />

Nebenklägerin habe ferner zur Entstehung der Tatsitua-tion beigetragen, weil sie sich aufgrund eigener Initiative in<br />

311


das Fahrzeug des Angeklagten begeben habe. In der Tatsituation hätte aktiverer körperlicher oder lautstarker verbaler<br />

Widerstand des Opfers den Angeklagten in weitaus stärkerem Umfang mit eigenen moralischen Hemmungen konfrontiert.<br />

2. Die Revision des Angeklagten greift nicht durch.<br />

a) Die Aufklärungsrügen sind unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).<br />

Soweit mit der Aufklärungsrüge Nr. 1 geltend gemacht wird, dass eine Gynäkologin und eine Polizeibeamtin hätten<br />

vernommen werden sollen, sind diese Beweismittel wegen fehlender ladungsfähiger Adressen nicht genü-gend bezeichnet<br />

(vgl. BGH NStZ 2006, 713). Zudem ermangelt es der von der Revision vorgetragenen erwarteten Beweistatsache<br />

der gebotenen Be-stimmtheit (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 9 m.w.N.).<br />

Den an eine unterlassene Inaugenscheinnahme des Pkw des Ange-klagten anknüpfenden Aufklärungsrügen Nr. 2<br />

und 3 ermangelt es an dem gebotenen Vortrag, dass der Untersuchungsgegenstand zur Zeit der Haupt-verhandlung<br />

noch zur Verfügung stand (vgl. BGHR aaO Aufklärungsrüge 5) und warum sich das Landgericht vor dem Hintergrund<br />

des vom Angeklagten eingeräumten freiwilligen Geschlechtsverkehrs im Pkw zu weiterer Aufklä-rung gerade<br />

durch dieses Beweismittel hätte genötigt sehen müssen (vgl. BGHR aaO Aufklärungsrüge 6).<br />

Soweit mit den Aufklärungsrügen Nr. 4 und 5 vorgetragen wird, drei in der Hauptverhandlung vernommene Zeuginnen<br />

hätten bei sachgerechter Erhebung ihrer polizeilichen Aussagen für den Angeklagten Günstigeres be-kundet,<br />

beruft sich die Revision auf eine unterbliebene vollständige Aus-schöpfung erhobener Beweise (vgl. BGHSt 4, 125,<br />

126). Solches kann indes nicht Gegenstand einer Aufklärungsrüge sein, weil sich das Revisionsgericht nicht über das<br />

Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme hinwegsetzen darf (vgl. BGHSt 43, 212, 214; BGH NJW 2003, 150,<br />

152, insoweit in BGHSt 48, 34 nicht abgedruckt). Nur auf der Grundlage der Kenntnis der vollständigen Aussage der<br />

Zeuginnen in der Hauptverhandlung ließe sich beurteilen, ob das von der Revision als sachgerecht erachtete Aufklärungs-begehren<br />

erfüllt worden ist. Die Erlangung einer solchen Kenntnis ist indes nach den verfahrensrechtlichen<br />

Strukturprinzipien – jenseits von Protokollie-rungen gemäß § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO – ausgeschlossen. Das Tatgericht<br />

ist nämlich zur umfassenden Dokumentation der Beweisaufnahme im Urteil nicht verpflichtet (vgl. BGHSt 15,<br />

347, 348; BGH NStZ 2007, 720), sondern lediglich zur Darstellung seiner – wenn auch rational zu begründenden<br />

und tatsachengestützten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 Rdn. 16) – Beweisführung (vgl.<br />

Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 12a).<br />

b) Die Rüge, das Landgericht habe den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens hinsichtlich<br />

der Zeugenaussage der Nebenklägerin zu Unrecht abgelehnt, ist unbegründet. Die Inanspruchnahme eigener<br />

Sachkunde ist nach Vernehmung der sachverständigen Zeugin Leinweber, die die Nebenklägerin in der stationären<br />

Therapie betreut hatte, im Ergebnis nicht zu beanstanden (UA S. 9 f.; 25; vgl. BGH NJW 1998, 2753, 2754).<br />

c) Auch die Rüge, das Landgericht habe durch Nichtverwertung der in einem Internet-Chat zwischen dem Angeklagten<br />

und der Nebenklägerin nach der Tat hinterlegten Dialoge Verfahrensrechte des Angeklagten missachtet, versagt.<br />

aa) Der Revisionsvortrag vermag eine Inbegriffsrüge (§ 261 StPO; vgl. BGHSt 38, 14, 16 f.; BGH NJW 2007, 92, 95<br />

f.) nicht zu begründen, weil die Nachrichten nicht durch Verlesen gemäß § 249 StPO <strong>zum</strong> Gegenstand der Beweisaufnahme<br />

gemacht worden sind.<br />

bb) Er wäre auch als Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) unbegrün-det. Zwar muss das Gericht von Amts wegen<br />

Beweis erheben, wenn ihm aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung noch Umstände und Mög-lichkeiten<br />

bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der<br />

– aufgrund der bisheri-gen Beweisaufnahme erlangten – Überzeugung wecken müssen (BGHR StPO § 244 Abs. 2<br />

Aufdrängen 6 m.w.N.). Dies ist indes hier nicht der Fall.<br />

Die Nebenklägerin hat sich nach dem Revisionsvortrag auf Vorhalt zu einem Teil der Dialoge erklärt. Auf Antrag<br />

der Verteidigung wurden – zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin – anschließend fünf Zeugen<br />

vernommen, unter anderem dazu, ob Nachrichten vom Angeklagten verändert worden sind. Nachdem das Landgericht<br />

Letzteres – auch ersicht-lich vor dem Hintergrund erkannten eigenen Fehlverhaltens des Angeklag-ten, fehlender<br />

Zuneigung zur Nebenklägerin, der praktizierten Vorwärtsver-teidigung und der die Nebenklägerin bedrängenden<br />

Anrufe (UA S. 22) – als wahrscheinlich angesehen hat (UA S. 23), drängte die Aufklärungspflicht nicht mehr zu<br />

deren Verlesung.<br />

cc) Das vorgetragene Verfahrensgeschehen begründet auch keine Behinderungsrüge (§ 338 Nr. 8 StPO; vgl. BGHSt<br />

49, 317, 328; Meyer-Goßner aaO § 338 Rdn. 59). Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem von der Revision<br />

behaupteten Fairnessverstoß und dem Urteil besteht nicht.<br />

Einen solchen sieht die Revision in der mangelnden gerichtlichen Re-aktion auf einen Vorspann („dies vorausgeschickt“)<br />

in einem Beweisantrag des Verteidigers. Darin wurde als Ergebnis einer Zeugenvernehmung der Nebenklägerin<br />

behauptet, diese habe drei ihr zugeschriebene Äußerungen im Internet-Chat mit dem Angeklagten bestätigt.<br />

312


Danach hätte das Gericht ohne ausdrücklichen Hinweis nicht von der Wahrscheinlichkeit einer Manipu-lation der<br />

Gesprächsprotokolle durch den Angeklagten ausgehen dürfen. Dies trifft nicht zu.<br />

Das Gericht war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, seine Würdigung des Ergebnisses einer Beweiserhebung<br />

dem Angeklagten vor der Urteilsverkündung mitzuteilen (vgl. BGHSt 43, 212, 214 f.). Die Verteidigung<br />

wurde auch nicht im Unklaren über das Verständnis des Gerichts betreffend die Grundlagen eines von ihr<br />

gestellten Antrags gehalten (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 38). Die Darlegungen im Vorspann des<br />

Antrags waren mit den unter anderem auf die Vernehmung von fünf Zeugen gerichteten Beweisanträgen inhaltlich<br />

keineswegs dergestalt ver-bunden, dass die Begründungen der Beweisanträge auch Beweisbehaup-tungen aus dem<br />

Vorspann umfasst hätten. Zudem gilt für ein nicht direkt an-tragsbezogenes bestimmtes Verständnis vom Ergebnis<br />

einer vorherigen Be-weiserhebung Folgendes: Wenn einem Beweisantrag – wie hier – vollständig stattgegeben wird,<br />

macht dies schon im Blick auf die notwendigerweise feh-lende Begründung einer solchen Entscheidung die Beweiserwägungen<br />

des Gerichts in keiner Hinsicht transparent. Hieraus lässt sich für den Antragstel-ler kein Vertrauenstatbestand<br />

herleiten.<br />

Im Übrigen gibt die im Urteil auf die Zeugenaussage der Mutter der Nebenklägerin gestützte Feststellung, wonach<br />

die Nebenklägerin den ihr vom Angeklagten übersandten Blumenstrauß aus dem Fenster warf, Anlass, die im Chat<br />

bekundete Freude über die Blumen als unzutreffend anzusehen.<br />

d) Die Beweiswürdigung ist sachlichrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in<br />

BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt).<br />

Im Blick auf die von der Nebenklägerin weitaus deutlicher formulierte Ablehnung des Geschlechtsverkehrs, als dies<br />

am Vortag durch die Zeugin R. <strong>zum</strong> Ausdruck gebracht worden war, und auf das fehlerfrei zu Las-ten des<br />

Angeklagten verwertete Nachtatverhalten war das Landgericht zu weitergehenden Darlegungen <strong>zum</strong> Vorliegen eines<br />

Vergewaltigungsvorsat-zes nicht genötigt (vgl. BGH NStZ 1982, 26; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Ge-walt 8). Dies gilt<br />

ungeachtet dessen, dass der Fall namentlich subjektiv betreffend die Gewaltkomponente im Grenzbereich der Tatbestandsvoraus-setzungen<br />

des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB angesiedelt ist.<br />

Es liegt auch keine sachlichrechtliche Lücke in der Beweiswürdigung vor. Das Landgericht war nicht gehalten, die<br />

von der Revision – in einer Ver-fahrensrüge – vorgetragene Falschbelastungshypothese zu erörtern, die Nebenklägerin<br />

habe nach einem Grund gesucht, warum es ihr so schlecht ge-he, und deshalb einen freiwilligen Geschlechtsakt<br />

autosuggestiv in einen er-zwungenen umgedeutet. Hierbei handelt es sich insbesondere im Blick auf die<br />

vom Landgericht herangezogenen, den Angeklagten indiziell belastenden Umstände aus dem Nachtatverhalten sowohl<br />

des Angeklagten als auch der Nebenklägerin um keine Falschbelastungshypothese, deren Erörterung sich nach<br />

den getroffenen Feststellungen hätte aufdrängen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 2008 – 5 StR 227/08;<br />

Brause NStZ 2007, 505, 507 m.w.N.).<br />

3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.<br />

Die Straf<strong>zum</strong>essung, zu der auch die Frage gehört, ob die Regelwir-kung eines besonders schweren Falles zu entfallen<br />

hat oder gar ein minder schwerer Fall vorliegt, ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf<br />

der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des<br />

Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander<br />

abzuwägen. Welchen Umständen er bestimmendes Ge-wicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen<br />

(st. Rspr.; vgl. BGHSt 3, 179; 24, 268; BGHR StGB § 177 Abs. 2 i. d. F. 6. StrRG Straf-rahmenwahl 13;<br />

BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 2). Das Revisi-onsgericht darf die Gesamtwürdigung nicht selbst vornehmen,<br />

sondern nur nachprüfen, ob dem Tatrichter bei seiner Entscheidung ein Rechtsfehler un-terlaufen ist (vgl.<br />

BGHSt 29, 319, 320; BGH StV 2002, 20). Das ist hier nicht der Fall, <strong>zum</strong>al vor dem Hintergrund der bezogen auf<br />

die Gewaltkomponente des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB im Grenzebereich angesiedelten Tat. Die Beanstandungen<br />

gegen Einzelerwägungen des Landgerichts greifen letztlich nicht durch. Die Strafrahmenwahl und die Straf<strong>zum</strong>essung<br />

erweisen sich auch nicht als lückenhaft.<br />

Die Wertung des Landgerichts, im Vorfeld der Tat ausgetauschte Zärt-lichkeiten – ersichtlich auch in Verbindung<br />

mit dem weiteren vertrauten per-sönlichen Umgang zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin – hät-ten<br />

dem Angeklagten Hoffnung auf einverständliche sexuelle Handlungen gemacht, ist als zulässiger Schluss des Tatgerichts<br />

(vgl. BGHSt 36, 1, 14; BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt) nicht zu beanstanden.<br />

Soweit die Revision gerade die strafschärfende Berücksichtigung ei-nes Missbrauchs des Vertrauensverhältnisses<br />

vermisst, macht sie einen Wertungsfehler geltend, für den es indes keine Tatsachengrundlage gibt. Das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin erfasste nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

313


gerade nicht den Schutz der sexuellen Integrität der Nebenklägerin vor Angriffen durch den Angeklag-ten, sondern<br />

hat einer Annäherung des Angeklagten auch in sexueller Hin-sicht sogar den Boden bereitet.<br />

Die Erwägung des Landgerichts, stärkere physische und verbale Ge-genwehr der Nebenklägerin hätte den Angeklagten<br />

möglicherweise mit höhe-ren moralischen Hemmschwellen konfrontiert, beschreibt zulässigerweise eine nur<br />

geringe Gegenwehr überwindende Tatausführung und durfte im Kontext mit dem Einsatz von Gewalt auf unterster<br />

Stufe schuldmindernd be-wertet werden (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Straf<strong>zum</strong>es-sung 4. Aufl.<br />

Rdn. 348 und 353). Die teilweise nicht gelungen formulierten Wendungen des Landgerichts in diesem Zusammenhang<br />

sind nach dem Verständnis des Senats ersichtlich nicht als Vorwurf gegen die Nebenkläge-rin zu verstehen.<br />

Der Senat hat keine durchgreifenden Bedenken, dass die Durchfüh-rung ungeschützten, für die Nebenklägerin erstmaligen<br />

Geschlechtsverkehrs in die Gesamtbetrachtung (UA S. 28) nicht einbezogen worden ist (vgl. BGHR StGB §<br />

177 Abs. 1 Straf<strong>zum</strong>essung 11), wenngleich die ausdrückliche Erwähnung dieses wesentlichen, vom Landgericht<br />

indes zentral festgestell-ten Umstands auch im Zusammenhang mit der Straf<strong>zum</strong>essung vorzugswür-dig gewesen<br />

wäre.<br />

Schließlich begegnet auch die Aussetzungsentscheidung im An-schluss an die Strafrahmenwahl offensichtlich keinen<br />

Bedenken.<br />

StPO § 244 II, StPO § 261 Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung bei Absprache<br />

BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – 3 StR 21/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 152<br />

Es ist unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung<br />

unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann,<br />

wenn sich der Angeklagte im Rahmen einer Verfahrensabsprache geständig zeigt. Allein seine Bereitschaft,<br />

wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte<br />

Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung<br />

und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen<br />

Gesetzesverletzung erforderlich ist.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Düsseldorf vom 29. Oktober 2007 mit den<br />

Feststellun-gen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Straf-kammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 300<br />

Tagessätzen zu je 300 Euro verur-teilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung<br />

materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts belieferte der Angeklagte als Diamantengroßhändler in der Zeit vom<br />

16. Juni 1995 bis November 1997 die E. GmbH und in der Zeit vom 8. Februar 1996 bis 29.<br />

Januar 2001 die B. GmbH sowie die G. GmbH mit Diamanten. Das "Geschäftsmodell"<br />

dieser Firmen bestand darin, ü-ber besonders geschulte Telefonverkäufer Diamanten als Geldanlage anzubieten.<br />

Diese gingen wie folgt vor: Den Kunden wurden zunächst kleine weiße Di-amanten zu angemessenen Preisen<br />

verkauft, verbunden mit der Zusicherung, diese Steine innerhalb einer bestimmten Frist zu einem den Kaufpreis<br />

überstei-genden Festpreis zurück zu kaufen, falls der Kunde dies wünsche. Auf diese Weise sollte den Kunden eine<br />

tatsächlich mit Diamanten nicht realisierbare Wertsteigerung vorgetäuscht werden, um sie so zu weiteren Diamantenkäufen<br />

zu verleiten. Bei diesen Folgegeschäften wurden den Kunden - nunmehr ohne Rückgabegarantie - größere<br />

Diamanten in Gelb- und Brauntönen mit dem wahrheitswidrigen Hinweis, diese seien seltener und deshalb werthaltiger<br />

als die weißen Steine, zu deutlich überhöhten Preisen <strong>zum</strong> Kauf angeboten. Die Telefonverkäufer der E.<br />

GmbH schlossen mit insgesamt 19 Kunden, die Verkäufer der beiden anderen Firmen mit 88 Kunden <strong>zum</strong> Teil mehrere<br />

Verträ-ge über den Kauf von Diamanten. Den Kunden der E. GmbH soll durch dieses Geschäftsgebaren<br />

ein Gesamtschaden in Höhe von 65.000 Euro, den Kunden der beiden anderen Firmen ein solcher in Höhe von mindestens<br />

650.000 Euro entstanden sein.<br />

314


Das Landgericht hat die Diamantengeschäfte der E. GmbH einer-seits und der beiden anderen Firmen andererseits<br />

als jeweils eine einheitliche Betrugstat gewertet. Zu diesen Taten habe der Angeklagte jeweils Beihilfe geleistet,<br />

da er die betrügerische Geschäftspraxis der Firmen gekannt und gebilligt und "deren Existenz" durch die<br />

Belieferung mit seinen Diamanten unterstützt habe.<br />

2. Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung. Es ge-nügt in mehrfacher Hinsicht nicht den Mindestanforderungen,<br />

die an die Urteils-gründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, auf der<br />

Grundlage einer Verfahrensabsprache ergangen ist; es weist daher Rechtsfeh-ler auf, die sich auch <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Angeklagten ausgewirkt haben können.<br />

Das deutsche Strafprozessrecht wird von dem Grundsatz beherrscht, dass die Gerichte von Amts wegen den wahren<br />

Sachverhalt aufzuklären haben (§ 244 Abs. 2 StPO). Auf dieser Grundlage (§ 261 StPO) ist der Schuldspruch zu<br />

treffen und sind die entsprechenden Rechtsfolgen festzusetzen. Dieser Grundsatz darf - schon wegen der Gesetzesbindung<br />

des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) - nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung<br />

des Verfahrens geopfert werden (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 307, 309). Es ist daher unzulässig, dem Urteil einen<br />

Sachverhalt zu Grunde zu le-gen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung<br />

des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte im Rahmen einer Verfahrensabsprache<br />

geständig zeigt. Allein seine Bereitschaft, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das<br />

ge-richtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und<br />

Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung<br />

er-forderlich ist. Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis<br />

zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (vgl. BGHSt 50, 40, 49 f.;<br />

BGH NStZ-RR aaO). Diese Grundsätze sind im vorliegenden Fall missachtet worden.<br />

a) Der Schuldspruch hält aus folgenden Gründen rechtlicher Überprü-fung nicht stand:<br />

aa) Das Urteil lässt schon nicht erkennen, dass der Angeklagte die be-trügerischen Handlungen der von ihm belieferten<br />

Firmen tatsächlich gefördert hat. Es fehlt an der Feststellung, dass sich die verfahrensgegenständlichen Diamantenverkäufe<br />

auf Steine bezogen, die aus Lieferungen des Angeklagten stammten. Dies versteht sich nicht von<br />

selbst, da die Urteilsgründe nicht erge-ben, dass die die Endverkäufe tätigenden Firmen im Tatzeitraum ausschließlich<br />

vom Angeklagten mit Diamanten beliefert wurden.<br />

bb) Darüber hinaus sind die vom Landgericht festgestellten Betrugstaten, die der Angeklagte gefördert haben soll,<br />

nicht mit Tatsachen belegt. Das Land-gericht stützt zwar seine Überzeugungsbildung auf das vom Angeklagten in<br />

der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis. Dem Urteil kann aber nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren<br />

Weise entnommen werden, dass das Geständnis diese Feststellungen trägt (vgl. BGHSt 50, 40, 49 f.). Die<br />

Straf-kammer hat lediglich pauschal auf das vom Angeklagten nach der Verfahrens-absprache abgegebene Geständnis<br />

verwiesen, ohne dessen Inhalt wieder-zugeben. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass der Angeklagte, der nach<br />

den Feststellungen des Landgerichts nur als Zulieferer der betrügerisch handelnden Firmen tätig wurde, jedoch in<br />

deren Geschäftstätigkeit mit den Endkunden nicht eingebunden war, aus eigener Wahrnehmung und aus eigenem<br />

Wissen zu den Einzelheiten der festgestellten Diamantenverkäufe an insgesamt 107 Kunden Angaben machen konnte.<br />

Ob einer der vom Landgericht vernommenen Zeugen, auf die in der Be-weiswürdigung gleichfalls nur pauschal<br />

hingewiesen wird, die Feststellungen zu den Verkaufsgeschäften bestätigt hat, ist ebenso nicht zu ersehen. Eine darüber<br />

hinausgehende Beweiswürdigung hat das Landgericht nicht vorgenom-men.<br />

b) Desweiteren lassen die Feststellungen besorgen, dass das Landge-richt bei den Betrugstaten von einem zu großen<br />

Schuldumfang ausgegangen ist und sich dies jedenfalls bei der Straf<strong>zum</strong>essung zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt<br />

hat.<br />

aa) Bei einem Teil der tabellarisch aufgelisteten Diamantenverkäufe ist nicht nachzuvollziehen, dass die Käufer über<br />

die Werthaltigkeit der Steine ge-täuscht wurden und ihnen durch den Ankauf ein Vermögensschaden entstand. Nach<br />

den Feststellungen kauften zehn von 19 Kunden der E. GmbH (Fälle A. , Be. , Gr. , H. , Ke. ,<br />

Kr. , K. , M. , S. und St. ) ausschließlich weiße Diamanten der Qualitätsstufe "Wessel-ton"<br />

oder "River", bei denen nach der Geschäftspraxis der vom Angeklagten belieferten Firmen Preis und Wert der Diamanten<br />

in einem für den Kunden günstigen Verhältnis standen. Diese Geschäfte dienten allein dazu, die Kunden zu<br />

den sodann betrügerisch vorgenommenen Folgegeschäften zu verleiten. In einem Fall (W. ) waren die verkauften<br />

drei Diamanten von unbekannter Qua-lität. Damit sind in diesen Fällen weder Täuschungshandlungen der Verkäufer<br />

noch irrtumsbedingte Vermögensschäden auf Seiten der Kunden zu erkennen.<br />

315


In gleicher Weise unklar sind die Feststellungen im zweiten Tatkomplex (Verkäufe der B. GmbH und der G.<br />

GmbH) hinsichtlich der Kunden Ba. , Em. und Z. , denen - jedenfalls zuletzt - ebenfalls weiße Diamanten<br />

verkauft wurden.<br />

bb) Auch die von der Strafkammer vorgenommene "Schätzung" der durch die Diamantenverkäufe entstandenen<br />

"Gesamtschäden" ist in keiner Weise nachprüfbar und revisionsrechtlich nicht mehr hinzunehmen. Das Land-gericht<br />

hat die Schadensberechnung lediglich damit begründet, der Angeklagte sei den in der Anklageschrift bezifferten<br />

Gesamtschadensbeträgen in Höhe von 130.000 Euro bzw. 1,3 Mio. Euro im Rahmen seiner geständigen Einlassung<br />

nicht entgegengetreten. Hiervon ausgehend ist die Strafkammer zu seinen Gunsten davon ausgegangen, dass Gesamtschäden<br />

<strong>zum</strong>indest in Höhe der Hälfte der in der Anklageschrift aufgeführten Beträge eingetreten seien. Feststellungen<br />

zu den den jeweiligen Kunden entstandenen Einzelschäden hat das Landgericht nicht getroffen.<br />

Damit ist nicht einmal im Ansatz eine tragfähige Schätzgrundlage für die Schadensberechnung dargetan. Das Geständnis<br />

des Angeklagten kann aus den oben dargelegten Gründen auch in diesem Zusammenhang nicht nutzbar gemacht<br />

werden. Der Senat vermag trotz des großzügigen "Sicherheitsab-schlags", den die Strafkammer vorgenommen<br />

hat, deshalb nicht auszuschlie-ßen, dass sich die rechtsfehlerhafte Schadensberechnung <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten<br />

ausgewirkt hat.<br />

3. Die in keiner Weise nachvollziehbaren und vom Landgericht auch nicht begründeten Zusammenfassungen der<br />

einzelnen Betrugstaten zu zwei einheitlichen Haupttaten und die Annahme lediglich zweier Beihilfehandlungen des<br />

Angeklagten, der über Jahre hinweg die drei Firmen mit Diamanten belie-ferte, stellen zwar keinen den Angeklagten<br />

beschwerenden Rechtsfehler dar. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten lässt jedoch besorgen, dass insoweit<br />

eine verbotene Absprache über den Schuldspruch getroffen worden ist.<br />

4. Mit Blick auf das Revisionsvorbringen des Beschwerdeführers zur rechtlichen Beurteilung berufstypischer neutraler<br />

Handlungen (vgl. hierzu BGHSt 46, 107, 112; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20, 24), weist der Senat auf<br />

Folgendes hin:<br />

Die von der Revision vorgenommene Differenzierung zwischen Tatwerk-zeugen und Bezugsobjekten (unter Bezugnahme<br />

auf SchweizBGE 119 (IV), 289; Wohlers NStZ 2000, 169, 172; Roxin in FS für Miyazawa S. 501, 512) mit<br />

dem Ziel, der Lieferung von Farbdiamanten als "neutralen" Bezugsobjekten ih-ren deliktischen Sinnbezug zu nehmen,<br />

findet im Gesetz keine Stütze. Die bei berufstypischen neutralen Handlungen gegebenenfalls erforderliche<br />

Beschrän-kung der Strafbarkeit lässt sich bei sachgerechter Auslegung nach den her-kömmlichen und allgemein<br />

anerkannten Regeln über die objektive Zurechnung oder den Gehilfenvorsatz in ausreichendem Maße erreichen (vgl.<br />

BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 26).<br />

StPO § 244 II, StPO § 338 Nr. 8, StPO § 475 I 1 Rügeanforderungen bei Aufklärungsrüge wegen<br />

Nichtbeiziehung von Akten<br />

BGH, Beschl. v. 17.07.2008 – 3 StR 250/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 51; StV 2008, 567; BGHR StPO § 338 Nr. 8 Beschränkung<br />

9; BGHR StPO § 475 Interesse 1<br />

Die Rüge, durch die Nichtbeiziehung bestimmter Akten habe das Landgericht gegen seine Aufklärungspflicht<br />

[§ 244 Abs. 2 StPO] verstoßen, ist unzulässig, wenn sie nicht mitteilt, zu welchen konkreten<br />

verfahrensrelevanten Erkenntnissen die Beiziehung der Akten geführt hätte. Dass das Landgericht<br />

die Ermittlungsakten gegen die in der Hauuptverhandlung vernommenen Belastungszeugen<br />

nicht beigezogen hat, hinderte die Verteidigung grundsätzlich nicht, gemäß § 475 Abs. 1 Satz 1 in<br />

diese Einsicht zu nehmen und - soweit vorhanden - den hierdurch aufgedeckten, für das Verfahren<br />

gegen den Angeklagten entscheidungserheblichen Beweisertrag in der Revision zu benennen [vgl.<br />

BGH StraFo 2006, 500]; denn auch die Notwendigkeit, zur ordnungsgemäßen Ausführung einer<br />

Revisionsrüge Tatsachen aus einem anderen Verfahren vorzutragen, begründet regelmäßig ein berechtigtes<br />

Interesse im Sinne der genannten Vorschrift, die Akten jenes Verfahrens einzusehen.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 25. Oktober 2007 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtferti-gung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

316


Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:<br />

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Verteidigung beanstandet, sie sei deswegen in einem für die Entscheidung wesentlichen<br />

Punkt beschränkt wor-den (§ 338 Nr. 8 StPO), weil es das Landgericht unterlassen habe, über ihren Antrag<br />

"auf Hinzuziehung der Verfahrensakten gegen in der Verhandlung ver-nommene Belastungszeugen zu entscheiden",<br />

greift nicht durch. Der Revisi-onsgrund nach § 338 Nr. 8 StPO ist nur gegeben, wenn die Verteidigung durch<br />

einen Gerichtsbeschluss unzulässig beschränkt worden ist. Dem steht es zwar gleich, wenn die Beschränkung darin<br />

liegt, dass es das Gericht unterlässt, ei-nen Antrag der Verteidigung durch Beschluss zu bescheiden (BGH VRS 35,<br />

132). Dies gilt indessen nur dann, wenn über den Antrag der gesamte Spruch-körper zu entscheiden hat (etwa § 228<br />

Abs. 1 Satz 1, § 244 Abs. 6 StPO). Darf über den Antrag dagegen der Vorsitzende im Rahmen seiner Sachleitungsbe-fugnis<br />

(§ 238 Abs. 1 StPO) allein befinden, so kann dessen Unterlassen einer Entscheidung die Revisionsrüge<br />

nach § 338 Nr. 8 StPO nicht begründen (RGSt 61, 376, 378; Frisch in SK-StPO § 338 Rdn. 161; Meyer-Goßner,<br />

StPO 51. Aufl. § 338 Rdn. 60). So liegt es hier. Bei dem Antrag auf Aktenbeiziehung handelte es sich wegen des<br />

Fehlens einer bestimmten Beweisbehauptung und der Nichtbezeichnung aus der Akten zu verlesender konkreter<br />

Schriftstücke nicht um einen Beweisantrag, über den die Strafkammer gemäß § 244 Abs. 6 StPO insgesamt zu entscheiden<br />

hatte, sondern allenfalls um einen Beweisermitt-lungsantrag. Über diesen durfte jedoch - <strong>zum</strong>indest vorab<br />

(s. § 238 Abs. 2 StPO) - der Vorsitzende allein befinden (vgl. BGHSt 6, 128; BGH NStZ 2008, 109 f.; Gollwitzer in<br />

LR 25. Aufl. § 244 Rdn. 121 sowie Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 27 m. w. N.).<br />

2. Soweit die Revision geltend macht, durch die Nichtbeiziehung der ge-nannten Akten habe das Landgericht gegen<br />

seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verstoßen, ist die Rüge unzulässig; denn sie teilt nicht mit, zu welchen<br />

konkreten verfahrensrelevanten Erkenntnissen die Beiziehung der Ak-ten geführt hätte (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; s.<br />

demgegenüber den Sachverhalt, der der Entscheidung des Senats NStZ 2008, 109 zugrunde lag). Entgegen der Ansicht<br />

der Verteidigung war sie der Notwendigkeit eines entsprechenden Re-visionsvorbringens nicht enthoben. Dass<br />

das Landgericht die Ermittlungsakten gegen die in der Hauptverhandlung vernommenen Belastungszeugen nicht beigezogen<br />

hat, hinderte die Verteidigung grundsätzlich nicht, gemäß § 475 Abs. 1 Satz 1 in diese Einsicht zu nehmen<br />

und - soweit vorhanden - den hierdurch aufgedeckten, für das Verfahren gegen den Angeklagten entscheidungserhebli-chen<br />

Beweisertrag in der Revision zu benennen (vgl. BGH StraFo 2006, 500); denn auch die Notwendigkeit,<br />

zur ordnungsgemäßen Ausführung einer Revisi-onsrüge Tatsachen aus einem anderen Verfahren vorzutragen,<br />

begründet re-gelmäßig ein berechtigtes Interesse im Sinne der genannten Vorschrift, die Ak-ten jenes Verfahrens<br />

einzusehen. Dass die Verteidigung innerhalb der Revisi-onsbegründungsfrist entsprechende Bemühungen um Akteneinsicht<br />

erfolglos entfaltet hätte, trägt die Revision ebenfalls nicht vor (vgl. BGHSt 49, 317, 327 ff.).<br />

3. Die Verteidigung zeigt auch keinen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO auf, soweit sie die Ablehnung ihres<br />

Antrags auf Einholung des Gutach-tens eines anderen Sprachsachverständigen beanstandet. Zwar hat das Landgericht<br />

nach dem Wortlaut des ablehnenden Beschlusses den Antrag "wegen Unerreichbarkeit" des Beweismittels<br />

abgelehnt, nachdem sich der Angeklagte geweigert hatte, die für die Stimmenvergleichung erforderliche Stimmprobe<br />

ab-zugeben, weil er dem mit der Erstellung des Gutachtens betrauten Landeskri-minalamtes Nordrhein-Westfalen<br />

misstraute. Aus der Begründung des Be-schlusses ergibt sich indes eindeutig, dass es sich hierbei um ein Versehen<br />

handelte und die Strafkammer die Ablehnung des Antrags tatsächlich auf den Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit<br />

des Beweismittels gestützt hat, da mit der Verweigerung der Abgabe der erforderlichen Stimmprobe es an<br />

den tatsächlichen Anknüpfungstatsachen für das zu erstattende Gutachten fehlte (vgl. Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn.<br />

59 a m. w. N.).<br />

Hiergegen ist nichts zu erinnern. Durch seine Weigerung, mit dem vom Landgericht bestimmten Gutachter zusammen<br />

zu arbeiten, konnte der Ange-klagte die Beauftragung eines ihm genehmen Sachverständigen nicht erzwin-gen<br />

(s. § 73 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Aufklärungspflicht gebot die Zuziehung eines anderen Sachverständigen hier ebenfalls<br />

nicht.<br />

317


StPO § 244 IV 2, §256 I 2 Beweisantrag auf weiteren SV nach Behördengutachten<br />

BGH, Beschl. v. 22.08.2008 – 2 StR 195/08 - NJW 2008, 3232; NStZ 2008, 708; StV 2008, 564<br />

Früheres Gutachten im Sinne von § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO kann auch ein gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2<br />

StPO verlesenes ärztliches Attest über eine Körperver-letzung sein.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Frankfurt am Main vom 4. Dezember 2007<br />

a) im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte in den Fällen 17 und 21 der Urteilsgründe jeweils der besonders<br />

schweren Vergewaltigung, jeweils in Tateinheit mit gefährli-cher Körperverletzung, schuldig ist;<br />

b) im Schuldspruch und den Einzelstrafaussprüchen in den Fäl-len 16, 23 und 25 der Urteilsgründe sowie in den<br />

beiden Ge-samtstrafenaussprüchen jeweils mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-wiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbe-gründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in drei Fällen (24, 25, 26), davon in zwei Fällen in<br />

Tateinheit mit Vergewaltigung (25, 26), wegen räuberischer Erpressung (27) und versuchter räuberischer Erpressung<br />

(28) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Wegen Zuhälterei in zwei<br />

Fällen (8, 14), Vergewaltigung in drei Fällen (15, 17, 21), davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung<br />

(15) und in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (17, 21), wegen räu-berischer Erpressung<br />

(13), gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen (9, 16, 18, 20, 22, 23), wegen Körperverletzung (19) und Körperverletzung<br />

in Tatein-heit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (11) hat es den Angeklagten unter Einbeziehung<br />

der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer weiteren Ge-samtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Außerdem<br />

wurde die Sicherungs-verwahrung gegen den Angeklagten angeordnet. Seine auf Verfahrensrügen und die<br />

Sachrüge gestützte Revision hat nur in dem aus der Entscheidungsfor-mel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen<br />

ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Verfahrensrüge, mit welcher die Revision die Zurückweisung eines Beweisantrags zu den Fällen 23 und 25<br />

der Urteilsgründe (gefährliche Körper-verletzung und Vergewaltigung jeweils im "M. D. 's Club" in F. )<br />

rügt, ist begründet.<br />

Die Zeugin B. hatte bei ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung auf die Frage, ob bei den Vorfällen in dem Lokal<br />

"noch andere anwesend" gewesen seien, geantwortet: "S. . S. , ich weiß nicht wie der heißt, ein Schwuler". Bezogen<br />

hierauf beantragte die Verteidigung, den Zeugen S. R., den dama-ligen Geschäftsführer des genannten<br />

Lokals, <strong>zum</strong> Beweis der Tatsachen zu vernehmen, dass der Zeuge im Tatzeitraum täglich im Club anwesend gewesen<br />

sei, dass er die Geschädigte und den Angeklagten persönlich kenne und dass die in der Anklage beschriebenen<br />

Vorfälle nicht stattgefunden hätten, "da der Zeuge sie mitbekommen hätte müssen"; hinzugefügt war der Satz: "Auch<br />

die Zeugin B. hat bekundet, dass S. dabei gewesen sei".<br />

Diesen Antrag lehnte das Landgericht mit der Begründung ab, es mange-le an der Konnexität der Beweistatsache,<br />

"da nicht feststellbar ist, in welchem Raum des Lokals, zu welcher genauen Zeit und unter welchen Umständen der<br />

Zeuge nichts wahrgenommen haben soll". Der Beschluss führte weiter aus: "Anders wäre der Antrag zu bewerten,<br />

wenn die Zeugin bekundet hätte, der S. R. sei dabei gewesen oder der Geschäftsführer S. sei dabei gewesen. Die<br />

Zeugin hat aber nur bekundet, 'S. , ein Schwuler' sei dabei gewesen. Die Be-zeichnung mit dem Vornamen 'S. '<br />

und die Erklärung, es sei ein Homosexuel-ler, lässt dagegen nicht den Schluss zu, die Zeugin habe damit auch den S.<br />

R. benannt".<br />

Hierauf beantragte die Verteidigung, <strong>zum</strong> Beweis der Tatsache, dass mit der Bezeichnung "S. , ein Schwuler", der<br />

Geschäftsführer des Lokals gemeint war, die Zeugin B. nochmals zu vernehmen; weiterhin <strong>zum</strong> Beweis der Tatsache,<br />

dass der Betreiber des Lokals homosexuell sei, den Zeugen S. R. zu ver-nehmen.<br />

Dies lehnte das Landgericht mit der Begründung ab, die Zeugin B. sei vernehmungsunfähig, und es sei "völlig ohne<br />

Bedeutung, ob der Inhaber eines von Homosexuellen bevorzugten Lokals ebenfalls homosexuell ist".<br />

Mit diesen Begründungen durfte, wie die Revision mit der Verfahrensrü-ge einer Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2<br />

StPO zutreffend dargelegt hat, der Beweisantrag auf Vernehmung des S. R. nicht abgelehnt werden. Entgegen der<br />

Ansicht des Landgerichts mangelte es dem Antrag nicht an der erforderli-chen Konnexität; fehl geht auch die Ansicht<br />

des Generalbundesanwalts, es lie-ge kein Antrag im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO vor, weil nicht angegeben<br />

sei, was der Zeuge positiv wahrgenommen haben solle, und es daher an einer hin-reichend bestimmten Beweistatsa-<br />

318


che fehle. Nach dem Zusammenhang der An-tragsbegründung mit der zuvor eingeführten Videovernehmung der<br />

Zeugin B. war vielmehr offenkundig, dass dem Antrag die Behauptung zugrunde lag, bei der von der Zeugin als "S.<br />

, ein Schwuler" bezeichneten Person, die "dabei gewesen" sei, habe es sich um den als Zeugen benannten S. R.<br />

gehandelt. Im Hinblick auf die Massivität und offensichtliche Auffälligkeit der Geschehnisse - die Zeugin wurde im<br />

Fall 23 so stark geschlagen, dass sie mit dem Barhocker, auf dem sie saß, zu Boden fiel; sodann schlug ihr der Angeklagte<br />

mit dem Griff eines Teleskopschlagstocks mehrfach auf den Kopf; im Fall 25 musste sie sich nackt ausziehen,<br />

wurde mit Gewalt <strong>zum</strong> Oralverkehr gezwungen und "immer wieder" geschlagen - drängte sich die Schlussfolgerung<br />

auf, eine Person, die "dabei war", die also während der Geschehnisse zugegen war, habe diese be-merken müssen.<br />

Unter diesen Umständen kann der Behauptung, die Vorfälle hätten nicht stattgefunden, da der Zeuge sie sonst hätte<br />

bemerken müssen, nicht im Hinblick auf ihre negative Formulierung die Qualität einer Beweisbe-hauptung im Sinne<br />

von § 244 Abs. 3 StPO abgesprochen werden.<br />

Soweit der Generalbundesanwalt auf die Entscheidung BGHSt 40, 3, 6 verwiesen hat, ging es dort um eine andere<br />

Fallgestaltung, denn dort waren Zeugen <strong>zum</strong> Beweis einer Schlussfolgerung benannt worden, ohne dass aus dem<br />

Antrag ersichtlich war, welche tatsächlichen Wahrnehmungen der Zeugen diese tragen sollten. So liegt die Sache<br />

hier nicht. Die Behauptung, eine Person habe ein in ihrer Anwesenheit angeblich geschehenes Ereignis nicht wahrgenommen,<br />

und das Ereignis habe daher nicht stattgefunden, da die Person es nach den konkreten Umständen hätte<br />

bemerken müssen, ist eine hinreichend bestimmte Beweistatsache im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO (vgl. Niemöller<br />

StV 2003, 687, 689, 692 ff.). Die Beschlussbegründungen des Landgerichts ver-mischten dagegen eine unzureichende<br />

Auslegung des Antrags mit einer hier unzulässigen Beweisantizipation und einem unzutreffenden Verständnis des<br />

Erfordernisses der Konnexität; sie tragen die Zurückweisung des Antrags nicht.<br />

2. Begründet ist auch die weitere Verfahrensrüge einer Verletzung von § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO im Zusammenhang<br />

mit Fall 16 der Urteilsgründe (ge-fährliche Körperverletzung durch Zufügung einer Platzwunde durch Wurf einer<br />

Flasche). Insoweit waren zwei ärztliche Atteste eines Krankenhauses (Kliniken O.) vom 1. März 2006 und vom 30.<br />

Januar 2007 gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen worden. Die Verteidigung beantragte die Einholung eines<br />

medi-zinisch-histologischen Sachverständigengutachtens <strong>zum</strong> Beweis der Tatsache, "dass es sich bei der festgestellten<br />

Narbe der Zeugin B. um eine alte Verletzung handelte, mit der der Angeklagte nichts zu tun hat …".<br />

Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, es liege bereits ein Gutachten vor, das das Gegenteil<br />

beweise. Die Kliniken O. hät-ten am 1. März 2006 eine "reizlos abgeheilte Platzwunde … mit diskretem, na-hezu<br />

abgeheiltem Hämatom in der Wundumgebung" festgestellt. Mit dieser Be-gründung durfte der Beweisantrag nicht<br />

abgelehnt werden. Auf eigene Sach-kunde hat das Landgericht die Ablehnung nicht gestützt; vielmehr allein auf das<br />

Vorliegen eines anderen Gutachtens (§ 244 Abs. 4 Satz 2, HS 1 StPO). Hieran ist zutreffend, dass, entgegen der<br />

Einwendung der Revision, auch ein ärztliches Attest im Sinne von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO ein Gutachten im Sinne<br />

von § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO sein kann. Die Vorschrift des § 256 StPO über den erwei-terten Urkundenbeweis führt<br />

in Abs. 1 Nr. 1 bis 5 namentlich auch Fälle auf, in denen schriftliche Erklärungen über nur aufgrund besonderer<br />

Sachkunde zu treffende Feststellungen in erleichterter Weise in die Hauptverhandlung einge-führt werden können;<br />

sie ersetzen, soweit sie ein Gutachten enthalten, jeweils die persönliche Vernehmung eines Sachverständigen. Der<br />

Begriff des Gutach-tens in § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO erstreckt sich nach dem Sinn der Vorschrift auch auf diese Erklärungen;<br />

die Vorschrift knüpft nicht an eine besondere Form der Gutachtenseinführung an.<br />

Gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2, 2. HS StPO kann das Gegenteil einer Be-weisbehauptung aber nicht durch ein bereits<br />

vorliegendes Gutachten bewiesen sein, wenn dieses - zur Beweisfrage relevante - Widersprüche enthält. Dies kann,<br />

wie die Revision zutreffend rügt, hier jedenfalls nicht ausgeschlossen werden und hätte daher vom Landgericht <strong>zum</strong>indest<br />

näher erörtert werden müssen. Denn die Befund-Beschreibungen in beiden Attesten stimmten, soweit es die<br />

Verletzung im Bereich des linken Auges der Zeugin betrifft, nicht überein. Während es im Attest vom 1. März 2006<br />

hieß: "alte relativ breite Narbe lateral linke Braue, abklingendes sehr diskretes Hämatom um linkes Auge", lautete<br />

die Beschreibung im Befundbericht vom 30. Januar 2007: "Reizlose Narbe … im Sinne einer reizlos abgeheilten …<br />

Platzwunde im Bereich der linken Augen-braue mit diskretem, nahezu abgeheiltem Hämatom in der Wundumgebung".<br />

Die Beschreibungen weisen gewisse Abweichungen auf, die insoweit Bedeu-tung gewinnen, als die Tat (Fall<br />

16) "Ende Januar 2006", also relativ kurz vor der Untersuchung vom 1. März 2006 stattgefunden haben soll. Die<br />

Begründung des Landgerichts, die allein das neun Monate später erstellte Attest als "frühe-res Gutachten" zitiert hat,<br />

in dem von einer "Platzwunde" die Rede ist und das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen "reizlos abgeheilter"<br />

Narbe und "fast abgeheiltem Hämatom in der Wundumgebung" herstellt, war insoweit nicht rechtsfehlerfrei;<br />

jedenfalls eine nähere Erörterung des möglichen Widerspruchs wäre vor Zurückweisung des Beweisantrags erforderlich<br />

gewesen.<br />

319


Die Ansicht des Generalbundesanwalts, es habe dem Antrag schon die Qualität eines Beweisantrags gefehlt, weil die<br />

Beweisbehauptung aufs Gerate-wohl aus der Luft gegriffen gewesen sei, teilt der Senat nicht. Eine Darlegung in dem<br />

Antrag, wann und wie sonst - außer durch die angeklagte Tat - die Zeugin jene "alte" Verletzung erlitten haben sollte,<br />

war nicht erforderlich.<br />

3. Die Verfahrensfehler führen zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen 16, 23 und 25 der Urteilsgründe mit<br />

den jeweiligen Einzelstrafaussprü-chen.<br />

Die weitere Verfahrensrüge der fehlerhaften Zurückweisung eines Be-fangenheitsantrags ist aus den vom Generalbundesanwalt<br />

zutreffend ausge-führten Gründen unbegründet.<br />

Die Aufhebung der Verurteilung in den genannten Einzelfällen führt nicht zur Aufhebung in den übrigen Fällen. Der<br />

Senat schließt im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe aus, dass die Glaubhaftigkeit der Aussage<br />

der Zeugin B. vom Landgericht insgesamt anders beurteilt worden wäre, wenn sie in den Fällen 16, 23 und 25<br />

keine zur Verurteilung hinreichende Bestätigung gefunden hätte.<br />

4. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Übrigen keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten<br />

ergeben. Dass hinsichtlich einzelner Taten die rechtliche Würdigung in dem entsprechenden Urteilsab-schnitt<br />

ganz fehlt oder unzureichend ist, ist letztlich unschädlich, weil die Würdi-gung teilweise im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

nachgeholt wird, teilweise sich jedenfalls aus dem Urteilstenor ergibt. Hinsichtlich der Fälle 17 und 21 der Urteilsgründe<br />

hat der Senat den Schuldspruch berichtigt, da die Qualifikationen nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB im Tenor<br />

als "besonders schwere Vergewalti-gung" zu bezeichnen sind (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 173; Fischer StGB 55.<br />

Aufl. § 177 Rdn. 78 m.w.N.).<br />

Die Einzelstrafen in den von den Verfahrensfehlern nicht berührten Fäl-len sind rechtsfehlerfrei und können bestehen<br />

bleiben. Dagegen waren die bei-den Gesamtfreiheitsstrafen aufzuheben. Trotz der - rechtlich hier nicht gebotenen<br />

- erheblichen Herabsetzung im Wege eines "Härteausgleichs" im Hinblick auf das Gesamtstrafübel kann nicht<br />

ausgeschlossen werden, dass die Gesamt-strafen bei Wegfall der aufgehobenen Einzelstrafen noch milder ausgefallen<br />

wären.<br />

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann dagegen bestehen blei-ben. Die rechtsfehlerfrei abgeurteilten Taten<br />

begründen ohne Weiteres die for-mellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB. Die materiel-len<br />

Voraussetzungen der Maßregelanordnung sind rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter<br />

das ihm eingeräumte Ermessen anders ausgeübt hätte, wenn die Verurteilung in den drei aufgehobenen Fällen entfallen<br />

wäre.<br />

StPO § 246 Abs. 1; StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag Hilfsbeweisantrag Fristenlösung Verschleppungsabsicht<br />

BGH, Beschl. v. 23.09.2008 - 1 StR 484/08 - BGHSt 52, 355; NJW <strong>2009</strong>, 605; NStZ <strong>2009</strong>, 169; StV <strong>2009</strong>, 64Krit.<br />

Anm. Fezer HRRS <strong>2009</strong>, 17 ff.; König, StV <strong>2009</strong>, 171; Gaede, NJW <strong>2009</strong>, 605; vgl. auch Beulke in: Rechtsprechung,<br />

Gesetzgebung, Lehre: Wer regelt das Strafrecht? Tagungsband 2. Karlsruher Strafrechtsdialog. Erscheint in Kürze;<br />

Vorabdruck jetzt in StV <strong>2009</strong>, 554 ff., 555 ff. gegen Pfister StV <strong>2009</strong>, 550; kritisch auch Meyer-GoßnerStPO, 52.<br />

Aufl.§ 244 Rn. 69b<br />

LS: 1. Aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfah-rens folgt die<br />

Befugnis, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu setzen. § 246<br />

Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.<br />

2. Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz für die innere Tatsache<br />

der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der An-tragsteller die Gründe für die verspätete<br />

Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht<br />

nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt.<br />

3. Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach §<br />

273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Die Verfah-rensbeteiligten sind darauf hinzuweisen, dass<br />

eine Ablehnung der Beweisan-träge, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht<br />

bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.<br />

320


4. Wurde der Hinweispflicht entsprochen, können Hilfsbeweisanträge auch erst im Urteil wegen<br />

Verschleppungsabsicht abgelehnt werden.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2008 beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 7. März 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt, wovon vier Monate als verbüßt gelten. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte<br />

die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2<br />

StPO.<br />

I.<br />

Die Verfahrensrüge, mit der die rechtsfehlerhafte Ablehnung verschie-dener Hilfsbeweisanträge wegen Prozessverschleppungsabsicht<br />

geltend ge-macht wird, hat keinen Erfolg.<br />

1. Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:<br />

Am 10. Hauptverhandlungstag wurde seitens des Vorsitzenden der Strafkammer angeordnet, dass „den Beteiligten<br />

… zur Stellung von weiteren Beweisanträgen eine Frist bis <strong>zum</strong> 26.09.2007 gesetzt“ wird. Auf Antrag des Verteidigers<br />

des Angeklagten wurde die Frist unmittelbar im Anschluss durch weitere Anordnung des Vorsitzenden bis <strong>zum</strong><br />

9. Oktober 2007 verlängert. So-dann wurde den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme einge-räumt.<br />

Am darauf folgenden Verhandlungstag beantragte der Verteidiger, die Frist für weitere Beweisanträge aufzuheben,<br />

und einen diesbezüglichen Be-schluss der Strafkammer. Nach Unterbrechung der Verhandlung bestätigte die Kammer<br />

die vom Vorsitzenden angeordnete Fristsetzung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es „nach der neuen<br />

Rechtsprechung des BGH vor al-lem in umfangreichen Verfahren zulässig und sinnvoll ist, solche Fristen zu setzen.“<br />

Die gesetzte Frist erscheine zudem angemessen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurden auch nach<br />

dem 9. Oktober 2007 gestellte Beweisan-träge seitens des Landgerichts entgegengenommen, denen teilweise auch<br />

nachgegangen wurde. Im Rahmen seines Schlussvortrages am 27. Verhandlungstag stellte der Verteidiger dann verschiedene<br />

Hilfsbeweisanträge, die alle-samt im Urteil wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt wurden.<br />

2. Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 StPO sowie des Rechts auf ein faires Verfahren<br />

ist bereits unzulässig, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspricht.<br />

a) Der Beschwerdeführer muss die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und<br />

genau mitteilen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler<br />

vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. statt aller Meyer-Goßner, StPO 51.<br />

Aufl. § 344 Rdn. 24 m.w.N.). Für einen er-schöpfenden Vortrag sind dabei auch - verfassungsrechtlich unbedenklich<br />

(BVerfG NJW 2005, 1999, 2002) - die Verfahrenstatsachen vorzutragen, die der erhobenen Rüge entgegenstehen<br />

könnten (vgl. zuletzt Senat NStZ-RR 2007, 53, 54).<br />

b) Mit der Rüge wird geltend gemacht, dass die Strafkammer die Hilfs-beweisanträge im Urteil wegen Verschleppungsabsicht<br />

abgewiesen habe, ohne zuvor darauf hingewiesen zu haben, dass Beweisanträge, die nach Ablauf der<br />

am 10. Hauptverhandlungstag gesetzten Frist gestellt werden, auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden<br />

können. Dies ist indes nach der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer, die in der Gegenerklärung<br />

der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wird und der die Revision nicht entge-gengetreten ist, nicht der Fall. Danach<br />

wurde vielmehr am 11. Hauptverhand-lungstag nachdem der Gerichtsbeschluss verkündet worden war, der die<br />

Frist-setzung des Vorsitzenden bestätigte, mit den Verfahrensbeteiligten die Bedeu-tung der Fristsetzung erörtert.<br />

Seitens des Vorsitzenden wurde darauf hinge-wiesen, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet<br />

werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Fristablauf gestellt werden, und dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen<br />

eine Zurückweisung der Beweisanträ-ge wegen Prozessverschleppung in Betracht kommt. Dieses Verfahrensge-schehen<br />

mitzuteilen, das für die Beurteilung der Verfahrensrüge bedeutsam ist, versäumt die Revision.<br />

Das mag seine Ursache darin haben, dass in der Revi-sionsinstanz ein anderer Verteidiger als in der Tatsacheninstanz<br />

beauftragt war. In solchen Fällen trifft den neuen Verteidiger indes eine Erkundigungspflicht (vgl. Senat NStZ 2005,<br />

283, 284), <strong>zum</strong>al in der Revisionsbegründung ausdrück-lich das Fehlen eines entsprechenden Hinweises gerügt wurde.<br />

Unter diesen Voraussetzungen gebietet auch das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Effektivität des<br />

Rechtsschutzes kein anderes Ergebnis (BVerfG StraFo 2005, 512).<br />

c) Bei der gegebenen Sachlage wäre die Rüge zudem aber auch unbe-gründet. Das Landgericht hat die Hilfsbeweisanträge<br />

zu Recht wegen Prozess-verschleppungsabsicht abgelehnt. Die verlangte Beweiserhebung konnte nichts<br />

321


Sachdienliches zugunsten des Angeklagten erbringen, was dem Antragsteller auch bewusst war. Darüber hinaus<br />

bezweckte er mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses. Durch die begehrte Beweiserhe-bung<br />

wäre auch eine wesentliche Verzögerung eingetreten.<br />

aa) Unter umfassender Würdigung aller maßgeblichen Umstände (vgl. BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 17) hat die Strafkammer<br />

die vorstehend aufgezeigten Voraussetzungen für die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge wegen Verschleppungsabsicht<br />

(vgl. insoweit nur BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 15) rechtsfehlerfrei dargelegt. Ihr war dabei nicht verwehrt,<br />

das voraussichtliche Beweisergebnis vorweg zu würdigen (BGHSt 21, 118, 122).<br />

Hierfür hat sie die Aussagen der bisher vernommenen Zeugen und den sonstigen Akteninhalt berücksichtigt, aus der<br />

sich für die in den abgelehnten Beweisanträgen behauptete herausragende Stellung des Zeugen im Unterneh-men des<br />

Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte ergaben. Weiter führt die Straf-kammer aus, dass auch die Vernehmung anderer<br />

Zeugen, die in Erledigung früherer Beweisanträge der Verteidigung zu identischen Beweisthemen erfolgte, keine<br />

Erkenntnisse, die den Angeklagten entlasteten, erbracht hatte. Aufgrund eingehender Würdigung der dargelegten<br />

Gesichtspunkte gelangt das Landge-richt sodann zu der Überzeugung, dass sich die Verteidigung bei Stellung der<br />

gegenständlichen Hilfsbeweisanträge über die Nutzlosigkeit der begehrten Be-weiserhebung bewusst war. Unter<br />

Darlegung des bisherigen Prozessverlaufes und Prozessverhaltens, wobei unter anderem - neben anderweitigen Gesichts-punkten<br />

- auch auf die seitens der Kammer gesetzte Frist abgestellt wird, be-gründet die Strafkammer anschließend,<br />

dass seitens der Verteidigung mit den Hilfsbeweisanträgen ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlus-ses<br />

bezweckt wurde.<br />

Diese Erwägungen erweisen sich in tatsächlicher Hinsicht als tragfähig und rechtlich zutreffend. Namentlich war es<br />

der Strafkammer nicht verwehrt, den Umstand, dass die Hilfsbeweisanträge nach Ablauf der seitens der Strafkammer<br />

gesetzten Frist zur Stellung von Beweisanträgen gestellt worden wa-ren, in die Abwägung mit einzubeziehen.<br />

Dieser Aspekt wurde lediglich als einer von mehreren Gesichtspunkten in die erforderliche Gesamtabwägung<br />

einge-stellt. Es führte nicht die verspätete Antragstellung als solche zur Zurückwei-sung, was nach § 246 Abs. 1<br />

StPO unzulässig wäre. Darauf, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge<br />

nach Fristablauf gestellt werden (vgl. insoweit auch BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37), waren die Verfahrensbeteiligten<br />

hingewiesen worden.<br />

bb) Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer auch dargelegt, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer wesentlichen<br />

Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Für die Vernehmung des nicht am Gerichtsort wohnenden Zeu-gen<br />

hätte, da aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Ange-klagten eine Durchführung der Beweisaufnahme<br />

am Tag der Antragstellung nicht mehr möglich war, ein weiterer Hauptverhandlungstag anberaumt werden<br />

müssen. Hierbei konnte das Landgericht - neben anderen Gesichtspunkten - auch berücksichtigen, dass aufgrund der<br />

eingeschränkten Verhandlungsfähig-keit des Angeklagten eine - zudem auch aus anderen Gründen nicht ohne weiteres<br />

durchführbare - unmittelbare Beweisaufnahme am Tage der Antragstel-lung nicht möglich war. Es zog insoweit<br />

bei seiner Bewertung der Wesentlich-keit der Verzögerung lediglich eine Verfahrenstatsache heran, von der abzuweichen<br />

ohne weiteres kein Anlass bestand. Ein von der Revision in diesem Zusammenhang erkannter Zynismus ist<br />

nicht gegeben. Angesichts der Tatsa-che, dass seitens des Gerichts für den Tag der Antragstellung bereits im Anschluss<br />

an die Schlussvorträge die Urteilsberatung und -verkündung vorgese-hen war, wäre - auch unter Berücksichtigung<br />

der sich aus dem Rubrum des Urteils ergebenden Folge der bisherigen Hauptverhandlungstermine (zuletzt<br />

einmal wöchentlich) - eine Verzögerung von mehreren Tagen eingetreten. Da das Verfahren im Übrigen abschlussreif<br />

war und bereits seit Ende 2001 andau-erte, war die Verzögerung, die demnach eingetreten wäre, auch wesentlich.<br />

Im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz sind, je länger ein Strafverfahren andauert, die Anforderungen<br />

an die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung geringer. In solchen Fällen kann auch eine relativ geringfügige<br />

zeitliche Verzö-gerung wesentlich sein. Ob an der bisherigen Rechtsprechung weiter festzuhal-ten ist, wonach der<br />

Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nur Anwen-dung finden kann, wenn die Erhebung des beantragten<br />

Beweises das Verfah-ren wesentlich verzögern würde, braucht daher vorliegend - wenngleich gute Gründe für die<br />

Aufgabe der diesbezüglichen Rechtsprechung sprechen (vgl. BGHSt 51, 333, 342 Rdn. 32 ff., BGH StV 2008, 9, 10)<br />

- nicht entschieden zu werden.<br />

cc) Nachdem die Verfahrensbeteiligten im Anschluss an den Beschluss der Strafkammer, der die Frist für die Stellung<br />

von Beweisanträgen des Vorsit-zenden bestätigte, darauf hingewiesen worden waren, dass nach Fristablauf<br />

gestellte Beweisanträge auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden können, war es auch zulässig, die<br />

Hilfsbeweisanträge darauf gestützt im Urteil abzulehnen. Zutreffend trägt die Revision in diesem Zusammenhang<br />

zwar vor, dass dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht zulässig ist. Die insoweit<br />

maßgeblichen Gesichtspunkte, die ein solches Vorge-hen dem Grundsatz nach verbieten, sind vorliegend indes nicht<br />

gegeben.<br />

322


(1) In der Regel kann ein Hilfsbeweisantrag im Urteil abgelehnt werden. Mit der hilfsweisen Antragstellung im<br />

Schlussvortrag bringt der Antragsteller <strong>zum</strong> Ausdruck, dass er auf eine Bescheidung in der Hauptverhandlung nach §<br />

244 Abs. 6 StPO verzichtet und sich damit einverstanden zeigt, dass sein An-trag erst in den Urteilsgründen beschieden<br />

wird (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 92). Dies gilt indes nicht, wenn die Ablehnung des Beweisantrags<br />

auf Verschleppungsabsicht gestützt werden soll. Dann ist der Beweisantrag grundsätzlich wie ein unbedingt gestellter<br />

Antrag zu behandeln; er ist mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss zu bescheiden, um dem<br />

An-tragsteller die Gelegenheit zu geben, den gegen ihn erhobenen Verschlep-pungsvorwurf zu entkräften (vgl.<br />

BGHSt 22, 124 f.; BGH NStZ 1986, 372; StV 1990, 394; BGH NStZ 1998, 207 m. Anm. Sander).<br />

(2) Ist aber im Laufe des Verfahrens - wie hier - durch entsprechenden Hinweis des Gerichts klargestellt, dass es als<br />

Indiz für eine Verschleppungsab-sicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Ablauf einer zuvor<br />

gesetzten Frist gestellt werden, besteht kein Anlass, dem Antragsteller noch-mals die Möglichkeit zur Verteidigung<br />

gegen den Verschleppungsvorwurf zu geben. Maßnahmen, mit denen er die Ablehnung des Beweisantrags unter diesem<br />

Gesichtspunkt hätte vermeiden können, wie z.B. die in der Revision aufge-zeigte Ausübung des Selbstladerechts<br />

oder die Stellung anderweitiger, mögli-cherweise gar im Hinblick auf die Bescheidung des ersten Hilfsbeweisantrags<br />

bedingte Anträge, sind <strong>zum</strong>utbar und vom redlichen Antragsteller auch zu er-warten, wenn er aufgrund entsprechender<br />

Hinweise des Gerichts darum weiß, dass nach einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit der Ablehnung wegen<br />

Verschleppungsabsicht erwogen wird. Zudem besteht für den Antragsteller in Kenntnis der konkreten prozessualen<br />

Situation ohne weiteres die Möglichkeit, die Beweisanträge unbedingt zu stellen. Dadurch wird weder die Verteidigung<br />

in unzulässiger Weise beschränkt, noch das Verfahren verzögert. Zudem würden die mit der Fristsetzung<br />

zur Antragstellung verfolgten Zwecke im Wesentlichen leer laufen, wenn in diesen Konstellationen der Grundsatz<br />

Anwendung fände, dass Hilfsbeweisanträge nicht im Urteil wegen Verschleppungsabsicht zurück-gewiesen werden<br />

dürfen.<br />

3. Soweit mit der Revision darüber hinaus im Hinblick auf die Fristset-zung durch das Landgericht die Verletzung<br />

von § 246 Abs. 1 StPO gerügt wird, ist die Rüge unbegründet. § 246 Abs. 1 StPO verbietet nicht die Ablehnung eines<br />

Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 244 Abs. 3 StPO. Verspätete Stellung eines Beweisantrags<br />

kann alleine schon für Verschlep-pungsabsicht sprechen (BGH NStZ 1990, 350, 351). Einer Fristsetzung, die<br />

lediglich ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht sein kann und die zudem keine Ausschlussfrist<br />

ist, steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entge-gen. Vielmehr folgt eine diesbezügliche Befugnis aus dem Recht und der<br />

Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens, insbesondere der Hauptver-handlung.<br />

a) Nach den §§ 213 ff., § 238 Abs. 1 StPO hat der Vorsitzende die Durchführung der Hauptverhandlung durch geeignete<br />

Maßnahmen vorzuberei-ten und deren Durchführung sicherzustellen. Dies gibt ihm - soweit der Verfahrensgang<br />

nicht durch § 243 StPO festgelegt ist - auch die Befugnis, den Gang der Beweisaufnahme, insbesondere<br />

auch die zeitliche Reihenfolge der einzel-nen Beweiserhebungen, zu bestimmen (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 238<br />

Rdn. 3). Daraus folgt auch die Befugnis, durch eine Fristsetzung für eventuelle Beweisanträge die weitere Gestaltung<br />

der Beweisaufnahme zu fördern, wenn die vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2<br />

StPO) für geboten gehaltene Beweiserhebung abgeschlossen ist. Eine solche Vorge-hensweise wird bei Verfahren,<br />

die bereits seit längerem andauern, insbesonde-re solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage<br />

umfasst (§ 229 Abs. 2 StPO), regelmäßig im Hinblick auf den Beschleuni-gungsgrundsatz, der einen<br />

Abschluss des Verfahrens in einem angemessenen zeitlichen Rahmen gebietet (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), angezeigt<br />

sein, um eine hinreichend straffe Verhandlungsführung zu ermöglichen.<br />

b) § 246 Abs. 1 StPO verbietet demgegenüber lediglich aufgrund des im Strafprozess geltenden Prinzips materieller<br />

Wahrheit eine Präklusion von Beweisvorbringen auf Grund Zeitablaufs (Fischer in KK 6. Aufl. § 246 Rdn. 1). Eine<br />

solche geht indes mit der Fristsetzung nicht einher. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, sind<br />

für eine Verschleppungsabsicht des Antragstellers lediglich signifikante Indizien gegeben, wenn dieser die Gründe<br />

für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darle-gen kann und auch die Aufklärungspflicht<br />

nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt (BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37).<br />

c) Auch soweit § 246 Abs. 1 StPO ein Verbot enthalten sollte, den Ver-fahrensbeteiligten einen Zeitpunkt für die<br />

Stellung von Beweisanträgen vorzu-schreiben (so - nicht tragend - BGH NStZ 1986, 371; BGH NStZ 1990, 350,<br />

351), würde gegen dieses Verbot durch die Fristsetzung nicht verstoßen. Denn den Verfahrensbeteiligten bleibt es -<br />

sei es aus prozesstaktischen oder aus an-deren Gründen - weiter freigestellt, auch nach der gesetzten Frist Beweisanträ-ge<br />

zu stellen. An der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbeschei-dung der Beweisanträge ändert<br />

sich nichts (BGHSt 51, 333, 345 Rdn. 38).<br />

d) Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz<br />

1 StPO zu protokollieren. Es empfiehlt sich, den Grund der Anordnung und die Angemessenheit der Frist in gebote-<br />

323


nem Umfang zu begründen. Hierbei sind die Verfahrensbeteiligten darauf hinzuweisen, dass das Gericht Beweisanträge,<br />

die nach Ablauf der Frist gestellt werden, nach den allgemeinen Regeln entgegen zu nehmen und zu bescheiden<br />

hat. Darüber hinaus ist darzulegen, dass im Falle der Antragstel-lung nach Fristablauf der Antragsteller die<br />

Gründe hierfür substantiiert darzule-gen hat und das Gericht, wenn nach dessen Überzeugung kein nachvollziehbarer<br />

Anlass für die verfristete Antragstellung besteht, grundsätzlich davon aus-gehen kann, dass der Antrag nichts<br />

anderes als die Verzögerung des Verfah-rens bezweckt, falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO<br />

gleichwohl zur Beweiserhebung drängt. Demgemäß sind die Verfahrensbeteilig-ten auch darauf hinzuweisen, dass -<br />

ggfs. bei Hilfsbeweisanträgen auch im Ur-teil - eine Ablehnung der Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt<br />

wurden, wegen Verschleppungsabsicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.<br />

II.<br />

Auch die Sachrüge bleibt ohne Erfolg. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:<br />

Entgegen der Auffassung der Revision sind die Feststellungen des an-gefochtenen Urteils weder lückenhaft noch<br />

widersprüchlich. Der Angeklagte initiierte die zur Aburteilung gelangten Geschäfte nicht, um einen günstigeren<br />

Rückerwerb der Kraftfahrzeuge zu erreichen. Wie den Urteilsgründen in ihrem Zusammenhang noch hinreichend<br />

entnommen werden kann, handelte es sich bei den Geschäften um Scheingeschäfte im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1<br />

AO, um die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) vorzutäuschen, der dem Unternehmen des Angeklagten<br />

tatsächlich nicht zustand. In den weite-ren Fällen wurden durch Scheingeschäfte i.S.v. § 41 Abs. 2 Satz 1<br />

AO umsatz-steuerpflichtige Inlandsgeschäfte zwischen dem Unternehmen des Angeklagten und dessen Kunden<br />

verschleiert, um so seine aus § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG folgende Zahlungsverpflichtung zu<br />

umgehen. Vor die-sem Hintergrund erweist sich auch die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht als rechtsfehlerhaft.<br />

Unter Berücksichtigung des im Urteil hinreichend dargelegten Verfah-rensgangs hat die Strafkammer auch der eingetretenen<br />

Verfahrensverzögerung bei der Straf<strong>zum</strong>essung rechtsfehlerfrei Rechnung getragen. Die von der Revision<br />

in diesem Zusammenhang vermisste Berücksichtigung bei der Bemessung<br />

der Einzelstrafen findet sich im Urteil auf Seiten 97 und 100. Unter Berücksich-tigung des Umfangs und der Komplexität<br />

des Verfahrens ist die zur Kompensa-tion gewährte Anrechnung in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu<br />

beanstanden.<br />

StPO § 249 Abs. 2; Beruhen bei unterlassenem Selbstlesen<br />

BGH, Beschl. v. 8. Juli <strong>2009</strong> - 2 StR 54/09<br />

LS: 1. Eine Protokollberichtigung mit der Folge einer "Rügeverkümmerung" ist nicht möglich,<br />

wenn in der Hauptverhandlung Feststellungen über die Kenntnis-nahme vom Wortlaut der Urkunden<br />

im Selbstleseverfahren unterblieben sind.<br />

2. Die Mitschriften, die ein nunmehr als Zeuge vernommener Richter in einer früheren Hauptverhandlung<br />

als erkennender Richter angefertigt hat, sind ei-ner Beweisaufnahme nicht zugänglich.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. August 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 13. Juni 2006 wegen Bestechlichkeit<br />

zu einer Freiheitsstrafe von drei Jah-ren und sechs Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde auf die Revision des Angeklagten<br />

mit Urteil des Senats vom 27. April 2007 (2 StR 490/06 = BGHSt 51, 325) wegen eines durchgreifenden<br />

Verfahrensfehlers aufgehoben. Nach Zu-rückverweisung der Sache hat das Landgericht den Angeklagten mit dem<br />

ange-fochtenen Urteil nunmehr erneut wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten<br />

verurteilt, deren Vollstreckung es zur Be-währung ausgesetzt hat.<br />

324


Der auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Re-vision des Angeklagten bleibt der Erfolg<br />

versagt, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. April <strong>2009</strong> bemerkt der Senat:<br />

1. a) Die dienstlichen Äußerungen der Berufsrichter und Schöffen, vom Inhalt des Ordners „Selbstleseverfahren“ (im<br />

Urteil: „Selbstleseverfahren I“) sehr wohl Kenntnis genommen zu haben, obwohl in das Hauptverhandlungsprotokoll<br />

keine dahin gehende Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 S. 3 StPO auf-genommen worden ist, sind für den<br />

Senat unbeachtlich. Eine Berichtigung des Protokolls mit der Folge der „Verkümmerung“ der vom Angeklagten<br />

erhobenen Verfahrensrüge wäre nicht möglich gewesen (vgl. zu deren grundsätzlicher Zu-lässigkeit die Beschlüsse<br />

des Großen Senats für Strafsachen vom 23. April 2007, GSSt 1/06 = BGHSt 51, 298, 308 ff. und des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 15. Januar <strong>2009</strong>, 2 BvR 2044/07 = NJW <strong>2009</strong>, 1469). Das Protokoll ist in-haltlich richtig, weil<br />

der zu protokollierende Verfahrensvorgang der Feststellung über die Kenntnisnahme in der Hauptverhandlung tatsächlich<br />

nicht stattgefun-den hat. Auf Grund seiner negativen Beweiskraft hat der Senat damit auch da-von auszugehen,<br />

dass der Inhalt der Urkunden nicht zur Kenntnis gelangt war (BGH NStZ 2000, 47; 2005, 160), soweit das<br />

Landgericht ihn nicht durch Verle-sung einzelner Bestandteile des betroffenen Selbstleseordners in die Hauptverhandlung<br />

eingeführt hat.<br />

b) Das Urteil beruht jedoch nicht auf dem Verfahrensfehler, da der Senat angesichts der ansonsten sehr sorgfältigen<br />

Beweiswürdigung ausschließen kann, dass die Strafkammer ohne die Verwertung des Urkundeninhalts zu an-deren<br />

Feststellungen gelangt wäre.<br />

Die Feststellungen <strong>zum</strong> Inhalt der Beratungen und Entscheidungen des Stadtrates vom 13. März und 26. Juni 1997<br />

stützt das Landgericht auf die Zeu-genaussagen des damaligen Oberstadtdirektors Dr. R. sowie vier weiterer Teilnehmer<br />

der beiden Ratssitzungen. Auch angesichts der eingehenden Beweiswürdigung <strong>zum</strong> weiteren Verlauf der<br />

kommunalpolitischen Diskussion bis in das Jahr 1999 hat die Verwertung der beiden Sitzungsprotokolle lediglich<br />

ergänzenden Charakter.<br />

Die Feststellungen <strong>zum</strong> Verhalten des selbst nicht revidierenden Mitan-geklagten Rü. im Zuge der Beratungen und<br />

Entscheidungen über die Teil-privatisierung der Abfallwirtschaftsbetriebe in der Folge des Ratsbeschlusses vom 16.<br />

Dezember 1999 lassen schon wegen des zur Tatzeit in der ersten Jah-reshälfte noch ganz unerwarteten Ausgangs der<br />

Kommunalwahl im September 1999 allenfalls in sehr begrenztem Umfang Rückschlüsse auf das Zustande-kommen<br />

der Unrechtsvereinbarung zu, die der Zahlung der Wahlkampfspende durch den Abfallunternehmer T. zu Grunde<br />

lag. Schon vor diesem Hintergrund hat die Verwertung der Urkunden betreffend die Zahlungen, die T. in den Jahren<br />

2000/2001 an den ehemaligen Kölner ÖTV-Vorsitzenden S. und an den CDU-Ratsfraktionsvorsitzenden Prof. Dr. B.<br />

geleistet hatte, ebenfalls nur ergänzenden Charakter. Dies gilt um so mehr angesichts der Einbettung in den Gesamtzusammenhang<br />

der Würdi-gung der Aussagen der Zeugen Dr. A. , Prof. Dr. B. , Dr. R. und Bü. sowie der durch<br />

zeugenschaftliche Vernehmung des Oberstaatsanwalts Bu. eingeführten Verteidigererklärung vom 7. Sep-tember<br />

2004, die der Zeuge T. sich ausdrücklich zu eigen gemacht hatte.<br />

Aus demselben Grund hat auch die Verwertung des Antrags der CDU- und FDP-Ratsfraktionen vom 29. November<br />

1999 sowie der Tischvorlage für die Ratssitzung vom 16. Dezember 1999 keine selbständige Beweisbedeutung.<br />

Ohnehin kam es für die Feststellungen <strong>zum</strong> Agieren des Mitangeklagten Rü. nach der von seiner Partei verlorenen<br />

Wahl auf die inhaltlichen Details des letztlich erfolgreichen Privatisierungsantrages nicht an.<br />

2. Die Rüge, die Aufklärungspflicht (§ 249 Abs. 2 StPO) habe die Be-schlagnahme der Mitschriften der Zeugen<br />

VRLG Ba. und RLG W. gebo-ten, ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO). Zudem hat das Landgericht die<br />

Beschlagnahme zu Recht abgelehnt, da ihr ein Beweiserhebungsverbot entgegengestanden hätte. Die richterlichen<br />

Aufzeichnungen aus der Hauptver-handlung in Strafsachen erlangen in ihrem fortschreitenden Entstehen den Schutz<br />

durch das Beratungsgeheimnis. Sie sind einer Beweisaufnahme nicht zugänglich (Schmidt-Räntsch DRiG 6. Aufl. §<br />

43 Rn. 5; vgl. auch Fischer StraFo 2004, 420, 421 f.).<br />

3. Die Grundsätze, welche der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 28. Oktober 2004 (3 StR<br />

301/03 = BGHSt 49, 275) und vom 28. August 2007 (3 StR 212/07 = NJW 2007, 3446) für eine einschränkende<br />

Auslegung der §§ 331, 333 StGB bei Einwerbung von Wahlkampfspenden für einen Amtsträger aufgestellt hat, sind<br />

hier schon deshalb nicht anwendbar, weil es sich vorliegend nicht um eine grundsätzlich zulässige Spende mit dem<br />

Ziel allgemeiner politischer „Klimapflege“ handelte, sondern um eine unzulässige Einflussspende mit dem Ziel, ein<br />

bestimmtes, dem Spender wirtschaftlich vortei-liges dienstliches Verhalten des Amtsträgers als Gegenleistung zu<br />

erlangen (§ 332 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB; vgl. BGHSt 49, 275, 286 f.). Von dieser Bewertung abzugehen, zu<br />

der der Senat obiter dictu bereits in dem den Mitan-geklagten Rü. betreffenden Urteil vom 12. Juli 2006 (2 StR<br />

557/05 = NStZ 2007, 36, 37) gelangt war, geben die Feststellungen des angefochtenen Urteils keinen Anlass.<br />

325


StPO § 254 Erklärung des Angekl. durch Verteidiger in der HV<br />

BGH, Beschl. v. 10.11.2008 – 3 StR 390/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 173<br />

Zu § 254 StPO: Wenn sich der Angeklagte bei seiner - geständigen - Einlassung in der Hauptverhandlung<br />

der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis<br />

oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und dies<br />

sodann - unnötigerweise - vom Gericht entgegengenommen und als Anlage <strong>zum</strong> Protokoll der<br />

Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit<br />

mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen<br />

hat. Zum Bestandteil des Hauptverhandlungsprotokolls ist sie dadurch nicht geworden.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten J. wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 25. April 2008 im Ausspruch<br />

über den Wertersatzverfall aufgehoben; dieser entfällt.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten J. sowie die Revision des Angeklagten E. gegen das vorbezeichnete<br />

Urteil werden verworfen.<br />

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Diebstahls in fünf Fäl-len zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei<br />

Jahren verurteilt. Im Hinblick auf ei-nen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1<br />

MRK) hat es ein Jahr und sechs Monate für vollstreckt erklärt. Außerdem hat es den Wertersatzverfall von 60.000 €<br />

angeordnet. Den Angeklagten E. hat es wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren verurteilt und davon zwei Jahre für vollstreckt erklärt.<br />

1. Die auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen ge-stützte Revision des Angeklagten J. hat den<br />

aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.<br />

a) Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils auf-grund der Revisionsrechtfertigung keinen<br />

durchgreifenden Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

bemerkt der Senat:<br />

(1) Die Rüge einer Verletzung von § 254 StPO ist zulässig erhoben, weil die Revision die den Mangel begründenden<br />

Tatsachen vorträgt. Sie bleibt indes im Ergebnis ohne Erfolg.<br />

Das Landgericht hat über das "Geständnis" des Angeklagten, das dieser auch im Hinblick auf die ihm hier zur Last<br />

gelegten Taten in einem anderen, gegen ihn im Jahr 2000 geführten Strafverfahren abgegeben hat, durch Verle-sung<br />

einer damals für den Angeklagten vom Verteidiger abgegebenen und als Anlage <strong>zum</strong> Protokoll genommenen Erklärung<br />

nach § 254 StPO Beweis erho-ben. Dies hält rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Aussage<br />

des Angeklagten nicht in einem richterlichen Protokoll enthalten ist. Wenn sich der Angeklagte bei seiner -<br />

geständigen - Einlassung in der Hauptverhand-lung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger<br />

mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und<br />

diese sodann - unnötigerweise - vom Gericht entgegen-genommen und als Anlage <strong>zum</strong> Protokoll der Hauptverhandlung<br />

genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit mündlich ge-äußert und das Gericht<br />

den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen fest-zustellen hat. Zum Bestandteil des Hauptverhandlungsprotokolls<br />

ist sie dadurch nicht geworden.<br />

Der Senat schließt aus, dass das Urteil auf diesem Fehler beruht. Von der Schuld des Angeklagten hat sich das Landgericht<br />

durch eine Beweisauf-nahme über die einzelnen Taten überzeugt und dabei auch den damals ge-ständigen<br />

Mitangeklagten A. als Zeugen gehört, der nahe liegend auch den Umstand bekundet hat, dass sich der Angeklagte<br />

im Jahr 2000 in der Haupt-verhandlung geständig eingelassen hatte. Weitergehende Details konnte das Landgericht<br />

aus der ohnehin weitgehend inhaltsleeren Verteidigererklärung nicht entnehmen.<br />

(2) Die Rüge im Zusammenhang mit dem Hilfsbeweisantrag ist zulässig erhoben, bleibt aber ohne Erfolg, weil das<br />

Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Behauptung, der Zeuge A. habe im Januar und Februar 2000 "nicht stets<br />

die Wahrheit gesagt", keine dem Zeugenbeweis zugängliche Tatsache ist.<br />

(3) Die Besetzungsrüge ist zulässig erhoben, da der Beschwerdeführer sämtliche, den Mangel begründenden Tatsachen<br />

vorgetragen hat. Der Mittei-lung des Hauptverhandlungsprotokolls sowie weiterer Schreiben bedurfte es entgegen<br />

der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet den Beschwerdeführer<br />

326


nur <strong>zum</strong> vollständigen Tatsachenvor-trag, nicht auch darüber hinausgehend <strong>zum</strong> Beweisantritt. Die Rüge greift aber<br />

aus den vom Generalbundesanwalt ergänzend dargelegten Gründen in der Sa-che nicht durch.<br />

b) Die Anordnung des Wertersatzverfalls kann keinen Bestand haben. Das Landgericht verkennt, dass § 73 Abs. 1<br />

Satz 2 StGB auch dann eingreift, wenn dem Bestohlenen der Schaden von einem Versicherer ersetzt worden ist. In<br />

diesem Fall geht die Forderung des Versicherungsnehmers im Wege des gesetzlichen Anspruchs-Übergangs (§ 86<br />

Abs. 1 VVG = § 67 Abs. 1 VVG aF) auf den Versicherer über (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 73 Rdn. 23). Der Senat<br />

lässt deshalb die Verfallsentscheidung entfallen.<br />

c) Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den<br />

gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).<br />

2. Die auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen ge-stützte Revision des Angeklagten E.<br />

bleibt erfolglos, da die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden<br />

Rechtsfeh-ler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Senat bemerkt ergänzend, dass auch hier die Besetzungsrüge<br />

entgegen der Auffassung des Generalbun-desanwalts zulässig erhoben worden ist.<br />

StPO § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 – Letztes Wort nach Haftbeschluss vor Urteil<br />

BGH, Beschl. v. 28.05.<strong>2009</strong> – 4 StR 51/09<br />

Verhindert das Gericht nach Erteilung des letzten Wortes noch einen Haftfortdauerbeschluss und<br />

wird dann ohne erneute Erteilung des letzten Wortes das Urteil verkündet, so kann dies die Revision<br />

begründen.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts und des Beschwerdeführers<br />

am 28. Mai <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Oktober 2008, soweit der<br />

Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellun-gen aufgehoben.<br />

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

1. Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in 34 Fäl-len zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verur-teilt.<br />

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung<br />

sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge zu § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO Erfolg.<br />

2. Die Revision beanstandet zu Recht, dass dem Angeklagten vor Ver-kündung des Urteils am 8. Oktober 2008 nicht<br />

nochmals das letzte Wort erteilt worden ist.<br />

a) Nach den Schlussvorträgen in der Hauptverhandlung vom 1. Oktober 2008, in welchem die Staatsanwaltschaft die<br />

Verhängung einer (Gesamt-) Frei-heitsstrafe von acht Jahren und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls bean-tragt<br />

hatte, wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Er schloss sich den Ausführungen<br />

seiner Verteidiger an, die in ihren Schlussvorträgen die Verhängung einer Bewährungsstrafe beantragt hatten.<br />

Im Anschluss beantragte die Verteidigung, den Haftbefehl gegen geeignete Aufla-gen außer Vollzug zu setzen. Daraufhin<br />

verkündete die Strafkammer nach Be-ratung einen Beschluss, mit dem die Fortdauer der Untersuchungshaft<br />

„aus den Gründen des Haftbefehls des Amtsgerichts Saarbrücken vom 17.01.2008 und der Entscheidung des Saarländischen<br />

Oberlandesgerichts vom 18.08.2008“ angeordnet wurde. Sodann wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.<br />

Am nächsten Verhandlungstag, dem 8. Oktober 2008, verkündete das Landgericht das Urteil.<br />

b) Diese Verfahrensweise verstieß gegen § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO. Das Gericht hatte mit seiner Haftentscheidung<br />

vom 1. Oktober 2008 zu erkennen gegeben, dass es sich der Bewertung des Beweisergebnisses durch die<br />

Staatsanwaltschaft anschloss. Damit war es wieder in die Beweisaufnahme eingetreten. Das nahm der vorausgegangenen<br />

Schlusserklärung des Angeklag-ten die Bedeutung des letzten Wortes und machte dessen nochmalige Gewährung<br />

erforderlich (vgl. BGH NStZ 1984, 376; NStZ-RR 1997, 107 m.w.N.).<br />

c) Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils, so-weit der Angeklagte verurteilt worden ist.<br />

Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet zwar nicht ausnahmslos die Revision, sondern nur dann, wenn und<br />

soweit das Urteil darauf beruht (vgl. BGH aaO). Dies kann hier nicht ausge-schlossen werden. Der Angeklagte hat<br />

die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten und lediglich den Erwerb geringer Mengen Cannabis <strong>zum</strong> Eigen-<br />

327


verbrauch eingeräumt. Durch die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungs-haft im Termin vom 1. Oktober 2008<br />

war für ihn eine neue Verfahrenssituation eingetreten. Der in der Haftentscheidung des Landgerichts in Bezug genomme-ne<br />

Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 17. Januar 2008 gründet sich ausschließlich auf die Angaben<br />

des Hauptbelastungszeugen S. , auf dessen Glaubwürdigkeit es in diesem Verfahren entscheidend ankommt.<br />

Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, der nunmehr davon ausgehen musste, dass das Landgericht<br />

den Angaben dieses Zeugen folgt, zu den Schuldvorwürfen erneut Stellung genommen und möglicherweise weitere<br />

für die Beweiswürdigung maßgebliche, ihn entlastende Umstände vorgetragen hätte.<br />

StPO § 258 II, III Letztes Wort nach Antrag StA zu Haft<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.<strong>2009</strong> – 5 StR 590/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 109<br />

Nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft zur Frage der Haftfortdauer ist dem Angeklagten erneut<br />

das letzte Wort zu erteilen.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Frankfurt (Oder) vom 15. August 2008 mit den<br />

Fest-stellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit es den Beschwerdeführer betrifft.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau begangenen Totschlags durch<br />

Unterlassen in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheits-strafe von<br />

zehn Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten gegen die-ses Urteil hat mit der auf einen Verstoß gegen § 258<br />

StPO gestützten Ver-fahrensrüge Erfolg, weil dem Angeklagten nach einem Antrag des Staatsan-walts zur Frage der<br />

Haftfortdauer nicht erneut das letzte Wort erteilt worden ist (vgl. hierzu BGH StV 1992, 551 f.).<br />

Zutreffend führt der Generalbundesanwalt aus:<br />

„In dem Vorgehen des Gerichts ist ein Verstoß gegen § 258 Abs. 2, 3 StPO zu sehen. … [Es] musste dem Angeklagten<br />

im vorliegenden Fall – unabhängig von einem Wiedereintritt in die Verhandlung – das letzte Wort noch einmal<br />

erteilt werden, weil ihm gemäß § 258 Abs. 3 StPO das Recht zusteht, als letzter noch etwas zu seiner Verteidigung<br />

anzuführen.<br />

Die Vorschrift des § 258 Abs. 2, 3 StPO verfolgt den Zweck, dem An-geklagten die Möglichkeit einzuräumen, seine<br />

Auffassung noch unmittelbar vor der Beratung und Verkündung des Urteils darlegen zu können (vgl. BGH NStZ<br />

1993, 551; BGH NJW 1976, 1951).<br />

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bereits der Schuldspruch auf der Nichterteilung des letzten Wortes beruht.<br />

Denn der Angeklagte war nicht vollständig geständig (vgl. BGHSt 48, 181 ff.; BGH StV 1992, 551, 552).“<br />

Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen den erwachsenen Be-schwerdeführer richtet, erfolgt die Zurückverweisung<br />

an das Schwurgericht (BGHSt 35, 267).<br />

StPO § 261 - Beweiswürdigung anfängliches Schweigen<br />

BGH, Beschl. v. 18.06.2008 – 2 StR 225/08<br />

Einzelfall einer auf bloßen Vermutungen und zweifelhaften Erfahrungssätzen beruhenden Beweiswürdigung.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 18. Juni 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Gera vom 27. November 2007 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

328


2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine<br />

Schwurgerichts-kammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe <strong>zum</strong> Mord zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.<br />

Seine Revision führt mit der Sachrü-ge zur Aufhebung des Urteils.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der heroinabhängige Angeklagte im Jahr 2000 in einer Gemeinschaftsunterkunft<br />

für Asylbewerber in Ka. . Dort waren auch das spätere Tatopfer R., der in einem gesonderten<br />

Verfahren von derselben Schwurgerichtskammer als Haupttäter abgeurteilte M. sowie die wegen Beteiligung gesondert<br />

verfolgten T. und K. untergebracht. R., M. und T. handelten mit Drogen oder beabsichtigten dies.<br />

Am 22. September 2000 kam es gegen 22.00 Uhr in der Unterkunft zu einer Schlägerei, weil ein Afrikaner dem R.<br />

schlechtes Heroin verkauft hatte. R., M., der Angeklagte sowie zwei weitere unbekannte Personen verließen das<br />

Heim, bevor die benachrichtigte Polizei eintraf. Nun entschloss sich M., den R. zu töten und seinen Tod als Unfall<br />

durch Heroin-Überdosierung darzustellen. Tötungsmotiv war nach den Feststellungen des Landgerichts, dass M. den<br />

R. nicht an zukünftigen Drogengeschäften beteiligen wollte und zudem befürchte-te, R. könne ihn an Dritte verraten.<br />

Der Angeklagte sagte dem M. in Kenntnis dieses Motivs seine Mithilfe bei Vertuschungshandlungen zu. Sein eigenes<br />

Mo-tiv war die Hoffnung, "erleichterten Zugang zu Heroin zu erhalten, um seine ei-gene Drogensucht ungehemmt<br />

befriedigen zu können" (UA S. 6). K. sagte aus unbekannten Motiven ebenfalls seine Mithilfe zu.<br />

An einem unbekannten Ort wurde R. durch Stromstöße im Gesicht, die ihm mittels eines Stromkabels beigebracht<br />

wurden, bewusstlos und handlungs-unfähig gemacht. Sodann verabreichten ihm M. oder K. in Tötungsabsicht vier<br />

intravenöse Injektionen mit Heroin in den Handrücken und zwei Injektionen in den rechten Fuß. R. verstarb kurz<br />

darauf an der ihm verabreichten Heroinüber-dosis. Der Angeklagte fügte ihm nun oberflächliche Schnittverletzungen<br />

am Arm zu, um einen Rettungsversuch vorzutäuschen. Dann fuhr man den Toten mit seinem Pkw vor das Eingangstor<br />

des Asylbewerberheims, legte ihn auf die Rücksitzbank und seinen entblößten rechten Fuß auf den Beifahrersitz,<br />

depo-nierte eine Heroinspritze und einen Löffel auf Zweigen nahe stehender Bäume und alarmierte gegen 2.15 Uhr<br />

die Aufsicht des Heims. Der Angeklagte führte <strong>zum</strong> Schein eine Herz-Druck-Massage an dem Verstorbenen durch.<br />

2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Prü-fung nicht stand. Zwar ist die Beweiswürdigung<br />

grundsätzlich allein Aufgabe des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nicht eigene Würdigungen an die Stelle<br />

von dessen Bewertungen setzen, wenn diese Rechtsfehler nicht erken-nen lassen. Solche Rechtsfehler liegen aber<br />

vor, wenn die in den Urteilsgrün-den wiedergegebene Beweiswürdigung des Tatrichters lückenhaft, unklar, widersprüchlich<br />

oder mit den Denkgesetzen nicht vereinbar ist, wenn sie sich auf nicht existierende Erfahrungssätze<br />

stützt oder sich in ihren Schlussfolgerungen so weit von einer gesicherten Tatsachengrundlage entfernt, dass die<br />

Ergebnis-se sich letztlich als bloße Vermutungen darstellen (vgl. Schoreit in KK-StPO 5. Aufl. § 261 Rdn. 51; Stuckenberg<br />

in KMR § 261 Rdn. 146; 162 ff.; jew. m.w.N.).<br />

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Feststellungen <strong>zum</strong> Geschehens-ablauf und zur Tatbeteiligung des Angeklagten<br />

beruhen letztlich auf bloßen Vermutungen des Landgerichts, die teils spekulativen Charakter haben, teils sich auf<br />

<strong>zum</strong>indest zweifelhafte oder unklar bleibende Erfahrungssätze stützen.<br />

a) Das gilt etwa für die Erwägung, hinsichtlich der Alibi-Einlassung des Angeklagten "(widerspreche) es jeglicher<br />

Lebenserfahrung, dass ein an der Tö-tung eines anderen Menschen wirklich Unschuldiger eine derartige Erklärung,<br />

wenn sie denn wahr gewesen wäre, (…) erst nach ca. zwei Jahren Ausliefe-rungs- und Untersuchungshaft abgibt"<br />

(UA S. 64); ebenso für die Erwägung "Wenn es um die Aufklärung der Todesumstände eines getöteten Menschen<br />

geht, lügt nur derjenige, der als Täter oder Gehilfe etwas zu verbergen hat oder der als so genannter Unbeteiligter ein<br />

plausibles Motiv hat, den bzw. die eigent-lichen Täter zu decken" (UA S. 72). Zweifelhaft ist auch die Erwägung,<br />

der An-geklagte sei "als so genannter 'zufälliger Finder' der Leiche des Getöteten ein hohes persönliches Risiko eingegangen,<br />

wegen der Tötung (…) strafrechtlich verfolgt zu werden. Ein derart hohes Risiko geht (…) ein bloßer<br />

'unbeteiligter Zuschauer' eines Tötungsverbrechens jedoch nur dann ein, wenn er dafür schwerwiegende besondere<br />

Gründe hat, z. B. Verwandtschaft (…)" (UA S. 76). Auch die Annahme, wer einem anderen einen "Denkzettel" verpassen<br />

wolle, tue dies nicht mittels eines Stromstoßes, sondern durch Verprügeln (vgl. UA S. 47), ist kaum geeignet,<br />

die Feststellung eines von vornherein gefassten Tötungs-plans zu stützen. Die genannten Erfahrungsregeln sind,<br />

wenn sie - einge-schränkt - überhaupt zutreffen, jedenfalls so vage, dass sie die weit reichenden Schlussfolgerungen<br />

des Landgerichts nicht tragen.<br />

b) Andere vom Landgericht angewendete Erfahrungssätze beruhen auf unzutreffenden Grundlagen. Das gilt etwa für<br />

die Auslegung einer Äußerung des M. gegenüber einem Zellengenossen, wonach die Polizeibeamten ihn bei einer<br />

Vernehmung durch Vorhalte von Ermittlungsergebnissen "gefickt" hätten. Hierzu führt das Landgericht aus: "'Gefickt',<br />

d. h. überführt fühlt sich nur ein Tä-ter, nicht aber ein Unschuldiger" (UA S. 52). Auch dieser Satz trifft selbst<br />

329


in der vom Landgericht angenommenen Deutung in dieser Allgemeinheit kaum zu; unzutreffend ist aber schon die<br />

zugrunde liegende Auslegung, denn der zitierte Begriff dürfte im vorliegenden Zusammenhang in den betroffenen<br />

sozialen Krei-sen in der Regel im Sinne von "Hereinlegen", "Betrügen", "Aufs-Glatteis-Führen", nicht aber im Sinne<br />

von "Überführen" gebraucht werden.<br />

c) Andere Schlussfolgerungen sind widersprüchlich: So hat das Landge-richt etwa daraus, dass Faserspuren von der<br />

Kleidung des M. nur am Fahrersitz des Pkw gefunden wurden, als zwingend geschlossen, dass M. auf keinem anderen<br />

Platz gesessen haben könne (UA S. 40). Bei der Erörterung der Anwe-senheit des K. im Fahrzeug, die für den<br />

festgestellten Ablauf von Bedeutung ist, erwähnt das Landgericht sodann, Faserspuren von der Kleidung des K.<br />

hätten an keinem Sitz festgestellt werden können. Das "(schließe) es aber keineswegs aus, dass K. in dem Auto …<br />

gesessen hat" (UA S. 68). Diese Würdigungen sind nicht miteinander vereinbar.<br />

d) Mehrfach hebt das Landgericht zu Unrecht hervor, die von ihm gezo-genen Schlüsse seien "zwingend" oder "die<br />

einzige Möglichkeit". Das gilt etwa für die Erwägung: "Einzig denkbares Motiv des M. für die Tötung des (R.) sind<br />

Streitigkeiten im Zusammenhang mit Rauschgiftgeschäften" (UA S. 54); ebenso für die Ausführung: "Dass die vordere<br />

linke Außentasche des Getöteten nach außen gestülpt leer (war), lässt (…) zwingend den Schluss zu, dass in der<br />

Ho-sentasche etwas gesucht worden ist, was dringend benötigt worden war. Hier-bei kann es sich nur um die Fahrzeugschlüssel<br />

des Pkw des Getöteten gehan-delt haben" (UA S. 68); weiterhin für die Erwägung: "Das einzig denkbare<br />

Motiv des Angeklagten, an der Tötung … mitzuwirken, ist nach Überzeugung der Kammer dessen Streben<br />

gewesen, die eigene Drogensucht zu befriedigen" (UA S. 77). Die genannten Schlussfolgerungen waren aber ersichtlich<br />

nicht "zwin-gend" oder "einzig denkbar"; vielmehr war die Beweislage in den genannten Fragen sogar besonders<br />

unklar. Die bloße nachdrückliche Betonung der tatrich-terlichen Überzeugung vermag eine hinreichende Tatsachengrundlage<br />

nicht zu ersetzen. Einzelne Erwägungen des Landgerichts liegen überdies <strong>zum</strong>indest am Rande eines unzulässigen<br />

Zirkelschlusses; so etwa die Erwägung, mit wel-cher das Landgericht den Angeklagten nicht als Mittäter,<br />

sondern (nur) als Teil-nehmer angesehen hat: "Jemand, der bei der Aufklärung eines Tötungsverbre-chens lügt, kann<br />

zwar Täter sein, zwingend ist dies jedoch nicht. Auch derjeni-ge, der weniger strafrechtlich Relevantes zur Tötung<br />

… beigetragen hat, hat ein triftiges Motiv … zu lügen (UA S. 74).<br />

e) Die beispielhaft hervorgehobenen, rechtlich bedenklichen Erwägungen sind vor dem Hintergrund zu bewerten,<br />

dass die breite Beweiswürdigung des Landgerichts <strong>zum</strong> Tatanlass und Tatablauf sowie zur Motivation der Beteiligten<br />

sich in zentralen Fragen letztlich eher auf Plausibilitätserwägungen und Vermu-tungen stützt. Das betrifft insbesondere<br />

auch Zeitpunkt, Art und Motiv der Teil-nahmehandlungen des Angeklagten. In diesem Zusammenhang fehlt<br />

es, in An-betracht des Umstands, dass andere Geschehensabläufe jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen<br />

werden können, auch an einer in sich geschlosse-nen, abwägenden Gesamtwürdigung der für und gegen die festgestellte<br />

Tatbe-teiligung des Angeklagten sprechenden Umstände. Schon das vom Landgericht festgestellte Motiv für<br />

die Haupttat, den R. von der Beteiligung an zukünftigen, noch gar nicht konkret geplanten Rauschgiftgeschäften<br />

auszuschließen und sich im Hinblick auf mögliche zukünftige Taten vor seiner "Geschwätzigkeit" zu schützen, ist<br />

ungewöhnlich und bedarf genauerer Erörterung. So fehlt etwa je-der Hinweis darauf, ob und gegebenenfalls wie der<br />

R. seine Erwartung, an zu-künftigen Rauschgiftgeschäften beteiligt zu werden, hätte durchsetzen wollen.<br />

Dasselbe gilt erst recht für das vom Landgericht angenommene Tatmotiv des Angeklagten. Die Annahme, "einzig<br />

denkbares" Motiv (und nach Ansicht des Landgerichts Mordmerkmal im Sinne eines "niedrigen Beweggrunds") für<br />

eine psychische Beihilfe des Angeklagten durch vorherige Zusage, an der Ver-schleierung der Haupttat mitzuwirken,<br />

sei der Wunsch nach "leichterem Zu-gang" zu Rauschgift, ist angesichts des Fehlens sonstiger Feststellungen hierzu<br />

eher spekulativ. Warum dasselbe Motiv nicht auch einer nur nachträglichen Strafvereitelungshandlung zugrunde<br />

liegen könnte, ist nicht erörtert und auch nicht ersichtlich.<br />

3. Wegen der Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung war das Urteil ins-gesamt aufzuheben. Der neue Tatrichter wird<br />

sowohl die - durch das selbstän-dige Verfahren gegen M. nicht ausgeschlossene - Möglichkeit der Feststellung eines<br />

anderen Ablaufs der Haupttat als auch die nicht fern liegenden Möglich-keiten einer abweichenden Mitwirkung des<br />

Angeklagten - sei es als Mittäter, Teilnehmer oder nur als Täter einer Anschlusstat nach § 258 StGB - umfas- send<br />

neu zu prüfen haben. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz StPO Gebrauch gemacht<br />

und die Sache an das Landgericht Erfurt zurückverwiesen.<br />

330


StPO § 261 „Tatmotiv fehlt nicht deshalb, weil es das Gericht nicht erkennt.“<br />

BGH, Urt. v. 21.10.2008 – 1 StR 292/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 90<br />

Kann das Gericht ein Tatmotiv nicht erkennen, so folgt daraus nicht der Schluss, dass ein Tatmotiv<br />

fehlt.<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts Stuttgart vom 21. Januar 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Kör-perverletzung aus tatsächlichen Gründen<br />

freigesprochen. Gegen diesen Frei-spruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, welche vom Generalbundesanwalt<br />

vertreten wird, mit der Sachrüge.<br />

Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der Angeklagte bewohnte gemeinsam mit dem Geschädigten S. das Doppelzimmer Nr. 24 des Männerwohnheims<br />

der C. in Stutt-gart. Zwischen ihnen bestand ein freundschaftliches Verhältnis. Der Angeklagte unterstützte<br />

S. in privaten sowie behördlichen Angelegenheiten und hat ihm auch den Platz im Wohnheim beschafft.<br />

Beide sind dem Trinkermilieu zuzu-rechnen.<br />

Am Vormittag des 2. Juni 2007 erhielten sie Besuch von dem Mitbewohner K. , der ebenfalls "russlanddeutscher<br />

Aussiedler" war und sich mit S. angefreundet hatte. Das Verhältnis des Angeklagten zu K. war<br />

dagegen aufgrund nicht aufgeklärter Vorfälle belastet. Die drei Personen tranken im Zimmer eine 0,7 Liter fassende<br />

Flasche Wodka aus.<br />

Um die Mittagszeit - nach 11.30 Uhr - verließen S. und K. das Wohnheim, während der Angeklagte<br />

allein im Zimmer 24 zurückblieb. Die beiden suchten eine Tankstelle auf, wo sie eine weitere Flasche Wodka und<br />

einige Flaschen Bier konsumierten, die S. , der am Tag zuvor sein Ar-beitslosengeld II erhalten hatte, bezahlte.<br />

Im Laufe des Nachmittags - der ge-naue Zeitpunkt ließ sich nicht feststellen - kehrten sie ins Wohnheim zurück.<br />

S. war so betrunken, dass er nur von K. gestützt sein Zimmer errei-chen konnte. Die dem später Geschädigten<br />

um 19.30 Uhr entnommene Blut-probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 4,2 ‰. Es konnte nicht<br />

festge-stellt werden, ob der Angeklagte bei der Rückkehr S. s sich in ihrem Zim-mer aufhielt. K. ging in sein<br />

eigenes Zimmer Nr. 20.<br />

Der Angeklagte kaufte sich um 15.37 Uhr in einem Kiosk am Stuttgarter Hauptbahnhof zwei Schachteln der von ihm<br />

gerauchten Zigarillos der Marke "Basic Blue". Die Uhrzeit ergibt sich aus den Aufzeichnungen der Registrierkas-se.<br />

Der Weg vom Wohnheim dorthin beträgt ca. zehn Gehminuten.<br />

Am Nachmittag des 2. Juni 2007 vor 17.45 Uhr wurde der Zeuge S. von einer unbekannten Person in seinem Zimmer<br />

angegriffen und schwer verletzt. Es bestand akute Lebensgefahr. Er erlitt eine stark blutende, doppelte offene<br />

Unterkiefer- sowie Nasenbeinfraktur und verschiedene Schürfwunden. Außerdem wurde er am Hals mit einem kabelartigen<br />

Gegenstand, dessen Adern teilweise freilagen, gedrosselt, wodurch im Halsbereich deutlich sichtbare<br />

Strangmarken entstanden. Ein Stahldraht - ein Teil des Tatwerkzeugs - wurde am 5. Juni 2007 in der Nähe des Bettes<br />

des Angeklagten unter dort abgestell-ten Badezimmerpantoffeln aufgefunden.<br />

Der verletzte S. wurde am Tattag gegen 17.45 Uhr vom Pförtner L. in nicht ansprechbarem, blutverschmiertem<br />

Zustand, auf einem Trep-penabsatz liegend, vorgefunden. Mit Hilfe eines weiteren Bewohners brachte<br />

dieser ihn zurück in sein Zimmer. Herbeigerufene Polizeibeamte, Rettungssani-täter und Notarzt hielten sich dort<br />

von ca. 18.00 Uhr bis 19.05 Uhr auf. In die-sem Zeitraum war der Angeklagte nicht im gemeinsam bewohnten Zimmer.<br />

Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und auf der Intensivstation be-handelt.<br />

Um 20.20 Uhr versuchten Kriminalbeamte, die inzwischen den Fall über-nommen hatten, die Tür <strong>zum</strong> Zimmer 24<br />

mit einem überlassenen Schlüssel zu öffnen. Sie trafen in dem von innen verschlossenen Raum den Angeklagten an<br />

und nahmen ihn mit zur Kriminalwache. Die Beamten hatten mehrere blutver-dächtige Antragungen an Hemd und<br />

Hose des Angeklagten festgestellt. Die sachverständig beratene Kammer gelangt auf der Grundlage eines molekulargenetischen<br />

Gutachtens zu der Überzeugung, dass diese Blutspuren vom Ge-schädigten S. herrühren.<br />

2. Der gegen den Angeklagten sprechende Tatverdacht beruht auf fol-genden Erkenntnissen:<br />

a) Die wechselnden Einlassungen des einschlägig vorbestraften Ange-klagten:<br />

331


Gegenüber KOK T. gab er am Tattag um 20.20 Uhr an, er habe gegen 18.00 Uhr das Wohnheim verlassen. Zu<br />

dem Zeitpunkt sei es S. noch gut gegangen. Vor dem Haftrichter führte er aus, als er gegen 16.30 Uhr das<br />

Wohnheim verlassen habe, seien S. und K. bereits zurück ge-wesen. In der Hauptverhandlung ließ er sich<br />

dahin ein, er habe S. am Tattag nicht mehr gesehen, nachdem dieser mit K. fortgegangen sei. Er selbst<br />

habe das Wohnheim gegen 15.00 Uhr verlassen, habe nach dem Zigaril-lokauf noch zwei Bekannte getroffen und sei<br />

um 18.30 Uhr in das Zimmer zu-rückgekehrt. Zu dem Zeitpunkt sei niemand darin gewesen. Beim Haftrichter sei er<br />

falsch verstanden worden.<br />

b) Die Blutspuren des Geschädigten auf Hemd und Hose des Angeklag-ten:<br />

In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sich ferner dahin eingelas-sen, das Blut des Geschädigten auf seiner<br />

Kleidung sei dadurch zu erklären, dass S. am Vormittag des Tattages in einem Krampfanfall mit dem Kopf auf<br />

den Tisch geschlagen sei und Nasenbluten bekommen habe. Hierbei müsse er selbst mit dem Blut des Geschädigten<br />

in Kontakt gekommen sein. Nach den Ausführungen des Sachverständigen B. sind die Blutspuren nicht mit einem<br />

Nasenbluten zu vereinbaren, weil es sich um Spritzspuren handele.<br />

3. Das Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen vermocht.<br />

a) Die wechselnden Einlassungen des Angeklagten sieht es zwar hin-sichtlich der zeitlichen Einordnung seines Verlassens<br />

und seiner Rückkehr <strong>zum</strong> Wohnheim als widerlegt an, <strong>zum</strong>al auch die benannten Bekannten sich an ein Treffen<br />

mit dem Angeklagten nicht erinnern konnten. Gleichwohl ist das Land-gericht der Auffassung, dass nicht ausgeschlossen<br />

werden könne, die Tat sei in der Abwesenheit des Angeklagten von mindestens einer halben Stunde, die er<br />

<strong>zum</strong> Zigarillokauf um 15.37 Uhr gebraucht habe, begangen worden.<br />

b) Die Blutspuren, bei denen auch das Landgericht von Spritzspuren ausgeht, die nicht von einem Nasenbluten herrühren,<br />

seien "nicht geeignet die volle Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten zu begründen,<br />

da das Alter dieser Blutantragungen nicht geklärt werden konnte". In diesem Zusammenhang führt die<br />

Kammer u.a. aus, im Trinkermilieu, dem der Angeklagte und S. zuzuordnen seien, stünden Sauberkeit und<br />

Hygiene nicht an erster Stelle, sodass nicht damit gerechnet werden könne, dass Klei-dungsstücke regelmäßig gewaschen<br />

werden. Deshalb sei "es nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar zu einem gewissen Grad wahrscheinlich",<br />

dass die auf der Kleidung des Angeklagten gefundenen Blutspuren des Geschädig-ten schon älter seien.<br />

c) Den aufgefundenen Stahldraht hat der Sachverständige B. als Teil des Tatwerkzeugs qualifiziert, weil sich mit<br />

diesem zwar nicht alle am Hals des Geschädigten festgestellten Strangmarken erklären ließen, jedoch ein großer Teil.<br />

Die molekulargenetische Untersuchung dieses Stahldrahtstückes hat eine Mischspur von <strong>zum</strong>indest zwei Personen<br />

ergeben, die im Hauptspurenanteil dem Geschädigten zuzuordnen ist. Der Angeklagte war aber als Mischspurenverursacher<br />

sicher auszuschließen. Nach Meinung der Kammer liege es nicht fern, dass der zweite Verursacher, eine<br />

unbekannte Person, der Täter der Kör-perverletzung sei. Sie könne mit Sicherheit ausschließen, dass nach der Tat<br />

jemand mit dem Stahldrahtstück in Berührung gekommen sei, da das Zimmer nach dem Antreffen des Angeklagten<br />

um 20.20 Uhr des Tattages von den Kri-minalbeamten verschlossen und danach von niemandem mehr betreten worden<br />

sei.<br />

d) Ein beim Angeklagten bestehendes Motiv "sei nicht zu erkennen". Es spreche nichts dafür, dass es vor der Tat zu<br />

einem Bruch im guten Verhältnis zwischen dem Angeklagten und S. gekommen sei. Bei dieser Sachlage sei<br />

"das fehlende Motiv des Angeklagten als ein ihn nicht unerheblich entlas-tender Gesichtspunkt zu bewerten".<br />

II. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so<br />

ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es<br />

kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse an-ders würdigt oder Zweifel überwunden<br />

hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd"<br />

erscheinen mag. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechts-fehlerhaft, wenn sie schon von einem<br />

rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht (z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes),<br />

wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar<br />

ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche<br />

Ge-wissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1<br />

StR 582/06; BGH NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jew. m.w.N.).<br />

2. Das Landgericht hat umfänglich die den Angeklagten belastenden In-dizien sowie die ihn entlastenden Umstände<br />

aufgelistet und gewürdigt. Gleich-wohl werden die Abwägungen den vorstehenden Grundsätzen nicht in vollem<br />

Umfang gerecht. Insbesondere hat das Landgericht den Zweifelssatz rechtsfeh-lerhaft angewendet.<br />

s ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen,<br />

für deren Vorliegen kei-ne zureichende Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8.<br />

332


November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274). Der Grundsatz<br />

"in dubio pro reo" ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat,<br />

wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten<br />

zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (Senat,<br />

Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m.w.N.).<br />

a) Das Landgericht hatte u.a. als besonders gewichtiges Belastungsindiz zu prüfen, ob die dem Geschädigten zuzuordnenden<br />

Blutspuren auf Hemd und Hose des Angeklagten dessen Täterschaft belegen können. Soweit es eine vor<br />

der Tat liegende Entstehung der Blutspuren in Form von Spritzspuren unter Hinweis auf das Trinkermilieu und die in<br />

Augenschein genommenen Fotos des Tatortes, die ein vermülltes und unaufgeräumtes Zimmer zeigen, für wahrscheinlich<br />

hält, fehlt es an jeglichen Anknüpfungstatsachen, <strong>zum</strong>al nicht festge-stellt werden konnte, wann die<br />

betreffenden Kleidungsstücke zuletzt gewaschen oder gereinigt wurden. Das Landgericht hat ausdrücklich dargelegt,<br />

dass sich frühere Übergriffe des Angeklagten auf den Geschädigten nicht feststellen lie-ßen. Der Sachverständige hat<br />

Kontakt- oder Tropfspuren ausgeschlossen, das Blut müsse vielmehr auf die Kleidungsstücke gespritzt sein. Das<br />

spricht für eine massive Gewalteinwirkung und nicht etwa für eine bloße Verletzung im Alltag. Es gibt keinen Erfahrungssatz<br />

dahin, dass im Trinkermilieu Blutanhaftungen in Form von Spritzspuren üblicherweise entstehen. Bei der<br />

früheren Entstehung handelt es sich daher um eine rein denktheoretische Möglichkeit ohne verlässli-che Tatsachengrundlage.<br />

Der Angeklagte selbst hat sich auf eine Entstehung vor dem Tattag nicht berufen. Seine Einlassung, die<br />

Ursache sei in einem Na-senbluten des Geschädigten zu sehen, wurde widerlegt. Allein das Landgericht hat zu Gunsten<br />

des Angeklagten eine frühere Entstehung angenommen, was besorgen lässt, dass der Zweifelssatz auf eine einzelne<br />

Indiztatsache ange-wendet wurde. Dafür spricht auch die Formulierung, die Blutspuren seien nicht geeignet,<br />

die volle Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Ange-klagten zu begründen.<br />

b) Im Rahmen der Motivprüfung stellt die Kammer fest, ein Motiv für ei-nen Angriff auf S. sei beim Angeklagten<br />

"nicht zu erkennen". Daraus zieht sie zu Gunsten des Angeklagten den Schluss, ein Motiv "fehle", was sie als<br />

einen ihn nicht unerheblich entlastenden Gesichtspunkt bewertet. Bei die-sem Schluss wurde der Zweifelssatz - was<br />

hier durchgreifend rechtsfehlerhaft ist - auf ein einzelnes Indiz, das Tatmotiv, angewendet. Das Landgericht konnte<br />

nämlich ein Tatmotiv lediglich "nicht erkennen", hat daraus aber gleichwohl den Schluss gezogen, dass ein Tatmotiv<br />

"fehle". Ein bloß unaufklärbares Motiv ist aber nicht gleichbedeutend mit einem tatsächlich fehlenden Tatmotiv,<br />

welches in der Tat ein nicht unerhebliches Entlastungsindiz wäre.<br />

3. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift<br />

Bezug genommen.<br />

III. Die Sache muss somit neu verhandelt und entschieden werden.<br />

StPO § 261 Aussage gegen Aussage bei "Schockzustand" des Opfers<br />

BGH, Beschl. v. 11.09.2008 – 4 StR 267/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 108<br />

Beweiswürdigung bei Aussage gegen Aussage bei behauptetem "Schockzustand" des Opfers 7 Jahre<br />

nach der Tat, ausgelöst durch amtsärztliche Untersuchung. Bedeutung des ICD-10. Notwendigkeit<br />

von Sachverständigen bei Besonderheiten im Verhalten von Zeugen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2008 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landge-richts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-heit mit schwerem sexuellem Missbrauch<br />

eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision gegen dieses<br />

Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge<br />

Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vollzog der Angeklagte in der Nacht <strong>zum</strong> Ostersonntag des Jahres 1999<br />

mit seiner damals 9jährigen Stieftochter, die ihn in seiner Wohnung besucht hatte, unter Anwendung von Gewalt den<br />

Geschlechtsverkehr. Nach der Tat befahl er dem Mädchen, nie-mandem von dem Vorfall zu erzählen, und drohte, es<br />

333


zu töten, wenn es sich nicht an seine Anweisung halten würde. In der Folgezeit hatten die Geschädigte und der Angeklagte<br />

nur noch wenig Kontakt. Als sie Ende des Jahres 2006 eine Praktikumsstelle in einem Altenheim antreten<br />

wollte und sich deshalb am 26. Oktober 2006 amtsärztlich untersuchen lassen musste, traten bei ihr die Erinnerungen<br />

an die Tat wieder hervor, als der Arzt sie aufforderte, sich frei<strong>zum</strong>achen. Sie fiel in einen Schockzustand und<br />

musste in ein Krankenhaus gebracht wer-den. Ihrer Mutter erklärte sie, Ursache ihres Zusammenbruchs sei die verfah-rensgegenständliche<br />

Tat gewesen. Am 30. Oktober 2006 erstattete dann die Mutter der Geschädigten Strafanzeige<br />

gegen den Angeklagten.<br />

Der Angeklagte hat die ihm vorgeworfene Tat bestritten; der Tatvorwurf sei das Resultat einer Intrige seiner von ihm<br />

geschiedenen Ehefrau. Das Land-gericht folgte jedoch der Aussage der Geschädigten, auf deren Angaben die Feststellungen<br />

zur Tat beruhen.<br />

2. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

In einem Fall, in dem - wie hier - Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen<br />

Angaben das Gericht folgt, müs-sen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die<br />

Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen ein-bezogen hat (st. Rspr., vgl. nur BGHR<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung 14, 17, 23, 29). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.<br />

Nach den Urteilsfeststellungen machte das Tatopfer erstmals mehr als sieben Jahre nach der Tat die zu der Anzeigeerstattung<br />

führenden Angaben zu der Vergewaltigung durch den Angeklagten. Die Jugendkammer meint, der Geschädigten<br />

sei eine “seelische Aufarbeitung“ des verfahrensgegenständlichen Vorfalls nicht möglich gewesen, so<br />

dass sich bei ihr als Folge der Tat (UA 8, 17) eine chronische Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.2) gebildet habe, die<br />

schließlich den zur Anzeigeerstattung führenden Nervenzusammenbruch bei der amtsärztlichen Untersuchung im<br />

Jahre 2006 ausgelöst habe. Nach der Be-schreibung zu Kapitel ICD-10: F 43.2 beginnt die von der Jugendkammer<br />

he-rangezogene Störung im Allgemeinen innerhalb eines Monats nach dem belas-tenden Ereignis und die Symptome<br />

halten meist nicht länger als sechs Monate an (vgl. Dilling et al., Internationale Klassifikation psychischer Störungen<br />

– ICD 10 Kapitel V (F) 6. Aufl. [2008] S. 185). Hierzu verhält sich das Urteil nicht. Hin-zu kommt, dass die Geschädigte<br />

von ihrem Freund N. schwanger wurde und mit 16 Jahren, also vor der amtsärztlichen Untersuchung, einen<br />

Sohn zur Welt brachte (UA 9). Da davon auszugehen ist, dass die Vorbereitung der Geburt und die Geburt selbst<br />

ärztlich begleitet wurden, hätte auch erörtert werden müssen, warum es erst aufgrund der amtsärztlichen Untersuchung<br />

und nicht schon durch die ärztlichen Untersuchungen zuvor zu dem zur Anzeigeerstat-tung führenden<br />

"Schockzustand" bei der Geschädigten kam.<br />

Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden, wobei sich die nunmehr erkennende Jugendkammer<br />

im Hinblick auf die Besonderhei-ten des Sachverhalts sachverständiger Hilfe (vgl. hierzu BGH NStZ 2002, 490)<br />

bedienen sollte. Neben der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage wird insbesondere auch den im Urteil<br />

angedeuteten “psychischen Auffälligkei-ten“ bei der Geschädigten (UA 8, 12) nachzugehen sein. Falls es zu einer erneuten<br />

Verurteilung des Angeklagten kommen sollte, werden das zur Tatzeit<br />

geltende Strafgesetz anzuwenden und bei der Straffindung der inzwischen ein-getretene Zeitablauf zu berücksichtigen<br />

sein (vgl. BGH NStZ 2008, 234, 235 f.).<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung bei Freispruch<br />

BGH, Urt. v. 22.04.<strong>2009</strong> – 5 StR 48/09<br />

Zur tatrichterlichen Beweiswürdigung: Aus revisionsgerichtlicher Sicht ist es hinzunehmen, dass<br />

das Landgericht alleine auf der Grundlage eines einzigen überwachten Telefongesprächs mit stark<br />

auslegungsbedürftigem, teilweise nicht nachvollziehbarem und an manchen Stellen lückenhaftem<br />

Inhalt keine für eine Verurteilung hinreichende Überzeugung von der angeklagten Tat gewinnen<br />

konnte.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. September 2008 wird verworfen.<br />

Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision und die hier-durch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

– –<br />

334


Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Handeltrei-bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge freigesprochen. Hierge-gen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwalt-schaft, die<br />

vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.<br />

1. Dem Angeklagten liegt zur Last, in den Monaten vor dem 23. Sep-tember 2005 ca. 3 kg Heroin für 48.000 Euro<br />

bei einem bisher nicht ermittel-ten Lieferanten namens S. in der Türkei bestellt zu haben, um das Heroin anschließend<br />

gewinnbringend verkaufen zu können. Er soll jedoch bis <strong>zum</strong> 23. September 2005 nur 31.000 Euro an den<br />

Lieferanten des Heroins gezahlt haben, weil er nur 2,7 bis 2,8 kg Heroin mit schlechter Qualität erhalten habe.<br />

Von diesem Vorwurf hat das Landgericht den Angeklagten aus tat-sächlichen Gründen freigesprochen, weil es nicht<br />

mit der für eine Verurtei-lung erforderlichen Sicherheit feststellen konnte, „ob und in welchem Um-fang“ der Angeklagte<br />

an einem Drogengeschäft beteiligt war.<br />

2. Der Freispruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.<br />

a) Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag,<br />

so ist das durch das Revisi-onsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts<br />

ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das<br />

ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze<br />

oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung<br />

erforderliche Überzeu-gungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdi-gung 16; BGHR<br />

StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261; BGH NJW 2006, 925, 928<br />

m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt). Nach diesen Maßstäben ist die Beweis-würdigung des Landgerichts<br />

nicht rechtsfehlerhaft.<br />

b) Einziges im Urteil verwendetes Beweismittel für den Anklagevorwurf gegen den die Einlassung verweigernden<br />

Angeklagten ist ein im Rahmen der Telefonüberwachung aufgezeichnetes Telefonat, das der Angeklagte vom Festnetzanschluss<br />

seiner Ehefrau in Hamburg aus mit dem nicht identifizier-baren männlichen Gesprächsteilnehmer S.<br />

in der Türkei – offenbar in tür-kischer Sprache – geführt hat. Dieses durch eine vereidigte Dolmetscherin in die deutsche<br />

Sprache übersetzte, ca. 19 Minuten dauernde Telefongespräch ist im Urteil in voller Länge wörtlich wiedergegeben.<br />

Nach Auffassung des Landgerichts legt dieses Telefonat „seinem Ablauf und konspirativem Inhalt nach einen<br />

deliktischen Hintergrund in der Art nahe, dass über nicht gezahlte Geldbeträge bzw. Schulden aus einem illegalen<br />

Geschäft gesprochen wird. Für sich genommen, lässt es aber keine sicheren Rückschlüsse auf eine tä-terschaftliche<br />

oder sonstige strafrechtlich relevante Beteiligung des Ange-klagten an der Abwicklung eines Drogengeschäfts zu.“<br />

Weder im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten, noch durch Finanzermitt-lungen konnte weitere<br />

geeignete Beweismittel aufgefunden werden.<br />

Das Landgericht stellt fest, dass in diesem Telefonat über Preise und über gezahlte bzw. geforderte Geldbeträge<br />

gesprochen wird. Der gehandelte Gegenstand wird indes nicht benannt; das Wort „Heroin“ wird im Gespräch nicht<br />

erwähnt. Vielmehr wird von „Dings“, „es“, „das“ und „Stück“ gesprochen, wobei insbesondere der Ausdruck<br />

„Dings“ in dem Telefonat sehr häufig und in ganz unterschiedlichen Sinnzusammenhängen („Dein Dings war ja<br />

ohne-hin Dings“) vorkommt. Nach Auffassung des Landgerichts liegt es deshalb nicht außerhalb der Auslegungsmöglichkeit,<br />

dass „auch andere Drogen un-bekannter Art und Qualität bzw. Quantität oder andere Gegenstände illegaler<br />

Herkunft gemeint sein können“. Den Schluss, dass es sich bei dem Ge-sprächsgegenstand um 3 kg Heroin<br />

handelt, zieht die Staatsanwaltschaft aus den Vorhaltungen des S. <strong>zum</strong> vereinbarten Preis („Wir haben mit dir den<br />

Preis besprochen. Schau, für 16 hatte ich Dings gemacht, das macht 48.“) verbunden mit Erkenntnissen über den<br />

üblichen Marktpreis von 16.000 Euro (in der Revisionsschrift genannt: 15.000 bis 25.000 Euro) je Kilogramm Heroin.<br />

Nach Auffassung der Strafkammer handelt es sich dabei indes „nur um eine mögliche, nicht aber um eine<br />

zwingende Schlussfolgerung“. Zur Be-gründung stellt die Strafkammer in einer Auseinandersetzung mit dem gesamten<br />

Inhalt des Telefonats darauf ab, dass zur Höhe der geschuldeten bzw. übersandten Geldbeträge von den Teilnehmern<br />

des – insbesondere in diesem Punkt streitig geführten – Gesprächs mehrfach unterschiedliche Be-träge<br />

genannt werden. Daher ließen sich „sichere Feststellungen zur Höhe des vom Angeklagten möglicherweise bereits<br />

geleisteten bzw. noch zu leis-tenden Kaufpreises nicht ableiten“. Deshalb gelangt das Landgericht zu dem Schluss,<br />

dass keine hinreichend sicheren Erkenntnisse zur Art, Quantität oder Qualität eventuell gehandelter Drogen möglich<br />

sind. Darüber hinaus ergäben sich aus dem Inhalt des Telefonats keinerlei Hinweise auf konkrete Tatmodalitäten;<br />

unklar bleibe auch, welche Rolle der Angeklagte in einem möglichen Drogengeschäft gespielt haben soll.<br />

c) Dass sich das Landgericht keine hinreichende Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten bilden konnte,<br />

ist angesichts des Fehlens hinreichend aussagekräftiger Anhaltspunkte für die angeklagte Tat nicht zu beanstanden.<br />

Das Landgericht hat den Inhalten des Telefongesprächs, die den Anklagevorwurf stützen, die ihn infrage stellenden<br />

335


Inhalte gegenüber gestellt. Wesentliche Erörterungsdefizite deckt die Revision der Staatsan-waltschaft insoweit nicht<br />

auf. Aus revisionsgerichtlicher Sicht ist es hinzu-nehmen, dass das Landgericht alleine auf der Grundlage eines einzigen<br />

überwachten Telefongesprächs mit stark auslegungsbedürftigem, teilweise nicht nachvollziehbarem und an<br />

manchen Stellen lückenhaftem Inhalt keine für eine Verurteilung hinreichende Überzeugung von der angeklagten Tat<br />

gewinnen konnte. Angesichts der Kargheit der Beweisgrundlage stellt es ins-besondere keine Überspannung der<br />

Beweisanforderungen <strong>zum</strong> Tatnachweis dar, wenn das Landgericht ein höheres Maß an Gewissheit über den Gesprächsgegenstand<br />

verlangt.<br />

3. Es führt auch nicht zur Aufhebung des Urteils, dass das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen<br />

Geldwäsche gemäß § 261 StGB mit rechtsfehlerhafter Begründung unter Hinweis auf eine nicht sicher auszuschließende<br />

Beteiligung des Angeklagten an einer möglichen Vortat mit Rücksicht auf § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB<br />

verneint hat. Insoweit weist die Re-vision zu Recht darauf hin, dass bei unklarer Täterschaft im Wege der Postpendenzfeststellung<br />

jedenfalls wegen Geldwäsche verurteilt werden kann, wenn <strong>zum</strong>indest deren Tatbestandsvoraussetzungen<br />

vorliegen (vgl. BGH NStZ 1995, 500; StV 1998, 25, 26). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil indes<br />

nicht. Vielmehr lässt es insgesamt hinreichend deutlich erken-nen, dass sich das Landgericht – insoweit rechtsfehlerfrei<br />

– schon nicht zu gesicherten Feststellungen zu einer unter dem Gesichtspunkt der Geldwä-sche relevanten Vortat<br />

in der Lage gesehen hat (vgl. BGH StV 2000, 67).<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung zu Wiedererkennen<br />

BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – 5 StR 439/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 283; StV 2008, 622; BGHR StPO § 261 Identifizierung 17<br />

Zu den Anforderungen an eine vornehmlich auf Wiedererkennungsleistungen beruhende Beweiswürdigung.<br />

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. April 2008 gemäß § 349 Abs.<br />

4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere<br />

Straf-kammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Kör-perverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf<br />

Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die Ange-klagten mit<br />

ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Am 13. Februar 2004 gegen 19.40 Uhr befanden sich die Angeklagten gemeinsam mit dem Geschädigten F. in<br />

dessen an einer Straße in Ber-lin-Neukölln parkenden Fahrzeug. Der Angeklagte H. stieg mit einem taschenartigen<br />

Gegenstand aus und entfernte sich einige Meter. Er kam zu-rück, als es zwischen dem Angeklagten B.<br />

und dem Geschädigten zu Handgreiflichkeiten kam, die sich auf die Straße verlagerten. Die Angeklag-ten schlugen<br />

sodann auf den Kopf des Geschädigten ein; nachdem dieser zu Boden gegangen war, traten sie gegen sein Gesicht.<br />

Als sich ein das Ge-schehen beobachtender Passant, der Zeuge Bi. , schreiend näherte, flüchteten beide Angeklagten.<br />

2. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft der beiden zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten<br />

maßgeblich auf die Wiedererkennung durch den Geschädigten und den Zeugen Bi. anhand von Lichtbildern<br />

gestützt. Dies hält jedoch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Denn durch die Urteilsgründe wird schon<br />

eine Identifizierung des An-geklagten B. durch die Zeugen nicht belegt. Zudem ist die Beweis-würdigung lückenhaft,<br />

da sie sich mit zahlreichen, für den Beweiswert einer Wiedererkennungsleistung wesentlichen Gesichtspunkten<br />

nicht auseinander-setzt. Auch die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten sprechenden Umstände<br />

werden nicht ausreichend erörtert.<br />

a) Ein Wiedererkennen des Angeklagten B. als Täter durch den Ge-schädigten F. einerseits und den unbeteiligten<br />

Zeugen Bi. anderer-seits – wie vom Landgericht seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt – lässt sich den<br />

Urteilsgründen nicht entnehmen. Anders als hinsichtlich des Ange-klagten H. war den beiden Zeugen eine sichere<br />

Identifizierung des Ange-klagten B. nicht möglich. Der Zeuge Bi. hat vielmehr die Wahrschein-lichkeit, dass<br />

auf dem diesen Angeklagten abbildenden Lichtbild einer der Täter zu sehen ist, nur mit 50 Prozent angegeben. Nach<br />

336


der Vorlage von Einzellichtbildern dieses Angeklagten und einer erneuten Wahllichtbildvorla-ge hat der Zeuge die<br />

Wahrscheinlichkeit auf 60 Prozent erhöht. Der Geschä-digte F. hat bei einer Wahllichtbildvorlage den Angeklagten<br />

B. mit 80 bis 90 Prozent Sicherheit als einen Täter wiedererkannt. Soweit das Landge-richt ohne weitere<br />

Erörterungen diesen Zeugenaussagen unabhängig von-einander die Eignung <strong>zum</strong>isst, andere Personen als Täter auszuschließen,<br />

verkennt es die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung. Denn es nimmt nicht in den<br />

Blick, dass die Zeugen selbst Unsicherheiten hinsichtlich des Erkennens benannt haben und zu einem sicheren Wiederer-kennen<br />

nicht in der Lage waren. Über diese von den Zeugen <strong>zum</strong> Ausdruck gebrachten Zweifel hätte sich das<br />

Landgericht nicht ohne weiteres hinweg-setzen dürfen.<br />

b) Die vornehmlich auf Wiedererkennungsleistungen beruhende Be-weiswürdigung leidet zudem an strukturellen<br />

Darstellungsmängeln. Denn das Landgericht lässt eine Würdigung der Umstände vermissen, die für die Beur-teilung<br />

der Zuverlässigkeit des Wiedererkennens der Angeklagten durch die Zeugen bedeutsam sind (vgl. BVerfG – Kammer<br />

– NJW 2003, 2444, 2445; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6 und 16; BGH StV 1995, 452; Eisenberg, Beweisrecht<br />

der StPO 6. Aufl. Rdn. 1383 ff.).<br />

aa) So lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, anhand wel-cher Merkmale die Zeugen den Angeklagten H.<br />

wiedererkannt haben. Dies hätte gerade im Hinblick auf den Zeugen Bi. vertiefter Erörterung bedurft, da er bei<br />

einer früheren Lichtbildvorlage diesen Angeklagten nicht als Täter erkannt hatte. Es wird zwar dargelegt, dass H. auf<br />

dem früher vorgelegten Bild noch längere Haare und Bart getragen habe, jedoch lassen sich die An-gaben des Zeugen<br />

zu den maßgeblichen Anknüpfungstatsachen für die spä-tere Identifizierung den Urteilsgründen nicht entnehmen.<br />

Auf dieser Grundla-ge kann nicht beurteilt werden, ob die Veränderung der Haar- und Barttracht das widersprüchliche<br />

Ergebnis der Wahllichtbildvorlagen erklären kann. Zu-dem hat das Landgericht nicht ersichtlich den<br />

Umstand in den Blick genom-men, dass auf der zweiten Wahllichtbildvorlage von den Vergleichspersonen nur der<br />

Angeklagte H. haarlos ist. Sollte dieses Merkmal für die Wiederer-kennung maßgeblich gewesen sein, würde ihr<br />

Beweiswert erheblich gemin-dert (zu den Erfordernissen des Auswahlverfahrens bei der Zusammenstel-lung der<br />

Lichtbilder vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 13 m.w.N.).<br />

bb) Die Zuverlässigkeit der Wiedererkennungsleistung ist auch des-wegen nicht nachvollziehbar, weil die von den<br />

Zeugen vor den Wahl-lichtbildvorlagen abgegebenen Täterbeschreibungen bzw. ihre Angaben, ob und anhand welcher<br />

Umstände ihnen eine Wiedererkennung überhaupt mög-lich war, nicht mitgeteilt werden. In diesem Zusammenhang<br />

hätte es sich hinsichtlich des Zeugen Bi. auch empfohlen, die wesentlichen, die Wahrnehmungssituation<br />

bestimmenden Determinanten, wie die Entfernung zu den Angeklagten und die Lichtverhältnisse<br />

in den Abendstunden eines Winterta-ges, näher zu erörtern (vgl. BGH StV 1995, 452; OLG Düsseldorf StV 2007,<br />

347; Odenthal in Köhnken/Sporer, Identifizierung von Tatverdächtigen durch Augenzeugen 1990 S. 21).<br />

Angesichts dieser Darlegungslücken sind auch die Erwägungen nicht nachvollziehbar, mit denen das Landgericht die<br />

der wiederholten Wiederer-kennung innewohnenden Bedenken (BVerfG aaO; BGHR StPO § 261 Identi-fizierung<br />

12; BGH NStZ 1997, 355) zu entkräften sucht.<br />

cc) Bedenken begegnet darüber hinaus, dass das Landgericht, das die Wiedererkennungsleistung ausweislich des<br />

Urteils nur über die Polizei-beamten eingeführt hat, sich nicht dazu verhält, ob die Zeugen die Angeklag-ten in der<br />

Hauptverhandlung wiedererkannt haben. Obwohl einem Wiederer-kennen einerseits in Fällen vorangegangener<br />

Wahl- und Einzellichtbildvorla-gen nur ein fragwürdiger Beweiswert zukäme (BVerfG aaO; BGH NStZ 1996, 350),<br />

hätte sich eine solche Erörterung aber aufgedrängt. Denn ein Nichtwie-dererkennen in der Hauptverhandlung wäre<br />

andererseits geeignet, die Zuver-lässigkeit der früheren Identifizierung in Frage zu stellen (BGH StraFo 2005, 297;<br />

Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 261 Rdn. 11b).<br />

c) Zudem setzt sich die Strafkammer nicht hinlänglich mit den sich aus den Urteilsgründen ergebenden, für die Beurteilung<br />

der Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten F. relevanten Umständen auseinander. Zum einen<br />

schildert er die Körperverletzung als Teil eines Raubgeschehens, je-doch waren seine diesbezüglichen Angaben von<br />

„gravierenden Widersprü-chen“ gekennzeichnet, so dass hierauf eine Überzeugung nicht gestützt wer-den konnte.<br />

Zum anderen beruft sich der Zeuge als Erklärung für dieses Aussageverhalten auf eine „chronische Amnesie“. Inwieweit<br />

dies Auswirkun-gen auf die Zuverlässigkeit der Wiedererkennungsleistung haben könnte, lässt das Landgericht<br />

unerörtert. Waren dies – naheliegend – unverschämte Ausflüchte, wäre auch ein solches Verhalten kritisch zu<br />

bewerten gewesen. Schließlich hat der Geschädigte F. gegen den Angeklagten H. wegen eines Überfalls mit<br />

einem Messer auf ihn im Jahr 2005 eine Strafanzeige ge-stellt, die zur Einstellung des daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahrens<br />

nach § 170 Abs. 2 StPO geführt hat. Insoweit greift die Erwägung, es lägen keine Anhaltspunkte für<br />

eine unzutreffende Belastung vor, zu kurz. Weitere Ausführungen wären insbesondere deswegen von Bedeutung<br />

gewesen, weil der Zeuge F. im Laufe der Ermittlungen erst nach und nach die Ange-klagten als Täter namhaft<br />

337


gemacht hat; dabei lassen sich genauere Umstän-de hierzu, etwa wieso er immer weitergehende Erkenntnisse erlangen<br />

konn-te, den Urteilsgründen nicht entnehmen.<br />

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das neue Tatgericht in der Lage sein wird, auf tragfähiger Grundlage zu<br />

einem Schuldspruch zu gelan-gen. Zwar hat das Landgericht für die DNA-Spuren der Angeklagten im Fahr-zeug<br />

eine andere Entstehungssituation für möglich gehalten, was indes auf einer fehlerhaften Anwendung des Zweifelssatzes<br />

beruhen könnte (vgl. BGH NJW 2005, 2322, 2324; BGH NStZ 2006, 650; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. §<br />

261 Rdn. 26).<br />

Bei einer erneuten Verurteilung darf das neue Tatgericht wegen des Verschlechterungsverbots die vom Landgericht<br />

im Tenor ausgewiesenen Freiheitsstrafen von jeweils elf Monaten nicht überschreiten.<br />

Der Senat weist darauf hin, dass die vom Landgericht in bewusster Abkehr von der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

(„Vollstre-ckungsmodell“; vgl. BGHSt 52, 124) vorgenommene Art der Kompensation des Verstoßes<br />

gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK rechtsfehlerhaft ist, indes die allein revidierenden Angeklagten nicht beschwert.<br />

Die Argumente, die das Landgericht hierfür angeführt hat, sind keinesfalls neu, sie haben vielmehr bei der Entscheidung<br />

des Großen Senats für Strafsachen des Bundesge-richtshofs vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07 – bereits Berücksichtigung<br />

ge-funden (BGH aaO Rdn. 51).<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung: Einlassung beim Fehlen von Anhaltspunkten für Richtigkeit nicht<br />

„unwiderlegbar“<br />

BGH, Besch. v. 07.11.2008 – 1 StR 581/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 59<br />

Ein Gericht ist nicht gehalten, die Behauptungen eines Angeklagten als unwiderlegbar hinzunehmen,<br />

wenn Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 30. Juni 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Ein Gericht ist - wie auch bei sonstigen Einlassungen eines Angeklagten (vgl. Senatsbeschluss vom 25. April 2007 -<br />

1 StR 159/07 - [BGHSt 51, 324], m.w.N.) - nicht gehalten, dessen Behauptungen über das hohe Ausmaß und die<br />

lange Dauer seines bisherigen Konsums von Betäubungsmitteln als unwider-legbar hinzunehmen, wenn Anhaltspunkte<br />

für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen oder sie sogar - wie im vorliegenden Fall - kaum mit der nicht<br />

beeinträch-tigten Lebensführung des Angeklagten, insbesondere im Hinblick auf seine Be-rufstätigkeit, sowie mit<br />

fehlenden gesundheitlichen Folgen (Entzugserscheinun-gen) nach seiner Inhaftierung vereinbar sind. Entsprechende<br />

Feststellungen können im Widerspruch stehen <strong>zum</strong> im Übrigen rechtsfehlerfrei festgestellten Fehlen eines Hanges<br />

eines Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Zur lediglich indiziellen Bedeutung fehlender oder<br />

vorliegender Depra-vation zur Feststellung eines bestehenden oder nicht bestehenden Hanges im Sinne von § 64<br />

StGB verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 25. Juli 2007 - 1 StR 332/07-.<br />

338


StPO § 261 Darstellung im Urteil zur "hohen Aussagequalität" eines kindlichen Opferzeugen<br />

BGH, Beschl. v. 02.09.2008 – 5 StR 248/08<br />

Stellt das Gericht in einem Fall sexuellen Missbrauchs eines Kindes für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit<br />

maßgeblich auf eine "hohe Aussagequalität" der Angaben des Nebenklägers ab, so bedarf<br />

es einer geschlossenen Darstellung der Angaben des Nebenklägers; die Beschreibung der Bekundungen<br />

als detailliert, konstant, komplex und plastisch macht eine solche Darstellung nicht entbehrlich.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Berlin vom 28. November 2007 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit vorsätzlicher<br />

Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Mona-ten verurteilt.<br />

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

1. Das Landgericht hat festgestellt:<br />

Am 21. Dezember 2005 brachte der Angeklagte den damals sechs Jahre alten Nebenkläger, einen Spielkameraden<br />

seines Sohnes, mit dem Auto nach Hause. Bevor er den Wagen startete, bot er dem auf der Rück-bank sitzenden<br />

Nebenkläger an, zu ihm nach vorn zu kommen und dort das Auto zu lenken. Er hob ihn hoch und setzte ihn sich auf<br />

den Schoß. Während der Nebenkläger am Lenkrad spielte, zog er dem Kind die Hosen herunter, öffnete seine Hose<br />

und führte sein Geschlechtsteil in dessen Anus ein. Der das Kind betreuenden Tante fiel am darauffolgenden Tag<br />

eine Rötung im „gesamten Bereich zwischen den Gesäßbacken“ auf.<br />

Nachdem der Nebenkläger am 15. Februar 2006 abermals seinen Spielkameraden besucht hatte, fuhr ihn der Angeklagte<br />

wiederum nach Hau-se. Als dieser ihn fragte, ob er „mit dem Auto fahren wolle“, setzte sich der Nebenkläger<br />

auf seinen Schoß. Dabei „ahnte“ er „nichts Böses“, da er den letzten Übergriff als „Versehen“ ansah und „ihn bereits<br />

verdrängt hatte“. Der Angeklagte zog ihm die Hosen herunter und führte erneut sein erigiertes Ge-schlechtsteil in<br />

den Anus des Jungen ein. Als der Nebenkläger nach Hause kam, fiel seiner Mutter eine starke Rötung im Bereich<br />

zwischen den Gesäß-backen auf. Auf ihre Fragen erklärte er, zwei Jungen aus seiner Schulklasse hätten ihm „oberhalb<br />

der Bekleidung den Finger in den Po gesteckt“. Erst am übernächsten Tag offenbarte er gegenüber seiner Mutter<br />

die Tatbegehung durch den Angeklagten.<br />

2. Die Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit<br />

in BGHSt 51, 144 nicht abge-druckt). Die Jugendkammer hat ihre Überzeugung vom Tathergang und der Täterschaft<br />

des die Taten bestreitenden Angeklagten allein auf die Angaben des Nebenklägers gestützt. Den an diese Beweiskonstellation<br />

zu stellenden Anforderungen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 14; Indizien 2) genügen die<br />

Urteilsgründe jedoch nicht. Die beweiswürdigenden Erwägun-gen lassen vielmehr besorgen, dass die Strafkammer<br />

nicht alle zur Beein-flussung der Entscheidung geeigneten Umstände in einer für das Revisions-gericht nachvollziehbaren<br />

Weise in die Überzeugungsbildung einbezogen hat.<br />

Das Landgericht stellt – insoweit der aussagepsychologischen Sach-verständigen folgend – für die Beurteilung der<br />

Glaubhaftigkeit maßgeblich auf eine „hohe Aussagequalität“ der Angaben des Nebenklägers ab. Die die-se Wertung<br />

tragenden Erwägungen sind aber lückenhaft und entbehren einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Tatsachengrundlage.<br />

a) Es begegnet schon durchgreifenden Bedenken, dass die Urteils-gründe eine geschlossene Darstellung der Angaben<br />

des Nebenklägers ver-missen lassen. Die Beschreibung der Bekundungen als detailliert, konstant, komplex und plastisch<br />

macht eine solche Darstellung nicht entbehrlich. Denn die als Anknüpfungspunkte für diese Würdigung mitgeteilten<br />

dürftigen Aus-sagebestandteile betreffen sämtlich nur das Randgeschehen im Auto, nicht hingegen die eigentlichen<br />

sexuellen Übergriffe. Wie der Nebenkläger dieses Geschehen geschildert hat und ob die für die Glaubhaftigkeit<br />

der Aussage angeführten Kriterien auch diesem Handlungsteil innewohnen, lässt sich nicht nachvollziehbar<br />

beurteilen. Auf der Grundlage der Feststellungen, die sich in der keinesfalls kindgemäßen Darstellung eines sexuellen<br />

Kernge-schehens erschöpfen, wäre eine solche Bewertung freilich nicht gerechtfer-tigt. In diesem Zusammenhang<br />

erschließt sich auch die Erwägung des Land-gerichts nicht, es sei nachvollziehbar, dass die Erinnerungen des<br />

339


Nebenklä-gers an den ersten Vorfall nicht mehr so gut seien wie an die zweite Tat. Denn die Feststellungen zu den<br />

gleichförmig verlaufenden Taten belegen ein unterschiedliches Erinnerungsvermögen nicht. Offen bleibt auch, worauf<br />

sich die Feststellung gründet, der Angeklagte sei beim zweiten Vorfall <strong>zum</strong> Sa-menerguss gelangt. Denn es wird<br />

nicht mitgeteilt, ob der Nebenkläger hierzu Wahrnehmungen gemacht hat oder ob dies einen Rückschluss aus dem –<br />

vom Nebenkläger erst bei der Sachverständigen mitgeteilten – Umstand darstellt, ihm sei daheim „etwas Weißes aus<br />

dem Po“ herausgekommen.<br />

b) Vor allem aber lässt die unzureichende Erörterung der Entwicklung der Aussage des Nebenklägers besorgen, das<br />

Landgericht habe für die Wür-digung der Glaubhaftigkeit bedeutsame Umstände nicht bedacht. Angesichts der Auffälligkeiten<br />

im Aussageverhalten hätte sich aber eine sorgfältige Wür-digung der Aussagegenese aufgedrängt.<br />

aa) So ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, wann der Nebenklä-ger den Angeklagten erstmals einer weiteren Tat<br />

– der festgestellten ersten Tat – bezichtigt hat. Die Darstellung der Offenbarung gegenüber seiner Mut-ter enthält<br />

eine solche Anschuldigung nicht. Die Feststellung, er habe bei den „Anhörungen“ von zwei Taten gesprochen, vermag<br />

diese Erörterung nicht zu ersetzen. Denn insbesondere wegen der auch von der Sachverständigen hervorgehobenen<br />

möglichen suggestiven Einflüsse hätte es für die Beurtei-lung der Erlebnisfundiertheit der Aussagen von Bedeutung<br />

sein können, wann der Nebenkläger die weitergehende Anschuldigung erhoben und in welchen zeitlichen<br />

Zusammenhang er sie zu dem Vorkommnis im Februar gestellt hat. Weiterhin hätte sich die Erörterung aufgedrängt,<br />

ob er diese Tat von sich aus in Verbindung mit den von seiner Tante beobachteten körperli-chen Auffälligkeiten<br />

gebracht hat oder etwa die Tante später diese Verknüp-fung hergestellt hat und sich nur deswegen die erste Tatzeit<br />

feststellen ließ.<br />

bb) Aber auch hinsichtlich der zweiten Tat sind die Feststellungen zur Aussagegenese unvollständig. Den Urteilsgründen<br />

lässt sich hierzu nur ent-nehmen, der Nebenkläger habe seiner Mutter auf deren eindringlichen Vor-halt,<br />

verbunden mit der Drohung, er bekomme „davon … Krebs“, erklärt, der Angeklagte habe ihm „das nämlich angetan“.<br />

Inwieweit das Kind die Vorwür-fe dann von sich aus konkret berichtete oder ob dies auf entsprechende Fra-gen<br />

der Mutter geschah, bleibt offen. Auch wird nicht mitgeteilt, wie sich der Geschädigte bei seiner Offenbarung zur<br />

früheren Bezichtigung der Mitschü-ler und <strong>zum</strong> Grund für eine mögliche Falschbelastung derselben verhalten hat.<br />

Die Feststellung dieses Aussageverhaltens wäre aber angesichts der Beweissituation erforderlich gewesen. Die Strafkammer<br />

erkennt zwar, dass eine suggestive Beeinflussung vorgelegen haben könnte, schließt dies aber unter Hinweis<br />

auf die zeugenschaftlichen Angaben der Mutter aus, sie habe nichts in den Geschädigten „hineingefragt“. Damit<br />

genügt das Landgericht seiner im Ansatz zutreffend erkannten Erörterungspflicht nicht. Denn es übernimmt nur eine<br />

Wertung der Zeugin, ohne diese anhand einer Rekon-struktion der Befragungssituation nachvollziehbar zu belegen.<br />

Dieser Ge-sichtspunkt hätte auch deswegen in den Blick genommen werden müssen, weil die Schilderung der Mutter,<br />

sie sei bei diesem Gespräch weiterhin von einem Übergriff durch Mitschüler ausgegangen und habe nicht daran<br />

ge-dacht, dass ihr Sohn „Opfer einer Missbrauchshandlung“ geworden sein könnte, in einem gewissen – möglicherweise<br />

aufklärbaren, jedenfalls aber erörterungsbedürftigen – Spannungsverhältnis zu der Feststellung steht, die am<br />

Tag zuvor konsultierte Ärztin habe bereits Zweifel an einer Verursachung der Verletzungen durch Mitschüler geäußert.<br />

cc) Zudem hätte die erstmals gegenüber der Sachverständigen erfolg-te Erweiterung der Aussage hinsichtlich des<br />

weißen Ausflusses sorgfältiger in den Blick genommen werden müssen. Denn diese ist für die Tatbegehung durch<br />

einen geschlechtsreifen Täter von erheblicher Bedeutung. Das Land-gericht teilt hierzu mit, dass die Erweiterung<br />

durch die kindgerechtere Befra-gung erklärt werden könne, lässt aber offen, ob dahingehende Fragen von der Sachverständigen<br />

überhaupt gestellt worden sind oder der Nebenkläger dies von sich aus berichtete und in welchen Kontext<br />

er es einstellte, ob er es etwa auch seiner Mutter berichtet habe oder diese gar dabei gewesen sei. Dadurch bleibt<br />

auch unerörtert, warum dieser körperliche Umstand bei der Konsultation der Ärztin nicht erwähnt wurde. Die Stellungnahme<br />

der für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung hinzugezogenen Sachverständigen zu dieser Aussageerweiterung<br />

wird nicht mitgeteilt.<br />

c) Schließlich lassen die Urteilsgründe eine ausreichende Erörterung der Möglichkeit der Verursachung der Verletzung<br />

durch Mitschüler vermis-sen. Dies wäre erforderlich gewesen, da sich die festgestellten rein äußerli-chen Verletzungen<br />

auch durch die vom Nebenkläger zunächst gegenüber Mutter, Lehrerin und Ärztin behauptete Variante der<br />

Drangsalierung durch Mitschüler erklären lassen, <strong>zum</strong>al dies eine gewisse Bestätigung in der Fest-stellung sexualisierter<br />

Übergriffe innerhalb der Schulklasse des Nebenklä-gers gefunden hat. Das Landgericht, welches – freilich<br />

nicht tatsachenfun-diert – nur einen Übergriff durch Mitschüler unterhalb der Kleidung aus-schließt, lässt diese Verursachungsvariante<br />

unerörtert, den Urteilsgründen lässt sich auch kein tragfähiger Grund für einen Ausschluss entnehmen.<br />

340


Ein solcher Grund kann nicht in dem Zweifel an einer Verursachung der Verletzungen durch Mitschüler gesehen<br />

werden, den die am Tag nach dem behaupteten Übergriff hinzugezogene Ärztin geäußert hatte. Denn es ergibt sich<br />

nicht, worauf sich diese Zweifel gründen. Würden sie sich an dem Verletzungsbild festmachen, wären sie möglicherweise<br />

geeignet, die aktuelle Darstellung des Nebenklägers zu stützen. Es ist aber auch möglich und auf der<br />

Grundlage der Feststellungen hierzu keinesfalls fern liegend, dass die Duldung der beschriebenen Handlung bei<br />

gleichaltrigen Tätern der Ärztin lediglich ungewöhnlich erschien.<br />

Zu einer Erörterung dieser Verursachungsvariante hätte auch deswe-gen Anlass bestanden, weil sich den Urteilsgründen<br />

nicht entnehmen lässt, ob der Nebenkläger in der Hauptverhandlung die Anschuldigungen gegen-über seinen<br />

Mitschülern – kumulativ – aufrecht erhalten oder sie als unwahr dargestellt hat. Wäre das Landgericht von Letzterem<br />

ausgegangen, hätte es die Fähigkeit des Nebenklägers zur Aufrechterhaltung einer unzutreffenden Belastung<br />

namentlich benannter Personen im Rahmen eines Handlungs-strangs über zwei Tage und gegenüber mehreren Personen<br />

bei der Würdi-gung der Aussage berücksichtigen müssen, woran es jedoch fehlt.<br />

3. Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird das neue Tatgericht den Zeitabstand zwischen der Eröffnung des<br />

Vorwurfs gegenüber dem An-geklagten und der Anklage einerseits sowie dem Beginn der Hauptverhand-lung andererseits<br />

zu beachten und unter dem Gesichtspunkt einer Verlet-zung des Gebots der zügigen Verfahrenserledigung zu<br />

würdigen haben (vgl. hierzu BGHSt 52, 124). Jenseits dessen bemerkt der Senat ergänzend, dass<br />

im Hinblick auf die von der psychologischen Sachverständigen hervorgeho-bene kritische Auswirkung des Zeitablaufs<br />

für die Aussagequalität gerade kindlicher Zeugen eine zügigere Behandlung sachdienlich gewesen wäre.<br />

StPO § 261 DNA Beweiswert<br />

BGH, Urt. v. 26.05.<strong>2009</strong> – 1StR 597/08<br />

LS: Zum Beweiswert einer mitochondrialen DNA-Analyse, ggf. in Kombination mit dem Ergebnis<br />

der Analyse von Kern-DNA.<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts Landshut vom 20. Juni 2008 mit den Feststellungen<br />

auf-gehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als<br />

Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des tateinheitlich mit Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung<br />

begangenen versuchten Mordes freigesprochen, weil es sich von seiner Täterschaft nicht hat überzeu-gen<br />

können. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt<br />

vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I.<br />

1. Nach den Feststellungen wurde die <strong>zum</strong> Tatzeitpunkt 75 Jahre alte M. K. am 24. Februar 1990 zwischen<br />

5.15 Uhr und 5.30 Uhr (oder aber eine Stunde später) in der D. straße von einem Mann von hinten<br />

gepackt und auf dem Parkplatz der dortigen Firma Minimal in eine Ni-sche zwischen Eingang und Einkaufswagenunterstand<br />

gezogen. Dort führte der die Geschädigte mit dem Tode bedrohende Mann gegen deren Willen stehend<br />

von hinten etwa fünf Minuten den vaginalen Geschlechtsverkehr aus, ohne <strong>zum</strong> Samenerguss zu kommen. Im<br />

Anschluss schlug er der Geschädigten, die daraufhin stark blutend zu Boden ging, mehrfach mit einer Eisenstange<br />

auf den Kopf, da er sie töten wollte, damit die zuvor begangene Vergewaltigung nicht entdeckt werde. Die bewusstlos<br />

gewordene M. K. erlitt durch die Tat eine offene Schädelimpressionsfraktur, mehrere Frakturen der<br />

rechten Hand sowie multiple Stich- und Schnittverletzungen. Sie erwachte erst drei Tage spä-ter im Krankenhaus, in<br />

dem sie noch etwa einen Monat stationär behandelt werden musste, und litt bis zu ihrem Tod am 12. Juni 2003 unter<br />

erheblichen Tatfolgen.<br />

Die D. straße kreuzt die Straßen, in denen zur Tatzeit der Angeklagte und seine Freundin G. M. ihre<br />

jeweilige Wohnung hatten. Nach der Einschätzung der Geschädigten fühlte sich die Jacke des Täters nach Le-der an.<br />

Dieser hatte sie „ziemlich sicher“ bereits kurz zuvor mit niederbayeri-schem Dialekt angesprochen, nachdem er an<br />

der nahe gelegenen Deltin-Tankstelle aus einem „vermutlich roten Auto mit flachem Heck“ ausgestiegen war. Der<br />

341


Mann war etwas größer als die Geschädigte und trug einen Oberlip-penbart, braune Wildlederstiefel sowie eine blaue<br />

Jeans.<br />

2. Der festgestellte Tatverlauf entspricht dem Anklagevorwurf. Das Land-gericht hat sich jedoch nicht davon überzeugen<br />

können, dass der in der Haupt-verhandlung zur Person und zur Sache schweigende Angeklagte der Täter war.<br />

a) Als auf dessen Täterschaft hindeutende Indizien hat es allerdings an-gesehen, dass<br />

- der Angeklagte zur Tatzeit wenige Gehminuten vom Tatort entfernt wohnte,<br />

- in der Regel Jeans sowie braune Stiefel und „immer wieder“ einen Oberlippenbart trug,<br />

- seine Arbeit in einer Diskothek häufig in den frühen Morgenstunden en-dete und er dann des Öfteren von seinem<br />

Freund C. G. in dessen rotem Ford Taunus mitgenommen sowie an der nahe dem Tat-ort gelegenen Deltin-<br />

Tankstelle abgesetzt wurde,<br />

- er während des Ermittlungsverfahrens darauf gedrängt hat, der Polizei zu erklären, dass eine ggf. von ihm stammende<br />

Blutspur durch den Tä-ter eines zuvor auf ihn verübten Überfalls <strong>zum</strong> Tatort auf dem Gelände der Firma<br />

Minimal gelangt sein könnte, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt seitens des Vernehmungsbeamten von der dortigen<br />

tatsächlichen Spu-renlage noch nichts mitgeteilt worden war,<br />

- er im Zusammenhang mit diesem Überfall wahrheitswidrig angegeben hat, seine Nase sei ihm durch C. G.<br />

wieder eingerenkt wor-den,<br />

- die „eher seltene“ mitochondriale DNA (mtDNA) des Angeklagten mit zwei an der Kleidung M. K. s<br />

gefundenen Schamhaaren des Täters übereinstimmt und<br />

- der Angeklagte u.a. wegen eines Gewaltdelikts (räuberischer Angriff auf Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchtem<br />

schweren Raub) vorbestraft ist.<br />

b) Diese Umstände hat das Landgericht jedoch im Rahmen einer Ge-samtwürdigung als nicht ausreichend bewertet,<br />

eine Verurteilung des Angeklag-ten zu tragen, auch wenn „das Aussageverhalten bei der Polizei und die Ent-stellung<br />

des Sachverhalts bezüglich der Nasenverletzung … den Angeklagten natürlich“ belasteten. „Wohnort, Kleidung,<br />

Ausstiegsstelle und Autofarbe könn-ten auf bloßem zufälligem Zusammentreffen beruhen.“ Die Einschätzungen der<br />

Geschädigten zu Größe, Alter und Aussehen des Täters hätten „nicht überzeu-gend“ mit dem äußeren Erscheinungsbild<br />

des Angeklagten zur Tatzeit „in Ein-klang gebracht werden“ können. Die „Tatkonstellation inklusive der Lichtverhält-nisse“<br />

habe „eine Einschränkung des Wahrnehmungsvermögens“ bedingt. Der Angeklagte habe einen „fränkischen<br />

Zungenschlag“, während die Geschädigte einen niederbayerischen Dialekt beschrieben habe, der „vom Angeklagten<br />

nicht gebraucht“ worden sei. Darüber hinaus habe der Angeklagte „bei dem angebli-chen Überfall auf ihn<br />

… wohl eine Jeansjacke“ getragen, „während M. K. eine Lederjacke ertastete“. Schließlich hat das<br />

Landgericht das Er-gebnis der mitochondrialen DNA-Untersuchung als „nur begrenzt beweiswertig“ eingestuft.<br />

II.<br />

Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

1. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an sei-ner Täterschaft nicht zu überwinden vermag,<br />

so ist dies durch das Revisionsge-richt in der Regel hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht<br />

angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hät-te. Daran ändert sich nicht einmal<br />

dann etwas, wenn eine vom Tatgericht ge-troffene Feststellung „lebensfremd“ erscheinen mag. Es gibt im Strafprozess<br />

keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit<br />

eines Geschehensablaufs beruht.<br />

Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden<br />

Ansatz ausgeht, wenn sie lücken-haft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich<br />

oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfah-rungssätze verstößt oder wenn an die zur<br />

Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt.<br />

vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06 -; BGH NJW 2005, 1727; BGH NStZ-RR 2003, 371). Aus den Urteilsgründen<br />

muss sich zudem ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende<br />

Ge-samtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 206, 207; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung<br />

2, 11 und 24, Überzeugungsbildung 30; BGH NStZ 2000, 48).<br />

2. Hieran gemessen, unterliegt die landgerichtliche Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn<br />

das Landgericht hat nicht hinrei-chend dargelegt, weshalb als Ergebnis seiner Gesamtabwägung „die Anzei-chen, die<br />

dem Angeklagten zugute kamen bzw. seine Täterschaft nicht zur Überzeugung der Kammer belegten“, überwogen.<br />

Es ist vielmehr zu besorgen, dass das Landgericht einigen entlastenden Umständen zu großes Gewicht (a. bis c.) und<br />

dem Ergebnis der mitochondrialen DNA-Untersuchung einen zu geringen Beweiswert (d.) zugemessen hat.<br />

a) Das Landgericht hat bei den Erwägungen zur Täterbeschreibung durch die Geschädigte seine Bewertung, deren<br />

Angaben seien schon hinsicht-lich der Größe des Täters nicht genügend konstant gewesen, nicht belegt. In-soweit<br />

342


führt es aus, die Geschädigte habe den Täter in der Vernehmung durch die Ermittlungsrichterin am 5. März 1990 auf<br />

ca. 1,70 m geschätzt, gegenüber ihrer Tochter, die sie im Krankenhaus mehrfach besucht hat, geäußert, der Tä-ter<br />

habe die Größe des behandelnden Arztes (1,72 m) gehabt, und in einer po-lizeilichen Vernehmung am 27. März<br />

1991 angegeben, der Täter sei etwas grö-ßer als sie selbst (1,60 m) gewesen. Eine relevante Abweichung der Größen-angaben<br />

lässt sich dem nicht entnehmen. Dies gilt auch deshalb, weil die Ge-schädigte die Größe des Täters -<br />

wie das Landgericht ausdrücklich festgestellt hat - nach eigenem Bekunden nur geschätzt, sich also nicht auf eine<br />

genau be-stimmte Körperlänge festgelegt hat.<br />

In diesem Zusammenhang führt das Landgericht zudem aus, dass der etwa 1,78 m große Angeklagte - wäre er der<br />

Täter gewesen - die Geschädigte „deutlich, nämlich um fast einen Kopf überragt“ hätte, weil er „unter Berücksichtigung,<br />

dass der Täter auch noch Stiefeletten trug, die ihn um wenige Zentime-ter erhöhten“, „wohl mehr als 1,80 m<br />

groß gewesen“ wäre. Bei dieser verglei-chenden Berechnung bleibt außer Betracht, dass die sich auf dem Weg zur<br />

Kirche befindliche Geschädigte nahe liegend ebenfalls Schuhe trug.<br />

b) Dem landgerichtlichen Ergebnis, der von der Geschädigten als „nie-derbayerisch“, aber auch als „bayerisch“ beschriebene<br />

Dialekt des Täters sei „vom Angeklagten nicht gebraucht“ worden, liegt keine umfassende Beweiswürdigung<br />

zugrunde. Insoweit hat das Landgericht ausdrücklich auf das letzte Wort des Angeklagten abgestellt.<br />

Diesem sei „jedenfalls zu entnehmen“ gewe-sen, dass der Angeklagte „keine ausgeprägte niederbayerische Mundart<br />

spricht“. Diese Formulierung lässt die Deutung zu, dass es sich um eine Aus-sprache gehandelt hat, die <strong>zum</strong>indest<br />

Anklänge an den niederbayerischen Dia-lekt aufwies. Ob das letzte Wort insoweit überhaupt aussagekräftig gewesen<br />

ist, kann allerdings nicht beurteilt werden, da dessen Umfang nicht mitgeteilt wird. Außerdem verdeutlicht das<br />

Landgericht nicht, ob ihm bei seiner Einschätzung bewusst war, dass innerhalb der mehr als 18 Jahre, die seit der Tat<br />

bis zur Hauptverhandlung verstrichen sind, sprachliche Modifikationen erfolgt sein kön-nen. Schließlich bleibt bei<br />

der Gesamtwürdigung außer Betracht, dass die als glaubwürdig angesehene Zeugin G. M. bekundet<br />

hat, der Ange-klagte „habe in der Zeit ihres Zusammenseins gemischt niederbayerisch, aber eher mehr fränkisch<br />

gesprochen“, und auch der Zeuge C. G. angege-ben hat, die Sprachfärbung sei „ein bisschen bayerisch und<br />

ein bisschen frän-kisch“ gewesen.<br />

Zudem besorgt der Senat, dass das Landgericht bei der Würdigung der Angaben der Geschädigten zur Mundart des<br />

Täters von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist. Während es namentlich bei den Angaben zur Größe und<br />

zur Barttracht des Täters nachvollziehbar (vgl. BGHR StPO § 261 Identifi-zierung 16) als verständlich angesehen<br />

wird, dass die Geschädigte „während der Vergewaltigung auf derartige Details nicht achtete, sondern von der grauenvollen<br />

Situation gefangen war“, nimmt das Landgericht ohne Weiteres an, dass „Worte, vernommen in beängstigender<br />

Lage, … sehr wohl im Gedächtnis haften bleiben“ können. Einer Begründung dieser divergierenden Einschätzung<br />

hätte es bereits deshalb bedurft, weil Menschen generell zu auditiver Wahr-nehmung geringer befähigt<br />

sind als zu visueller und speziell bei Dialektstimmen die Differenzierungsmöglichkeiten im Allgemeinen zusätzlich<br />

begrenzt sind (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO 6. Aufl. Rdn. 1395, 1398).<br />

c) Soweit das Landgericht in seiner zusammenfassenden Würdigung an-nimmt, der Angeklagte habe „bei dem angeblichen<br />

Überfall auf ihn … wohl eine Jeansjacke“ getragen, „während M. K. eine Lederjacke ertastete“,<br />

beruht dies ebenfalls nicht auf einer erschöpfenden Auswertung der maßgebli-chen Umstände. Die angestellten<br />

Überlegungen, „Leder und Jeansstoff fühlen sich unterschiedlich an“, so dass „die als lebenstüchtig beschriebene M.<br />

K. diese Verschiedenheit bemerkt hätte“, lassen wiederum die beängsti-gende Tatsituation außer Acht. Abgesehen<br />

davon, dass nicht mitgeteilt wird, bei welcher Gelegenheit und wie lange die Geschädigte das Material der<br />

Jacke hat erfühlen können, hätte erörtert werden müssen, ob deren Wahrnehmungsfähig-keit auch insofern eingeschränkt<br />

gewesen sein könnte. Ferner hatte der Ange-klagte gegenüber der Polizei zwar angegeben, er hätte „im<br />

Winter eine Jeans-jacke besessen“, zugleich aber bestätigt, zu seiner Kleidung hätte auch eine schwarze Lederjacke<br />

gehört.<br />

d) Soweit das Landgericht das Ergebnis der mitochondrialen DNA-Untersuchung als „nur begrenzt beweiswertig“<br />

eingestuft und es daher als „kein durchschlagendes Indiz für die Täterschaft des Angeklagten“ angesehen hat, genügen<br />

die Urteilsgründe den an die diesbezügliche Beweiswürdigung zu stel-lenden Anforderungen ebenfalls nicht.<br />

Ihnen lässt sich insoweit entnehmen, dass den beiden an der Kleidung der Geschädigten gesicherten Schamhaaren<br />

<strong>zum</strong> Zeitpunkt der aktuellen Un-tersuchung keine Wurzel mehr angehaftet und deshalb keine Kern-DNA zur Verfügung<br />

gestanden habe. Es sei daher auf die mitochondriale DNA zurück-gegriffen worden. Die Untersuchung habe für<br />

beide Haare dieselbe Sequenz erbracht, die wiederum mit derjenigen des Angeklagten übereingestimmt habe. Eine<br />

Sequenz mitochondrialer DNA sei jedoch nicht einzigartig, sondern werde - von Mutationen abgesehen - in ihrer<br />

Gesamtheit von einer Mutter auf ihre Kin-der und dann wiederum von den Töchtern weitergegeben. Die Häufigkeit<br />

einer Sequenz werde daher anders als bei der Kern-DNA durch einen Abgleich mit einer Datenbank bestimmt. Für<br />

343


die westeurasische Bevölkerung existiere eine Datenbank in Innsbruck, in der <strong>zum</strong> Zeitpunkt des Urteils 3.830 Individuen<br />

er-fasst gewesen seien. Die vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat dargelegt, dass die Wahrscheinlichkeit,<br />

eine Sequenz werde in der Datenbank vorhanden sein, umso geringer ist, je seltener sie in der Bevölkerung<br />

gegeben sei. Die Sequenz des Angeklagten sei in der Datenbank bislang nicht erfasst, weswegen sie „eher selten“<br />

sei.<br />

aa) Das Landgericht hat die Datenbank in Innsbruck, die „die gesamte westeurasische Bevölkerung erfassen, also<br />

eine Zielgruppe von vielen Millionen Individuen abbilden“ soll, als „nicht repräsentativ“ angesehen. Mit 3.830 Daten-sätzen<br />

lasse sich „keine Wahrscheinlichkeit herleiten, auf die … eine Verurtei-lung gestützt werden könnte“.<br />

Diese Einschätzung begegnet in zweifacher Hin-sicht rechtlich erheblichen Einwänden:<br />

Zum einen deutet die vom Landgericht gewählte Formulierung darauf hin, dass es an den Beweiswert, der einem<br />

belastenden Indiz zukommen muss, zu hohe Anforderungen gestellt hat. Insofern ist es nämlich nicht erforderlich,<br />

dass schon ein einzelnes Beweisanzeichen für sich allein dem Richter die volle Gewissheit verschafft, weil für die<br />

gerichtliche Überzeugung bei - wie hier - mehreren auf die entscheidungserhebliche Tatsache hindeutenden Indizien<br />

die Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände maßgebend ist (vgl. BGH NJW 2008, 2792, 2794). Für diese<br />

können aber auch Umstände, die nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine entscheidungserhebliche Tatsache begründen,<br />

herangezogen werden (vgl. BGH JR 1975, 34).<br />

Das Urteil lässt <strong>zum</strong> anderen nicht erkennen, ob das Landgericht bei sei-ner Bewertung von zutreffenden Anknüpfungstatsachen<br />

ausgegangen ist. Dies gilt namentlich im Hinblick darauf, dass die Innsbrucker Datenbank nach den<br />

Angaben der Sachverständigen mit „Prüfungsmechanismen“ und „Sicherheits-regularien“ versehen ist und von mehreren<br />

Instituten getragen wird. Insofern wird aber vom Landgericht nichts Näheres mitgeteilt. Dies wäre jedoch erforder-lich<br />

gewesen. Zwar bedarf es bei ständig wiederkehrenden Sachverständigen-fragen, die wegen ihrer Häufigkeit<br />

in der gerichtlichen Praxis allen Beteiligten geläufig sind, regelmäßig keiner näheren Erörterung, sofern - wie<br />

beispielswei-se bei der Daktyloskopie, der Blutalkoholanalyse oder bei der Bestimmung von Blutgruppen - standardisierte<br />

Untersuchungsmethoden verwendet werden. Um eine solche handelt es sich aber bei der mitochondrialen<br />

DNA-Analyse bislang nicht, so dass die Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar hätten mitgeteilt wer-den müssen<br />

(vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107 m.w.N.).<br />

In diesem Zusammenhang wird zudem nicht deutlich, ob auch die Sach-verständige die Repräsentativität der Datenbank<br />

skeptisch beurteilt hat. Hierge-gen könnte sprechen, dass infolge der - grundsätzlich - unveränderten Vererbung<br />

der mitochondrialen Sequenzen in der weiblichen Linie die Erfassung ei-ner relativ geringen Zahl von unterschiedlichen<br />

Datensätzen ausreichend sein könnte, um eine wesentlich größere Gesamtmenge von Individuen repräsenta-tiv<br />

darzustellen. Sollte jedoch die Sachverständige, deren Kompetenz das Landgericht nicht in Zweifel gezogen<br />

hat und der es an anderer Stelle aus-drücklich gefolgt ist, die Datenbank als repräsentativ eingestuft haben, wäre dies<br />

in den Urteilsgründen näher darzulegen gewesen. Zwar ist es einem Tat-gericht unbenommen, bei seiner Beweiswürdigung<br />

von der Ansicht eines Sach-verständigen abzuweichen. Dann muss es aber die Argumente des Sachverständigen,<br />

dessen Rat es bei der Beauftragung für erforderlich hielt, so weit erörtern und mit eigenen Gründen so<br />

widerlegen, dass ersichtlich wird, dass es das von ihm nunmehr beanspruchte bessere Sachwissen auf dem zur Erörte-rung<br />

stehenden Teilbereich des fremden Wissensgebietes zu Recht für sich in Anspruch nimmt (vgl. BGH NStZ-<br />

RR 2006 242, 243; BGH, Urt. vom 20. März 2008 - 4 StR 5/08). Hieran würde es fehlen.<br />

bb) Durchgreifenden Bedenken begegnet es auch, dass das Landgericht „die Maßgeblichkeit der Sammlung von<br />

mtDNA-Sequenzen“ durch das weibli-che Vererbungsmuster als „getrübt“ angesehen hat. Zwar trifft die zur Begründung<br />

angeführte Überlegung, dass sich hierdurch bestimmte Sequenzen lokal konzentrieren können, grundsätzlich<br />

zu. Es wäre jedoch - worauf der General-bundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - zu erörtern gewesen, ob dieser<br />

Ein-wand im konkreten Fall überhaupt bedeutsam sein kann. Dies wäre in Betracht gekommen, wenn die vom Landgericht<br />

erwogene Konzentration namentlich in Landshut und Umgebung hätte festgestellt werden können. Zum Lebenslauf<br />

der Mutter (oder früherer weiblicher Vorfahren) des im fränkischen Lauf a. d. Peg-nitz geborenen Angeklagten<br />

enthält das Urteil jedoch keine Angaben. Ein Tat-gericht ist aber nicht gehalten, einen Umstand zugunsten<br />

des Angeklagten zu unterstellen, für den ein realer Anknüpfungspunkt fehlt, bei dem es sich folglich nur um eine<br />

abstrakt-theoretische Möglichkeit handelt (vgl. BGH, Urt. vom 20. Oktober 2004 - 1 StR 232/04).<br />

cc) Der Senat kann daher nicht prüfen, ob das Landgericht den Umstand, dass die mitochondriale DNA des Angeklagten<br />

mit derjenigen der gesicherten Schamhaare übereinstimmt und von der Sachverständigen als „eher selten“<br />

angesehen wurde, mit dem zutreffenden Beweiswert in seine Gesamtwürdigung eingestellt hat. Dies erscheint zweifelhaft,<br />

<strong>zum</strong>al das Landgericht in diesem Zu-sammenhang ausgeführt hat, die Einschätzung der Sachverständigen<br />

beruhe „auf einer wissenschaftlichen Herangehensweise. Für einen Schuldspruch“ wä-ren - hier nach Ansicht des<br />

Landgerichts nicht gegebene - „andere Kriterien an-zulegen, unter anderem eine Bevölkerungsabgrenzung und die<br />

344


Größe des Pro-bandenkreises, die in ein charakteristisches Vergleichsmaterial Eingang finden“ müssten. Diese Erwägung<br />

ist schon für sich genommen ohne nähere Erläute-rung, welche fehlt, kaum verständlich. Die vorgenommene<br />

Gegenüberstellung lässt zudem besorgen, das Landgericht könnte nicht hinreichend bedacht ha-ben, dass es sich bei<br />

seiner Beweiswürdigung über gesicherte wissenschaftli-che Erkenntnisse nicht hinwegsetzen darf (vgl. BGHR StPO<br />

§ 261 Erfahrungs-satz 3 bis 5).<br />

III.<br />

Auf diesen Beweiswürdigungsmängeln kann das Urteil beruhen. Der Se-nat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht<br />

bei ihrer Vermeidung die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte. Jedenfalls in<br />

ihrer Gesamtheit führen sie deshalb dazu, dass die Sache erneut verhandelt und entschieden werden muss.<br />

Dabei wird das für die Bestimmung des Beweiswertes der mitochondria-len DNA-Analyse maßgebliche Vergleichsmaterial<br />

einer sorgfältigen Bewertung bedürfen. Insofern wird sich die Beauftragung eines biostatistischen<br />

Sachver-ständigen empfehlen (vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107; s. auch BGHSt 38, 320, 322 f.). Sollte dieser auf der<br />

Basis des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnis-standes keine statistisch verlässlich abgesicherte Quantifizierung<br />

vornehmen können, würde dies nicht dazu führen, dass dem Ergebnis der mitochondrialen Untersuchung jeglicher<br />

Beweiswert abzusprechen wäre. Dieses wäre vielmehr mit der ihm zukommenden Ungewissheit in die Gesamtwürdigung<br />

einzustellen (vgl. BGH StV 1996, 251 zu untersuchten Faserspuren).<br />

Ferner wird zu bedenken sein, dass - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - eines der beiden Schamhaare ursprünglich<br />

eine Wurzel hatte, die vom Bayerischen Landeskriminalamt zur Untersuchung der Kern-DNA verwendet, hierbei<br />

allerdings verbraucht wurde. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit zu der Prüfung haben, ob das dabei erzielte<br />

Ergebnis noch mit der Kern-DNA des Angeklagten verglichen werden kann, auch wenn das damals genutzte D1S80-<br />

System seit mehr als elf Jahren nicht mehr verwendet und produziert wird. Inso-fern wird es nahe liegen, sich der<br />

Hilfe des Bundeskriminalamtes zu bedienen.<br />

Sollte der genannte Vergleich durchgeführt werden können, wird der Fra-ge nachzugehen sein, ob die Untersuchungsergebnisse<br />

der Kern-DNA einer-seits und der mitochondrialen DNA andererseits im Sinne der Produktregel<br />

der-gestalt voneinander unabhängig sind (vgl. hierzu BGHSt 38, 320, 323; BGH NStZ 1992, 601, 602), dass sie als<br />

Faktoren - mit der Folge eines ggf. deutlich gesteigerten Beweiswertes - miteinander kombiniert werden können.<br />

StPO § 261, § 267; AO Beweiswürdigung bei Freispruch - Steuerhinterziehung<br />

BGH, Urt. v. 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 479/08<br />

Dem Umstand, dass das Steueraufkommen mangels ausreichender finanzieller Mittel zur Abführung<br />

der geschuldeten Steuern auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflichten<br />

des Angeklagten geschädigt worden wäre, kann für die Bestimmung des Schuldgehalts der<br />

Tat kein erhebliches Gewicht im Sinne eines bestimmenden Straf<strong>zum</strong>essungsumstandes (§ 267 Abs.<br />

3 Satz 1 StPO) zukommen. Dies gilt im besonderen Maße, wenn es sich bei den hinterzogenen Steuern<br />

um solche handelt, die der Steuerschuldner - wie hier bei der Umsatzsteuer - wie ein Treuhänder<br />

für den Fiskus verwaltet.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. März 2008 mit<br />

den Festsstellungen aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte freigesprochen wurde und<br />

b) im Strafausspruch, soweit der Angeklagte verurteilt wurde.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung zu ei-ner Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt.<br />

Im Übrigen hat es ihn freige-sprochen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom<br />

Generalbundesanwalt vertreten wird, wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Teilfreispruch und, soweit der<br />

Angeklagte verurteilt wurde, gegen den Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

I.<br />

345


1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 1979 Geschäftsführer der in Nürnberg ansässigen<br />

D. KG (nachfolgend: D. KG). Seit Mitte des<br />

Jahres 2001 entstanden in der Buchhaltung des Unternehmens Buchungs-rückstände. Dies hatte zur Folge, dass von<br />

der D. KG erzielte Umsätze und gezahlte Vorsteuerbeträge spätestens seit dem Jahr 2002 der EDV-Buch-haltung<br />

des Unternehmens nicht mehr entnommen werden konnten. Von Januar 2002 bis Mai 2003 wurden die beim Finanzamt<br />

einzureichenden Umsatz-steuervoranmeldungen daher von der angestellten Buchhaltungskraft anhand der vorliegenden<br />

Eingangs- und Ausgangsrechnungen manuell erstellt, wobei ihr allerdings schwerwiegende Fehler unterliefen.<br />

Für das Jahr 2002 wurden von den tatsächlich getätigten Umsätzen im Umfang von mehr als 12,8 Mio. Euro<br />

lediglich knapp 9,1 Mio. Euro erklärt. Zugleich wurden die Vorsteuern um etwa 62.000,-- Euro zu niedrig angegeben.<br />

Auch die für die Voranmeldungszeit-räume des Jahres 2003 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen waren<br />

unrichtig und enthielten zu geringe Umsatzsteuerbeträge. 3<br />

Der Angeklagte erfuhr spätestens im ersten Halbjahr 2002 von den Rückständen in der Buchhaltung. Auch wusste er,<br />

dass die Umsatzsteuervor-anmeldungen manuell erstellt wurden. Gleichwohl überprüfte er die Voranmel-dungen<br />

nicht. 4<br />

Im Hinblick auf die manuelle Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldun-gen des Jahres 2003 ordnete das Finanzamt<br />

Nürnberg-Nord eine Umsatzsteu-er-Nachschau an, die am 29. Oktober 2003 in den Geschäftsräumen der D. KG<br />

durchgeführt wurde. Hierbei wurde sofort festgestellt, dass die für Februar bis Mai 2003 tatsächlich erzielten Umsätze<br />

weit über den vorangemeldeten Umsätzen lagen. Dies wurde noch am selben Tag dem Angeklagten mitgeteilt, der<br />

die bei der Umsatzsteuer-Nachschau festgestellten Beträge als richtig aner-kannte. 5<br />

Aufgrund der Mitteilung des Finanzamts rechnete der Angeklagte damit, dass auch die Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

für die Monate Januar bis De-zember 2002 unrichtig waren. Gleichwohl unterließ er die Abgabe einer richti-gen<br />

Umsatzsteuerjahreserklärung, mit der er zugleich der sich aus § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ergebenden Berichtigungspflicht<br />

hätte nachkommen können, die ihm bekannt war. Die Berichtigung wäre ihm auch ohne weiteres möglich<br />

gewesen, da die Buchhaltung zwischenzeitlich vervollständigt worden war, so dass dem Angeklagten die richtigen<br />

Umsatzzahlen zur Verfügung standen. Der Angeklagte unterließ sowohl die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

für das Jahr 2002 als auch eine Berichtigung der unrichtigen Vorsteueranmeldungen, um sich die Steuervorteile,<br />

die die Gesellschaft durch die unrichtigen Voranmeldungen erzielt hatte, auf Dauer zu sichern. 6<br />

2. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung betreffend das<br />

Jahr 2002 zu der Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt. Von der - rechtlich möglichen - Bildung einer<br />

nachträgli-chen Gesamtfreiheitsstrafe hat die Strafkammer gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB bewusst<br />

abgesehen. 7<br />

3. Soweit dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegt wurde, auch für die Monate Februar bis Mai 2003<br />

unrichtige Umsatzsteuervoranmel-dungen abgegeben zu haben und dadurch in vier Fällen Umsatzsteuer in Höhe von<br />

mehr als 260.000,-- Euro verkürzt zu haben, hat das Landgericht den An-geklagten freigesprochen. Ihm sei nicht<br />

nachzuweisen, dass er die Unrichtigkeit der Voranmeldungen bereits bei deren Abgabe gekannt habe. Eine Pflicht<br />

zur Berichtigung nach § 153 AO habe nicht bestanden, da die Unrichtigkeit der Voranmeldungen bereits von den<br />

Finanzbehörden festgestellt gewesen sei, als er davon erfahren habe. II. 8<br />

Die Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf der Steuerhinterzie-hung in vier Fällen durch Abgabe unrichtiger<br />

Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar bis Mai 2003 hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

1. Zwar hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird,<br />

weil das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des<br />

Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden<br />

hätte. Die revisionsgerichtliche Prü-fung ist auf die Prüfung beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler<br />

unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar<br />

oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesi-cherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHR<br />

StPO § 261 Beweiswür-digung 2, 16; BGH StV 1994, 580 m.w.N.). Der Prüfung unterliegt auch, ob überspannte<br />

Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NJW 2005,<br />

1727; BGH NStZ-RR 2003, 369, 370; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung<br />

25, jew. m.w.N.).<br />

Die Begründung eines Freispruchs muss daher so abgefasst werden, dass dem Revisionsgericht die Prüfung möglich<br />

ist, ob dem Tatgericht Rechts-fehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende<br />

Sachverhalt vollständig gewürdigt worden ist (vgl. BGH wistra 1991, 63). Hierzu bedarf es in den Urteilsgründen<br />

regelmäßig der Darstellung des Anklagevorwurfs, der getroffenen Feststellungen und einer Würdigung der Bewei-se<br />

(vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 33 m.w.N.), insbesondere der gegen den Angeklagten sprechenden<br />

346


Umstände (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten<br />

Tatsachen sind nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH NStZ 2002, 446).<br />

2. Diesen Anforderungen an die Sachdarstellung und Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil nicht in vollem<br />

Umfang gerecht.<br />

a) Soweit dem Angeklagten mit der Anklageschrift zur Last gelegt wurde, in vier Fällen durch Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

für die Mo-nate Februar bis Mai 2003 Steuern hinterzogen zu haben, enthalten die Urteils-gründe<br />

keine Feststellungen dazu, welchen Inhalt die abgegebenen Umsatz-steuervoranmeldungen hatten. Zum<br />

Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen feh-len in den Urteilsgründen ebenso Angaben wie zu der Frage, ob die Voranmel-dungen<br />

zu einer Zahllast oder einer Erstattung geführt haben (vgl. § 168 AO). Es bleibt auch offen, in welchem<br />

Umfang die angemeldeten von den zu erklä-renden Umsätzen abwichen. Der Mitteilung dieser Umstände hätte<br />

es indes schon allein deshalb bedurft, weil sich aus ihnen - etwa aus einem Vergleich mit früheren Anmeldungszeiträumen<br />

- Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite ergeben konnten.<br />

b) Die Beweiswürdigung ist auch deshalb lückenhaft, weil sie sich - so-weit Feststellungen getroffen worden sind -<br />

nicht mit allen festgestellten Um-ständen auseinandersetzt, die den Angeklagten be- oder entlasten (vgl. BGHR StPO<br />

§ 261 Beweiswürdigung 2).<br />

aa) Die Strafkammer beschränkt sich im Wesentlichen darauf, festzustel-len, dass die Einlassung des Angeklagten<br />

nicht zu widerlegen sei. Eine Auseinandersetzung mit den festgestellten Umständen, die gegen diese Einlassung<br />

sprechen könnten, enthält das Urteil nicht. So lässt das Landgericht außer Be-tracht, dass der Angeklagte aufgrund<br />

seiner Geschäftserfahrung und berufli-chen Bildung als Kaufmann über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse verfüg-te.<br />

Diese können aber für die Frage, ob der Angeklagte um die Fehler der Vor-anmeldungen wusste, als Beweisanzeichen<br />

von Bedeutung sein. Das gilt um so mehr, als das Landgericht ausdrücklich feststellt, dass die Defizite in<br />

der Buch-haltung, die die fehlerhaften Voranmeldungen bedingten, bereits seit längerem bestanden und der Angeklagte<br />

von diesen auch schon seit Mitte des Jahres 2002 wusste. Unerörtert bleibt auch, dass sich die D. KG bereits<br />

seit dem Jahre 2000 in finanziellen Schwierigkeiten befand, die sich im Laufe des Jahres 2002 noch verschärften.<br />

Es hätte daher jedenfalls der Erörterung bedurft, ob diese finanziellen Schwierigkeiten als Motiv für die Abgabe<br />

falscher Umsatz-steuervoranmeldungen in Betracht kamen, um aufgrund ungerechtfertigter Vor-steuererstattungen<br />

den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können.<br />

bb) Die Beweiswürdigung verhält sich auch nicht dazu, ob leichtfertiges Handeln des Angeklagten im Sinne von §<br />

378 AO auszuschließen war. Für den Schluss der Strafkammer, es habe lediglich einfache Fahrlässigkeit vorgelegen,<br />

fehlt es angesichts der gegen den Angeklagten sprechenden Umstände an ei-ner tragfähigen Begründung. Statt einer<br />

an rechtlichen Abgrenzungskriterien ausgerichteten Gesamtwürdigung sämtlicher für und gegen die Annahme leichtfertigen<br />

Handelns sprechenden Umstände beschränkt sich die Strafkammer auf die nicht näher begründete Bewertung,<br />

es habe nur einfache Fahrlässigkeit vorgelegen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.<br />

3. Das Urteil beruht insoweit auf den Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln; der Senat kann nicht ausschließen,<br />

dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu einer Verurteilung des Angeklag-ten<br />

gelangt wäre.<br />

III.<br />

1. Auch der Strafausspruch, auf den die Staatsanwaltschaft ihre Revision wirksam beschränkt hat, soweit der Angeklagte<br />

verurteilt wurde, hat keinen Be-stand. Dies folgt hier bereits aus der Aufhebung des Teilfreispruchs. 18<br />

Bei Tatmehrheit kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs die Aufhebung eines Einzelstrafausspruchs<br />

zur Aufhebung weite-rer Strafaussprüche führen, wenn nicht auszuschließen ist, dass diese durch den<br />

Rechtsfehler im Ergebnis beeinflusst sind (vgl. die Nachw. bei Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 353 Rdn. 10). Dies<br />

kann insbesondere dann zu beja-hen sein, wenn die Taten in einem engen inneren Zusammenhang stehen (BGH<br />

NStZ 2001, 323, 324; NStZ-RR 2007, 195, 196 m.w.N.). Nichts anderes gilt im Falle der Aufhebung eines Teilfreispruchs,<br />

wenn insoweit aufgrund einer neuen Hauptverhandlung eine Verurteilung noch in Betracht kommt und eine<br />

solche Verurteilung die Straf<strong>zum</strong>essung bei den übrigen Taten beeinflussen kann. 19<br />

So verhält es sich hier; denn dem Angeklagten lag die Verletzung seiner umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten für<br />

zwei aufeinander folgende Jahre zur Last. Der Frage, ob es sich bei einer Tat um eine bloß einmalige Verfehlung<br />

oder um eine wiederholte oder mit Wiederholungsabsicht begangene Straftat handelt, kommt aber für die Straf<strong>zum</strong>essung<br />

nicht unerhebliches Gewicht zu. Der Senat hebt daher auch den Strafausspruch auf, um dem Tatrichter eine<br />

in sich stimmige Straf<strong>zum</strong>essung gegebenenfalls auch im Hinblick auf den weite-ren - vom aufgehobenen Teilfreispruch<br />

erfassten - Tatvorwurf zu ermöglichen. Einer Erörterung der von der Staatsanwaltschaft gegen die Straf<strong>zum</strong>essung<br />

im Einzelnen erhobenen Bedenken bedarf es daher insoweit nicht. 20<br />

347


2. Die Straf<strong>zum</strong>essungserwägungen des Landgerichts geben allerdings im Hinblick auf die von der neuen Strafkammer<br />

vorzunehmende Straf<strong>zum</strong>es-sung und den dabei zugrunde zu legenden Schuldumfang Anlass zu folgendem<br />

Hinweis:<br />

Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch nicht notwendig Verletzungsdelikt. Wie die Vorschrift des §<br />

370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt, ist der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO bereits erfüllt, wenn die gesetzlich geschulde-te<br />

Steuer nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt wird. Für eine Steuerverkürzung genügt deshalb<br />

eine konkrete Gefährdung des Steuer-anspruchs (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370<br />

AO Rdn. 15). Die Erfüllung der Steuerschuld ist demgegenüber erst Gegens-tand des dem Festsetzungsverfahren<br />

nachgelagerten Erhebungs- und Voll-streckungsverfahrens (vgl. §§ 218 ff., 249 ff. AO).<br />

Vor diesem Hintergrund kann dem Umstand, dass das Steueraufkom-men mangels ausreichender finanzieller Mittel<br />

zur Abführung der geschuldeten Steuern auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflich-ten<br />

des Angeklagten geschädigt worden wäre, entgegen der Auffassung der Strafkammer (UA S. 15/16) für die Bestimmung<br />

des Schuldgehalts der Tat kein erhebliches Gewicht im Sinne eines bestimmenden Straf<strong>zum</strong>essungsumstandes<br />

(§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) zukommen. Dies gilt im besonderen Maße, wenn es sich bei den hinterzogenen Steuern<br />

um solche handelt, die der Steu-erschuldner - wie hier bei der Umsatzsteuer - wie ein Treuhänder für den Fiskus<br />

verwaltet (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Straf<strong>zum</strong>essung 4. Aufl. Rdn. 1018; Kohlmann, Steuerstrafrecht<br />

Stand 39. Lfg. Oktober 2008, § 370 AO Rdn. 1033). Demgegenüber hat es erhebliche strafmildernde Bedeu-tung,<br />

wenn - anders als im vorliegenden Fall - die Verkürzung von Steuern beim Fiskus nicht zu einem dauerhaften<br />

Steuerausfall geführt hat, weil etwa der Täter die geschuldeten Steuern nachgezahlt hat.<br />

StPO § 261, § 301 Beweiswürdigung und mathematische Gewissheit<br />

BGH, Urt. v. 26.06.2008 – 3 StR 159/08 - NStZ-RR 2008, 350; StraFo 2008, 434<br />

Für eine Verurteilung ist eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs<br />

ausschließende, von niemanden mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich; die bloße<br />

gedankliche, abstrakt theoretische Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein<br />

könnte, darf die Verurteilung nicht hindern.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Juni 2008 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 29. November 2007 mit<br />

den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkam-mer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch dahin abgeändert, dass die<br />

Strafaussetzung zur Bewährung entfällt.<br />

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

3. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kosten-entscheidung des vorbezeichneten Urteils wird auf<br />

seine Kosten verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von sechs<br />

Monaten verurteilt und deren Vollstre-ckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten<br />

ein-gelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwalt-schaft die tatrichterliche Beweiswürdigung.<br />

Das vom Generalbundesanwalt ver-tretene Rechtsmittel hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten, mit<br />

der er eine Verfahrens- und die Sachrüge erhebt, führt lediglich <strong>zum</strong> Wegfall der Strafaus-setzung zur Bewährung.<br />

I. Nach den Feststellungen waren der erheblich alkoholisierte Angeklagte und die ebenfalls stark angetrunkene und<br />

zusätzlich unter dem Einfluss ver-schiedener Medikamente stehende Geschädigte in der gemeinsamen Wohnung in<br />

einen längeren Streit geraten. Schließlich begab sich die Geschädigte in das Schlafzimmer und legte sich ins Bett.<br />

Nachdem der Angeklagte ihr gefolgt war, kam es nunmehr auch zu einem Gerangel, in dessen Verlauf der Angeklagte<br />

der Geschädigten mehrere Büschel Haare ausriss. Außerdem drückte er das Gesicht der auf dem Bauch liegenden,<br />

schimpfenden und schreienden Frau in der Absicht, sie zur Ruhe zu bringen, von hinten mindestens einige Sekunden,<br />

348


jedenfalls aber so lange auf das Kopfkissen, bis sie keinen Laut mehr von sich gab. Im zeitlichen Zusammenhang mit<br />

diesem Geschehen verstarb die Ge-schädigte.<br />

II. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Das Landgericht hat das Ausreißen der Haare und das Drücken des Kopfes in das Kissen als vorsätzliche Körperverletzung<br />

(§ 223 StGB) gewürdigt. An einer Verurteilung wegen Totschlags (§ 212 StGB) oder Körperverletzung<br />

mit Todesfolge (§ 227 StGB) hat es sich gehindert gesehen, weil eine Kausalität des Handelns des Angeklagten für<br />

den Eintritt des Todes der Geschädigten nicht sicher festgestellt werden könne. Außerdem sei nicht nachweisbar,<br />

dass der Angeklagte diese Straftatbestände in subjektiver Hinsicht erfüllt habe. We-gen der auf jahrelangem Alkoholmissbrauch<br />

beruhenden kognitiven Defizite des Angeklagten, einer möglicherweise im Tatzeitpunkt vorliegenden<br />

affektiven Er-regung und der hohen Alkoholisierung sei nicht feststellbar, dass der Angeklag-te den Tod des Opfers<br />

gewollt oder mit ihm gerechnet und ihn billigend in Kauf genommen habe. Ebenso wenig sei sicher festzustellen,<br />

dass der Eintritt des Todes für den Angeklagten voraussehbar gewesen sei. Eine Verurteilung we-gen gefährlicher<br />

Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) scheide aus, weil die Tat nicht auf eine Lebensgefährdung angelegt<br />

gewesen sei.<br />

Diese Ausführungen halten sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

a) Soweit das Landgericht gemeint hat, nicht ausschließen zu können, dass allein die Alkoholisierung des Opfers im<br />

Zusammenwirken mit dem Medi-kamenteneinfluss eine Atemstörung und dadurch den Tod verursacht habe, hat es<br />

den Grundsatz "in dubio pro reo" vor einer ausreichenden Würdigung der erhobenen Beweise und damit rechtsfehlerhaft<br />

angewendet.<br />

Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat ausgeführt, als To-desursache komme sowohl eine spurenarme<br />

Tötung, ein Erstickungstod zu-sammen mit der Alkoholbeeinflussung oder allein die Alkoholbeeinflussung zusammen<br />

mit der Medikamentenaufnahme in Betracht. Die ersten beiden Alter-nativen, bei denen die Kausalität des<br />

Handelns des Angeklagten für den Tod des Opfers zu bejahen wäre, hat der Sachverständige als "möglich" und<br />

"denk-bar" bezeichnet. Demgegenüber hat er es als "nicht nahe liegend" bewertet, dass der Alkohol- und Medikamenteneinfluss<br />

allein ohne eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr tödlich gewesen sei, da bei der trinkgewohnten<br />

Geschä-digten eine Alkoholbeeinflussung von 3 bis 5 Promille erforderlich gewesen sei, um tödlich zu wirken; es sei<br />

bei ihr aber nur von einer Blutalkoholkonzentration von 2,6 Promille auszugehen. Es sei jedoch gleichwohl "nicht<br />

auszuschließen", dass allein die Alkoholisierung im Zusammenwirken mit dem Medikamentenein-fluss eine Atemstörung<br />

verursacht und dadurch die Todesursache gesetzt ha-be.<br />

Diesen Ausführungen folgend ist das Landgericht allein mit dem Hinweis darauf, es könne nicht festgestellt werden,<br />

wie lange das Anpressen des Kop-fes des Opfers gegen das Kissen gedauert habe, von der letzten, fern liegen-den<br />

Möglichkeit ausgegangen. Damit hat es nicht bedacht, dass der Zweifels-satz eine Entscheidungsregel ist, die das<br />

Tatgericht erst dann anzuwenden hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung<br />

vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu<br />

gewinnen vermag (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 209; NStZ 2001, 609). Das Landgericht hätte deshalb vor<br />

An-wendung des Zweifelssatzes eine umfassende Würdigung aller relevanten tat-sächlichen Umstände vornehmen<br />

müssen. Dabei wäre etwa zu erwägen gewe-sen, dass das Opfer bereits längere Zeit im Übermaß dem Alkohol zugespro-chen<br />

und Medikamente eingenommen hatte, ohne dass es in der Vergangen-heit zu lebensbedrohlichen Situationen<br />

gekommen war. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer dazu verhalten müssen, dass es der allgemeinen<br />

Lebenserfahrung widerspricht, dass die Geschädigte gerade in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang<br />

damit, dass sie von dem Angeklagten körperlich misshandelt und ihr Gesicht so lange in ein Kissen gedrückt wurde,<br />

bis sie sich nicht mehr rührte, allein aufgrund des Alkohol- und Medikamenteneinflusses verstorben sein soll. Statt<br />

eine solche Würdigung vorzunehmen und zu beden-ken, dass eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden<br />

Gesche-hensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist<br />

und die bloße gedankliche, abstrakt theoretische Möglich-keit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte,<br />

die Verurteilung nicht hindern darf (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. §<br />

261 Rdn. 2 jeweils m. w. N.), ist das Landgericht jedoch für den Fall, dass der Eintritt des Todes des Opfers völlig<br />

unabhängig von der ver-übten Gewalt als "zuviel Zufall" anzusehen sei, vorschnell auf die Prüfung der subjektiven<br />

Tatseite ausgewichen.<br />

b) Auch die Verneinung der Voraussetzungen des subjektiven Tatbe-stands jedenfalls der Körperverletzung mit<br />

Todesfolge und der gefährlichen Körperverletzung begegnet indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

aa) Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob dem Angeklagten hinsicht-lich der Verursachung des Todes <strong>zum</strong>indest<br />

Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB), zunächst zutreffend darauf abgestellt, ob vom Angeklagten in sei-ner<br />

349


konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers vorausgesehen<br />

werden konnte.<br />

Soweit die Strafkammer es jedoch für maßgebend gehalten hat, ob der Eintritt des Todes "insbesondere bei einem<br />

möglicherweise nur wenige Sekun-den dauernden Drücken des Gesichts in das Kissen" für den Angeklagten voraussehbar<br />

gewesen sei, ist sie von einem unzutreffenden Ansatzpunkt ausge-gangen. Zwar hat sie nicht festzustellen<br />

vermocht, wie lange der Angeklagte den Kopf des Opfers in das Kissen presste. Hierauf kommt es jedoch bei der<br />

Beurteilung der Vorhersehbarkeit des Todeseintritts für den Angeklagten nicht entscheidend an. Denn nach den<br />

Feststellungen wollte er das Gesicht der Ge-schädigten jedenfalls so lange in das Kissen drücken, bis diese ruhig<br />

war, un-abhängig davon, wie viel Zeit hierfür konkret erforderlich war. Diesen Plan setz-te er auch in die Tat um.<br />

Das Landgericht hätte deshalb die konkrete Absicht des Angeklagten <strong>zum</strong> Ausgangspunkt seiner Überlegungen<br />

machen und prüfen müssen, ob vor diesem Hintergrund der Angeklagte vorhergesehen hat oder vorhersehen konnte,<br />

dass es <strong>zum</strong> Tod des Opfers führen kann, wenn dessen Gesicht so lange in ein Kissen gedrückt wird, bis es ruhig ist.<br />

Auf die Frage, ob das vom Täter verfolgte Handlungsziel früher eintritt, als er es sich möglicher-weise vorgestellt<br />

hat, kommt es demgegenüber nicht an. Der Senat kann mit Blick auf die offensichtliche objektive Gefährlichkeit der<br />

Vorgehensweise des Angeklagten und den Umstand, dass sich die Vorhersehbarkeit nicht auf die einzelnen physichen<br />

Vorgänge erstrecken muss, die als Folge der Körperver-letzung im konkreten Fall den Tod herbeiführen (vgl.<br />

Stree in Schönke/Schrö-der, StGB 26. Aufl. § 227 Rdn. 7 m. w. N.), nicht ausschließen, dass das Land-gericht in<br />

diesem Fall auch bei Berücksichtigung der Beeinträchtigungen des Angeklagten die Voraussehbarkeit des Eintritts<br />

des Todes bejaht hätte.<br />

bb) Die Ausführungen der Strafkammer zu den subjektiven Vorausset-zungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB weisen<br />

denselben Rechtsfehler auf. Für die Beurteilung, ob die Tat des Angeklagten subjektiv auf eine Lebensgefähr-dung<br />

angelegt war (vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 6), kommt es ebenfalls nicht darauf an, dass das<br />

Pressen des Gesichts auf das Kissen möglicherweise nur kurze Zeit dauerte. Vielmehr ist auch in diesem Zusammenhang<br />

entscheidend, dass der Angeklagte das Opfer so lange in das Kissen drücken wollte, bis es ruhig war,<br />

und dies auch tat.<br />

2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat teilweise auch zu Guns-ten des Angeklagten Erfolg (§ 301 StPO). Es<br />

führt <strong>zum</strong> Wegfall des Ausspruchs über die Strafaussetzung zur Bewährung; denn die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft<br />

übersteigt die erkannte Strafe. Von der Möglichkeit, die Untersu-chungshaft nicht auf die Strafe anzurechnen<br />

(§ 51 Abs. 1 Satz 2 StGB), hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Die erkannte Strafe ist deshalb<br />

bereits vollständig verbüßt und kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden (vgl. BGHSt 31, 25; BGH NJW<br />

2002, 1356). Mit dem Wegfall der Strafausset-zung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos<br />

(vgl. BGHR StGB § 56 Aussetzung 1).<br />

III. Revision des Angeklagten<br />

Auf das Rechtsmittel des Angeklagten ist aus den dargelegten Gründen der Strafausspruch abzuändern, soweit die<br />

Vollstreckung der Strafe zur Bewäh-rung ausgesetzt worden ist; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund<br />

der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Ge-neralbundesanwalts keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten erge-ben.<br />

Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels macht es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Gebühren<br />

und Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).<br />

IV. Sofortige Beschwerde des Angeklagten<br />

Die nicht begründete, jedoch ersichtlich gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils eingelegte sofortige<br />

Beschwerde des Angeklagten ist durch die Aufhebung des Urteils gegenstandslos.<br />

StPO § 261, BtMG § 30 I Nr. 4 Schätzung der „Qualität“ von BtM<br />

BGH, Beschl. v. 14.05.2008 – 2 StR 167/08 - NStZ-RR 2008, 319<br />

1. Können keine exakten Feststellungen hinsichtlich der Qualität des gehandelten Marihuanas getroffen<br />

werden, so ist das Tatgericht gehalten, anhand bestimmter Kriterien - Preis, Herkunft, Bewertung<br />

durch Tatbeteiligte - die Wirkstoffkonzentration durch Schätzung zu bestimmen. Dafür<br />

reicht es aus, wenn das Gericht von einer "guten Qualität" des gehandelten Rauschgifts ausgeht.<br />

350


2. Die Erhöhung einer Einzelstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten auf sieben Jahre bedarf<br />

grundsätzlich einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Begründung. Angesichts einer Vielzahl von<br />

über einen längeren Zeiraum verteilten Taten kann dafür auch eine teilweise formelhafte Begründung<br />

ausreichen.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 14. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. Dezember 2007 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtferti-gung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Auch wenn mangels sichergestellter Betäubungsmittel hier keine exakten Feststellungen hinsichtlich der Qualität des<br />

gehandelten Marihuanas getroffen werden konnten, war das Tatgericht gehalten, anhand bestimmter Kriterien -<br />

Preis, Herkunft, Bewertung durch Tatbeteiligte - die Wirkstoffkonzentration durch Schätzung zu bestimmen. Dem ist<br />

die Kammer insoweit nachgekommen, als sie von einer "guten Qualität" des gehandelten Rauschgifts ausgeht.<br />

Vor dem Hintergrund, dass der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Ma-rihuana in den vergangenen Jahren stetig<br />

angestiegen ist und von Bundesland zu Bundesland, ja sogar in verschiedenen Landgerichtsbezirken durchaus unterschiedlich<br />

sein kann (vgl. dazu Patzak/Goldhausen NStZ 2007, 195), muss der Tatrichter aber grundsätzlich auch<br />

Angaben dazu machen, von welchem Wirkstoffgehalt er konkret ausgeht, wenn er schlechte, durchschnittliche oder<br />

gute Qualität zugrundelegt. Angesichts der großen Menge der gehandelten Be-täubungsmittel und der dafür verhängten<br />

maßvollen Einzelstrafe schließt der Senat hier jedoch aus, dass das Urteil auf diesem Versäumnis beruht.<br />

Was den Ausspruch über die Gesamtstrafe anbelangt, weist der Senat darauf hin, dass die Erhöhung einer Einsatzstrafe<br />

von zwei Jahren und zehn Monaten auf sieben Jahre grundsätzlich einer sorgfältigen und nachvollziehba-ren<br />

Begründung bedarf. Diesen Anforderungen wird die von der Strafkammer gewählte, teilweise formelhafte Begründung<br />

angesichts der Vielzahl der über einen längeren Zeitraum verteilten Taten gerade noch gerecht.<br />

StPO § 261, EMRK Art 6 I 1; StGB § 66 II, § 263<br />

BGH, Beschl. v. 18.06.2008 - 1 StR 204/08 - NStZ 2008, 620; StV 2008, 561<br />

Kein Verstoß gegen den "Fair Trail"-Grundsatz, wenn das Gericht eine zuvor angebotene rechtswidrige<br />

Verfahrensweise nicht einhält.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10. September 2007 wird als unbegründet<br />

verwor-fen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren<br />

entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 127 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung,<br />

davon in 44 Fällen in Tateinheit mit Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem<br />

Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen in 62 tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf<br />

Jahren und sechs Monaten verurteilt und gemäß § 66 Abs. 2 StGB die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen<br />

dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Überprüfung des Urteils auf Grund der<br />

Revisionsrechtfertigung keinen Rechts-fehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Dies gilt neben der Sachrüge, die in allgemeiner Form erhoben ist, auch für die Verfahrensrüge, mit der die Verletzung<br />

der Grundsätze eines fairen Ver-fahrens geltend gemacht wird:<br />

1. Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde:<br />

Zwischen dem 1. und dem 2. Hauptverhandlungstag fand zwischen den Berufsrichtern, dem Sitzungsvertreter der<br />

Staatsanwaltschaft und den Verteidi-gern ein Gespräch im Hinblick auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung<br />

statt. Auf Grund dieses Gesprächs gab der Vorsitzende am zweiten Verhand-lungstag zu Protokoll: "Dem Angeklagten<br />

wird seitens der Strafkammer in Aus-sicht gestellt, bei einem Geständnis nach Anklage eine Strafobergrenze von<br />

fünf Jahren und sechs Monaten, ohne Anordnung einer Sicherungsverwahrung, unter Berücksichtigung eines heuti-<br />

351


gen Geständnisses und des Alters des An-geklagten". Die Staatsanwaltschaft erklärte sich hiermit nicht einverstanden.<br />

Der Angeklagte legte an diesem Verhandlungstag und an den folgenden Ver-handlungstagen kein Geständnis<br />

ab. Am 5. Verhandlungstag erklärte der Vorsitzende, dass sich die Kammer an ihre Erklärung vom 2. Verhandlungstag<br />

nur noch gebunden fühlen würde, wenn der Angeklagte bis <strong>zum</strong> nächsten Verhand-lungstermin ein Geständnis<br />

ablegen werde. Der Angeklagte und seine Verteidiger legten besonderen Wert auf eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft<br />

zu dem Vorschlag des Gerichts, weil ihnen bewusst war, dass eine Absprache über die Nichtanordnung<br />

der Sicherungsverwahrung nicht zulässig ist und des-halb bei einer Nichteinbindung der Staatsanwaltschaft eine<br />

Korrektur im Rechtsmittelweg drohte. Der Angeklagte nahm deshalb zwischen dem 5. und dem 6. Verhandlungstag<br />

Kontakt zu der Staatsanwaltschaft auf und bot ihr Aufklärungshilfe zu bestimmten Straftaten Dritter an. Daraufhin<br />

stellte die Staats-anwaltschaft am 6. Verhandlungstag in Aussicht, dass sie einer Verurteilung zu fünf Jahren und<br />

sechs Monaten ohne die Verhängung der Sicherungsverwah-rung akzeptieren würde, wenn der Angeklagte substantielle<br />

Aufklärungshilfe in den anderen Verfahren leisten würde. Im Hauptverhandlungsprotokoll ist hierzu vermerkt:<br />

"Im Hinblick darauf, dass es … zu einem Gespräch zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gekommen<br />

ist und die sich daraus er-gebenden Möglichkeiten einer Aufklärung oder Aufklärungshilfe bei anderen strafbaren<br />

Handlungen noch nicht abschließend beurteilt werden können, un-terbleibt der an sich für heute vorgesehene<br />

Hinweis an den Angeklagten, dass die ursprüngliche Strafobergrenze nicht mehr in Betracht kommt". Die Vernehmungen<br />

des Angeklagten zu der angebotenen Aufklärungshilfe waren nach dem 7. Verhandlungstag abgeschlossen.<br />

Am 8. Verhandlungstag erklärte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, er könne "der vom Gericht dem Angeklagten<br />

in Aussicht gestellten Strafobergrenze bei einem umfassenden Ge- ständnis von fünfeinhalb Jahren" nicht<br />

näher treten, weil die Angaben des An-geklagten keine Ermittlungsansätze böten bzw. einer Überprüfung nicht<br />

stand-hielten. Nach einer kurzen Sitzungsunterbrechung gab der Angeklagte durch Verteidigererklärung ein Geständnis<br />

"nach Anklage in vollem Umfang" ab. Im Anschluss hieran gab der Vorsitzende zu Protokoll, dass die<br />

Kammer das Ge- ständnis zur Kenntnis nehme, über die Frage der Sicherungsverwahrung könne jedoch erst nach<br />

Anhörung der Sachverständigen entschieden werden. Darauf-hin wurde die Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung<br />

"zur Vorbereitung eines unaufschiebbaren Antrags" unterbrochen. Sie wurde fortgesetzt, ohne dass ein<br />

solcher Antrag gestellt wurde. Nach weiterer Beweisaufnahme erstat-teten die Sachverständigen am 11. Verhandlungstag<br />

ihre Gutachten, in denen sie sich für die Verhängung der Sicherungsverwahrung aussprachen. Nach Schluss<br />

der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt eine Gesamtfrei-heitsstrafe in Höhe von acht Jahren sowie die<br />

Anordnung der Sicherungsver-wahrung. Die Verteidigung beantragte, die von der Kammer am 2. Verhand-lungstag<br />

in Aussicht gestellten Rechtsfolgen zu verhängen.<br />

2. Die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist einer Ver-ständigung im Strafverfahren nicht zugänglich<br />

(vgl. BGH NStZ-RR 2005, 39; NStZ 2005, 526). Gleichwohl haben die Verfahrensbeteiligten, denen dies be-wusst<br />

war, eine solche Verständigung angestrebt. Sie taten dies im Laufe der Hauptverhandlung sogar auch noch aus sachfremden<br />

Gesichtspunkten (Aufklä-rungshilfe für andere Straftaten). Dieses Vorgehen lief auf eine erhebliche<br />

Rechtsverletzung hinaus. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Anordnung der Maßregel hier nur nach § 66 Abs. 2<br />

StGB in Betracht kam und deshalb im Er-messen der Strafkammer stand. Ein nach einem gerichtlichen Höchststrafange-bot<br />

abgegebenes Geständnis ist - gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt es abge-geben wird - grundsätzlich nicht<br />

geeignet, die Ermessensausübung entschei-dend zu beeinflussen (vgl. BGH NStZ 2005, 526).<br />

Die rechtswidrige Verfahrensweise der Beteiligten vermag - für sich al-lein - eine Verletzung des Rechts auf ein<br />

faires Verfahren nicht zu begründen. Ein Rechtsnachteil hätte dem Angeklagten hieraus nur erwachsen können,<br />

wenn die Strafkammer auf Grund dieser Vorgänge in ihrer Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

nicht mehr unbefangen gewesen wäre. Derartiges hat die Revision nicht vorgetragen noch hatte sie das Geschehen<br />

<strong>zum</strong> Gegenstand eines - insoweit vorgreiflichen (vgl. BGH aaO) - Befangenheitsgesuchs gemacht.<br />

Die Vorgehensweise des Landgerichts hat auch nicht schon allein des-halb, weil sie rechtswidrig ist, zur Konsequenz,<br />

dass das Urteil aufgehoben werden muss. Das würde nämlich dazu führen, dass das Revisionsgericht beanstandenswertes<br />

Verhalten des Tatrichters - ohne Rücksicht auf die Auswir-kungen dieses Verhaltens auf die Verfahrensbeteiligten<br />

- durch die Aufhebung des Urteils "sanktioniert". Der Bundesgerichtshof hat wiederholt und in<br />

unter-schiedlichen Zusammenhängen ausgesprochen, dass das Revisionsgericht den Tatrichter nicht zu "sanktionieren"<br />

oder zu "maßregeln" hat (StV 2004, 196; NStZ-RR 2006, 112, 114 f.; BGHSt 51, 84, 87).<br />

3. Bei einer Revision des Angeklagten ist vielmehr entscheidend, ob bei dieser Vorgehensweise gegen die Grundsätze<br />

des fairen Verfahrens, und zwar <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten, verstoßen wurde. Diesen Verstoß sieht die Revision<br />

darin, dass das Landgericht sich nicht an seine Erklärung vom 2. Ver-handlungstag gehalten und trotz des<br />

Geständnisses die Sicherungsverwahrung angeordnet habe, obwohl der Angeklagte bei Abgabe seines Geständnisses<br />

noch auf die Erklärung vom 2. Verhandlungstag vertrauen konnte. Wäre bewie-sen, dass das Landgericht tatsächlich<br />

352


einen Vertrauenstatbestand geschaffen und der Angeklagte gerade deswegen das Geständnis abgelegt hat, dann läge<br />

freilich der gerügte Verstoß vor, und das hätte zur Aufhebung des Urteils ge-führt.<br />

Der Senat hält es hingegen nicht für erwiesen, dass der Angeklagte das Geständnis im Vertrauen auf eine (weiter<br />

geltende) Zusage, bei einem Ge- ständnis werde keine Sicherungsverwahrung angeordnet, abgelegt hat. Für den<br />

Angeklagten - auf seine Sichtweise kommt es hier an - war vielmehr von Anfang an erkennbar, dass das Gericht zu<br />

einer Verständigung über die Sicherungs-verwahrung nur bei einem frühen Geständnis - vor oder zu Beginn der<br />

Beweis-aufnahme - bereit war; denn ein wesentlicher Zweck der Verständigung war für das Gericht ersichtlich die<br />

Vermeidung einer längeren Beweisaufnahme. Dies wurde dem Angeklagten noch verdeutlicht, als der Vorsitzende<br />

am 5. Verhandlungstag eine Bindung der Kammer an ihre Erklärung vom 2. Ver-handlungstag nur noch bis <strong>zum</strong><br />

nächsten Verhandlungstermin kundtat. Da es - wie die dienstliche Erklärung des Sitzungsstaatsanwalts belegt - dem<br />

auch insoweit anwaltlich beratenen Angeklagten angesichts der auch seinen Verteidigern bekannten Unzulässigkeit<br />

der vorgesehenen Verständigung über die Si-cherungsverwahrung vorrangig auf die Einbindung der Staatsanwaltschaft<br />

an-kam, stand für den weiteren Prozessablauf entscheidend die Frage im Vorder-grund, ob ihm diese Einbindung<br />

- durch Aufklärungshilfe in anderer Sache - ge-lingt. Hiervon hing für den Angeklagten ab, ob es zu der Verständigung<br />

mit dem Gericht kommt. Von dem Gelingen einer Einbindung der Staatsanwaltschaft machte auch die<br />

Strafkammer ersichtlich ihre Entscheidung abhängig, wie sich insbesondere aus ihrem hierauf Bezug nehmenden<br />

Protokollvermerk vom 6. Verhandlungstag ergibt. Nachdem es dem Angeklagten nicht gelungen war, die Zustimmung<br />

der Staatsanwaltschaft zu erhalten, konnte er auf Grund dieses Verfahrensablaufs nicht mehr davon ausgehen,<br />

dass die Kammer doch noch auf ihre ursprüngliche Erklärung vom 2. Verhandlungstag zurückkommt. Jeden-falls<br />

fehlt dem Senat insoweit eine ausreichend sichere Grundlage für eine er-folgreiche Verfahrensrüge. Die tatsächliche<br />

Richtigkeit des Revisionsvortrags, aus dem sich ein verfahrensrechtlicher Verstoß ergeben soll, muss erwiesen sein<br />

und kann nicht lediglich nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklag-ten" unterstellt werden (vgl. BGHSt 16,<br />

164, 167; BGH NStZ 2008, 353).<br />

Im Übrigen hat die Strafkammer durch ihre Protokollerklärung im An-schluss an das Geständnis, das Geständnis<br />

werde zur Kenntnis genommen, über die Frage der Sicherungsverwahrung jedoch erst nach Anhörung der Sachverständigen<br />

entschieden, ihre Haltung bestätigt. Die Verteidigung hat dies auch dahin verstanden, dass das Geständnis<br />

nicht ohne weiteres zur Nichtan-ordnung der Sicherungsverwahrung führt, was sich aus ihrem auf die Erklärung des<br />

Gerichts folgenden Unterbrechungsantrag wegen eines unauf-schiebbaren Antrags (d.h. Befangenheitsantrags) ergibt.<br />

Die Verteidigung hatte daher die Möglichkeit, ihr weiteres prozessuales Vorgehen nach der von der Kammer<br />

vorgesehenen Verfahrensweise auszurichten.<br />

StPO § 261, StGB § 255 DNA Beweiswert<br />

BGH; Beschl. v. 21.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 722/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1159; NStZ <strong>2009</strong>, 285<br />

LS: Jedenfalls bei einem Seltenheitswert im Millionenbereich kann das Ergebnis der DNA-Analyse<br />

wegen der inzwischen erreichten Standardisierung der moleku-largenetischen Untersuchung für die<br />

Überzeugungsbildung des Tatrichters da-hin, dass die gesicherte Tatortspur vom Angeklagten herrührt,<br />

ausreichen, wenn die Berechnungsgrundlage den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs<br />

aufgestellten Anforderungen entspricht.<br />

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Januar <strong>2009</strong> beschlos-sen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 24. September 2008 wird als unbegründet<br />

verwor-fen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrecht-fertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten er-geben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 17. De-zember 2008 bemerkt der Senat:<br />

Zutreffend war das Landgericht vorliegend bereits aufgrund des Ergeb-nisses der DNA-Analyse, wonach mit einem<br />

statistisch errechenbaren Häufig-keitswert von 1:256 Billiarden davon auszugehen ist, dass die Spur vom Angeklagten<br />

herrührt, davon überzeugt, dass die am Tatort gesicherte Hautabrieb-spur vom Angeklagten stammt.<br />

Jedenfalls bei einem Seltenheitswert im Millionenbereich kann wegen der inzwischen erreichten Standardisierung<br />

der molekulargenetischen Untersu-chung das Ergebnis der DNA-Analyse für die Überzeugungsbildung des Tatrich-<br />

353


ters dahin, dass die am Tatort gesicherte DNA-Spur vom Angeklagten herrührt, ausreichen, wenn die Berechnungsgrundlage<br />

den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 38, 320, 322 ff.) aufgestellten Anforderungen<br />

entspricht. Davon unabhängig hat das Tatgericht die Frage zu beurteilen, ob zwischen der DNA-Spur und der<br />

Tat ein Zusammenhang besteht.<br />

StPO § 261, StGB § 64 Zur Übernahme der Ergebnisse einer kriminalpolizeilichen "Täteranalyse"<br />

durch das Gericht<br />

BGH, Beschl. v. 16.12.2008 – 3 StR 453/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 284<br />

Zur Übernahme der Ergebnisse einer kriminalpolizeilichen "Täteranalyse" durch das Gericht.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Kiel vom 8. Juli 2008 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben<br />

ist.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen not-wendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer<br />

des Landge-richts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tat-einheit mit schwerer Körperverletzung sowie<br />

wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die<br />

Verletzung formellen und materiellen Rechts.<br />

1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in<br />

einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit<br />

seinem 15. Lebensjahr in zunehmendem Maße Haschisch, Kokain, Heroin und Tabletten. An die dafür notwendigen<br />

finanziellen Mittel gelangte er über-wiegend durch Straftaten. Nachdem er im Jahre 2004 eine Therapie gemäß § 35<br />

BtMG absolviert hatte, wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewäh-rung ausgesetzt. Während der Bewährungszeit<br />

konsumierte er jedoch weiterhin Cannabis. Die erste verfahrensgegenständliche Tat im November 2006<br />

beging er in der Hoffnung, Geld zu finden, um damit u. a. Heroin zu kaufen. Auch zur Zeit der zweiten Tat im Februar<br />

2007 konsumierte der Angeklagte Heroin. Bei der Straf<strong>zum</strong>essung hat das Landgericht den Drogenkonsum des<br />

Angeklagten strafmildernd gewürdigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er unter dem ständigen<br />

Druck stand, sich Geld zur Finanzierung seiner Drogen beschaffen zu müssen, was seine Hemmschwelle zur<br />

Begehung krimi-neller Taten tendenziell herabgesetzt habe. Unter diesen Umständen liegt es nahe, dass die Taten auf<br />

einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies drängte zu der<br />

Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gege-ben sind.<br />

Die vom Landgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 StGB in<br />

der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt<br />

vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend anzuordnen ist. Denn das Tatgericht<br />

muss das ihm nunmehr einge-räumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen<br />

kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen,<br />

dass die Maßregelanordnung je-denfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten<br />

Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).<br />

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht<br />

(BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem<br />

Rechtsmittelangriff ausgenommen. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt<br />

bedarf es in der neuen Hauptverhandlung der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO).<br />

Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht<br />

bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe<br />

verhängt hätte.<br />

2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sin-ne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat bemerkt<br />

ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift:<br />

354


a) Die Strafkammer hat sich hinsichtlich des Raubüberfalls vom 12. Feb-ruar 2007 unter anderem deswegen von der<br />

Täterschaft des Angeklagten über-zeugt, weil der Zeuge K. als Täter nicht in Betracht komme. Hierzu hat sie sich<br />

auch auf eine "Täteranalyse des Landeskriminalamts" gestützt. Danach müsse es sich um "einen strukturiert handelnden<br />

Täter gehandelt haben, der erfahren mit Einbruchs- und Raubdelikten" sei (UA S. 22). Die Analyse beschreibe<br />

ihn als "Person mit Erfahrungen im Einsatz von körperlicher Gewalt, wobei Körperverletzungs- und Raubdelikte<br />

zu vermuten sind, Erfahrung bei der Begehung von Einbruchs- und Diebstahlstaten und sicherer und kontrollierter<br />

Bewegung in einem fremden Objekt, fachgerechter Einsatz von Einbruchswerk-zeug, gezielter Auswahl des<br />

Stehl- und Raubgutes. Dabei wirkt die Tat nicht wie eine Beschaffungskriminalität, sondern eher wie eine kontrollierte<br />

Berufsaus-übung" (UA S. 29). Dem schließe sich die Kammer an. Die Merkmale träfen auf den Angeklagten,<br />

nicht dagegen auf den Zeugen K. zu.<br />

Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es sich ohne eigene Prüfung und Bewertung dem Ergebnis<br />

der "Täteranalyse" angeschlos-sen hat; denn auf welchen Tatsachen und Erfahrungssätzen die Erkenntnis be-ruht,<br />

dass der Täter strukturiert gehandelt habe, er erfahren in der Begehung von Körperverletzungs-, Einbruchs- und<br />

Raubdelikten gewesen sein müsse und die Tat nicht wie Beschaffungskriminalität, sondern wie kontrollierte Berufsaus-übung<br />

wirke, lässt sich dem Urteil ebenso wenig entnehmen wie eine eigen-ständige Überzeugungsbildung des<br />

Landgerichts. Eine solche ist jedoch uner-lässlich.<br />

Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Es obliegt allein ihm, die für<br />

den Urteilsspruch relevanten Tatsa-chen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten<br />

und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden. Soweit die Ermitt-lung der Tatsachen besonderer Sachkunde<br />

bedarf, über die das Gericht nicht verfügt, hat es sich diese durch einen Sachverständigen vermitteln zu lassen.<br />

Gleiches gilt, soweit die Erfahrungssätze, aufgrund derer die festgestellten Tat-sachen zu bewerten sind oder die den<br />

Schluss von diesen auf andere Sachver-halte ermöglichen, außerhalb der Sachkunde des Gerichts liegen. Hierauf ist<br />

der Sachverständigenbeweis indes beschränkt. Das Gericht verfehlt daher die ihm nach § 261 StPO obliegende Aufgabe,<br />

wenn es Feststellungen und Beur-teilungen eines Sachverständigen ungeprüft und ohne eigene Bewertung des<br />

Beweisergebnisses übernimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Schlussfolgerungen handelt, die nach<br />

den zur Anwendung zu bringenden Erfah-rungssätzen nicht zwingend sind, sondern nur Wahrscheinlichkeitsaussagen<br />

mit mehr oder weniger großer Richtigkeitsgewähr zu liefern vermögen. Ob die Schlussfolgerung aufgrund eines<br />

derartigen Erfahrungssatzes zu ziehen ist, entscheidet nur das Gericht.<br />

Hier bedeutet dies: Darüber, ob der Raubüberfall vom 12. Februar 2007 durch einen strukturiert handelnden Täter<br />

verübt wurde, der über Erfahrung im Einsatz körperlicher Gewalt und bei der Begehung von Diebstahls-, Einbruchsund<br />

Raubdelikten verfügte, ob er sich sicher und kontrolliert in dem ihm frem-den Haus des Tatopfers bewegte, ob er<br />

Einbruchswerkzeug fachgerecht <strong>zum</strong> Einsatz brachte und seine Beute gezielt auswählte und ob das Tatbild eher für<br />

"kontrollierte Berufsausübung" als für Beschaffungskriminalität spricht, hatte ausschließlich das Gericht auf der<br />

Grundlage der Bewertung der für die Beurtei-lung dieser Fragen maßgeblichen Fakten und Erfahrungssätze zu befinden.<br />

Zu deren Ermittlung hatte es sich gegebenenfalls sachverständiger Hilfe zu bedie-nen. Deren Bewertung<br />

konnte ihm dagegen nicht durch eine "Täteranalyse" abgenommen werden, die lediglich das Ergebnis der eigenständigen<br />

Beurtei-lung des Ermittlungsergebnisses durch Mitarbeiter einer Polizeibehörde vermit-telt. Derartige Täteranalysen,<br />

operative Fallanalysen etc. mögen für die Ermitt-lungsarbeit der Polizei durchaus hilfreich sein. Im Strafprozess<br />

ist ihnen gegen-über jedoch die eigenständige, unabhängige Überzeugungsbildung der Gerichte zu wahren<br />

(vgl. auch BGH NStZ 2006, 712 f.).<br />

Im Hinblick auf das sonstige Beweisergebnis und die übrigen Beweiser-wägungen des Landgerichts kann der Senat<br />

aber ausschließen, dass das Urteil auf der etwaigen fehlerhaften Übernahme der Aussagen der "Täteranalyse" beruht.<br />

b) Das Landgericht hat den Tatbestand der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 5. Alt. StGB) zu Recht<br />

bejaht. Die von der Geschädigten A. durch die Tat vom 12. Februar 2007 erlittene Agnosie (Gesichtsblindheit)<br />

stellt eine Behinderung im Sinne dieser Vorschrift dar. Aus dem Wortzusam-menhang ("geistige Krankheit oder<br />

Behinderung") und der Regelung körperli-cher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs folgt, dass<br />

hierunter nur eine geistige Behinderung fällt (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 226 Rdn. 13; Hirsch in LK 11. Aufl. §<br />

226 Rdn. 25 jeweils m. w. N.). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der<br />

Gehirn-tätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder,<br />

StGB 27. Aufl. § 226 Rdn. 7). Diese Voraus-setzungen sind nach den Feststellungen erfüllt, da die<br />

Geschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigung keine Erinnerung an Personen hat und es ihr nicht mög-lich ist, Personen,<br />

auch wenn diese <strong>zum</strong> engsten persönlichen Umfeld gehören, an den Gesichtern zu erkennen.<br />

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 16. Dezember 2008 hat dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen.<br />

355


StPO § 261, WaffG § 52 Beweiswürdigung fehlerhaft<br />

BGH, Beschl. v. 25.11.2008 – 5 StR 491/08 - StV <strong>2009</strong>, 174<br />

Einzelfall einer fehlerhaften Beweiswürdigung.<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2008 beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. April 2008 gemäß § 349 Abs. 4<br />

StPO mit den Feststellungen, soweit es die Tat vom 31. Juli 2007 (Fall 1 der Urteilsgründe) <strong>zum</strong> Gegenstand hat,<br />

und im Aus-spruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als<br />

unbegründet verworfen.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zu-rückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen – im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen –<br />

(besonders) schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem unerlaub-tem Führen<br />

einer Waffe (Fall 1) sowie wegen unerlaubten Besitzes von Muni-tion (Fall 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Falls 1 der Urteilsgründe (Tat vom 31. Juli<br />

2007) und damit auch hinsichtlich der Gesamtstrafe mit der Sachrüge Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.<br />

I.<br />

1. Das Landgericht hat hinsichtlich der Tat vom 31. Juli 2007 folgende Feststellungen getroffen:<br />

Der 43-jährige Angeklagte, bei dem eine deutliche intellektuelle Ein-schränkung (IQ zwischen 58 bis 63) und Hinweise<br />

auf eine organisch beding-te Hirnleistungsschwäche bestehen, beschloss spätestens im Juli 2007, den „Reiseshop<br />

P. “ zu überfallen. Aufgrund einer früheren eigenen Tätigkeit in dem Geschäft und seiner seit mehreren<br />

Jahren bestehenden Freundschaft mit dem Geschädigten, einem dort angestellten Verkäufer, wusste er, dass die Tageseinnahmen<br />

in einem Tresor im Büroraum des Geschäfts aufbe-wahrt werden und sich vor allem gegen Ende des<br />

Monats in der Regel dort eine größere Geldmenge befindet. Er sprach den ihm bekannten gesondert verfolgten Y. an.<br />

Mit der wahrheitswidrigen Behauptung, dass der Geschädigte ihm Geld schulde, fragte er Y. , ob dieser mit<br />

seinen Bekannten bereit wäre, ihm gegen eine Belohnung von 500 € bei der Erlan-gung des Geldes behilflich zu<br />

sein. Tatsächlich schuldete er selbst dem Ge-schädigten 3.700 €. Einige Wochen vor der Tat hatte er ihn erfolglos<br />

gebe-ten, ihm weitere 8.000 € zu leihen. Nachdem sich Y. und der bei dem Gespräch anwesende, ebenfalls gesondert<br />

verfolgte A. zur Durchfüh-rung der Tat bereit erklärt hatten, übergab der Angeklagte ihnen ein Elektroschockgerät<br />

und einen Teleskopschlagstock. Dabei rechnete er damit, dass diese Waffen auch gegen den Geschädigten<br />

eingesetzt werden würden. Darüber hinaus wies er beide an, bei der Tat Gesichtsmasken und Latex-handschuhe<br />

zu tragen, die er ihnen ebenfalls übergab. Das Angebot, ihnen auch eine „scharfe“ Waffe mitzugeben, lehnte Y. ab.<br />

Bei einem wei-teren Treffen übergab der Angeklagte dem Y. allerdings eine unge-ladene Gaspistole. Y. und<br />

A. brachen anschließend mit weite-ren Begleitern <strong>zum</strong> „Reiseshop P. “ auf, gaben auf dem Weg dorthin den<br />

Tatplan jedoch zunächst auf.<br />

Bei einem Treffen am Folgetag ließen sich Y. und A. schließlich doch vom Angeklagten zur Durchführung<br />

des Überfalls überre-den. Dabei schlug der Angeklagte vor, dass er sich ebenfalls „wie zufällig“ in dem Geschäft<br />

aufhalten und als scheinbares Opfer beruhigend auf den Ge-schädigten einwirken könne, um diesen leichter zur Herausgabe<br />

des Geldes zu bewegen. Dem stimmten die gesondert Verfolgten zu. Bei einem weiteren Treffen kurz vor<br />

der durchzuführenden Tat erklärte der Angeklagte jedoch, dass er doch nicht mit im Laden anwesend sein werde,<br />

ihnen aber zwei „Be-gleiter“ mitschicke. Eine genaue Absprache über die Rollenverteilung vor Ort wurde nicht getroffen.<br />

Auf dem Weg <strong>zum</strong> „Reiseshop P. “ kam der eben-falls gesondert verfolgte K. dazu. Y. teilte<br />

die am Vortag vom Angeklagten erhaltenen Gegenstände zwischen sich, A. und K. auf.<br />

Beim nächtlichen Erstürmen des Ladens, das von einer Überwa-chungskamera im Geschäft gefilmt wurde, schlug K.<br />

sofort mit dem Teleskopschlagstock in Richtung des Kopfes des Geschädigten, den er je-doch lediglich an der Schulter<br />

traf, und zerrte ihn gemeinsam mit A. in den hinteren Verkaufsbereich; beide schlugen gemeinsam auf den<br />

Geschä-digten ein, wobei auch das eingeschaltete Elektroschockgerät zur Bedrohung des Opfers <strong>zum</strong> Einsatz kam.<br />

356


Y. bedrohte mit der ungeladenen Gas-pistole die Ehefrau des Geschädigten und zwang sie, die Kasse zu öffnen,<br />

aus der er Bargeld und Telefonkarten entnahm. In dem Tresor, dessen Schlüssel und Geheimzahl der Geschädigte<br />

unter dem Eindruck der Schläge und Drohungen herausgegeben hatte, fanden sie entgegen ihrer Erwartung<br />

lediglich einen Geldbetrag in Höhe von ca. 1.000 €.<br />

Während es A. gelang, das Geschäft zu verlassen, ohne von den nur wenige Sekunden später eintreffenden<br />

Polizeibeamten bemerkt zu werden, wurde K. beim Verlassen des Geschäfts festgenommen. Y. , der dies<br />

gesehen und zunächst versucht hatte, sich zu verstecken, ließ sich ebenfalls noch am Tatort widerstandslos festnehmen.<br />

A. wur-de am selben Tag festgenommen, nachdem K. und Y. seinen Namen in ihrer verantwortlichen<br />

Vernehmung preisgegeben hatten.<br />

2. Wegen dieser Tat sind die gesondert verfolgten Y. , A. und K. – nach Abtrennung des Verfahrens<br />

gegen den Angeklag-ten – am 13. Februar 2008 wegen (besonders) schweren Raubes in Tatein-heit mit gefährlicher<br />

Körperverletzung und vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer Waffe zu Jugendstrafen von vier Jahren bzw.<br />

drei Jahren und acht Mo-naten verurteilt worden. Die Kammer hat der Verurteilung einen den Feststel-lungen im<br />

hiesigen Verfahren identischen Sachverhalt zugrunde gelegt. Das Urteil ist nach Verwerfung der Revisionen von Y.<br />

und A. durch den Senat mit Beschluss vom 4. September 2008 (5 StR 363/08) rechtskräf-tig.<br />

3. Den Angeklagten sieht die Kammer angesichts des Gewichts seiner Tatbeiträge und seines Interesses an einem<br />

Taterfolg als Mittäter. Darüber hinaus wertet sie im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung als „erheblich strafschär-fend“,<br />

dass die vom Angeklagten ausgehende Tatplanung ein hohes Maß an krimineller Energie erkennen lasse, insbesondere<br />

vor dem Hintergrund, dass er den drei gesondert Verfolgten zahlreiche Waffen und Werkzeuge für die Tatbegehung<br />

übergeben habe und daher mit der besonders brutalen Tataus-führung zu rechnen gewesen sei.<br />

II.<br />

1. Die den Feststellungen des Urteils zu Umfang und Gewicht des Tatbeitrags des Angeklagten zugrunde liegende<br />

Beweiswürdigung hält revi-sionsrechtlicher Überprüfung nicht stand (vgl. BGHR StPO § 261 Beweis-würdigung 2<br />

und Überzeugungsbildung 33).<br />

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, dass ein für den Angeklagten ungünstiger Sachverhalt nicht festgestellt<br />

werden darf, wenn Umstände vorliegen oder auch nur als nicht widerlegbar zugunsten des An-geklagten<br />

angenommen werden müssen, die bei objektiver Betrachtung zu vernünftigen Zweifeln an der Zuverlässigkeit der<br />

den Angeklagten belasten-den Beweismittel führen. Vernünftige Zweifel können besonders dann auftre-ten, wenn<br />

ein Angeklagter allein oder überwiegend durch Angaben eines Mitangeklagten belastet wird, <strong>zum</strong>al wenn es nahe<br />

liegt, dass der Mitange-klagte sich durch die den anderen belastende Aussage selbst entlasten will (vgl. hierzu BGHR<br />

StPO § 261 Mitangeklagte 1 und Zeuge 5; BGH StV 1990, 533; 1991, 452). Ein solcher Fall liegt hier ungeachtet der<br />

Tatsache vor, dass der Angeklagte von seinen drei früheren Mitangeklagten belastet wird.<br />

a) Der Angeklagte hat seine Beteiligung in der Planungsphase des Überfalls nicht grundsätzlich in Abrede gestellt,<br />

jedoch behauptet, er sei von den gesondert Verfolgten Y. und A. darauf angesprochen worden, dass<br />

sie einen Überfall auf das Geschäft verüben wollten und seine Hilfe benötigten. Er habe Y. erzählt, dass sich im<br />

Büro im Tresor die Tagesumsätze befänden. Zunächst sei ihm gesagt worden, dass er im Laden dabei sein und so tun<br />

könne, als werde er von den Tätern auch geschlagen. Das habe er aber abgelehnt. Dann sei er gefragt worden, ob er<br />

bei der Tat „Schmiere stehen“ wolle. Das habe er zwar zunächst zugesagt, jedoch spä-ter – nachdem er darüber<br />

nachgedacht habe – abgesagt. Y. habe ihn dann am Abend vor der Tat zunächst noch zu überreden versucht;<br />

nach-dem er immer noch nicht auf das Ansinnen eingegangen sei, sei ihm dann versichert worden, dass der Überfall<br />

nicht durchgeführt werde.<br />

Das Landgericht hält diese Einlassung des Angeklagten „schon für sich gesehen für nicht sehr schlüssig und widersprüchlich“<br />

(UA S. 15). So sei überhaupt kein Motiv für die gesondert Verfolgten erkennbar, über die Infor-mation<br />

über das Büro und den Tresor hinaus von dem Angeklagten noch ein „Schmierestehen“ zu verlangen, wobei zudem<br />

völlig unklar geblieben sei, wie dabei eine Kommunikation hätte stattfinden sollen. Mit dem auf der Hand liegenden<br />

Motiv, die eigene Tatbegehung abzusichern, setzt sich das ange-fochtene Urteil ebensowenig auseinander wie mit<br />

der Möglichkeit einer Kommunikation über Handy. Dass alle Beteiligten in der Tatsituation auf ein Handy zugreifen<br />

konnten, wird aus den weiteren Darstellungen des Urteils <strong>zum</strong> Nachtatverhalten des Angeklagten (siehe unten unter<br />

g) deutlich.<br />

b) Die Feststellungen des angefochtenen Urteils <strong>zum</strong> beherrschenden Gewicht der Beiträge des Angeklagten bei der<br />

Planung der Tat stützen sich im Wesentlichen auf die Einlassungen der gesondert Verfolgten in dem ge-gen sie selbst<br />

geführten Strafverfahren. Diese hätten „schlüssig, weitestge-hend übereinstimmend und sich ergänzend“ die Handlungsabläufe<br />

im Zeit-raum unmittelbar vor der Tat entsprechend der getroffenen Feststellungen geschildert (UA S.<br />

16). Für sie sei kein Motiv erkennbar, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten. Insbesondere sei ein solches nicht für<br />

357


den Angeklagten K. ersichtlich, von dem der Angeklagte in seiner Einlassung behauptet habe, von seiner Mitwirkung<br />

an der Tat gar nichts gewusst zu haben. Das naheliegende Motiv, die eigene – aufgrund der erdrückenden<br />

Beweislage nicht zu leugnende – Tatbeteiligung in einem milderen Licht und sich selbst als vom Angeklagten zur<br />

Tat „Verführte“ oder gar „Gezwungene“ erscheinen zu lassen, wird im angefochtenen Urteil nicht erörtert. Nicht<br />

nachvollziehbar ist auch, weshalb insbesondere K. hierfür kein Motiv gehabt haben soll-te. Eine Auseinandersetzung<br />

mit dem Motiv der Selbstentlastung hätte sich gerade auch deshalb aufgedrängt, weil die früheren Mitbeschuldigten<br />

zur Überzeugung des Landgerichts bei ihrer polizeilichen Vernehmung versucht haben, „ihre Tat in<br />

einem etwas milderen Licht zu schildern“ (UA S. 16).<br />

Darüber hinaus drängen sich Zweifel an der Schlüssigkeit des auf-grund der Einlassungen der gesondert Verfolgten<br />

festgestellten Sachverhalts auf: So erscheint es nicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass diese, ob-gleich sie alleine<br />

die gesamte „Last“ und das Risiko der unmittelbaren Tatbe-gehung trugen, sich lediglich mit einer Belohnung von<br />

500 € begnügen soll-ten. Nicht erkennbar wird auch, welche Rolle bei der Tatbegehung die beiden vom Angeklagten<br />

„mitgeschickten“ Begleiter spielten.<br />

c) Die früheren Mitangeklagten haben sich im Rahmen der Hauptver-handlung in dem gegen sie gerichteten Verfahren<br />

durch die Verlesung von schriftlichen Erklärungen über ihre Verteidiger eingelassen. Diesen Einlas-sungen<br />

kommt nur ein begrenzter Beweiswert <strong>zum</strong> Nachteil Dritter zu, <strong>zum</strong>al die früheren Mitbeschuldigten nicht der<br />

Wahrheitspflicht von Zeugen unterla-gen. Selbst wenn ihre Einlassungen in der Hauptverhandlung weitestgehend<br />

übereinstimmten und sich ergänzten, ist dies von eingeschränktem Beweis-wert, da angesichts des fortgeschrittenen<br />

Stadiums des Verfahrens Möglich-keiten zur Abstimmung der Einlassungen bestanden. Insoweit wären <strong>zum</strong>in-dest<br />

der genaue Inhalt und der Zeitpunkt der Einlassungen zu beleuchten gewesen, zu denen das angefochtene Urteil<br />

jedoch keine näheren Angaben macht. Ebenso wäre es im Rahmen der Beweiswürdigung zu bewerten ge-wesen,<br />

falls die Einlassungen allein durch die Verlesung von schriftlichen Erklärungen erfolgten.<br />

d) Der frühere Mitbeschuldigte A. hat bei seiner Vernehmung als Zeuge im vorliegenden Verfahren – angesichts<br />

seiner damals noch nicht rechtskräftigen Verurteilung – von seinem Auskunftsverweigerungsrecht ge-mäß §<br />

55 StPO Gebrauch gemacht (UA S. 20). Das angefochtene Urteil setzt sich indes nicht damit auseinander, inwieweit<br />

aus dieser Auskunftsver-weigerung Schlüsse zugunsten des Angeklagten gezogen werden können. Denn da die<br />

Kammer der Verurteilung des A. bereits dessen Einlas-sung zugrunde gelegt hatte, hätte dieser im Revisionsverfahren<br />

– <strong>zum</strong>al an-gesichts einer nur von ihm selbst, also ausschließlich zu seinen Gunsten eingelegten Revision –<br />

keine Nachteile zu befürchten gehabt, wenn er als Zeuge gleichgerichtete Angaben gemacht hätte. Ob die früheren<br />

Mitbeschul-digten Y. und K. im Verfahren gegen den Angeklagten zeu-genschaftlich vernommen<br />

wurden, teilt das angefochtene Urteil nicht mit.<br />

e) Dass Y. und K. , die bereits kurz nach ihrer Festnah-me den ihnen nur unter seinem Spitznamen „<br />

B. “ bekannten Angeklag-ten als ihren „Auftraggeber“ bezeichneten, sich unmittelbar vor oder nach ihrer Festnahme<br />

untereinander abgesprochen haben könnten, schließt das Landgericht aufgrund nachvollziehbarer Erwägungen<br />

aus, da beide keine Möglichkeiten gehabt hätten, miteinander zu kommunizieren. In diesem Zu-sammenhang würdigt<br />

es auch die – als glaubhaft beurteilte – Aussage der Zeugin An. , dass A. ihr kurz vor seiner Festnahme<br />

von der Tat erzählt und ebenfalls den Angeklagten als Auftraggeber bezeichnet habe. Die übereinstimmende Bezeichnung<br />

des Angeklagten als „Auftraggeber“ durch alle drei Mitverfolgten kurz nach der Tat ist indes so unkonkret<br />

und wenig originell, dass sie auch auf einer spontanen – vom Bestreben um die „Entschuldigung“ der eigenen Tatbeteiligung<br />

getragenen – Übereinstimmung der Angaben beruhen kann. Angesichts der Beteiligung des Angeklagten in<br />

der Planungsphase der Tat lag es für die gesondert Verfolgten nicht fern, ihm zur eigenen Entlastung einen größeren<br />

Tatbeitrag als tatsächlich geleistet zuzuschreiben. Mit dieser Möglichkeit setzt sich das Urteil nicht auseinander. Es<br />

begegnet insoweit durchgreifenden Bedenken, dass die Urteilsgründe eine geschlossene Darstellung der Angaben der<br />

früheren Mitangeklagten und ihrer Entwicklung im Verfahren vermissen lassen. Als Anknüpfungspunk-te für die<br />

Würdigung, es handele sich um schlüssige, weitestgehend überein-stimmende und sich ergänzende Schilderungen<br />

des Vorgeschehens der Tat, werden nur dürftige Bestandteile der Einlassungen mitgeteilt. Ausmaß und Wert der<br />

Übereinstimmungen lassen sich deswegen nicht nachvollziehbar beurteilen.<br />

Hinzu kommt, dass die Angaben der früheren Mitangeklagten A. und K. zur Rolle des Angeklagten bei<br />

der Tatplanung im Hinblick darauf zu hinterfragen waren, inwieweit ihre Angaben überhaupt auf eigener Wahrnehmung<br />

beruhten. Denn nach den Feststellungen fand das erste Ge-spräch zur Tatplanung auf Deutsch unmittelbar nur<br />

zwischen dem Angeklag-ten und Y. statt, der dem anwesenden A. anschließend auf tschetschenisch darüber<br />

berichtete (UA S. 8). K. war bei diesem Ge-spräch nicht anwesend. Ihm berichtete Y. erst kurz vor<br />

einem weite-ren Treffen der Beteiligten am Abend vor der Tat „in knappen Worten auf deutsch, worum es gehen<br />

358


wird“. Welche der festgestellten Tatsachen A. und K. aufgrund eigener Wahrnehmung und nicht lediglich<br />

auf-grund von Informationen des Y. geschildert haben, bleibt unklar.<br />

f) Die Aussage des Zeugen S. , die das angefochtene Urteil als zu-sätzlich belastend für den Angeklagten wertet,<br />

gibt zu Umfang und Gewicht seines Tatbeitrags nichts her. Danach habe der Angeklagte ihm gesagt, dass er einen<br />

Überfall geplant und „Scheiße“ gebaut habe. Dass er an der Pla-nung des Überfalls beteiligt war, hat der Angeklagte<br />

indes selbst nicht bestrit-ten.<br />

g) Zum Nachtatverhalten des Angeklagten hat das Landgericht auf-grund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung festgestellt,<br />

dass er noch in der Tatnacht unmittelbar nach der Tat versucht habe, Y. auf dessen Handy anzurufen,<br />

und dass er der Freundin Y. s, der Zeugin A. , 50 € für einen Anwalt übergeben habe. Die vom Angeklagten<br />

hierzu gegebene Schilderung, er habe auf Veranlassung der An. und des A. angerufen und der<br />

Zeugin das Geld für den Anwalt auf deren Ver-langen gegeben, hält die Kammer für widerlegt. Dies ist revisionsrechtlich<br />

nicht zu beanstanden. Das Landgericht erkennt, dass das Angebot des An-geklagten an die Zeugin An.<br />

nicht unmittelbar auf seine Beteiligung an der Tat hindeutet, sich aber ohne weiteres damit vereinbaren lässt; ein<br />

solches Verhalten erscheine dagegen „im Falle seiner Unschuld“ nicht plau-sibel. Diese Würdigung behält nicht im<br />

Auge, dass der Angeklagte eine Be-teiligung an der Planung der Tat im Grundsatz eingeräumt hat, also keine Frage<br />

von „Schuld oder Unschuld“ des Angeklagten zu entscheiden ist. In der Aussage der Zeugin An. , A. habe ihr<br />

erzählt, dass der An-geklagte sie – die gesondert Verfolgten – „verarscht“ und seine „Aufgabe nicht erfüllt“ hätte,<br />

weswegen sie aufgeflogen seien (UA S. 20), deutet sich die Möglichkeit eines Geschehensablaufs an, der das Nachtatverhalten<br />

des Angeklagten weitgehend unabhängig von Art und Ausmaß seiner Tatbeteili-gung erklären würde.<br />

Mit dieser Möglichkeit setzt sich das Urteil nicht aus-einander.<br />

h) Die Beschäftigung des angefochtenen Urteils mit der kritischen Frage, ob dem Angeklagten „die Tat“ auch unter<br />

Berücksichtigung seiner Minderbegabung zuzutrauen sei, greift zu kurz. Hier wird lediglich darauf ab-gestellt, dass<br />

die Tat so, wie sie letztlich durchgeführt wurde, keine beson-ders hohe Denkleistung erfordere (UA S. 22). Nach den<br />

Feststellungen leis-tete der Angeklagte in der Planungsphase jedoch erhebliche organisatori-sche Beiträge, indem er<br />

die gesondert Verfolgten mit mehreren verschiede-nen Waffen versorgte, ihnen sogar eine „scharfe“ Waffe anbot<br />

und ihnen bei der Tatbegehung Begleiter „mitschickte“. Die dem Angeklagten zugeschrie-bene Idee, selbst als<br />

scheinbares Opfer vor Ort anwesend zu sein, um beru-higend auf den Geschädigten einzuwirken, erfordert überdies<br />

eine gewisse Intelligenzleistung. Die Frage, ob der Angeklagte <strong>zum</strong> Entwickeln einer sol-chen Idee geistig in der<br />

Lage war, stellt das angefochtene Urteil nicht.<br />

2. Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Führens einer Waffe verurteilt wurde, weist der Senat darauf hin, dass<br />

es hierbei auf die Aus-übung der tatsächlichen Gewalt ankommt. Der Täter muss die Möglichkeit haben, nach eigenem<br />

Willen auf die Waffe einzuwirken oder über sie zu ver-fügen (Steindorf, Waffenrecht 8. Aufl. § 1 WaffG Rdn.<br />

46; Runkel in Hinze Waffenrecht § 1 WaffG Rdn. 160). Das Führen muss eigenhändig verwirklicht werden; es findet<br />

keine Zurechnung des Führens an Tatbeteiligte statt, die selbst keine Zugriffsmöglichkeit haben (BGH NStZ 1997,<br />

604, 605).<br />

3. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass im angefochtenen Ur-teil § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB versehentlich<br />

mitbenannt wurde.<br />

StPO § 264 Zum Begriff der prozessualen Tat<br />

BGH, Beschl. v. 09.04.2008 – 3 StR 86/08 - BGHR StPO § 264 I Tatidentität 44<br />

Zum Begriff der prozessualen Tat i.S.d. § 264 StPO.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 23. November 2007 wird<br />

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Diebstahls verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung<br />

fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,<br />

b) das vorgenannte Urteil dahin geändert, dass der Ange-klagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe<br />

von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wird.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstande-nen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

359


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren und acht Monaten (Einzelstrafen: drei Jahre und sechs Monate sowie vier Monate) verurteilt.<br />

Die hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde begründete Revision des Angeklagten<br />

hat einen Teilerfolg; soweit der Ange-klagte wegen Diebstahls verurteilt worden ist, ist das Verfahren wegen<br />

eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§ 206 a StPO).<br />

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu Folgendes ausgeführt:<br />

"Bei der Wegnahme des Handys handelt es sich um eine eigene prozes-suale Tat i.S.d. § 264 StPO, die nicht von der<br />

Anklage umfasst war und deshalb von der Kammer nicht abgeurteilt werden durfte.<br />

Zur Tat im prozessualen Sinn gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen<br />

einheitlichen Lebensvorgang dar-stellt (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 264 Rdnr. 2 mit Nachweisen der<br />

st.Rspr.). Liegen, wie hier von der Strafkammer rechtsfehlerfrei angenommen (UA S. 34), zwei materiell rechtlich<br />

selbständige Taten vor, wird es sich regel-mäßig auch um zwei prozessuale Taten handeln (vgl. BGHR StPO § 264<br />

Abs. 1 Tatidentität 3 m.w.N.), es sei denn, die einzelnen Handlungen sind innerlich derart miteinander verknüpft,<br />

dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände richtig gewürdigt werden kann,<br />

die zu der anderen Handlung geführt haben, und dass die getrennte Aburteilung einen einheitlichen Lebensvorgang<br />

unnatürlich aufspalten würde (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdnr. 6; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 34 m.w.N.).<br />

Vorliegend sprechen lediglich die örtliche und zeitliche Nähe der beiden Handlungen für das Vorliegen nur einer<br />

prozessualen Tat. Dies reicht nicht aus, erforderlich ist vielmehr ein sachlicher Zusammenhang (BGHR StPO § 264<br />

Abs. 1 Tatidentität 36). Es lagen hier aber weder eine gleichartige Angriffsrich-tung noch dasselbe Tatobjekt oder<br />

eine deliktsimmanente Verbindung der Handlungen (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO Rdnr. 2a m.w.N.) noch eine Überschneidung<br />

im äußeren Ablauf der Taten (vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tat-identität 34) vor. Nach den Feststellungen<br />

war der körperliche Angriff des An-geklagten auf den Zeugen beendet, nachdem diesem die Flucht aus der Wohnung<br />

gelungen war. Der Angeklagte kehrte lediglich in das Arbeitszimmer des Geschädigten, in dem er diesen angegriffen<br />

hatte, zurück, um seinen dort noch liegenden Bauchbeutel zu holen und mit diesem den Tatort zu verlassen<br />

(UA S. 11 f.). Als der Angeklagte das Handy des Geschädigten auf dem Schreib-tisch liegen sah, fasste er einen<br />

völlig neuen Tatentschluss (vgl. UA S. 34; zur Bedeutung des neuen Tatentschlusses im Hinblick auf eine neue prozessuale<br />

Tat vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 29 m.w.N.). Der Wegnahmevor-satz war auch - anders als<br />

der Körperverletzungsvorsatz - nach den Feststel-lungen nicht durch den Ärger über den Geschädigten motiviert, es<br />

ging dem Angeklagten nicht um eine 'weitere Schädigung des Zeugen mit anderen Mit-teln'. Die Kammer hat lediglich<br />

festgestellt, dass der Angeklagte die Gelegen-heit nutzte, sich ein funktionierendes Handy zu verschaffen, während<br />

sein eige-nes nicht mehr funktionsfähig war (UA S. 9, 12, 36).<br />

Es kommt hinzu, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren hinsichtlich der Diebstahlstat gemäß § 154 Abs. 1 StPO<br />

eingestellt hatte. Selbst wenn es sich - hypothetisch - prozessual um dieselbe Tat gehandelt hätte, so dass keine<br />

Nachtragsanklage erforderlich gewesen wäre, fehlte es an der erforderlichen Wiederaufnahme des Verfahrens. Ein<br />

solcher actus contrarius war hier nicht gegeben, <strong>zum</strong>al die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft lediglich auf eine<br />

Verurteilung wegen einer Tat der gefährlichen Körperverletzung angetragen hat (Bl. 150 Bd. II d.A.). Auch die<br />

fehlende Wiederaufnahme nach einer Verfah-renseinstellung gemäß § 154 StPO stellt ein Verfahrenshindernis dar<br />

(vgl. Mey-er-Goßner aaO Rdnr. 22a)."<br />

Dem stimmt der Senat zu.<br />

Im verbleibenden Umfang der Verurteilung hat die Überprüfung des Ur-teils aufgrund der Revisionsrechtfertigung<br />

keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

StPO § 264 Abs. 1, StGB § 316, BtMG Strafklageverbraucxh durch Strafbefehl, Tatidentität<br />

BGH, Beschl. v. 05.03.<strong>2009</strong> – 3 StR 566/08<br />

Zur Tatidentität zwischen einer Trunkenheitsfahrt und dem gleichzeitig verwirklichten Besitz von<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wenn die Fahrt gerade dem Transport der Drogen<br />

dient.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts und des Beschwerdeführers<br />

am 5. März <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO beschlossen:<br />

360


Auf die Revision des Angeklagten wird Urteil des Landgerichts Kiel vom 22. September 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben und das Verfahren eingestellt.<br />

Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstande-nen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur<br />

Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer mit<br />

Strafbefehl des Amtsgerichts Kiel vom 31. Oktober 2007 verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerich-tete Revision des Angeklagten hat Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur<br />

Einstellung des Verfahrens, da die Strafklage durch den genannten Strafbefehl verbraucht ist und somit ein Verfahrenshindernis<br />

besteht.<br />

1. a) Mit Strafbefehl vom 31. Oktober 2007 erkannte das Amtsgericht Kiel gegen den Angeklagten wegen fahrlässigen<br />

Führens eines Fahrzeugs un-ter dem Einfluss berauschender Mittel gemäß § 316 Abs. 1, 2 StGB auf eine Geldstrafe<br />

von 30 Tagessätzen zu je 40 €; daneben wurde ihm die Fahrerlaub-nis entzogen und eine Sperrfrist für deren<br />

Wiedererteilung angeordnet. Nach den Feststellungen des Strafbefehls befuhr der Angeklagte am 22. Juni 2007 gegen<br />

17.45 Uhr mit seinem PKW die Kaiserstraße in Kiel. Er schwankte beim Aussteigen aus dem PKW und konnte<br />

nur mittels eines Ausfallschritts einen Sturz verhindern. Verbale Auskünfte fielen verwaschen und "stolpernd" aus.<br />

Die ihm um 18.38 Uhr entnommene Blutprobe enthielt aufgrund vorangegangenen Betäubungsmittelkonsums Kokainabbauprodukte.<br />

b) Mit Anklageschrift vom 21. Februar 2008 wurde dem Angeklagten im hiesigen Verfahren vorgeworfen, in Kiel<br />

am 21. Juni 2007 und danach mit Be-täubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und dabei<br />

einen Gegenstand mit sich geführt zu haben, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt<br />

gewesen sei. Danach erhielt der Ange-klagte am 21. Juni 2007 ca. 100 Gramm Heroin <strong>zum</strong> gewinnbringenden Weiter-verkauf.<br />

Anlässlich einer Überprüfung am 22. Juni 2007 gegen 17.45 Uhr in der Kaiserstraße in Kiel wurden in<br />

seinem Besitz noch insgesamt 81,44 Gramm Heroin sowie ein Klappmesser mit zwei Klingen aufgefunden und sichergestellt.<br />

c) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklag-te am 21. und 22. Juni 2007 regelmäßig<br />

Kokain. Am Mittag des 22. Juni 2007 traf er sich mit einem Rauschgiftdealer und erhielt von diesem knapp 100<br />

Gramm Heroin sowie ein Streckmittel. Der Angeklagte führte ein Filetiermesser mit zwei Klingen mit sich. Er fuhr<br />

zu der Wohnung seiner Bekannten W. und J. und überließ <strong>zum</strong>indest W. aus Freundschaft einen Teil<br />

des Heroins. W. bedeutete dem Angeklagten, dass er das restliche Rauschgift keinesfalls bei sich in der Wohnung<br />

lagern bzw. ansonsten übernehmen wolle. Notgedrungen nahm der Angeklagte deshalb die restlichen 81,44 Gramm<br />

He-roin wieder an sich, verließ gegen 17.00 Uhr die Wohnung und begab sich zu seinem PKW. Auf eine entsprechende<br />

Bitte des J. nahm er diesen ein kurzes Stück mit. Der Angeklagte konnte sich beim Führen des Fahrzeugs<br />

kaum noch wach halten und fiel zwei Polizeibeamten auf. Diese überprüften ihn gegen 17.45 Uhr in der Kaiserstraße<br />

in Kiel; dabei fanden sie das in seiner Ho-se mitgeführte Heroin sowie das Klappmesser.<br />

d) Das Landgericht hat ausgeführt, die Rechtskraft des amtsgerichtlichen Strafbefehls stehe der Bestrafung des Angeklagten<br />

im hiesigen Verfahren nicht entgegen. Das Verfolgungshindernis des Strafklageverbrauchs liege nicht vor;<br />

es handele sich nicht um dieselbe Tat im materiellen oder prozessualen Sinne. Zwischen dem Fahren unter dem Einfluss<br />

berauschender Mittel nach § 316 StGB und dem Sichverschaffen bzw. der Abgabe von Betäubungsmitteln bestehe<br />

keine Tateinheit i. S. d. § 52 StGB. Die Betäubungsmitteldelikte seien schon vollendet gewesen, als der Angeklagte<br />

das Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe. Der weiter gegebene unerlaubte Besitz der Betäubungsmittel<br />

sei subsidiär und habe deshalb keine eigenständige Bedeutung. Die beiden Taten seien auch prozessual selbstständig,<br />

weil ein erkennbarer Beziehungs- und Be-dingungszusammenhang nicht gegeben sei. Der Angeklagte habe das<br />

Rausch-gift nur gelegentlich der "Trunkenheitsfahrt" weiter mit sich geführt.<br />

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Strafbefehl des Amtsgerichts Kiel betrifft dieselbe Tat wie das<br />

vorliegende Verfahren; durch ihn ist deshalb Strafklageverbrauch hinsichtlich des Tatgeschehens eingetreten, das<br />

Gegenstand des landgerichtlichen Urteils ist. Der Angeklagte darf somit nach Art. 103 Abs. 3 GG wegen der von<br />

ihm begangenen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden.<br />

Der Begriff der Tat i. S. d. Art. 103 Abs. 3 GG richtet sich nach der ver-fahrensrechtlichen Bestimmung des § 264<br />

StPO (vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 8) und ist somit als der geschichtliche sowie damit zeitlich und<br />

sachverhaltlich begrenzte Vorgang zu verstehen, auf welchen Anklage und Er-öffnungsbeschluss hinweisen und<br />

innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Der materiell-rechtliche<br />

und der prozessuale Tatbegriff stehen indes nicht völlig beziehungs-los nebeneinander. Vielmehr<br />

361


stellt ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit zusammengefasster Sachverhalt in der Regel auch verfahrensrechtlich<br />

eine einheitliche prozessuale Tat dar. Umgekehrt bilden mehrere im Sinne von § 53 StGB sachlichrechtlich<br />

selbstständige Handlungen grundsätzlich nur dann eine einheitliche prozessuale Tat, wenn die einzelnen Handlungen<br />

nicht nur äußer-lich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zu Grunde liegenden Vor-kommnisse unter<br />

Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch inner-lich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts-<br />

und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben,<br />

richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Abur-teilung als unnatürliche Aufspaltung eines<br />

einheitlichen Lebensvorgangs emp-funden würde (vgl. BVerfG, Beschl. vom 16. März 2006 - 2 BvR 111/06; BGHR<br />

StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 25, 45). Hieraus folgt:<br />

Die vom Angeklagten begangene Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1, 2 StGB) und der von ihm gleichzeitig verwirklichte<br />

Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) stehen - <strong>zum</strong>indest - im<br />

Verhältnis prozessualer Tatidentität im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Allerdings besteht zwischen diesen Delikten<br />

dann keine verfahrensrechtliche Identität, wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel in keinem inneren Beziehungs-<br />

bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht (vgl. BGH NStZ 2004, 694, 695 zu § 24 a Abs.<br />

2 StVG mit Anm. Bohnen). Anders liegt dies aber, wenn die Fahrt gerade dem Transport der Drogen dient, also<br />

etwa den Zweck verfolgt, sie an einen sicheren Ort zu bringen. So war es hier: Der Ange-klagte war nach den Feststellungen<br />

des Landgerichts aufgrund der Weigerung des W. gezwungen, das Rauschgift aus der Wohnung fortzuschaffen<br />

und an einen anderen Ort zu verbringen. Die Fahrt mit dem PKW diente deshalb primär dem Transport<br />

der Betäubungsmittel. Der somit gegebene innere Bezie-hungszusammenhang zwischen dem Führen des Kraftfahrzeugs<br />

und dem Be-sitz des Heroins wird auch nicht dadurch aufgelöst, dass der Angeklagte sich aus Gefälligkeit<br />

bereit erklärte, zunächst den J. zu einem bestimmten Ort in Kiel mitzunehmen. Hauptsächlicher Zweck der<br />

Fahrt war vielmehr weiterhin das Verbringen des Rauschgifts weg von der Wohnung hin zu einem vermeint-lich<br />

sicheren Ort.<br />

Ob darüber hinaus in einem derartigen Fall zwischen der Trunkenheits-fahrt und dem Betäubungsmittelbesitz nicht<br />

auch materiellrechtlich eine natürli-che Handlungseinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) gegeben ist, bedarf keiner näheren<br />

Erörterung. Denn da die Aburteilung wegen der Trunkenheitsfahrt die Strafklage für den unerlaubten Besitz von<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ver-braucht hat, darf der Angeklagte auch nicht mehr wegen der Delikte<br />

bestraft werden, die nur mit diesem Verbrechen sachlichrechtlich in Tateinheit stehen und deshalb prozessual eine<br />

Tat bilden. Dies ist für das bewaffnete Sichver-schaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie die<br />

Abgabe ei-nes - den Grenzwert der nicht geringen Menge nicht erreichenden - Teils dieser Betäubungsmittel jedoch<br />

der Fall; denn diese beiden Straftaten werden durch den Betäubungsmittelbesitz in nicht geringer Menge, der als<br />

Verbrechen (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) nicht als Auffangtatbestand im Wege der Subsidiarität hinter das Vergehen<br />

der Abgabe einer "geringen Menge" (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) aus der Gesamtmenge zurücktritt, zur Tateinheit<br />

verbunden (s. demgegenüber BGHSt 42, 162, 165 f.: keine Verknüpfung von Betäubungsmitteleinfuhr in nicht geringer<br />

Menge - § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG - und Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - § 29 a Abs.<br />

1 Nr. 2 BtMG - durch den Betäubungsmit-telbesitz in nicht geringer Menge, da dieser als subsidiär hinter die beiden<br />

ande-ren Verbrechenstatbestände zurücktritt). Dies hat im Ergebnis auch das Land-gericht nicht verkannt, das zutreffend<br />

Tateinheit zwischen dem bewaffneten Sichverschaffen der Betäubungsmittel und der Abgabe von Betäubungsmitteln<br />

angenommen hat.<br />

362


StPO § 264 Körperverletzungen gegen verschiedene Opfer immer mehreres Taten im Proz. Sinn<br />

BGH, Beschl. v. 18.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 50/09<br />

Jede Körperverletzungshandlung gegenüber einer bestimmten Person hebt sich, soweit nicht die<br />

Voraussetzungen des § 52 StGB gegeben sind, so sehr von jeder Körperverletzungshandlung <strong>zum</strong><br />

Nachteil eines anderen Menschen ab, dass ein noch so enger äußerer, zeitlicher und psychologischer<br />

Zusammenhang verschiedene Körperverletzungshandlungen nicht zu einer Tat im prozessualen<br />

Sinne machen kann.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 14. August 2008 wird als unbegründet<br />

verwor-fen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrecht-fertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten er-geben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendi-gen Auslagen zu tragen.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Februar <strong>2009</strong> bemerkt der Senat:<br />

1. Zwar ist die Rüge, mit der die Revision einen Verstoß gegen das Ver-wertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG geltend<br />

macht, nicht schon - wie der Generalbundesanwalt meint - unzulässig. Denn in einem Verstoß gegen das Verwertungsverbot<br />

des § 51 Abs. 1 BZRG liegt - anders als bei Missachtung des in § 51 Abs. 1 BZRG enthaltenen Vorhalteverbots<br />

- ein sachlich-rechtlicher Fehler, der auf die allgemeine Sachrüge hin zu berücksichtigen ist (vgl.<br />

BGHSt 25, 100; BGH StraFo 2006, 296).<br />

2. Die Rüge ist aber unbegründet.<br />

a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts scheitert sie jedoch nicht daran, dass nach der Entscheidung<br />

des 2. Strafsenats des Bun-desgerichtshofs vom 18. Oktober 1972 - 2 StR 384/72 - (BGHSt 25, 25, 26 ff.) eine indizielle<br />

Verwertung einer getilgten oder tilgungsreifen Verurteilung und der dieser zugrunde liegenden Tat in einem<br />

anderen Strafverfahren für solche Fälle zulässig war, in denen Vortat und Verurteilung bei der Geltendmachung von<br />

Ansprüchen aus unerlaubter Handlung wegen der neuen Tat als Beweisan-zeichen Bedeutung haben konnten. Denn<br />

der Gesetzgeber hat als Reaktion auf diese Rechtsprechung (vgl. BTDrucks. 7/4328 S. 12) in dem Gesetz zur Änderung<br />

des Bundeszentralregistergesetzes vom 25. Mai 1976 (BGBl I, 1278) die Vorschrift des § 49 Abs. 2 BZRG aF<br />

(die wortgleich ist mit der geltenden Rege-lung des § 51 Abs. 2 BZRG) dahingehend konkretisiert, dass diese<br />

ausschließ-lich bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus der früheren Tat oder der früheren Verurteilung entstandene<br />

Rechte Dritter unberührt lässt. Dies ent-spricht seither der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (dazu<br />

grundlegend BGHSt 27, 108 f.).<br />

b) Ein Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, wonach eine im Register getilgte oder tilgungsreife<br />

Verurteilung und die ihr zugrunde liegende Tat nicht <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten verwertet werden<br />

dürfen, liegt aber deshalb nicht vor, weil die vom Landgericht indiziell verwertete Körperverletzungshandlung vom<br />

4. Februar 2002 <strong>zum</strong> Nachteil der Geschädig-ten K. nicht Bestandteil der mit Strafbefehl des Amtsgerichts<br />

Ras-tatt, Az. 9 Cs<br />

, rechtskräftig seit 28. Juni 2002, abgeurteilten Tat im Sinne des § 264 StPO<br />

ist, die eine Körperverletzung <strong>zum</strong> Nachteil des Zeu-gen L. <strong>zum</strong> Gegenstand hat.<br />

aa) Bei der <strong>zum</strong> Nachteil des Zeugen L. begangenen Körperverletzung und derjenigen <strong>zum</strong> Nachteil der Geschädigten<br />

K. handelt es sich jeweils um eine eigene verfahrensrechtliche Tat. Nach den Feststellungen des<br />

Landgerichts kam die Geschädigte hinzu, als der Angeklagte auf den Zeugen L. einschlug. Nachdem sie den Angeklagten<br />

aufgefordert hatte, den Zeugen in Ruhe zu lassen, nahm der Angeklagte sie „zur Seite in ein Nebenzimmer“<br />

und schlug dort mehrfach mit den Fäusten auf sie ein. Liegen wie hier zwei ma-teriell-rechtlich selbständige<br />

Taten vor, handelt es sich regelmäßig auch um zwei Taten im prozessualen Sinne, es sei denn, die einzelnen Handlungen<br />

sind innerlich derart miteinander verknüpft, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht<br />

ohne die Umstände richtig gewürdigt werden kann, die zu der anderen Handlung geführt haben, und dass die getrennte<br />

Aburteilung einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde (vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1<br />

Tatidentität 44, 45 jeweils m.w.N.).<br />

Eine solche Verknüpfung der strafbaren Handlungen ist hier, gemessen am Verhalten des Angeklagten, nicht gegeben.<br />

Die örtliche und zeitliche Nähe sowie der situative Zusammenhang der beiden Körperverletzungshandlungen<br />

genügen dafür nicht. Vielmehr hebt sich jede Körperverletzungshandlung ge-genüber einer bestimmten Person, soweit<br />

nicht die Voraussetzungen des § 52 StGB gegeben sind, so sehr von jeder Körperverletzungshandlung <strong>zum</strong><br />

363


Nach-teil eines anderen Menschen ab, dass ein noch so enger äußerer, zeitlicher und psychologischer Zusammenhang<br />

verschiedene Körperverletzungshandlungen nicht zu einer Tat im prozessualen Sinne machen kann (vgl. zur<br />

Tatidentität bei Tötungshandlungen BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 45). Vorliegend la-gen auch weder eine<br />

gleichartige Angriffsrichtung noch dasselbe Tatobjekt noch eine Überschneidung im äußeren Tatablauf oder eine<br />

deliktsimmanente Verbindung der Handlungen vor.<br />

bb) Auch eine Zusammenfassung der gegenüber den Zeugen L. und K. geführten Schläge zu einer natürlichen<br />

Handlungseinheit (vgl. dazu Fischer, StGB 56. Aufl. Vor § 52 Rdn. 3 ff.) scheidet gegenständlich aus. Denn<br />

höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen sind einer additiven Betrachtungsweise nur ausnahmsweise<br />

zugänglich. Greift ein Täter - wie hier - nacheinander einzelne Menschen an, besteht regelmäßig kein Anlass, diese<br />

Vorgänge als eine Tat zusammenzufassen. Etwas anderes kann nur dann gel-ten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten<br />

wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs - wie etwa bei Messerstichen<br />

inner-halb weniger Sekunden - willkürlich und gekünstelt erschiene (vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 45<br />

m.w.N.). Ein solcher Sonderfall ist vorliegend indes nicht gegeben. Bereits der in Bezug auf die Körperverletzung<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Geschädigten K. neu gefasste Tatentschluss steht der Annahme einer natürlichen Handlungseinheit<br />

entgegen.<br />

c) Der Senat kann offen lassen, ob das Urteil auf dem von der Revision gerügten Verstoß beruhen würde.<br />

StPO § 264, StPO § 267 I Ausschöpfung des Anklagevorwurfs<br />

BGH, Urt. v. 30.10.2008 – 3 StR 375/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 71<br />

1. Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage bezeichnete Tat i.S.d. § 264 Abs. 1<br />

StPO. Allerdings hat das Gericht die angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinne erschöpfend<br />

abzuurteilen; zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit<br />

dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Lebensauffassung einen<br />

einheitlichen Vorgang darstellt. In diesem Rahmen muss der Tatrichter seine Untersuchung<br />

auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden. Diese Umgestaltung<br />

der Strafklage darf aber nicht dazu führen, dass das der Anklage zur Grunde liegende Geschehen<br />

vollständig verlassen und durch ein anderes ersetzt wird, mag dieses auch gleichartig sein.<br />

2. Es stellt einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, wenn der Tatrichter bei der Strafrahmenwahl<br />

einen bestimmten Straf<strong>zum</strong>essungsgesichtspunkt erkennbar außer Betracht lässt.<br />

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenklä-gerin und des Angeklagten wird<br />

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Tat-komplex 2. b) bb) der Urteilsgründe in einem Fall<br />

(Wohnwagen in W.<br />

) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und<br />

sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des<br />

Verfahrens und die notwendigen Auslagen des An-geklagten der Staatskasse zur Last,<br />

b) das Urteil des Landgerichts Stade vom 21. Februar 2008 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Ange-klagte<br />

der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen<br />

in zwei Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von<br />

Schutzbefohlenen schuldig ist.<br />

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbe-zeichnete Urteil im Strafausspruch aufgehoben; jedoch<br />

bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenklägerin und des Angeklagten gegen das vorbezeichnete<br />

Urteil werden verworfen.<br />

4. Der Angeklagte und die Nebenklägerin haben die verblei-benden Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

364


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-heit mit sexuellem Missbrauch von Kindern<br />

und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kin-dern in<br />

Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt,<br />

deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es ihn von dem mit der Anklage-schrift<br />

erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Miss-brauch von Kindern und sexuellem Missbrauch<br />

von Schutzbefohlenen in 97 weiteren Fällen freigesprochen.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

Die im Jahr 1990 geborene Nebenklägerin K. lebte seit der Scheidung ihrer Eltern im Jahre 1992 im<br />

Haushalt ihrer Großmutter, der Zeugin R. , die der Angeklagte im Jahr 1998 heiratete. K. hatte zu<br />

ihrer Großmutter und dem Angeklagten, die sie versorgten, betreuten und erzo-gen, ein gutes Verhältnis. Im März<br />

2000 trat die Zeugin R. eine mehr-jährige Haftstrafe an, aus der sie im September 2003 entlassen wurde.<br />

Wäh-rend dieser Zeit kam es zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf K. , zu deren Beginn der Angeklagte<br />

in mindestens einem Fall seine Arme um sie legte, sie küsste und ihr die Zunge in den Mund steckte. In drei weiteren<br />

Fällen der im Laufe der Zeit intensiver werdenden sexuellen Handlungen steckte der Angeklagte seinen Finger in<br />

die Scheide der Nebenklägerin, wobei diese sich wehrte, indem sie versuchte, ihn wegzustoßen und ihre Beine zusammenpress-te.<br />

Der körperlich überlegene Angeklagte überwand den Widerstand, indem er gegen ihren Willen ihre<br />

Beine auseinander drückte. Zwei dieser Taten ereigne-ten sich im Zimmer der Nebenklägerin, die dritte in einem<br />

Wohnwagen auf ei-nem Campingplatz in W. , in dem der Angeklagte und die Nebenkläge-rin übernachteten,<br />

wenn sie die Zeugin R. in der Haft besuchten.<br />

Weitere Taten hat die Kammer nicht zu individualisieren vermocht. Sie hat aber - ohne konkretisieren zu können,<br />

wann und wie häufig diese Handlun-gen stattfanden bzw. ob sie den vier festgestellten Einzeltaten zugeordnet werden<br />

können - darüber hinausgehend festgestellt, dass der Angeklagte der Ne-benklägerin abends in deren Zimmer<br />

beim Eincremen half und sie dabei wie-derholt gegen deren Willen, den sie ihm gegenüber auch äußerte, an Brust,<br />

Gesäß, Oberschenkeln und im Genitalbereich berührte. Er betrat häufig ihr Zimmer, wenn sie sich bereits <strong>zum</strong> Schlafen<br />

hingelegt hatte und zog ihr die Bo-xershorts herunter, die sie <strong>zum</strong> Schlafen trug. In mindestens einem Fall hatte<br />

der Angeklagte einen Samenerguss. Er leckte an der Scheide der Nebenkläge-rin und forderte sie mehrfach - erfolglos<br />

- auf, ihn mit der Hand oder oral zu be-friedigen. Ebenso versuchte er mehrfach vergeblich - <strong>zum</strong> Teil ungeschützt,<br />

<strong>zum</strong> Teil mit einem Kondom - in sie einzudringen, obwohl sie sich wegdrehte und ihre Beine zusammendrückte.<br />

II. Die Revisionen aller Beschwerdeführer führen zur Einstellung des Ver-fahrens, soweit der Angeklagte im Tatkomplex<br />

2. b) bb) der Urteilsgründe we-gen des sexuellen Übergriffs auf die Nebenklägerin im Wohnwagen auf dem<br />

Campingplatz in W. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem<br />

Missbrauch von Schutzbefohlenen ver-urteilt worden ist. Denn es fehlt in diesem Fall an der Verfahrensvoraussetzung<br />

der Anklageerhebung. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 19. Juni<br />

2007 war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin in 100 Fällen vergewaltigt und sexuell missbraucht<br />

zu haben, wobei sich die Taten jeweils im Schlafzimmer der Nebenklägerin ereignet hät-ten. Dort habe der<br />

Angeklagte sich und - gegen deren Widerstand - auch die Nebenklägerin entkleidet, sie geküsst, an der Brust berührt<br />

und sei unter Ein-satz seiner Körperkräfte gegen ihren Widerstand mit dem Finger vaginal in sie eingedrungen. Die<br />

Anzahl der Taten hat die Staatsanwaltschaft anhand der Eckdaten des Tatzeitraums im Wege einer Hochrechnung<br />

geschätzt.<br />

Die von der Strafkammer abgeurteilte Tat im Wohnwagen ist von dem in der Anklage geschilderten geschichtlichen<br />

Vorgang nicht erfasst, so dass der Angeklagte deswegen ohne Erhebung einer Nachtragsanklage nicht verurteilt<br />

werden durfte.<br />

Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage bezeichnete Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Allerdings<br />

hat das Gericht die angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinne erschöpfend abzuurteilen; zur Tat in diesem<br />

Sinne gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen<br />

Vorkommnis nach der Lebensauffas-sung einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGHSt 32, 215, 216). In<br />

diesem Rahmen muss der Tatrichter seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstre-cken, die erst in der Hauptverhandlung<br />

bekannt werden (BGHSt 16, 200, 202).<br />

Diese Umgestaltung der Strafklage darf aber nicht dazu führen, dass das der Anklage zu Grunde liegende Geschehen<br />

vollständig verlassen und durch ein anderes ersetzt wird, mag dieses auch gleichartig sein (Engelhardt in KK 6.<br />

Aufl. § 264 Rdn. 17 m. w. N.). So verhält es sich hier: Bei der von der Kam-mer aufgrund der Aussage der Nebenklägerin<br />

festgestellten Tat im Wohnwagen auf dem Campingplatz in W.<br />

anlässlich eines Besuches der<br />

Zeugin R. in der Haftanstalt - also an einem anderen Tatort und unter anderen Begleitumständen - handelt es<br />

365


sich um einen geschichtlichen Vorgang, der sich von den Anklagevorwürfen, die sich allein auf Taten im Schlafzimmer<br />

der Ne-benklägerin bezogen, deutlich unterscheidet. Die erforderliche Tatidentität im Sinne des § 264 Abs. 1<br />

StPO liegt daher nicht mehr vor.<br />

Da auch eine Nachtragsanklage nicht erhoben wurde, war das Verfahren auf die Revision des Angeklagten, der<br />

Staatsanwaltschaft (§ 301 StPO) und der Nebenklägerin (vgl. Paul in KK § 301 Rdn. 2) in dem genannten Fall gemäß<br />

§ 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO einzustellen; dies führt wegen des Wegfalls der verhängten Einzelstrafe zur<br />

Aufhebung der Gesamtstrafe.<br />

III. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft hat <strong>zum</strong> Straf-ausspruch Erfolg; im Übrigen zeigt sie keinen<br />

durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.<br />

1. Soweit sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die allgemeine Sach-rüge gestützten Revision gegen den Freispruch<br />

des Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in 97 Fällen wendet, ist sie unbegründet.<br />

Wie bei jeder Verurteilung muss der Tatrichter auch bei Serienstraftaten, wie sie in länger andauernden Missbrauchsbeziehungen<br />

vorkommen, von jeder einzelnen individuellen Straftat überzeugt sein (BGHSt 42, 107, 109).<br />

Zur Ver-meidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen aufgrund der Feststellungs-schwierigkeiten solcher oft<br />

gleichförmig verlaufenden Taten über einen langen Zeitraum <strong>zum</strong> Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen,<br />

die in der Re-gel allein als Beweismittel zur Verfügung stehen, zwar keine überzogenen An-forderungen an die Individualisierbarkeit<br />

der einzelnen Taten im Urteil gestellt werden (BGH NStZ 1994, 502). Der Tatrichter muss sich<br />

aber in objektiv nach-vollziehbarer Weise <strong>zum</strong>indest die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum<br />

zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist (BGH StV 2002, 523). Dabei steht nicht in<br />

erster Linie die Ermittlung einer Tatfrequenz, sondern die des konkreten Lebenssachverhalts im Vordergrund; dieser<br />

ist ausgehend vom Beginn der Tatserie mit den unterschiedlichen Details etwa zu Tatausführung und Tatort der einzelnen<br />

Straftaten in dem gegebenen Tatzeitraum - notfalls auch ohne genaue zeitliche Einordnung und lediglich unter<br />

Festlegung einer Mindestzahl der begangenen Delikte nach dem Zweifels-satz - festzustellen und abzuurteilen<br />

(vgl. BGHR StGB vor § 1/Serienstraftaten Kindesmissbrauch 2).<br />

Die entsprechende Überzeugungsbildung ist eine Frage der Beweiswür-digung. Diese obliegt dem Tatrichter. Er hat<br />

sich unter dem umfassenden Ein-druck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten<br />

zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung<br />

des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgeset-zen<br />

oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar,<br />

hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende<br />

Wür-digung der Beweise möglich gewesen wäre (BGH NStZ-RR 2008, 146, 147; NJW 2005, 2325, 2326).<br />

Nach diesen Grundsätzen zeigt die Revision einen Rechtsfehler, insbe-sondere eine Überspannung der Anforderungen<br />

an die richterliche Überzeu-gungsbildung, nicht auf. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen<br />

ist die vom Landgericht vorgenommene Würdigung, dass es im Schlafzimmer der Nebenklägerin mit Sicherheit<br />

lediglich zu zwei Vergewalti-gungen und zu dem ebenfalls von der Nebenklägerin geschilderten Fall des sexuellen<br />

Missbrauchs zu Beginn der Übergriffe gekommen ist, revisionsrecht-lich nicht zu beanstanden.<br />

Das Landgericht ist sich des Umstandes bewusst gewesen, dass die Aussage der Nebenklägerin, es sei "sehr oft" zu<br />

den Übergriffen gekommen, eine häufigere Tatbegehung nahe legte. Es hat sich - im Einklang mit der zitier-ten<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den notwendigen Feststellun-gen bei Serientaten des sexuellen Missbrauchs<br />

- keine Überzeugung von einer bestimmten größeren Anzahl von Vergewaltigungen zu verschaffen vermocht,<br />

weil insoweit lediglich eine bloße Schätzung ohne gesicherte Tatsachengrund-lage möglich gewesen wäre.<br />

Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat sich <strong>zum</strong> Nachweis der angeklagten Taten nur auf die<br />

Aussage der Nebenklägerin stützen können. Deren Angaben zur Tatfrequenz haben ge-wechselt. Während sie zunächst<br />

ausgesagt hatte, es sei fast jeden Abend dazu gekommen, dass der Angeklagte ihr den Finger in die Scheide<br />

gesteckt habe, ist sie davon später abgerückt und hat erklärt, es sei jedenfalls sehr oft gewe-sen, ohne allerdings eine<br />

Zahl angeben zu können. Auch mit wiederkehrenden Situationen im familiären Zusammenleben hat sie die Taten<br />

nicht zu verknüpfen vermocht. Ebenso wenig hat sie die weiteren von der Strafkammer festgestell-ten Details einer<br />

oder mehreren der festgestellten oder weiteren Taten zuord-nen können. Zu den Tatorten hat sie lediglich angegeben,<br />

dass es in einem Fall auch im Wohnwagen zu einem Übergriff durch den Angeklagten gekommen sei.<br />

Die Überzeugungsbildung der Strafkammer lässt vor diesem Hintergrund keinen Rechtsfehler im dargestellten Sinn<br />

erkennen. Sie ist daher - ungeachtet der Frage, ob auch die Annahme einer größeren Anzahl von Taten möglich gewesen<br />

wäre - vom Revisionsgericht hinzunehmen.<br />

2. Im Strafausspruch kann das angefochtene Urteil jedoch hinsichtlich der verbliebenen Einzelstrafen keinen Bestand<br />

haben. Die Nichtanwendung des Regelstrafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB, die bei Vorliegen gewichtiger<br />

366


Milderungsgründe möglich ist (Fischer, StGB 55. Aufl. § 177 Rdn. 65, 74 m. w. N.), ist hier rechtsfehlerhaft. Gleiches<br />

gilt für die Annahme eines minder schwe-ren Falles im Sinne des § 176 Abs. 1 letzter Halbs. StGB aF bei der<br />

ersten ab-geurteilten Tat.<br />

Zwar ist es Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung<br />

von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten<br />

und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Straf<strong>zum</strong>essungserwägungen<br />

in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht bestimmende Straf<strong>zum</strong>essungsfaktoren oder rechtlich<br />

an-erkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung<br />

löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320 m. w. N.). All dies gilt namentlich auch für die Strafrah-menwahl.<br />

Die Entscheidung über die Annahme eines minder schweren Falles und - entsprechend - über das<br />

Absehen von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB ist jedoch aufgrund einer Gesamtbetrachtung zu treffen, die<br />

alle Umstän-de einzubeziehen hat, die für die Wertung der Tat und des Täters bedeutsam sind, gleichgültig, ob sie<br />

der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausge-hen oder nachfolgen (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer<br />

Fall, Gesamtwürdi-gung 8). Eine Bewertung nur des engeren Tatgeschehens ist unzulässig (BGHR StGB vor §<br />

1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung 5; Gesamtwürdi-gung, unvollständige 10). Es stellt daher einen durchgreifenden<br />

Rechtsfehler dar, wenn der Tatrichter bei der Strafrahmenwahl einen bestimmenden Straf<strong>zum</strong>essungsgesichtspunkt<br />

(vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) erkennbar außer Betracht lässt.<br />

So liegt es hier. Die Strafkammer hat die weiteren Tathandlungen des Angeklagten, die sie sicher festgestellt hat, bei<br />

der Strafrahmenwahl aus dem Blick verloren. Sie hat insbesondere nicht gewürdigt, dass der Angeklagte mehrfach<br />

versuchte, mit der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr zu vollzie-hen und sie - wenn auch erfolglos - aufforderte,<br />

ihn oral oder manuell zu befrie-digen. Diese Handlungen hat die Kammer zwar weder einer der abgeurteilten Taten<br />

zuordnen können, noch anhand dieser Feststellungen weitere Taten zu konkretisieren vermocht. Gleichwohl hätten<br />

sie als bestimmender Straf<strong>zum</strong>es-sungsfaktor in die Gesamtwürdigung einfließen müssen:<br />

Handelte es sich insoweit um weitere Varianten sexueller Handlungen im Rahmen der abgeurteilten Taten, so waren<br />

sie bei der Straf<strong>zum</strong>essung zu be-rücksichtigen (vgl. BGH, Beschl. vom 22. Dezember 1998 - 3 StR 530/98) und<br />

deshalb auch in die Gesamtbetrachtung zur Strafrahmenwahl einzustellen. Gleiches gilt, wenn es sich bei diesen<br />

Handlungen um weitere selbständige Ta-ten gehandelt hätte; denn in diesem Fall war der Umstand, dass die abgeurteil-ten<br />

Taten nur einen Teil einer Tatserie bildeten, als wesentlicher Straf<strong>zum</strong>es-sungsgesichtspunkt zu würdigen (st.<br />

Rspr.; vgl. BGHR StGB § 54 Serienstrafta-ten 2; BGH NStZ-RR 1997, 130; BGH, Beschl. vom 9. Oktober 2003 - 4<br />

StR 359/03 - jeweils m. w. N.).<br />

Voraussetzung der Einbeziehung der weiteren sexuellen Handlungen in die Straf<strong>zum</strong>essung ist es in derartigen Fällen<br />

allerdings, dass sie prozessord-nungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen<br />

Unrechtsgehalt abgeschätzt werden können und eine unzulässige strafschär-fende Berücksichtigung des bloßen Verdachts<br />

der Begehung weiterer Straftaten ausgeschlossen ist (BGHR aaO; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14). So<br />

verhält es sich hier. Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte die weiteren<br />

sexuellen Handlungen <strong>zum</strong> Nachteil der Ne-benklägerin beging; lediglich die Zuordnung zu den begangenen oder<br />

die Ein-ordnung als selbständige andere - angeklagte - Taten war ihm nicht möglich. Angesichts dessen handelte es<br />

sich nicht um den bloßen Verdacht weiterer Straftaten oder Tatvarianten; vielmehr sind die zusätzlichen sexuellen<br />

Handlun-gen des Angeklagten festgestellt, so dass deren Unrechtsgehalt ohne Weiteres erfasst werden kann. Die<br />

Strafkammer hat deshalb, als sie die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB unter anderem auch deshalb verneint hat,<br />

weil die ei-gentliche sexuelle Handlung bei den konkret festgestellten Vergewaltigungen nicht besonders schwerwiegend<br />

gewesen sei, einen unzutreffenden Schuldum-fang zu Grunde gelegt. Gleiches gilt bei der Annahme eines<br />

minder schweren Falles nach § 176 Abs. 1 letzter Halbs. StGB aF. Dies führt zur Aufhebung der entsprechenden<br />

Einzelstrafen.<br />

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen <strong>zum</strong> Strafausspruch kön-nen hingegen bestehen bleiben. Ergänzende,<br />

dazu nicht in Widerspruch ste-hende Feststellungen kann der neue Tatrichter treffen.<br />

IV. Soweit sich die Nebenklägerin gegen den Teilfreispruch des Ange-klagten wendet, hat ihre Revision aus den<br />

unter III. 1. genannten Gründen in der Sache keinen Erfolg. Hinsichtlich ihrer Einwendungen gegen den Strafausspruch,<br />

insbesondere gegen die Nichtanwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB, ist die Revision<br />

bereits unzulässig (BGH NStZ-RR 2003, 306; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 400 Rdn. 3).<br />

V. Die weitergehende Revision des Angeklagten hat ebenfalls keinen Er-folg.<br />

Die Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Ver-fahrens (§ 338 Nr. 6 StPO) ist aus den<br />

Gründen der Antragsschrift des Gene-ralbundesanwalts vom 27. August 2008 hinsichtlich der Verlesung eines Gutachtens<br />

in der Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2007 unzulässig und im Übrigen unbegründet.<br />

367


Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die allgemein erhobene Sachrüge hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil<br />

des Angeklagten ergeben.<br />

VI. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen, die dem Angeklagten so-wie der Nebenklägerin durch die gegenseitigen<br />

Revisionen entstanden sind, findet nicht statt, da die Rechtsmittel beider Seiten ohne Erfolg geblieben sind<br />

(Meyer-Goßner aaO § 473 Rdn. 10 m. w. N.).<br />

StPO § 265 II Hinweispflicht vor Unterbringung in SV<br />

BGH, Beschl. v. 23.10.2008 – 3 StR 350/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 75; StV <strong>2009</strong>, 118; StraFo <strong>2009</strong>, 72<br />

Ein Hinweis, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung<br />

in Betracht kommt, wird nicht dadurch entbehrlich, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren<br />

den Sachverständigen beauftragt hatte, den (damals) Beschuldigten "auf seine<br />

Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB sowie hinsichtlich der Voraussetzungen der §§ 63, 66 StGB<br />

psychiatrisch zu begutachten". Gleiches gilt im Hinblick darauf, dass in der Hauptverhandlung die<br />

Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten zwischen den Verfahrensbeteiligten erörtert wurde.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Düsseldorf vom 19. März 2008 im Maßregelausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere<br />

Strafkammer des Land-gerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Miss-brauchs von Kindern, wegen sexuellen Missbrauchs<br />

von Kindern in drei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung angeordnet. Die hiergegen<br />

gerichtete, auf eine Verfahrensrüge so-wie sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten<br />

hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.<br />

Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils auf-grund der Revisionsrechtfertigung keinen<br />

durchgreifenden Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Maßregelanordnung hält hingegen rechtlicher<br />

Nachprüfung nicht stand.<br />

Wie die Revision zu Recht rügt, hätte der Angeklagte in der Hauptver-handlung gemäß § 265 Abs. 2 StPO darauf<br />

hingewiesen werden müssen, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwah-rung<br />

in Betracht kommt, da weder die Anklageschrift noch der Eröffnungsbe-schluss einen Hinweis auf die Möglichkeit<br />

einer solchen Anordnung enthielt (BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 2). Da die Anordnung der Unterbringung<br />

in der Sicherungsverwahrung einen besonders gravierenden Eingriff dar-stellt, dürfen an die Hinweispflicht des<br />

Gerichts keine zu geringen Anforderun-gen gestellt werden (BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6; BGH<br />

NStZ-RR 2004, 297). Der Hinweis wurde nicht dadurch entbehrlich, dass die Staatsan-waltschaft im Ermittlungsverfahren<br />

den Sachverständigen beauftragt hatte, den (damals) Beschuldigten "auf seine Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21<br />

StGB sowie hinsichtlich der Voraussetzungen der §§ 63, 66 StGB psychiatrisch zu begut-achten". Gleiches gilt im<br />

Hinblick darauf, dass in der Hauptverhandlung die Fra-ge der Gefährlichkeit des Angeklagten zwischen den Verfahrensbeteiligten<br />

erör-tert wurde. Auch dies kann den gerichtlichen Hinweis nicht ersetzen, <strong>zum</strong>al im Anschluss an<br />

diese Erörterungen die Anordnung der Maßregel weder vom Sachverständigen befürwortet, noch von der Staatsanwaltschaft<br />

oder dem Ne-benklagevertreter beantragt wurde.<br />

Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Angeklagte bei pro-zessordnungsmäßigem Verfahrensablauf anders<br />

verteidigt und das Gericht die-se Maßregel nicht angeordnet hätte.<br />

Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass zu folgendem Hinweis: Die Strafkammer hat gegenüber dem vom<br />

Sachverständigen verwendeten standardisierten Prognoseinstrument ihre "grundsätzliche Skepsis" <strong>zum</strong> Aus-druck<br />

gebracht, "jedenfalls insoweit, als es Besonderheiten des jeweiligen Fal-les - eben wegen der Standardisierung - nicht<br />

berücksichtigen kann". Sie hat sich dabei auf zwei Entscheidungen des Senats (BGH, Beschl. vom 13. November<br />

2007 - 3 StR 341/07 = StV 2008, 301 sowie vom 6. Dezember 2007 - 3 StR 355/07 = StV 2008, 300) bezogen. In<br />

diesen Entscheidungen hat der Senat indes die Verwendung solcher Prognoseinstrumente nicht etwa des-halb bean-<br />

368


standet, weil sie den Einzelfall nicht zu berücksichtigen in der Lage sind. Ein solcher Einwand ginge am Wesen<br />

dieser Instrumente vorbei, die ge-rade auf einer Verallgemeinerung von empirischen Befunden beruhen. Sie kön-nen<br />

deshalb niemals für sich allein, sondern immer nur im Zusammenhang mit einer Erforschung und Bewertung der<br />

individuellen Täterpersönlichkeit eine Ge-fährlichkeitsbeurteilung tragfähig begründen. Das empirische Wissen über<br />

das generelle Rückfallrisiko führt für sich allein noch nicht zur Entscheidung im Ein-zelfall, sondern erlaubt nur<br />

dessen erste Verortung im kriminologischen Erfah-rungsraum (vgl. Boetticher u. a. NStZ 2006, 537, 544). Der Hinweis<br />

des Senats ging vielmehr dahin, dass der Tatrichter, wenn er sachverständig beraten seine Entscheidung auch<br />

auf solche Instrumente stützt, darauf zu achten hat, dass es sich jeweils um ein im Einzelfall taugliches Prognoseinstrument<br />

handelt.<br />

StPO § 267 I 1 Unübersichtliche Urteilsgründe als Sachmangel ?<br />

BGH, Beschl. v. 05.12.2008 – 2 StR 424/08<br />

Ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreute Feststellungen können einen<br />

durchgreifenden Mangel des Urteils darstellen, weil dann häufig die tatsächliche Grundlage des<br />

Urteils unvollständig sein wird. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unklarheiten und Widersprüche<br />

in die Urteilsfeststellungen einschleichen, die es dem Revisionsgericht unmöglich machen, einen<br />

bestimmten Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen. Es ist nicht Aufgabe<br />

des Revisionsgerichts, unklaren und sich widersprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen<br />

einen den Schuldspruch möglicherweise tragenden Sinn beizulegen.<br />

Auf die Revision der Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 15. Mai 2008, soweit es sie<br />

betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an ei-ne andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „Beihilfe zur Einfuhr von Be-täubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in<br />

einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie in ei-nem Fall in Tateinheit mit Beihilfe<br />

<strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren<br />

und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die<br />

Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.<br />

1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, weil es hinsichtlich der Ange-klagten S. keine geschlossene und für<br />

das Revisionsgericht nachvollzieh-bare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche<br />

geschlossene Darstellung des Sachverhaltes, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung<br />

des Urteils erforderlich. Sie muss erken-nen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die<br />

Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentli-chen Teilen unvollständig oder<br />

widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Ur-teils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR<br />

StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3, geschlossene Darstellung). So verhält es sich hier.<br />

a) Aus den insoweit unübersichtlichen und wenig klar gegliederten Fest-stellungen ergibt sich, dass die Angeklagte<br />

S. in einer Vielzahl von Fällen, deren Anzahl über die abgeurteilten fünf Fälle weit hinausgeht (UA S. 12-15),<br />

Fahrzeuge angemietet hat, um sie dem Mitangeklagten B. für die Durchfüh-rung von Drogenbeschaffungsfahrten<br />

zur Verfügung zu stellen. Die verstreut im Urteil anzutreffenden Ausführungen (UA S. 15-17/18 sowie 51 und 52-<br />

54) deu-ten im Zusammenhang mit dem Schuldspruch allerdings darauf hin, dass die Kammer die Angeklagte lediglich<br />

u. a. wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge an den Fahrten vom 18. Mai<br />

2007, 25. Mai 2007, 2. Juni 2007, 16. Juni 2007 und 30. Juni 2007 aburteilen wollte. Diese Interpretation steht jedoch<br />

in Widerspruch zur Beschreibung der Taten bei der Festsetzung der Einzelstrafen (UA S. 62/63). Eine ausdrückliche<br />

Zuord-nung erfolgt dort lediglich zu den Einfuhrfahrten vom „2.6.2008“ und „30.6.2008“ (gemeint ist<br />

jeweils 2007), die rechtlich als Beihilfe zur Einfuhr von Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit<br />

mit Handeltreiben mit Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge bezeichnet werden. Geht man - nahe lie-gend -<br />

davon aus, dass das Landgericht die im Text davor festgesetzten zwei Einzelstrafen auf die zeitlich früher liegenden<br />

369


Einfuhrfahrten vom 18. Mai 2007 und 25. Mai 2007 sowie die danach festgesetzte Strafe für „Beihilfe zur Einfuhr in<br />

Tateinheit mit Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben in nicht geringer Menge“ auf das zeitlich später liegende Aufbewahren<br />

der Betäubungsmittel für den Mitange-klagten B. und deren Sicherstellung bei der Angeklagten am 3. Juli 2007<br />

(UA S. 55) bezogen wissen wollte, fehlt es an der Festsetzung einer Einzelstrafe für die Beteiligung an der Beschaffungsfahrt<br />

vom 16. Juni 2007. Darüber hinaus würde bei dieser Lesart im Widerspruch zu den Feststellungen unter<br />

II. 2. eine Einzelfreiheitsstrafe für eine Tat bestimmt, die über die Teilnahmehandlungen an den festgestellten Einfuhrfahrten<br />

hinausgeht.<br />

Dieser Widerspruch kann nicht im Wege der Auslegung der Urteilsgrün-de ausgeräumt werden. Wollte man die<br />

zuletzt aufgeführte Strafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Beihilfe zur Einfuhr in Tateinheit mit Beihilfe<br />

<strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nämlich auf die Einfuhrfahrt vom 16. Juni 2007<br />

beziehen, um eine Konkordanz zu den Fest-stellungen unter II. 2. herzustellen, wäre dies nicht mit den rechtlichen<br />

Ausfüh-rungen UA S. 55 i.V.m. UA S. 17 vereinbar, wonach die Kammer eine Beihilfe <strong>zum</strong> Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge gerade nicht für den 16. Juni 2007, sondern für den 30. Juni 2007 als gegeben<br />

sieht. Die Zuordnung der Einzelfreiheitsstrafen zu den in den Feststellungen ausdrücklich in Bezug genommenen<br />

Einfuhrfahrten ist damit nicht widerspruchsfrei möglich.<br />

b) Hinzu kommt, dass an Hand der Urteilsgründe auch eine zuverlässige Zuordnung der in drei Fällen tateinheitlich<br />

abgeurteilten Taten des Handeltrei-bens mit Betäubungsmitteln zu den festgestellten Einfuhrfahrten ausscheidet.<br />

Nach den Feststellungen UA S. 18/53 verkaufte die Angeklagte S. im Zeit-raum von 3.5.2007 bis <strong>zum</strong> 3.7.2007<br />

„sechs Mal Betäubungsmittel“ an drei ver-schiedene Vertrauenspersonen und einen verdeckten Ermittler der Polizei.<br />

Die-se Verkäufe stammten aus mindestens drei verschiedenen Lieferungen; zu-gunsten der Angeklagten sei davon<br />

auszugehen, dass diese drei Lieferungen aus drei der fünf festgestellten Beschaffungsfahrten stammten, an denen sie<br />

beteiligt gewesen sei (UA S. 53). Bei den am 3.5.2007, am 1.6.2007 und am 8.6.2007 verkauften Betäubungsmitteln<br />

habe es sich lediglich um geringe Men-gen, bei dem am 14.6.2007 und am 3.7.2007 verkauften Amphetamin habe es<br />

sich um nicht geringe Mengen gehandelt.<br />

Diesen Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, welche drei der angegebenen fünf (nicht, wie die Kammer<br />

meint, sechs) Verkäufe die Kammer mit welchen konkreten Einfuhrfahrten als tateinheitlich verknüpft angesehen<br />

hat. Darüber hinaus erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, warum die Kammer in nur einem Fall tateinheitlich<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jedoch in zwei Fällen tateinheitlich Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge angenommen hat. Denn selbst wenn man den Verkauf vom 3. Mai 2007 als vor der ersten<br />

Einfuhrfahrt am 18. Mai 2007 liegend ausschei-det, verbleiben ausweislich UA S. 53/54 vier Taten des Handeltreibens<br />

mit Be-täubungsmitteln im relevanten Tatzeitraum, davon zwei - 1.6.2007 und 8.6.2007 - mit geringen und<br />

zwei - 14.6.2007 und 3.7.2007 - mit nicht geringen Mengen. Diese Unklarheiten hinsichtlich der in Tateinheit abgeurteilten<br />

Delikte des Han-deltreibens mit Betäubungsmitteln verstärken die bereits dargelegten, sich aus dem Vergleich<br />

der Feststellungen <strong>zum</strong> Tatgeschehen mit den Ausführungen zur Einzelstraffestsetzung ergebenden Unsicherheiten<br />

und machen eine zuverläs-sige und vor allem widerspruchsfreie Zuordnung zu konkreten Einfuhrfahrten unmöglich.<br />

c) Damit bleibt insgesamt unsicher, welchen Sachverhalt der Tatrichter dem Urteil zugrunde gelegt hat. Die unklaren,<br />

unübersichtlichen und wider-sprüchlichen Ausführungen in den Urteilsgründen erlauben eine ausreichende revisionsrechtliche<br />

Nachprüfung des Schuldspruchs nicht (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 13;<br />

erkennbare Subsumtion; BGH NStZ 2000, 607 f.). Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils dar, der<br />

- soweit es die Angeklagte S. betrifft - zu seiner Aufhebung führt.<br />

2. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

a) Ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreu-te Feststellungen können einen durchgreifenden<br />

Mangel des Urteils darstellen, weil dann häufig die tatsächliche Grundlage des Urteils unvollständig sein<br />

wird. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unklarheiten und Widersprüche in die Ur-teilsfeststellungen einschleichen,<br />

die es dem Revisionsgericht unmöglich ma-chen, einen bestimmten Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung<br />

zugrunde zu legen. Zwar bilden die schriftlichen Entscheidungsgründe eine Einheit, deren tatsächliche Angaben<br />

auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen<br />

befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1<br />

Satz 1, Feststellungen 1, Zusammenhang der Urteilsgrün-de). Dies setzt jedoch voraus, dass sich aus der Gesamtheit<br />

der Urteilsgründe eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Würdigung ent-nehmen lässt. Es ist<br />

nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, unklaren und sich widersprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen<br />

einen den Schuldspruch möglicherweise tragenden Sinn beizulegen.<br />

370


) Bei einer - wie hier - Vielzahl angeklagter Taten und wenn mehrere Personen angeklagt sind, empfiehlt es sich, in<br />

den Feststellungen jeder einzel-nen Tat eine bestimmte Ordnungszahl zuzuordnen und die Beiträge aller Betei-ligten<br />

an dieser Stelle gemeinsam darzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl. 2008, Rn.<br />

234). Es beeinträchtigt dagegen die Klarheit und Übersichtlichkeit der Urteilsgründe, wenn im Wege eines „Mischsystems“<br />

zwar einzelne Taten einer Ordnungsnummer zugeordnet, unter ande-ren Ordnungsnummern aber eine Vielzahl<br />

von - auch nicht abgeurteilten - Ein-zeltaten zusammengefasst und unter weiteren Ziffern die Tatbeiträge der<br />

ein-zelnen Beteiligten - teilweise - voneinander getrennt abgehandelt werden.<br />

c) Besteht aus Sicht des Tatgerichts Anlass, Straftaten zu schildern, die nicht Gegenstand des Schuldspruchs sind -<br />

z.B. solche, die gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus dem Verfahrensstoff ausgeschieden wurden oder solche, die nicht<br />

angeklagt waren, in der Hauptverhandlung aber zu Tage getreten sind -, sollten diese in der Darstellung deutlich von<br />

den konkret abgeurteilten Taten geschieden werden, um Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden.<br />

d) Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass die Formulierungen im Urteil, die Angeklagte S. sei „selbst<br />

betäubungsmittelabhängig“ (UA S. 60) und habe die Taten „aufgrund ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen“<br />

(UA S. 63) zur Prüfung der - vom Landgericht nicht erörterten - Frage drängen, ob ihre Unterbringung in<br />

einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen ist. Von der Unterbringung nach § 64 StGB darf nicht abgesehen<br />

werden, weil der Tatrichter - wie in den Urteilsgründen ausgeführt - „bereits jetzt“ einer Zurückstellung der<br />

Vollstreckung nach § 35 BtMG zustimmt. Die Un-terbringungsanordnung nach § 64 StGB geht der allein dem<br />

Vollstreckungsver-fahren vorbehaltenen Zurückstellung nach § 35 BtMG vor (BGH StV 2008, 405 f.).<br />

StPO § 267 I 2 Umfang der Urteiksgründe: Keine vollst. Dokumentation<br />

BGH, Beschl. v. 09.12.2008 -5 StR 511/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 228; StV <strong>2009</strong>, 116<br />

Die Urteilsgründe dienen nicht nur der Dokumentation all dessen, was in der Hauptverhandlung<br />

gesagt und verlesen wurde. Für Verfahrenseinstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO sieht die Vorschrift<br />

des § 267 StPO keine gesonderten Dokumentationspflichten des Gerichts vor. Gleichwohl<br />

kann sich in rechtlich anspruchsvollen Konstellationen der Beweiswürdigung die Notwendigkeit<br />

ergeben, auf nach § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedene Straftaten im Rahmen der Beweiswürdigung<br />

näher einzugehen.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Berlin vom 26. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4<br />

StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tat-einheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu<br />

einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge<br />

Erfolg.<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts überwältigte der Angeklag-te im Juni 2006 die Geschädigte, die seit einigen<br />

Tagen bei ihm übernachte-te, und führte gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Nach der<br />

unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage lag dem Angeklagten ein weiteres ähnliches Geschehen<br />

zur Last. Danach soll er schon im Oktober 2005 mehrere Finger in die Scheide der tief schlafenden Geschädigten<br />

eingeführt haben. Hinsichtlich dieses Anklagepunktes (Tatvorwurf zu 1 der Anklage) hat das Landgericht das Verfahren<br />

am letzten von acht Hauptverhandlungstagen nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.<br />

Die Revision rügt mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge (vgl. hierzu BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Beweiswürdigung<br />

5; Brause NStZ 2007, 505, 511) im Hinblick auf die im Urteil nicht abgehandelte Einstel-lung einen<br />

Erörterungsmangel jenseits des unmittelbaren Urteilsgegenstan-des. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:<br />

„Der Revision kann auf die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe den Grund für die Einstellung des Tatvorwurfs<br />

zu 1 der Anklage nicht mitgeteilt, der Erfolg nicht versagt werden.<br />

Die Urteilsgründe dienen nicht der Dokumentation all dessen, was in der Hauptverhandlung gesagt und verlesen<br />

wurde. Für Verfahrenseinstellun-gen nach § 154 Abs. 2 StPO sieht die Vorschrift des § 267 StPO keine ge-sonderten<br />

Dokumentationspflichten des Gerichts vor. Gleichwohl kann sich in rechtlich anspruchsvollen Konstellationen der<br />

Beweiswürdigung die Notwen-digkeit ergeben, auf nach § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedene Straftaten im Rahmen<br />

371


der Beweiswürdigung näher einzugehen. Zu derartigen Sachverhal-ten zählen unter anderem serielle Fälle aus dem<br />

Bereich des Sexualstraf-rechts, in denen Aussage gegen Aussage steht und damit die Überzeu-gungsbildung des<br />

Gerichts allein von der Einschätzung der Wertigkeit der Angaben des ‚Belastungszeugen’ abhängt. Verhält es sich so<br />

und besteht die Möglichkeit, dass Umstände der ausgeschiedenen Straftaten Einfluss auf die Überzeugungsbildung in<br />

den abgeurteilten Fällen haben können, muss sich das Gericht gedrängt sehen, hierauf im Urteil näher einzugehen<br />

(vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2008 – 5 StR 143/08 – [= StV 2008, 449]).<br />

So liegt der Fall hier.<br />

In dem abgeurteilten Fall hat sich das Landgericht mit der Glaubwür-digkeit der Belastungszeugin eingehend auseinandergesetzt<br />

(UA S. 27 – 51). Hierbei ist es rechtsfehlerfrei auf mehrere Glaubwürdigkeitsdefizite einge-gangen<br />

(UA S. 48 f.). Vergleichbare Inkonstanzen bestanden auch in dem nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Fall 1 der<br />

Anklage der Staatsanwalt-schaft Berlin vom 25. Juli 2007. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem schrift-lichen Gutachten<br />

der Sachverständigen G. , S. 49 f. (Revisionsbegrün-dung S. 92 f.), welches auf die nach § 344 Abs. 4 Satz<br />

2 StPO zulässig er-hobene Verfahrensbeanstandung zur Kenntnis genommen werden kann. Vor diesem Hintergrund<br />

hätte Veranlassung bestanden, auch auf diese potenziell glaubwürdigkeitsrelevanten Aspekte im Urteil näher einzugehen,<br />

<strong>zum</strong>al da in den Beweiskonstellationen Aussage gegen Aussage, wo die Sachverhalts-hypothese allein von<br />

den Angaben einer Belastungszeugin und ihrem Be-weiswert abhängt, sämtliche Aspekte, die auf die Beweiswürdigung<br />

Einfluss gewinnen können, im Urteil abgehandelt werden müssen.“<br />

Dem schließt sich der Senat an. Er kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei Einhaltung der verfahrensrechtlich<br />

gebotenen Begründungsan-forderungen zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der verurteilungsbezogenen<br />

Angaben der Geschädigten gelangt wäre, für die die Beweislage in dem Parallelfall unbedingt bedeutsam<br />

ist.<br />

StPO § 267 IV 3 Situation nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision und Gewährung<br />

von Wiedereinsetzung durch das Revisionsgericht<br />

BGH, Beschl. v. 10.09.2008 - 2 StR 134/08 - NJW 2008, 3509<br />

Nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der<br />

Revision beginnt die Frist zur Ergänzung der abgekürzten Urteilsgründe mit dem Eingang der Akten<br />

bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht.<br />

Nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beginnt<br />

die Frist zur Ergänzung der abgekürzten Urteilsgründe mit dem Eingang der Akten bei dem für die Ergänzung zuständigen<br />

Gericht.<br />

Gründe:<br />

I. Das Amtsgericht Wiesbaden hat die Angeklagte wegen Untreue in 13 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

einem Jahr verurteilt. Die dagegen gerichtete - in der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf<br />

das Strafmaß beschränkte - Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Wiesbaden nach eintägiger Hauptverhandlung<br />

mit in Anwesenheit der Angeklagten verkündetem Urteil vom 26. April 2007 verworfen. Anschließend hat<br />

es die gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Urteilsgründe zu den Akten gebracht.<br />

Am 13. Juni 2007 hat die Angeklagte Revision eingelegt und zugleich gegen die Versäumung der Einlegungsfrist<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die ihr mit Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main<br />

vom 26. Juli 2007 gewährt worden ist. Die tags darauf von der Geschäftsstelle veranlasste Zustellung dieses Beschlusses<br />

ist am 31. Juli 2007 erfolgt. Bei der Briefannahmestelle der Justizbehörden in Wiesbaden sind die Akten<br />

am 10. August 2007 in Einlauf gekommen; die am 10. September 2007 ergänzten Urteilsgründe sind am 12. September<br />

2007 auf der Geschäftsstelle eingegangen.<br />

Das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Oberlandesgericht Frankfurt am Main möchte die Urteilsgründe<br />

in ihrer ergänzten Fassung vom 10. September 2007 zur Grundlage seiner revisionsrechtlichen Überprüfung machen.<br />

Hieran sieht es sich durch die Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 16. Oktober 1979 -<br />

RReg. I St 180/79 (BayObLGSt 1979, 148) und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. September 1991 - 1 Ws<br />

799/91 (VRS 82, 38) gehindert. Nach deren Auffassung beginnt die Frist zur Urteilsergänzung mit dem Erlass des<br />

Wiedereinset-zungsbeschlusses.<br />

372


Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender<br />

Rechtsfrage vorgelegt:<br />

"Wann beginnt im Falle der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist<br />

zur Einlegung des Rechts-mittels die Frist zur Ergänzung der Urteilsgründe nach §§ 267 Abs. 4 Satz 3, 275 Abs. 1<br />

Satz 2 StPO zu laufen?"<br />

Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:<br />

"Nach einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist beginnt die Frist zur<br />

Ergänzung der abgekürzten Urteilsgründe erst mit dem Eingang der Akten bei dem für die Ergänzung zuständigen<br />

Gericht der Vorinstanz."<br />

II. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG sind erfüllt.<br />

1. An der beabsichtigten Verfahrensweise wäre das Oberlandesgericht Frankfurt am Main gehindert, wenn - entsprechend<br />

der Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts - die fünfwöchige Frist des § 267 Abs. 4 Satz 3, §<br />

275 Abs. 1 Satz 2 StPO mit dem Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses in Lauf gesetzt würde. Denn in diesem<br />

Fall wären die Urteilsgründe erst nach Fristablauf zu den Akten gebracht worden, was die Angeklagte mit einer Verfahrensbeschwerde<br />

gerügt hat. Ob die Divergenz zu der Rechtsmeinung des auf-gelösten Bayerischen Obersten Landesgerichts<br />

die Vorlegungspflicht noch be-gründet, bedarf keiner Entscheidung; denn das Oberlandesgericht Düsseldorf<br />

hat sich seiner Rechtsauffassung angeschlossen. Zwar hat es in der vom vorle-genden Oberlandesgericht angeführten<br />

Entscheidung diese Rechtsauffassung lediglich in einem Hinweis an die Vorinstanz vertreten. In einer die<br />

Vorlagepflicht begründenden Weise hat das Oberlandesgericht Düsseldorf diese Auffassung aber seinem Beschluss<br />

vom 27. August 1980 - 2 Ws 665/80 (JMBl. NW 1982, 139) zugrunde gelegt.<br />

Der Bundesgerichtshof hat die vorgelegte Rechtsfrage noch nicht ab-schließend entschieden. Zwar hat sich der 3.<br />

Strafsenat in seinem Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 3 StR 136/03 (NStZ 2004, 508, 509) für die Auffassung ausgesprochen,<br />

die Frist zur Ergänzung des Urteils werde erst dadurch in Gang gesetzt, dass die Akten nach Erlass des<br />

Wiedereinsetzungsbeschlusses bei dem für die Urteilsergänzung zuständigen Gericht eingingen. Dies bedurfte aber<br />

in dem dort entschiedenen Fall keiner abschließenden Entscheidung, weil bereits die abgekürzte Fassung des angefochtenen<br />

Urteils rechtlicher Nachprü-fung standhielt. Der 5. Strafsenat hat in dem ähnlich gelagerten Fall, dass das<br />

Revisionsgericht feststellt, die Revision sei nicht wirksam zurückgenommen worden, den Tatrichter darauf hingewiesen,<br />

dass die Frist zur Ergänzung der Urteilsgründe mit dem Eingang des feststellenden Beschlusses zu laufen beginne<br />

(BGH, Beschl. vom 8. August 2001 - 5 StR 211/01, bei Becker NStZ-RR 2002, 261; Beschl. vom 12. Juni<br />

2008 - 5 StR 114/08). Die bei Holtz MDR 1990, 490 mitgeteilte Entscheidung des Senats vom 9. Februar 1990 - 2<br />

StR 638/89 betraf eine andere Fallgestaltung.<br />

2. Das vorlegende Oberlandesgericht hat den Eingang der Akten bei dem Landgericht auf den 10. August 2007 datiert;<br />

dies obliegt seiner vertretba-ren Einschätzung (vgl. BGHSt 22, 94, 100; 25, 325, 328) und erscheint darüber<br />

hinaus auch zutreffend (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. vor § 42 Rdn. 17).<br />

3. Die Vorlegungsfrage ist jedoch - wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat - zu weit gefasst. Zu entscheiden<br />

ist lediglich über die verfahrensrechtliche Situation nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision<br />

und der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das Revisionsgericht.<br />

III. Nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beginnt<br />

die Frist zur Ergänzung der abgekürzten Urteilsgründe mit dem Eingang der Akten bei dem für die Ergänzung<br />

zu-ständigen Gericht (vgl. neben den unter II. 1. zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Meyer-Goßner<br />

aaO § 267 Rdn. 30; Rieß NStZ 1982, 441, 445 Fn. 101; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl.<br />

Rdn. 618; a.A. BayObLGSt 1979, 148, 149; OLG Düsseldorf VRS 82, 38; JMBl. NW 1982, 139, 140; JurBüro 1984,<br />

722; KG NZV 1992, 123, 124 [zu § 77 b Abs. 2 OWiG]; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 267 Rdn.<br />

144; Schlüchter in SK-StPO § 267 Rdn. 69; Schlüchter/Frister in SK-StPO § 275 Rdn. 13; Engelhardt in KK-StPO 5.<br />

Aufl. § 267 Rdn. 39; Pfeiffer StPO 5. Aufl. § 267 Rdn. 23).<br />

1. Nach § 267 Abs. 4 Satz 3 StPO können die Urteilsgründe innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgesehenen<br />

fünfwöchigen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand gewährt wird. Zwar regelt der Wortlaut der Vorschrift nur die Dauer der Frist, nicht<br />

aber deren Beginn (BayObLGSt 1977, 77, 79). Gleichwohl kann der Bestimmung aber zwanglos der Wille des Gesetz-gebers<br />

entnommen werden, dass dem Richter die in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgesehene Absetzungsfrist auch<br />

für die Ergänzung des Urteils nach Wieder-einsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur<br />

Einlegung der Revision zur Verfügung stehen soll. Denn nach der Begründung des Ent-wurfs eines Ersten Gesetzes<br />

zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) soll das abgekürzte Urteil "innerhalb der in dem neuen § 275 Abs.<br />

1 Satz 2 StPO vorgesehenen Urteilsabsetzungsfrist um die bei der Begründung eines nicht rechtskräftigen Urteils<br />

373


erforderlichen Angaben ergänzt werden" können (BT-Drucks. 7/551 S. 82). Schon dies legt es nahe, den Beginn der<br />

Fünf-Wochen-Frist nicht von einem Ereignis - dem Erlass oder der Zustellung des Wiedereinsetzungsbeschlusses -<br />

abhängig zu machen, wonach dem Tatrichter nicht die vollen fünf Wochen, sondern nur ein im Einzelfall nicht vorhersehbarer<br />

kürzerer Zeitraum zur Ergänzung des Urteils zur Verfügung steht.<br />

2. Die Strafprozessordnung knüpft den Lauf einer Frist für einen Rechts-behelf gegen einen im schriftlichen Verfahren<br />

ergangenen Beschluss grund-sätzlich nicht an dessen bloßen Erlass. Solche Entscheidungen werden der da-von<br />

betroffenen Person durch Zustellung bekannt gemacht (§ 35 Abs. 2 Satz 1 StPO). In anderen Fällen knüpft sie den<br />

Fristbeginn an die Kenntniserlangung von bestimmten Umständen. Dies gilt für die Anhörungsrüge gemäß § 356 a<br />

Satz 2 StPO und kommt in ähnlicher Weise für die Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO <strong>zum</strong> Tragen (vgl. Meyer-<br />

Goßner aaO § 45 Rdn. 3). Würde man den Lauf der Frist des § 267 Abs. 4 Satz 3 StPO hingegen mit dem Tag beginnen<br />

lassen, an dem der Wiedereinsetzungsbeschluss "in den Gerichtsauslauf" gegeben wird (so BayObLGSt 1979,<br />

148), so würde dies zu Unsicherheiten führen; denn dieser Zeitpunkt muss in den Akten nicht hinreichend genau<br />

dokumentiert sein. Hieran anzuknüpfen besteht auch bei einer gerichtsinternen Frist keine Veran-lassung.<br />

3. Es entspricht dem Sinn und Zweck des § 267 Abs. 4 Satz 3 StPO, den Beginn der Frist auf den Zeitpunkt festzulegen,<br />

in dem die Akten bei dem für die Urteilsergänzung zuständigen Gericht eingehen. Mit der Vorschrift wollte der<br />

Gesetzgeber verhindern, dass ein Rechtsmittel, das nach Ablauf der Rechtsmit-telfrist eingelegt wird, nur deshalb zur<br />

Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, weil die zur Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht erforderlichen<br />

Feststellungen fehlen, deren Angabe das Gericht bei der Urteilsabsetzung für entbehrlich halten durfte (BGH NStZ<br />

2004, 508, 509; OLG München NJW 2007, 96, 97; BT-Drucks. 7/551 S. 82; Gollwitzer aaO § 267 Rdn. 143). Dieses<br />

Ziel ist jedoch nur dann zu erreichen, wenn dem Richter die zur sorgfältigen Absetzung des nicht rechtskräftigen,<br />

revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegenden Urteils erforderliche Zeit tatsächlich zur Verfügung steht. Die<br />

hierfür erforderli-che Höchstfrist hat der Gesetzgeber generalisierend in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO mit fünf Wochen<br />

festgelegt. Diese Frist steht dem Tatrichter - ähnlich der Urteilsabsetzungsfrist nach Verkündung des Urteils in der<br />

Hauptverhandlung - zuverlässig zur Verfügung, wenn auf den Eingang der Akten bei seinem Gericht abgestellt wird<br />

(vgl. auch BayObLGSt 1977, 77, 78). Hingegen würde die An-nahme des Fristbeginns bereits mit dem Erlass des<br />

Wiedereinsetzungsbe-schlusses (oder dessen Zustellung) selbst im Fall einer äußerst zügigen Rück-leitung der Strafakten<br />

dazu führen, dass die Ergänzungsmöglichkeit ohne sach-lichen Grund in zeitlicher Hinsicht beschränkt wird;<br />

Verzögerungen bei der Rücksendung der Akten und späte Kenntnis des Tatgerichts von der Wieder-einsetzung könnten<br />

sogar zur Folge haben, dass eine fristgerechte Ergänzung des Urteils von vornherein unmöglich wäre (BGH NStZ<br />

2004, 508, 509). Dass der Gesetzgeber diese Folge, die sich aus der unterlassenen Verweisung auf § 275 Abs. 1 Satz<br />

4 StPO ergibt (vgl. OLG Hamburg MDR 1978, 247 f.; Meyer-Goßner aaO § 267 Rdn. 30; Rieß NStZ 1982, 441,<br />

445; zw Gollwitzer aaO § 267 Rdn. 146), bewusst in Kauf genommen hätte (so BayObLGSt 1979, 148, 151), vermag<br />

der Senat nicht zu erkennen.<br />

4. Der Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei dem für die Ergänzung zu-ständigen Gericht der Vorinstanz ist durch<br />

den Eingangsstempel einfach fest-zustellen (so auch das OLG Frankfurt am Main in seinem Vorlagebeschluss); die<br />

vom Senat gefundene Rechtsauslegung trägt daher auch zur Rechtssicher-heit bei. Die Anknüpfung an den Eingang<br />

der Akten bei Gericht ist der Strafpro-zessordnung auch in anderem Zusammenhang nicht fremd (§ 321 Satz 2, § 347<br />

Abs. 2 StPO). Eine einfache und eindeutige Feststellung des maßgebli-chen Zeitpunkts wäre nicht in gleichem Maße<br />

gewährleistet, wenn auf den Ein-gang der Akten bei dem zur Ergänzung berufenen Richter selbst abgestellt würde<br />

(vgl. dazu auch BayObLGSt 1979, 148, 151).<br />

5. Gegen die Auffassung des Senats kann entgegen den Bedenken der Revisionsführerin in der Vorlegungssache<br />

nicht eingewandt werden, auf diese Weise würden Verzögerungen innerhalb der Justiz zu Lasten des Rechtsmittelführers<br />

gehen. Vielmehr handelt es sich um die sachgerechte Anpassung des Laufs der Frist des § 267 Abs. 4 Satz 3<br />

StPO an die in § 46 Abs. 1 StPO getrof-fene Zuständigkeitsregelung für die Gewährung von Wiedereinsetzung in<br />

den vorigen Stand. Insbesondere wird in Fällen der Urteilsergänzung die Revisions-begründungsfrist erst durch die<br />

Zustellung des ergänzten Urteils in Lauf ge-setzt.<br />

6. Eine Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung ist nicht zu besorgen: Zwar verweist § 267 Abs. 4 Satz<br />

3 StPO nicht auf das Unverzüglich-keitsgebot in § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der das gesamte Strafverfahren umgreifende<br />

Beschleunigungsgrundsatz folgt aber aus Art. 6 Abs. 1 MRK (BGH - Großer Senat für Strafsachen - NJW<br />

2008, 860, 861); er besteht auch im öf-fentlichen Interesse (BGHSt 26, 228, 232 f.). Es ist daher die selbstverständliche<br />

Dienstpflicht der mit dem Geschäftsablauf befassten Justizorgane, eine zügige Rückleitung der Akten an das für<br />

die Urteilsergänzung zuständige Ge-richt zu gewährleisten; diesem obliegt es, die ergänzenden Urteilsgründe ohne<br />

vermeidbare Verzögerung schriftlich niederzulegen (vgl. BVerfG StV 2006, 81, 85; BGH NStZ 1992, 398 f.). Ver-<br />

374


stößen ist gegebenenfalls nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Rechnung zu tragen (vgl. Großer Senat für Strafsachen<br />

aaO).<br />

StPO § 274 Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Beratung keine "Förmlichkeit"<br />

BGH, Beschl. v. 14.10.2008 – 4 StR 260/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 105; wistra <strong>2009</strong>, 33<br />

Eine Unterbrechung der Hauptverhandlung <strong>zum</strong> Zwecke der Beratung ist keine "für die Hauptverhandlung<br />

vorgeschriebene Förmlichkeit" i.S.d. § 274 StPO.<br />

1. Dem Angeklagten Ruslan K. wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der<br />

Revision gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 27. November 2007 Wiedereinsetzung in den vori-gen<br />

Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen.<br />

Der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 5. März 2008, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig<br />

verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.<br />

2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeich-nete Urteil des Landgerichts werden verworfen.<br />

3. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten Elberd K. die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.<br />

Der Angeklagte Ruslan K. trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Beide Angeklagten haben die den<br />

Nebenklägern im Revisionsverfahren entstande-nen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten Elberd K. wegen Totschlags - unter Einbeziehung einer Vorverurteilung<br />

- zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt sowie den Angeklagten Ruslan K. wegen<br />

gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Die Revisionen der Angeklagten,<br />

mit denen sie die Verletzung formel-len und materiellen Rechts rügen, haben keinen Erfolg.<br />

1. Die von beiden Angeklagten erhobene Rüge, das Urteil sei entgegen § 260 Abs. 1 StPO im unmittelbaren Anschluss<br />

an die Plädoyers der Verteidiger und das letzte Wort der Angeklagten verkündet worden, ohne dass sich das<br />

Gericht zur Beratung zurückgezogen habe, ist unbegründet.<br />

a) Zwar weist das Sitzungsprotokoll eine Unterbrechung der Hauptver-handlung <strong>zum</strong> Zwecke der Urteilsberatung<br />

nicht aus. Damit steht der gerügte Verfahrensverstoß jedoch nicht fest. Denn die Beratung selbst ist nicht Gegenstand<br />

der formellen Beweiskraft gemäß § 274 StPO. Die Beratung ist geheim und schon deshalb nicht Bestandteil der<br />

Hauptverhandlung; an ihr nimmt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht teil (BGHSt 5, 294; BGH NStZ 1987,<br />

472; BGH, Beschluss vom 23. November 2000 – 3 StR 428/00). Auch eine Un-terbrechung der Hauptverhandlung<br />

<strong>zum</strong> Zwecke der Beratung ist keine “für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit“ i.S.d. § 274 StPO.<br />

Eine Bera-tung kann jederzeit vor, während und nach einer Sitzung erfolgen, ohne dass dies jeweils explizit im Protokoll<br />

zu vermerken wäre. Im Übrigen sieht § 272 Nr. 1 StPO nur vor, dass der Tag der Verhandlung ins Protokoll<br />

aufgenommen wird, nicht aber etwa die genaue Uhrzeit, die genaue Dauer oder etwaige Un-terbrechungen (vgl. auch<br />

BGH VRS 32, 143).<br />

b) Die Frage, ob vor Urteilsverkündung eine Beratung des Gerichts statt-gefunden hat, war daher im Freibeweis zu<br />

klären. Die vom Senat eingeholten Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter einschließlich der Instanzverteidiger hat<br />

indes ergeben, dass die Hauptverhandlung nach dem letzten Wort der Ange-klagten <strong>zum</strong> Zwecke der Urteilsberatung<br />

unterbrochen wurde. Die Richter und Schöffen haben darüber hinaus übereinstimmend mitgeteilt, dass in dieser Zeit<br />

tatsächlich eine umfassende Beratung stattgefunden habe.<br />

2. Die Rüge des Angeklagten Elberd K. , mit der er die Verletzung von § 265 StPO geltend macht (Ziffer 2.4.<br />

der Revisionsbegründung), greift e-benfalls nicht durch.<br />

a) Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage<br />

war den (drei) Angeklagten eine gemeinschaftlich begangene Körperverletzung mit Todesfolge gemäß §§ 227, 25<br />

Abs. 2 StGB zur Last gelegt worden (der dritte Angeklagte - Orzeho K. - ist wegen gefährlicher Körperverletzung<br />

schuldig gesprochen; er hat keine Re-vision eingelegt). Dabei ging die Anklage davon aus, dass sämtliche Angeklagte<br />

an einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Tatopfer beteiligt waren, in de-ren Verlauf einer von ihnen das<br />

Opfer mit Messerstichen tödlich verletzte. Wel-cher der Angeklagten zugestochen hatte, ließ die Anklage offen. Im<br />

wesentli-chen Ergebnis der Ermittlungen heißt es: “Da bislang nicht festgestellt werden kann, wer den tödlichen<br />

Stich führte, kam eine Anklageerhebung wegen Tot-schlags nicht in Betracht“. In der Hauptverhandlung erging an<br />

die Angeklagten folgender Hinweis: “In Betracht kommen auch jeweils Bestrafungen wegen ge-fährlicher Körper-<br />

375


verletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 + 4 StGB sowie Be-strafungen wegen Totschlags gem. § 212 gegebenenfalls<br />

213 StGB“. Im Urteil ist festgestellt, dass der Angeklagte Elberd K. die tödlichen Messerstiche führte.<br />

b) Die Revision beanstandet, dass das Gericht im Urteil einen Sachver-halt zu Grunde gelegt habe, der wesentlich<br />

von der Anklage und dem Eröff-nungsbeschluss abweiche, ohne dass der Beschwerdeführer auf diese Verän-derung<br />

zuvor hingewiesen worden sei. Im Übrigen sei er nicht darauf hingewie-sen worden, dass eine Verurteilung wegen<br />

Totschlags in Alleintäterschaft er-wogen werde.<br />

c) Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Zutreffend ist zwar der rechtliche Ansatz der Revision: Die Annahme von Alleintäterschaft<br />

anstelle von Mittäterschaft ist hinweispflichtig (BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5 und 6). Dieser<br />

Pflicht ist hier jedoch Genüge getan. Der protokollierte Hinweis des Vorsitzen-den in der Hauptverhandlung zielte<br />

hinreichend deutlich auf eine mögliche Ver-urteilung wegen Totschlags in Alleintäterschaft ab. Denn in ihm ist von<br />

gemein-schaftlich begangenem Totschlag gerade nicht die Rede. Auf § 25 Abs. 2 StGB ist nicht Bezug genommen.<br />

Dadurch, dass der Hinweis ausweislich des Proto-kolls an alle Angeklagte (“jeweils“) gerichtet und im Plural (“Bestrafungen“)<br />

ge-fasst war, wurde jedem der Angeklagten vor Augen geführt, dass er als derjeni-ge identifiziert werden<br />

konnte, der die Messerstiche geführt und damit den Tot-schlag begangen hatte. Dabei sollte der Beweiswürdigung<br />

der Strafkammer über diese Frage nicht “vorgegriffen“ werden, <strong>zum</strong>al die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen<br />

war. Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem Zu-sammenhang mit der zugelassenen Anklage. Die<br />

Annahme von Mittäterschaft in der Anklage bezog sich auf einen anderen Tatbestand, nämlich den der Körperverletzung<br />

mit Todesfolge. Die Begründung, mit der dort im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen die Annahme<br />

eines Tötungsdeliktes abgelehnt wur-de, zeigt, dass eine gemeinschaftlich begangene Tötung gerade nicht in Betracht<br />

gezogen worden war. Auch vor dem Hintergrund der Anklage war der rechtliche Hinweis mithin nicht missverständlich.<br />

3. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revi-sionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Angeklagten erge-ben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend<br />

ausgeführt hat.<br />

StPO § 286 ff. Revision unter Bedingung des Misserfolgs der Haftbeschwerde unzulässig<br />

BGH; Beschl. v. 04.03.<strong>2009</strong> – 2 StR 7/09<br />

Ein Rechtsmittel, dessen Durchführung erklärtermaßen davon abhängig gemacht wird, dass eine<br />

Haftbeschwerde erfolglos bleibt, ist unzulässig.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. September 2008 wird als unzulässig<br />

verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Rechtsmittel ist bereits nicht zulässig. Der Revisionsführer hat - wie er selbst einräumt - sein Rechtsmittel nur<br />

deshalb eingelegt, um einer gleichzei-tig erhobenen Haftbeschwerde Nachdruck zu verleihen. In der Rechtsmittelschrift<br />

heißt es u. a.:<br />

"Der Unterzeichner möchte insbesondere namens und in Vollmacht für den Angeklagten klargestellt wissen, dass die<br />

vorbenannte Revision ebenfalls von ihm im eigentlichen Sinne nicht durchgeführt werden möch-te. …<br />

Der Angeklagte sowie sein Verteidiger würden das Rechtsmittel in dem Moment zurückziehen, wo auf die Beschwerde<br />

hin der Untersuchungs-haftbefehl aufgehoben wird. …"<br />

Damit verfolgt der Angeklagte erkennbar kein sachliches Ziel im Rahmen des Revisionsverfahrens; ein Rechtsmittel,<br />

dessen Durchführung erklärterma-ßen davon abhängig gemacht wird, dass eine Haftbeschwerde erfolglos bleibt, ist<br />

unzulässig (LR-Hanack StPO 25. Aufl. vor § 296 Rdn. 22 f. m.w.N.).<br />

376


StPO § 302 I 1 Rechtsmittelverzicht nach Absprache und qualifizierter Belehrung wirksam<br />

BGH, Beschl. v. 05.12.2008 – 2 StR 495/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 147; StV <strong>2009</strong>, 174<br />

Eine im Einverständnis der Beteiligten getroffene Vereinbarung über die Verfahrenserledigung<br />

darf sich weder über das auch verfassungsrechtliche Gebot der umfassenden Wahrheitsermittlung<br />

noch über das Gebot gerechten Strafens hinwegsetzen. Geschieht dies - ggf. unter gleichfalls unzulässiger<br />

informeller Verabredung eines Rechtsmittelverzichts - gleichwohl, so sind solche Ergebnisse<br />

der Erfüllung der rechtsstaatlichen Aufgaben gleichmäßiger und gerechter Strafverfolgung abträglich<br />

und geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafjustiz zu erschüttern.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 5. Dezember 2008 gemäß §§ 44 ff., 349 Abs. 1 StPO beschlossen:<br />

1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur<br />

Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 27. Mai 2008 zu gewähren, wird auf seine<br />

Kosten als unbe-gründet verworfen.<br />

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unzulässig verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Gründe:<br />

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, gegen dessen Zulässigkeit bereits Bedenken bestehen, ist<br />

jedenfalls unbegründet, denn der Beschwerdeführer hat auf die Einlegung von Rechtsmitteln gemäß § 302 StPO<br />

wirksam verzichtet. Er wurde im Anschluss an die Verkündung des auf einer mit seiner Zustimmung zustande gekommenen<br />

Absprache beruhenden Urteils vom Vorsitzenden qualifiziert belehrt. Nach Rücksprache mit seinem<br />

Verteidiger hat er sodann auf die Einlegung von Rechtsmitteln ausdrücklich verzichtet. Die Un-wirksamkeit dieser<br />

Erklärung ist weder in dem Wiedereinsetzungsantrag darge-tan noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich. Soweit<br />

mit dem Antrag vorgetra-gen wird, der Angeklagte sei "überfordert" gewesen, ist damit eine zur Unwirk-samkeit des<br />

Verzichts führende Einschränkung der Verhandlungsfähigkeit nicht behauptet. Anhaltspunkte für einen unzulässigen<br />

Zwang bei Abgabe der Ver-zichtserklärung sind nicht gegeben.<br />

2. Die Revision war daher gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.<br />

3. Der Senat merkt an:<br />

Anklage und Eröffnungsbeschluss legten den Angeklagten einen ge-meinschaftlich begangenen Mord zur Last. Das<br />

Landgericht hat in der Haupt-verhandlung Anlass gesehen, einen rechtlichen Hinweis auf die Möglichkeit des Vorliegens<br />

weiterer Mordmerkmale zu erteilen.<br />

Nach den Feststellungen der Urteilsgründe war den Angeklagten be-wusst, dass das von ihnen zur Durchführung des<br />

Raubs gefesselte und gekne-belte Tatopfer ersticken konnte; "dies war ihnen aber gleichgültig, da sie sich einen<br />

zeitlichen Vorsprung verschaffen wollten" (UA S. 7).<br />

Die Verurteilung nur wegen Raubs mit Todesfolge, bei fahrlässiger Ver-ursachung des Todes, ist unverständlich und<br />

offensichtlich rechtsfehlerhaft. Sie beruht auf einer Verfahrensabsprache, deren Inhalt der Vorsitzende nach dem<br />

Protokoll der Hauptverhandlung wie folgt dargestellt hat:<br />

"Vor Beginn der Hauptverhandlung fand ein Gespräch über eine vorzeitige Beendigung des Verfahrens statt.<br />

Dies mag überraschen. Gleichwohl war dies bereits zu Beginn des Verfahrens angezeigt, weil die Aktenlage eine<br />

solche Vorgehens-weise aufdrängte, dies im Hinblick auf die geständigen Einlassun-gen beider Angeklagter.<br />

Unter Berücksichtigung dessen konnte zwischen allen Verfahrens-beteiligten und der Kammer die gebotene zügige<br />

Beendigung des Verfahrens ins Auge gefasst werden im Falle einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe gegen<br />

beide Angeklagte in Höhe von höch-stens 12 Jahren und einer Unterbringung nach § 64 StGB, dies un-ter der Voraussetzung,<br />

dass sich beide Angeklagte des mittäter-schaftlich begangenen Raubes mit Todesfolge gem. § 249, 250,<br />

251 StGB schuldig gemacht haben."<br />

Im Anschluss an diese Erklärung des Vorsitzenden ließen die Angeklag-ten erklären:<br />

"Wir sind mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden. Das Ur-teil ist schmerzhaft für uns, aber als Sühne für<br />

das von uns began-gene Unrecht in dieser Höhe angemessen."<br />

Der Schuldspruch und der Rechtsfolgenausspruch von zwölf Jahren Freiheitsstrafe entsprachen den übereinstimmenden<br />

Anträgen von Staatsan-waltschaft, Verteidigern und Nebenklägervertreter.<br />

377


Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Absprache, die auf einen "Vergleich" über den<br />

Schuldspruch gerichtet ist, rechtswidrig und unzulässig (vgl. BGHSt 43, 195, 204; 50, 40, 50; BGH, Urt. vom 16.<br />

Juni 2005 - 3 StR 338/04, bei Becker NStZ-RR 2007, 2).<br />

Eine im Einverständnis der Beteiligten getroffene Vereinbarung über die Verfahrenserledigung darf sich weder über<br />

das auch verfassungsrechtliche Ge-bot der umfassenden Wahrheitsermittlung noch über das Gebot gerechten Strafens<br />

hinwegsetzen. Geschieht dies - ggf. unter gleichfalls unzulässiger informel-ler Verabredung eines Rechtsmittelverzichts<br />

- gleichwohl, so sind solche Er-gebnisse der Erfüllung der rechtsstaatlichen Aufgaben gleichmäßiger und<br />

ge-rechter Strafverfolgung abträglich und geeignet, das Vertrauen der Öffentlich-keit in die Strafjustiz zu erschüttern.<br />

Vorliegend war nicht ersichtlich, welche Anliegen der Verfahrensökono-mie es in dem tatsächlich und rechtlich<br />

einfach gelagerten Fall hätten nahele-gen können, die zitierte Vereinbarung zu treffen. Die Einholung und Protokollie-rung<br />

von Erklärungen <strong>zum</strong> Rechtsmittelverzicht durch den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, die Nebenklagevertreterin,<br />

die Angeklagten und ihre Ver-teidiger war nicht nahe liegend.<br />

StPO § 302 Teilanfechtung durch StA weitergehend aus Begründung<br />

BGH, Urt. v. 07.05.<strong>2009</strong> – 3 StR 122/09<br />

Zur Auslegung des Revisionsumfangs bei einem Widerspruch zwischen Revisionsantrag und dem<br />

Inhalt der Revisionsbegründung.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Mai <strong>2009</strong> für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts Krefeld vom 20. Oktober 2008 im Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an ei-ne andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Er-pressung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung<br />

für schuldig befunden, für diese Tat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren festgesetzt und ihn unter Einbeziehung<br />

der Einzelstrafen (dreimal sechs Jahre und zweimal drei Jahre Frei-heitsstrafe) aus dem Urteil des Landgerichts<br />

Köln vom 22. Februar 2008 (rechtskräftig seit dem 10. September 2008) unter Auflösung der dort gebildeten<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt.<br />

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf<br />

den "Rechtsfolgenausspruch" beschränkten Revision, die vom Generalbun-desanwalt vertreten wird. Sie rügt die<br />

Verletzung materiellen Rechts.<br />

Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Straf-ausspruch beschränkt. Das Rechtsmittel erfasst<br />

deshalb nicht die im angefoch-tenen Urteil unterbliebene Erörterung der Unterbringung des Angeklagten in der<br />

Sicherungsverwahrung, obwohl unter Berücksichtigung der einbezogenen Stra-fen und der ihnen zugrunde liegenden<br />

Taten die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllt waren (vgl. BGH NStZ 2002,<br />

536, 537; 2007, 212; Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66 Rdn. 84 und 107). Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung<br />

ist vielmehr vom Rechts-mittelangriff ausgenommen.<br />

a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegrün-dungsschrift eine Beschränkung auf den "Rechtsfolgenausspruch"<br />

erklärt und am Ende ihrer Ausführungen als Ziel ihres Rechtsmittels die Aufhebung des Urteils im<br />

"Rechtsfolgenausspruch" und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung<br />

über die "Rechtsfolgen" benannt. Mit diesem den gesamten Rechtsfolgenausspruch umfassenden Revisionsantrag<br />

steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich,<br />

dass die Revisionsführerin das Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Einzelstra-fe<br />

zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und<br />

sowohl die Einzel- als auch die Gesamtfreiheitsstra-fe unangemessen milde bemessen habe. Dass das Landgericht,<br />

wie der Gene-ralbundesanwalt meint, es auch rechtsfehlerhaft unterlassen habe, die Voraus-setzungen der Unterbrin-<br />

378


gung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung zu prüfen, beanstandet die Beschwerdeführerin in ihrer Revisionsbegründung<br />

nicht.<br />

Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbe-gründung. In einem solchen Fall ist nach<br />

ständiger Rechtsprechung das An-griffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHR StPO § 344<br />

Abs. 1 Antrag 3; BGH NStZ-RR 2004, 118; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 10). Nach dem<br />

insoweit maßgeblichen und hier ein-deutigen Sinn der Revisionsbegründung ist deshalb allein der Strafausspruch<br />

angefochten und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung vom Rechts-mittelangriff ausgenommen. Der Senat<br />

bemerkt jedoch, dass, <strong>zum</strong>al bei einer Revision der Staatsanwaltschaft, der Revisionsantrag deckungsgleich mit dem<br />

Inhalt der Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird unnö-tig belastet, wenn der Umfang der<br />

Anfechtung erst durch Auslegung ermittelt werden muss (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 118; Nr. 156 Abs. 2 RiStBV).<br />

b) Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.<br />

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Aussprüche über einzelne Rechtsfolgen selbständig angegriffen werden<br />

können (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 12 m. w. N.). Voraussetzung ist jedoch, dass zwischen der angefochtenen<br />

und den übrigen Rechtsfolgen keine Wechselwirkung besteht (vgl. Kuckein aaO). So kann die Staatsanwaltschaft<br />

ihre Revision etwa wirksam auf die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränken, wenn<br />

davon auszugehen ist, dass die Nichtanordnung der Maßregel die Strafe nicht beeinflusst hat, diese also nicht niedriger<br />

ausgefallen wäre, wenn auf Siche-rungsverwahrung erkannt worden wäre (vgl. BGH NStZ 2007, 212; BGH, Urt.<br />

vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98). Für den hier vorliegenden umgekehrten Fall - Beschränkung der Revision der<br />

Staatsanwaltschaft auf den Strafausspruch unter Ausnahme der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung vom<br />

Rechts-mittelangriff - gilt nichts anderes, wenn eine Wechselwirkung zwischen Strafe und unterbliebener Maßregelanordnung<br />

auszuschließen ist.<br />

So verhält es sich hier. Dem Urteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass zwischen einer unterbliebenen<br />

Anordnung der Sicherungs-verwahrung und der vom Landgericht festgesetzten Einzel- und Gesamtstrafe ein<br />

innerer Zusammenhang besteht und das Landgericht im Falle einer Maß-regelanordnung die Strafen anders als geschehen<br />

bemessen hätte.<br />

2. Der damit der revisionsrechtlichen Überprüfung allein unterliegende Strafausspruch hat keinen Bestand.<br />

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts erschlich sich der Ange-klagte in Raubabsicht den Zutritt in das Wohnhaus<br />

der zu dieser Zeit allein an-wesenden Zeugin P. . Er bedrohte die Zeugin sogleich mit einer gelade-nen<br />

Gaswaffe und zwang sie zunächst zur Übergabe der von ihr getragenen Schmuckstücke und zur Herausgabe von<br />

6.000 Euro Bargeld. Da der Ange-klagte aufgrund des Hinweises seines Tippgebers davon ausging, dass im Haus<br />

noch weitere Wertgegenstände verwahrt wurden, fesselte er die Zeugin im Schlafzimmer des 1. Obergeschosses mit<br />

Kabelbindern an Händen und Füßen und begann, das Haus zu durchsuchen. Währenddessen gelang es der Zeugin,<br />

die Hand-, nicht aber die Fußfesseln zu lösen. Sie hüpfte, in der Absicht von dort zu fliehen, auf den Balkon. Durch<br />

Hilferufe der Zeugin aufmerksam gewor-den, erkannte der Angeklagte die Fluchtabsicht der Zeugin, die bereits die<br />

Bal-konbrüstung überstiegen hatte. Es kam zu einem Handgemenge zwischen der Zeugin und dem Angeklagten, der<br />

versuchte, die Zeugin von einer Flucht abzu-halten. In dessen Verlauf stürzte die Zeugin vom Balkon etwa drei Meter<br />

in die Tiefe und verletzte sich dabei schwer. Der Angeklagte hatte diese Gefahr er-kannt, jedoch darauf vertraut,<br />

dass diese sich nicht realisiert. Ihm gelang die Flucht mit der bereits erzielten Beute.<br />

b) Das Landgericht hat die Tat als einen minder schweren Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB gewertet. Dies hält<br />

rechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung<br />

maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom<br />

Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens<br />

geboten erscheint (vgl. BGHSt 26, 97 ff.; BGH NStZ-RR 2004, 80).<br />

Umstände, die geeignet sind, diesen an das Vorliegen eines minder schweren Falles zu stellenden Anforderungen zu<br />

genügen, zeigt das Landge-richt nicht auf. Vielmehr überwiegen die strafschärfenden Faktoren in einer Weise, dass<br />

die Annahme eines minder schweren Falles unvertretbar ist.<br />

Zu Lasten des Angeklagten hat das Landgericht die bei Begehung der Tat <strong>zum</strong> Ausdruck gekommene erhebliche<br />

kriminelle Energie des Angeklagten berücksichtigt. Er habe die Tat umfangreich geplant, sich mit einer geladenen<br />

Gaswaffe und mit Fesselungswerkzeug ausgestattet und sei davon ausgegan-gen, Bargeld in Höhe von 100.000 bis<br />

150.000 Euro sowie gleichwertigen Schmuck im Hause des Tatopfers erbeuten zu können. Er sei in die Privatsphä-re<br />

des Opfers eingedrungen und habe es nicht nur bedroht sondern auch ge-fesselt. Zudem seien dem Angeklagten die<br />

schweren physischen (Bruch der Wirbelsäule, Gefahr der Querschnittslähmung, Notoperation, fünfmonatige Metallstabilisierung,<br />

anhaltende starke Schmerzen) und psychischen Tatfolgen zuzurechnen, die das Opfer erlitten habe.<br />

379


Diese vom Landgericht zu Recht strafschärfend herangezogenen Umstände heben jedoch schon das Tatbild deutlich<br />

vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle einer (beson-ders) schweren räuberischen Erpressung nach §<br />

250 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. §§ 253, 255 StGB ab. Hinzu kommt, dass der Angeklagte bereits erheblich vor-bestraft ist<br />

und mehrere Jahre im Strafvollzug verbrachte. Schließlich hat die Strafkammer straferschwerend zutreffend darauf<br />

verwiesen (vgl. BGH NStZ 2006, 343; BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung 2), dass die<br />

verfahrensgegenständliche Tat Auftakt einer Serie von fünf weiteren Überfällen war, die der Angeklagte jeweils<br />

unter Einsatz einer scharfen Schusswaffe auf Banken und einen Supermarkt beging.<br />

Dieser großen Anzahl gewichtiger Strafschärfungsgründe hat das Land-gericht lediglich das tataufklärende Geständnis,<br />

seine - allerdings nur einge-schränkte - Aufklärungshilfe bei Ermittlung der Tatbeteiligten, sowie die Entschuldigung<br />

gegenüber gestellt, die der Angeklagte gegenüber dem Tatopfer in der Hauptverhandlung <strong>zum</strong> Ausdruck<br />

brachte.<br />

In Anbetracht des Gewichts und des eindeutigen Überwiegens straf-schärfender Gesichtspunkte war für die Anwendung<br />

eines minder schweren Falles hier kein Raum. Die fehlerhafte Strafrahmenwahl führt zur Aufhebung der Einzelstrafe<br />

und damit einhergehend zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.<br />

3. Der Strafausspruch weist, was der Senat gemäß § 301 StPO zu prü-fen hat, keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des<br />

Angeklagten auf.<br />

StPO § 338 Nr. 1c, GVG § 76 II 1 Nur 2 Berufsrichter Besetzungsfehler<br />

BGH, Beschl. 05.08.2008 – 5 StR 317/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 53; StV 2008, 505; BGHR GVG § 76 II Besetzungsbeschluss 6<br />

Besetzungsfehler durch kleine Besetzung der großen Strakammer<br />

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2008 beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 29. November 2007 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat<br />

mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Sie rügt zu Recht, dass die Hauptverhandlung in einer gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1<br />

GVG reduzierten Besetzung durchgeführt wurde (§ 338 Nr. 1 StPO).<br />

1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:<br />

Durch Eröffnungsbeschluss vom 11. September 2006 hat die Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet, ohne dabei<br />

einen Beschluss gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG zu fassen. Am 9. Oktober 2007 hat sie den Eröff-nungsbeschluss<br />

„durch die Feststellung ergänzt, dass die Hauptverhandlung in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich<br />

des Vorsitzenden und zwei Schöffen“ stattfindet. Dieser Beschluss ist bis zur Hauptverhandlung der Verteidigung<br />

weder zugestellt worden noch sonst bekannt geworden. Auch eine Mitteilung der Gerichtsbesetzung nach § 222a<br />

Abs. 1 Satz 2 StPO ist bis <strong>zum</strong> Beginn der Hauptverhandlung nicht erfolgt. In der Hauptverhandlung hat der Vorsitzende<br />

die Gerichtsbesetzung mitgeteilt, ohne auf den Be-schluss vom 9. Oktober 2007 hinzuweisen. Der Antrag der<br />

Verteidigung, die Hauptverhandlung wegen der erst jetzt mitgeteilten Besetzung zu unterbre-chen, wurde nach einer<br />

Unterbrechung von fünf Minuten durch Gerichtsbe-schluss mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Gericht<br />

ordnungs-gemäß besetzt sei.<br />

2. Der zulässig erhobenen Besetzungsrüge, die nicht präkludiert ist, kann der Erfolg nicht versagt werden. Mit nur<br />

zwei Berufsrichtern war das erkennende Gericht fehlerhaft besetzt.<br />

a) Die Rüge ist zulässig, weil – wie die Revision vollständig mitgeteilt hat – die große Strafkammer die Hauptverhandlung<br />

nach § 222a Abs. 2 StPO zur Prüfung der Besetzung gar nicht unterbrochen hat (§ 338 Nr. 1 lit. c StPO;<br />

vgl. zudem im Anschluss an den Antrag des Generalbun-desanwalts zur Unterbrechungsdauer Meyer-Goßner, StPO<br />

51. Aufl. § 222a Rdn. 22).<br />

b) Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht in der Besetzung mit zwei – anstatt mit drei – Berufsrichtern<br />

(und zwei Schöffen) entschieden hat, obwohl es bei Eröffnung des Hauptverfahrens einen dahin gehenden<br />

Beschluss nach § 76 Abs. 2 GVG nicht gefasst hatte.<br />

380


aa) Die Entscheidung über die Anzahl der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Richter ist bei der Eröffnung des<br />

Hauptverfahrens zu treffen (vgl. BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 1; Meyer-Goßner aaO § 76 GVG<br />

Rdn. 4). „Bei der Eröffnung“ bedeutet zugleich mit der Eröffnungs-entscheidung; eine spätere Beschlussfassung ist<br />

nicht möglich, weil mit der Eröffnung des Hauptverfahrens feststehen muss, mit wie vielen Richtern das erkennende<br />

Gericht in diesem Verfahrensabschnitt besetzt ist (vgl. Begrün-dung RegE des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege<br />

vom 11. Janu-ar 1993 in BT-Drucks. 12/1217, S. 48; BGHSt 44, 328, 332; Siolek in Lö-we/Rosenberg, StPO<br />

25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 4). Die Entscheidung kann regelmäßig auch nicht mehr geändert werden (vgl. BGH NStZ-<br />

RR 2006, 214; Meyer-Goßner aaO m.w.N.). Hiernach ist der („Feststellungs“-)Beschluss des Landgerichts vom 9.<br />

Oktober 2007 ohne rechtliche Relevanz.<br />

bb) Ist bei Eröffnung des Hauptverfahrens nicht nach § 76 Abs. 2 GVG beschlossen worden, dass die große Strafkammer<br />

in der Hauptverhandlung nur mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen be-setzt<br />

ist, so muss die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit drei Richtern tätig werden, und zwar auch dann, wenn der<br />

Ausspruch versehentlich unter-blieben ist (vgl. BGHSt 44, 361, 362; BGH NStZ-RR 2006, 214; LG Bremen StV<br />

2004, 251; Siegismund/Wickern wistra 1993, 139; Siolek aaO m.w.N.; Meyer-Goßner aaO; Diemer in KK 5. Aufl. §<br />

76 GVG Rdn. 2; Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 76 Rdn. 8; vgl. differenzierend – nicht tragend – <strong>zum</strong> Regel-<br />

Ausnahme-Verhältnis BGHSt 44, 328, 331).<br />

Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG ist eine große Strafkammer in der Hauptverhandlung grundsätzlich mit drei Berufsrichtern<br />

und zwei Schöffen besetzt. Ein Abweichen von dieser gesetzlichen Vorgabe bedarf ausdrückli-cher Beschlussfassung<br />

(§ 76 Abs. 2 GVG).<br />

StPO § 338 Nr. 4, GG Art 101 I 2 Funktionelle Zuständigkeit des Gerichts durch unterlassenen<br />

Einwand der funktionellen Unzuständigkeit<br />

BGH, Urt. v. 11.12.2008 – 4 StR 376/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 155<br />

Hat der Angeklagte bis <strong>zum</strong> Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung den<br />

Einwand der funktionellen Unzuständigkeit des Gerichts nicht erhoben, ist die an sich unzuständige<br />

Strafkammer damit (funktionell) zuständig geworden und eine Verweisung gem. § 270 Abs. 1 Satz<br />

2 StPO ausgeschlossen.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 5. Februar 2008 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,<br />

an eine allge-meine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückver-wiesen.<br />

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten<br />

dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von sechs<br />

Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit ihrer<br />

zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom Gene-ralbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft<br />

die Verletzung sachlichen Rechts. Sie beanstandet, dass das Landgericht die Voraussetzun-gen des §<br />

306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint hat, und erstrebt die Verurteilung des Angeklagten zu einer höheren Strafe.<br />

I. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte seit Dezember 2002 "als alleinverantwortlicher Betreiber und<br />

zugleich als Geschäftsführer im Auftrag seiner Mutter", die Inhaberin der Konzession war, die Pizzeria "S. ".<br />

Miete-rin der Geschäftsräume im Erdgeschoss eines freistehenden einstöckigen Mehrfamilien- und Geschäftshauses<br />

im Ortszentrum von A. war die Mutter des Angeklagten. In dem einstöckigen Haus der Eheleute F. sen. befanden<br />

sich mehrere abgeschlossene Wohnungen, die über einen separaten Eingang zu erreichen waren. Eine der<br />

Wohnungen im Obergeschoss hatte die Mutter des Angeklagten gemietet. Über den Räumen der Pizzeria lag das<br />

Schlafzimmer der Eheleute F. sen., deren Wohnung einen weiteren sepa-raten Hauszugang hat. Im ersten Geschäftsjahr<br />

erwirtschaftete die Pizzeria gu-te Gewinne. Das war in den folgenden Jahren nicht mehr der Fall. Der<br />

Ange-klagte fasste deshalb den Entschluss, in der Pizzeria "S. " einen Brand zu legen, um die mit dem Betrieb<br />

dieser Pizzeria zusammenhängenden Verbind-lichkeiten mit den Leistungen aus der bestehenden, von seiner Mutter<br />

als Ver-sicherungsnehmerin abgeschlossenen Inventarversicherung erfüllen zu können.<br />

381


Am Abend des 2. Februar 2006 schloss der Angeklagte die Pizzeria und vergoss im gesamten Geschäftslokal großflächig<br />

Otto-Kraftstoff und Heiz- oder Dieselöl. Kurz nach 23.50 Uhr verließ der Angeklagte die Gaststätte und<br />

zünde-te von außen die ausgebrachten Brandbeschleuniger an. Er wollte in erster Li-nie das versicherte Inventar<br />

vollständig zerstören. Dabei nahm er ein Übergrei-fen des Feuers bzw. eine teilweise Zerstörung des Gebäudes billigend<br />

in Kauf. Der Angeklagte wusste, dass die über 80 Jahre alten Eheleute F. sen. in ihrem über der Pizzeria<br />

gelegenen Schlafzimmer schliefen. Er ging aber davon aus, dass sie auch bei einer weiteren Ausbreitung des Brandes<br />

nicht in konkre-te Todesgefahr kommen würden, weil die im Obergeschoss angebrachten Rauchmelder funktionsbereit<br />

waren und die Eheleute das Haus durch den se-paraten Zugang zu ihrer Wohnung rechtzeitig würden verlassen<br />

können.<br />

Das Feuer ergriff Teile des Inventars. Durch die starke Rauchentwicklung setzten sich Rauch- und Russablagerungen<br />

im gesamten Geschäftslokal und in den Toilettenräumen fest, die eine spätere Renovierung der Räumlichkeiten erforderlich<br />

machten, ohne die die Fortführung des Geschäftsbetriebes nicht möglich gewesen wäre.<br />

Nachdem er das Feuer gelegt hatte, entfernte sich der Angeklagte mit seinem Pkw. Das Feuer in der Pizzeria wurde<br />

von dem Zeugen M. , der wenige Minuten nach Mitternacht an der Pizzeria vorbeifuhr, entdeckt. Dieser benachrichtigte<br />

um 0.07 Uhr die Feuerwehr und anschließend den in der Nähe seines Elternhauses wohnenden Sohn der<br />

Eheleute F. sen. Diese er-wachten gegen 0.10 Uhr entweder durch das Klingeln des Zeugen M. oder durch<br />

den von dem Brandmelder in der von der Mutter des Angeklagten ange-mieteten Wohnung im ersten Obergeschoss<br />

ausgelösten Sirenenalarm. Sie waren irritiert und konnten die Situation nicht einordnen. Der Zeuge F. sen. ging<br />

ins Erdgeschoss, öffnete die Tür und wurde vom Zeugen M. über das Feuer im Erdgeschoss informiert und aufgefordert,<br />

umgehend das Haus zu ver-lassen. Die Eheleute F. waren damit zunächst nicht einverstanden. Ei-nem<br />

der um 0.16 Uhr eingetroffenen Feuerwehrleute gelang es, die Eheleute <strong>zum</strong> Verlassen des Hauses zu bewegen.<br />

Wäre das Feuer nicht sogleich ge-löscht worden, hätten die Flammen innerhalb weniger Minuten auf den gesam-ten<br />

Pizzeria-Bereich übergegriffen und nach spätestens 30 Minuten wäre die Zwischendecke <strong>zum</strong> ersten Obergeschoss<br />

durchgebrannt oder eingestürzt.<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

Zwar weist das Urteil sachlichrechtlich keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten auf. Die Revision hat<br />

aber mit der zulässig erhobenen, auf die Verletzung des "§ 270 StPO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG" gestützten<br />

Ver-fahrensrüge Erfolg, denn das Schwurgericht hat zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen (§ 338 Nr. 4<br />

StPO).<br />

1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:<br />

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit der Anklage eine be-sonders schwere Brandstiftung gemäß § 306 b<br />

Abs. 2 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Last gelegt und beantragt, das Hauptverfahren vor der großen<br />

Strafkammer des Landgerichts zu eröffnen. Die zweite große Strafkammer des Landgerichts hat die Anklage<br />

unverändert zur Hauptverhand-lung zugelassen. Der Brandsachverständige hat am 4. Hauptverhandlungstag eine<br />

vorläufige Stellungnahme zur Gefährlichkeit der bisher festgestellten Brandvorbereitung abgegeben. Zu Beginn des<br />

folgenden Hauptverhandlungs-tages hat der Vorsitzende der Kammer mitgeteilt, dass eine Abgabe des Ver-fahrens<br />

an das Schwurgericht erwogen werde. Nach dem Vorbringen der Revi-sion haben die Verteidiger darauf hingewiesen,<br />

dass das Schwurgericht kein höherrangiges Gericht "im Sinne von § 270 StPO" sei und dass der Angeklagte die<br />

Unzuständigkeit der Strafkammer nicht gerügt habe. Die Strafkammer hat die Sache dennoch durch Beschluss vom<br />

gleichen Tage "gemäß § 270" (StPO) an das Landgericht - Schwurgericht - verwiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt,<br />

nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme sei der Angeklagte hinreichend verdächtig, neben dem<br />

angeklagten Brandstiftungsdelikt "<strong>zum</strong>in-dest einen tateinheitlich begangenen versuchten Totschlag" begangen zu<br />

ha-ben. In der neuen Hauptverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten vor dessen Vernehmung zur Sache die<br />

Zuständigkeit des Schwurgerichts gerügt und beantragt, die Sache an die zuständige allgemeine Strafkammer zurückzu-verweisen.<br />

Diesen Antrag hat die Schwurgerichtskammer mit der Begründung zurückgewiesen, dass der<br />

Verweisungsbeschluss der Strafkammer ungeachtet der Frage, ob die Verweisung wegen Verstoßes gegen § 6 a<br />

StPO rechtswidrig oder willkürlich erfolgt sei, jedenfalls nicht nichtig sei. Die eigene Zuständig-keitsprüfung habe<br />

ergeben, dass die Zuständigkeit des Schwurgerichts gege-ben sei, denn aus den Gründen des Verweisungsbeschlusses<br />

ergebe sich ein hinreichender Tatverdacht eines versuchten Totschlags.<br />

2. Die Verfahrensrüge ist begründet.<br />

a) Zwar ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich wirksam und bin-dend, auch wenn er unvollständig, formell<br />

fehlerhaft oder sachlich falsch ist (vgl. BGHSt 45, 58, 60 f.). Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfällt<br />

jedoch dann, wenn die Verweisung gegen das aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Verbot willkürlicher<br />

Entziehung des gesetzlichen Richters verstößt (vgl. BGHSt aaO S. 61 m.N.). Das ist hier der Fall, denn die Verwei-<br />

382


sung an die Schwurgerichtskammer ist offensichtlich gesetzeswidrig (vgl. dazu Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 270<br />

Rdn. 20 m.N.), weil die Voraussetzungen des § 270 Abs. 1 Satz 2 StPO für eine Verweisung der Sache an das<br />

Schwurgericht nicht vorlagen.<br />

Zwar hat das Gericht seine sachliche Zuständigkeit gemäß § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen<br />

zu prüfen und die Sache gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 StPO dann, wenn es die Zuständigkeit eines Gerichts hö-herer<br />

Ordnung für begründet hält, durch Beschluss an das zuständige Gericht zu verweisen. Die Schwurgerichtskammer ist<br />

aber gegenüber der allgemeinen Strafkammer kein Gericht höherer Ordnung, sondern eine besondere Straf-kammer<br />

im Sinne der Vorrangregelung des § 74 e GVG. Die Frage ihrer funkti-onellen Zuständigkeit (vgl. Fischer in KK-<br />

StPO 6. Aufl. § 6 a Rdn. 1) hat die Strafkammer, bei der Anklage erhoben worden ist, jedoch gemäß § 6 a Satz 1<br />

StPO nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen zu prüfen. Danach darf sie nach Satz 2 dieser<br />

Vorschrift ihre Unzuständigkeit nur auf Ein-wand des Angeklagten beachten, der den Einwand nach Satz 3 dieser<br />

Vor-schrift auch nur bis <strong>zum</strong> Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptver-handlung geltend machen kann.<br />

Hält die Strafkammer den rechtzeitig geltend gemachten Einwand des Angeklagten für begründet, hat sie die Sache<br />

gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 StPO entsprechend Satz 1 dieser Vorschrift durch Be-schluss an die funktionell zuständige<br />

Strafkammer zu verweisen. Die funktionel-le Zuständigkeit der allgemeinen und der besonderen Strafkammern<br />

hat dem-gemäß nur vorübergehend die Bedeutung einer von Amts wegen zu beachten-den Prozessvoraussetzung<br />

(vgl. Erb in Löwe/Rosenberg 26. Aufl. § 6 a Rdn. 3). Hat der Angeklagte - wie hier - bis <strong>zum</strong> Beginn seiner Vernehmung<br />

zur Sache in der Hauptverhandlung den Einwand der funktionellen Unzuständigkeit des Gerichts nicht<br />

erhoben, ist die an sich unzuständige Strafkammer damit (funktionell) zuständig geworden (vgl. Erb aaO Rdn. 4;<br />

Fischer in KK-StPO 6. Aufl. § 6 a Rdn. 3) und eine Verweisung gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 StPO ausgeschlossen.<br />

Ihre Zuständigkeit ist nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. 8/976 S. 33) perpetuiert (vgl.<br />

Gollwitzer in Löwe/Rosenberg 25. Aufl. § 270 Rdn. 22; Meyer-Goßner aaO § 6 a Rdn. 7) und schließt damit die<br />

funktionelle Zuständigkeit einer anderen Strafkammer sogar dann aus, wenn Umstände, die der Zuständigkeit der<br />

allgemeinen Strafkammer entgegenstehen, erst nach dem in § 6 a Satz 3 StPO bezeichneten Zeitpunkt hervortreten<br />

(vgl. BGHSt 30, 187).<br />

b) Hier hat der Verweisungsbeschluss das Verfahren zwar bei der Schwurgerichtskammer rechtshängig gemacht<br />

(vgl. BGHSt 45, 58, 60 f.). An-ders als im Falle einer willkürlichen Verweisung an ein höheres Gericht, dessen gemäß<br />

§ 6 StPO von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende sachliche Zuständigkeit tatsächlich gegeben<br />

ist (vgl. BGH aaO S. 62 ff.), war die Schwurgerichtskammer aber nicht befugt, nach Prüfung der Voraussetzungen<br />

des § 74 Abs. 2 GVG die eigene Zuständigkeit anzunehmen. Sie hatte vielmehr nur zu klären, ob die Vorraussetzungen<br />

des § 6 a Satz 2 StPO für eine erneute Prüfung der funktionellen Zuständigkeit durch die allgemeine Strafkammer<br />

und die Verweisung der Sache gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 StPO vor-gelegen haben. Da das nicht der Fall<br />

war und die funktionelle Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer damit in dieser Sache ausgeschlossen war, kam<br />

es nicht (mehr) darauf an, ob eine Verurteilung des Angeklagten entsprechend den in § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 GVG<br />

genannten Straftatbeständen möglich erschien. Stattdessen hätte die Sache an die allgemeine Strafkammer zurückverwiesen<br />

werden müssen (vgl. BGH aaO S. 62; Meyer-Goßner aaO § 270 Rdn. 20 m. w. N.).<br />

3. Das Urteil ist daher aufzuheben (§ 338 Nr. 4 StPO). Die Sache ist ge-mäß § 355 StPO an eine allgemeine Strafkammer<br />

zurückzuverweisen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 355 Rdn. 1). Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354<br />

Abs. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an eine allgemeine Straf-kammer des Landgerichts Hagen zurück.<br />

III. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Vorteil des Angeklagten<br />

ergeben. Insbesondere hält auch die Verneinung einer vollendeten oder auch nur versuchten besonders<br />

schweren Brandstiftung i. S. des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB rechtlicher Nach-prüfung stand.<br />

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte die Eheleute F. sen. durch die Brandstiftung<br />

(§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) nicht in die Gefahr des Todes gebracht. Nach § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB, der als<br />

Qualifikationstatbestand zu § 306 a StGB anzusehen ist (vgl. BGH NJW 1999, 3131), ist erforderlich, dass sich die<br />

durch die schwere Brandstiftung be-wirkte abstrakte Gefahr für andere Menschen zu einer konkreten Todesgefahr<br />

verdichtet hat (vgl. BGHSt 48, 119, 122 [zu § 315 b StGB], BGH NStZ 1999, 32 f. [zu § 306 a Abs. 2 StGB] ). Dazu<br />

muss die Tathandlung über die ihr inne-wohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation für das geschützte<br />

Rechtsgut geführt haben. In dieser Situation muss – was nach der Le-benserfahrung aufgrund einer objektiv<br />

nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt worden<br />

sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das geschützte Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Allein der Umstand,<br />

dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt noch nicht zur Annahme<br />

einer kon-kreten Todesgefahr (vgl. BGH NStZ 1999, 32 f. m. N.). Gemessen an diesen Grundsätzen befanden sich<br />

383


die Eheleute F. sen. nicht in konkreter Todes-gefahr, denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen<br />

konnten sie durch den zu diesem Zeitpunkt ohne weiteres zugänglichen Nebeneingang das Haus verlassen. Eine<br />

konkrete Todesgefahr hätte für sie, wären sie in dem Haus verblieben, erst zu einem späteren Zeitpunkt bestanden,<br />

wenn sich das Feuer ungehindert hätte ausbreiten können.<br />

Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter besonders schwe-rer Brandstiftung gemäß § 306 b Abs. 2 Nr. 1<br />

StGB setzt voraus, dass dieser bei der Brandlegung billigend in Kauf genommen hat, dass dadurch eine Gefahr für<br />

das Leben der Eheleute F. sen. entstehen würde (vgl. BGH NJW 1999, 3131). Dies hat das Landgericht jedoch<br />

rechtsfehlerfrei verneint. Die Erwägun-gen, mit denen es sowohl einen bedingten Tötungsvorsatz als auch einen bedingten<br />

Gefährdungsvorsatz verneint hat, lassen entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht besorgen,<br />

dass das Landgericht zu hohe Anforderun-gen an die Feststellung eines bedingten Gefährdungsvorsatzes gestellt hat.<br />

Soweit es in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, in Anwendung des Zwei-felsgrundsatzes sei zugunsten des Angeklagten<br />

davon auszugehen, dass der Angeklagte nicht mit der Möglichkeit „eines tödlichen Ausgangs“ gerechnet<br />

hat, handelt es sich lediglich um eine missverständliche Formulierung. Nach dem Gesamtzusammenhang der Erwägungen<br />

hat sich dass Landgericht vielmehr auch nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte mit der<br />

Mög-lichkeit gerechnet hat, die Eheleute F. sen. könnten trotz des alsbald zu er-wartenden Sirenenalarms das<br />

Haus nicht rechtzeitig verlassen, so dass ihr Leben bei ungehindertem Brandverlauf gefährdet worden wäre. Soweit<br />

das Landgericht seine insoweit bestehenden Zweifel nicht hat überwinden kön-nen, ist dies unter den hier gegeben<br />

Umständen rechtlich nicht zu beanstanden.<br />

StPO § 338 Nr. 4, GVG § 24 II, § 25 II - objektiv willkürlichen Entziehung des gesetzlichen Richters<br />

BGH, Beschl. v. 19.02.<strong>2009</strong> – 3 StR 439/08<br />

In Fällen der objektiv willkürlichen Entziehung des gesetzlichen Richters erfordert die verfassungskonforme<br />

Ausgestaltung des Strafverfahrens eine einschränkende Auslegung des § 336 Satz 2<br />

StPO dahin, dass solche Verstöße <strong>zum</strong>indest revisionsrechtlich überprüfbar sind, weil sonst eine<br />

fachgerichtliche Kontrolle überhaupt nicht durchgeführt werden könnte.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. Juli 2008 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht - Schwurgericht - hat den Angeklagten wegen "gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich<br />

zusammentreffenden Fällen, wegen ge-fährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung" zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe<br />

von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren<br />

beanstandet und die Verletzung mate-riellen Rechts rügt.<br />

Die Revision ist im Wesentlichen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 26. September<br />

2008 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, das<br />

Landgericht habe zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen (§ 338 Nr. 4 StPO).<br />

I. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten die<br />

verfahrensgegenständlichen Straftaten in zwei getrennten Anklageschriften <strong>zum</strong> Amtsgericht Gifhorn - Straf-richter -<br />

zur Last gelegt. Der Strafrichter eröffnete in beiden Sachen das Haupt-verfahren und bestimmte einen einheitlichen<br />

Verhandlungstermin. Am Ende der Hauptverhandlung vom 7. Februar 2008 erließ er gegen den Angeklagten Haftbefehl<br />

wegen des dringenden Verdachts der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen sowie der Körperverletzung<br />

und verwies das Verfahren an das Schöffengericht. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Gifhorn<br />

für das Jahr 2008 war - wie der Senat freibeweislich ermittelt hat - der Strafrich-ter zugleich der Vorsitzende<br />

des einzigen für allgemeine Strafsachen zuständi-gen Schöffengerichts. Am 13. Februar 2008 hob der Strafrichter<br />

den Verwei-sungsbeschluss an das Schöffengericht wieder auf und legte die Sache durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft<br />

dem Landgericht Hildesheim - Schwurge-richt - gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO zur Übernahme<br />

vor, weil jedenfalls in einem der Fälle der hinreichende Verdacht des versuchten Tot-schlags bestehe. Wiederholte<br />

Schläge mit einer Bierflasche auf den Kopf des Opfers seien objektiv geeignet, dessen Tod herbeizuführen;<br />

es sei nicht auszu-schließen, dass der einschlägig vorbestrafte Angeklagte mit bedingtem Tö-tungsvorsatz gehandelt<br />

habe. Eine Beschwerde gegen diesen Vorlagebe-schluss verwarf das Landgericht mit der Begründung als unzulässig,<br />

384


der Straf-richter sei zur Vorlage berechtigt gewesen, weil er den Verweisungsbeschluss an das Schöffengericht zu<br />

Recht wieder aufgehoben habe. Dieser sei offen-sichtlich gesetzeswidrig gewesen, weil die Verweisung vor dem<br />

Hintergrund eines im Raum stehenden Vorwurfs des versuchten Totschlags vorgenommen worden und für die Verhandlung<br />

über diesen Vorwurf das Schwurgericht aus-schließlich zuständig sei. Mit Beschluss vom 1. April 2008<br />

übernahm das Land-gericht gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 2 StPO das Verfahren.<br />

II. Die Rüge ist im Ergebnis unbegründet.<br />

Bejaht ein Gericht höherer Ordnung fehlerhaft seine Zuständigkeit, so bleibt die Beanstandung der sachlichen Unzuständigkeit<br />

im Revisionsverfahren (§ 338 Nr. 4 StPO) im Hinblick auf die Vorschrift des § 269 StPO regelmäßig<br />

ohne Erfolg (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 338 Rdn. 32 m. w. N.). Dieser Norm liegt der Gedanke zugrunde, dass<br />

die weitergehende sachliche Zustän-digkeit des Gerichts höherer Ordnung die dahinter zurückbleibende des Gerichts<br />

niedrigerer Ordnung mit einschließt; durch die Verhandlung vor einem an sich unzuständigen höheren Gericht<br />

wird der Angeklagte grundsätzlich nicht benachteiligt (st. Rspr.; vgl. BGHSt 43, 53, 55 m. w. N.). Dieser Grundsatz<br />

er-fährt allerdings eine Einschränkung dahin, dass in Fällen, in denen die unzutref-fende Annahme der Zuständigkeit<br />

auf sachfremden oder anderen offensichtlich nicht haltbaren Erwägungen beruht, wenn also objektive Willkür vorliegt<br />

und dadurch der Anspruch des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt<br />

wird, die sachliche Unzuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung gleichwohl zur Urteilsaufhebung führt<br />

(BGHSt aaO). Dies gilt auch dann, wenn das höherrangige Gericht nicht aufgrund einer Verweisung durch ein Gericht<br />

niedrigerer Ordnung (§ 270 StPO), sondern durch eine grund-sätzlich unanfechtbare (§ 225 a Abs. 3 Satz 3, §<br />

210 Abs. 1 StPO) und nach § 336 Satz 2 StPO im Revisionsverfahren regelmäßig nicht überprüfbare Übernahmeentscheidung<br />

nach § 225 a Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 225 a Rdn. 25) mit der Sache befasst<br />

wird. Denn in Fällen der objektiv willkür-lichen Entziehung des gesetzlichen Richters erfordert die verfassungskonforme<br />

Ausgestaltung des Strafverfahrens eine einschränkende Auslegung des § 336 Satz 2 StPO dahin, dass<br />

solche Verstöße <strong>zum</strong>indest revisionsrechtlich über-prüfbar sind, weil sonst eine fachgerichtliche Kontrolle überhaupt<br />

nicht durchge-führt werden könnte (Frisch in SK-StPO § 336 Rdn. 20 m. w. N.).<br />

Hier hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts die Sache jeden-falls nicht in objektiv willkürlicher Weise<br />

übernommen; die Verhandlung vor die-sem Spruchkörper stellt daher keinen zur Aufhebung des Urteils gemäß § 338<br />

Nr. 4 StPO führenden Rechtsfehler dar.<br />

1. Durch die Vorlage des Strafrichters nach § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO ist das Schwurgericht zur Entscheidung<br />

über die beantragte Übernah-me zuständig geworden (vgl. Schlüchter in SK-StPO § 225 a Rdn. 19 f.).<br />

a) Allerdings war der Strafrichter für die Vorlegung der Sache an das Schwurgericht nicht mehr zuständig; denn er<br />

hatte mit Beschluss vom 7. Feb-ruar 2008 das Verfahren gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO an das Schöffengericht<br />

verwiesen, wodurch die Sache dort rechtshängig wurde.<br />

Der Verweisungsbeschluss war zwar rechtsfehlerhaft, weil nach Eröff-nung des Hauptverfahrens eine Verweisung<br />

durch den Strafrichter an das Schöffengericht nicht in Betracht kommt, wenn er im konkreten Fall eine höhere Strafe<br />

als zwei Jahre Freiheitsstrafe (vgl. § 25 Nr. 2 GVG) für angemessen er-achtet. Der Strafrichter hat nach Zulassung<br />

der Anklage die volle Strafgewalt des § 24 Abs. 2 GVG (BGHSt 16, 148; 42, 205, 213; BayObLG NStZ 1985, 470),<br />

so dass es sich in diesen Fällen bei dem Schöffengericht im Verhältnis <strong>zum</strong> Strafrichter nicht um ein Gericht höherer<br />

Ordnung im Sinne des § 270 Abs. 1 Satz 1 StPO handelt.<br />

Dies ändert indes nichts daran, dass das Verfahren - unabhängig davon, ob die Verweisung für das Schöffengericht<br />

trotz ihrer Fehlerhaftigkeit bindend und daher eine Rückgabe an den Strafrichter ausgeschlossen war (vgl. Meyer-<br />

Goßner aaO § 270 Rdn. 19 f.) - schon aufgrund der mit dem Verweisungsbe-schluss verbundenen "Transportwirkung"<br />

unmittelbar mit dessen Erlass beim Schöffengericht rechtshängig wurde (BGHSt 45, 58; Meyer-Goßner aaO §<br />

270 Rdn. 18). Das Schöffengericht - und nicht mehr der Strafrichter - war damit für alle folgenden verfahrensrechtlichen<br />

Entscheidungen - also insbesondere auch für eine Vorlegung nach § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO - zuständig<br />

(vgl. Meyer-Goßner aaO § 270 Rdn. 21).<br />

b) Die Unzuständigkeit des Strafrichters für die Vorlage der Sache an das Landgericht führte jedoch nicht zur Nichtigkeit<br />

des Vorlegungsbeschlusses. Dieser machte das Verfahren daher dort anhängig.<br />

Zwar hält es die wohl noch herrschende Meinung (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 105) grundsätzlich<br />

für möglich, dass eine gericht-liche Entscheidung an derart schwerwiegenden Mängeln leidet, dass sie nicht<br />

nur rechtlich fehlerhaft, sondern nichtig und damit unwirksam und unbeachtlich ist. Aber auch nach dieser Auffassung<br />

kann dies nur in seltenen Ausnahmefäl-len dann in Betracht kommen, wenn die Anerkennung einer auch nur<br />

vorläufi-gen Gültigkeit wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit für die Rechtsgemeinschaft<br />

geradezu unerträglich wäre, weil die Entscheidung ih-rerseits dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen<br />

Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung krass widerspricht, und wenn eine derart schwerwie-gende Fehlerhaftigkeit<br />

385


offenkundig ist (BGHSt 10, 278, 281; 29, 351, 352 f.; vgl. Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 105; Kühne in LR, 26.<br />

Aufl. Einl. Rdn. 114 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO Bd. I, 2. Aufl. Rdn. 251 ff.; jew. m. w. N.). Das<br />

folgt aus den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der ihr dienenden Autorität gerichtlicher Entscheidungen sowie<br />

aus der Gesamtstruktur des Straf-verfahrens mit seinem zur Korrektur fehlerhafter Entscheidungen bestimmten<br />

Rechtsmittelsystem. Denn die Annahme rechtlicher Unbeachtlichkeit einer rich-terlichen Entscheidung führt dazu,<br />

dass jedermann sich in jeder Verfahrensla-ge, auch nach Rechtskraft der Entscheidung, auf deren Unwirksamkeit<br />

berufen kann, und zwar auch außerhalb der Ordnung, die das Strafverfahrensrecht mit den ihm eigenen Kontrollmechanismen<br />

darstellt (BGHSt 29, 351, 352 f. m. w. N.).<br />

Jedenfalls die Bewertung gerichtlicher Zwischenentscheidungen als nich-tig scheidet danach wegen der nicht hinnehmbaren<br />

Folgen, die dies für die Rechtssicherheit im Verfahren und für die geordnete Rechtspflege begründen<br />

würde, generell aus (BGHSt 29, 351, 355; 45, 58, 61 f.; Meyer-Goßner aaO Rdn. 105 b; Felsch NStZ 1996, 163,<br />

165). Bei dem Vorlegungsbeschluss des Strafrichters handelte es sich um eine solche Zwischenentscheidung; seine<br />

Bewertung als nichtig kommt daher von vornherein nicht in Betracht. Er litt zu-dem nicht an einem derart unerträglichen<br />

Rechtsfehler, dass er nach den oben genannten Grundsätzen unwirksam gewesen wäre; dies zeigt etwa die<br />

Rege-lung des § 338 Nr. 4 StPO, nach der selbst ein durch ein unzuständiges Gericht erlassenes Urteil allenfalls<br />

anfechtbar, nicht aber unbeachtlich ist (vgl. dazu BGHSt 29, 351, 354 f. zu § 338 Nr. 2 StPO).<br />

Eine Unwirksamkeit des Vorlegungsbeschlusses liegt auch nicht in dem Sinne vor, dass er den gewünschten Erfolg -<br />

die Zuständigkeit des Landgerichts zur Prüfung der Übernahmevoraussetzungen - nicht herbeigeführt hätte. Eine<br />

solche Rechtsfolge wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes et-wa für Verbindungsbeschlüsse, die<br />

nicht durch das gemäß § 4 Abs. 2 StPO zuständige Gericht erlassen wurden, angenommen, weil eine die sachliche<br />

Zu-ständigkeit verändernde Verbindung nur durch das zuständige Gericht höherer Ordnung bzw. das gemeinschaftliche<br />

obere Gericht herbeigeführt werden kann (BGH NStZ 1996, 47; 2000, 435, 436; 2005, 464; kritisch dazu Felsch<br />

NStZ 1996, 163 ff.). Diese Grundsätze sind auf die vorliegende Fallkonstellation aber schon deshalb nicht übertragbar,<br />

weil durch den Vorlegungsbeschluss - anders als durch einen Verbindungsbeschluss - die Rechtshängigkeit des<br />

Verfahrens und die sachliche Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts unberührt bleiben. Diese können vielmehr erst<br />

durch den Übernahmebeschluss des Gerichts hö-herer Ordnung verändert werden, das seine sachliche Zuständigkeit<br />

eigenstän-dig zu prüfen hat (Schlüchter in SK-StPO aaO § 225 a Rdn. 19 f.; 30). Werden die Akten - wie hier - zudem<br />

im Wege des vorgesehenen, justizförmigen Verfah-rens durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft vorgelegt,<br />

besteht für den Ange-klagten auch nicht die Gefahr, wegen derselben Tat zweimal zur Rechenschaft gezogen zu<br />

werden (zu diesem Kriterium vgl. Felsch NStZ 1996, 163, 164).<br />

2. Die nach alledem zur Prüfung der Übernahme berufene Schwurge-richtskammer beim Landgericht hat in der Sache<br />

rechtsfehlerfrei ihre Zustän-digkeit für das weitere Verfahren angenommen: Nach den konkreten Umstän-den<br />

des Falles - Angriff durch Schläge mit Bierflaschen auf den Kopf seiner Op-fer, einschlägige Vorstrafe des Angeklagten<br />

- war die Annahme eines hinrei-chenden Tatverdachts bezüglich eines die Zuständigkeit des Schwurgerichts<br />

gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 5, § 74 d GVG begründenden versuchten Tötungsdelik-tes jedenfalls vertretbar.<br />

Allerdings hat das Landgericht verkannt, dass der Strafrichter für die Aufhebung seines Verweisungsbeschlusses an<br />

das Schöffengericht und für die Vorlage des Verfahrens an das Landgericht nicht mehr zuständig war. Dieser sich in<br />

dem Übernahmebeschluss fortsetzende Verfahrensfehler begründet je-doch nicht die für eine erfolgreiche Zuständigkeitsrüge<br />

nach § 338 Nr. 4 StPO erforderliche objektive Willkür der Übernahmeentscheidung: Jedenfalls dann, wenn<br />

- wie hier - der Strafrichter und der für den Vorlagebeschluss - die Ent-scheidung ergeht in der außerhalb der Hauptverhandlung<br />

vorgesehenen Beset-zung (Schlüchter in SK-StPO aaO § 225 a Rdn. 12) - zuständige Vorsitzende des<br />

Schöffengerichts personenidentisch sind, ist die Vorgehensweise des Landgerichts, das die Sache nicht zur Vorlage<br />

durch das zuständige Schöffen-gericht an dieses abgegeben hat, zwar formal rechtsfehlerhaft, objektiv aber nicht<br />

völlig sachfremd oder offensichtlich unhaltbar. Denn die fehlerhafte Vorla-ge der Sache durch den Amtsrichter beruhte<br />

lediglich auf dessen unzutreffen-der rechtlicher Beurteilung des Weges, auf dem er den ihm als Strafrichter unterlaufenen<br />

Rechtsfehler der Verweisung der Sache an das Schöffengericht korrigieren konnte. Da er mit dem Vorsitzenden<br />

des zuständigen Schöffenge-richts personenidentisch war, hätte er in dieser Funktion die Sache dem Landgericht<br />

gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO vorlegen und damit das- selbe Ergebnis erreichen können. Vor<br />

diesem Hintergrund ist eine objektive Willkürlichkeit des Verfahrens nicht gegeben.<br />

386


StPO § 338 Nr. 5, StPO § 344 II 2 Rügeanforderungen Teil der Zeugenvern. In Abwesenheit des<br />

Angeklagten<br />

BGH, Beschl. v. 22.07.2008 – 4 StR 245/08 - NStZ 2008, 644; StV 2008, 566<br />

Findet ein Teil einer Zeugenvernehmung in Abwesenheit des Angeklagten statt, so muss die Rüge<br />

gem. § 338 Abs. 5 StPO den Inhalt dieses Aussageteils mitteilen, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen,<br />

ob es sich bei dem beanstandeten Verfahrensvorgang um einen wesentlichen Teil der<br />

Hauptverhandlung gehandelt hat.<br />

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 15. Februar 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Re-visionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Zu dem von der Beschwerdeführerin gerügten “Verstoß gegen § 231 Abs. 2 StPO“ (§ 338 Nr. 5 StPO) (RB S. 5, 6)<br />

bemerkt der Senat:<br />

Die Rüge ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision den Inhalt dessen, was die Zeugin<br />

H. in der Zeit von 10.30 Uhr bis 10.35 Uhr in Abwesenheit der Angeklagten ausgesagt hat, nicht mitgeteilt hat.<br />

Dieser Mitteilung hätte es aber bedurft, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob es sich bei dem beanstandeten<br />

Verfahrens-vorgang um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung gehandelt hat (vgl. BVerfG StraFo 2005, 512<br />

f.; BGH StraFo 2005, 120 f.). Im Übrigen hatte die Angeklagte nach der Unter-richtung durch den Vorsitzenden über<br />

die bisherige Verneh-mung der Zeugin (Bd. III Bl. 593 d.A.) Gelegenheit, ein etwai-ges Informationsdefizit über den<br />

Inhalt der bisherigen Aussage der Zeugin im Rahmen der Ausübung ihres Frage- und Erklä-rungsrechts vorzubringen.<br />

Dem Senat erscheint es deshalb ausgeschlossen, dass der gerügte Verfahrensfehler auf das Urteil Einfluss gehabt<br />

hat.<br />

StPO § 344 II 2 Rügeanforderung bei beanstandeter Verlängerung der TÜ<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 476/08<br />

Es genügt nicht den sich aus § 344 Abs. 2 SAtz 2 StPO ergebenden Anforderungen, wenn mit der<br />

Rüge, die Beschlüsse über die Verlängerung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen<br />

seien unzureichend begründet, lediglich diese Entscheidungen, nicht aber die jeweils vorangegangenen<br />

Beschlüsse des Ermittlungsrichters mitgeteilt werden.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer<br />

am 24. Februar <strong>2009</strong> ein-stimmig beschlossen:<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-richts Saarbrücken vom 5. Juni 2008 werden als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Re-visionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend zu den Antragsschriften des Generalbundesanwalts betreffend die Revision der Angeklagten A. und<br />

d. Ag. weist der Senat darauf hin, dass die erhobenen Verfahrensrügen schon deshalb unzulässig sind, weil sich<br />

aus den Revisionsbegründungen nicht ergibt, im Rahmen welcher konkreten Über-wachungsmaßnahmen die verwerteten<br />

Telefongespräche aufgezeichnet wur-den. Ferner genügt es nicht den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden<br />

Anforderungen, wenn mit der Rüge, die Beschlüsse über die Verlängerung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen<br />

seien unzureichend begründet, lediglich diese Entscheidungen, nicht aber die jeweils vorangegangenen<br />

Be-schlüsse des Ermittlungsrichters mitgeteilt werden.<br />

Im Übrigen wären die Verfahrensrügen aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen auch in der Sache<br />

ohne Erfolg (zu den Folgen einer un-zureichenden Begründung des Beschlusses über die Anordnung einer Telekommunikationsmaßnahme<br />

zuletzt BGH, Urteil vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08). Mit der Frage, ob "die<br />

Überwachung der Telekommunikation ... auch zu den Zeitpunkten ihrer jeweiligen Verlängerung durch das Amtsge-<br />

387


icht vertretbar war", hat sich die Strafkammer ausdrücklich befasst (UA 26; Ver-dachtslage im Mai 2007 ferner UA<br />

27/28).<br />

StPO § 344 II 2, EMRK Art 6 I 1 Rügeanforderung bei Vorwurf der konventionswidrigen Verzögerung<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – 1 StR 568/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 92; StV <strong>2009</strong>, 118<br />

Zwar dürfen die Anforderungen an den Umfang der Darstellung der den Mangel enthaltenden Tatsachen<br />

bei der Beanstandung einer konventionswidrigen Verzögerung während eines wie hier mehrere<br />

Jahre währenden Verfahrens nicht überzogen werden. Von einem Beschwerdeführer ist aber<br />

zu erwarten, dass er einen realistischen Überblick über den tatsächlichen Ablauf des Strafverfahrens<br />

gibt. Dieser Darstellung bedarf es deswegen, weil für die Frage der Konventionswidrigkeit das<br />

Verfahren insgesamt zu beurteilen ist, regelmäßig beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte<br />

von der Einleitung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens Kenntnis erlangt.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 30. August 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtferti-gung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. Okto-ber 2008 bemerkt der Senat:<br />

1. a) Soweit der Angeklagte eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzöge-rung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) geltend<br />

macht, weil die schriftlichen Urteils-gründe am 15. Oktober 2007 „zur Geschäftsstelle“ gelangt seien, die Zustellung<br />

des Urteils aber erst am 6. Mai 2008 verfügt worden sei, ist diese Rüge schon nicht in zulässiger Weise erhoben.<br />

Denn er trägt entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht alle Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensverstoß belegen,<br />

in der Revisionsbegründung vor, so dass dem Senat eine entsprechende Nach-prüfung nicht möglich ist.<br />

Zwar dürfen die Anforderungen an den Umfang der Darstellung der den Mangel enthaltenden Tatsachen bei der<br />

Beanstandung einer konventionswidri-gen Verzögerung während eines wie hier mehrere Jahre währenden Verfahrens<br />

nicht überzogen werden. Von einem Beschwerdeführer ist aber zu erwarten, dass er einen realistischen Überblick<br />

über den tatsächlichen Ablauf des Straf-verfahrens gibt (BGH NJW 2008, 2451, 2452). Dieser Darstellung<br />

bedarf es deswegen, weil für die Frage der Konventionswidrigkeit das Verfahren insge-samt zu beurteilen ist, regelmäßig<br />

beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte von der Einleitung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfah-rens<br />

Kenntnis erlangt. Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Angeklagte bei seiner Darstellung des<br />

Verfahrensablaufs auf den Zeitraum zwischen der Ver-kündung und der Zustellung des Urteils. Über den Verfahrensgang<br />

vor dieser Zeit gibt er dagegen keinen Überblick.<br />

Da auch die Sachrüge erhoben ist, kann der Senat zwar insoweit die Ur-teilsgründe ergänzend heranziehen. Dort hat<br />

die Kammer eine rechtsstaatswid-rige Verfahrensverzögerung von drei Jahren und zwei Monaten strafmildernd gewertet,<br />

als zugrunde liegende Tatsachen aber lediglich festgestellt, dass die polizeilichen Ermittlungen von Dezember<br />

2002 bis Dezember 2003 geruht hät-ten und von der Anklageerhebung im Mai 2005 bis <strong>zum</strong> Beginn der Hauptver-handlung<br />

im Juli 2007 weitere zwei Jahre und zwei Monate verstrichen seien. Dass der gesamte Zeitraum zwischen<br />

Anklageerhebung und Hauptverhand-lungsbeginn als konventionswidrig angesehen worden ist, lässt besorgen,<br />

dass dem Angeklagten jedenfalls auch prozessual vorgesehene Handlungen und Fristen - z. B. Mitteilung der Anklageschrift<br />

mit Erklärungsfrist, § 201 StPO, Ent-scheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, § 203 StPO, die<br />

der einge-henden Vorbereitung bedarf (BGH NJW 2008, 2451, 2453), Terminierung in Abstimmung möglichst mit<br />

der Verteidigung unter Einhaltung der Ladungsfrist, §§ 217, 218 StPO - zu Unrecht zugute gehalten worden sind.<br />

Dies beschwert ihn aber nicht. Jedenfalls lässt sich das Ausmaß der von dem Angeklagten ge-rügten Verfahrensverzögerung<br />

somit auch nicht unter Heranziehung der schrift-lichen Urteilsgründe bestimmen.<br />

b) Entgegen der Auffassung des Angeklagten hatte der Senat auch nicht von Amts wegen zu überprüfen, ob eine<br />

konventionswidrige Verfahrensverzö-gerung gegeben ist, da der geltend gemachte Verfahrensverstoß vor Ablauf der<br />

Revisionsbegründungsfrist entstanden ist und der Angeklagte diesen daher oh-ne weiteres mit der Verfahrensrüge<br />

hätte vortragen können (vgl. BGH NStZ 2001, 52).<br />

388


2. Die Nichtanwendung der Vollstreckungslösung (BGH - GS - NJW 2008, 860) führt ebenfalls nicht zu einer Aufhebung<br />

des Strafausspruchs. Die Kammer hat nämlich zur Kompensation der von ihr angenommenen konventionswidrigen<br />

Verfahrensverzögerung sowohl bei der Höhe der jeweiligen Einzel-strafen als auch bei der Höhe der<br />

Gesamtstrafe einen Abschlag von 20 % vor-genommen. Dieser „doppelte Rabatt“ war rechtsfehlerhaft (Fischer,<br />

StGB 55. Aufl. § 46 Rdn. 62), indes belastet er den Angeklagten nicht. Denn wenn die Kammer ihrem Urteil die<br />

Vollstreckungslösung zugrunde gelegt hätte, wäre eine Anrechnung lediglich auf die Gesamtstrafe, aber nicht auf die<br />

Einzelstrafen vor-zunehmen gewesen (BGH - GS - NJW 2008, 860, 866). Der Senat schließt im vorliegenden Fall<br />

daher aus, dass der Angeklagte angesichts des von der Kammer - zu Unrecht - gewährten Umfangs der Kompensation<br />

durch die Nicht-anwendung der Vollstreckungslösung beschwert sein könnte. Vielmehr ist da-von auszugehen,<br />

dass bei nicht reduzierten Einzelstrafen von der Kammer eine höhere Gesamtstrafe als schuldangemessen angesehen<br />

worden wäre. Denn insbesondere die Einsatzstrafe hätte nicht zwei Jahre und vier Monate, sondern drei Jahre betragen.<br />

3. Soweit der Angeklagte weiterhin rügt, dass er in den Fällen II. B 2) und 3) der Urteilsgründe wegen Bankrotts<br />

nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB verurteilt worden sei, obwohl ihm in der Anklage insoweit jeweils eine Verletzung der<br />

Buchführungspflicht nach § 283b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB zur Last gelegt worden sei und ihn die Kammer zuvor<br />

auch nicht auf den veränderten rechtli-chen Gesichtspunkt gemäß § 265 Abs. 2 StPO hingewiesen habe, ist die Revision<br />

ebenfalls unbegründet. Das Urteil beruht nicht auf diesem Verstoß. Es ist im Hinblick auf die Ähnlichkeit der<br />

beiden Straftatbestände auszuschließen, dass sich der geständige Angeklagte bei einem rechtzeitig gegebenen Hinweis<br />

anders und erfolgreicher hätte verteidigen können.<br />

StPO § 344 II 2, StPO § 345 I Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle 5<br />

BGH, Beschl. v. 27.11.2008 – 5 StR 496/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 23<br />

Im Rahmen des § 345 II StPO kann nicht erwartet werden, dass der Rechtspfleger während seiner<br />

gesamten Dienststunden für die Prüfung der vorliegenden Revisionsbegründung zur Verfügung<br />

steht.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts Hamburg vom 26. Oktober 2007 werden nach §<br />

349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Die von dem Angeklagten zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegebene Re-visionsbegründung ist nicht innerhalb der<br />

einmonatigen Revisionsbegrün-dungsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO angebracht worden. Diese endete wegen des dazwischen<br />

liegenden Wochenendes mit Ablauf des Montag, 11. Febru-ar 2008. Tatsächlich trägt die Revisionsbegründungsschrift<br />

den 20. Febru-ar 2008 als Eingangsstempel, den Tag, an dem der Rechtspfleger mit seiner Unterschrift<br />

die Übernahme der Verantwortung für den Inhalt der Revisions-begründung übernommen hat.<br />

Dem Angeklagten, dessen Verteidiger nicht nur die allgemeine Sachrüge, sondern auch Verfahrensrügen fristgerecht<br />

erhoben hat, war namentlich für seine Verfahrensrügen von Amts wegen keine Wiedereinsetzung in den vori-gen<br />

Stand zu gewähren. Ein amtliches Verschulden, das dazu genötigt hätte, liegt nicht vor. Der Rechtspfleger hat vermerkt,<br />

die Revisionsbegründung sei dem Rechtsantragsdienst am 6. Februar 2008 vorgelegt worden; ihre Bearbeitung<br />

sei vom 6. Februar 2008 bis 20. Februar 2008 erfolgt. Angesichts der vorliegenden vier Verfahrensakten,<br />

drei Sonderbände, eines Leitzordner-Protokollbandes, des 105 Seiten umfassenden Urteils und einer – abgese-hen<br />

von der erhobenen allgemeinen Sachrüge – Verfahrensrügen aufwei-senden Revisionsbegründungsschrift des Angeklagten<br />

von 315 Seiten ist der dokumentierte zeitliche Prüfungsumfang des Rechtspflegers nicht unverhält-nismäßig<br />

lang. Dies gilt gerade unter Berücksichtigung folgenden Umstands: das Recht eines Revisionsführers, die Revision<br />

zu Protokoll der Geschäfts-stelle zu begründen, besteht nur innerhalb der normalen Dienststunden (BGH NStZ 1996,<br />

353; BGHR StPO § 45 Abs. 1 Satz 1 Frist 1). In diesem Zusammenhang kann aber nicht erwartet werden, dass der<br />

Rechtspfleger während seiner gesamten Dienststunden für die Prüfung der vorliegenden Revisionsbegründung zur<br />

Verfügung steht. Denn zu berücksichtigen bleibt das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchti-gen,<br />

nicht allein auf einen Angeklagten fokussierten Rechtspflege. Nichts anderes gilt für den hier vorlie-<br />

5 Zu diesem Thema s. Krehl in FS Hamm 2008, S. 383 ff.<br />

389


genden Fall, in dem der Angeklagte dem Rechtspfleger eine von ihm, dem Angeklagten, verfasste Revisionsbegründungsschrift<br />

in dem oben beschriebenen Umfang vorlegt, die der Rechtspfle-ger gewissenhaft zu prüfen hat, um dem<br />

Erfordernis einer gestaltenden Beur-teilung gerecht zu werden.<br />

Ein amtliches Verschulden ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu erken-nen, dass der Rechtspfleger bei der Vorlage<br />

dieser Revisionsbegründungs-schrift gehalten gewesen wäre, den „gerichtserfahrenen“ Angeklagten wäh-rend<br />

der Überprüfungszeit darüber zu informieren, dass er seine Überprü-fung nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist<br />

wird bewältigen können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Eröffnung der Möglich-keit einer<br />

Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle durch den verteidigten Angeklagten rechtsstaatlich nicht geboten<br />

ist (BGH NStZ-RR 2008, 312; Senatsbeschluss vom 17. September 2008 – 5 StR 435/08).<br />

StPO § 349 II, StPO § 356a Rechtliches Gehör gegen ou-Antrag und abweichende Begründung<br />

BGH, Beschl. v. 08.04.<strong>2009</strong> – 5 StR 40/09<br />

Der Anspruch auf rechtliches Gehör des Verurteilten ist nicht dadurch verletzt, dass diesem keine<br />

Gelegenheit gegeben worden ist, zu der über die Begründung des Verwerfungsantrages der Revisionsstaatsanwaltschaft<br />

hinausgehende, ergänzende Begründung des Senats vorab Stellung zu nehmen.<br />

Der Antrag des Verurteilten nach § 356a StPO gegen den Beschluss des Senats vom 11. März <strong>2009</strong> wird<br />

kostenpflich-tig zurückgewiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht Bremen hat gegen den Verurteilten wegen Vergewal-tigung in zwei Fällen sowie Körperverletzung<br />

in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und elf<br />

Monaten verhängt. Mit am 20. März <strong>2009</strong> den Verteidigern übersand-tem Beschluss vom 11. März <strong>2009</strong> hat der<br />

Senat die Revision des Verurteil-ten nach § 349 Abs. 2 StPO mit einer ergänzenden Begründung hinsichtlich einer<br />

Aufklärungs- bzw. Inbegriffsrüge verworfen und einen in der Gegener-klärung <strong>zum</strong> Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts<br />

enthaltenen An-trag des Verteidigers Rechtsanwalt M.<br />

auf Durchführung einer Revisionshauptverhandlung<br />

durch Bezugnahme auf einen anderen Senatsbe-schluss zurückgewiesen.<br />

Die Anhörungsrüge versagt. Die im Rechtsbehelf geltend gemachten Einwände gegen den Senatsbeschluss belegen<br />

keine Gehörsverletzung im Sinne des § 356a Satz 1 StPO.<br />

1. Der Senat hat den Anspruch auf rechtliches Gehör des Verurteilten nicht dadurch verletzt, dass diesem keine Gelegenheit<br />

gegeben worden ist, zu der ergänzenden Begründung des Senats vorab Stellung zu nehmen.<br />

Die vom Bundesverfassungsgericht in der Plenarentscheidung BVerfGE 107, 395, 410 erwogene Gehörsverletzung<br />

hinsichtlich abweichen-der rechtlicher Auffassungen in einer weiteren Instanz bezieht sich nicht auf die besonderen<br />

Ausprägungen des rechtlichen Gehörs in dem nach der Ple-narentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht<br />

stets als verfassungs-rechtlich unbedenklich bewerteten revisionsgerichtlichen Beschlussverfahren gemäß § 349 Abs.<br />

2 bis 4 StPO (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1999; 2006, 136; BGHR StPO § 356a Gehörsverstoß 1). In diesem<br />

Verfahren legt zunächst allein der Revisionsführer in seiner Begründungsschrift Art und Um-fang der rechtlichen<br />

Angriffe gegen das tatrichterliche Urteil fest. Sodann er-hält der Revisionsführer Gelegenheit, den Erwägungen<br />

entgegenzutreten, welche die Revisionsstaatsanwaltschaft diesen Angriffen in ihrer Antrags-schrift rechtlich entgegengesetzt<br />

hat. Ihm steht es dabei frei, zu den im Be-schlussverfahren angelegten, den Schuld- oder Strafausspruch<br />

betreffenden Entscheidungsvarianten (vgl. BGHR aaO) Stellung zu nehmen und seine Rechtsstandpunkte auch im<br />

Übrigen gegen weitergehende gegenläufige Er-wägungen ergänzend abzusichern.<br />

Hierzu hat der Revisionsführer besonderen Anlass. Das Revisionsge-richt muss sich dem Verwerfungsantrag nur im<br />

Ergebnis, nicht aber in allen Teilen der Begründung anschließen (BVerfG – Kammer – NJW 2002, 814, 815<br />

m.w.N.). Der Revisionsführer muss deshalb gewärtigen, dass das Revi-sionsgericht Zusätze zur Begründung der<br />

eigenen Rechtsauffassung beifügt (BVerfG aaO). Für diese dem Beschlussverfahren immanente Entscheidungsvariante<br />

wird dem Revisionsführer nur ein allgemeines, indes kein spe-zielles auf das einzelne rechtliche Argument<br />

bezogenes Gehör gewährt (vgl. BVerfG – Kammer – NStZ 2002, 487, 489). Dies begegnet vor dem Hintergrund<br />

der Kumulation des Antrags- und Einstimmigkeitserfordernisses keinen Bedenken (vgl. Meyer-Goßner, StPO<br />

51. Aufl. § 349 Rdn. 11). Nur eine sol-che Praxis gewährleistet die rechtsstaatlich ebenfalls gebotene Effektivität des<br />

390


Beschlussverfahrens. Für grundlegend neue und damit notwendig jeden Beschwerdeführer überraschende Rechtsauffassungen<br />

ist im Beschlussver-fahren nach § 349 Abs. 2 StPO ohnehin kein Raum.<br />

2. Eine Gehörsverletzung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Senat im Verwerfungsbeschluss im Übrigen<br />

nur zu dem Begehren auf Durch-führung einer Revisionshauptverhandlung, nicht aber zu der vom Antrag des Generalbundesanwalts<br />

abweichenden Rechtsauffassung der Verteidigung in ihrer Gegenerklärung Stellung genommen<br />

hat. Dies rechtfertigt nicht die An-nahme, der Senat hätte das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung<br />

gezogen (vgl. BVerfGE 96, 205, 216 f.; BVerfG – Kammer – StraFo 2007, 463). Das Schweigen des Senats<br />

auf Rechtsausführungen in der Gegenerklärung des Verteidigers offenbart nach der Sachlogik des revisionsgerichtlichen<br />

Beschlussverfahrens vielmehr, dass der neue Vortrag un-geeignet gewesen ist, die vom Generalbundesanwalt<br />

begründete Erfolglosig-keit der erhobenen Revisionsrügen zu entkräften (vgl. BGH, Beschlüsse vom<br />

9. Dezember 2008 – 5 StR 426/08 und 13. Februar <strong>2009</strong> – 2 StR 479/08).<br />

3. Eine weitergehende Begründungspflicht für die letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare<br />

Entscheidung bestand nicht (vgl. BVerfGE 50, 287, 289 f.; 65, 293, 295; BVerfG – Kammer – StraFo<br />

2007, 463). Sie wird auch nicht von der im Rechtsbehelf dargelegten Sorge erheischt, nur eine Begründungspflicht<br />

könne den Senat davon abhal-ten, dass dieselbe Rechtsfrage von demselben Senat in einem Fall so und in einem<br />

anderen Fall anders entschieden werde. Solches verkennt die wahr-zunehmende und wahrgenommene Sorgfalt und<br />

Verantwortung in der Praxis revisionsgerichtlicher Beschlussentscheidungen (BGH, Beschluss vom 9. Dezember<br />

2008 – 5 StR 426/08).<br />

StPO § 353 II Aufhebung des Urteils durch Revisionsgericht Keine Übernahme von Feststellungen<br />

BGH, Beschl. v. 14.10.2008 – 4 StR 172/08<br />

Bei einer Aufhebung des Urteils im Ganzen ist für die Übernahme bisheriger Feststellungen kein<br />

Raum. Eine Bezugnahme auf Feststellungen, die mit dem früheren Urteil aufgehoben worden sind,<br />

wird auch nicht dadurch zulässig, dass sie mit dem Hinweis verbunden wird, die neue Hauptverhandlung<br />

habe zu denselben Feststellungen geführt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten [S. ] wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21. November<br />

2007, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkam-mer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Dezember 2005 wegen Vergewaltigung in<br />

drei Fällen zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Auf die Revision des Angeklag-ten<br />

hat der Senat das vorbezeichnete Urteil, soweit es diesen Angeklagten be-traf, mit den Feststellungen aufgehoben, da<br />

keine der Tatbestandsvarianten des § 177 Abs. 1 StGB belegt war. Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil hat das<br />

Landgericht den Angeklagten wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 und 2 Nr. 1 StGB) in drei Fällen zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte<br />

mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der<br />

Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfah-rensrüge nicht ankommt.<br />

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die Zeugin B. in den ihm<br />

zur Last gelegten Fällen (Taten 5 a, 20 b und 20 c der Urteilsgründe) durch ausdrückliche oder konkludente Drohung<br />

mit einem empfindlichen Übel zur Vornahme der sexuellen Handlun-gen genötigt hat. Das Landgericht stützt seine<br />

Annahme, der Angeklagte habe die Zeugin in den drei Fällen jeweils zur Durchführung des Oral- und Vaginalverkehrs<br />

genötigt, auf folgende Feststellungen, die auf den "umfassenden Geständnissen" des Angeklagten und<br />

seiner Mitangeklagten beruhen:<br />

"Den Angeklagten war jeweils bewusst, dass die Geschädigte nicht frei-willig die sexuellen Handlungen vornahm<br />

bzw. an sich vornehmen ließ. Den Angeklagten war insbesondere bei Begehung der jeweiligen Taten bewusst, dass<br />

sie die auslandsspezifische Hilflosigkeit der Ne-benklägerin in den jeweiligen Fällen und die Tatsache ausnutzten,<br />

391


dass sich die Zeugin aus Angst vor ausländer- und strafrechtlichen Konsequenzen ihres illegalen Aufenthalts nicht<br />

gegen die sexuellen Übergriffe der Angeklagten zu wehren wagte" (UA 50).<br />

Diese pauschal gehaltenen Feststellungen belegen nicht, dass der An-geklagte der Zeugin die von ihr nicht gewollten<br />

Handlungen durch Drohung mit einem empfindlichen Übel aufgezwungen hat. Auch bei der Darstellung der einzelnen<br />

Fälle, die diesem Angeklagten zur Last gelegt werden, befinden sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für<br />

eine nötigende Einwirkung.<br />

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass das Einrücken umfangrei-cher Feststellungen eines aufgehobenen Urteils<br />

durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet, wenn offensichtlich ist, dass diese nicht allein auf Grund des<br />

vom Angeklagten in der Hauptverhandlung abgelegten Geständnisses ge-troffen sein können, und weitere Beweise<br />

nicht erhoben wurden. Bei einer Auf-hebung des Urteils im Ganzen ist für die Übernahme bisheriger Feststellungen<br />

kein Raum. Eine Bezugnahme auf Feststellungen, die mit dem früheren Urteil aufgehoben worden sind, wird auch<br />

nicht dadurch zulässig, dass sie mit dem Hinweis verbunden wird, die neue Hauptverhandlung habe zu denselben<br />

Fest-stellungen geführt (vgl. BGHSt 24, 274, 275; BGH NStZ 2000, 441; vgl. auch Kuckein in KK 6. Aufl. § 354<br />

Rdn. 42 m. w. N.). Der Tatrichter muss insoweit vielmehr umfassend eigene Feststellungen treffen und in den Urteilsgründen<br />

mitteilen. Nur wenn die neue Hauptverhandlung die Richtigkeit der Feststellun-gen des aufgehobenen<br />

Urteils ergeben hat, dürfen sich die neuen Feststellun-gen an diese anlehnen; dann ist es sogar zulässig, in dem Umfang<br />

den Text des aufgehobenen Urteils wörtlich zu übernehmen (vgl. Hanack in Lö-we/Rosenberg StPO 25. Aufl. §<br />

354 Rdn. 71; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 354 Rdn. 46, beide m. w. N.).<br />

StPO § 356a Revisionsger. Entsch. Über Befangenheits allein die Anhörungsrüge<br />

BGH, Beschl. v. 06.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 541/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1092<br />

LS:Gegen die Entscheidung des Revisionsgerichts über einen Befangenheitsantrag ist allein die -<br />

befristete - Anhörungsrüge gemäß § 356a StPO statthaft.<br />

Die Anhörungsrüge des Verurteilten vom 7. Januar <strong>2009</strong> gegen den Beschluss des Senats vom 18. November 2008<br />

(Zurückwei-sung eines Befangenheitsantrags) wird auf Kosten des Verurteil-ten zurückgewiesen.<br />

Gründe:<br />

1. Der Senat hatte erneut über eine Revision des - damals - Angeklagten zu entscheiden, nunmehr gegen das Urteil<br />

des Landgerichts Stuttgart vom 10. April 2008. Vier der zur Entscheidung berufenen Richter, die bereits an der ersten<br />

Revisionsentscheidung mitgewirkt hatten, lehnte der Angeklagte mit An-trägen vom 29. September 2008 wegen<br />

Besorgnis der Befangenheit ab. Dies hat der Senat in der Besetzung gemäß § 27 Abs. 1 StPO mit Beschluss vom 18.<br />

November 2008 als unbegründet zurückgewiesen. Der Senat hat dann in der Besetzung mit den erfolglos abgelehnten<br />

Richtern die Revision des Ange-klagten mit Beschluss vom 2. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.<br />

Diese Entscheidung wurde von der Geschäftsstelle am 8. Dezember 2008 versandt. Mit Schriftsatz seiner<br />

Verteidigerin vom 7. Januar <strong>2009</strong>, der am 8. Januar <strong>2009</strong> beim Bundesgerichtshof einging, erhob der Verurteilte<br />

gegen die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch „Anhörungsrüge nach § 33a StPO“.<br />

2. Der Verurteilte erhebt der Sache nach die Anhörungsrüge gemäß § 356a StPO. Die anderweitige Bezeichnung<br />

steht dem nicht entgegen (§ 300 StPO).<br />

Die Geltendmachung einer Gehörsverletzung ist statthaft (unten a). Maßgeblich ist § 356a StPO (unten b). Danach<br />

wäre die Anhörungsrüge - wohl - unzulässig (unten c). Den Verurteilten hierauf zu verweisen, verstieße im vorliegenden<br />

Fall allerdings gegen den Grundsatz der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (unten d). Die Anhörungsrüge<br />

ist jedoch unbegründet (un-ten e).<br />

a) Gegen die Ablehnung eines Befangenheitsantrags im Revisionsver-fahren kann die Verletzung des Anspruchs auf<br />

rechtliches Gehör geltend ge-macht werden; dies ist statthaft. Der in § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO und in § 28 Abs. 2<br />

Satz 2 StPO (auch im Beschlussverfahren gemäß § 349 Abs. 2 StPO entscheiden „erkennende Richter“ i.S. von § 28<br />

Abs. 2 Satz 2 StPO [vgl. Siolek in Löwe/Rosenberg StPO, 26. Aufl. § 28 Rdn. 23]) verkörperte Rechtsgedanke, dass<br />

der endgültigen Entscheidung eines erkennenden Richters vorausgehen-de Entscheidungen zur Vermeidung von<br />

Verfahrensverzögerungen grundsätz-lich nicht angefochten werden können, steht der Geltendmachung einer Gehörsverletzung<br />

im Zwischenverfahren über einen Befangenheitsantrag vor einer fachgerichtlich letztinstanzlichen<br />

Entscheidung nicht entgegen. Dies gebietet die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Denn andernfalls entstünde<br />

eine Rechtsschutzlücke. Die behauptete Gehörsverletzung im Zwischenverfahren der Richterablehnung könnte<br />

392


mit einer Anhörungsrüge gegen die spätere Sachentscheidung nicht mehr in geeigneter, den verfassungsrechtlichen<br />

Anfor-derungen genügender Weise geltend gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR<br />

782/07; BVerfGE 119, 292, 300 - und dieser Entscheidung folgend BAG, Beschl. vom 23. September 2008 - 6 AZN<br />

84/08 - Rdn. 5 [jeweils zu § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach die Anhörungsrüge ge-gen eine der Endentscheidung<br />

vorausgehende Entscheidung nicht stattfindet]; BVerfG, Beschl. vom 12. Januar <strong>2009</strong> - 1 BvR 3113/08 - [zu § 321a<br />

Abs. 1 Satz 2 ZPO]; BFH, Beschl. vom 4. Mai 2006 - VI S 5/06 - [zu § 133a FGO]).<br />

b) Bei dem Vorbringen, der Senat habe bei seiner Entscheidung über die Befangenheitsanträge vom 29. September<br />

<strong>2009</strong> den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, handelt es sich um eine Anhörungsrüge gemäß § 356a StPO.<br />

Die mit dem Anhörungsrügegesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I 3220) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 eingefügte<br />

Norm regelt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im strafrechtlichen Revisionsverfahren abschließend.<br />

Im Verhältnis zu § 33a StPO ist § 356a StPO für das Revisions-verfahren die speziellere Vorschrift<br />

(Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 33a Rdn. 28). Zwar ist der Wortlaut der Bestimmung, in<br />

der von einem Anhörungsverstoß „bei einer Revisionsentscheidung“ die Rede ist, nicht völlig eindeutig. Schon nach<br />

dem Wortsinn ist die Reduzierung des An-wendungsbereichs des § 356a StPO auf die Urteilsfindung (§ 349 Abs. 5<br />

StPO) und die Beschlussfassung (§ 349 Abs. 1 bis 4 StPO) aber nicht zwingend. Einer Einschränkung steht jedoch<br />

vor allem Sinn und Zweck der Befristung der Anhö-rungsrüge gemäß § 356a Satz 2 StPO (eine Woche nach Kenntniserlangung<br />

vom Gehörsverstoß) entgegen. Damit sollte im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens<br />

eine unbefristete Gefährdung der Rechtskraft der Revi-sionsentscheidung durch Anträge des Angeklagten oder Nebenklägers<br />

ausge-schlossen werden (vgl. BRDrucks. 663/04 S. 43; BTDrucks. 15/3706 S. 18). Die Zulassung einer<br />

zeitlich nicht begrenzten Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei einer vorangegangenen Entscheidung über<br />

einen Befangenheitsan-trag gegen die erkennenden Richter ist damit nicht vereinbar. Über ein entspre-chendes Vorbringen<br />

muss zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bald, grundsätzlich vor der endgültigen Revisionsentscheidung<br />

befunden werden. Mit einer nach der abschließenden Sachentscheidung erhobenen Rüge - sei es gegen die<br />

Entscheidung über den Befangenheitsantrag oder gegen die Endent-scheidung - kann eine behauptete Gehörsverletzung<br />

im Zwischenverfahren der Richterablehnung kaum mehr in geeigneter, den verfassungsrechtlichen Anforderungen<br />

genügender Weise (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR 782/07; BVerfGE 119, 292, 300)<br />

geltend gemacht werden. Wie den Kon-sequenzen eines bei der Entscheidung über den Befangenheitsantrag ausschlaggebenden<br />

Gehörsverstoßes nach der endgültigen Revisionsentscheidung auf fachgerichtlicher Ebene Rechnung<br />

getragen werden könnte - über den Be-fangenheitsantrag befindet ein anderes Richterkollegium als über die in<br />

Rechts-kraft erwachsende endgültige Entscheidung -, kann hier dahinstehen (dies lässt auch - für eine vergleichbare<br />

Situation - der Bundesfinanzhof in seinem Be-schluss vom 4. Mai 2006 - VI S 5/06 - Rdn. 11 offen).<br />

c) Die Anhörungsrüge nach § 356a StPO ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen<br />

Gehörs - hier also nach Empfang der Entscheidung über die Zurückweisung des Befangenheitsantrags - zu erhe-ben<br />

(Satz 2). Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (Satz 3) und zwar innerhalb der Wochenfrist<br />

(vgl. Kuckein in Karlsruher Kom-mentar zur StPO, 6. Aufl. § 356a StPO Rdn. 11 m.w.N.). Mangels Einhaltung der<br />

Frist und schon mangels Glaubhaftmachung vom Zeitpunkt der Kenntniser-langung wäre die Anhörungsrüge des<br />

Verurteilten nach dem eingangs geschil-derten Ablauf - wohl - unzulässig. Einer weiteren Klärung bedarf dies jedoch<br />

nicht.<br />

d) Denn in der besonderen Situation des vorliegenden Falls kann der Verurteilte nicht auf die Unzulässigkeit der<br />

Anhörungsrüge verwiesen werden. Dies verstieße gegen das Gebot der Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Die<br />

Frage, wie eine behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Ent-scheidung über einen Befangenheitsantrag<br />

im Revisionsverfahren nach der Schaffung des § 356a StPO anzubringen ist, war nicht geklärt; sie war nicht einmal<br />

in der Diskussion.<br />

Es kann deshalb dahinstehen, ob dem Verteilten im Hinblick auf den - nunmehr erkannten - Rechtsirrtum seiner<br />

Verteidigerinnen gemäß § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wochenfrist<br />

des § 356a Satz 2 StPO hätte gewährt werden können. Dies ist zwar im Grundsatz nicht ausgeschlossen. An<br />

die Voraussetzungen fehlenden Ver-schuldens sind im Interesse der Rechtssicherheit bei § 356a StPO aber hohe<br />

Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Beschl. vom 13. August 2008 - 1 StR 162/08 - Rdn. 17). Ein Verteidigerverschulden<br />

ist einem Angeklagten bei ver-späteter Einlegung der Gehörsrüge gemäß § 356a StPO zuzurechnen (vgl.<br />

aaO Rdn. 21 ff.).<br />

e) Die Gehörsrüge ist jedoch unbegründet. Der Senat hat bei seiner Ent-scheidung über den Befangenheitsantrag des<br />

Verurteilten keine Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Beschwerdeführer nicht gehört wurde.<br />

Sein Vorbringen wurde vom Senat umfassend zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt.<br />

393


Der - von der Verteidigung zitierte - Beschluss des Bundesverfassungs-gerichts vom 24. Februar 2006 - 2 BvR<br />

836/04 - betrifft den Anwendungsbe-reich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Der Senat hat den Befangenheitsantrag nicht<br />

als unzulässig, sondern in der Besetzung gemäß § 27 Abs. 1 StPO als unbegründet zurückgewiesen.<br />

StPO § 356a; BVerfGG § 93 II 6 Anhörungsrüge Zurechnung von Verteidigungsfehler<br />

BGH, Beschl. v. 13.08.2008 – 1 StR 162/08 - wistra <strong>2009</strong>, 33<br />

1. Die Unkenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />

[Erschöpfung des Rechtswegs] für eine auf die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gestützte<br />

Verfassungsbeschwerde stellt keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO dar.<br />

2. Zwar sind im Strafverfahren schwerwiegende Verteidigerfehler, wie etwa die Unkenntnis von der<br />

Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels, die zur Fristversäumung führen, dem Beschuldigten<br />

in aller Regel nicht zuzurechnen. Dies gilt jedoch nach Auffassung des Senats bei der Frage, ob die<br />

Versäumung der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO unverschuldet war, entsprechend § 93 Abs. 2<br />

Satz 6 BVerfGG nicht.<br />

Der Antrag des Verurteilten, das Verfahren wegen Verletzung sei-nes Anspruchs auf rechtliches Gehör in die Lage<br />

vor Erlass der Senatsentscheidung vom 17. Juni 2008 zurückzuversetzen, wird als unzulässig, sein Antrag auf Wiedereinsetzung<br />

in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO wird als unbegründet,<br />

jeweils auf seine Kosten, zurückge-wiesen.<br />

Gründe:<br />

I.<br />

Zum Verfahrensgang:<br />

Mit Beschluss vom 17. Juni 2008 verwarf der Senat die Revision des An-geklagten gegen das Urteil des Landgerichts<br />

München II vom 23. Juli 2007 ge-mäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Diese Entscheidung ging den Vertei-digern<br />

des Angeklagten, den Rechtsanwälten Dr. B. - Fachanwalt für Strafrecht - und Mag. W.<br />

, am 23. Juni 2008 zu. Wann der Verurteilte vom Verwerfungsbeschluss des Senats Kenntnis erlangt hat, wird nicht<br />

mitgeteilt. Dies war jedenfalls vor dem 23. Juli 2008. Denn an diesem Tag legten die Verteidiger namens des Verurteilten<br />

beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts München II und<br />

den Senatsbeschluss vom 17. Juni 2008 ein. Beanstandet wurde „die Verlet-zung der Grundrechte des Beschwerdeführers<br />

aus Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG“. Mit Schreiben an Rechtsanwalt W. vom 31.<br />

August 2008, das den Verteidigern am 4. August 2008 zuging, teilte der Präsidialrat des Bundesverfassungsgerichts<br />

folgendes mit:<br />

„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,<br />

im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde wird Ihnen bezüglich der Frage einer vorherigen Erhebung<br />

einer Anhö-rungsrüge (§ 356a StPO) beim letztinstanzlichen Fachgericht Gele-genheit zur Stellungsnahme<br />

gegeben. Auf den Nichtannahmebe-schluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -<br />

(NJW 2005, S. 3059 - veröffentlicht auch unter www.bundesverfassungsgericht.de) wird hingewiesen.<br />

Daher ist von einer förmlichen Behandlung der Verfassungsbe-schwerde abgesehen worden.<br />

Es wird gebeten, die Rechtslage zu überprüfen und gegebenenfalls mitzuteilen, ob die Verfassungsbeschwerde<br />

gleichwohl aufrechter-halten wird.<br />

Sollte Ihrerseits binnen zwei Monaten keine anderslautende Mittei-lung erfolgen, wird hier davon ausgegangen, dass<br />

dieses Verfas-sungsbeschwerdeverfahren nicht fortgesetzt werden soll.<br />

Mit freundlichen Grüßen“<br />

Mit Schriftsatz vom 11. August 2008, der am selben Tag beim Bundesge-richtshof einging, beantragten die Verteidiger<br />

hinsichtlich des Beschlusses des Senats vom 17. Juni 2008, das Verfahren gemäß § 356a StPO durch Beschluss<br />

in die Lage vor der Revisionsentscheidung zurückzuversetzen, da das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in<br />

entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.<br />

Zur Frage der Einhaltung der Wochenfrist des § 356a S. 2 StPO wird auf das oben zitierte Schreiben des Präsidialrats<br />

des Bundesverfassungsgerichts verwiesen und dazu dann ausgeführt:<br />

394


„Der Präsidialrat des Bundesverfassungsgerichts hält die Frage der Verletzung rechtlichen Gehörs durch das letztinstanzliche<br />

Fachge-richt im Rahmen des Anhörungsverfahrens gemäß § 356a StPO überprüfenswert. Es ist die Verletzung<br />

rechtlichen Gehörs möglich.<br />

Mit Eingang des Schreibens des Bundesverfassungsgerichts - Präsidialrat - am 04. August 2008 hat der Unterfertigende<br />

hiervon Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung wird auf den Eingangs-stempel verwiesen, nämlich 04. Aug.<br />

2008. Der Antrag ist somit fristgerecht binnen Wochenfrist gestellt (§ 356a Satz 2 StPO).“<br />

Hilfsweise beantragten die Verteidiger in ihrem Schriftsatz vom 11. Au-gust 2008 „Wiedereinsetzung in den vorigen<br />

Stand gemäß §§ 44, 45 StPO, d.h. in die Antragsfrist des § 356a Satz 2 StPO“. Zur Begründung wird vorgetragen:<br />

„Sollte das Gericht den Beginn der Wochenfrist nach § 356a Satz 2 StPO entgegen der Rechtsmeinung der anwaltschaftlichen<br />

Vertreter des Beschwerdeführers zu einem früheren Zeitpunkt als der Mittei-lung des Schreibens des<br />

Präsidialrates des Bundesverfassungsge-richts ansetzen, wird vorsorglich anwaltschaftlich versichert, daß weder<br />

Rechtsanwalt Dr. B. noch Rechtsanwalt Mag. rer. publ. W. über ein derartiges Wissen resp. Verständnis<br />

ver-fügten, was dem Beschwerdeführer nicht als Verschulden ange-rechnet werden kann.“<br />

II.<br />

Der Antrag auf Zurückversetzung des Verfahrens in die Lage vor der Se-natsentscheidung vom 17. Juni 2008 gemäß<br />

§ 356a Satz 1 StPO ist unzulässig, da verspätet.<br />

Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntniserlangung von der Ver-letzung des rechtlichen Gehörs zu stellen.<br />

Dabei geht es nur um die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Verstoß ergibt (BGH, Beschl.<br />

vom 9. März 2005 - 2 StR 444/04; 7. März 2006 - 5 StR 362/05 - Rdn. 3; 16. Mai 2006 - 4 StR 110/05 - Rdn. 3).<br />

Dies ist hier der Senatsbeschluss vom 17. Juni 2008, der den Verteidigern am 23. Juni 2008 zuging und von dem<br />

auch der Verurteilte jedenfalls vor dem 23. Juli 2008 Kenntnis erlangte.<br />

Auf das Wissen um die Bedeutung der Einlegung der Gehörsrüge gemäß § 356a StPO als Zulässigkeitsvoraussetzung<br />

für eine Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf das Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2<br />

Satz 1 BVerfGG) kommt es nicht an. Das Schreiben des Präsidialrats des Bun-desverfassungsgerichts vom 31. Juli<br />

2008 ist deshalb insoweit ohne Belang.<br />

Da die Gehörsrüge nicht innerhalb der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO erhoben wurde, sondern erst am 11.<br />

August 2008, ist sie unzulässig.<br />

III.<br />

Der - hilfsweise gestellte - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist<br />

des § 356a Satz 2 StPO ist un-begründet.<br />

Bei der Gehörsrüge handelt es sich um einen außerordentlichen Rechts-behelf nach rechtskräftigem Abschluss des<br />

Strafverfahrens. Im Interesse der Rechtssicherheit muss eine die Rechtskraft durchbrechende Entscheidung ge-mäß §<br />

356a Satz 1 StPO möglichst bald erfolgen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der<br />

Antragsfrist des § 356a Satz 2 StPO ist zwar im Grundsatz nicht ausgeschlossen. An die Voraussetzungen fehlen-den<br />

Verschuldens (§ 44 Satz 1 StPO) an der verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs sind aber hohe Anforderungen zu<br />

stellen (zu den strengen An-forderungen bei einer Verfassungsbeschwerde vgl. BVerfG, Beschl. vom 30. Mai 2007 -<br />

1 BvR 756/07).<br />

Im vorliegenden Fall ist die Versäumung der Frist des § 356a StPO Satz 2 nicht unverschuldet.<br />

Die Verteidiger tragen nicht vor, dass ihnen oder dem Verurteilten der Rechtsbehelf des mit dem Anhörungsrügengesetz<br />

vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220 ff.) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in die StPO eingefügten § 356a<br />

StPO unbekannt gewesen wäre (anders als in dem dem Beschluss des BGH vom 10. August 2005 - 2 StR 544/04 -<br />

zugrunde liegenden Fall). Bei erfah-renen Strafverteidigern ist dies nunmehr (dreieinhalb Jahre nach Inkrafttreten der<br />

Vorschrift) auch kaum noch vorstellbar, wie auch nicht, dass sie die Mög-lichkeit, diesen Rechtsbehelf einzulegen,<br />

nicht mit ihrem Mandanten bespro-chen haben. Dies wird auch nicht behauptet. Die Verteidiger versichern lediglich<br />

im Hinblick auf den Hinweis im Schreiben des Präsidialrats des Bundesverfas-sungsgerichts vom 31. Juli 2008 zur<br />

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, sie verfügten nicht über ein „derartiges Wissen resp. Verständnis“.<br />

Der Verurteilte und seine Verteidiger haben also bewusst auf die - recht-zeitige - Einlegung der Gehörsrüge verzichtet.<br />

Dass dies in Unkenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />

(Erschöpfung des Rechtswegs) für eine auf die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gestützte Verfassungsbeschwerde<br />

(BVerfG, Beschl. vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05; entsprechend früher schon zu § 33a StPO<br />

vgl. Sperlich in Umbach/Clemens/Dollinger BVerfGG 2. Aufl. § 90 Rdn. 115 m.w.N.) geschah, stellt keine Verhinderung<br />

im Sinne des § 44 Satz 1 StPO dar (zur ent-sprechenden Situation bei einer Rechtsprechungsänderung vgl.<br />

BGH, Beschl. vom 19. April 2005 - 5 StR 586/04; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 44<br />

Rdn. 53 m.w.N.).<br />

395


Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Zwar sind im Strafverfahren schwerwiegende Verteidigerfehler, wie etwa die Unkenntnis von der Möglichkeit der<br />

Einlegung eines Rechtsmittels, die zur Fristversäumung führen, dem Beschuldigten in aller Regel nicht zuzurechnen,<br />

denn er ist meist nicht in der Lage, die Rechtskenntnisse des Verteidigers ein-zuschätzen (vgl. BGH, Beschl. vom 13.<br />

Januar 1997 - 4 StR 612/96 - [= BGHSt 42, 365]; vom 26. Juli 1994 - 1 StR 338/94; vom 31. Oktober 1995 - 3 StR<br />

456/95 - [= BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 9]). Dies gilt jedoch nach Auffassung des Senats bei der Frage,<br />

ob die Versäumung der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO unverschuldet war, entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 6<br />

BVerfGG nicht.<br />

§ 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG bestimmt hinsichtlich der Versäumung der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1<br />

BVerfGG zur Einlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde: „Das Verschulden des Bevollmächtigten<br />

steht dem Verschulden eines Beschwerdeführers gleich“. „Das bedeutet, worauf in BTDrucks. 12/3628 S. 13 ausdrücklich<br />

hingewiesen wird, dass eine Verschul-denszurechnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch für Beschwerde-führer<br />

erfolgt, die sich gegen einen strafrechtlichen Schuldvorwurf im Aus-gangsverfahren wenden, in<br />

welchem nach der Rechtsprechung der Strafgerich-te das Verteidigerverschulden nicht zugerechnet wird“ (Schmidt-<br />

Bleibtreu in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 93 Rdn. 41a).<br />

Bei der Gehörsrüge handelt es sich um einen außerordentlichen Rechts-behelf nach rechtskräftigem Abschluss des<br />

Strafverfahrens. Sie ist zwar noch Teil des fachgerichtlichen Verfahrens, da sie zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts<br />

den Revisionsgerichten trotz Rechtskraft Gelegenheit geben soll, bei zutreffend vorgetragenen Verstößen<br />

gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs selbst Abhilfe zu schaffen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 8.<br />

Februar 2007 - 2 BvR 2578/06). Weitergehende Überprüfungsmöglichkeiten eröffnet die Gehörsrüge nicht. Befangenheitsanträge<br />

sind unstatthaft (vgl. BGH, Beschl. vom 22. November 2006 - 1 StR 180/06 - [= BGHR StPO § 25<br />

Abs. 2 Nach dem letzten Wort 1]; vom 7. August 2007 - 4 StR 142/07). Die ablehnende Entscheidung des Fachgerichts<br />

über eine Gehörsrüge kann mangels eigen-ständiger Beschwer nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen<br />

werden (BVerfG aaO; sowie Beschl. vom 20. Juni 2007 - 2 BvR 746/07). Die Gehörsrü-ge stellt sich letztlich als<br />

Vorstufe der Verfassungsbeschwerde gegen die Revi-sionsentscheidung auf fachgerichtlicher Ebene dar. Hinsichtlich<br />

der Zurechnung eines Verschuldens des Verteidigers kann dann aber nichts anderes gelten als bei der Verfassungsbeschwerde<br />

selbst.<br />

IV.<br />

Im Übrigen wäre die Gehörsrüge auch unbegründet.<br />

Der Senat hat weder Tatsachen noch sonstige Umstände verwertet, zu denen der Verurteilte nicht gehört worden<br />

wäre, noch hat er zu berücksichti-gendes Vorbringen übergangen. Der Senat hat das Revisionsvorbringen des Angeklagten<br />

in vollem Umfang gewürdigt, jedoch nicht für durchgreifend erach-tet. Der Beschwerdeführer wurde gehört,<br />

aber nicht erhört. Dass dies in dem Beschluss, mit dem er die Revision des Angeklagten verworfen hat, nicht näher<br />

begründet wurde, liegt in der Natur des Verfahrens nach § 349 Abs. 2 und 3 StPO und gibt daher keinen Hinweis auf<br />

die Nichtbeachtung des Sachvortrags des Revisionsführers (BVerfG, Beschl. vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07).<br />

Eine Begründungspflicht für letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare Entscheidungen<br />

besteht nicht (vgl. BVerfG, Beschl. vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07 - m.w.N.), auch nicht deswegen, weil der<br />

Be-schwerdeführer auf den Antrag des Generalbundesanwalts erwidert hatte (BGH, Beschl. vom 22. August 2007 - 1<br />

StR 233/07).<br />

StPO § 357 Keine Erstreckung auf Nichtrevidenten bei Vollstreckungsmodell<br />

BGH, Beschl. v. 21.10.2008 – 4 StR 364/08 - NJW <strong>2009</strong>, 307; NStZ <strong>2009</strong>, 108<br />

LS: § 357 StPO findet im Zusammenhang mit der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen<br />

nach dem sog. Vollstreckungsmodell keine Anwendung.<br />

I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. März 2008<br />

1. im Schuldspruch zur Klarstellung dahin geändert, dass der Angeklagte Y. der besonders schwe-ren sexuellen<br />

Nötigung und der Freiheitsberaubung schuldig ist;<br />

2. aufgehoben,<br />

a) soweit bezüglich der Angeklagten Y. und E. eine Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1<br />

MRK nicht vorgenommen worden ist und<br />

396


) soweit bezüglich des Angeklagten Y. eine Entscheidung gemäß § 67 Abs. 2 StGB über die Vollstreckungsreihenfolge<br />

unterblieben ist.<br />

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.<br />

III. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten Y. wegen "sexueller Nötigung, tatmehrheitlich begangen mit Freiheitsberaubung",<br />

unter Einbeziehung der Stra-fen aus zwei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren<br />

verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten E. hat es wegen<br />

Freiheitsberaubung unter Einbeziehung der Strafen aus drei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es den Angeklagten E.<br />

freigesprochen.<br />

Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel haben in dem aus<br />

der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Das Landgericht hat bezüglich der vom Angeklagten Y. begangenen sexuellen Nötigung zu Recht die Qualifikation<br />

des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB als verwirklicht angesehen. Dies ist in der Urteilsformel durch Verurteilung<br />

wegen besonders schwerer sexueller Nötigung kenntlich zu machen (vgl. BGH StraFo 2005, 516 m.N.). Der Senat<br />

hat den Schuldspruch entsprechend geän-dert.<br />

2. Die Revisionen der Angeklagten Y. und E. führen zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht hinsichtlich<br />

der Beschwerdeführer davon abgesehen hat, die nach den bisherigen Feststellungen vorliegenden Verfahrensverzögerungen<br />

im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats für<br />

Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 (BGHSt 52, 124 = NStZ 2008, 234) zu kompensie-ren.<br />

a) Der zeitliche Abstand zwischen den Taten und dem Urteil des Landge-richts beträgt mehr als vier Jahre und sechs<br />

Monate. Der Angeklagte E. ist am 20. Juli 2005 verantwortlich vernommen worden, der Angeklagte Y. am 30.<br />

August 2005. Das Landgericht hat die Anklage vom 23. November 2005 mit Beschluss vom 6. April 2006 zugelassen<br />

und Termine für die Hauptverhandlung für die Zeit vom 8. November bis <strong>zum</strong> 12. November 2006 bestimmt.<br />

Am 10. November 2006 hat das Landgericht die Hauptverhandlung ausgesetzt und die psychiatrische Begutachtung<br />

des Angeklagten Y. , des früheren Mitange-klagten W. sowie des Geschädigten Q. angeordnet. Die am 12.<br />

Dezember 2007 auf den 13. Februar 2008 anberaumte Hauptverhandlung dauerte bis <strong>zum</strong> 14. März 2008. Das Landgericht<br />

hat hierzu unter anderem ausgeführt, die An-hängigkeit des Verfahrens bis <strong>zum</strong> Beginn der ersten Hauptverhandlung<br />

am 8. November 2006 sei auch unter Berücksichtigung der Überlastung der Kammer unangemessen lang<br />

gewesen. Die Dauer der Unterbrechung der Hauptver-handlung sei auch unter Berücksichtigung der Einholung der<br />

psychiatrischen Sachverständigengutachten ebenfalls zu lang gewesen, <strong>zum</strong>al jedenfalls die Begutachtung der Angeklagten<br />

auch in der Zeit zwischen dem Eingang der An-klageschrift und dem ersten Hauptverhandlungstermin hätte<br />

durchgeführt wer-den können und Gerichte zudem gehalten seien, auf eine zügige Mitwirkung von Sachverständigen<br />

hinzuwirken. Das Landgericht hat zwar bei der Bemes-sung sowohl der Einzel- als auch der Gesamtstrafen die "lange<br />

Dauer des Ver-fahrens" strafmildernd berücksichtigt. Es hat aber eine über die "im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

vorgenommene mildernde Anrechnung" hinausgehende Kom-pensation der "bisherigen Verfahrensdauer" nach den<br />

Grundsätzen des Be-schlusses des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (BGHSt aaO) für nicht<br />

geboten erachtet. Dies ist hier rechtsfehlerhaft.<br />

Nach der Aufgabe der bisher praktizierten Strafabschlagslösung zur Kompensation einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes<br />

ist nach dem nunmehr anzuwendenden Vollstreckungsmodell die Bemessung der unrechts- und<br />

schuldangemessenen Strafe von der als Entschädigung für die Verletzung des Beschleunigungsgebotes des Art. 6<br />

Abs. 1 Satz 1 MRK vorzunehmenden Kompensation zu trennen (vgl. BGHSt aaO S. 146 f.). Danach dienen die Feststellungen<br />

zu Art und Ausmaß der Verzögerung sowie zu ihren Ursachen zwar wie bisher (vgl. dazu BGH NStZ<br />

1999, 181) zunächst als Grundlage für die Straf<strong>zum</strong>essung. Insofern hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu<br />

ent-scheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen,<br />

denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den<br />

Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BGHSt 52, 124, 146). Wenn<br />

aber – wie hier – der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerungen festgestellt sind, ist neben der Berücksichtigung<br />

der vorgenannten Milderungsgründe bei der Straf<strong>zum</strong>essung und davon unabhän-gig eine Kompensation der Verletzung<br />

des Beschleunigungsgebotes des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK im Wege der Vollstreckungslösung vorzunehmen<br />

(vgl. BGHSt aaO; BGH, Urteil vom 7. August 2008 – 3 StR 201/08 Rdn. 9).<br />

397


Soweit das Landgericht hinsichtlich der Beschwerdeführer von einer Kompensation der sie betreffenden Verletzung<br />

des Beschleunigungsgebotes abgesehen und <strong>zum</strong> konkreten Ausmaß der sie betreffenden Verfahrensverzö-gerungen<br />

keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat (vgl. dazu BGHSt aaO S. 146), bedarf die Sache daher neuer Verhandlung<br />

und Entscheidung. Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es hier aber nicht, weil der neue Tatrichter<br />

zusätzliche Feststellungen zur Verfahrensverzögerung wird treffen können, ohne sich zu den bisherigen in Widerspruch<br />

zu setzen.<br />

Er wird zunächst zu prüfen haben, ob vor dem Hintergrund der vorge-nommenen Strafmilderung zur Kompensation<br />

die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss<br />

diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten (vgl. BGHSt 52, 124, 146). Reicht sie als Entschädigung<br />

nicht aus, so ist festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt<br />

(zu den Kriterien für die Bemessung vgl. BGHSt aaO S. 146).<br />

b) Für eine Erstreckung der hinsichtlich der Beschwerdeführer insoweit gebotenen Aufhebung des Urteils auf den<br />

früheren Mitangeklagten W. , der keine Revision eingelegt hat, ist kein Raum. § 357 StPO findet keine Anwendung,<br />

weil die Aufhebung nicht wegen einer Gesetzesverletzung bei der An-wendung des Strafgesetzes erfolgt. Die<br />

Aufhebung erfolgt vielmehr, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfah-rensverzögerungen<br />

nach dem so genannten Vollstreckungsmodell abgesehen hat, das sich inhaltlich an den nach<br />

der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1, Art. 13, Art. 34 MRK hierfür maßgeblichen Kriterien ausrichtet<br />

(vgl. BGHSt aaO S. 136 f.). Grundlage dieser von Fragen des Unrechts, der Schuld- und Strafhöhe abgekoppelten<br />

Kompensation (vgl. BGHSt aaO S. 129 und 138; BGH, Urteil vom 7. August 2008 – 3 StR 201/08 Rdn. 9) ist ein<br />

Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK bzw. gegen das auch verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung eines<br />

fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. Einl. Rdn. 19 m. N.),<br />

mithin die Verlet-zung einer Rechtsnorm über das Verfahren im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 23. Juni 2004 – 1 ARs 5/04; zur Abgrenzung <strong>zum</strong> materiellen Recht vgl. Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn. 8;<br />

Frisch in SK-StPO § 337 Rdn. 61, jew. m.w.N.). Die Verletzung solcher Normen ist aber keine Ge-setzesverletzung<br />

im Sinne des § 357 StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 357 Rdn. 11; Wohlers in SK-StPO § 357 Rdn. 22 m.N.).<br />

Dass die Aufhebung hier auf die Sachrüge erfolgt und nicht auf eine, so-weit es sich um Verzögerungen vor Urteilserlass<br />

handelt, grundsätzlich erfor-derliche Verfahrensrüge (vgl. BGHSt 49, 342, 343 f.; Meyer-Goßner aaO Art. 6<br />

MRK Rdn. 9 e m.N.), führt nicht zur (analogen) Anwendung der nach allgemei-ner Meinung (vgl. BGHR StPO §<br />

357 Erstreckung 9; Kuckein in KK-StPO 6. Aufl. § 357 Rdn. 23; Wohlers aaO Rdn. 52) als Ausnahmevorschrift eng<br />

aus-zulegenden Vorschrift des § 357 StPO. Zwar hat das Revisionsgericht auf Grund der Sachrüge einzugreifen,<br />

wenn sich – wie hier – bereits aus den Ur-teilsgründen ergibt, dass eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

vor-liegt, oder wenn insoweit ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel gegeben ist (vgl. BGHSt 49, 342). Der<br />

sachlich-rechtliche Mangel, der in einem solchen Fall zur Aufhebung führt, liegt nach der Aufgabe der früher praktizierten<br />

Straf-abschlagslösung, bei der die Anwendung des § 357 StPO in Betracht gezogen worden ist (vgl. BGH<br />

NStZ 1996, 328; BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 376/03, insoweit in BGHSt 49, 342 nicht abgedruckt),<br />

aber nicht (auch) in einer Gesetzesverletzung bei der Anwendung des materiellen Straf-rechts. Durch die<br />

Kompensation nach dem so genannten Vollstreckungsmodell, die allein der Wiedergutmachung des durch die Verletzung<br />

des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK entstandenen objektiven Verfahrensunrechts dient, auf die der Be-troffene<br />

gemäß Art. 13 MRK Anspruch hat, wird vielmehr eine Art Staatshaf-tungsanspruch erfüllt, wie er in gleicher Weise<br />

einer Partei eines Zivilprozesses oder einem an einem Verwaltungsrechtsstreit beteiligten Bürger erwachsen kann<br />

(vgl. BGHSt 52, 124, 137 f.).<br />

Eine analoge Anwendung des § 357 StPO kommt im Übrigen schon deshalb nicht in Betracht, weil die Frage, ob<br />

eine rechtsstaatswidrige Verfah-rensverzögerung vorliegt, nach den individuellen Umständen des Einzelfalles für<br />

jeden Angeklagten eigenständig zu beurteilen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08 Rdn.<br />

14).<br />

3. Die Revision des Angeklagten Y. beanstandet ferner zu Recht, dass das Landgericht es unterlassen hat, gemäß<br />

§ 67 StGB die Vollstreckungs-reihenfolge festzulegen. Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB n.F. soll das Gericht mit der<br />

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeit-lichen Freiheitsstrafe von über drei Jahren<br />

bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Die Sache bedarf daher auch insoweit<br />

neuer Verhandlung und Entscheidung. Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es insoweit nicht. Der neue Tatrichter<br />

wird gegebenenfalls hinsichtlich der Dauer des Vorwegvollzugs ergänzende Feststellungen für die zu treffende<br />

Prognose zu treffen haben, mit welcher konkreten Verweildauer des Angeklagten im Maß-regelvollzug zu rechnen<br />

ist.<br />

398


StPO § 395 II Nr. 1 Leiche als Nebenkläger?<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – 4 StR 301/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 174<br />

Dem Strafverfahren als Nebenkläger anschließen kann sich nur eine existente Person. Denn mit<br />

dem Tod eines Menschen endet seine Fähigkeit, selbst oder über einen Vertreter Prozesshandlungen<br />

vorzunehmen. Bestehen an der Existenz des Anschlusserklärenden Zweifel, so gilt nicht der Zweifelsgrundsatz,<br />

vielmehr hat sich das Gericht - grundsätzlich im Wege des Freibeweises - positiv von<br />

dessen Existenz zu überzeugen. Anderenfalls liegt eine wirksame Anschlusserklärung nicht vor.<br />

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2008 be-schlossen:<br />

Die von Rechtsanwalt C. gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 7. September 2007 eingelegte<br />

Revision wird als unzulässig verworfen.<br />

Gründe:<br />

I. Den Angeklagten liegt zur Last, am 30. September 2001 in der „T. “ das damals 5-jährige Kind Pascal Z.<br />

sexuell missbraucht und ge-tötet bzw. hierzu Hilfe geleistet zu haben. Darüber hinaus wird den Angeklagten W. ,<br />

M. , R. , C. , S. , We. und D. vorgeworfen, bereits vor dem Vorfall in der „T. “ die<br />

Kinder Pascal Z. und Bernhard M. bei verschiedenen Gelegenheiten sexuell missbraucht zu ha-ben. Insoweit<br />

sind zunächst getrennte Verfahren geführt worden.<br />

In dem Verfahren wegen Mordes <strong>zum</strong> Nachteil des Pascal Z. hat-ten dessen Eltern, Sonja Z. und Heinz C.<br />

, jeweils vertreten durch Rechtsanwalt C. , ihren Anschluss als Nebenkläger erklärt. Mit Be-schluss vom 6.<br />

August 2004 (Az. 1 - 12/04 SchwG) erklärte das Landgericht den Anschluss gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO für<br />

berechtigt und ordnete den Nebenklägern – unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe – Rechtsanwalt C. bei.<br />

In den Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs des Pascal Z. stellte das Landgericht, ebenfalls mit Beschluss<br />

vom 6. August 2004 (Az. 1 - 24/04 SchwG), fest, dass dieser gesetzlich vertreten durch seine Mutter Sonja Z.<br />

und vertreten durch Rechtsanwalt C. sich als Verletzter berechtigt als Nebenkläger angeschlossen habe.<br />

Gleichzeitig wurde Pascal Z. Rechtsanwalt C. als Beistand beigeordnet. Im Verlauf der Hauptverhandlung<br />

verstarben die Eltern des Pascal Z. . Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2005 teilte Rechtsanwalt C. daraufhin<br />

dem Landgericht mit, dass die „Mandate“ betreffend Sonja Z. und Heinz C. damit „beendet“ seien. Er<br />

nahm jedoch im Weiteren an der Hauptverhandlung als „Vertreter des ver-schwundenen Pascal Z. “ teil.<br />

Die Angeklagten sind durch Urteil des Landgerichts vom 7. September 2007 vom Vorwurf sowohl des Mordes als<br />

auch des sexuellen Missbrauchs <strong>zum</strong> Nachteil des Pascal Z. freigesprochen worden. Zwar ist das Landgericht zu<br />

der Überzeugung gelangt, dass der seit dem Nachmittag des 30. September 2001 verschwundene Pascal Z.<br />

nach „menschlichem Ermessen tot und keines natürlichen Todes gestorben (ist)“. Es hat sich jedoch nicht von der<br />

Tä-terschaft der Angeklagten hinsichtlich seiner Tötung oder einer der angeklagten Fälle des sexuellen Missbrauchs<br />

zu seinem Nachteil überzeugen können. Ge-gen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt C.<br />

als Nebenklägervertreter Revision eingelegt. Beide Rechtsmittel sind fristgerecht begründet worden. Eine ausdrückliche<br />

Bezeichnung des Revisionsführers, d.h. des Nebenklägers, für die das Rechtsmittel eingelegt worden ist, ist<br />

durch Rechtsanwalt C. nicht erfolgt.<br />

II.<br />

1. Das von Rechtsanwalt C. als Nebenklägervertreter eingelegte Rechtsmittel ist unzulässig.<br />

Im Revisionsverfahren hat das Revisionsgericht nach Einlegung der Re-vision durch den Nebenkläger über dessen<br />

Anschlussberechtigung zu ent-scheiden (BGHSt 41, 288, 289). Denn diese ist Verfahrensvoraussetzung für das<br />

Rechtsmittelverfahren, die nur das dafür zuständige Gericht prüfen kann. An vorausgehende Entscheidungen über<br />

die Anschlussbefugnis ist das Revisi-onsgericht dabei nicht gebunden (BGH aaO). Die danach gebotene Überprüfung<br />

führt zur Unzulässigkeit der Revision.<br />

a) Soweit das Rechtsmittel – worauf dessen Begründung hinweisen könnte – (auch) für die Eltern des Pascal Z.<br />

eingelegt worden sein sollte, ist es schon deshalb unzulässig, weil deren Anschlusserklärungen durch den Tod der<br />

Nebenkläger ihre Wirkung verloren haben (§ 402 StPO). Eine Fortführung der Nebenklage durch Angehörige der<br />

Nebenkläger kommt nicht in Betracht (vgl. KK-Senge 6. Aufl. § 402 Rn. 4; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 402<br />

Rn. 4) und ist zudem auch nicht erfolgt.<br />

b) Aber auch soweit die Revisionseinlegung für Pascal Z. erfolgt ist, erweist sich das Rechtsmittel als nicht zulässig.<br />

399


(aa) Dem Strafverfahren als Nebenkläger anschließen kann sich nur eine existente Person. Denn mit dem Tod eines<br />

Menschen endet seine Fähigkeit, selbst oder über einen Vertreter Prozesshandlungen vorzunehmen. Bestehen an der<br />

Existenz des Anschlusserklärenden Zweifel, so gilt nicht der Zweifels-grundsatz, vielmehr hat sich das Gericht –<br />

grundsätzlich im Wege des Freibe-weises – positiv von dessen Existenz zu überzeugen (vgl. auch BGH NStZ 1984,<br />

329 zu dem ähnlich gelagerten Fall der Verhandlungsfähigkeit). Anderen-falls liegt eine wirksame Anschlusserklärung<br />

nicht vor. Dies hat das Landgericht ersichtlich verkannt. Es hat nämlich durch die Zulassung der Anklage wegen<br />

Mordes <strong>zum</strong> Nachteil des Pascal Z. die Angeklagten nicht nur als der Tötung des Pascal Z. hinreichend<br />

verdächtig angesehen, sondern darüber hinaus durch vorausgehende und nachfolgende Haftentscheidungen insoweit<br />

auch den dringenden Tatverdacht bejaht, d.h. die Wahrscheinlichkeit als groß bewertet, dass die Angeklagten Pascal<br />

Z. am 30. September 2001 unter Verwirkli-chung von Mordmerkmalen getötet haben. Danach hätte eine Zulassung<br />

des Pascal Z. als Nebenkläger bereits durch das Landgericht nicht erfolgen dür-fen.<br />

(bb) Jedenfalls mit Erlass des Urteils vom 7. September 2007, in wel-chem das Landgericht im Wege des Strengbeweises<br />

zur Überzeugung gelangt ist, dass der am 30. September 2001 verschwundene Pascal Z. „nach menschlichem<br />

Ermessen“ tot ist, ist für das Revisionsverfahren davon auszu-gehen, dass Pascal Z. bereits <strong>zum</strong> Zeitpunkt<br />

der Erklärung des Anschlus-ses als Nebenkläger verstorben war. Dies wird letztlich auch nicht von der Re-vision in<br />

Zweifel gezogen, die – in unzulässiger Weise – mit ihrem Rechtsmittel in erster Linie die Beweiswürdigung des<br />

Landgerichts in Bezug auf den Frei-spruch der Angeklagten von dem Tötungsdelikt angreift. Da damit Pascal Z.<br />

zu keinem Zeitpunkt die Stellung eines Nebenklägers erlangt hat, erweist sich die für ihn eingelegte Revision schon<br />

aus diesem Grund als unzulässig.<br />

2. Eine Kostenentscheidung ist hier nicht veranlasst. Gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO treffen die Kosten eines erfolglosen<br />

Rechtsmittels den, der es eingelegt hat. Weder die früheren Nebenkläger Sonja Z. und Heinz C.<br />

noch Pascal Z. haben das Rechtsmittel eingelegt. Für sie konnte auch nicht Rechtsanwalt C. Rechtsmittel<br />

einlegen, da sie – wovon auch bezüglich Pascal Z. auszugehen ist - vor Rechtsmitteleinlegung verstor-ben sind.<br />

Der Senat sieht schließlich davon ab, die Kosten des Rechtmittels Rechtsanwalt C. aufzuerlegen. Zwar können<br />

nach wohl herrschender Auffassung (vgl. hierzu KK-Gieg aaO § 473 Rn. 2; Meyer-Goßner aaO § 473 Rn. 8 jeweils<br />

m.w.N.) dem vollmachtslosen Vertreter, der ein Rechtsmittel ein-legt, die hierdurch entstandenen Kosten auferlegt<br />

werden. Anders als der ohne Vollmacht handelnde Vertreter durfte Rechtsanwalts C. jedoch auf Grund der<br />

Zulassung des Pascal Z. als Nebenkläger, seiner Bestellung als des-sen Beistand und infolge der ihm in dieser<br />

Eigenschaft gestatteten Teilnahme an der Hauptverhandlung darauf vertrauen, jedenfalls für Pascal Z. zur Einlegung<br />

des Rechtsmittels befugt zu sein.<br />

StPO § 406g Abs. 3 Satz 1, § 472 I, 1, § 473 I 2 Auslagenerstattung für Nebenkläger Revisionsinstanz<br />

BGH, Beschl. v. 8.10.2008 - 1 StR 497/08 - NJW <strong>2009</strong>, 308; NStZ <strong>2009</strong>, 287; BGHR StPO § 473 I 2 Auslagenerstattung<br />

1<br />

LS: Zur Erstattung der dem <strong>zum</strong> Anschluss als Nebenkläger Berechtigten für die Heranziehung<br />

eines Verletztenbeistandes im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 24. April 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtferti-gung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklageberechtigten im Revisionsverfahren<br />

für den Ver-letztenbeistand entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. August 2008 bemerkt der Senat:<br />

Bestellt ein Gericht - wie vorliegend - dem <strong>zum</strong> Anschluss als Nebenkläger Berechtigten einen Rechtsanwalt als<br />

Beistand gemäß § 406g Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 397a Abs. 1 StPO, so gilt dies für das gesamte weitere Verfahren.<br />

Demnach hat der Angeklagte als Verurteilter auch die notwendigen Auslagen der <strong>zum</strong> An-schluss als Nebenkläger<br />

Berechtigten zu tragen, die für die Heranziehung des Verletztenbeistands im Revisionsverfahren entstanden<br />

sind, § 472 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO.<br />

400


StPO § 456a, GVG § 132 II Anfrage wegen Härteausgleich für ausl. Urteile bei Gesamtstrafe<br />

BGH, Beschl. v. 29.10.2008 – 2 StR 386/08<br />

Anfragebeschluss zur Frage, ob ein Härteausgleich in den Fällen nicht zu gewähren ist, in denen<br />

eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit Strafen aus ausländischen Verurteilungen nicht vorgenommen<br />

werden kann.<br />

I. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass ein Härte-ausgleich in den Fällen nicht zu gewähren ist, in denen eine<br />

nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit Strafen aus ausländischen Verurteilungen nicht vorgenommen wer-den<br />

kann. Der Senat fragt bei den übrigen Strafsenaten an, ob an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten wird.<br />

II. Die Verhandlung wird ausgesetzt.<br />

Gründe:<br />

I.<br />

Der Revisionssache liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tat-einheit mit gefährlicher Körperverletzung zu<br />

einer Freiheitsstrafe von drei Jah-ren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten<br />

des Angeklagten Revision eingelegt. Nach dem Rügevorbringen ist das Rechtsmittel auf den Strafausspruch<br />

beschränkt.<br />

1. Der Angeklagte hat im Jahre 2003 zusammen mit Mittätern drei Raub-überfälle auf Juweliergeschäfte in Frankreich,<br />

Belgien und Deutschland began-gen. Wegen eines Überfalls am 13. März 2003 in Paris wurde er am 20. Mai<br />

2004 in Frankreich in Untersuchungshaft genommen und am 23. Juni 2006 von dem Schwurgericht Paris u. a. wegen<br />

bandenmäßig organisierten schweren Raubes zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt. Seitdem befand er sich<br />

bis zur Auslieferung in dieser Sache nach Deutschland am 10. April 2008 dort in Strafhaft. Während sich der Angeklagte<br />

in Frankreich noch in Untersuchungs-haft befand, wurde er in Abwesenheit vom Gericht I. Instanz im Arrondissement<br />

K. in der Provinz West-Flandern (Belgien) am 4. Oktober 2005 wegen eines bewaffneten Überfalls am<br />

10. April 2003, bei dem Uhren im Wert von nahezu einer Million Euro erbeutet worden waren, zu einer Gefängnisstrafe<br />

von acht Jahren verurteilt. Die Auslieferung des Angeklagten nach Belgien zur Vollstre-ckung dieser Strafe ist<br />

von französischen Behörden bereits bewilligt, aber we-gen der Strafvollstreckung in Frankreich aufgeschoben worden.<br />

Nach rechts-kräftigem Abschluss des Strafverfahrens in Deutschland ist der Angeklagte wieder nach Frankreich<br />

zu überstellen.<br />

Dem angefochtenen Urteil im vorliegenden Verfahren liegt ein Überfall auf ein Juweliergeschäft in Frankfurt am<br />

Main am 29. März 2003 zu Grunde. Der Angeklagte bedrohte Kunden und Mitarbeiter mit einer geladenen Schreckschusspistole;<br />

ein Mittäter drückte unterdessen einer Verkäuferin den metalle-nen Teil eines Schraubendrehers fest<br />

an den Hals und zwang sie, die Tür <strong>zum</strong> Schaufensterraum zu öffnen. Aus dem Schaufenster entwendeten die Täter<br />

160 Armbanduhren <strong>zum</strong> Einkaufswert von gut einer Million Euro. Die Verkäuferin erlitt einen etwa acht Zentimeter<br />

langen Kratzer am Hals. Unmittelbar nach dem Überfall fuhr der Angeklagte zurück nach Frankreich.<br />

2. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB entnommen. Es hat einen minder<br />

schweren Fall nach § 250 Abs. 3 StGB zunächst ausdrücklich verneint und an sich eine Freiheitsstrafe von acht Jahren<br />

für tat- und schuldangemessen gehalten, wegen der in Frankreich und in Belgien verhängten Strafen jedoch einen<br />

Härteausgleich vorgenommen, deshalb die Strafrahmenuntergrenze des § 250 Abs. 2 StGB unterschritten und auf<br />

eine Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten erkannt. Hilfsweise hat es ausgeführt, dass die Kammer auch zu<br />

diesem Strafmaß gekommen wäre, wenn sie die Unterschreitung des Mindeststrafrahmens des § 250 Abs. 2 StGB<br />

nicht vorgenommen hätte. In diesem Fall hätte sie die zu erwartende lange Haftzeit des Angeklagten aus den ausländischen<br />

Urteilen in die Gesamtbe-trachtung bei der Prüfung eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB<br />

eingestellt und diesen dann bejaht.<br />

Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge sowohl den Härte-ausgleich als auch die Straf<strong>zum</strong>essungsgründe<br />

als solche; sie hält die ausgeur-teilte Strafe für nicht mehr schuldangemessen.<br />

II.<br />

Für die Entscheidung über die Revision ist die Frage maßgeblich, ob das Landgericht zu Recht einen Härteausgleich<br />

wegen der aus Rechtsgründen nicht möglichen Bildung einer Gesamtstrafe mit den Strafen aus den ausländischen<br />

Urteilen gewährt hat.<br />

401


Der Senat beabsichtigt, auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im Strafausspruch aufzuheben.<br />

Er hält die Gewährung ei-nes Härteausgleichs in Fällen der vorliegenden Art für rechtlich nicht zulässig.<br />

Dies würde zur Aufhebung des Strafausspruchs führen. Die Hilfserwägungen der Strafkammer, wonach sie, wenn sie<br />

die Unterschreitung des Mindeststraf-rahmens des § 250 Abs. 2 StGB nicht vorgenommen hätte, auch zu diesem<br />

Strafmaß gelangt wäre, weil sie dann unter Berücksichtigung der zu erwarten-den langen Haftzeiten aus den ausländischen<br />

Urteilen das Vorliegen eines min-der schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB bejaht hätte, vermögen den<br />

Straf-ausspruch nicht zu tragen. Der Senat hält diese Argumentation für unbeacht-lich. Nach der ständigen Rechtsprechung<br />

des Reichsgerichts und des Bundes-gerichtshofs sind Hilfserwägungen zur Straf<strong>zum</strong>essung unzulässig<br />

(RGSt 70, 400, 403; 71, 101, 104; BGHSt 7, 359; BGH NStZ 1998, 305; BGH, Urteile vom 10. April 1953 - 1 StR<br />

133/53, vom 11. Januar 1955 - 1 StR 302/54 und vom 8. Februar 1955 - 2 StR 301/54). Die Strafe muss dem Gesamtverhalten<br />

des An-geklagten entsprechen, wie es tatsächlich festgestellt und rechtlich zu beurtei-len ist. Es wird<br />

regelmäßig nicht hinreichend sicher erkennbar sein, ob die Stra-fe für eine nicht festgestellte Tat oder für den Fall<br />

angemessen ist, dass sie rechtlich anders als geschehen zu beurteilen wäre. Zwar hat das Landgericht hier seine<br />

Hilfserwägung nicht darauf gestützt, wie es die Strafe bemessen hät-te, wenn es andere tatsächliche Feststellungen<br />

getroffen oder die Tat als solche anders rechtlich gewürdigt hätte. Der Senat hält Hilfserwägungen aber auch dann<br />

für unzulässig, wenn sie der Tatrichter nur für den Fall anstellt, dass er einen anderen Strafrahmen für dieselbe Tat zu<br />

Grunde gelegt hätte oder dass von ihm eigentlich als wesentlich angesehene Straf<strong>zum</strong>essungsgründe aus Rechtsgründen<br />

nicht hätten berücksichtigt werden dürfen.<br />

III.<br />

In Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Gesamtstrafe mit Strafen aus ausländischen Urteilen nicht gebildet<br />

werden kann und in denen eine ge-meinsame Aburteilung aller Taten in Deutschland allenfalls theoretisch nach § 7<br />

Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre, ist ein Härteausgleich oder die An-wendung des Rechtsgedankens des<br />

Härteausgleichs nach Auffassung des Se-nats weder rechtlich erforderlich noch aus allgemeinen Erwägungen angezeigt.<br />

1. Grundgedanke des § 55 StGB ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt<br />

worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis<br />

weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt<br />

worden wären (BGHSt 7, 180, 181; 15, 66, 69; 17, 173, 174 f.; 32, 190, 193). Scheitert eine nach § 55 StGB an<br />

sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkann-te Strafe bereits vollstreckt, verjährt<br />

oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der<br />

Bemes-sung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132). Die Tatsache,<br />

dass § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB in diesen Fäl-len eine Gesamtstrafenbildung ausdrücklich ausschließt, ändert nichts an<br />

der dem Prinzip der nachträglichen Gesamtstrafenbildung zu Grunde liegenden Forderung nach einem Ausgleich der<br />

sich durch getrennte Aburteilung erge-benden Nachteile. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die Zäsurwirkung einer<br />

früheren Strafe die Bildung einer Gesamtstrafe verhindert (BGHSt 32, 190, 193; 41, 310, 312). Fehlt es dagegen an<br />

einem ausgleichsbedürftigen Nachteil, etwa wenn die Vollstreckung der früheren Strafe zur Bewährung ausgesetzt<br />

war und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wurde, kommt ein Härteausgleich nicht in Betracht (BGH NStZ-<br />

RR 1996, 291; NStZ-RR 2004, 330; StV 2007, 82).<br />

2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben sich verschie-dene Fallgruppen herausgebildet, in denen<br />

außer in den vorgenannten Fällen ebenfalls ein Härteausgleich für eine nicht mögliche Gesamtstrafenbildung zu<br />

gewähren ist.<br />

a) Die Bildung einer Gesamtstrafe aus einer Jugendstrafe und einer Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts ist<br />

unzulässig (BGHSt 14, 287, 288; 36, 270, 272); die Verhängung einer Einheitsstrafe für Straftaten, auf die teils Jugendstrafrecht,<br />

teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, kommt nach § 32 JGG nur bei gleichzeitiger Aburteilung<br />

in einer Verhandlung in Betracht. Die durch die getrennte Aburteilung begründete Härte hat der Tatrichter jedoch<br />

nach ständiger Rechtsprechung (beispielsweise BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 6) bei der<br />

Straf<strong>zum</strong>essung für die Erwachsenenstraftat zu berücksichtigen.<br />

b) Eine Gesamtstrafenbildung ist trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 55 StGB nach der Rechtsprechung des<br />

Bundesgerichtshofs ausge-schlossen, wenn das frühere Urteil keine Einzelstrafen enthält (BGHSt 43, 34; 41, 374).<br />

Allerdings darf der Angeklagte nach gefestigter Rechtsprechung auch in diesem Fall durch die getrennte Aburteilung<br />

keine Nachteile erleiden, so dass gegebenenfalls ein Härteausgleich vorzunehmen ist.<br />

c) Ein Härteausgleich hat auch zu erfolgen, wenn keine Gesamtstrafe gebildet werden kann, weil in einer Auslieferungsbewilligung<br />

die Zustimmung hierzu verweigert wurde (BGH, Beschluss vom 22. April 2004 - 3 StR 115/04). In<br />

einem anderen Fall hat es der Bundesgerichtshof gebilligt, dass das Landge-richt wegen eines Vollstreckungshinder-<br />

402


nisses nach § 456 a StPO für die frühere Strafe, weil die Auslieferung nur für das neue Verfahren erfolgt ist, von<br />

einem Härteausgleich abgesehen hat (vgl. BGH NStZ 2000, 263); desgleichen bei le-benslanger Freiheitsstrafe und<br />

einem Vollstreckungshindernis nach Art. 54 SDÜ (BGH NStZ 1999, 579, 581).<br />

d) Ein Härteausgleich hat schließlich auch zu erfolgen, wenn durch die Notwendigkeit von mehreren Gesamtstrafen<br />

auf Grund der Zufälligkeit der Zä-surwirkung insgesamt ein zu hohes Strafübel entsteht (BGHSt 41, 310; 44, 179,<br />

185 f.). Führt die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Verurteilung zur Bildung mehrerer Gesamtstrafen, so muss<br />

das Gericht einen sich daraus möglicherwei-se für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen<br />

Gesamt-strafübels ausgleichen.<br />

e) Ein im Wege des Härteausgleichs zu berücksichtigender Nachteil liegt jedoch nicht stets vor. Eine besonders<br />

nachteilige Auswirkung der Zäsur tritt vor allem dann ein, wenn die die Zäsur begründende Strafe nur ganz geringfügig<br />

ist. Dass eine einbezogene Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war, die durch die Einbeziehung entfiel,<br />

kann hingegen außer Acht bleiben, da es an-dernfalls auf Grund der neuen Straftat zu einem Bewährungswiderruf<br />

gekom-men wäre. Etwas anderes gilt hingegen, wenn die zur Bewährung ausgesetzte Strafe erlassfähig war; in diesen<br />

Fällen ist wiederum ein Härteausgleich zu ge-währen (BGH NStZ 1993, 235; Beschluss vom 10. Januar 2001 - 3<br />

StR 516/00). Allein der Umstand, dass die Zäsurwirkung eine dem Angeklagten noch günstigere Gesamtstrafenbildung<br />

verhindert hat, begründet keinen auszu-gleichenden Nachteil. Dieser wäre erst dann gegeben, wenn die Summe<br />

der tatsächlich verhängten Strafen für die begangenen Taten nicht mehr als schuldangemessen angesehen werden<br />

könnte. Dabei ist auch zu bedenken, dass der Angeklagte die zweite Tat trotz der die Zäsur bewirkenden Verurteilung<br />

begangen hat (vgl. BGH NStZ 2002, 196).<br />

Aber selbst wenn die neuen Taten grundsätzlich nicht gesamtstrafenfä-hig sind, hat der Tatrichter noch nicht (vollständig)<br />

verbüßte oder zur Bewäh-rung ausgesetzte Freiheitsstrafen bei der Straf<strong>zum</strong>essung zu berücksichtigen.<br />

Auch in solchen Fällen entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichts-hofes, dass - schon mit Rücksicht auf<br />

die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Täters zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB) - das Gesamtstrafübel<br />

und der zu erwartende Bewährungswiderruf bei Festsetzung der neu-en Strafe im Auge behalten werden<br />

müssen. Auch in diesen Fällen ist daher gegebenenfalls die - ohne die frühere Verurteilung an sich schuldangemessene<br />

- neue Strafe entsprechend herabzusetzen, um ein übermäßiges Gesamt-strafübel zu vermeiden (BGHSt 41, 310,<br />

313 f.).<br />

3. Schließlich scheidet die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit im Ausland verhängten Strafen aus. Eine<br />

Zusammenfassung von Strafen, die ver-schiedenen Strafsystemen angehören, ist unmöglich; es ist nicht nachprüfbar,<br />

in welchem Verhältnis die nach ausländischem Strafrecht angewandte Strafart zu der auf Grund des deutschen Strafgesetzbuchs<br />

anzuwendenden steht. Dies gilt sowohl für Art und Höhe der im Ausland verhängten Strafe als auch für<br />

das im Ausland bestehende System der Vollstreckung. Dabei würde die Anwendung des Gedankens des § 55 StGB<br />

dazu nötigen, nicht vereinbare Straf- und Voll-streckungssysteme zu vergleichen, deren Anwendung im Einzelfall<br />

ungewiss ist. Auch ist eine in Deutschland verhängte Gesamtstrafe von der deutschen Strafvollstreckungsbehörde zu<br />

vollstrecken. Würde darin eine durch ein auslän-disches Gericht verhängte Einzelstrafe einbezogen, entfiele dadurch<br />

nach deut-schem Recht die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils, dessen Strafe in die Gesamtstrafe einbezogen<br />

wurde. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in das Justizhoheitsrecht des anderen Staates (vgl. schon RGSt 75,<br />

256; BGH LM Nr. 1 zu § 335 StGB; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1979 - 5 StR 571/79; OLG Bremen NJW 1950,<br />

918; OLG Hamm JMBl. NW 1950, 144; OLG Düsseldorf GA 1991, 271 f.).<br />

Der Bundesgerichtshof hat es allerdings für notwendig erachtet, auch auf diese Fälle den Rechtsgedanken des Härteausgleichs<br />

zu übertragen, wenn die im Ausland und die im Inland begangene Straftat vom zeitlichen Ablauf her miteinander<br />

hätten abgeurteilt werden können (BGHSt 43, 79, 80; BGH NStZ-RR 1998, 204; 2000, 105; NStZ 1998,<br />

134; NJW 2000, 1964, 1965; BGH NStZ 2008, 709, 710; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats<br />

vom 25. Januar 2008 - 2 BvR 1532/08 - Tz. 5).<br />

4. Der Senat ist der Auffassung, dass ein Härteausgleich für im Ausland verhängte Strafen nicht in Betracht kommt,<br />

wenn wegen der dort abgeurteilten Taten in Deutschland ein Strafverfahren nicht hätte durchgeführt werden kön-nen,<br />

d. h. nicht der „Zufall“ der Handhabung durch die beteiligten Behörden eine Aburteilung der im Ausland begangenen<br />

Tat im Inland verhindert hat. Ist eine Aburteilung im Ausland begangener Taten in Deutschland mangels<br />

entspre-chender rechtlicher und tatsächlicher Voraussetzungen grundsätzlich nicht möglich, sondern bietet das Strafanwendungsrecht<br />

der §§ 3 ff. StGB hierfür al-lenfalls unter dem Aspekt der stellvertretenden Strafrechtspflege (§ 7<br />

Abs. 2 Nr. 2 StGB) einen Ansatz, erscheint die Gewährung eines Härteausgleichs nicht angezeigt. Ein Härteausgleich<br />

dient <strong>zum</strong> Ausgleich der Nachteile, die dem Täter dadurch entstehen, dass keine nachträgliche Gesamtstrafenbildung<br />

gemäß § 55 StGB erfolgen kann. In den Fällen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist eine Ge-samtstrafenbildung<br />

nach deutschem Recht aber von vornherein so fern liegend, dass ein Ausgleich für ihr Unterbleiben eine zusätzliche<br />

403


Bevorzugung des Tä-ters wäre. Es ist nicht notwendig, international agierende Mehrfachtäter bei der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

auf Grund rein hypothetischer Erwägungen zu begünstigen. Die Anwendung des Rechtsgedankens des Härteausgleichs<br />

könnte im Einzelfall dazu führen, dass hohe im Ausland verhängte Freiheitsstrafen nur noch im Er-gebnis<br />

schuldunangemessene Strafen in Deutschland zuließen, die sogar mit der gesetzlichen Strafuntergrenze in Konflikt<br />

gerieten.<br />

In diesen Fällen, in denen ein ausländischer Täter im Ausland Straftaten begangen hat, die weder inländische noch<br />

international geschützte Rechtsgüter betreffen, besteht kein Anlass, ihn so zu stellen, als wären diese Taten gemeinsam<br />

mit im Inland begangenen hier abgeurteilt worden. Dass es zu Aburteilun-gen in verschiedenen Staaten kommt,<br />

ist bei einer solchen Fallgestaltung vom Täter durch die Wahl der Tatorte selbst herbeigeführt worden. Die kriminelle<br />

Energie eines solchen Vorgehens kann im Übrigen gegen den Täter sprechen und bei der Straf<strong>zum</strong>essung erschwerend<br />

berücksichtigt werden.<br />

So liegt der Fall hier. Der Angeklagte hat bewusst in Frankreich, Belgien und Deutschland Überfälle auf Juwelierläden<br />

begangen; in Deutschland hielt er sich nur wenige Tage zu diesem Zweck auf. Unter diesen Umständen kann er<br />

ebenso wenig wie ein Angeklagter, der trotz der Zäsurwirkung eines früheren Urteils weitere Taten begeht, auf Ausgleich<br />

der durch die Unmöglichkeit der Bildung einer Gesamtstrafe bewirkten Härte vertrauen (vgl. BGH NStZ<br />

2002, 196). Einen wie den Angeklagten international bandenmäßig agierenden Täter durch einen Härteausgleich zu<br />

begünstigen, ist auch kriminalpolitisch nicht an-gezeigt. Durch die hohen in Belgien und Frankreich verhängten<br />

Freiheitsstra-fen, die in ihrer Summe die nach § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB höchstmögliche Ge-samtfreiheitsstrafe übersteigen,<br />

müsste ein sehr deutlicher Härteausgleich vor-genommen werden, um dem Gedanken des Gesamtstrafübels<br />

nach deutschem Recht Rechnung zu tragen. Dadurch würde in entsprechenden Täterkreisen nur die Hemmschwelle<br />

zur Begehung von Taten in Deutschland gesenkt, weil hier keine hohen Strafen zu erwarten wären.<br />

Dass der Angeklagte in Frankreich und Belgien zu hohen Haftstrafen verurteilt worden ist, kann bei der Straf<strong>zum</strong>essung<br />

im Rahmen des § 46 StGB berücksichtigt werden. Dabei sind in jedem Fall die gesetzlichen Strafrahmen zu<br />

beachten.<br />

5. Die Auffassung des Senats weicht möglicherweise von der Rechtspre-chung anderer Senate ab. Die Fälle in<br />

BGHSt 43, 79 (Urteil vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97) und BGH, NStZ-RR 2000, 105 (Beschluss vom 15. Dezember<br />

1999 - 5 StR 608/99) liegen zwar anders, weil hier Betäubungsmitteldelikte ab-geurteilt worden sind (Gerichtsstand<br />

nach § 6 Nr. 5 StGB). In dem Verfahren 1 StR 130/97 (Beschluss vom 13. Mai 1997) dürfte der Täter<br />

<strong>Deutsche</strong>r gewesen sein (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). In den Entscheidungen BGH NStZ 1998, 134 (Be-schluss vom 2.<br />

September 1997 - 1 StR 317/97) und NStZ 2008, 709 (Urteil vom 26. September 2007 - 1 StR 276/07) ist die Frage<br />

des Härteausgleichs nicht tragend entschieden worden, da jeweils die Nichterörterung durch den Tatrichter vom<br />

Revisionsgericht gebilligt worden ist. Der Senat fragt dennoch vorsorglich an, ob an möglicherweise entgegenstehender<br />

Rechtsprechung fest-gehalten wird.<br />

StPO § 462 a Abs. 1 und 2 Vollstreckungskammer Zuständigkeit<br />

BGH, Beschl. v. 06.05.<strong>2009</strong> – 2 ARs 98/09, 2 AR 70/09<br />

LS:<br />

1. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet, wenn eine Geldstrafe, die im Wege der<br />

Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird, vom erkennenden Gericht in eine zur Bewährung ausgesetzte<br />

Gesamtfrei-heitsstrafe einbezogen und der Verurteilte mit Urteilsverkündung aus der Strafhaft<br />

entlassen wird.<br />

2. Zuständig für die nach §§ 453, 454, 454 a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen ist dann<br />

das Gericht des ersten Rechtszuges.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts am 6. Mai <strong>2009</strong> beschlossen:<br />

Zuständig für die Bewährungsüberwachung aus dem Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 11. November 2008<br />

(Az. 36 Ds 63 Js 5175/07 (173/07) ist das<br />

Amtsgericht Bremen.<br />

Gründe:<br />

404


Das Amtsgericht Göttingen hat am 11. November 2008 die Angeklagte G. wegen mehrerer Taten unter Einbeziehung<br />

der Einzelstrafen aus drei Vor-verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung<br />

zur Bewährung ausgesetzt wurde. Bis <strong>zum</strong> Tag des Urteils be-fand sich die Verurteilte G. zur Vollstreckung<br />

einer Ersatzfreiheitsstrafe für eine der einbezogenen Geldstrafen in der Justizvollzugsanstalt Hannover. Das<br />

Urteil wurde am 19. November 2008 rechtskräftig.<br />

Mit Beschluss vom 3. Dezember 2008 hat das Amtsgericht Göttingen die weiteren im Rahmen der Bewährungsüberwachung<br />

zu treffenden Entscheidun-gen gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 2 StPO an das für den Wohnort der Verurteilten<br />

zuständige Amtsgericht Bremen abgegeben. Das Amtsgericht Bremen hat die Akte gemäß § 462 a Abs. 4 in<br />

Verbindung mit Abs. 1 StPO dem Landgericht Hannover (Strafvollstreckungskammer) übersandt, da die Verurteilte<br />

<strong>zum</strong> Zeit-punkt der Hauptverhandlung Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Hannover verbüßt habe. Das<br />

Landgericht Hannover hält die Abgabe durch das Amtsgericht Göttingen an das Amtsgericht Bremen für bindend, da<br />

die Verurteil-te bereits am 11. November 2008 aus der Strafhaft entlassen wurde.<br />

Das Amtsgericht Bremen hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Ent-scheidung vorgelegt.<br />

Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht nach § 14 StPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreites<br />

berufen, weil die Gerichte im Zuständigkeitsbereich verschiedener Oberlandesgerichte liegen.<br />

Der Senat teilt die Auffassung des Generalbundesanwalts, dass gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 2 StPO zuständig für die<br />

Bewährungsüberwachung aus dem Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 11. November 2008 das Amtsge-richt<br />

Bremen ist.<br />

Eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover ergibt sich - entgegen der Auffassung<br />

des Amtsgerichts Bremen - nicht aus § 462 a Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Verurteilte war zu dem maßgeblichen Zeitpunkt<br />

nicht mehr in einer - die Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskam-mer begründenden - Strafanstalt. Zwar<br />

verbüßte die Verurteilte zunächst Er-satzfreiheitsstrafe für eine in das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 11.<br />

November 2008 einbezogene Geldstrafe. Doch wurde die durch dieses Ur-teil verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur<br />

Bewährung ausgesetzt und die Verur-teilte sofort aus der Strafhaft entlassen. Durch die Einbeziehung der ursprünglichen<br />

Geldstrafen in die Gesamtfreiheitsstrafe war deren - im Wege der Verbü-ßung einer Ersatzfreiheitsstrafe vorgenommene<br />

- Vollstreckung endgültig abge-schlossen und begründete nicht mehr die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer.<br />

Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet, wenn die Voll-streckung der Freiheitsstrafe - durch Verbüßung,<br />

Erlass, Vollstreckungsverjäh-rung - endgültig erledigt ist (vgl. LR-Wendisch StPO 25. Aufl. § 462 a Rdn. 36).<br />

So bleibt im vergleichbaren Fall der Untersuchungshaft das erkennende Gericht auch zuständig, wenn der Verurteilte<br />

aus der Untersuchungshaft entlassen wird (vgl. KK-Appl StPO 6. Aufl. § 462 a Rdn. 9; Meyer-Goßner StPO 51.<br />

Aufl. § 462 a Rdn. 6).<br />

Für die Bewährungsüberwachung war daher gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO zunächst das Amtsgericht Göttingen<br />

als Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Dieses hat gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 2 StPO die nach § 453 StPO zu<br />

treffenden Entscheidungen bindend an das Amtsgericht Bremen abgegeben, da die Verurteilte dort ihren Wohnsitz<br />

hat.<br />

405


StPO § 464 III, StPO § 465 Kostenentscheidung bei letzlich erfolgloser Revision<br />

BGH, Beschl. v. 30.09.2008 – 4 StR 374/08 - StraFo 2008, 529<br />

1. Wird eine Verurteilung in der Revision mit den Feststellungen aufgehoben, der Angeklagte in der<br />

neuen Hauptverhandlung wieder zu einer annähernd gleichen Strafe verurteilt, so hat der Angeklagte,<br />

der in beiden Tatsacheninstanzen wegen desselben Tatvorwurfs zu nahezu derselben Freiheitsstrafe<br />

verurteilt worden ist, die gesamten Kosten der ersten Instanz, die kostenrechtlich als<br />

Einheit anzusehen ist, zu tragen.<br />

2. Hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens gilt, dass die vollständige oder teilweise Aufhebung<br />

des zunächst ergangenen Urteils und die Zurückweisung an das Landgericht für sich noch<br />

kein Erfolg im kostenrechtlichen Sinne ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob und inwieweit die<br />

neue Entscheidung - verglichen mit der aufgehobenen - zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfällt.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 25. Februar 2008 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des vorgenannten Urteils<br />

wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmit-tel und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kosten- und Aus-lagenentscheidung des angefochtenen Urteils<br />

ist zulässig (§ 464 Abs. 3 StPO), aber unbegründet.<br />

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 7. Dezember 2006 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe<br />

von neun Jahren verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte, auf die Frage der Schuldfähigkeit und den Strafaus-spruch<br />

beschränkte Revision des Angeklagten hat der Senat das angefochtene Urteil mit Beschluss vom 12. Juni 2007 im<br />

Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, einschließlich derjenigen zu den Trinkmengen, aufgehoben und<br />

die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückverwiesen;<br />

die weiter gehende Revision hat er verworfen. Das nunmehr entscheidende Schwurgericht hat den Angeklagten<br />

zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt und ihm die gesamten Kosten des Verfahrens<br />

einschließlich derjenigen des Revisionsver-fahrens sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger auferlegt.<br />

Gegen diese Kostenentscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde und beantragt, die<br />

Kosten des Revisionsverfahrens und der erneuten (fünftägigen) Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock und<br />

die ihm und den Nebenklägern insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das<br />

Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

Nach dem im Kostenrecht geltenden Veranlasserprinzip hat der Ange-klagte, der in beiden Tatsacheninstanzen wegen<br />

desselben Tatvorwurfs zu na-hezu derselben Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die gesamten Kosten der ersten<br />

Instanz, die kostenrechtlich als Einheit anzusehen ist, zu tragen (vgl. BGHR StPO § 465 Abs. 1 Kosten 2; vgl. auch<br />

Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 465 Rdn. 3 m.w.N.). Anhaltspunkte für die Voraussetzungen des § 465 Abs. 2 StPO<br />

sind nicht ersichtlich.<br />

Hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens gilt, dass die vollständi-ge oder teilweise Aufhebung des zunächst<br />

ergangenen Urteils und die Zurück-verweisung an das Landgericht für sich noch kein Erfolg im kostenrechtlichen<br />

Sinne ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob und inwieweit die neue Entschei-dung - verglichen mit der aufgehobenen<br />

- zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfällt. Dieser Vergleich zeigt hier, dass der Beschwerdeführer durch sein<br />

Rechtsmittel nicht den erstrebten Erfolg - die Zubilligung erheblich verminderter Schuldfähigkeit und die Verhängung<br />

einer deutlich niedrigeren Strafe -, sondern nur einen geringen Teilerfolg erzielt hat. Dieser führt nicht zur<br />

Anwendung des § 473 Abs. 4 StPO. Die Tatsache, dass der Angeklagte gegen die neue Ent-scheidung wiederum<br />

Revision eingelegt hat, spricht dagegen, dass er die erste landgerichtliche Entscheidung hingenommen hätte, wenn<br />

sie so ausgefallen wäre, wie sie sich nach dem Ergebnis der neuen Verhandlung darstellt (vgl. BGHR StPO § 473<br />

Abs. 4 Quotelung 6).<br />

406


StrEG§ 5 Abs. 2 S. 1 Unsorgfältiges Aussageverhalten führt <strong>zum</strong> Ausschluss von Entschädigung<br />

BGH, Beschl. v. 06.08.2008 – 2 StR 19/08<br />

Grob unsorgfältiges Aussageverhalten eines Beschuldigten führt <strong>zum</strong> Ausschluss von Entschädigung<br />

gem. § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG.<br />

Der Antrag auf nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs gegen den Beschluss des Senats vom 2. April 2008<br />

wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.<br />

Soweit in dem Antrag vom 21. Mai 2008 eine Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom 2. April 2008 enthalten<br />

sein sollte, wird auch diese zurückgewiesen.<br />

Gründe:<br />

1. Der Antragsteller ist durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. September 2007 vom Vorwurf des<br />

Betrugs u. a. freigesprochen worden. Das Landgericht ordnete zudem an, der Antragsteller sei für die in dieser Sache<br />

vom 22. Februar bis 9. Dezember 2005 erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil hat der Senat durch Urteil vom 2. April 2008 als unbegründet<br />

verworfen. Durch Beschluss vom selben Tag hat der Senat auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft<br />

die Entscheidung des Landgerichts über die Entschädigung aufgehoben und eine Entschädigung für die erlittene<br />

Untersuchungshaft nicht gewährt.<br />

In diesem Beschluss hat der Senat einleitend ausgeführt: "Es liegt, wie die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen<br />

Beschwerde zutreffend dargelegt hat, ein Ausschlussgrund gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG vor." Der Antragsteller<br />

macht mit seinem Antrag geltend, ein Schriftsatz dieses Inhalts liege ihm nicht vor; es sei ihm insoweit das rechtliche<br />

Gehör nicht gewährt worden.<br />

2. Zutreffend weist der Antrag darauf hin, dass eine ausdrückliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem<br />

Landgericht Frankfurt zur Frage der Entschädigung sich nicht bei der Akte befindet und auch die sofortige Beschwerde<br />

der Staatsanwaltschaft solche Ausführungen nicht enthält. Ein solcher Schriftsatz existiert nicht und hat<br />

daher der Senatsentscheidung auch nicht zugrunde gelegen. Bei dem zitierten Satz im Beschluss vom 2. April 2008<br />

han-delt es sich um eine missverständliche Formulierung, die in verkürzender, bei unbefangenem Lesen in der Tat zu<br />

Fehlvorstellung Anlass gebender Weise auf die sachlichen Ausführungen der Revisionsbegründung zur Sachrüge<br />

Bezug nimmt und sich insoweit auch auf die vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat zitierten<br />

Ausführungen der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt bezieht. Dort ist nämlich im Rahmen der<br />

materiell-rechtlichen Rüge rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung breit erörtert, dass das Landgericht dem Verhalten<br />

des Beschuldigten im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung im Zusammenhang mit der "Anerkennung" ihm<br />

vorgelegter, seine Unterschrift tragender Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen nicht zutreffend gewürdigt habe (Revisionsbegründung<br />

S. 3, 5, 8 f.; Zuschrift des Generalbun-desanwalts vom 18. Februar 2008; S. 4). Auf das dort<br />

behandelte Verhalten des Beschuldigten, welches das Urteil des Landgerichts auf UA S. 18 f. behandelt hat, stellt die<br />

Begründung des Senatsbeschlusses vom 2. April 2008 ab. Der zitierte Satz enthält daher nur eine - im Hinblick auf<br />

das insoweit statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde formulierte - rechtliche Würdigung der festgestellten<br />

Tatsachen, die zu einer Versagung der Entschädigung geführt haben, nicht aber einen Hinweis auf Tatsachen, welche<br />

dem Antragsteller nicht bekannt waren.<br />

Bei der Entscheidung vom 2. April 2008 hat der Senat daher keine Tatsachen oder sonstigen Umstände verwertet, die<br />

dem Antragsteller nicht bekannt waren oder zu denen ihm kein rechtliches Gehör gewährt worden war.<br />

3. Die weiter gehenden Ausführungen des Antrags, mit denen geltend gemacht wird, der Senatsbeschluss habe Tatsachen<br />

verwertet, die "aktenwidrig und auch unzutreffend" seien, erschöpfen sich im Wesentlichen in einer abweichenden<br />

Beweiswürdigung; sie bemängeln die tatsächlichen und rechtlichen Schlussfolgerungen, die aus den im<br />

Urteil des Landgerichts festgestellten Tat-sachen für die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch gezogen<br />

wor-den sind. Damit kann der Antragsteller im Verfahren gemäß § 356 a StPO nicht gehört werden; die Gehörsrüge<br />

nach § 356 a StPO hat nicht die Funktion eines zusätzlichen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung in der Sache.<br />

Soweit die Ausführungen <strong>zum</strong> Antrag eine inhaltliche Gegenvorstellung enthalten, geben sie dem Senat keinen Anlass,<br />

die Entscheidung vom 2. April 2008 abzuändern.<br />

407


UStG § 6a , AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 6<br />

BGH, Beschl. v. 20.11.2008 – 1 StR 354/08 - wistra <strong>2009</strong>, 159<br />

LS: 1. Die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet stellt<br />

keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG dar, wenn der inländische<br />

Unter-nehmer in kollusivem Zusammenwirken mit dem tatsächlichen Ab-nehmer die Lieferung<br />

an einen Zwischenhändler vortäuscht, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu<br />

ermöglichen.<br />

2. Wird eine solche Lieferung durch den inländischen Unternehmer gleichwohl als steuerfreie innergemeinschaftliche<br />

Lieferung erklärt, macht der Unternehmer gegenüber den Finanzbehörden<br />

unrichtige Angaben i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und verkürzt dadurch die auf die Umsätze nach § 1<br />

Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG anfallende und von ihm geschuldete Umsatzsteuer.<br />

WaffG § 52 Abs. 3 Nr. 7 Scheingeschäft mit der Vertrauensperson schafft keine Gefährdungslage<br />

BGH, Beschl. v. 05.05.<strong>2009</strong> – 1 StR 737/08<br />

Das durch § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG geschützte Rechtsgut, das darin zu erblicken ist, dass im Interesse<br />

der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. § 1 Abs. 1 WaffG) Waffen der vorliegenden Art<br />

nicht an unberechtigte Personen überlassen werden sollen, ist bei einer Weitergabe der Waffe an<br />

eine polizeilich geführte Vertrauensperson nicht beeinträchtigt. Denn das Scheingeschäft mit der<br />

Vertrauensperson schafft keine Gefährdungslage, die § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG verhindern will, oder<br />

hält eine solche aufrecht. Vielmehr soll das Scheingeschäft gerade verhindern, dass Waffen unter<br />

Missachtung der waffenrechtlichen Vorschriften in Umlauf kommen bzw. bleiben.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts Dortmund vom 14. Juli 2008 wird das Verfahren<br />

auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt,<br />

soweit der Angeklagte im Fall 6 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des<br />

Verfahrens und die dem Ange-klagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird auf Kosten des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass<br />

a) der Angeklagte in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe eines Falls des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer<br />

halb-automatischen Kurzwaffe und von Munition schuldig ist und<br />

b) für die Fälle 4 und 5 der Urteilsgründe eine Einzelfrei-heitsstrafe von einem Jahr festgesetzt wird.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhehlerei (Fall 1 der Urteilsgründe), unerlaubter Einfuhr von<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall 2), versuchten schweren Raubes (Fall 3), unerlaubten Besitzes einer<br />

Schusswaffe nebst Munition in zwei Fällen (Fälle 4 und 5), Beihilfe <strong>zum</strong> unerlaubten Erwerb einer Schusswaffe (Fall<br />

6) und Versuchs der Beteiligung an einem Verbrechen (Fall 7) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun<br />

Monaten verurteilt. Die der Gesamtfreiheitsstrafe zu Grunde liegenden Einzelstrafen betragen dabei neun Monate im<br />

Fall 1, vier Jahre und sechs Mo-nate im Fall 2, zwei Jahre im Fall 3, jeweils ein Jahr in den Fällen 4, 5 und 7 sowie<br />

sechs Monate im Fall 6.<br />

Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zu<br />

dem aus dem Tenor ersichtlichen Teil-erfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbun-<br />

6 Die Entscheidung ist sehr umfangreich und wenig praxisrelevant für die Alltagsforensik. Deshalb wir hier vom<br />

Abdruck der Gründe abgesehen.<br />

408


desanwalts vom 6. Februar <strong>2009</strong>, die auch durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet<br />

werden, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:<br />

1. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Fall 1 der Urteilsgründe ist die Verurteilung<br />

des Angeklagten wegen Steuerheh-lerei im Sinne von § 374 Abs. 1 AO revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.<br />

Nachdem die Zigaretten, die entgegen § 12 Abs. 1 TabStG ohne deutsche Steuerzeichen in das Steuergebiet der<br />

Bundesrepublik Deutschland verbracht worden waren und für die auch nicht unverzüglich gemäß § 19 Satz 3<br />

TabStG eine Steuererklärung abgegeben worden war, in die Lagerhalle des Angeklag-ten verbracht wurden, war die<br />

mit dem Verbringen in die Bundesrepublik voll-endete Steuerhinterziehung beendet.<br />

Das sich daran anschließende Umladen der Zigaretten erfolgte, um die Zigaretten sodann in Deutschland weiterzuveräußern,<br />

was der Angeklagte auch wusste (UA S. 26). Diesen - nach den Gesamtumständen hinreichend konkretisierten<br />

- Absatz der Zigaretten unterstützte der Angeklagte unmittelbar im Inte-resse der Vortäter. Der Umstand, dass<br />

dieser Absatz aufgrund des Einschrei-tens der Strafverfolgungsbehörden nicht gelungen ist, steht der Vollendung der<br />

Absatzhilfe nicht entgegen. Denn die Tatvarianten des Absetzens und der Absatzhilfe setzen einen Absatzerfolg<br />

nicht voraus (BGH NJW 2007, 1294, 1297 m.w.N.).<br />

2. Demgegenüber hält die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe<br />

des Besitzes von Schuss-waffen und Munition in zwei rechtlich selbständigen Fällen schuldig gemacht, rechtlicher<br />

Überprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen bewahrte der Angeklagte zunächst zwei geladene halbautomatische<br />

Schusswaffen in einer Plastiktüte verpackt direkt neben der Terrasse des von ihm bewohnten Hauses auf.<br />

Eine der Waffen übergab er einer von der Polizei geführten Vertrauens-person, die andere verwahrte er danach im<br />

Haus.<br />

Das gleichzeitige unerlaubte Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen oder Waffenteile bzw. Munition,<br />

auch wenn sie nicht unter die-selbe Strafbestimmung fallen, gilt als nur ein Verstoß gegen das Waffenrecht (st.<br />

Rspr., vgl. BGHR WaffG § 52 Konkurrenzen 1; BGH NStZ-RR 2003, 124f.; BGHR WaffG § 52a Abs. 1 Konkurrenzen<br />

1 m.w.N.; BGH, Beschl. vom 13. Ja-nuar <strong>2009</strong> - 3 StR 543/08 jew. m.w.N.). Der Senat sieht keine Veranlassung<br />

diese Rechtsprechung in Frage zu stellen, wenn die Waffen gemeinsam an ei-nem Ort aufbewahrt werden.<br />

Der Schuldspruch ist daher so wie geschehen zu berichtigen. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, der insoweit<br />

geständige Angeklagte hätte sich auch im Falle eines Hinweises nicht anders und Erfolg versprechender, als geschehen<br />

verteidigen können.<br />

Zutreffend hat das Landgericht in diesem Zusammenhang aber hinsicht-lich der Weitergabe einer der beiden Waffen<br />

an die Vertrauensperson von einer Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Überlassens einer Waffe nach §<br />

52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG abgesehen. Insoweit ist keine Tatvollendung ge-geben.<br />

Das durch § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG geschützte Rechtsgut, das darin zu erblicken ist, dass im Interesse der öffentlichen<br />

Sicherheit und Ordnung (vgl. § 1 Abs. 1 WaffG) Waffen der vorliegenden Art nicht an unberechtigte Personen<br />

überlassen werden sollen, ist in einem solchen Fall nicht beeinträchtigt. Denn das Scheingeschäft mit der Vertrauensperson<br />

schafft keine Gefährdungslage, die § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG verhindern will, oder hält eine solche aufrecht.<br />

Vielmehr soll das Scheingeschäft gerade verhindern, dass Waffen unter Miss-achtung der waffenrechtlichen<br />

Vorschriften in Umlauf kommen bzw. bleiben. Insoweit ist die Sach- und Interessenlage mit der vergleichbar, die bei<br />

der Liefe-rung eines Hehlers an eine Vertrauensperson gegeben ist (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 266). Hier wie dort<br />

kann in solchen Fällen regelmäßig eine weitere Beein-trächtigung des Rechtsguts ausgeschlossen werden. Danach<br />

ist, wenngleich die Verfügungsgewalt über die Waffe auf eine andere Person übertragen wur-de, vorliegend das<br />

Tatbestandsmerkmal des „Überlassens“ im Sinne des § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG nicht erfüllt. Der Senat braucht daher<br />

nicht zu entscheiden, ob die Vertrauensperson eine berechtigte Person im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 WaffG ist.<br />

Der Versuch eines Vergehens gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG ist nicht unter Strafe gestellt.<br />

3. Aus den nämlichen Gründen scheidet im Fall 6 der Urteilsgründe eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe<br />

<strong>zum</strong> Erwerb bzw. <strong>zum</strong> Überlassen einer halbautomatischen Kurzwaffe aus. Hier hatte der Angeklagte ein Waffen-geschäft<br />

einer anderweitigen Person mit der von der Polizei geführten Ver-trauensperson vermittelt.<br />

Ein Teilfreispruch ist insoweit gleichwohl nicht veranlasst, weil eine Straf-barkeit des Angeklagten wegen Beihilfe<br />

<strong>zum</strong> Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe in Betracht kommen kann. Einer Zurückverweisung an das Landgericht<br />

zur Aufklärung, ob ergänzende Feststellungen in diesem Zusammenhang getroffen werden können, bedarf es<br />

aber deshalb nicht, weil angesichts der Vielzahl der gegen den Angeklagten rechtsfehlerfrei verhängten Einzelstrafen<br />

eine insoweit in Betracht kommende Einzelstrafe nicht beträchtlich ins Gewicht fiele.<br />

Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren da-her hinsichtlich dieser Tat gemäß § 154 Abs.<br />

2 StPO eingestellt.<br />

409


4. Der Wegfall einer der in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe verhäng-ten Einzelstrafen von einem Jahr und der<br />

im Fall 6 der Urteilsgründe verhäng-ten Einzelstrafe von sechs Monaten führt nicht zur Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs.<br />

In Anbetracht der verbleibenden Einzelstrafen und der maß-vollen Erhöhung der Einsatzstrafe von<br />

vier Jahren und sechs Monaten, kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ausschließen,<br />

dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtstrafe als fünf Jahre und neun Monate erkannt hätte.<br />

Angesichts des nur geringen Erfolges der Revision war es nicht unbillig, dem Angeklagten die verbleibenden Kosten<br />

in vollem Umfang aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

EMRK Art 6 I 1 Fristberechnung für rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung<br />

BGH, Beschl. v. 23.07.2008 – 2 StR 252/08<br />

Die für Art. 6 Abs. 1 MRK maßgebende Frist beginnt regelmäßig erst mit dem Zeitpunkt, an dem<br />

der Beschuldigte entsprechend Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a MRK offiziell Kenntnis davon erhält, dass<br />

wegen einer Straftat gegen ihn ermittelt wird.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. Januar 2008 wird als<br />

unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil des Ange-klagten ergeben hat. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Das Landgericht hat das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.<br />

Die Kammer hat sich inso-weit maßgeblich auf die - ermittlungstaktisch bedingte - späte "Ausweitung der<br />

Ermittlungen" auf den Angeklagten bezogen (UA 42/43) und Erwägungen zur Zweckmäßigkeit dieser Vorgehensweise<br />

angestellt (UA 45). Dies lässt besor-gen, dass sie bei ihrer Berechnung vor allem Zeiträume berücksichtigt hat,<br />

die eine der Justiz zuzurechnende konventionswidrige Verzögerung nicht begrün-den. Denn die für Art. 6 Abs. 1<br />

MRK maßgebende Frist beginnt regelmäßig erst mit dem Zeitpunkt, an dem der Beschuldigte entsprechend Art. 6<br />

Abs. 3 Buch-stabe a MRK offiziell Kenntnis davon erhält, dass wegen einer Straftat gegen ihn ermittelt wird (Löwe-<br />

Rosenberg/Gollwitzer StPO, 25. Aufl. 2005, MRK Art. 6 Rdn. 81 m.N.).<br />

Dieser Rechtsfehler beschwert den Angeklagten jedoch ebenso wenig wie der unangemessen hohe Strafabschlag von<br />

einem Jahr bei einer vom Landgericht unterstellten justizbedingten Verfahrensverzögerung von einem Jahr und vier<br />

Monaten.<br />

Angesichts dessen kann der Senat auch ausschließen, dass der Ange-klagte bei der vom Landgericht für erforderlich<br />

gehaltenen Kompensation durch die Nichtanwendung der Vollstreckungslösung (siehe BGH - GSSt - NJW 2008,<br />

860) beschwert sein könnte, ohne dass es hier auf die - vom Senat bejahte - Frage ankäme, ob in einem solchen Fall<br />

einer Aufhebung des Strafausspruchs und Zurückverweisung an das Landgericht nicht ohnehin das Verschlechterungsverbot<br />

entgegen stünde.<br />

EMRK Art 6 I 1 Kompensation Verletzung Beschleunigungsgebots<br />

BGH, Urt. v. 09.10.2008 – 1 StR 238/08 - StraFo 2008, 513<br />

Eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist nicht<br />

zwangsweise zugleich auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20<br />

Abs. 3 GG.<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 5. November 2007 im<br />

Strafaus-spruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit es die An-geklagte betrifft, aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung - auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels - an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

410


Das Landgericht hat die - im Übrigen freigesprochene - Angeklagte we-gen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von<br />

einem Jahr verurteilt, deren Vollstre-ckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die zu Ungunsten<br />

der Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch und die zugehörigen Feststellungen - soweit es<br />

die Angeklagte betrifft - beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts<br />

rügt. Die Revision beanstandet insbesondere die von der Kammer angenom-mene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

sowie das Maß der darauf beruhenden Kompensation. Das vom Generalbundesanwalt vertretene<br />

Rechts-mittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.<br />

I. Die vom Landgericht für die Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz<br />

1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vorgenommene Kompensation begegnet durchgreifenden rechtlichen<br />

Bedenken.<br />

1. Die Strafkammer hat an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als verwirkt angesehen. Sie<br />

hat sodann <strong>zum</strong> Ausgleich für eine von ihr bejahte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von vier Monaten von<br />

der eigentlich als schuldangemessen erachteten Freiheitsstrafe einen bezif-ferten Strafabschlag von sechs Monaten<br />

vorgenommen und gegen die zu kei-nem Zeitpunkt des Verfahrens inhaftierte Angeklagte eine Freiheitsstrafe von<br />

einem Jahr verhängt.<br />

2. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht der Kompensation in<br />

rechtsfehlerhafter Weise nur unzu-reichende Feststellungen zu Grunde gelegt hat. Der Senat kann offenlassen, ob ein<br />

sachlich-rechtlicher Fehler schon allein darin liegt, dass das Landgericht bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige<br />

Verfahrensverzögerung vorliegt, auf ei-nen Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. Dezember 2006<br />

ver-wiesen hat, der eine Entscheidung über die weitere Haftfortdauer betreffend den früheren Mitangeklagten K.<br />

W. <strong>zum</strong> Gegenstand hat. Jedenfalls genügt diese bloße Bezugnahme hier nicht, weil das Landgericht bei der<br />

Beur-teilung des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen anderen Maßstab anzulegen<br />

und eine andere Abwägung zu treffen hatte als das Oberlandesgericht.<br />

a) Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung sind als Grundlage der Kompensation Art, Ausmaß und Ursachen der<br />

Verfahrensverzögerung zu ermit-teln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellungen dienen zunächst als<br />

Grundlage für die Straf<strong>zum</strong>essung. Insofern hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in<br />

welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen die Angeklagte<br />

wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Festset-zung der Strafe mildernd zu berücksichtigen<br />

sind. Die entsprechenden Erörte-rungen sind als bestimmende Straf<strong>zum</strong>essungsfaktoren in den Urteilsgründen<br />

kenntlich zu machen, § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (st. Rspr.; vgl. nur BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH,<br />

Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 71/08; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08). Dabei muss grundsätzlich jedes<br />

Strafurteil aus sich heraus verständlich sein (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 30, 225, 227; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz<br />

1 Bezugnahme 1; BGH NStZ-RR 2007, 22). Gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen deshalb<br />

in der Regel nicht durch Bezugnahmen ersetzt werden, da es ansonsten sachlich-rechtlich an der Möglichkeit<br />

einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (BGH NStZ-RR 2007, 22 m.w.N.).<br />

b) Gemessen an diesen Maßstäben erscheinen die Ausführungen des landgerichtlichen Urteils nicht unbedenklich.<br />

Die Kammer führt lediglich pau-schal aus, ohne nähere Einzelheiten zu den jeweiligen Verfahrensschritten festzustellen,<br />

die Tat liege vier Jahre zurück, die Abschlussverfügung der Staats-anwaltschaft und die Anklage datierten<br />

vom 20. Oktober 2005. Am 2. März 2006 habe die Kammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden,<br />

die Hauptverhandlung habe am 4. Oktober 2006 begonnen und über ein Jahr gedauert. Weiter legt sie dar, dass „nach<br />

den Feststellungen des OLG Bamberg im Beschluss vom 19.12.2006“ (in dem wiederum auf den hinsichtlich des<br />

frü-heren Mitangeklagten K. W. ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober<br />

2006, StV 2007, 254, verwiesen wird) „es zu einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung von 4 Monaten gekommen“<br />

sei, „da der ursprünglich bestimmte Hauptverhandlungstermin vom 17.05.2006 aufge-hoben“ worden sei (UA<br />

S. 82/83).<br />

aa) Damit beschränkt sich das Landgericht auf die bloße Aneinanderrei-hung der zeitlichen Abläufe und die Wiedergabe<br />

einer wertenden Beurteilung eines anderen Gerichts in einer Entscheidung über die weitere Haftfortdauer<br />

betreffend den früheren Mitangeklagten K. W. . Die gebotenen konkre-ten Feststellungen <strong>zum</strong> Vorliegen<br />

einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in Bezug auf die Angeklagte H. W. hat es damit jedoch<br />

nicht getroffen.<br />

(1) Insbesondere hat die Strafkammer weder die Gründe für die Neuter-minierung mitgeteilt, noch die zur Vorbereitung<br />

und Terminierung des neuen, zudem nach einem Wechsel des Kammervorsitzes und des Berichterstatters in<br />

neuer Gerichtsbesetzung stattfindenden Hauptverhandlungstermins erforderli-chen Zeitspannen erkennbar berücksichtigt<br />

(vgl. BGH, Beschl. vom 6. März 2008 - 3 StR 514/07). Es wäre aber festzustellen gewesen, welcher Zeit-<br />

411


aum bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung für die Erledigung der entsprechenden Maßnahmen in der<br />

vorliegenden umfangreichen Wirtschaftstrafsache, die wegen mehrerer Tatkomplexe gegen zwei Angeklagte geführt<br />

wurde, bean-sprucht werden durfte. Denn dieser ist bei der Berechnung der Dauer der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung<br />

nicht einzubeziehen (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08; zur Vorbereitung und<br />

Terminierung in Wirtschaftsstrafsachen vgl. BGH NJW 2008, 2451, 2453 f.).<br />

(2) Außerdem hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der Umstand, dass das Strafverfahren<br />

während eines einzelnen Verfah-rensabschnitts verzögert betrieben wurde, für sich allein keinen Verstoß gegen das<br />

Rechtsstaatsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründet, wenn das Strafverfahren insgesamt in angemessener Zeit<br />

abgeschlossen wurde (BGH NStZ 2004, 504; NStZ-RR 2007, 150, 151; vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. Juli 2005 -<br />

57019/00). Bei der Prüfung, ob eine Strafsache insgesamt in angemes-sener Frist (im verbindlichen englischen Originaltext<br />

„…within a reasonable time…“) i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhandelt worden ist, sind neben der<br />

gesamten Dauer von dem Zeitpunkt an, in dem die Beschuldigte von den Er-mittlungen in Kenntnis gesetzt wurde,<br />

bis <strong>zum</strong> rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die Art und die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die<br />

Schwierigkeit des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhal-ten der Beschuldigten sowie das<br />

Ausmaß der mit dem andauernden Verfahren verbundenen Belastungen für die Beschuldigte als maßgebende Kriterien<br />

fest-zustellen und zu berücksichtigen (BGH NStZ 2004, 504).<br />

bb) Der Senat lässt - wie oben dargelegt - offen, ob für die Beurteilung dieser an sich notwendigen eigenen Darlegungen<br />

im Urteil der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg, auf den das landgerichtliche Urteil verweist, und<br />

der dort enthaltene Hinweis auf die veröffentlichte Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts (BVerfG StV<br />

2007, 254) ergänzend herangezogen werden können. Die bloße Bezugnahme auf diese Entscheidungen verbietet sich<br />

vor-liegend jedenfalls deshalb, weil das Tatgericht bei der Bewertung des Beste-hens einer rechtsstaatswidrigen<br />

Verfahrensverzögerung einen anderen Maß-stab anzulegen und eine andere Abwägung zu treffen hatte, als dies im<br />

Rah-men der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Oberlandes-gerichts betreffend die Haftfortdauer<br />

des früheren Mitangeklagten K. W. der Fall war.<br />

(1) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ga-rantieren das Recht eines jeden Angeklagten<br />

auf gerichtliche Entscheidung in-nerhalb angemessener Frist. Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Dauer des<br />

Strafverfahrens vom Zeitpunkt der Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen bis <strong>zum</strong><br />

rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (BGH StV 2002, 598; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art.<br />

6 MRK Rdn. 80 ff. m.w.N.). Unabhängig davon besteht der Anspruch des aus Gründen der Prozesssicherheit inhaftierten<br />

Angeklagten „auf ein Urteil innerhalb ange-messener Frist oder auf Entlassung“ aus der Haft, Art. 5 Abs. 3<br />

Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Der für die Beurteilung der insoweit angemes-senen Dauer maßgebende<br />

Fristbeginn ist hierbei zunächst der tatsächliche Be-ginn der Freiheitsentziehung, das maßgebliche Fristende<br />

der Erlass des erstin-stanzlichen Urteils (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 116, 117).<br />

(2) Die „angemessene Frist“ für die Untersuchungshaft ist dabei wesent-lich kürzer bemessen und unterliegt strengeren<br />

Anforderungen als die Frist, binnen der das Strafverfahren durchgeführt sein muss. Während für die Unangemessenheit<br />

der Verfahrensdauer als Maßstab der Zeitraum gilt, der für die sachgerechte Erledigung des jeweiligen<br />

Verfahrens bei ordnungsgemäßer Be-arbeitung im normalen Verfahrensbetrieb notwendig ist, ist bei der Frage der<br />

weiteren Haftfortdauer regelmäßig nur die bei größtmöglicher Beschleunigung erreichbare Minimaldauer hinnehmbar<br />

(vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 114; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft,<br />

3. Aufl. Rdn. 828). Damit können die Fristen für die Verfahrenserledigung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1<br />

MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG länger sein als die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2<br />

Abs. 2 Satz 2 GG gesetz-ten, in denen über eine Freiheitsentziehung zu entscheiden ist.<br />

(3) Hinzukommt, dass - anders als bei der Frage der Angemessenheit der Dauer des gesamten Strafverfahrens - die<br />

Angemessenheit der Dauer der Haft nicht rückblickend zu beurteilen ist, sondern ex ante von der jeweils gege-benen,<br />

aktuellen Verfahrenslage aus (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Art. 5 MRK Rdn. 115).<br />

(4) Eine Verletzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist demnach nicht zwangsweise<br />

zugleich auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (so bereits<br />

EGMR, Matznetter/Österreich, Urt. vom 10. November 1969 - 2178/64; vgl. auch Gollwitzer in Löwe/Rosenberg,<br />

StPO 25. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 76; Paeff-gen in SK-StPO 57. Lfg. Art. 5 MRK Rdn. 61). Dies gilt<br />

erst recht in einem Ver-fahren, das - wie gegenständlich - gegen mehrere Angeklagte geführt wird: Während ein<br />

bestimmter Verfahrensablauf für einen, noch dazu inhaftierten Mitangeklagten einen Verstoß gegen das in Haftsachen<br />

gebotene Beschleuni-gungsgebot darstellen kann, muss dies für die andere, nicht in Haft befindliche Angeklagte<br />

keineswegs zwangsläufig eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK begründen. Ob eine rechtsstaatswidrige<br />

Verfahrensverzögerung vorliegt ist vielmehr nach den individuellen Umständen des Einzelfalles - insbesondere unter<br />

412


Berücksichtigung der persönlichen Auswirkungen der Verfahrensdauer für den jeweiligen Betroffenen - für jeden<br />

Angeklagten eigenständig zu beurteilen (vgl. BGH, Beschl. vom 21. Juli 2005 - 1 StR 78/05). Dies hat die Strafkammer<br />

verkannt.<br />

3. Die verhängte Freiheitsstrafe kann aber auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht für die von ihm<br />

angenommene Verfahrensverzöge-rung von vier Monaten einen Strafabschlag von sechs Monaten gewährt hat. Dies<br />

überschreitet die Grenzen des dem Tatrichter insoweit zuzubilligenden Beurteilungsspielraums und erweist sich<br />

daher als rechtsfehlerhaft.<br />

a) Allgemeine Kriterien für die Festlegung der für erforderlich erachteten Kompensation lassen sich zwar nicht aufstellen.<br />

Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles. Jedoch ist im Auge zu behalten, dass die Verfahrensdauer<br />

als solche sowie die damit verbundenen Belastungen der Angeklag-ten - wie auch vorliegend - bereits<br />

strafmildernd in die Straf<strong>zum</strong>essung einge-flossen sind. In diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung geht es daher<br />

nur mehr um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Ver-zögerung. Dies schließt es regelmäßig<br />

aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung<br />

mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen. Vielmehr wird sich die Anrech-nung häufig auf einen eher geringen<br />

Bruchteil der Strafe zu beschränken haben (BGH - GS - NJW 2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 6. März 2008 -<br />

3 StR 50/07; Beschl. vom 11. März 2008 - 3 StR 54/08).<br />

b) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte liegt die vom Landge-richt vorgenommene Reduzierung der ohne<br />

die angenommene Verfahrensver-zögerung von vier Monaten als verwirkt erachteten Freiheitsstrafe von einem Jahr<br />

und sechs Monaten um sechs Monate nicht mehr im Rahmen des tatrich-terlichen Ermessens. Das Landgericht hat<br />

damit nicht nur eine Anrechnung ent-sprechend dem Maßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorgenommen, sondern<br />

eine solche in Höhe des eineinhalbfachen der von ihm bejahten Verzögerung und somit einen Abschlag von einem<br />

Drittel der eigentlich als tat- und schuld-angemessen angesehenen Freiheitsstrafe gewährt. Damit hat das Landgericht<br />

der Angeklagten eine Strafreduzierung zugebilligt, die zu einer Verkürzung der gegebenenfalls noch zu vollstreckenden<br />

Strafe in einem Umfang führt, der nicht einmal durch eine viermonatige inländische Untersuchungshaft<br />

hätte erreicht werden können (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH StV 2008, 299). Ein derart hohes Maß an Kompensation<br />

könnte nur ausnahmsweise durch deutlich gravie-rendere individuelle Belastungen der zu keinem Zeitpunkt<br />

des Verfahrens inhaf-tierten Angeklagten infolge der Verfahrensverzögerung als der hier festgestell-ten gerechtfertigt<br />

sein (vgl. BGH StV 2007, 461, 462).<br />

4. Schließlich entspricht das vom Landgericht angewandte Kompensati-onsverfahren („Strafabschlagslösung“) nicht<br />

der - nach dem angefochtenen Ur-teil - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des<br />

Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK („Vollstreckungsmodell“; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860 ff.).<br />

II.<br />

Der Strafausspruch sowie die zugehörigen Feststellungen waren deshalb - soweit es die Angeklagte betrifft - aufzuheben,<br />

um dem neuen Tatrichter Ge-legenheit zu geben, insoweit einheitlich neue, ausreichend konkrete Feststellungen<br />

zu treffen. Damit entfällt auch die Grundlage der Entscheidung des Landgerichts über die Strafaussetzung zur<br />

Bewährung.<br />

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

1. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird die für eine mögliche Verletzung des Gebots einer zügigen<br />

Verfahrenserledigung maßgeb-lichen Umstände als gerichtskundige Tatsachen zu behandeln haben und sich<br />

diese Kundigkeit im Freibeweisverfahren verschaffen können (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 11).<br />

2. Es wird zu bedenken haben, dass nicht jede geringfügige Verzöge-rung - <strong>zum</strong>al in einer komplexen Wirtschaftsstrafsache<br />

mit nicht nur einer Ange-klagten - bereits unangemessen und rechtsstaatswidrig ist (vgl. BGH, Beschl.<br />

vom 23. Juli 2008 - 2 StR 283/08). Insbesondere führt ein lediglich vorüberge-hender Engpass in der Arbeits- und<br />

Verhandlungskapazität der Strafverfol-gungsbehörden nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK<br />

(BGH StraFo 2005, 24).<br />

3. Für den Fall, dass auch das neue Tatgericht nach den neu zu treffen-den Feststellungen zu der Überzeugung gelangt,<br />

dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, so erscheint eine durch die Neuterminierung eingetretene<br />

Verfahrensverzögerung von - wie bisher festgestellt - vier Monaten je-doch denkbar gering. Insofern wird<br />

auch der Umstand Bedeutung erlangen, dass nach dem Vortrag der Revision als (Mit-)Ursache für die lange Dauer<br />

der Hauptverhandlung das Prozessverhalten der Angeklagten (vgl. RB S. 11) eben-falls in Betracht kommt. Bei diesen<br />

Gegebenheiten ist zu berücksichtigen, dass zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung die<br />

bloße aus-drückliche Feststellung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausrei-chen kann und ein darüber<br />

hinaus gehender Ausgleich nach der „Vollstre-ckungslösung“ nicht in jedem Fall geboten ist (vgl. BGH - GS - NJW<br />

2008, 860, 866; BGH, Beschl. vom 21. Februar 2008 - 4 StR 666/07). Dies gilt umso mehr, als dem Abstand zwi-<br />

413


schen Tat und Aburteilung sowie dem wegen der Verfah-rensdauer vom Landgericht angenommenen - an sich aber<br />

fern liegenden und jedenfalls konkret nicht belegten - psychischen Druck auf die nicht inhaftierte Angeklagte bereits<br />

im Rahmen der Straf<strong>zum</strong>essung Rechnung zu tragen ist.<br />

EMRK Art 6 I 1 Verfahrensverzögerung Kompensation<br />

BGH, Beschl. v. 15.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 537/08<br />

Werden im selben Verfahren mehrmals Urteile wegen allein von dem Gericht zu verantwortenden<br />

Verfahrensfehlern aufgehoben und musste die Sache deshalb wiederholt neu verhandelt werden, so<br />

begründet die dadurch eingetretene Verzögerung des Abschlusses des Verfahrens und die damit für<br />

den Angeklagten verbundene besondere Belastung einen Kompensationsanspruch aus Art. 13<br />

EMRK.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 7. Juli 2008 aufgehoben, soweit<br />

eine Entscheidung über die Kompensation wegen einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung unterblieben<br />

ist.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Stralsund hatte den Angeklagten durch Urteil vom 10. März 2006 wegen Vergewaltigung in Tateinheit<br />

mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs ei-ner<br />

Schutzbefohlenen in vier weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren und sechs Mona-ten verurteilt. Auf seine Revision hob der Senat dieses Urteil durch Beschluss<br />

vom 26. September 2006 - 4 StR 353/06 (NStZ 2007, 352 = StV 2007, 22) we-gen Vorliegens des absoluten Revisionsgrundes<br />

des § 338 Nr. 5 StPO auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht<br />

Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten sodann am 12. April 2007 erneut wegen aller sechs dem<br />

Angeklagten bereits im ersten Urteil zur Last ge-legten Sexualstraftaten und verhängte dieselben Einzelstrafen und<br />

auch diesel-be Gesamtfreiheitsstrafe wie in dem ersten Urteil. Die hiergegen eingelegte Re-vision des Angeklagten<br />

hatte wiederum mit einer Verfahrensbeschwerde Erfolg. Gerügt war die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes<br />

des § 250 StPO. Der Senat stellte durch Beschluss vom 29. Januar 2008 - 4 StR 449/07 (BGHSt 52, 148 = NJW<br />

2008, 1010 = StV 2008, 170) das Verfahren in drei der abgeur-teilten Fälle ein (dadurch entfielen Einzelfreiheitsstrafen<br />

von zwei Jahren sechs Monaten und zweimal zwei Jahren), bestätigte die Verurteilung wegen Verge-waltigung<br />

in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs<br />

einer Schutzbefohlenen in einem weiteren Fall sowie die zugehörigen Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren, zwei<br />

Jahren sechs Monaten und zwei Jahren und wies unter Verwerfung der weiter gehenden Revision die Sache zur erneuten<br />

Verhandlung und Entscheidung ü-ber die Gesamtstrafe an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte<br />

den Angeklagten auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs und der rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Hiergegen wendet sich der Angeklagte<br />

wiederum mit seiner Revision, mit der er insbesondere die fehlende Berücksichtigung einer der Justiz anzulastenden<br />

Verfahrensverzögerung durch das Landgericht bean-standet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Gesamtstrafenaus-spruch wendet, ist das Rechtsmittel offensichtlich<br />

unbegründet. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesan-walts unter<br />

Ziff. 1. seiner Antragsschrift vom 18. Dezember 2008. Die Ausfüh-rungen in der Gegenerklärung des Verteidigers<br />

vom 13. Januar <strong>2009</strong> führen zu keinem anderen Ergebnis.<br />

2. Dagegen macht der Beschwerdeführer zu Recht einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz des Art. 6<br />

Abs. 1 Satz 1 EMRK geltend, der bei der Rechtsfolgenbemessung hätte berücksichtigt werden müssen. Dies lässt<br />

zwar den Gesamtstrafenausspruch unberührt, führt aber zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht unterlassen<br />

hat, nach den Grundsätzen des Be-schlusses des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17.<br />

Januar 2008 - GSSt 1/07 (BGHSt 52, 124 = NJW 2008, 860; sog. Vollstre-ckungsmodell) eine Kompensation vorzunehmen.<br />

414


a) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die durch Aufhebung<br />

eines Urteils im Rechtsmittel-zug auf Grund eines Verfahrensfehlers erforderliche neue Verhandlung der Sache<br />

und die dadurch bedingte Dauer des Verfahrens generell als Konventions-verstoß zu werten und deshalb der in<br />

Folge der Durchführung des Rechtsmit-telverfahrens verstrichene Zeitraum der Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen<br />

ist (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn. 125). Hier sind jedoch im selben Verfahren<br />

mehrmals Urteile wegen allein von dem Ge-richt zu verantwortenden Verfahrensfehlern aufgehoben worden und<br />

musste die Sache deshalb wiederholt neu verhandelt werden. Die dadurch eingetretene Verzögerung des Abschlusses<br />

des Verfahrens und die damit für den Angeklag-ten verbundene besondere Belastung begründet daher einen Kompensations-anspruch<br />

aus Art. 13 EMRK. Das gilt hier umso mehr, als seit der Anklageerhe-bung mittlerweile über<br />

drei Jahre verstrichen sind und das Verfahren in Folge der zweifach notwendig gewordenen Neuverhandlung - gerechnet<br />

von der ers-ten in dieser Sache ergangenen Revisionsentscheidung - allein bis zu dem an-gefochtenen Urteil<br />

annähernd zwei Jahre gedauert hat. Dabei kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass sich zuletzt das Verfahren<br />

noch einmal um über zwei Monate verzögert hat, weil die Verteidigung mit Erfolg den Beset-zungseinwand nach<br />

§ 222 b StPO erhoben hat.<br />

b) Die im angefochtenen Urteil unterbliebene, wegen des Verstoßes ge-gen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gebotene<br />

Kompensation für die der Justiz anzu-lastende Verfahrensverzögerung hat der neue Tatrichter im Wege des Vollstreckungsmodells<br />

(BGHSt - GS - 52, 124 = NJW 2008, 860) nachzuholen. Er wird zunächst festzustellen haben, welcher<br />

Zeitraum zwischen der Eröffnung des Tatvorwurfs und dem Urteil bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung<br />

als erforderlich anzusehen ist; dieser Zeitraum ist bei der Berechnung der Dauer der in den Verantwortungsbereich<br />

der Justiz fallenden Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen. Sodann wird das Gericht – da angesichts<br />

des Ausma-ßes der Verzögerung deren bloße ausdrückliche Feststellung in den Entschei-dungsgründen zur Kompensation<br />

ersichtlich nicht genügt – festzulegen haben, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der<br />

Verzögerung als vollstreckt gilt. Bei der Bemessung sind vor allem das Gewicht der Verfahrens-fehler, die zur wiederholten<br />

Aufhebung der Urteile in diesem Verfahren geführt haben, sowie die Auswirkungen der Verzögerungen<br />

auf den Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. BGHSt - GS - aaO 146 = NJW aaO S. 866; BGH, Be-schluss vom 26.<br />

November 2008 - 5 StR 450/08 - m.w.N.). Dagegen bleiben die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen<br />

Belastungen bei der Kom-pensation außer Ansatz, da sie vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht bei<br />

der Gesamtstrafbemessung zu Gunsten des Angeklagten berück-sichtigt worden sind (BGH - GS - aaO 147; BGH,<br />

Beschluss vom 14. Mai 2008 – 3 StR 75/08). Hingegen wird der neue Tatrichter bei dem Maß der Kompensa-tion<br />

auch die weitere Verzögerung zu bedenken haben, die nunmehr bis zur wiederholten Neuverhandlung der Sache<br />

eintritt.<br />

EMRK Art 6 I 1; StGB § 46, StGB § 266 - Maß der Kompensation<br />

BGH, Besch. v. 29.10.2008 – 2 StR 467/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 287<br />

Zum Maß der Kompensation für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer<br />

am 29. Oktober 2008 ge-mäß §§ 349 Abs. 2, 464 Abs. 3 StPO beschlossen:<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-richts Frankfurt am Main vom 10. April 2008 werden<br />

als unbe-gründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil der Angeklagten ergeben hat.<br />

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten N. gegen die Kostenentscheidung des genannten Urteils wird<br />

als unbegrün-det verworfen, weil diese dem Gesetz entspricht.<br />

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tra-gen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Entscheidend für das Maß der Kompensation für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung ist - anders als die<br />

Revision meint - nicht ausschließlich der Umfang einer eingetretenen Verfahrensverzögerung.<br />

Maßgeblich ist nämlich, wie sich die eingetretene Verzögerung konkret auf den jeweiligen Angeklagten ausgewirkt<br />

hat (BGH NStZ 2008, 234, 236), wobei die Belastung durch ein schwebendes Verfahren auch abhängig ist so-wohl<br />

von der persönlichen Situation eines Angeklagten als auch von der Höhe der zu erwartenden Strafe und deren mögli-<br />

415


che Auswirkungen. Dies kann - wie hier geschehen - ohne Weiteres dazu führen, dass trotz gleichlanger konventionswidriger<br />

Verfahrensverzögerung bei mehreren, zu unterschiedlich langen Freiheitsstrafen verurteilten Straftätern<br />

das Maß der Kompensation nicht iden-tisch ist.<br />

Zwar hat das Landgericht die von ihm für die drei Angeklagten festge-setzte, der Höhe nach unterschiedliche Kompensation<br />

nicht näher begründet. Angesichts der für den Angeklagten N.. äußerst großzügig bemesse-nen<br />

Kompensation schließt der Senat aber jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf diesem Versäumnis aus.<br />

GVG § 21 e Abs. 3, StPO § 338 Nr. 1 Buchst. b Hilfsstrafkammer Notwendigkeit zu begründen<br />

BGH, Urt. v. 09.04.<strong>2009</strong> – 3 StR 376/08<br />

LS: 1. Der Präsidiumsbeschluss über die Errichtung einer Hilfsstrafkammer und die Übertragung<br />

(auch) bereits anderweitig anhängiger Sachen an diese (§ 21 e Abs. 3 GVG) ist zu begründen.<br />

2. Mängel dieser Begründung können spätestens bis zur Entscheidung der Hilfsstrafkammer über<br />

einen in der Hauptverhandlung erhobenen Besetzungsein-wand (§ 222 b StPO) behoben werden.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 12. März <strong>2009</strong> in der Sitzung am 9.<br />

April <strong>2009</strong> für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Hannover vom 29. November 2007 mit den<br />

Fest-stellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in sieben Fällen und wegen "gewerbsmäßigen" unerlaubten Handeltrei-bens<br />

mit Betäubungsmitteln zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen die Verurteilung<br />

gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Besetzungsrüge Erfolg, soweit sie beanstandet, die Einrichtung<br />

der Hilfsstrafkammer 3 a durch das Präsidium des Landgerichts sei nicht gesetzmäßig erfolgt, so dass diese zur<br />

Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht berufen und das erkennende Gericht somit<br />

vorschriftswidrig besetzt gewesen sei (§ 338 Nr. 1 StPO i. V. m. § 21 e Abs. 3 GVG ).<br />

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:<br />

Durch schriftliche "Anordnung (1/2007) gemäß § 21 e GVG" vom 10. Januar 2007 eröffnete das Präsidium des<br />

Landgerichts "mit Wirkung vom 11. Januar 2007" unter anderem die Hilfsstrafkammer 3 a und teilte dieser die in der<br />

Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2006 bei der Strafkammer 3 einge-gangenen, dort noch anhängigen Haftsachen<br />

zu, die noch nicht terminiert wa-ren. Außerdem wurden dieser Hilfsstrafkammer "mit Wirkung vom 1. März<br />

2007" die nächsten zwei Haftsachen übertragen, für die nach der bisherigen Geschäftsverteilung die Strafkammer 3<br />

zuständig gewesen wäre. Als Anlass für die Änderung der Geschäftsverteilung wurde eingangs der Anordnung insoweit<br />

eine Überlastung der Strafkammer 3 angegeben. Eine Begründung enthielt die Entscheidung des Präsidiums<br />

nicht. Die Überleitung der bei der Strafkammer 3 bereits anhängigen und noch nicht terminierten Haftsachen erfasste<br />

- neben einer weiteren Strafsache - auch das gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfahren.<br />

In diesem teilte die Hilfsstrafkammer 3 a mit Schreiben vom 1. Februar 2007 die Gerichtsbesetzung mit. Der Verteidiger<br />

des Beschwerdeführers bat mit Schreiben vom 6. Februar 2007 an die Präsidialabteilung des Landgerichts, ihm<br />

je eine Kopie der Beschlussfassung über die Änderung der Geschäftsvertei-lung, des Protokolls der Präsidiumssitzung<br />

und der Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der ehemals zuständigen Strafkammer zu überlassen. Daraufhin<br />

übersandte der Präsident des Landgerichts unter dem 8. Februar 2007 eine Kopie der "Anordnung (1/2007)" und<br />

teilte mit, dass die Übersendung eines Protokolls der Präsidiumssitzung nicht möglich sei, weil "dort Protokolle nicht<br />

geführt werden". Eine schriftliche Überlastungsanzeige sei nicht gefertigt wor-den. Sowohl dem Präsidium des<br />

Landgerichts als auch dem Oberlandesgericht Celle sei jedoch die Überlastung der Strafkammer bekannt, die die<br />

Eröffnung der Hilfsstrafkammer notwendig gemacht habe. Vor der Beschlussfassung des Präsidiums habe er als<br />

dessen Vorsitzender darüber hinaus Gespräche mit dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden der<br />

Strafkammer 3 geführt, in denen die Überlastung der Kammer nochmals dargelegt und erörtert worden sei.<br />

416


In der Hauptverhandlung vom 26. Februar 2007 erhob der Angeklagte vor Einlassung zur Sache den Besetzungseinwand<br />

gemäß § 222 b Abs. 1 StPO. Zur Begründung beanstandete er unter anderem den Übergang des Ver-fahrens<br />

von der ordentlichen Strafkammer 3 in die Zuständigkeit der Hilfsstraf-kammer 3 a und begründete die Rüge insoweit<br />

damit, dass weder ein Protokoll der Präsidiumssitzung noch eine Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der<br />

ordentlichen Strafkammer 3 vorliege. Es sei daher nicht nachvollziehbar, auf-grund welcher Tatsachen das Präsidium<br />

die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer meinte beschließen zu müssen.<br />

Die Große Hilfsstrafkammer 3 a wies den Besetzungseinwand in der Hauptverhandlung vom 12. März 2007 als<br />

unbegründet zurück. § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG ermächtige das Präsidium unter anderem dann zu einer Änderung des<br />

Geschäftsverteilungsplanes, wenn dies wegen Überlastung nötig werde. Ob ein Fall der Überlastung eingetreten sei,<br />

unterliege allein der Prüfung und Ermessensentscheidung des Präsidiums. Das Gesetz definiere den Begriff "Überlastung"<br />

nicht. Insbesondere setze es keine Überlastungsanzeige des be-troffenen Spruchkörpers oder die Protokollierung<br />

der die Entscheidung vorbe-reitenden Beratung in der Präsidiumssitzung voraus. Dass Grundlage der "Anordnung<br />

(1/2007)" die Feststellung einer Überlastung der Strafkammer 3 gewe-sen sei, folge aus der Stellungnahme<br />

des Präsidenten vom 8. Februar 2007.<br />

2. Die Besetzungsrüge ist zulässig erhoben. Sie ist weder wegen unzu-reichender Substantiierung des in der Hauptverhandlung<br />

erhobenen Beset-zungseinwandes (§ 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO) nach § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO<br />

präkludiert (s. unten 4. a)) noch hat der Beschwerdeführer die Anforderungen an die Begründung der Besetzungsrüge<br />

in der Revision (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) verfehlt (s. unten 4. b)).<br />

Die Rüge ist auch begründet. Das Urteil kann schon deshalb keinen Be-stand haben, weil die erforderliche Dokumentation<br />

der Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung der Geschäftsverteilung veranlasst haben, und des-halb<br />

nicht beurteilt werden kann, ob die Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3 a gesetzmäßig war oder ob der Angeklagte<br />

durch die Übertragung seines Verfah-rens auf diese Strafkammer unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG<br />

seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde.<br />

a) Allerdings darf das Präsidium gemäß § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG die nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung getroffenen<br />

Anordnungen im Laufe des Geschäftsjahres ändern, wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers nötig<br />

wird. Eine solche liegt vor, wenn über einen längeren Zeitraum ein erheb-licher Überhang der Eingänge über die<br />

Erledigungen zu verzeichnen ist, sodass mit einer Bearbeitung der Sachen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes<br />

nicht zu rechnen ist (vgl. Velten in SK-StPO § 21 e Rdn. 26) und sich die Über-lastung daher als so erheblich darstellt,<br />

dass der Ausgleich nicht bis <strong>zum</strong> Ende des Geschäftsjahres zurückgestellt werden kann (vgl. Kissel/Mayer,<br />

GVG 5. Aufl. § 21 e Rdn. 112). Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte wird immer wieder mit nicht vorhersehbaren<br />

Ereignissen und Entwicklungen konfrontiert. Derartige Umstände erfordern ein Eingreifen des Spruchkörpers<br />

oder des Prä-sidiums, um die Effizienz des Geschäftsablaufes zu erhalten oder wiederherzu-stellen. Eine nachträgliche<br />

Änderung der Geschäftsverteilung kann auch ver-fassungsrechtlich geboten sein, wenn nur auf diese Weise die<br />

Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, insbesondere eine beschleunigte Behandlung von Strafsachen,<br />

erreicht werden kann. Das Beschleunigungsgebot lässt indes das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht<br />

vollständig zurücktre-ten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch diesen. Daher muss in<br />

derartigen Fällen das Recht des Angeklagten auf den gesetzli-chen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer<br />

funktionstüchtigen Straf-rechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen<br />

Ausgleich gebracht werden (vgl. BVerfG NJW 2005, 2689, 2690 m. w. N.; Beschl. vom 18. März <strong>2009</strong> - 2<br />

BvR 229/09).<br />

b) Zu den vor diesem Hintergrund zulässigen und unter den genannten Voraussetzungen auch gebotenen Änderungsmaßnahmen<br />

des Präsidiums im Sinne von § 21 e Abs. 3 GVG zählt auch die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer.<br />

Dieser im Gesetz nicht erwähnte Spruchkörper darf nach den von der Recht-sprechung entwickelten Grundsätzen<br />

(vgl. BGHSt 21, 260, 261) bei vor- übergehender Überlastung eines ständigen Spruchkörpers für begrenzte Zeit<br />

errichtet werden (h. M.; aA Velten aaO § 21 e Rdn. 44); er gehört nicht zu den "institutionellen" Kammern des<br />

Landgerichts und vertritt die ordentliche Straf-kammer in solchen Geschäften, die diese infolge anderweitiger<br />

Inanspruch-nahme nicht selbst erledigen kann (vgl. BGHSt 31, 389, 391). Die Regelung der mit der Errichtung einer<br />

Hilfsstrafkammer verbundenen Übertragung von Auf-gaben der ordentlichen Strafkammer hat denselben Grundsätzen<br />

zu folgen, wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21 e Abs. 3 GVG; insbesondere ist auch insoweit das Abstraktionsprinzip<br />

zu beachten. Danach muss auch die Änderung des Geschäftsverteilungsplans die Aufgaben nach<br />

allgemeinen, sachlich-objektiven Merkmalen der Hilfsstrafkammer übertragen. Eine spezielle Zuwei-sung bestimmter<br />

einzelner Verfahren ist unzulässig (vgl. Kissel/Mayer aaO § 21 e Rdn. 99, 111). Nach diesen Maßstäben steht Art.<br />

101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der (funktionellen) Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfah-ren jedenfalls<br />

dann nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer mehreren anhängigen Verfahren auch<br />

417


eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und nicht aus sachwidrigen Gründen ge-schieht<br />

(BVerfGE 24, 33, 54 f.; BVerfG NJW 2003, 345; 2005, 2689, 2690 m. w. N.). In Ausnahmefällen kann aber auch<br />

eine Änderung der Geschäftsverteilung zulässig sein, die der Hilfsstrafkammer ausschließlich bereits anhängige<br />

Verfah-ren überträgt, wenn nur so dem verfassungs- und konventionsrechtlichen Be-schleunigungsgebot insbesondere<br />

in Haftsachen (s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) angemessen Rechnung getragen werden<br />

kann (vgl. BGHSt 44, 161, 165 ff.; BVerfG Beschl. vom 29. März 2007 - 2 BvR 188/07 und vom 18. März <strong>2009</strong><br />

- 2 BvR 229/09; noch offen gelassen in BVerfG NJW 2005, 2689, 2690). Gleichgültig, ob der Hilfsstrafkammer<br />

ausschließlich anhängige Verfahren oder daneben auch zukünftig eingehende Verfahren zu-gewiesen werden, muss<br />

jedoch jede Umverteilung während des laufenden Ge-schäftsjahres, die bereits anhängige Verfahren erfasst, geeignet<br />

sein, die Effi-zienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen. Denn Ände-rungen der Geschäftsverteilung,<br />

die diesen Anforderungen nicht genügen, sind nicht im Sinne des § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG nötig und können<br />

vor allem vor Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Bestand haben (BVerfG NJW 2005, 2689, 2690).<br />

c) Obwohl die Umverteilung von Geschäftsaufgaben auf eine Hilfsstraf-kammer nach diesen Maßstäben grundsätzlich<br />

zulässig ist, birgt sie doch stets erhebliche Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährleistung des<br />

gesetzlichen Richters in sich. Dies gilt in besonderem Maße bei Überleitung bereits bei der überlasteten ordentlichen<br />

Strafkammer anhängiger Verfahren in die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer, weil dann schon eine anderweitige<br />

Zu-ständigkeit konkretisiert und begründet worden war. Daher ist es in solchen Fäl-len geboten, die Gründe, die eine<br />

derartige Umverteilung erfordern, zu doku-mentieren und den Verfahrensbeteiligten - jedenfalls auf Verlangen - zur<br />

Kennt-nis zu geben, um "dem Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschie-bung" entgegen zu wirken (vgl.<br />

BVerfG NJW 2005, 2689, 2690; Beschl. vom 18. März <strong>2009</strong> - 2 BvR 229/09). Eine solche Pflicht zur umfassenden,<br />

nachvoll-ziehbaren Dokumentation und Darlegung der Gründe besteht auch dann, wenn neben der Umverteilung<br />

bereits anhängiger Verfahren auch zukünftig einge-hende Sachen auf die Hilfsstrafkammer übertragen werden (vgl.<br />

hierzu ein-schränkend - nicht tragend - BGH - 2. Strafsenat - NStZ 2007, 537; vgl. auch 5. Strafsenat in BGHR GVG<br />

§ 21 e Abs. 3 Änderung 7; zur Begründungspflicht vgl. Kissel/Mayer aaO § 21 e Rdn. 73 aE; Velten aaO § 21 e Rdn.<br />

30); denn auch bei einer derartigen Änderung der Geschäftsverteilung bedarf die Überlei-tung schon anhängiger<br />

Verfahren in eine neue Zuständigkeit besonderer Recht-fertigung.<br />

Den sich danach ergebenden Anforderungen an die Begründung einer Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21 e<br />

Abs. 3 GVG, durch die eine Hilfsstrafkammer errichtet wird und dieser bereits bei einer ordentlichen Straf-kammer<br />

anhängige Verfahren zugewiesen werden, genügt die hier beanstande-te Entscheidung des Präsidiums nicht. Dieses<br />

hat eine rechtzeitige Dokumenta-tion der für die "Anordnung (1/2007)" maßgeblichen Gründe und Erwägungen<br />

völlig unterlassen. Deren revisionsrechtliche Überprüfung ist dem Senat daher nicht möglich.<br />

3. Die Anforderungen an Inhalt und Umfang der gebotenen Dokumenta-tion richten sich nach den Maßstäben, die<br />

für die revisionsgerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines derartigen Präsidiumsbeschlusses bestehen. Hierfür<br />

gilt:<br />

a) Die revisionsrechtliche Überprüfung der Gesetzmäßigkeit einer Abän-derung der Geschäftsverteilung im Laufe<br />

des Geschäftsjahres ist nicht ausge-schlossen, sondern grundsätzlich möglich (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 3, 353 ff.;<br />

44, 161, 165, 170; Kissel/Mayer § 16 Rdn. 50 ff., § 21 e Rdn. 120). Sie be-schränkt sich bei Errichtung einer Hilfsstrafkammer<br />

nach der bisherigen Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs allerdings darauf, ob der neue Spruchkörper<br />

in gesetzmäßiger Weise vom Präsidium errichtet worden ist und ob die für die Bildung der Hilfsstrafkammer als<br />

Grund angegebenen Tatsachen den Rechtsbegriff der (vorübergehenden) Überlastung erfüllen (vgl. Kuckein in KK<br />

6. Aufl. § 338 Rdn. 30 m. w. N.). Auf die Tatsachen, die zu der Änderung ge-führt haben, sowie darauf, ob die ordentliche<br />

Strafkammer tatsächlich überlastet war, erstreckt sich die Prüfung hingegen nicht (vgl. BGHR GVG § 21 e<br />

Abs. 3 Änderung 4; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 338 Rdn. 22). Der Nachprüfung durch das Revisionsgericht<br />

sind danach enge Grenzen gesetzt (vgl. BGHR GVG § 21 e Hilfsstrafkammer 1 m. w. N.). Dies wird aus<br />

der eigen-verantwortlichen Stellung des Präsidiums als Gremium verwaltungsunabhängi-ger Selbstorganisation der<br />

Gerichte und aus der Besonderheit der ihm übertra-genen Aufgaben hergeleitet. Daraus folge, dass der Beurteilung<br />

durch das Prä-sidium wegen der Notwendigkeit flexibler, an die konkrete Situation angepasster und auf wesentliche<br />

Veränderungen zeitnah reagierender Entscheidungen schon deshalb ein gewisser Vorrang zukommen müsse, weil es<br />

über Entschei-dungsgrundlagen verfüge, die dem sachverhaltsferneren Revisionsgericht durch dienstliche Äußerungen<br />

und andere Mittel des Beweises nur unvollkom-men vermittelt werden könnten. Hinzu komme, dass die Entscheidungen<br />

über die Geschäftsverteilung wesentlich von der Bewertung zukünftiger Entwicklun-gen insbesondere<br />

im Geschäftsanfall bestimmt seien und solche vorausschau-enden Beurteilungen ihrer Natur nach eine ins Einzelne<br />

gehende Richtigkeits-kontrolle nicht zuließen. Aus diesen Gründen sei die Regelung der Geschäfts-verteilung, soweit<br />

es an bindenden rechtlichen Vorgaben fehle, dem pflichtge-mäßen Ermessen des Präsidiums zu überlassen. Im<br />

418


Bereich rechtlicher Einzel-normierung müsse den dargelegten Besonderheiten dadurch Rechnung getra-gen werden,<br />

dass dem Präsidium bei der Anwendung unbestimmter Rechts-begriffe ein weiter Beurteilungsspielraum zugebilligt<br />

werde. Um einen solchen unbestimmten Rechtsbegriff handele es sich bei der Voraussetzung vorüberge-hender<br />

Überlastung der ordentlichen Strafkammer, von der die Einrichtung ei-ner Hilfsstrafkammer abhänge. Ein durchgreifender<br />

Rechtsmangel sei daher erst dann begründet, wenn offen zu Tage liege, dass die Entscheidung über die Bildung<br />

der Hilfsstrafkammer und/oder die damit verbundene Zuweisung von Geschäften an diese als objektiv willkürlich<br />

zu bewerten sei (vgl. Breidling in Löwe/Rosenberg aaO § 21 e GVG Rdn. 45).<br />

b) Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Be-schluss vom 16. Februar 2005 (NJW 2005, 2689,<br />

2690) ausgeführt, dass es bei der Prüfung, ob in einem bestimmten Verfahren dem grundrechtsgleichen An-spruch<br />

des Betroffenen auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters genügt worden sei, zwar die Auslegung und Anwendung<br />

von Zuständigkeitsnormen grundsätzlich nur beanstande, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz<br />

bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erschienen und offensichtlich unhaltbar - mithin willkürlich<br />

- seien. Jedoch sei dies anders, wenn nicht die fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregel (etwa<br />

eines Geschäftsverteilungsplans oder der Voraussetzungen des § 21 e Abs. 3 GVG) durch das Gericht, sondern<br />

die Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Geschäftsverteilungsplan, die der Rechtsanwendung zugrunde liege,<br />

betroffen sei. An die verfassungsrechtliche Überprüfung der Umverteilung von bereits anhängigen Verfahren durch<br />

das Präsidium müsse vielmehr ein Kontrollmaß-stab angelegt werden, der über eine reine Willkürprüfung hinausgehe<br />

und in den Fällen der nachträglichen Zuständigkeitsänderung jede Rechtswidrigkeit einer solchen durch das Präsidium<br />

getroffenen Regelung im Geschäftsvertei-lungsplan erfasse.<br />

c) Es liegt auf der Hand, dass der Maßstab der Fachgerichte bei der Prü-fung der Rechtmäßigkeit einer Änderung der<br />

Geschäftsverteilung nach § 21 e Abs. 3 GVG und hier damit derjenige des Senats bei der revisionsrechtlichen Beurteilung<br />

der Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3 a sowie der Umverteilung von Strafverfahren an diese aufgrund der<br />

Besetzungsrüge kein abweichender sein kann. Denn ansonsten fände die Überprüfung der Präsidiumsentscheidung<br />

nach den verfassungsrechtlich vorgegebenen Beurteilungskriterien erst in ei-nem vom Angeklagten eventuell angestrengten<br />

Verfassungsbeschwerdeverfah-ren statt. An dem eingeschränkten Maßstab einer reinen Willkürprüfung<br />

kann daher insoweit nicht festgehalten werden.<br />

Dies wirkt jedoch zurück auf die Anforderungen an den Inhalt der Doku-mentation eines Präsidiumsbeschlusses über<br />

die Errichtung einer Hilfsstraf-kammer und die Übertragung (auch) bereits anderweitig anhängiger Sachen auf diese.<br />

Der Beschluss muss so detailliert begründet sein, dass eine Prüfung sei-ner Rechtmäßigkeit nach den aufgezeigten<br />

verfassungsrechtlichen Maßstäben möglich ist (s. näher BVerfG NJW 2005, 2689, 2690 f.).<br />

d) Diese Dokumentation muss im erforderlichen Umfang grundsätzlich schon <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Präsidiumsentscheidung<br />

vorliegen. Denn sie dient nicht nur der notwendigen Unterrichtung der Präsidiumsmitglieder über die<br />

Gründe für die geplante Änderung des Geschäftsverteilungsplans, sondern bil-det für diese auch die erforderliche<br />

umfassende Entscheidungsgrundlage. Die Ermittlung und Niederlegung aller bedeutsamen Umstände zu diesem<br />

Zeitpunkt stellt sicher, dass die Entscheidung des Präsidiums auf dem aktuellen Stand der Belastungssituation der<br />

ordentlichen Strafkammer und der übrigen bedeut-samen Umstände beruht. Ferner ist die Dokumentation der Gründe<br />

der Umver-teilung von Verfahren zu diesem Zeitpunkt am besten geeignet, gegenüber al-len Verfahrensbeteiligten<br />

dem "Anschein der Willkürlichkeit" entgegenzuwirken. Schließlich können die zur Erhebung des Besetzungseinwands<br />

nach § 222 b Abs. 1 StPO Berechtigten nur bei Vorliegen der Änderungsgründe auf tragfähi-ger sachlicher<br />

Grundlage sowie rechtzeitig entscheiden, ob die Besetzung des erkennenden Gerichts ordnungsgemäß ist oder ob es<br />

Umstände gibt, die einen Besetzungseinwand rechtfertigen (s. näher unten 4. a)).<br />

e) Die Dokumentation der Änderungs- und Umverteilungsgründe muss jedenfalls spätestens in dem Zeitpunkt vorhanden<br />

sein, in dem in einer der in die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer fallenden Sachen über einen (zulässig<br />

erhobenen) Besetzungseinwand nach § 222 b Abs. 2 StPO sachlich zu ent-scheiden ist. Unabhängig davon, dass bei<br />

Fehlen einer Begründung der Ände-rung <strong>zum</strong> Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses eine verlässliche Rekonstrukti-on<br />

der tatsächlichen Gründe für die Errichtung der Hilfsstrafkammer mit zuneh-mendem Zeitablauf immer schwieriger<br />

wird, ergibt sich dies aus dem Sinn und Zweck der für die erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht und<br />

Ober-landesgericht bestehenden Rügepräklusion; denn mit den durch das Strafver-fahrensänderungsgesetz 1979 vom<br />

5. Oktober 1978 (BGBl I S. 1645) einge-führten Präklusionsvorschriften der § 222 b Abs. 1, § 338 Nr. 1 StPO wollte<br />

der Gesetzgeber erreichen, dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfah-rensstadium erkannt und geheilt<br />

werden, um zu vermeiden, dass ein mögli-cherweise mit großem justiziellem Aufwand zustande gekommenes Urteil<br />

allein wegen eines derartigen Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben und in der Folge die gesamte<br />

Hauptverhandlung - mit erheblichen Mehrbelas-tungen sowohl für die Strafjustiz als auch für den Angeklagten -<br />

wiederholt wer-den muss (vgl. BGH NJW 2003, 2545, 2546 unter Hinweis auf die Begründung des Entwurfs<br />

419


BTDrucks. 8/976 S. 25 ff.). Deshalb wurde ein Zwischenverfahren über die gegen die Besetzung erhobenen Beanstandungen<br />

geschaffen, um der Gefahr einer Ausuferung der Besetzungsrügen entgegenzuwirken und sie auf das<br />

verfassungsrechtlich gebotene Maß zurückzuführen (vgl. Kissel/Mayer aaO § 16 Rdn. 60; Schlüchter in SK-StPO §<br />

222 b Rdn. 1). Soll dieses Zwischenver-fahren effektiv sein und seinen vom Gesetzgeber bestimmten Sinn und<br />

Zweck erfüllen, bereits zu Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und nicht erst in der Revisionsinstanz zu<br />

klären, ob das erkennende Gericht vorschrifts-mäßig besetzt ist, so müssen die Rügeberechtigten, die hinsichtlich des<br />

Ein-wands besonderen Begründungspflichten unterworfen sind, wie auch das nach § 222 b Abs. 2 StPO über den<br />

Einwand entscheidende Gericht in der Lage sein, anhand der maßgeblichen Tatsachen zu beurteilen, ob Besetzungsmängel<br />

vor-handen sind (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg aaO § 222 b Rdn. 25).<br />

All dies erfordert im Falle der Änderung der Geschäftsverteilung wegen Überlastung eines Spruchkörpers im Sinne<br />

des § 21 e Abs. 3 StPO, insbeson-dere bei Umverteilung (auch) bereits anhängiger Verfahren eine Begründung der<br />

Anordnung zugleich mit dem maßgeblichen Beschluss des Präsidiums. Et-waige Begründungsmängel können spätestens<br />

bis zur Entscheidung über einen erhobenen Besetzungseinwand gemäß § 222 b StPO behoben werden, sofern<br />

der zunächst einer umfassenden Begründung ermangelnde Änderungsbe-schluss des Präsidiums durch eine ausführliche,<br />

alle Gründe für die Umvertei-lung dokumentierende Begründung in einem ergänzenden Beschluss des Präsidiums<br />

bestätigt wird, so dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt ei-nen berechtigten Anlass zu der Annahme<br />

hatte, die Gerichtszuständigkeit sei zu seinen Lasten manipuliert worden (vgl. BVerfG, Beschl. vom 18. März<br />

<strong>2009</strong> - 2 BvR 229/09).<br />

Daran gemessen war die vom Präsidenten des Landgerichts in seinem Schreiben an den Verteidiger vom 8. Februar<br />

2007 vor Beginn der Hauptver-handlung erteilte Auskunft zwar noch rechtzeitig; indes war sie nach ihrem sachlichen<br />

Gehalt nicht geeignet, die Prüfung der Änderung der Geschäftsver-teilung nachträglich zu ermöglichen. Das<br />

Schreiben enthielt lediglich die Be-hauptung einer - nur innerhalb der Justiz bekannten - Überlastung der Strafkammer<br />

3 <strong>zum</strong> Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses, belegte diese jedoch nicht mit Tatsachen. Gleiches gilt für die<br />

Mitteilung des Landgerichtspräsiden-ten, dass er vor der Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3 a mit dem Vorsitzenden<br />

und dem stellvertretenden Vorsitzenden der ordentlichen Strafkammer 3 Ge-spräche geführt habe, in denen die Überlastung<br />

der Kammer nochmals darge-legt und erörtert worden sei. Die erforderliche Dokumentation der Gründe des<br />

Präsidiumsbeschlusses wurde somit auch nicht rechtzeitig nachgeholt.<br />

4. Aus all dem folgt für die Entscheidung über die Besetzungsrüge:<br />

a) Da der Angeklagte mit seinem in der Hauptverhandlung rechtzeitig er-hobenen Besetzungseinwand alle Tatsachen<br />

vorgebracht hat, die ihm zu den Hintergründen der Errichtung der Hilfsstrafkammer 3 a zugänglich waren, hat er die<br />

ihm gemäß § 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO insoweit obliegende Vortragslast erfüllt und ist daher mit der Besetzungsrüge<br />

nicht nach § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO präkludiert. Weiteres musste er nicht darlegen; insbesondere war er mangels<br />

jeder Dokumentation der für die "Anordnung (1/2007)" maßgeblichen Gründe nicht gehalten, seinerseits die Tatsachen<br />

vorzutragen, die die Hilfs-strafkammer benötigte, um die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung und damit ihre<br />

eigene Zuständigkeit sowie die Berechtigung des Besetzungseinwands in-haltlich prüfen zu können.<br />

Das auf den Besetzungseinwand in den erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten<br />

eröffnete Zwischenverfahren dient dazu, die Prüfung und Beanstandung der Gerichtsbesetzung auf den von § 222 b<br />

Abs. 1 Satz 1 StPO beschriebenen Zeitpunkt vorzuverlegen, damit ein Fehler rechtzeitig aufgedeckt und gegebenenfalls<br />

geheilt wird. Damit wird auch dem Recht des Angeklagten, sich nur vor seinem gesetzlichen Richter verantworten<br />

zu müssen, besser Rechnung getragen, als wenn er darauf verwiesen würde, dieses Recht erst mit der Revision<br />

geltend zu machen. Ist jedoch der Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung zur Wahrung der entsprechenden<br />

Revisionsrüge zu Beginn der Hauptverhandlung zu erheben, so muss rechtlich und faktisch auch die Möglichkeit zur<br />

Prüfung der Besetzung vor der Verhand-lung bestehen, da andernfalls die Rechte der Prozessbeteiligten und insbeson-dere<br />

des Angeklagten in nicht hinnehmbarer Weise verkürzt würden. Ihm ist daher - jedenfalls auf sein Verlangen<br />

- die insoweit erforderliche Tatsachen-kenntnis zu verschaffen, nicht etwa muss er diese Tatsachen selbst ermitteln.<br />

Denn aus dem Grundsatz einer rechtsstaatlichen, fairen Verfahrensführung folgt, dass ihm eine effektive Überprüfung<br />

der Besetzung ermöglicht werden muss, und dass die Präklusionswirkung des nicht vollständig erhobenen<br />

Ein-wandes für das Revisionsverfahren nur so weit reichen darf, wie diese Möglich-keit gewährt worden ist. Hieraus<br />

ergibt sich, dass in den in Betracht kommen-den Fällen eine Pflicht zur Mitteilung der Gerichtsbesetzung und zur<br />

Information über die hierfür maßgebenden Gründe besteht sowie ein ausreichend bemes-sener Zeitraum gewährt<br />

werden muss (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs BTDrucks. 8/976 S. 26).<br />

Da hier die Gründe, die für die Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3 a be-stimmend waren, nicht dokumentiert worden<br />

sind, war es dem Angeklagten unmöglich, die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des erkennenden Gerichts auch<br />

nur im Ansatz zu überprüfen. Damit konnte er nicht beurteilen, ob ein Be-setzungseinwand berechtigt war oder für<br />

420


seine Erhebung kein Anlass bestand. Demgemäß war er entweder darauf verwiesen, die Wahrung seines Rechts auf<br />

den gesetzlichen Richter in der ersten Instanz ungeprüft zu lassen - was die Präklusion seiner erst im Revisionsverfahren<br />

geltend gemachten Besetzungs-rüge zur Folge gehabt hätte - oder den Besetzungseinwand - wie geschehen -<br />

vorsorglich und "ins Blaue hinein" zu erheben. Zwar war er dabei nicht in der Lage, diesen Einwand in der vorgeschriebenen<br />

Art und Weise zu begründen; denn hierzu hätte er die Fehlerhaftigkeit der Besetzung substantiiert behaupten,<br />

also anhand von Tatsachen schlüssig darlegen (§ 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO), sowie alle Beanstandungen<br />

gleichzeitig vorbringen müssen (§ 222 b Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. Gollwitzer aaO § 222 b Rdn. 17, 18; Schlüchter<br />

aaO § 222 a Rdn. 1). Dies kann jedoch aus den dargelegten Gründen nicht zu seinen Lasten gehen. Da ihm keine<br />

Dokumentation über die Gründe für die Änderung der Ge-schäftsverteilung zur Verfügung stand, durfte er sich zur<br />

Begründung des Be-setzungseinwands daher auf die Beanstandung beschränken, dass mangels vorhandener Unterlagen<br />

nicht nachzuvollziehen sei, aufgrund welcher Tatsa-chen das Präsidium die Hilfsstrafkammer eingerichtet hat.<br />

Das aus § 222 a Abs. 3 StPO folgende Recht auf Einsicht in die Besetzungsunterlagen änderte hieran nichts, weil es -<br />

worauf der Präsident in seinem Schreiben an den Verteidiger hingewiesen hatte - eine Niederlegung der Gründe für<br />

die Umverteilung der Geschäfte nicht gab.<br />

Demgegenüber kann vom Angeklagten nicht verlangt werden, dass er über die eingeholten Mitteilungen der Justizverwaltung<br />

hinaus selbst ermitteln müsse, ob die Errichtung einer Hilfsstrafkammer und die Zuweisung der Geschäfte<br />

an diese ordnungsgemäß waren. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - jede Dokumentation zu der entsprechenden<br />

Entscheidung des Präsidiums fehlt. Denn dies würde bedeuten, dass dem Angeklagten die Pflicht auferlegt<br />

würde, selbst die gesamte Belastungssituation der ordentlichen Strafkammer in allen Einzelheiten zu erforschen<br />

und die insoweit maßgeblichen Tatsachen festzustellen. Dies wäre - falls es überhaupt gelingen könnte - mit einem<br />

enor-men Aufwand verbunden und würde etwa auch die Einsicht in verfahrensfrem-de Akten sowie alle sonstige<br />

interne Unterlagen der als überlastet angesehenen Strafkammer, wie <strong>zum</strong> Beispiel Verhandlungskalender und Terminierungspläne<br />

erfordern. Solch umfangreiche Ermittlungen sind einem Angeklagten - <strong>zum</strong>al innerhalb der regelmäßig<br />

kurzen Zeit zwischen der Mitteilung der Gerichtsbe-setzung und dem Beginn der Hauptverhandlung sowie ungeachtet<br />

der Frage, ob entsprechende Einsichtsrechte überhaupt bestünden - jedenfalls nicht zu-<strong>zum</strong>uten und in der<br />

Regel tatsächlich auch gar nicht möglich. Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn eine Begründung der Änderung der<br />

Geschäftsverteilung vorliegt und zusätzlich nur wenige einzelne Umstände ermittelt und vorgetragen werden müssen<br />

(vgl. BGHSt 44, 161, 163 f.), braucht hier nicht entschieden zu werden.<br />

b) Für die aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgende Vortragslast des An-geklagten zur Begründung der Besetzungsrüge<br />

in der Revision gilt das Ent-sprechende. Ist eine Dokumentation der Gründe für die Änderung der Geschäftsverteilung<br />

nicht vorhanden und hat der Angeklagte auf seinen Beset-zungseinwand keine weitergehenden<br />

Informationen erhalten, so kann er auch die im Revisionsverfahren erhobene (nicht präkludierte) Besetzungsrüge nur<br />

ebenso pauschal ausführen, wie seinen Besetzungseinwand. Vom Angeklagten zu verlangen, dass er für das Revisionsverfahren<br />

darüber hinaus alle Tatsa-chen ermitteln (und vortragen) müsse, die eine nicht ordnungsgemäße Besetzung<br />

der Hilfsstrafkammer belegen, würde die aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgenden Pflichten überspannen (vgl.<br />

BVerfG StV 2006, 57; StraFo 2005, 512 m. w. N.; Beschl. vom 10. März <strong>2009</strong> - 2 BvR 49/09).<br />

c) Die vom Senat zu den Gründen der Errichtung der Hilfsstrafkammer eingeholten dienstlichen Stellungnahmen des<br />

Präsidenten des Landgerichts und des damaligen Vorsitzenden der ordentlichen Strafkammer 3 können nicht herangezogen<br />

werden, um die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts nachträglich zu belegen. Denn aus<br />

dem dargelegten Sinn und Zweck der Rügepräklusion nach § 222 b Abs. 1, § 338 Nr. 1 StPO folgt, dass jedenfalls<br />

dann, wenn jede Dokumentation der Gründe für die Errichtung einer Hilfsstraf-kammer und die Übertragung bereits<br />

anderweit anhängiger Verfahren in deren Zuständigkeit unterblieben ist, ein Nachschieben von Gründen nach der<br />

Ent-scheidung über den Besetzungseinwand unbeachtlich ist und insbesondere ei-ner mit der Revision erhobenen<br />

Besetzungsrüge nicht mehr den Boden entzie-hen kann. Vielmehr greift diese ohne weiteres durch. Denn in diesem<br />

Fall muss auch der im Revisionsverfahren herrschende Grundsatz zurückstehen, dass nur ein bewiesener Verfahrensmangel<br />

zur Aufhebung eines Urteils führen kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 337 Rdn. 10). Hierzu<br />

gilt:<br />

Im Allgemeinen sind die zu einer Besetzungsrüge vorgebrachten Tatsa-chenbehauptungen, die nicht durch den Inhalt<br />

des Protokolls bewiesen werden können (§ 274 StPO), zwar der Überprüfung durch das Revisionsgericht im Wege<br />

des Freibeweises zugänglich (vgl. Sarstedt/Hamm, Die Revision in Straf-sachen, 6. Aufl. Rdn. 295 ff., 298). Eine<br />

abweichende Beurteilung ist aber dann geboten, wenn im Revisionsverfahren erstmals die auch dem Revisionsführer<br />

bisher unbekannten Tatsachen in vollem Umfang ermittelt werden müssten, die für die Beurteilung der Zuständigkeit<br />

des erstinstanzlich erkennenden Spruch-körpers maßgeblich sind, und dadurch der Regelungszweck der § 222 b Abs.<br />

1, § 338 Nr. 1 StPO konterkariert würde. Hierfür ist auch von Belang, dass das Revisionsverfahren zur Ermittlung<br />

421


der Hintergründe der regelmäßig schon län-ger zurückliegenden Präsidiumsentscheidungen denkbar ungeeignet ist,<br />

weil eine exakte Aufklärung der entsprechenden Umstände wegen des erheblichen Zeitablaufs kaum geleistet werden<br />

kann. Aus diesem Grund könnten die Durch-führung des Freibeweisverfahrens und die Heranziehung seiner Erkenntnisse<br />

im Übrigen darauf hinauslaufen, dass sich die Nachlässigkeit des Präsidiums im Ergebnis zu Lasten des<br />

Beschwerdeführers auswirkt. Denn führten die freibe-weislichen Erhebungen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis,<br />

so bliebe der ge-rügte Besetzungsmangel unbewiesen mit der Folge, dass - verfassungsrecht-lich unbedenklich - von<br />

einer ordnungsgemäßen Besetzung auszugehen wäre (vgl. Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn. 12). Danach ist es im<br />

vorliegenden Fall letztlich ohne Belang, ob die Besetzung des erkennenden Gerichts tatsächlich nicht vorschriftsmäßig<br />

im Sinne von § 338 Nr. 1 StPO war. Der Senat weist da-her nur ergänzend darauf hin, dass auch der Inhalt der<br />

von ihm eingeholten dienstlichen Erklärungen nach den aufgezeigten Maßstäben die Rechtmäßigkeit der "Anordnung<br />

(1/2007)" zur Errichtung der Hilfsstrafkammer und Umvertei-lung von Strafverfahren nicht belegt.<br />

Ob das Freibeweisverfahren in der Revision durchzuführen ist und da-durch erlangte Erkenntnisse heranzuziehen<br />

sind, wenn eine vorhandene Do-kumentation nur punktuell zu ergänzen ist (vgl. BGHSt 44, 161), kann der Senat<br />

wiederum offen lassen.<br />

d) Die Sache bedarf somit neuer Verhandlung und Entscheidung.<br />

GVG § 21e – g, 192 GVG, § 338 Nr. 1 StPO Besetzung nach Neufassung des § 23g GVG<br />

BGH, Beschl. v. 08.01.<strong>2009</strong> – 5 StR 537/08 - NJW <strong>2009</strong>, 931<br />

LS: 1. Die Bestimmung des Vorsitzenden einer großen Strafkammer ist auch nach der Neufassung<br />

des § 21g GVG Teil der vorschriftsmäßigen Besetzung im Sinne des § 338 Nr. 1 StPO.<br />

2. Zur Ersetzung des ausgeschiedenen Strafkammervorsitzenden durch den <strong>zum</strong> Ergänzungsrichter<br />

bestellten neuen Vorsitzenden in einer laufenden Hauptverhandlung.<br />

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-richts Göttingen vom 3. Juli 2008 wird nach § 349 Abs.<br />

2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in vier Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe<br />

verurteilt und die beson-dere Schwere der Schuld festgestellt. Die dagegen mit einer Befangenheits-rüge (§<br />

338 Nr. 3 StPO) und der Sachrüge geführte Revision ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

vom 3. Dezem-ber 2008 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Ebenfalls unbegrün-det ist die Verfahrensrüge,<br />

die Schwurgerichtskammer sei nicht vorschrifts-mäßig besetzt gewesen.<br />

1. Der Rüge liegt Folgendes zugrunde:<br />

a) Der mit Ablauf des 30. April 2008 in den Ruhestand getretene Vorsitzende Richter am Landgericht F. hatte für<br />

die am 19. Februar 2008 beginnende Hauptverhandlung die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters angeordnet. Das<br />

Präsidium hat bestimmt, dass Vorsitzender Richter am Landgericht A. als Ergänzungsrichter mitzuwirken<br />

habe. Diesen Rich-ter bestellte das Präsidium am 23. April 2008 mit Wirkung vom 1. Mai 2008 <strong>zum</strong> Vorsitzenden<br />

dieser Schwurgerichtskammer als Nachfolger des Vorsit-zenden Richters am Landgericht F. .<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht A. übernahm in der ers-ten Sitzung nach dem Ausscheiden des bisherigen<br />

Vorsitzenden den Vorsitz und führte das Verfahren bis zur Urteilsverkündung. Zum ständigen Vertreter des<br />

Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer war Richter am Landgericht S. bestimmt, der in dieser Sache als<br />

Berichterstatter tätig gewesen ist.<br />

b) Die Revision macht geltend, die Schwurgerichtskammer sei in der Person des Vorsitzenden Richters am Landgericht<br />

A. vom 19. bis 27. Verhandlungstag nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil dieser Richter als<br />

nachrückender Ergänzungsrichter ohne gerichtsverfassungsrecht-liche Legitimation den Vorsitz in der Hauptverhandlung<br />

geführt habe. Den Vorsitz hätte der ständige Vertreter des Strafkammervorsitzenden, Richter am Landgericht<br />

S. führen müssen.<br />

2. Die Rüge ist – im Gegensatz zur Auffassung des Generalbundes-anwalts – als Besetzungsrüge gemäß § 338 Nr. 1<br />

StPO statthaft. Sie richtet sich zwar nicht gegen die Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landge-richt A. als<br />

Mitglied der Schwurgerichtskammer, sondern macht gel-tend, aus dem Kreis der vorschriftsmäßig berufenen Richter<br />

422


hätte ein ande-rer Richter den Vorsitz führen müssen. Indes ist auch die Bestimmung des Vorsitzenden Teil der vorschriftsmäßigen<br />

Besetzung im Sinn des § 338 Nr. 1 StPO.<br />

a) Diese Auffassung liegt der älteren Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs – wie selbstverständlich – zugrunde<br />

(vgl. BGHSt 21, 40, 43; 108, 111; 131, 133; 25, 54, 55). Als ausschlaggebend hierfür ist die normativ fest-gelegte<br />

herausgehobene Stellung des Vorsitzenden betrachtet worden, die es zu wahren gelte und die der 1. Strafsenat in<br />

BGHSt 25, 54, 55 f. wie folgt begründet und bewertet hat: „Nach § 62 Abs. 1 GVG (jetzt § 21f GVG) führt den<br />

Vorsitz in der Strafkammer der Vorsitzende Richter. Sinn und Zweck dieser Vorschrift liegt darin, dass diese Stelle<br />

ein qualifizierter Richter inne-haben soll. Zahlreiche Vorschriften von unterschiedlichem Gewicht (§§ 142 Abs. 1,<br />

147 Abs. 5, 213 StPO, § 69 a.F., § 21 n.F. GVG, § 238 Abs. 1 StPO, §§ 194 Abs. 1, 176 GVG) kennzeichnen äußerlich<br />

seine Stellung und geben den Rahmen für die besonderen Aufgaben, die der Vorsitz mit sich bringt (vgl. hierzu<br />

auch Sarstedt, Juristen-Jahrbuch 8, 104 ff.): Die alsbaldige gründliche und zügige Durchführung der Hauptverhandlung,<br />

die im Interesse der Verfahrensbeteiligten und der Allgemeinheit liegt; die Beachtung der Pro-zessvorschriften<br />

zur Gewährleistung eines ‚fair trial’; die allseitige Aufklärung des Sachverhalts und der Schutz des Angeklagten. All<br />

dies ist zunächst in die Hand des Vorsitzenden gelegt. Voraussetzungen dafür sind ein oft um-fangreiches Aktenstudium<br />

und die Überwindung organisatorischer Schwie-rigkeiten, wie sie die Gewinnung von geeigneten Sachverständigen<br />

und die zeitliche Koordinierung in einem durchdachten Verhandlungsplan darstellt (vgl. dazu auch DRiZ<br />

1972, 42, 47). Schließlich obliegt es in erster Linie dem Vorsitzenden, bei wechselnder Zusammensetzung der<br />

Kammer, insbesonde-re beim Hinzutreten jüngerer richterlicher Mitglieder, Güte und Stetigkeit ihrer Rechtsprechung<br />

und damit letztlich die Rechtssicherheit in besonderem Ma-ße zu gewährleisten (vgl. BGHSt 2, 71, 73; 21,<br />

131, 133; BGHZ 37, 210, 212; 49, 64, 66).“<br />

b) Diese Rechtsauffassung ist auch angesichts geänderter Gesetzes-lage heute uneingeschränkt zutreffend (vgl. Diemer<br />

in KK StPO 6. Aufl. GVG § 21e Rdn. 4; § 21f Rdn. 1; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. GVG § 21f Rdn. 3).<br />

Zwar obliegt es nach der Neufassung des § 21g GVG durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit<br />

der Richter und Gerich-te vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2598, 2599) nicht mehr dem Vorsit-zenden, sondern<br />

allen dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichtern, die Geschäfte innerhalb überbesetzter Spruchkörper zu<br />

verteilen. Dabei muss der Beschluss über die Geschäftsverteilung hinreichend erkennen lassen, dass die Strafkammer<br />

und nicht der Vorsitzende das maßgebliche Kriterium für die richterliche Zuständigkeit festgelegt hat (BVerfG –<br />

Kammer – NJW 2005, 2540, 2541). Im Blick auf die Rechtsfindung im einzelnen Verfah-ren betrifft diese Verringerung<br />

der Entscheidungskompetenz des Vorsitzen-den aber nur partiell dessen Vorbereitung und lässt den normativ<br />

begründe-ten richtungweisenden Einfluss des Vorsitzenden auf die Rechtsprechung unberührt (vgl. Breidling in<br />

Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 21f GVG Rdn. 3; Meyer-Goßner aaO § 21f Rdn. 2; vgl. auch Diemer aaO § 21f<br />

Rdn. 2). Dem entspricht, dass die Bestellung eines Berichterstatters zur Stei-gerung der Effizienz des Spruchkörpers<br />

weiter dem Vorsitzenden vorbehal-ten werden kann (vgl. BGHZ [VGS] 126, 63, 79; Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. §<br />

21g Rdn. 41; Meyer-Goßner aaO § 21g Rdn. 2; Diemer aaO § 21g Rdn. 2) und die Vorschrift des § 21f Abs. 2 GVG<br />

sogar betreffend die Vertretung des Vorsitzenden für das gesamte Geschäftsjahr die Bestimmung eines für diese<br />

Aufgabe am besten geeigneten Richters durch das Präsidium verlangt (vgl. Breidling aaO § 21f GVG Rdn. 17; Velten<br />

in SK StPO 49. Lfg. § 21f GVG Rdn. 4; Meyer-Goßner aaO § 21f Rdn. 9).<br />

c) Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird nach der Neufassung des § 21g GVG am Gedanken<br />

des richtunggebenden Einflusses des Vorsitzenden festgehalten (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2004, 3482,<br />

3483). Es ist lediglich offen geblieben, ob er dem einfachen Recht zuzuordnen oder ob er gar verfassungsrechtlich<br />

verankert ist (BVerfG aaO).<br />

3. Der Senat lässt offen, ob die Besetzungsrüge zulässig erhoben ist. Der Verteidiger hat weder zu Beginn der<br />

Hauptverhandlung nach Bekannt-gabe der Besetzung einschließlich der Ergänzungsrichterbestellung noch nach<br />

Übernahme des Vorsitzes durch den eintretenden Ergänzungsrichter einen Einwand erhoben, der zu diesem Zeitpunkt<br />

zu einer sinnvollen sachli-chen Prüfung durch das erkennende Gericht und damit möglicherweise zu einer<br />

Vermeidung einer Verfahrensrüge hätte führen können (vgl. BGHSt 51, 144, 147 f.; vgl. Meyer-Goßner, StPO 51.<br />

Aufl. § 238 Rdn. 10).<br />

Zwar ist nach bisherigem Verständnis die Präklusionsregelung des § 222b StPO i.V.m. § 338 Nr. 1 StPO auf Besetzungsfehler<br />

nicht anwendbar, die – wie hier von der Revision geltend gemacht – erst im Laufe der Hauptverhandlung<br />

eingetreten sind (BGHSt 44, 361, 364 m.w.N.; BGH StraFo 2005, 162, 163). Der Senat lässt indes<br />

offen, ob hieran festzuhalten ist (entsprechend BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 1 StR 322/08, zur Veröffentlichung<br />

in BGHSt bestimmt; vgl. auch BGHR StPO § 222b Abs. 2 Satz 3 Besetzungsänderung 1) oder ob etwa in<br />

der vorliegenden Fall-gestaltung – wie der Generalbundesanwalt meint – eine erweiternde Auffas-sung <strong>zum</strong> Anwen-<br />

423


dungsbereich von § 238 Abs. 2 StPO mangels Beanstan-dung <strong>zum</strong> Rügeverlust führen könnte (vgl. Schneider in KK<br />

6. Aufl. § 238 Rdn. 28 ff.).<br />

4. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Die Schwurgerichtskammer war mit Vorsitzendem Richter am Landgericht<br />

A. als Vorsitzendem vorschriftsmäßig besetzt.<br />

Nach dem Übertritt des bisherigen Vorsitzenden der Schwurgerichts-kammer in den Ruhestand war das Präsidium<br />

des Landgerichts gemäß § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG berechtigt und verpflichtet, den ausgeschiedenen Vorsitzenden<br />

während des Geschäftsjahres im Wege eines Wechsels im Sinne dieser Vorschrift zu ersetzen. Die Nachfolgeregelung<br />

ist umfassend für die Schwurgerichtskammer erfolgt. Sie erfasst auch den Ausnahmefall einer begonnenen<br />

Hauptverhandlung, in welcher der neue Strafkammervorsitzen-de bislang als Ergänzungsrichter mitgewirkt hat. Sie<br />

ist gegenüber der <strong>zum</strong> Beginn des Geschäftsjahres gemäß § 21f Abs. 2 Satz 1 GVG getroffenen Vertreterregelung<br />

vorgreiflich (vgl. auch Meyer-Goßner aaO § 21f Rdn. 15).<br />

Wollte man jene Neuregelung auf Fälle einer bereits begonnenen Hauptverhandlung nicht anwenden, gälte nichts<br />

anderes. Denn mit der Be-stellung eines Vorsitzenden Richters <strong>zum</strong> Ergänzungsrichter, <strong>zum</strong>al desjeni-gen, der später<br />

als Nachfolger des zunächst amtierenden Vorsitzenden beru-fen wurde – was ausdrücklich im Blick auf dessen bevorstehende<br />

Pensionie-rung und seine deshalb drohende dauernde Verhinderung erfolgt ist (Revisi-onsbegründung<br />

Rechtsanwalt V. S. 9) – hat das Präsidium hier zu-gleich die Ersetzung des zunächst berufenen Strafkammervorsitzenden<br />

durch jenen Ergänzungsrichter für den Fall des Eintritts der drohenden dau-ernden Verhinderung des<br />

Vorsitzenden angeordnet. Diese im Sinne gebote-ner optimaler Verfahrensförderung sachgerechte Regelung (vgl.<br />

BGHSt 21, 108, 111 f.; 44, 161, 170; BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 5 StR 94/07) war mit dem Eintritt des<br />

Ergänzungsrichters in den Vorsitz zu befolgen.<br />

GVG § 21f Abs. 1; GVG § 192; DRiG § 37; § 27 Abs. 2; AO § 180 Vorsitzende an zwei Gerichten ?<br />

BGH, Beschl. v. 10.12. 2008 - 1 StR 322/08 - NJW <strong>2009</strong>, 381<br />

LS: 1. Die Teilabordnung eines (Vorsitzenden) Richters am Oberlandesgericht an ein Landgericht<br />

ist nach § 37 DRiG zulässig. § 27 Abs. 2 DRiG steht dem weder unmittelbar noch in analoger Anwendung<br />

entgegen.<br />

2. Vorsitzender eines Spruchkörpers bei einem Landgericht kann auch ein Vorsitzender Richter am<br />

Oberlandesgericht sein, der an das Landgericht (rück-)abgeordnet wurde.<br />

3. Scheidet ein Richter aus einem Spruchkörper aufgrund der Übertragung eines Richteramtes bei<br />

einem anderen Gericht aus, ist ein Verhinde-rungsfall i.S.v. § 192 Abs. 2 GVG nicht gegeben, wenn<br />

die Hauptver-handlung, die unter Beteiligung des Richters begonnen wurde, aufgrund einer Rückabordnung<br />

nach § 37 DRiG innerhalb der Fristen des § 229 StPO in der ursprünglichen Besetzung<br />

der Richterbank fortgesetzt wer-den kann.<br />

4. Die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO kann einen<br />

nicht gerechtfertigten Steuervorteil im Sinne von § 370 Abs. 1 AO darstellen.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-richts München I vom 13. November 2007 werden als<br />

unbegrün-det verworfen.<br />

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten S. und G. wegen Steu-erhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von sechs Jahren bzw. zwei Jahren verurteilt, wobei die Vollstreckung der gegen den Angeklagten<br />

G. verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten<br />

die Verletzung formellen und sachli-chen Rechts. Die Rechtsmittel sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der nä-heren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:<br />

I.<br />

Die Revisionen erheben inhaltlich identische Besetzungsrügen (§ 338 Nr. 1 StPO). Folgendes Geschehen liegt zu<br />

Grunde:<br />

Zwischen dem 31. Hauptverhandlungstag (14. August 2007) und dem 32. Hauptverhandlungstag (4. September<br />

2007) wurde die Vorsitzende Richte-rin der 4. Strafkammer durch das Bayerische Staatsministerium der Justiz unter<br />

424


dem Datum des 26. August 2007 mit Wirkung <strong>zum</strong> 1. September 2007 zur Vor-sitzenden Richterin am Oberlandesgericht<br />

München ernannt. Am 29. August 2007 verfügte der Vizepräsident des Oberlandesgerichts München im<br />

Einver-ständnis mit der Vorsitzenden Richterin deren Rückabordnung an das Landge-richt München I mit einem<br />

Viertel ihrer Arbeitskraft und mit Wirkung vom 1. September 2007 bis <strong>zum</strong> 31. Dezember 2007. Ebenfalls am 29.<br />

August 2007 beschloss das Präsidium des Landgerichts München I, dass der Vorsitzenden Richterin „im Umfang<br />

ihrer Abordnung und entsprechend dem angeordneten Zeitraum der Vorsitz der 4. Strafkammer übertragen“ wird.<br />

Dieser Sachverhalt wurde den Verfahrensbeteiligten zu Beginn der Fortsetzung der Hauptverhand-lung am 4. September<br />

2007 mitgeteilt. Einwendungen gegen die Besetzung des Gerichts wurden von keinem Verfahrensbeteiligten<br />

erhoben. Die Hauptverhand-lung wurde in der ursprünglichen Besetzung bis <strong>zum</strong> letzten Hauptverhand-lungstag<br />

fortgeführt. Dementsprechend trat der Ergänzungsrichter, der der Hauptverhandlung ab dem 1. Hauptverhandlungstag<br />

beigewohnt hatte (§ 192 Abs. 2 GVG), nicht in die Strafkammer ein.<br />

Auf dieser Grundlage beanstanden die Revisionen die Besetzung der Strafkammer seit dem 1. September 2007. Sie<br />

rügen die Verletzung von § 27 Abs. 2 und § 37 DRiG; § 21f Abs. 1 GVG und § 192 GVG.<br />

1. Der Senat kann offen lassen, ob ein Verfahrensbeteiligter, der eine solche Rückabordnung mit der Revision beanstanden<br />

will, nicht in entsprechen-der Anwendung von § 338 Nr. 1 Buchst. b und § 222b StPO gehalten ist, vor dem<br />

Landgericht unverzüglich nach dem Bekanntwerden der maßgeblichen Verfahrenstatsachen einen Besetzungseinwand<br />

zu erheben. Die Rüge ist je-denfalls unbegründet; denn die Rückabordnung der Vorsitzenden Richterin war<br />

nämlich - auch und gerade in dieser Funktion - gesetzlich zulässig, <strong>zum</strong>indest aber nicht willkürlich.<br />

a) Ein Verstoß gegen § 27 Abs. 2 und § 37 DRiG ist nicht gegeben.<br />

aa) Die Abordnung eines Richters, auch die eines (Vorsitzenden) Rich-ters am Oberlandesgericht an ein Landgericht,<br />

ist zulässig, wenn die in § 37 DRiG genannten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG 5. Aufl. §<br />

27 Rdn. 16). Dies ist hier der Fall. Die Zustimmung des Richters (§ 37 Abs. 1 DRiG) lag vor und die Abordnung war<br />

auf eine bestimmte Zeit ausge-sprochen (§ 37 Abs. 2 DRiG).<br />

bb) Unter den Voraussetzungen des § 37 DRiG ist auch die Teilabord-nung eines Richters zulässig. Sie ist gesetzlich<br />

nicht ausgeschlossen und wird auch nicht durch die Möglichkeit der Übertragung eines weiteren Richteramtes verdrängt<br />

(Schmidt-Räntsch, DRiG 5. Aufl. § 37 Rdn. 4c).<br />

cc) Demgegenüber macht die Revision vergeblich geltend, die vorliegen-de Teilabordnung verstoße gegen § 27 Abs.<br />

2 DRiG.<br />

(1) Diese Vorschrift sieht vor, dass eine Ämterkumulierung nur in den ge-setzlich vorgesehenen Fällen zulässig ist.<br />

In der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist dies lediglich in den Fällen von § 22 Abs. 2 GVG oder § 59 Abs. 2 GVG der<br />

Fall. Diese Vorschriften betreffen nur das Amtsgericht und das Landgericht. § 27 Abs. 2 DRiG soll - gemeinsam mit<br />

§ 27 Abs. 1 DRiG - im Interesse eines Richters auf Lebenszeit dessen in Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich<br />

garantiertes Recht auf Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit sicherstellen. Mit Ausnahme der Abordnung nach<br />

§ 37 DRiG darf kein Richter auf Lebenszeit bei einem Gericht richterliche Aufgaben wahrnehmen, ohne dass ihm<br />

ein Rich-teramt bei diesem Gericht übertragen ist. Anderenfalls wäre der Richter bei die-sem Gericht nicht in dem<br />

nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG erforderlichen Umfang geschützt (Schmidt-Räntsch, DRiG 5. Aufl. § 27 Rdn. 14).<br />

Eine Zustimmung des Richters zur Übertragung eines weiteren Richteramtes nach § 27 Abs. 2 DRiG i.V.m. § 22<br />

Abs. 2 resp. § 59 Abs. 2 GVG, die durch Verfügung der Lan-desjustizverwaltung erfolgt (BGHSt 24, 283), ist regelmäßig<br />

nicht erforderlich (Kissel/Mayer, GVG § 22 Rdn. 13; zu Ausnahmen vgl. BGHZ 67, 159).<br />

(2) Angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Abordnung einerseits und von Übertragung<br />

eines weiteren Richteramtes andererseits ist eine unmittelbare Anwendung des § 27 Abs. 2 DRiG auf Fälle<br />

der Teilabordnung nicht möglich. Auch eine analoge Anwendung des § 27 Abs. 2 DRiG ist in Fällen der Teilabordnung<br />

nicht geboten (a.A. Schmidt-Räntsch, DRiG 5. Aufl. § 37 Rdn. 4c). Es ist schon fraglich, ob überhaupt eine für<br />

eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke vorliegt. Es fehlt jedenfalls auf Grund des Zustimmungserfordernisses<br />

(§ 37 Abs. 1 DRiG) und der zeitlichen Begrenzung (§ 37 Abs. 2 DRiG) bei der Teilabordnung im Hinblick<br />

auf den Schutzzweck des § 27 Abs. 2 DRiG (vgl. oben [1] ) regelmäßig an einer vergleichbaren Interessenlage.<br />

Ob Besonderheiten des Einzelfalles aus-nahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, mag dahinstehen;<br />

derartige Besonderheiten liegen hier jedenfalls nicht vor.<br />

dd) Da nach alledem ein Verstoß gegen § 27 Abs. 2 und § 37 DRiG nicht gegeben ist, bedarf es im vorliegenden<br />

Fall keiner Entscheidung, ob ein solcher Verstoß überhaupt zu einer Verletzung des Grundsatzes des gesetzli-chen<br />

Richters und somit zu einer vorschriftswidrigen Besetzung des erkennen-den Gerichts im Sinne des § 338 Nr. 1 StPO<br />

führen könnte. Hiergegen könnte sprechen, dass die Fortführung des gegenständlichen Verfahrens in der ursprünglich<br />

besetzten Richterbank bei einer uneingeschränkten Rückabordnung möglich wäre. Die Wahrung des<br />

Grundsatzes des gesetzlichen Richters kann aber schwerlich davon abhängen, welche richterlichen Tätigkeiten der<br />

425


Richter außerhalb der in Rede stehenden Hauptverhandlung wahrnimmt und ob inso-weit die Rechte des Richters<br />

verletzt sind. Näher nachzugehen braucht der Se-nat dem unter den gegebenen Umständen nicht.<br />

b) Auch § 21f Abs. 1 GVG ist nicht verletzt. Nach dem Wortlaut der Vor-schrift ist nicht ausgeschlossen, dass der<br />

Vorsitz in einem Spruchkörper durch einen Vorsitzenden Richter eines anderen Gerichts, der zu diesem Zwecke abgeordnet<br />

wird, geführt werden kann. Die Revision (zuletzt Schriftsatz für den Angeklagten G. vom 17. November<br />

2008) meint demgegenüber unter Hinweis insbesondere auf BGHSt 31, 389; BVerwGE 106, 345; OLG<br />

Hamm StV 2004, 366, 367, dass ein abgeordneter Richter nicht ordentlicher Vorsitzender einer Kammer beim Landgericht<br />

sein könne. Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Die genannten Entscheidungen betreffen jeweils den Fall,<br />

dass der Rich-ter - bei Beginn der Hauptverhandlung - noch nicht das Amt eines Vorsitzenden dieses Spruchkörpers<br />

erreicht hatte. Diese Fallkonstellation ist mit der vorlie-genden nicht vergleichbar, in der der Richter während der<br />

Hauptverhandlung in ein höheres Richteramt befördert wurde. Danach wurde dem Sinn und Zweck des § 21f Abs. 1<br />

GVG, wonach sichergestellt werden soll, dass die hervorgeho-bene Stellung des Vorsitzenden durch entsprechend<br />

qualifizierte Richter aus-geübt wird (BGHSt 25, 54, 55), hier entsprochen.<br />

c) Ebenso liegt auch kein Verstoß gegen die Vorschrift des § 192 GVG vor. Aufgrund der Rückabordnung war ein<br />

Verhinderungsfall, der den Eintritt des bestellten Ergänzungsrichters erfordert hätte, nicht gegeben.<br />

aa) Die Anordnung der Zuziehung eines Ergänzungsrichters nach § 192 GVG dient der Sicherstellung der Durchführung<br />

einer Hauptverhandlung, na-mentlich im Hinblick auf den Grundsatz der Verhandlungseinheit (§ 226 StPO)<br />

und die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO. Die Vorschrift des § 192 GVG bezieht sich mithin auf die konkrete<br />

Hauptverhandlung, für deren Sicherstellung die Zuziehung des Ergänzungsrichters angeordnet wurde.<br />

bb) Dementsprechend ist eine Verhinderung im Sinne von § 192 Abs. 2 GVG gegeben, wenn die weitere Mitwirkung<br />

eines Richters nur durch die Ver-letzung von Verfahrensvorschriften, namentlich des § 229 StPO, ermöglicht werden<br />

könnte (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 192 GVG Rdn. 7). Ist ein Richter demgegenüber lediglich an einzelnen<br />

Tagen nicht in der Lage, an dem Verfahren weiter mitzuwirken, kann es aber später mit ihm ordnungsgemäß<br />

fortgeführt werden, dann begründet diese zeitweise Verhinderung nicht not-wendig den Vertretungsfall (BGH NStZ<br />

1986, 518, 519). Demnach war vorlie-gend durch die Möglichkeit der Rückabordnung der Vorsitzenden Richterin<br />

die Fortführung der Hauptverhandlung in der ursprünglichen Besetzung des Ge-richts innerhalb der Fristen des §<br />

229 StPO sichergestellt. Ein Verhinderungs-fall im Sinne des § 192 GVG war somit nicht gegeben.<br />

d) Unabhängig von alledem hätte eine Rüge gemäß § 338 Nr. 1 StPO nur Erfolg, wenn der in Rede stehenden Besetzung<br />

eine willkürliche Verletzung der einschlägigen Bestimmungen zu Grunde liegen würde. Dies ist dann der Fall,<br />

wenn eine Maßnahme sich so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Rich-ters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt<br />

werden kann (BVerfGE 23, 288, 320). Aus den dargelegten Gründen war die Rückabordnung der Vorsitzenden<br />

an die Strafkammer jedenfalls in rechtlicher Hinsicht vertretbar. Durch die ge-wählte Vorgehensweise wurde zudem<br />

ein sachgerechter Ausgleich für die auf-grund der Beförderungsentscheidung aufgetretene Interessenkollision gefunden.<br />

Als Alternative wäre in Betracht gekommen, von der Beförderung der Rich-terin abzusehen. Damit wäre aber<br />

ein geeigneter Richter allein deshalb von ei-ner Beförderung ausgeschlossen, weil er ein fortgeschrittenes Verfahren<br />

zu Ende zu führen hat. Eine derartige Folge wäre mit dem sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Grundsatz der<br />

Bestenauslese nicht zu vereinbaren. Weiter hät-te in Erwägung gezogen werden können, den Vorsitz des betroffenen<br />

Senates beim Oberlandesgericht länger unbesetzt zu lassen. Dies hätte mit dem verfas-sungsrechtlich gebotenen<br />

Grundsatz kollidieren können, dass die Neubestel-lung eines Vorsitzenden ohne ungebührliche Verzögerung erfolgen<br />

muss (BVerfGE 18, 423, 426). Gegen eine Beförderung ohne Rückabordnung hätten im Hinblick auf die Wahrung<br />

des Rechts auf den gesetzlichen Richter erhebli-che Bedenken bestanden. Denn dann könnte der Eindruck entstehen,<br />

mit der Wahl des Ernennungszeitpunkts hätte die Justizverwaltung während laufender Hauptverhandlung<br />

Einfluss auf die Besetzung des Spruchkörpers genommen. Mit der gewählten Vorgehensweise einer Beförderung mit<br />

sofortiger Rückab-ordnung des beförderten Richters war bestmöglich gewährleistet, dass die Hauptverhandlung ohne<br />

Änderung in der Zusammensetzung der Richterbank zu Ende geführt werden konnte. Der einzige Unterschied zur<br />

vorherigen Beset-zung bestand letztlich in einer höheren Besoldung der Vorsitzenden.<br />

Die demnach vertretbare Beantwortung einer vom Gesetz nicht geregel-ten Zweifelsfrage verstößt aber weder gegen<br />

den in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegten Grundsatz der Mitwirkung des gesetzlichen Richters, noch wird<br />

dadurch eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts i.S.v. § 338 Nr. 1 StPO herbeigeführt (BVerfGE 29, 45, 48;<br />

BGH NStZ 1982, 476, 477 m.w.N.).<br />

II.<br />

Hinsichtlich der übrigen Verfahrensrügen verweist der Senat auf die zu-treffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts,<br />

die auch durch die Erwi-derungen der Revisionen (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden.<br />

III.<br />

426


Auch die Sachrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Gene-ralbundesanwalts ohne Erfolg. Die rechtsfehlerfrei<br />

getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung. Dem steht – entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführer,<br />

zuletzt im Schriftsatz vom 9. Dezember 2008 - nicht entgegen, dass der Bundesfinanzhof in dem Beschluss<br />

vom 6. November 2008 (Aktenzeichen IV B 126/07), der in dem Beschwerdeverfahren über den Antrag der F.<br />

und E.<br />

GmbH & Co. KG auf Aussetzung der Voll-ziehung erging und dem der<br />

identische Lebenssachverhalt zu Grunde lag, in steuerrechtlicher Hinsicht weitere Feststellungen für erforderlich<br />

erachtete. Denn im dortigen Verfahren konnten die Feststellungen aus dem strafgerichtli-chen Urteil nicht übernommen<br />

werden, da dieses noch nicht rechtskräftig war und die Beteiligten die Feststellungen des strafgerichtlichen<br />

Urteils bestritten (vgl. BFH, Beschl. vom 6. November 2008 - IV B 126/07 Rdn. 37 f. m.w.N. zur finanzgerichtlichen<br />

Rechtsprechung).<br />

Darüber hinaus bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts:<br />

Die Verurteilung der Angeklagten wegen vollendeter Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) begegnet keinen rechtlichen<br />

Bedenken. Zwar bewirkt ein unrichtiger Feststellungsbescheid als bloßer Grundlagenbescheid keine Steuerverkürzung;<br />

denn in dem Feststellungsbescheid werden lediglich die Besteue-rungsgrundlagen festgestellt, die Festsetzung<br />

der Steuern bleibt dagegen dem Folgebescheid vorbehalten. Das Landgericht ist jedoch zurecht davon ausgegangen,<br />

dass die Angeklagten als Vertreter der Kommanditgesellschaft für die Kommanditisten einen nicht gerechtfertigten<br />

Steuervorteil im Sinne von § 370 Abs. 1 AO erlangt haben, indem sie durch unrichtige Angaben in der<br />

Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2<br />

Buchst. a AO einen Feststellungsbescheid erwirkt ha-ben, in dem für die Kommanditgesellschaft zu hohe negative<br />

Einkünfte festge-stellt und damit zu Unrecht Verluste zugewiesen wurden. Hierzu hat der Gene-ralbundesanwalt<br />

ausgeführt:<br />

„Nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO werden einkommensteuerpflichtige Einkünfte mehrerer Beteiligter gesondert und<br />

einheitlich festge-stellt. Dieser gesonderte Feststellungsbescheid stellt einen Grund-lagenbescheid (§ 171 Abs. 10<br />

AO) dar und ist für die Folgebe-scheide bindend (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Bindungswirkung besteht unabhängig<br />

davon, ob die Feststellungen inhaltlich recht-mäßig sind und mit Bindungswirkung hätten getroffen werden dürfen<br />

(vgl. BFH/NV 1992, 363). Ist ein solcher Folgebescheid bereits vor Erlass des Feststellungsbescheides bestandskräftig<br />

gewor-den, so ist er zwingend zu ändern (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO). Die-se Bindungswirkung führt dazu, dass<br />

das für die Einkommensbe-steuerung der Anteilseigner zuständige Wohnsitzfinanzamt keine Möglichkeit hat, den<br />

Inhalt des Feststellungsbescheides zu über-prüfen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ein Sachverhalt, über den im<br />

Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im Folge-verfahren in einem damit unvereinbaren Sinne anders beurteilt<br />

wird (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 182 Rdnr. 1). Das Ver-anlagungsfinanzamt erhält von Amts wegen<br />

Kenntnis vom Fest-stellungsbescheid, so dass es einer Mitwirkung oder Antragstel-lung des Steuerpflichtigen<br />

insoweit nicht bedarf.<br />

Gerade diese Bindungswirkung rechtfertigt aber die Annahme, dass bereits der unrichtige Feststellungsbescheid den<br />

Steueran-spruch konkret gefährdet. Die Ermittlung und Feststellung der Be-steuerungsgrundlagen ist wesentliche<br />

Voraussetzung für die Durchführung des Festsetzungsverfahrens. Der Täter kann nun sicher sein, dass seine falschen<br />

Angaben im Feststellungsverfah-ren ohne weitere Zwischenschritte in die Festsetzung einfließen. Damit hat er einen<br />

Vorteil bereits mit der Wirksamkeit des Grund-lagenbescheides erlangt (so auch Hardtke/Leip, NStZ 1996, 217,<br />

219).“<br />

Dem schließt sich der Senat an. Der in Feststellung unrichtiger Besteue-rungsgrundlagen mit Bindungswirkung liegende<br />

Vorteil ist ein Vorteil spezifisch steuerlicher Art, der auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruht, und<br />

damit Steuervorteil (gl. A. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 376 AO Rdn. 21; Gast-de Haan<br />

in Klein, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 56; Hardtke, AO-StB 2002, 92, 93; a.A. Beckemper NStZ 2002, 518, 520; Hellmann<br />

in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 370 Rdn. 299; Sorgenfrei, wistra 2006, 370; <strong>zum</strong> Begriff des Steuervorteils<br />

vgl. auch BGHSt 25, 190, 202). Der Annahme eines mit dem Feststellungsbescheid erlangten Steuervorteils<br />

steht nicht entge-gen, dass ein solcher Bescheid erst die Grundlage für die Berechnung der Steuerschuld bildet und<br />

regelmäßig noch keine abschließende Auskunft gibt, in welcher konkreten Höhe der Steueranspruch tatsächlich beeinträchtigt<br />

wird (a.A. Beckemper aaO S. 521). Aus dem Umstand, dass eine Umsetzung des Grundlagenbescheids<br />

in einen Einkommensteuerbescheid noch nicht stattge-funden hat, ergibt sich lediglich, dass eine Steuerverkürzung<br />

noch nicht einge-treten ist; dies schließt jedoch nicht aus, die Bekanntgabe des unrichtigen Fest-stellungsbescheids<br />

als gesonderten nicht gerechtfertigten Steuervorteil zu ver-stehen (vgl. Hardtke, AO-StB 2002, 92, 93). Auch eine<br />

genaue betragsmäßige Bestimmung der bei einer späteren Umsetzung der festgestellten Besteue-rungsgrundlagen in<br />

einem Folgebescheid eintretenden Steuerverkürzung ist nicht Voraussetzung für die Annahme eines Steuervorteils<br />

(vgl. Hardtke aaO S. 95; a.A. Gast-de Haan aaO). Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch nicht not-<br />

427


wendig Verletzungsdelikt. Wie die Vorschrift des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt, genügt z.B. für eine Steuerverkürzung<br />

schon die zu niedrige Festsetzung von Steuern, also eine konkrete Gefährdung des Steueranspruchs (vgl. Joecks<br />

in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 15). Die hinreichend konkrete Gefährdung des<br />

Steueranspruchs genügt auch für die Annahme eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils. Da hier im Hinblick auf<br />

die Bindungswirkung von Grundlagenbescheiden (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO) die für die Kommanditgesellschaft -<br />

auch der Höhe nach - festge-stellten Besteuerungsgrundlagen des Gewinnfeststellungsbescheids ohne wei-teres Zutun<br />

der Angeklagten oder der Kommanditisten in die Folgebescheide der Kommanditisten einzubeziehen waren, lag<br />

eine solche Gefährdung hier vor (vgl. Joecks aaO § 376 AO Rdn. 21 und Hardtke aaO S. 95; einzelne Stimmen in<br />

der Literatur, z.B. Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen § 370 Rdn. 118 und Hellmann in<br />

Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 370 Rdn. 299, denen der Senat nicht folgt, sehen dagegen in einem unrichtigen<br />

Feststellungsbescheid noch keine für eine vollendete Steuerhinterziehung aus-reichende Gefährdung von Steueransprüchen).<br />

Der Umstand, dass die Angeklagten ihr angestrebtes (End-)Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen<br />

Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden der Kommanditisten erreichten, steht der<br />

Annahme eines in der bindenden Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrund-lagen liegenden Steuervorteils nicht<br />

entgegen (a.A. Sorgenfrei, wistra 2006, 370, 374). Die durch die Umsetzung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen<br />

bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stellt lediglich einen<br />

weitergehenden Taterfolg dar, der insbe-sondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungs-beginn<br />

der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist (vgl. BGH wistra 1984, 142). Die Tatvollendung durch<br />

Erlangung eines bereits in der bindenden Feststellung der Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils wird<br />

dadurch jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. Joecks aaO § 376 Rdn. 21a; a.A. Beckemper NStZ 2002, 518, 521). Die<br />

mehrfache Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolgs steht im Einklang mit der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung<br />

im Feststellungs- und Festsetzungsverfahren als Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks aaO § 370 Rdn. 15; Hardtke/Leip,<br />

NStZ 1996, 217, 220).<br />

Da im vorliegenden Fall die Kommanditisten, denen die zu hohen Verlus-te zugewiesen wurden, nach den Urteilsfeststellungen<br />

auf der Grundlage des unrichtigen Gewinnfeststellungsbescheides für die Kommanditgesellschaft bereits<br />

veranlagt wurden, sind die Bedenken der Beschwerdeführer gegen die vom Landgericht angenommene Tatvollendung<br />

auch aus diesem Grunde unbe-gründet. Mit der Umsetzung der Feststellungen des Gewinnfeststellungsbe-scheides<br />

in den Einkommensteuerbescheiden der Kommanditisten wurden je-weils die gegen Kommanditisten<br />

gerichteten Steueransprüche verkürzt (vgl. § 370 Abs. 4 AO).<br />

JGG § 106 Abs. 3 Satz 2 Vorbehaltene SV<br />

BGH, Urt. v. 13.08.2008 - 2 StR 240/08 - NJW 2008, 3297; NStZ 2008, 696<br />

LS: Zu den Voraussetzungen des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 106 Abs. 3 Satz 2<br />

JGG.<br />

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. August 2008 für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts Bonn vom 4. Oktober 2007, soweit es den<br />

Angeklagten I. betrifft, im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen Mordes, im Gesamtstrafenausspruch und soweit<br />

es das Landgericht unterlas-sen hat, über den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung zu ent-scheiden, jeweils mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an ei-ne andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den zur Tatzeit 19 Jahre und zwei Monate alten An-geklagten I. unter Annahme der Mordmerkmale<br />

grausam, um eine andere Straftat zu verdecken sowie aus sonstigen niedrigen Beweggründen wegen Mordes,<br />

gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Vergewaltigung in zwei Fällen sowie besonders schwerer Vergewaltigung<br />

in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt.<br />

428


Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge dagegen, dass das Landgericht nicht auf eine lebenslange Freiheitsstrafe<br />

erkannt sowie die Anord-nung des Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht geprüft<br />

hat. Das vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte I. sowie zwei 17 und 20 Jahre alte Mitangeklagte<br />

und das spätere Tatopfer, das von den anderen als Außenseiter und „Opfertyp“ betrachtet wurde, gemeinsam<br />

in einer Zelle in der Justizvollzugsanstalt S. inhaftiert. Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt nach<br />

12.00 Uhr am 11. November 2006 schlu-gen die Angeklagten, einer Idee des Angeklagten I. folgend, abwechselnd<br />

auf den Geschädigten mit in Handtüchern gewickelten Seifenstücken ein, die sie wie peitschenartige Schlaginstrumente<br />

benutzten. Diese ersten Schläge wa-ren der Auslöser für weitere Misshandlungen, Erniedrigungen und<br />

Quälereien, die sich über den gesamten Tag erstreckten. Unter anderem brachten die An-geklagten ihren Mitgefangenen<br />

<strong>zum</strong> Erbrechen und zwangen ihn, von dem Er-brochenen zu essen. Außerdem musste er Speichel des Angeklagten<br />

I. vom Toilettenrand ablecken und Urin sowie Speichel der Angeklagten trinken. Dar-über hinaus musste<br />

er bei dem Angeklagten I. mindestens zwei Mal den Oral-verkehr ausführen. Dabei ging es dem Angeklagten nicht<br />

um sexuelle Befriedi-gung, sondern um die Demütigung des Opfers. Im Anschluss an den Oralver-kehr führten die<br />

Angeklagten K. und I. einen Handfeger mit einem am Ende spitz zulaufenden und rissigen Holzgriff mindestens 6<br />

cm tief in den After des Opfers ein, was zu massiven und stark blutenden Verletzungen führte. Den Stiel des Handfegers<br />

musste der Geschädigte ablecken. Im weiteren Verlauf überlegten die Angeklagten, ob sie ihn töten sollten.<br />

Dazu erstellten sie eine Liste, auf der sie das Für und Wider der Tötung notierten. Als Nachteile wurden u.a. vermerkt,<br />

dass man bei vier Leuten mehr Einkauf beziehen könne und es für Körperverletzung eine geringere Strafe als<br />

für Mord gebe. Als Vorteile wur-den vor allem die Möglichkeit einer schnelleren Entlassung sowie der Umstand<br />

gesehen, dass der Geschädigte dann nichts mehr von seinen Misshandlungen berichten könne. Ergebnis der „Fürund-Wider-Liste“<br />

war, dass aus Sicht der Angeklagten mehr Argumente für eine Tötung sprachen. Es wurde durch<br />

Ab-stimmen per Handzeichen beschlossen, den Geschädigten „wegzuhängen“. Die Tötung sollte als Selbstmord<br />

getarnt werden, um einen Haftschaden in Form eines Schocks bzw. einer psychischen Traumatisierung simulieren zu<br />

können und auf diese Weise eine vorzeitige Haftentlassung zu erreichen. Die Gesprä-che der Angeklagten hierüber<br />

sowie das Erstellen der „Für-und-Wider-Liste“ verfolgte der Geschädigte von seinem Bett aus. Um im Falle seines<br />

angebli-chen Suizides die auf Grund der vorangegangenen Misshandlungen bereits zu diesem Zeitpunkt bei dem<br />

Geschädigten deutlich erkennbaren Verletzungen an Körper und Gesicht erklären zu können, ersannen die Angeklagten<br />

einen Vor-wand, ihn verprügeln zu können. Sie zwangen ihn, aus dem Fenster heraus ausländische Mitgefangene<br />

zu beleidigen, wobei sie ihm den Wortlaut der Be-schimpfungen vorgaben. Wie von den Angeklagten erwartet wurden<br />

sie als Zel-lengenossen von den ausländischen Mitgefangenen aufgefordert, den Geschä-digten durch Schläge<br />

für seine Beschimpfungen zu bestrafen. Die Angeklagten kamen dieser Aufforderung nach, indem sie ihre Fäuste mit<br />

Handtüchern umwi-ckelten und dem Geschädigten mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzten. Die sich daran anschließenden<br />

Versuche, ihn zu erhängen, wurden dadurch eingeleitet, dass ihm die Angeklagten A. und I. im<br />

Einzelnen nicht mehr nachvollziehbare Passagen aus der Bibel vorlasen. Mehrere Erhängungsversu-che mit einem<br />

Antennenkabel und einem Stromkabel scheiterten. Die Ange-klagten befragten den durch den Sauerstoffentzug benommenen<br />

und torkeln-den Geschädigten nach dessen Nahtoderfahrungen. Schließlich erhängten sie ihn mit einem<br />

aus einem Bettlaken gefertigten mehrfach verknoteten Strick an der Tür <strong>zum</strong> Toilettenraum, den sie an dessen Ende<br />

gemeinsam ergriffen und festhielten, bis der Tod durch Erdrosseln eingetreten war. Am darauf folgenden Morgen<br />

meldeten sie den Tod ihres Mitgefangenen und gaben vor, dieser habe sich das Leben genommen.<br />

Der Angeklagte I. weist neun Vorverurteilungen auf. Unter anderem wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop<br />

vom 10. Januar 2003 wegen Raubes und räuberischer Erpressung mit einem Dauerarrest von drei Wochen belegt.<br />

Außerdem verurteilte ihn das Amtsgericht Bottrop am 16. Juni 2006 we-gen Diebstahls in fünf Fällen, Hehlerei,<br />

Beförderungserschleichung in 15 Fällen, unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in sechs Fällen, gefährlicher<br />

Kör-perverletzung, räuberischer Erpressung sowie versuchter Nötigung, unter Ein-beziehung eines Urteils desselben<br />

Gerichtes vom 29. November 2005 zu Ju-gendstrafe von acht Monaten auf Bewährung, zu einer Einheitsjugendstrafe<br />

von einem Jahr und vier Monaten.<br />

2. Die Jugendkammer, die auf den Angeklagten Erwachsenenstrafrecht anwendet, hat hinsichtlich des verwirklichten<br />

Mordes gemäß § 106 Abs. 1 JGG an Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe von 13 Jah-ren<br />

erkannt. Die dafür gegebene Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

Dem Tatrichter steht bei der gebotenen Abwägung allerdings ein weiter Ermessensspielraum zu. Nach der Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichtshofs darf dabei der Sühnezweck nicht überbewertet werden. Vielmehr steht im Vordergrund,<br />

ob eine spätere Wiedereingliederung des Täters erwartet werden kann (vgl. BGH NStZ 2005, 166, 167).<br />

Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass auch bei altersgemäß entwickelten Heranwachsenden die Reifeentwicklung<br />

429


noch nicht so hoffnungslos abgeschlossen sein muss, dass bei entsprechenden erzieherischen Bemühungen eine spätere<br />

Wiedereingliederung nicht mehr mög-lich wäre (vgl. BGHSt 31, 189, 191; BGH StV 1994, 609; NStZ 1988,<br />

498; BGHR JGG § 106 Abs. 1 Strafmilderung 1).<br />

Diesen Grundsätzen genügt das angefochtene Urteil nicht. Der Annahme einer günstigen Prognose im Sinne des §<br />

106 Abs. 1 JGG steht zwar nicht ohne Weiteres entgegen, dass der Angeklagte über eine weitgehend ausgereifte dissoziale<br />

Persönlichkeitsstruktur verfügt. Auch beurteilt sich die Frage nach der Wiedereingliederungsfähigkeit eines<br />

Heranwachsenden nicht allein mit Rück-sicht auf vergangenheitsbezogene Umstände und die gegenwärtige Persönlich-keitsstruktur<br />

des Angeklagten, sondern vor allem mit Blick auf eine mögliche zukünftige Entwicklung auf<br />

Grund der Einwirkungen des langjährigen Strafvoll-zuges (vgl. BGH NStZ 1988, 498). Jedoch muss sich die Ermessensentschei-dung<br />

im Sinne einer günstigen Prognose auf eine tragfähige Tatsachengrundla-ge stützen können, die<br />

geeignet ist, der weitgehend gefestigten dissozialen Persönlichkeitsstruktur gewichtige Argumente entgegen zu setzen.<br />

Dem werden die von der Strafkammer angeführten Gründe nicht gerecht. So ist der Umstand, dass der Angeklagte<br />

sich in der Justizvollzugsanstalt zu einem Anti-Aggressions-Training angemeldet hat, nicht geeignet, die Erwartung<br />

einer Resozialisierung zu begründen, da das abgeurteilte Tatgeschehen danach stattfand, was den vom Landgericht<br />

gesehenen Ansatz zu einem Pro- blembewusstsein gerade widerlegt. Dass der Angeklagte in der Untersu-chungshaft<br />

Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen und erste Schritte einer Arbeitsplatzsuche unternommen hat, stellt angesichts<br />

der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren ebenfalls kein tragfähiges Argument für eine<br />

Wiedereingliederungsfähigkeit dar. Darüber hinaus rügt die Revision zu Recht, dass das Landgericht bei der gebotenen<br />

Abwägung die konkreten Tat-umstände nicht berücksichtigt hat und nicht ausdrücklich auf den Sühnegedan-ken<br />

eingegangen ist. Zwar darf nach der Rechtsprechung der Sühnezweck bei der Entscheidung nach § 106 Abs. 1 JGG<br />

nicht überbewertet werden. Dies be-deutet jedoch nicht, dass er völlig außer Betracht bleiben darf, wenn die Feststellungen<br />

- wie hier - entsprechende Erwägungen nahe legen. Soweit die Kammer schließlich ihrer Hoffnung Ausdruck<br />

verleiht, dass der Angeklagte un-ter der Einwirkung der künftigen Strafvollstreckung gegebenenfalls durch<br />

Aus-bildung und Therapie als in die Gesellschaft wieder eingliederbar angesehen werden kann, stellt dies eine bloße<br />

Vermutung dar. Dies reicht für die Annahme einer positiven Prognose, welche die durch Tatsachen begründete Erwartung<br />

der Wiedereingliederungsfähigkeit erfordert, nicht aus.<br />

Der neue Tatrichter wird deshalb neu zu prüfen haben, ob eine Milderung nach § 106 Abs. 1 JGG in Betracht<br />

kommt.<br />

3. Die insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Revision bean-standet ferner zu Recht, dass das Landgericht<br />

die Möglichkeit des Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG<br />

nicht erörtert hat. Die Anordnung liegt nach dieser Vorschrift zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Das<br />

Tatgericht ist aber unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB aus sachlich-rechtlichen Gründen verpflichtet,<br />

sich mit der Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung gegen einen Heranwachsenden in den Urteilsgründen<br />

auseinanderzusetzen, wenn die nach § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG erforderlichen formellen Vorausset-zungen<br />

gegeben sind und die Feststellung eines Hangs im Sinne von § 106 Abs. 3 Nr. 3 JGG nahe liegt. So verhält es sich<br />

hier.<br />

a) Der durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Strafta-ten gegen die sexuelle Selbstbestimmung<br />

und zur Änderung anderer Vorschrif-ten vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 3007) neu eingeführte § 106 Abs. 3 Satz 2<br />

JGG erweitert den Anwendungsbereich des Vorbehalts der Sicherungsverwah-rung auf nach allgemeinem Strafrecht<br />

abgeurteilte Heranwachsende, von de-nen erhebliche Straftaten und eine fortbestehende Gefahr für die Allgemeinheit<br />

ausgehen. Um die Maßregel der Besserung und Sicherung entsprechend ihrem Charakter als ultima ratio des strafrechtlichen<br />

Sanktionensystems nur den Fäl-len vorzubehalten, in denen dies <strong>zum</strong> Schutz der Allgemeinheit unerlässlich<br />

erscheint (vgl. BT-Drucksache 15/13111 vom 1. Juli 2003, Seite 26), stellt die Vorschrift in ihren Nr. 1 bis Nr. 3<br />

für diese Personengruppe spezielle Voraus-setzungen auf, die auf Grund des Verweises auf "die übrigen Voraussetzungen<br />

des § 66 des Strafgesetzbuches" zusätzlich zu denen vorliegen müssen, die dort für die jeweiligen Fallgruppen<br />

der Sicherungsverwahrung bei Erwachsenen normiert sind. Die Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung<br />

nach § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG kommt dabei nach Maßgabe der formellen Vorausset-zungen des § 66 Abs. 2<br />

StGB oder des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch ohne Vorverurteilungen in Betracht, wenn der Heranwachsende gemäß<br />

§ 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 3 JGG wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art, durch<br />

welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer ge-schädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, zu<br />

einer Freiheits-strafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner<br />

Taten ergibt, dass er infolge eines Hangs zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dies ist hier der<br />

Fall.<br />

430


) Die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 106 Abs. 3<br />

Satz 2 JGG liegen vor. Der An-geklagte I. wurde durch das Landgericht wegen zweier Vergewaltigungen zu jeweils<br />

zwei Jahren und sechs Monaten, wegen einer weiteren Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren<br />

und wegen Mordes zu einer Frei-heitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Damit sind sowohl die allgemeinen formellen<br />

Voraussetzungen für eine Anordnung der Sicherungsverwahrung bei erst-maliger Verurteilung gemäß § 66 Abs.<br />

2 StGB sowie gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB als auch - auf Grund der Verurteilungen wegen Mordes zu einer Einzel-strafe<br />

von 13 Jahren und wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren - die zusätzlichen formellen<br />

Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG erfüllt. Dass die Taten das Opfer seelisch und körperlich<br />

schwer geschädigt haben, bedarf angesichts des festgestellten Geschehens keiner näheren Begründung.<br />

Vortaten im Sinne von § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG bedarf es hier nicht. Zwar verlangt die Vorschrift, dass es sich<br />

"auch bei den nach den allge-meinen Vorschriften maßgeblichen früheren Taten um solche der in Nummer 1 bezeichneten<br />

Art" handeln muss. Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass die Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung<br />

nur bei Vorliegen ent-sprechender Vorverurteilungen möglich ist. § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG verweist<br />

mit der einleitenden Formulierung "unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 des Strafgesetzbuches" ohne<br />

Einschränkung auf § 66 StGB. Das bedeu-tet, dass - anders als im Falle des § 66a Abs. 1 StGB, der für den Vorbehalt<br />

der Unterbringung bei Erwachsenen nur auf § 66 Abs. 3 StGB abstellt - alle in § 66 StGB geregelten Anordnungsfallgruppen<br />

für die Sicherungsverwahrung in Be-zug genommen werden und bei Vorliegen ihrer formellen<br />

Voraussetzungen die Grundlage für die Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden<br />

bilden können. Der in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG enthal-tene Verweis auf die "nach den allgemeinen Vorschriften<br />

maßgeblichen frühe-ren Taten" greift somit nur ein, wenn für die Anordnung nach der allgemeinen Vorschrift<br />

des § 66 StGB solche Vortaten erforderlich sind. Dies ist unter den hier gegebenen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2<br />

StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht der Fall.<br />

c) Schließlich lag nach den Feststellungen des Landgerichts auch nahe, dass der Angeklagte I. gemäß § 106 Abs. 3<br />

Satz 2 Nr. 3 JGG infolge eines Hanges zu Straftaten der in Nr. 1 der Vorschrift bezeichneten Art für die Allgemeinheit<br />

gefährlich ist. Die Kammer folgt dem Gutachten des Sachverständi-gen, der unter Hinweis auf die zahlreichen<br />

und in der Gewaltkomponente inten-siven Vortaten bei dem Angeklagten I. auf eine bereits gefestigte kriminelle<br />

Persönlichkeit geschlossen hat. Diese Einschätzung wird durch das festgestell-te Gesamtgeschehen und die<br />

Rolle, die der Angeklagte dabei eingenommen hat, gestützt. Es drängte sich danach jedenfalls die Prüfung auf, ob der<br />

Ange-klagte auf Grund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder im Sinne von Taten der in § 106 Abs. 3<br />

Satz 2 Nr. 1 JGG bezeichneten Art straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (vgl. BGHR StGB § 66<br />

Abs. 1 Hang 1).<br />

Das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 JGG wird der neue Tatrichter - nach Anhörung<br />

eines Sachverständigen gemäß § 246a StPO - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten<br />

zu prüfen haben.<br />

431


JGG § 33 b Abs. 2, GVG § 76 Abs. 2 Grundsatz der Unabänderlichkeit der Entscheidungen über<br />

eine Besetzungsreduktion<br />

BGH, Beschl. v. 29.01.<strong>2009</strong> – 3 StR 567/08<br />

LS: 1. Der Grundsatz der Unabänderlichkeit der mit der Eröffnung der Hauptver-fahren getroffenen<br />

Entscheidungen über eine Besetzungsreduktion nach § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG oder § 76 Abs. 2<br />

Satz 1 GVG kann durchbrochen werden, wenn sich durch eine Verbindung erstinstanzlicher landgerichtli-cher<br />

Verfahren die Schwierigkeit und/oder der Umfang der Sache erheb-lich erhöhen und<br />

sich deshalb die auf der Grundlage getrennter Verfah-rensführung beschlossenen Besetzungsreduktionen<br />

als nicht mehr sach-gerecht erweisen.<br />

2. Soll die in den noch getrennten Verfahren jeweils angeordnete reduzierte Besetzung auch nach<br />

der Verfahrensverbindung beibehalten werden, so ist eine entsprechende neue Beschlussfassung<br />

nicht erforderlich.<br />

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-führers und des Generalbundesanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 29. Januar <strong>2009</strong> gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 30. Mai 2008,<br />

soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zughörigen Feststellun-gen aufgehoben.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmit-tels, an eine andere allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und Brandstif-tung unter Einbeziehung einer sechsmonatigen<br />

Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 19. März 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das<br />

Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur <strong>zum</strong> Strafausspruch<br />

Erfolg.<br />

1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong> Nachteil des Ange-klagten auf. Der näheren Erörterung bedarf<br />

lediglich die Verfahrensrüge, die erkennende Jugendkammer sei mit nur zwei Berufsrichtern nicht vorschriftsmä-ßig<br />

besetzt gewesen (§ 33 b Abs. 2 JGG, § 338 Nr. 1 StPO).<br />

a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:<br />

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Heranwachsenden H. wegen des Vorwurfs der mittäterschaftlichen<br />

Beteiligung an einem Ein-bruchsdiebstahl und einer Brandstiftung Anklage bei der Jugendkammer und wenig<br />

später gegen den Angeklagten und zwei Mitangeklagte wegen derselben Tatvorwürfe Anklage bei der allgemeinen<br />

Strafkammer des Landgerichts Mön-chengladbach erhoben. Die Strafkammern haben jeweils die Eröffnung des<br />

Hauptverfahrens beschlossen und zugleich gemäß § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG bzw. § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG für die<br />

Hauptverhandlung die reduzierte Beset-zung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei<br />

(Jugend-) Schöffen bestimmt. Sodann hat die allgemeine Strafkammer die bei ihr anhängige Strafsache der Jugendkammer<br />

zur Übernahme und Verbindung vorgelegt. Diese hat außerhalb der Hauptverhandlung in der Besetzung mit<br />

drei Richtern die Übernahme des gegen den Angeklagten und die beiden Mitange-klagten gerichteten Verfahrens<br />

beschlossen und diese Sache zu dem bei ihr geführten Verfahren verbunden. Eine erneute Entscheidung nach § 33 b<br />

Abs. 2 Satz 1 JGG über eine reduzierte Besetzung in der Hauptverhandlung hat die Jugendkammer weder in dem<br />

Verbindungsbeschluss noch zu einem späteren Zeitpunkt getroffen.<br />

Zu Beginn der Hauptverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten die Besetzung der erkennenden Jugendkammer<br />

mit nur zwei Berufsrichtern mit der Begründung beanstandet, die Jugendkammer hätte nach Verbindung der<br />

Verfahren die Besetzungsreduktion gemäß § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG erneut beschließen müssen. Da dies unterblieben<br />

sei, sei das erkennende Gericht mit nur zwei Berufsrichtern vorschriftswidrig besetzt. Im Übrigen erfordere der<br />

infol-ge der Verfahrensverbindung eingetretene überdurchschnittliche Umfang der Sache eine Verhandlung mit drei<br />

Berufsrichtern. Die Jugendkammer hat den Besetzungseinwand zurückgewiesen.<br />

b) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben. Dem Revisionsvorbringen sind die den behaupteten Verfahrensmangel<br />

begründenden Tatsachen zu ent-nehmen. Der vom Generalbundesanwalt vermissten wörtlichen Wiedergabe der<br />

Besetzungsentscheidung der Jugendkammer im Eröffnungsbeschluss vom 10. März 2008 hat es nicht bedurft; deren<br />

432


Inhalt kann in hinreichender Weise dem von der Revision mitgeteilten Beschluss der Jugendkammer über die Zurückweisung<br />

der Besetzungsrüge entnommen werden (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 39 m. w. N.).<br />

c) Die Rüge ist jedoch unbegründet.<br />

aa) Die Besetzung des erkennenden Gerichts mit nur zwei Berufsrichtern war nicht deshalb fehlerhaft, weil die Jugendkammer<br />

nach Verbindung der Ver-fahren nicht erneut förmlich gemäß § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG über eine reduzierte<br />

Besetzung in der Hauptverhandlung entschieden hat.<br />

(1) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG hat die große Straf- oder Jugendkammer die Entscheidung,<br />

dass sie die Hauptver-handlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens<br />

zu treffen. Ist die Besetzungsreduktion beschlossen, so gilt diese Ent-scheidung auch dann fort, wenn die<br />

Sache später mit einem anderen Verfahren verbunden wird, in dem die Anklage ebenfalls schon zugelassen und die<br />

Durch-führung der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern angeordnet worden ist (zur Verbindung von Verfahren,<br />

in denen unterschiedliche Besetzungsent-scheidungen getroffen worden sind, vgl. Siolek in Löwe/Rosenberg,<br />

StPO 25. Aufl. Nachtrag zu § 76 GVG Rdn. 4 ff.); denn dem Gesetz lässt sich keine Bestimmung entnehmen, wonach<br />

in einem derartigen Fall die ursprünglichen Entscheidungen in den verbundenen Verfahren ihre Wirksamkeit<br />

verlieren und über die Besetzungsreduktion durch die übernehmende große Straf- oder Ju-gendkammer neu beschlossen<br />

werden müsste. Schon dies schließt es aus, dass allein das Unterbleiben einer neuen Entscheidung nach §<br />

76 Abs. 2 Satz 1 GVG oder § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG zur Regelbesetzung der großen Straf- o-der Jugendkammer<br />

nach § 76 Abs. 1 GVG oder § 33 b Abs. 1 JGG führt und daher die Verhandlung in reduzierter Besetzung unter einer<br />

der Voraussetzun-gen des § 338 Nr. 1 Halbs. 2 StPO einen absoluten Revisionsgrund schafft.<br />

(2) Dies bedeutet indessen nicht, dass der Grundsatz der Unabänder-lichkeit der mit der Eröffnung der Hauptverfahren<br />

getroffenen Entscheidungen über eine Besetzungsreduktion nach § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG bzw. § 76 Abs. 2 Satz<br />

1 GVG (nunmehr jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege<br />

vom 7. Dezember 2008, BGBl I 2348) nicht durchbrochen werden könnte, wenn sich durch eine Verbindung erstinstanzlicher<br />

landgerichtlicher Verfahren die Schwierigkeit und/oder der Um-fang der Sache erheblich erhöhen und<br />

sich deshalb die auf der Grundlage ge-trennter Verfahrensführung beschlossenen Besetzungsreduktionen als nicht<br />

mehr sachgerecht erweisen. In einem solchen Fall ist es möglich - und gegebe-nenfalls sogar geboten -, die vor Verfahrensverbindung<br />

übereinstimmend ange-ordneten Besetzungsreduktionen rückgängig zu machen. Insoweit gilt:<br />

Zwar kann eine einmal angeordnete Besetzungsentscheidung grundsätz-lich nicht mehr geändert werden, wenn sie<br />

im Zeitpunkt ihres Erlasses geset-zesgemäß war. Eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der<br />

Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geän-derten Verfahrenslage angepasste neue<br />

Besetzungsentscheidung zu veranlas-sen (vgl. BGHSt 44, 328, 333; BGH NJW 2003, 3644, 3645). Hierdurch wird<br />

sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstel-lungen nach einer einmal gefassten<br />

Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung<br />

des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGHSt 44, 328, 333). Dieser Grundsatz hat zunächst uneingeschränkt<br />

auch dann gegolten, wenn die Ände-rung der Verfahrenslage durch eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt<br />

worden ist. Mit dem Gesetz zur Verlängerung der Besetzungsreduktion bei Strafkammern vom 19. Dezember<br />

2000 (BGBl I 1756) ist jedoch eine Ausnah-me geschaffen und die Unabänderlichkeit der bei Eröffnung des Hauptverfah-rens<br />

getroffenen Besetzungsentscheidung für die Fälle der Zurückweisung ei-ner Sache durch das Revisionsgericht<br />

abgeschafft worden. § 33 b Abs. 2 Satz 2 JGG und gleichlautend § 76 Abs. 2 Satz 2 sowie § 122 Abs. 2 Satz<br />

4 GVG bestimmen seither, dass nach Zurückverweisung der Sache das nunmehr für die Verhandlung und Entscheidung<br />

zuständige Gericht erneut nach § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG, § 76 Abs. 2 Satz 1 oder § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG<br />

über seine Besetzung beschließen kann. In diesen Fällen wird eine Anpassung der Ge-richtsbesetzung ermöglicht,<br />

wenn sich Umfang und/oder Schwierigkeit der Sa-che infolge der Revisionsentscheidung entscheidend verändert<br />

haben (vgl. BTDrucks. 14/3370 S. 3 und 14/3831 S. 6).<br />

Die in diesen Ausnahmeregelungen <strong>zum</strong> Ausdruck gebrachten Rechts-gedanken sind auf den vorliegenden Fall zu<br />

übertragen.<br />

Die Vorschriften tragen dem Umstand Rechnung, dass eine Revisions-entscheidung den Verfahrensstoff nachträglich<br />

derart verändern kann, dass die ursprüngliche, unter anderen Vorzeichen getroffene Besetzungsentscheidung den<br />

Maßstäben, die § 76 Abs. 2 Satz 1, § 122 Abs. 2 Satz 4 GVG, § 33 b Abs. 2 Satz 1 JGG für die Abgrenzung zwischen<br />

regelmäßiger und reduzierter Be-setzung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers aufstellen, nicht mehr<br />

gerecht wird. Obwohl die Ausnahmeregelungen in erster Linie zur Entlastung der Justiz geschaffen wurden (vgl.<br />

BTDrucks. 14/3831 S. 2), erlaubt der Wort-laut des Gesetzes in Zurückverweisungsfällen eine Korrektur der<br />

ursprüngli-chen Besetzungsentscheidung in jeder Hinsicht: Es kann nach Zurückverwei-sung einer Sache nicht nur<br />

erstmals die reduzierte Besetzung mit zwei statt vormals mit drei Richtern angeordnet werden, sondern es ist auch<br />

433


möglich, eine früher beschlossene Besetzungsreduktion rückgängig zu machen (vgl. Siolek aaO Nachtrag zu § 76<br />

GVG Rdn. 1).<br />

Wie bei der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht können sich aber auch durch eine Verfahrensverbindung,<br />

mithin ebenfalls allein durch eine gerichtliche Entscheidung, der Umfang und der Schwierigkeitsgrad<br />

eines Verfahrens nachhaltig erhöhen, so dass sich die vor der Verfahrensver-bindung übereinstimmend getroffenen<br />

Anordnungen über eine Besetzungsre-duktion im Nachhinein als nicht mehr mit den in § 33 b Abs. 2 Satz 1<br />

JGG bzw. § 76 Abs. 2 Satz 1, § 122 Abs. 2 Satz 4 GVG hierfür gesetzlich bestimmten Voraussetzungen vereinbar<br />

erweisen. Dem muss durch die Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidungen<br />

Rech-nung getragen werden (im Ergebnis ebenso Siolek aaO Rdn. 3 und 4; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. §<br />

76 Rdn. 4).<br />

(3) Aus all dem folgt für den hier zu beurteilenden Fall:<br />

Die mit den jeweiligen Eröffnungsbeschlüssen gesetzmäßig (insoweit er-hebt auch die Revision keine Beanstandungen)<br />

angeordneten Besetzungsre-duktionen haben durch die spätere Verfahrensverbindung zwar ihre Bindungswirkung<br />

für das weitere Verfahren verloren nicht aber ihre Rechtswirksamkeit. Da durch die Verfahrensverbindung<br />

nur die Möglichkeit eröffnet worden ist, die Gerichtsbesetzung an die veränderte Sachlage anzupassen, wäre eine<br />

aus-drückliche Beschlussfassung der nach Verfahrensverbindung zuständigen Ju-gendkammer daher nur bei Abänderung<br />

der ursprünglichen Besetzungsent-scheidung, also nur dann geboten gewesen, wenn sich nach deren Ansicht<br />

die Schwierigkeit und/oder der Umfang der Sache durch die Verfahrensverbindung entscheidend erhöht hätte. Da<br />

dies nicht der Fall gewesen ist und die Jugend-kammer somit die bisher in beiden Verfahren übereinstimmend angeordnete<br />

Besetzung hat beibehalten wollen, ist eine entsprechende Beschlussfassung nicht erforderlich gewesen<br />

(ebenso zu einem Zurückverweisungsfall: BGH StraFo 2003, 134). Es hätte sich allenfalls aus Klarstellungsgründen<br />

empfohlen, die Beibehaltung der ursprünglichen Besetzung im Verbindungsbeschluss <strong>zum</strong> Ausdruck zu bringen.<br />

bb) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, der nach Verbindung gesteigerte Umfang der Sache hätte eine<br />

Verhandlung in Dreierbesetzung er-fordert, ist die Rüge aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts<br />

dargelegten Gründen unbegründet.<br />

2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung hingegen insgesamt nicht stand.<br />

a) Die Strafkammer hat bei der Straf<strong>zum</strong>essung strafschärfend maßgeb-lich die Vorstrafen des Angeklagten gewertet<br />

und diese Erwägung bei Bemes-sung der Einzelstrafe für den Diebstahl u. a. damit begründet, der Angeklagte sei<br />

"erst im März 2007", also nur kurze Zeit vor Begehung der verfahrensge-genständlichen Taten, zu einer Freiheitsstrafe<br />

ohne Bewährung verurteilt wor-den. Die Strafkammer hat insoweit ersichtlich auf die Verurteilung des Angeklagten<br />

durch das Amtsgericht Neuss (Aktenzeichen 10 Ds 20 Js 7705/06) Be-zug genommen. Die Urteilsgründe<br />

ergeben jedoch nicht in widerspruchsfreier Weise, ob diese Verurteilung am 19. März 2007 - so der Tenor des Urteils<br />

und die Ausführungen auf UA S. 9 -, oder erst am 19. März 2008 - so die Urteils-gründe zur nachträglichen<br />

Gesamtstrafenbildung - erfolgt ist. Im zuletzt genann-ten Fall käme eine strafschärfende Berücksichtigung dieser<br />

Verurteilung als Vorstrafe nicht in Betracht, da der Angeklagte die hier abgeurteilten Taten be-reits im Oktober 2007<br />

beging. Die Urteilsgründe lösen diesen Widerspruch nicht auf. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass<br />

die Jugendkammer die Verurteilung durch das Amtsgericht Neuss dem Angeklagten zu Unrecht als tatzeitnahe Vorstrafe<br />

angelastet und sich dieser Rechtsfehler angesichts des strafschärfenden Gewichts, welches das Landgericht<br />

dem strafrechtlichen Vor-leben des Angeklagten beigemessen hat, bei Bemessung beider Einzelstrafen ausgewirkt<br />

hat.<br />

b) Darüber hinaus begegnet auch die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das<br />

Landgericht hat für die verfahrens-gegenständlichen Taten Einzelstrafen von einem Jahr und von drei Jahren und<br />

acht Monaten festgesetzt und unter Einbeziehung der im vorgenannten Urteil des Amtsgerichts Neuss verhängten<br />

und nicht zur Bewährung ausgesetzten sechsmonatigen Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und<br />

acht Monaten gebildet. Unbeschadet des Umstandes, dass die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neuss, sollte<br />

sie vom 19. März 2007 datieren, zu Un-recht zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe herangezogen worden<br />

wä-re - was für sich genommen hier keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler darstellen würde -, vermögen<br />

die äußerst knappen und lediglich formelhaften Erwägungen die beträchtliche Höhe der Gesamtstrafe, die<br />

sich der Gesamtsumme der einbezogenen Einzelstrafen deutlich annähert, nicht zu rechtfertigen. Zudem hat die<br />

Strafkammer nicht bedacht, dass der Angeklagte die abgeurteilten Taten in einem engen zeitlichen und situativen<br />

Zusammen-hang beging.<br />

3. Da sich das Verfahren nur noch gegen den erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache gemäß<br />

§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (BGHSt 35, 267 f.).<br />

434


MRK Art. 6 III a Beschleunigungsgebot – Kompensation allein durch Feststellung der Verletzung<br />

BGH, Beschl. v. 15.04.<strong>2009</strong> – 3 StR 128/09<br />

Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kann auch durch die - in den Urteilsgründen zu<br />

treffende - ausdrückliche Feststellung ihres Vorliegens kompensiert werden. Erst wenn diese Feststellung<br />

als Entschädigung nicht ausreicht, hat das Gericht festzulegen und in der Urteilsformel<br />

auszusprechen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation einer derartigen Verzögerung<br />

als vollstreckt gilt.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 3. November 2008 wird als unbegründet<br />

verwor-fen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrecht-fertigung keinen Rechtsfehler <strong>zum</strong><br />

Nachteil des Angeklagten er-geben hat (§ 349 Abs. 2 StPO); jedoch wird der Schuldspruch da-hin berichtigt, dass<br />

der Angeklagte des Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 92 Fällen schuldig ist. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

1. Der Schuldspruch war wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich zu berichtigen.<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten des "gemeinschaftlichen gewerbs-mäßigen" Betruges in Tateinheit mit "gemeinschaftlicher<br />

gewerbsmäßiger" Urkundenfälschung schuldig gesprochen. In der Urteilsformel ist indes nicht<br />

mitzu-teilen, ob der Angeklagte als Allein- oder Mittäter gehandelt hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 260<br />

Rdn. 24 m. w. N.). Hinzu kommt insoweit, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen in den Fällen II.<br />

1.1, 1.2 und 6.60 - 6.84 der Urteilsgründe Alleintäter war. Aber auch das gewerbsmäßi-ge Handeln des Angeklagten<br />

gehört hier nicht in die Urteilsformel, weil in diese das Vorliegen gesetzlicher Regelbeispiele für besonders schwere<br />

(oder minder schwere) Fälle nicht aufgenommen wird (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 25 m. w. N.).<br />

2. Soweit die Revision mit der Sachrüge beanstandet, das Landgericht ha-be die festgestellte rechtsstaatswidrige<br />

Verfahrensverzögerung nicht durch ei-nen Ausspruch kompensiert, dass zur Entschädigung für die überlange Verfah-rensdauer<br />

ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt, zeigt sie keinen durchgreifenden Rechtsfehler<br />

<strong>zum</strong> Nachteil des Angeklagten auf. Ent-gegen der Auffassung der Revision kann eine rechtsstaatswidrige<br />

Verfahrens-verzögerung auch durch die - in den Urteilsgründen zu treffende - ausdrückliche Feststellung ihres Vorliegens<br />

kompensiert werden. Erst wenn diese Feststellung als Entschädigung nicht ausreicht, hat das Gericht festzulegen<br />

und in der Urteilsformel auszusprechen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation einer derartigen<br />

Verzögerung als vollstreckt gilt (vgl. BGH - GS - NStZ 2008, 234, 235 f.). Dass das Landgericht die ausdrücklich<br />

getroffene<br />

Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hier als ausreichende Entschädigung angesehen hat, ist<br />

im Hinblick auf die sich aus den Urteilsgründen ergebenden, für die Frage der Art der Entschädigung maßgebli-chen<br />

Umstände des vorliegenden Falles revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.<br />

435


436<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort ............................................................................................................................................2<br />

Materielles Strafrecht StGB............................................................................................................3<br />

StGB § 009 II, § 263 Tatort Deutschland auch bei Betrug im Ausland, wenn hier der Anfang lag3<br />

BGH, Beschl. v. 20.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 705/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 161 ......................................................................... 3<br />

StGB § 011 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c; §§ 331 - 334 „Bahnbeamte“ ? .................................................... 3<br />

BGH, Urt. v. 19.06.2008 – 3 StR 490/07 - BGHSt 52, 290; NJW 2008, 3724; NStZ 2008, 560; StV <strong>2009</strong>, 71;<br />

BGHR StGB § 11 I Nr. 2 Amtsträger 15.............................................................................................................. 3<br />

StGB § 011 I Nr. 2c, § 299, § 334, Amtsträger medizinisch-psychologischen Begutachtungsstelle<br />

für die Fahreignung ................................................................................................................................ 8<br />

BGH; Beschl. v. 14.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 470/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 154 ......................................................................... 8<br />

StGB § 015, StGB § 21, StGB § 211 II Heimtücke, StGB § 212........................................................ 12<br />

BGH, Urt. v. 01.04.<strong>2009</strong> – 2 StR 601/08 ........................................................................................................... 12<br />

StGB § 021, § 49 Abs. 1, § 211 Keine Milderung bei verschuldetem Affekt.................................... 14<br />

BGH, Urt. v. 29.10.2008 – 2 StR 349/08 - NJW <strong>2009</strong>, 305 ............................................................................... 14<br />

StGB § 030 Abs. 2 Anstiftung zu § 30 ................................................................................................. 17<br />

BGH; Urt. v. 04.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 165/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1221 ............................................................................. 17<br />

StGB § 046 Drei Stufen der Straf<strong>zum</strong>essung – Begründungsanforderungen für Gesamtstrafe ... 19<br />

BGH, Beschl. v. 27.08.2008 – 1 StR 431/08 -.................................................................................................... 19<br />

StGB § 046; StPO § 267 III 1 Begründungsanforderungen an (hohe) Gesamtstrafe ..................... 20<br />

BGH, Beschl. v. 13.11.2008 – 3 StR 485/08...................................................................................................... 20<br />

StGB § 046a, §266, § 299 Korruption bei Messegesellschaft Frankfurt “Luftrechnungen”,<br />

Konkurrenzfragen ................................................................................................................................ 20<br />

BGH, Urt. v. 11.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 339/08 – StV <strong>2009</strong>, 405 ................................................................................ 20<br />

StGB § 051 IV 2 Auslieferungshaft Russland Anrechnungsfaktor .................................................. 24<br />

BGH, Beschl. v. 07.01.<strong>2009</strong> – 5 StR 490/08...................................................................................................... 24<br />

StGB § 056 Abs. 2 Besondere Umstände Begründungserfordernis Sozialprognose....................... 25<br />

BGH, Beschl. v. 30.04.<strong>2009</strong> – 2 StR 112/09...................................................................................................... 25<br />

StGB § 063 Unterbringung nur zulässig bei Gafahr erheblicher weiterer Straftaten.................... 26<br />

Beschl. v. 30.09.2008 – 3 StR 384/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 47; StV <strong>2009</strong>, 128...................................................... 26<br />

StGB § 063, § 67b Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung................ 27<br />

BGH, Urt. v. 11.12.2008 – 3 StR 469/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 260............................................................................... 27<br />

StGB § 064, § 224, § 250, § 252, StPO § 344 I Revisionsbeschränkung kann nicht Unterbringung<br />

ausnehmen. ............................................................................................................................................ 28<br />

BGH, Beschl. v. 13.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 509/08...................................................................................................... 28<br />

StGB § 066 Fristberechnung der "Rückfallverjährung" 5 Jahre .................................................... 29<br />

BGH, Beschl. v. 27.11.2008 – 3 StR 468/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 104...................................................................29<br />

StGB § 066 b dient nicht der nachträglichen Korrektur früherer Entscheidungen....................... 30<br />

BGH, Urt. v. 22.04.<strong>2009</strong> – 2 StR 21/09 ............................................................................................................. 30<br />

StGB § 066 I Nr. 3, § 177, Feststellung des Hangs ............................................................................ 33


BGH, Urt. v.04.09.2008 – 5 StR 101/08 - StV <strong>2009</strong>, 129 .................................................................................. 33<br />

StGB § 066 IV 3, StGB § 66b I 2, StGB § 66b II, StPO § 275a Nachträgliche SV -<br />

Voraussetzungen ................................................................................................................................... 37<br />

BGH, Urt. v. 17.06.2008 – 1 StR 227/08 - StV 2008, 636 ................................................................................. 37<br />

StGB § 066b Grenzen nachträglicher Sicherungsverwahrung bei fehlender Bereitschaft........... 41<br />

BGH, Urt. v. 22.07.2008 – 5 StR 274/08 (alt: 5 StR 376/07) -NJW 2008, 3010; NStZ 2008, 621; StV <strong>2009</strong>, 19;<br />

BGHR StGB § 66b Neue Tatsachen 5................................................................................................................ 41<br />

StGB § 066b § 67d VI 1, StPO Nachträgl. Sicherungsverwahrung nach Entscheidung des Großen<br />

Senats vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - .......................................................................................... 44<br />

BGH, Beschl. v. 10.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 314/07...................................................................................................... 44<br />

StGB § 066b I 2, II fehlende Feststellbarkeit einer günstigen Kriminalprognose ......................... 47<br />

BGH, Beschl. v .25.03.<strong>2009</strong> – 5 StR 21/09........................................................................................................ 47<br />

StGB § 066b I Nachträgliche Sicherungsverwahrung – Großer Senat............................................ 50<br />

BGH, Beschl. vom 07.10.2008 - GSSt 1/08 BGHSt 52, 379 = NStZ <strong>2009</strong>, 141= StV <strong>2009</strong>, 15 Anm.<br />

Ullenbruch NStZ <strong>2009</strong>, 143; Peglau NJW <strong>2009</strong>, 957......................................................................................... 50<br />

StGB §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a Satz 1 Verfall des von Ermittlungsbehörden für Btm-Käufe<br />

eingesetzten Kaufgeldes........................................................................................................................ 55<br />

BGH; Urt. v. 04.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 504/08 ........................................................................................................... 55<br />

StGB § 073 c Abs. 1 Satz 1 Unbillige Härte beim Verfall.................................................................. 57<br />

BGH, Urt. v. 26.03.<strong>2009</strong> – 3 StR 579/08 ........................................................................................................... 57<br />

StGB § 073c I 1 Unterhaltspflichten für Kinder noch keine Härte.................................................. 59<br />

BGH, Urt. v. 02.10.2008 – 4 StR 153/08 - wistra <strong>2009</strong>, 231.............................................................................. 59<br />

StGB § 073c I 1, BtMG § 29a I Nr. 2 Wertersatzverfall nicht immer der gesamte brutto<br />

eingenommenen Geldbetrages ............................................................................................................. 62<br />

BGH, Beschl. v. 04.02.<strong>2009</strong> – 2 StR 586/08...................................................................................................... 62<br />

StGB §§ 076a, 74b Abs. 2 obligatorischen Sicherungseinziehung .................................................... 63<br />

BGH, Beschl. v. 28.11.2008 – 2 StR 501/08 - NJW <strong>2009</strong>, 692.......................................................................... 63<br />

StGB § 078 I 1, StPO § 200 Keine Verjährungsunterbrechung durch unzulängliche Anklage .... 64<br />

BGH, Beschl. v. 19.06.2008 – 3 StR 545/07 - NStZ <strong>2009</strong>, 205; StraFo 2008, 436; BGHR StGB § 78 I Tat 4;<br />

BGHR StGB § 78c I Nr. 1 Einheit 1; BGHR StGB § 78c I Nr. 6 Anklage 1..................................................... 64<br />

StGB § 125 I, StPO § 357 Teil der Menschenmenge ohne eigene Gewalt........................................ 67<br />

BGH, Beschl. v. 09.09.2008 – 4 StR 368/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 28; StV 2008, 639 .................................................. 67<br />

StGB § 129a V, § 129b I § 211, StPO § 112, AWG § 34 IV Nr. 2 U-Haft......................................... 69<br />

BGH, Beschl. v. 07.04.<strong>2009</strong> – AK 6/09 ............................................................................................................. 69<br />

StGB § 176 a Abs. 2 Nr. 1 Ejakulation in den Mund des Tatopfers................................................. 71<br />

BGH, Beschl. v. 19.12.2008 – 2 StR 383/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 262; StraFo <strong>2009</strong>, 164............................................ 71<br />

StGB § 177 Geweltanwendung – Bettdecke über Kopf ..................................................................... 73<br />

BGH, Beschl. v. 09.04.<strong>2009</strong> – 4 StR 88/09........................................................................................................ 73<br />

StGB § 177 I § 184f Nr. 1, Sexuelle Handlungen................................................................................ 74<br />

BGH, Beschl. v. 26.08.2008 – 4 StR 373/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 29 ........................................................................... 74<br />

StGB § 177 III Nr. 2 Schuldspruchreduzierung durch Revisionsgericht ........................................ 75<br />

BGH, Beschl. v. 16.10.2008 – 4 StR 465/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 80¸BGHR StGB § 177 III Nr. 2 Werkzeug 2....... 75<br />

437


438<br />

StGB § 177 IV Nr. 1 Hund als gefährliches Werkzeug...................................................................... 76<br />

BGH, Urt.v. 30.09.2008 – 5 StR 227/08 - NStZ-RR 2008, 370 ......................................................................... 76<br />

StGB § 177 Motiv des Opfers zur Einwilligung unerheblich............................................................ 77<br />

BGH, Beschl. v. 10.12.2008 – 2 StR 517/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 207 ......................................................................... 77<br />

StGB § 177, StPO § 261 Glaubwürdigkeit anders beurteilt als Sachverst....................................... 78<br />

BGH, Beschl. v. 17.09.2008 – 5 StR 276/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 106 ......................................................................... 78<br />

StGB § 179 I Körperkontakt zwischen Täter und Opfer ................................................................. 80<br />

BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – 2 StR 385/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 14..................................................................... 80<br />

StGB § 184b IV 1 Bestz – Besitzverschaffen kinderpornografischer Schriften .............................. 82<br />

BGH, Beschl. v. 10.07.2008 – 3 StR 215/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 208; StraFo 2008, 477; BGHR StGB § 184b<br />

Konkurrenzen ..................................................................................................................................................... 82<br />

StGB § 185, Beleidigung durch körperliche Einwirkung.................................................................. 83<br />

BGH, Urt. v. 05.03.<strong>2009</strong> – 4 StR 594/08 ........................................................................................................... 83<br />

StGB §§ 185, 258 StPO §§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 Abs. 1 – Beleidigung und Strafvereitelung durch<br />

Verteidiger............................................................................................................................................. 85<br />

BGH, Urt. v. 27.03.<strong>2009</strong> – 2 StR 302/08 = NStZ <strong>2009</strong>, 517.............................................................................. 85<br />

StGB § 211 Heimtücke.......................................................................................................................... 91<br />

BGH, Beschl. v. 05.05.<strong>2009</strong> – 5 StR 50/09........................................................................................................ 91<br />

StGB § 211 II Heimtücke, StGB § 212 ................................................................................................ 93<br />

BGH; Urt. v. 17.09.2008 – 5 StR 189/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 30................................................................................. 93<br />

StGB § 211 II niedrige Beweggründe.................................................................................................. 95<br />

BGH, Urt.v. 30.10.2008 – 4 StR 352/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 210................................................................................ 95<br />

StGB § 211 II niedrige Beweggründe, Heimtücke, ............................................................................ 96<br />

BGH, Urt. v. 12.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 529/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 264............................................................................... 96<br />

StGB § 211 Mordmerkmalen in einem Fall der Tötung eines Säuglings......................................... 98<br />

BGH, Urt. v. 03.09.2008 – 2 StR 305/08 ........................................................................................................... 98<br />

StGB § 211 StPO § 358 II 1 Prüfung aller Mordmerkmale (niedriger Beweggrund) .................. 104<br />

BGH, Beschl. v. 04.12.2008 – 1 StR 327/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 226 ....................................................................... 104<br />

StGB § 211, StGB § 224 I Nr. 3 Überfall hinterlistig ....................................................................... 107<br />

BGH; Beschl. v. 30.10.2008 – 3 StR 334/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 77; StV <strong>2009</strong>, 187; StraFo <strong>2009</strong>, 80.............. 107<br />

StGB § 212 Vorsatz............................................................................................................................. 108<br />

BGH, Beschl. v. 22.04.<strong>2009</strong> – 5 StR 88/09...................................................................................................... 108<br />

StGB § 222 Fahrl. Tötung durch Weitergabe von BtM .................................................................. 110<br />

BGH, Urt. v. 29.04.<strong>2009</strong> – 1 StR 518/08 ......................................................................................................... 110<br />

StGB § 222, § 228, § 229 Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr ................ 112<br />

BGH; Urt.v. 20.11.2208 – 4 StR 328/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1155; NStZ <strong>2009</strong>, 148 ................................................ 112<br />

StGB §§ 222, 229 Verantwortlichkeiten für einen Gebäudeeinsturz bei Arbeitsteilung............. 117<br />

BGH, Urt. v. 13.11.2008 – 4 StR 252/08 - NJW <strong>2009</strong>, 240; NStZ <strong>2009</strong>, 146.................................................. 117<br />

StGB § 223, WStG § 30 I, WStG § 31 I Soldatenurteil Münster .................................................. 121<br />

BGH; Urt. v. 14.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 554/08 ......................................................................................................... 121<br />

StGB § 244 I Nr. 2, StGB § 244a, StPO § 354 I Bandendiebstahl................................................... 134<br />

BGH, Beschl. v. 24.07.2008 – 3 StR 243/08 - StV 2008, 575; StV <strong>2009</strong>, 130 ................................................ 134


StGB § 246 II Unterschlagung noch nicht durch Abladen an falscher Adresse ........................... 135<br />

BGH, Beschl. v. 02.09.2008 – 4 StR 281/08 - wistra 2008, 466; NStZ-RR <strong>2009</strong>, 51...................................... 135<br />

StGB § 246 II, Leasingunterschlagung? ..........................................................................................136<br />

BGH, Beschl. v. 11.02.<strong>2009</strong> – 5 StR 11/09 - StraFo <strong>2009</strong>, 163 ....................................................................... 136<br />

StGB § 246, § 266, 283 ff. Bankrott Beiseiteschaffen von Gesellschaftsvermögen........................ 138<br />

BGH, Beschl. v. 10.02.<strong>2009</strong> – 3 StR 372/08 – NJW <strong>2009</strong>, 2225 ff.mit Anm. Link 2228................................ 138<br />

StGB § 249, § 223 Raub unter Ausnutzung von Gewalt ohne Wegnahmeabsicht ........................ 142<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.<strong>2009</strong> – 5 StR 39/09...................................................................................................... 142<br />

StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Raub mit Waffe Beutesicherung .............................................................. 143<br />

BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – 5 StR 445/08 - BGHSt 52, 376; NJW 2008, 3651; NStZ <strong>2009</strong>, 36; StV 2008, 64;<br />

BGHR StGB § 250 II Nr. 1 Verwenden 7 ........................................................................................................ 143<br />

StGB § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a Misshandlungen nach Vollendung einer Raubtat......................... 144<br />

BGH, Urt. v. 26.03.<strong>2009</strong> – 5 StR 31/09 ........................................................................................................... 144<br />

StGB § 250 I Nr. 1b Raub mit Hilfe von "K.O-Tropfen" ............................................................... 147<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 473/08.................................................................................................... 147<br />

StGB § 250, § 253, § 255 Irrtum über Anspruch bei Erpressung................................................... 147<br />

BGH; Beschl. v. 17.12.2008 – 1 StR 648/08.................................................................................................... 147<br />

StGB § 259 mitbestrafte Nachtat....................................................................................................... 149<br />

BGH, Urt. v. 27.08.2008 – 2 StR 329/08 - StraFo 2008, 479; NStZ <strong>2009</strong>, 38 ................................................. 149<br />

StGB § 261 Geldwäsche - Herrühren................................................................................................ 150<br />

BGH, Beschl. v. 18.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 4/09 = JZ <strong>2009</strong>, 745 m. Anm. Fahl........................................................ 150<br />

StGB § 261, StPO § 24, StPO § 26a I Nr. 2 Unmut beim BGH über Amokverteidigung............. 153<br />

BGH, Beschl. v. 20.03.<strong>2009</strong> – 2 StR 545/08.................................................................................................... 153<br />

StGB § 263 Abs. 1 Schaden durch Risiko ......................................................................................... 153<br />

BGH, Beschl. v. 18.02.<strong>2009</strong> - 1 StR 731/08 – NJW <strong>2009</strong>, 330 (Anm. Rübenstahl) = StV <strong>2009</strong>, 242............. 153<br />

StGB § 263 Betrug am Diebesgut ...................................................................................................... 157<br />

BGH, Beschl. v. 27.05.2008 – 4 StR 58/08 - NStZ 2008, 627 ......................................................................... 157<br />

StGB § 263 Kein Schaden, wenn Rückzahlung sicher..................................................................... 158<br />

BGH; Beschl. v. 05.05.<strong>2009</strong> – 3 StR 475/08.................................................................................................... 158<br />

StGB §§ 263, 352, 353 ......................................................................................................................... 159<br />

BGH, Beschl. v. 09.06.<strong>2009</strong> – 5 StR 394/09.................................................................................................... 159<br />

StGB § 265 a Abs. 1 Beförderungserschleichen setzt keine Täuschung voraus ............................ 163<br />

BGH, Beschl. v. 08.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 117/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1091; NStZ <strong>2009</strong>, 21 ............................................ 163<br />

StGB §§ 266, 299 a.F.; IntBestG Art. 2 § 1 Nr. 2 Untreue durch „Schwarze Kasen“ - Siemens 166<br />

BGH, Urt. v. 29.08.2008 – 2 StR 587/07 -BGHSt 52, 323; NJW <strong>2009</strong>, 89; NStZ <strong>2009</strong>, 95; StV <strong>2009</strong>, 21..... 166<br />

StGB § 266 Freundschaft ist kein Treueverhältnis.......................................................................... 177<br />

BGH, Beschl. v. 25.11.2008 – 4 StR 500/08 - wistra <strong>2009</strong>, 106 ...................................................................... 177<br />

StGB § 266, BeurkG § 54d Nr. 1 Untreue durch Notar................................................................... 178<br />

BGH, Beschl. v. 29.07.2008 – 4 StR 232/08 - StraFo 2008, 479 ..................................................................... 178<br />

StGB § 267 Endlich eine Lücke im totalen Strafrecht: Erwerb einer unechten Urkund............. 179<br />

BGH, Beschl. v. 05.08.2008 - 3 StR 242/08 - NStZ-RR 2008, 371; StV 2008, 565 ........................................ 179<br />

439


StGB § 271 Zulassungsbescheinigung öffentliche Urkunde............................................................ 180<br />

BGH, Beschl. v. 30.10.2008 – 3 StR 156/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 120 ..................................................................... 180<br />

StGB § 283 I Nr. 8 Bankrott............................................................................................................... 184<br />

BGH, Beschl. v. 24.03.<strong>2009</strong> – 5 StR 353/08 (alt: 5 StR 412/03) ..................................................................... 184<br />

StGB § 315b I Nr. 3 Schutzzweck des § 315 b StGB gebietet restriktive Auslegung .................... 187<br />

BGH, Beschl. v. 04.11.2008 – 4 StR 411/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 100 ....................................................................... 187<br />

StGB § 315c I Nr. 2a, StVO § 8, § 10 1 Zusammentreffen der Fahrlinien zweier Fahrzeuge...... 189<br />

BGH, Beschl. v . 20.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 396/08................................................................................................... 189<br />

StGB § 333 Unrechtsvereinbarung - Fall Utz Claassen (WM-Ticket-Affaire)............................. 190<br />

BGH, Urt. v.1410.2008 - 1 StR 260/08 - NJW 2008, 3580; NStZ 2008, 688 Anmerkungen: Trüg, NJW <strong>2009</strong>,<br />

196; Schlösser, wistra <strong>2009</strong>, 155; Hettinger, JZ <strong>2009</strong>, 370; Hamacher, DB 2008, 2747 ................................. 190<br />

StGB § 356 II Parteiverrat selbe Rechtssache.................................................................................. 196<br />

BGH, Beschl. v. 04.11.2008 – 4 StR 195/08 - wistra <strong>2009</strong>, 113 ...................................................................... 196<br />

Materielles Nebenstrafrecht........................................................................................................198<br />

AO § 153 Abs. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 2 steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht - Vorsatz<br />

.............................................................................................................................................................. 198<br />

BGH, Beschl. v. 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 479/08.................................................................................................... 198<br />

AO § 370 § 371, UStG § 18 III 1 Selbstanzeige hilft nur dem selbst anzeigenden Täter .............. 203<br />

BGH, Urt. v. 02.12.2008 - 1 StR 344/08 .......................................................................................................... 203<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Beihilfe zu mehreren Steuerhinterziehungen............................................ 205<br />

BGH, Beschl. v. 22.09.2008 - 1 StR 323/08 - NJW <strong>2009</strong>, 690; NStZ <strong>2009</strong>, 159; StV <strong>2009</strong>, 169 Anm.<br />

Beulke/Witzigmann StV <strong>2009</strong>, 394.................................................................................................................. 205<br />

AO § 370 Abs. 1 und 3; StGB § 266a, Zur Straf<strong>zum</strong>essung bei Steuerhinterziehung................. 209<br />

BGH, Urt. v. 02.12.2008 – 1 StR 416/08 - NJW <strong>2009</strong>, 528; NStZ <strong>2009</strong>, 271; StV <strong>2009</strong>, 188 ........................ 209<br />

AO § 370 Abs. 1 und 4, UStG § 18, StGB § 46 Steuerhinterziehung „auf Zeit“ und Erfolg (nich<br />

nurHinterziehungszinsen) .................................................................................................................. 217<br />

BGH, Urt. v. 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 627/08 ......................................................................................................... 217<br />

AO § 370 Abs. 1 und Abs. 4 , StGB § 46 Abs. – Straf<strong>zum</strong>essung bei Steuerdelikten................... 224<br />

BGH, Urt. v. 30.04.<strong>2009</strong> – 1 StR 342/08 ......................................................................................................... 224<br />

AO § 370, UStG § 2 I 1, EGV Art 234 III EU und Steuerhinterziehung ....................................... 229<br />

BGH, Beschl. v. 19.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 633/08.................................................................................................... 229<br />

AO § 386 Abs. 4; StGB § 258a ........................................................................................................... 231<br />

BGH, Beschl. v. 30.04.09 – 1 StR 90/09.......................................................................................................... 231<br />

AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 7, § 61 Abs. 1 Satz 2 Verletzung von Auflagen..................................... 233<br />

BGH, Beschl. v. 17.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 381/08.................................................................................................... 233<br />

AWG § 34 Abs. 2 Nr. 3 Störung auswärtiger Beziehungen............................................................. 236<br />

BGH, Beschl. v. 13.01.<strong>2009</strong> – AK 20/08 ......................................................................................................... 236<br />

BtmG § 29 a Handeltreiben Mittäterschaft...................................................................................... 244<br />

BGH, Beschl. v. 21.04.<strong>2009</strong> – 3 StR 107/09.................................................................................................... 244<br />

BtMG § 29 a Nicht geringe Menge ab 5 Gramm Metamfetamin-Base .......................................... 246<br />

BGH, Urt. v. 03.12.2008 – 2 StR 86/08 - NJW <strong>2009</strong>, 863 ............................................................................... 246<br />

440


BtMG § 29a I Nr. 2 Auffangtatbestand zu Verbrechenstatbeständen, Beihilfe............................ 251<br />

BGH, Beschl. v. 02.10.2008 – 3 StR 352/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 58................................................................... 251<br />

BtMG § 29a I Nr. 2, BtMG § 30 I Nr. 4 Duldung von Lagerung ist noch keine Beihilfe <strong>zum</strong><br />

Handeltreiben...................................................................................................................................... 252<br />

BGH, Beschl. v. 12.02.<strong>2009</strong> - 3 StR 12/09...................................................................................................... 252<br />

GmbHG § 84 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzantragspflicht des Schuldners entfällt nicht schondurch<br />

Insolvenzantrag des Gläubigers......................................................................................................... 253<br />

BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08 = NJW <strong>2009</strong>, 157 =StV <strong>2009</strong>, 193 Anm. Schröder, Christian<br />

GmbHR <strong>2009</strong>, 207, Poertzgen, NZI <strong>2009</strong>, 127 ................................................................................................ 253<br />

WStG § 30 § 31 Abs. 1, § 5 Abs. 1 „Geiselnahmeübungen“. ........................................................ 259<br />

BGH, Urt. v. 14.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 158/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1360; NStZ <strong>2009</strong>, 289................................................ 259<br />

Verfahrensrecht...........................................................................................................................259<br />

StPO § 004, § 266; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 (faires Verfahren).................................................. 259<br />

BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – 4 StR 318/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1429; NStZ <strong>2009</strong>, 222; StraFo <strong>2009</strong>, 110............. 259<br />

StPO § 010, § 13 a Gerichtsbarkeit bei Hoheitsgewalt des deutschen Flaggenstaates.................. 261<br />

BGH, Beschl. v. 07.04.<strong>2009</strong> – 2 ARs 180/09 2 AR 108/09 ............................................................................. 261<br />

StPO § 016 Rügerecht bei Präklusion bez. Mitangeklagtem ......................................................... 263<br />

BGH, Urt. v. 30.09.2008 – 5 StR 215/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 221; StraFo <strong>2009</strong>, 102; BGHR StPO § 13 I<br />

Zusammenhang 4.............................................................................................................................................. 263<br />

StPO § 022 Nr. 1 Bruder des Richters Verletzter ............................................................................ 265<br />

BGH, Beschl. v. 24.03.2008 – 5 StR 394/08.................................................................................................... 265<br />

StPO § 024 II Ablehnung der Richter des 1. StS wegen (überflüssiger) Ausführungen in<br />

Senatsentscheidung („wenn die abgelehnten Richter dem Instanzgericht eine Beweiswürdigung<br />

ans Herz legen, der ein Denkfehler innewohnt“) ............................................................................. 266<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – 1 StR 541/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 85................................................................... 266<br />

StPO § 024 II, § 136a, StPO § 337, StPO § 345 I, EMRK Art 6 I 1 Keine Ablehnungsrüge nach<br />

Dealgesprächen ................................................................................................................................... 271<br />

BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 3 StR 431/08 - StV <strong>2009</strong>, 171.......................................................................... 271<br />

StPO § 024, § 26a I Nr. 1, StPO § 27 Unverzügliches Ablehnungsgesuch ..................................... 271<br />

BGH, Beschl. v. 27.08.2008 – 2 StR 261/08 - wistra 2008, 473; NStZ <strong>2009</strong>, 223........................................... 271<br />

StPO § 024, 273 I Weigerung des Vorsitzenden, mündlich vorgetragenen Ablehnungsgründe in<br />

Protokoll aufzunehmen ...................................................................................................................... 273<br />

BGH, Beschl. v. 12.12.2008 – 2 StR 479/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 142; StraFo <strong>2009</strong>, 145 ................................... 273<br />

StPO § 052 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1, § 154 Abs. 1 und 2............................................................. 275<br />

BGH, Beschl. v. 30.04.<strong>2009</strong> – 1 StR 745/09.................................................................................................... 275<br />

StPO § 059 I 1, StPO § 60 Zeugeneid Ermessen des Gerichts ........................................................ 279<br />

BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – 3 StR 429/08 – NStZ <strong>2009</strong>, 343 = StV <strong>2009</strong>, 225 ........................................... 279<br />

StPO § 099 § 95 Abs. 2 Sicherstellung von E-Mails beim E-Mail-Provider ................................. 279<br />

BGH, Beschl. v. 31.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 76/09...................................................................................................... 279<br />

StPO § 100f, MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Überwachung von Ehegattengesprächen in Besuchsraum<br />

in der Untersuchungshaft................................................................................................................... 281<br />

BGH, Urt. vom 29. April <strong>2009</strong> - 1 StR 701/08 – NJW <strong>2009</strong>, 2463 = JUS <strong>2009</strong>, 861 (Anm. Jahn) = NStZ <strong>2009</strong>,<br />

519 = demnächst in JR (Anm. Zuck)................................................................................................................ 281<br />

441


442<br />

StPO § 100 a Abs. 2 Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei TÜ..................................................... 288<br />

BGH, Urt. v. 27.11.<strong>2009</strong> – 3 StR 342/08 - NJW <strong>2009</strong>, 791; NStZ <strong>2009</strong>, 224.................................................. 288<br />

StPO § 101 Abs. 7 Nachträglicher Rechtsschutz nach heimliche Ermittlungsmaßnahmen ........ 290<br />

BGH, Beschl. v. 08.10.2008 – StB 12-15/08.................................................................................................... 290<br />

StPO § 111 b Abs. 3 Satz 3 ................................................................................................................. 292<br />

BGH, Beschl. v. 16.06.<strong>2009</strong> – StB 19/09......................................................................................................... 292<br />

StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 Belehrungsmangel, qualifizierte Belehrung, Widerspruch ................. 295<br />

BGH, Urt. v. 18.12.2008 – 4 StR 455/08 - NJW <strong>2009</strong>, BGHSt 53, 112; 1427; NStZ <strong>2009</strong>, 281; StraFo <strong>2009</strong>,<br />

150.................................................................................................................................................................... 295<br />

StPO § 136 I 2 Täuschung durch Verdeckten Ermittler ................................................................. 298<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 296/08 – NStZ <strong>2009</strong>, 343 = StV <strong>2009</strong>, 225 ........................................... 298<br />

StPO § 141, § 143, § 413 Mindeststandards für Verteidigung zu prüfen durch Gericht ............. 301<br />

BGH, Beschl. v. 30.09.2008 – 5 StR 251/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 107; BGHR StPO § 142 I Entpflichtung 3......... 301<br />

StPO § 147 Akteneinsicht vor Beginn des Verfahrens? .................................................................. 301<br />

BGH, Beschl. v. 22.01.<strong>2009</strong> – StB 29/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 145...................................................................... 301<br />

StPO § 147 Keine Akteneinsicht in das Senatsheft des Revisionsgerichts ..................................... 303<br />

BGH, Beschl. v. 05.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 697/08.................................................................................................... 303<br />

StPO § 168c Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Benachrichtigungspflicht kein Verwertungsverbot bei<br />

Mitbeschuldigten................................................................................................................................. 303<br />

BGH, Beschl. v. 17.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 691/08.................................................................................................... 303<br />

StPO § 217 II, § 218 I. Verzicht auf die Ladung des Wahlverteidigers liegt nicht in der rügelosen<br />

Einlassung............................................................................................................................................ 307<br />

BGH, Beschl. v. 24.07.2008 – 4 StR 84/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 48; StV 2008, 563; wistra 2008, 398 ..................... 307<br />

StPO § 228 I, § 229 Unterbrechung der Hauptverhandlung auch durch unvorsehbar kurze<br />

Verhandlung........................................................................................................................................ 308<br />

BGH, Besch. v. 05.11.2008 – 1 StR 583/08 - NJW <strong>2009</strong>, 384; NStZ <strong>2009</strong>, 168 ............................................. 308<br />

StPO § 231c, § 338 Nr. 5, JGG § 31 II 1 Beurlaubung Voraussetzungen ...................................... 309<br />

BGH, Beschl. v. 05.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 609/08.................................................................................................... 309<br />

StPO § 244 II Stattgebende Entscheidung zu Beweisantrag begründet auch unter<br />

Fairnessaspekten nicht § 338 Nr. 8 StPO.......................................................................................... 310<br />

BGH, Urt. v. 09.12.2008 – 5 StR 412/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 75............................................................................. 310<br />

StPO § 244 II, StPO § 261 Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung bei Absprache ................ 314<br />

BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – 3 StR 21/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 152 ....................................................................... 314<br />

StPO § 244 II, StPO § 338 Nr. 8, StPO § 475 I 1 Rügeanforderungen bei Aufklärungsrüge wegen<br />

Nichtbeiziehung von Akten ................................................................................................................ 316<br />

BGH, Beschl. v. 17.07.2008 – 3 StR 250/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 51; StV 2008, 567; BGHR StPO § 338 Nr. 8<br />

Beschränkung 9; BGHR StPO § 475 Interesse 1.............................................................................................. 316<br />

StPO § 244 IV 2, §256 I 2 Beweisantrag auf weiteren SV nach Behördengutachten.................... 318<br />

BGH, Beschl. v. 22.08.2008 – 2 StR 195/08 - NJW 2008, 3232; NStZ 2008, 708; StV 2008, 564................. 318<br />

StPO § 246 Abs. 1; StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag Hilfsbeweisantrag Fristenlösung<br />

Verschleppungsabsicht ....................................................................................................................... 320<br />

BGH, Beschl. v. 23.09.2008 - 1 StR 484/08 - BGHSt 52, 355; NJW <strong>2009</strong>, 605; NStZ <strong>2009</strong>, 169; StV <strong>2009</strong>,<br />

64Krit. Anm. Fezer HRRS <strong>2009</strong>, 17 ff.; König, StV <strong>2009</strong>, 171; Gaede, NJW <strong>2009</strong>, 605; vgl. auch Beulke in:


Rechtsprechung, Gesetzgebung, Lehre: Wer regelt das Strafrecht? Tagungsband 2. Karlsruher<br />

Strafrechtsdialog. Erscheint in Kürze; Vorabdruck jetzt in StV <strong>2009</strong>, 554 ff., 555 ff. gegen Pfister StV <strong>2009</strong>,<br />

550; kritisch auch Meyer-GoßnerStPO, 52. Aufl.§ 244 Rn. 69b.................................................................... 320<br />

StPO § 249 Abs. 2; Beruhen bei unterlassenem Selbstlesen............................................................ 324<br />

BGH, Beschl. v. 8. Juli <strong>2009</strong> - 2 StR 54/09...................................................................................................... 324<br />

StPO § 254 Erklärung des Angekl. durch Verteidiger in der HV .................................................. 326<br />

BGH, Beschl. v. 10.11.2008 – 3 StR 390/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 173 ....................................................................... 326<br />

StPO § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 – Letztes Wort nach Haftbeschluss vor Urteil ...................... 327<br />

BGH, Beschl. v. 28.05.<strong>2009</strong> – 4 StR 51/09...................................................................................................... 327<br />

StPO § 258 II, III Letztes Wort nach Antrag StA zu Haft.............................................................. 328<br />

BGH, Beschl. v. 27.01.<strong>2009</strong> – 5 StR 590/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 109 ..................................................................... 328<br />

StPO § 261 - Beweiswürdigung anfängliches Schweigen................................................................. 328<br />

BGH, Beschl. v. 18.06.2008 – 2 StR 225/08.................................................................................................... 328<br />

StPO § 261 „Tatmotiv fehlt nicht deshalb, weil es das Gericht nicht erkennt.“ ........................... 331<br />

BGH, Urt. v. 21.10.2008 – 1 StR 292/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 90 ........................................................................ 331<br />

StPO § 261 Aussage gegen Aussage bei "Schockzustand" des Opfers........................................... 333<br />

BGH, Beschl. v. 11.09.2008 – 4 StR 267/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 108 ....................................................................... 333<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung bei Freispruch .................................................................................. 334<br />

BGH, Urt. v. 22.04.<strong>2009</strong> – 5 StR 48/09 ........................................................................................................... 334<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung zu Wiedererkennen.......................................................................... 336<br />

BGH, Beschl. v. 01.10.2008 – 5 StR 439/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 283; StV 2008, 622; BGHR StPO § 261<br />

Identifizierung 17 ............................................................................................................................................. 336<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung: Einlassung beim Fehlen von Anhaltspunkten für Richtigkeit nicht<br />

„unwiderlegbar“ ................................................................................................................................. 338<br />

BGH, Besch. v. 07.11.2008 – 1 StR 581/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 59.................................................................... 338<br />

StPO § 261 Darstellung im Urteil zur "hohen Aussagequalität" eines kindlichen Opferzeugen 339<br />

BGH, Beschl. v. 02.09.2008 – 5 StR 248/08.................................................................................................... 339<br />

StPO § 261 DNA Beweiswert ............................................................................................................. 341<br />

BGH, Urt. v. 26.05.<strong>2009</strong> – 1StR 597/08 .......................................................................................................... 341<br />

StPO § 261, § 267; AO Beweiswürdigung bei Freispruch - Steuerhinterziehung......................... 345<br />

BGH, Urt. v. 17.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 479/08 ......................................................................................................... 345<br />

StPO § 261, § 301 Beweiswürdigung und mathematische Gewissheit ........................................... 348<br />

BGH, Urt. v. 26.06.2008 – 3 StR 159/08 - NStZ-RR 2008, 350; StraFo 2008, 434......................................... 348<br />

StPO § 261, BtMG § 30 I Nr. 4 Schätzung der „Qualität“ von BtM.............................................. 350<br />

BGH, Beschl. v. 14.05.2008 – 2 StR 167/08 - NStZ-RR 2008, 319................................................................. 350<br />

StPO § 261, EMRK Art 6 I 1; StGB § 66 II, § 263........................................................................... 351<br />

BGH, Beschl. v. 18.06.2008 - 1 StR 204/08 - NStZ 2008, 620; StV 2008, 561............................................... 351<br />

StPO § 261, StGB § 255 DNA Beweiswert ........................................................................................ 353<br />

BGH; Beschl. v. 21.01.<strong>2009</strong> – 1 StR 722/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1159; NStZ <strong>2009</strong>, 285.......................................... 353<br />

StPO § 261, StGB § 64 Zur Übernahme der Ergebnisse einer kriminalpolizeilichen<br />

"Täteranalyse" durch das Gericht.................................................................................................... 354<br />

BGH, Beschl. v. 16.12.2008 – 3 StR 453/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 284 ....................................................................... 354<br />

443


StPO § 261, WaffG § 52 Beweiswürdigung fehlerhaft..................................................................... 356<br />

BGH, Beschl. v. 25.11.2008 – 5 StR 491/08 - StV <strong>2009</strong>, 174.......................................................................... 356<br />

StPO § 264 Zum Begriff der prozessualen Tat................................................................................ 359<br />

BGH, Beschl. v. 09.04.2008 – 3 StR 86/08 - BGHR StPO § 264 I Tatidentität 44.......................................... 359<br />

StPO § 264 Abs. 1, StGB § 316, BtMG Strafklageverbraucxh durch Strafbefehl, Tatidentität.. 360<br />

BGH, Beschl. v. 05.03.<strong>2009</strong> – 3 StR 566/08.................................................................................................... 360<br />

StPO § 264 Körperverletzungen gegen verschiedene Opfer immer mehreres Taten im Proz. Sinn<br />

.............................................................................................................................................................. 363<br />

BGH, Beschl. v. 18.03.<strong>2009</strong> – 1 StR 50/09...................................................................................................... 363<br />

StPO § 264, StPO § 267 I Ausschöpfung des Anklagevorwurfs ..................................................... 364<br />

BGH, Urt. v. 30.10.2008 – 3 StR 375/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 71............................................................................. 364<br />

StPO § 265 II Hinweispflicht vor Unterbringung in SV.................................................................. 368<br />

BGH, Beschl. v. 23.10.2008 – 3 StR 350/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 75; StV <strong>2009</strong>, 118; StraFo <strong>2009</strong>, 72.............. 368<br />

StPO § 267 I 1 Unübersichtliche Urteilsgründe als Sachmangel ?................................................. 369<br />

BGH, Beschl. v. 05.12.2008 – 2 StR 424/08.................................................................................................... 369<br />

StPO § 267 I 2 Umfang der Urteiksgründe: Keine vollst. Dokumentation.................................... 371<br />

BGH, Beschl. v. 09.12.2008 -5 StR 511/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 228; StV <strong>2009</strong>, 116................................................ 371<br />

StPO § 267 IV 3 Situation nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision und<br />

Gewährung von Wiedereinsetzung durch das Revisionsgericht..................................................... 372<br />

BGH, Beschl. v. 10.09.2008 - 2 StR 134/08 - NJW 2008, 3509 ...................................................................... 372<br />

StPO § 274 Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Beratung keine "Förmlichkeit"........... 375<br />

BGH, Beschl. v. 14.10.2008 – 4 StR 260/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 105; wistra <strong>2009</strong>, 33............................................. 375<br />

StPO § 286 ff. Revision unter Bedingung des Misserfolgs der Haftbeschwerde unzulässig ........ 376<br />

BGH; Beschl. v. 04.03.<strong>2009</strong> – 2 StR 7/09........................................................................................................ 376<br />

StPO § 302 I 1 Rechtsmittelverzicht nach Absprache und qualifizierter Belehrung wirksam.... 377<br />

BGH, Beschl. v. 05.12.2008 – 2 StR 495/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 147; StV <strong>2009</strong>, 174 ....................................... 377<br />

StPO § 302 Teilanfechtung durch StA weitergehend aus Begründung ......................................... 378<br />

BGH, Urt. v. 07.05.<strong>2009</strong> – 3 StR 122/09 ......................................................................................................... 378<br />

StPO § 338 Nr. 1c, GVG § 76 II 1 Nur 2 Berufsrichter Besetzungsfehler ................................ 380<br />

BGH, Beschl. 05.08.2008 – 5 StR 317/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 53; StV 2008, 505; BGHR GVG § 76 II<br />

Besetzungsbeschluss 6...................................................................................................................................... 380<br />

StPO § 338 Nr. 4, GG Art 101 I 2 Funktionelle Zuständigkeit des Gerichts durch unterlassenen<br />

Einwand der funktionellen Unzuständigkeit.................................................................................... 381<br />

BGH, Urt. v. 11.12.2008 – 4 StR 376/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 155........................................................................... 381<br />

StPO § 338 Nr. 4, GVG § 24 II, § 25 II - objektiv willkürlichen Entziehung des gesetzlichen<br />

Richters ................................................................................................................................................ 384<br />

BGH, Beschl. v. 19.02.<strong>2009</strong> – 3 StR 439/08.................................................................................................... 384<br />

StPO § 338 Nr. 5, StPO § 344 II 2 Rügeanforderungen Teil der Zeugenvern. In Abwesenheit des<br />

Angeklagten......................................................................................................................................... 387<br />

BGH, Beschl. v. 22.07.2008 – 4 StR 245/08 - NStZ 2008, 644; StV 2008, 566 .............................................. 387<br />

StPO § 344 II 2 Rügeanforderung bei beanstandeter Verlängerung der TÜ................................ 387<br />

BGH, Beschl. v. 24.02.<strong>2009</strong> – 4 StR 476/08.................................................................................................... 387<br />

444


StPO § 344 II 2, EMRK Art 6 I 1 Rügeanforderung bei Vorwurf der konventionswidrigen<br />

Verzögerung ........................................................................................................................................ 388<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – 1 StR 568/08 - NStZ-RR <strong>2009</strong>, 92; StV <strong>2009</strong>, 118 ......................................... 388<br />

StPO § 344 II 2, StPO § 345 I Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle................ 389<br />

BGH, Beschl. v. 27.11.2008 – 5 StR 496/08 - StraFo <strong>2009</strong>, 23 ....................................................................... 389<br />

StPO § 349 II, StPO § 356a Rechtliches Gehör gegen ou-Antrag und abweichende Begründung<br />

.............................................................................................................................................................. 390<br />

BGH, Beschl. v. 08.04.<strong>2009</strong> – 5 StR 40/09...................................................................................................... 390<br />

StPO § 353 II Aufhebung des Urteils durch Revisionsgericht Keine Übernahme von<br />

Feststellungen ...................................................................................................................................... 391<br />

BGH, Beschl. v. 14.10.2008 – 4 StR 172/08.................................................................................................... 391<br />

StPO § 356a Revisionsger. Entsch. Über Befangenheits allein die Anhörungsrüge ..................... 392<br />

BGH, Beschl. v. 06.02.<strong>2009</strong> – 1 StR 541/08 - NJW <strong>2009</strong>, 1092...................................................................... 392<br />

StPO § 356a; BVerfGG § 93 II 6 Anhörungsrüge Zurechnung von Verteidigungsfehler............ 394<br />

BGH, Beschl. v. 13.08.2008 – 1 StR 162/08 - wistra <strong>2009</strong>, 33 ........................................................................ 394<br />

StPO § 357 Keine Erstreckung auf Nichtrevidenten bei Vollstreckungsmodell .......................... 396<br />

BGH, Beschl. v. 21.10.2008 – 4 StR 364/08 - NJW <strong>2009</strong>, 307; NStZ <strong>2009</strong>, 108 ............................................ 396<br />

StPO § 395 II Nr. 1 Leiche als Nebenkläger? ................................................................................... 399<br />

BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – 4 StR 301/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 174 ....................................................................... 399<br />

StPO § 406g Abs. 3 Satz 1, § 472 I, 1, § 473 I 2 Auslagenerstattung für Nebenkläger<br />

Revisionsinstanz .................................................................................................................................. 400<br />

BGH, Beschl. v. 8.10.2008 - 1 StR 497/08 - NJW <strong>2009</strong>, 308; NStZ <strong>2009</strong>, 287; BGHR StPO § 473 I 2<br />

Auslagenerstattung 1 ........................................................................................................................................ 400<br />

StPO § 456a, GVG § 132 II Anfrage wegen Härteausgleich für ausl. Urteile bei Gesamtstrafe . 401<br />

BGH, Beschl. v. 29.10.2008 – 2 StR 386/08.................................................................................................... 401<br />

StPO § 462 a Abs. 1 und 2 Vollstreckungskammer Zuständigkeit................................................. 404<br />

BGH, Beschl. v. 06.05.<strong>2009</strong> – 2 ARs 98/09, 2 AR 70/09 ................................................................................ 404<br />

StPO § 464 III, StPO § 465 Kostenentscheidung bei letzlich erfolgloser Revision ....................... 406<br />

BGH, Beschl. v. 30.09.2008 – 4 StR 374/08 - StraFo 2008, 529 ..................................................................... 406<br />

StrEG§ 5 Abs. 2 S. 1 Unsorgfältiges Aussageverhalten führt <strong>zum</strong> Ausschluss von Entschädigung<br />

.............................................................................................................................................................. 407<br />

BGH, Beschl. v. 06.08.2008 – 2 StR 19/08...................................................................................................... 407<br />

UStG § 6a , AO § 370 Abs. 1 Nr. 1..................................................................................................... 408<br />

BGH, Beschl. v. 20.11.2008 – 1 StR 354/08 - wistra <strong>2009</strong>, 159 ...................................................................... 408<br />

WaffG § 52 Abs. 3 Nr. 7 Scheingeschäft mit der Vertrauensperson schafft keine Gefährdungslage<br />

.............................................................................................................................................................. 408<br />

BGH, Beschl. v. 05.05.<strong>2009</strong> – 1 StR 737/08.................................................................................................... 408<br />

EMRK Art 6 I 1 Fristberechnung für rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ................ 410<br />

BGH, Beschl. v. 23.07.2008 – 2 StR 252/08.................................................................................................... 410<br />

EMRK Art 6 I 1 Kompensation Verletzung Beschleunigungsgebots............................................. 410<br />

BGH, Urt. v. 09.10.2008 – 1 StR 238/08 - StraFo 2008, 513........................................................................... 410<br />

EMRK Art 6 I 1 Verfahrensverzögerung Kompensation ............................................................... 414<br />

445


BGH, Beschl. v. 15.01.<strong>2009</strong> – 4 StR 537/08.................................................................................................... 414<br />

EMRK Art 6 I 1; StGB § 46, StGB § 266 - Maß der Kompensation.............................................. 415<br />

BGH, Besch. v. 29.10.2008 – 2 StR 467/08 - NStZ <strong>2009</strong>, 287 ........................................................................ 415<br />

GVG § 21 e Abs. 3, StPO § 338 Nr. 1 Buchst. b Hilfsstrafkammer Notwendigkeit zu begründen<br />

.............................................................................................................................................................. 416<br />

BGH, Urt. v. 09.04.<strong>2009</strong> – 3 StR 376/08 ......................................................................................................... 416<br />

GVG § 21e – g, 192 GVG, § 338 Nr. 1 StPO Besetzung nach Neufassung des § 23g GVG ........ 422<br />

BGH, Beschl. v. 08.01.<strong>2009</strong> – 5 StR 537/08 - NJW <strong>2009</strong>, 931........................................................................ 422<br />

GVG § 21f Abs. 1; GVG § 192; DRiG § 37; § 27 Abs. 2; AO § 180 Vorsitzende an zwei Gerichten<br />

? ............................................................................................................................................................ 424<br />

BGH, Beschl. v. 10.12. 2008 - 1 StR 322/08 - NJW <strong>2009</strong>, 381 ....................................................................... 424<br />

JGG § 106 Abs. 3 Satz 2 Vorbehaltene SV ....................................................................................... 428<br />

BGH, Urt. v. 13.08.2008 - 2 StR 240/08 - NJW 2008, 3297; NStZ 2008, 696 ................................................ 428<br />

JGG § 33 b Abs. 2, GVG § 76 Abs. 2 Grundsatz der Unabänderlichkeit der Entscheidungen<br />

über eine Besetzungsreduktion.......................................................................................................... 432<br />

BGH, Beschl. v. 29.01.<strong>2009</strong> – 3 StR 567/08.................................................................................................... 432<br />

MRK Art. 6 III a Beschleunigungsgebot – Kompensation allein durch Feststellung der<br />

Verletzung............................................................................................................................................ 435<br />

BGH, Beschl. v. 15.04.<strong>2009</strong> – 3 StR 128/09.................................................................................................... 435<br />

Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................436<br />

446

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