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Wieviel Gleichheit wollen wir? - Hannah Arendt in Hannover

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Angelika Krebs<br />

<strong>Wieviel</strong> <strong>Gleichheit</strong> <strong>wollen</strong> <strong>wir</strong>?<br />

In der Titelfrage steckt bereits die These me<strong>in</strong>es Textes: <strong>Gleichheit</strong> ist weniger e<strong>in</strong>e Frage des<br />

moralischen Sollens denn e<strong>in</strong>e Frage des Wollens. Mit dieser These gehe ich <strong>in</strong> Opposition<br />

zum Ma<strong>in</strong>stream der politischen Gegenwartsphilosophie. Der Ma<strong>in</strong>stream von John Rawls<br />

über Ronald Dwork<strong>in</strong> bis h<strong>in</strong> zu Amartya Sen versteht Gerechtigkeit wesentlich als<br />

<strong>Gleichheit</strong>. E<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaft ist danach e<strong>in</strong>e Gesellschaft, die allen ihren<br />

Mitgliedern e<strong>in</strong> gleichermassen gutes Leben ermöglicht. Niemand soll, zum<strong>in</strong>dest nicht<br />

aufgrund von D<strong>in</strong>gen, für die er nichts kann, schlechter dastehen im Leben als die anderen.<br />

Die Gegenposition, die ich im folgenden vertreten werde, versteht Gerechtigkeit nicht als<br />

<strong>Gleichheit</strong>. Der nonegalitaristische Humanismus von Martha Nussbaum, Michael Walzer oder<br />

Avishai Margalit stellt Würde <strong>in</strong>s Zentrum der Gerechtigkeit. E<strong>in</strong>e gerechte Gesellschaft ist<br />

danach e<strong>in</strong>e Gesellschaft, die allen ihren Mitgliedern e<strong>in</strong> menschenwürdiges Leben<br />

ermöglicht. Niemand soll unter die Schwelle e<strong>in</strong>es anständigen Lebens gedrückt werden.<br />

Jeder soll genug haben. Ungleichheit oberhalb der Schwelle des Genug erachtet der<br />

Humanismus nicht per se als ungerecht. <strong>Gleichheit</strong> oberhalb der Schwelle ist eher e<strong>in</strong>e Frage<br />

des Wollens denn des moralischen Sollens.<br />

Im folgenden werde ich zunächst <strong>in</strong> Teil I den Egalitarismus charakterisieren, dann <strong>in</strong> Teil II<br />

die Gegenposition des Humanismus vorstellen und schliesslich im dritten und letzten Teil<br />

me<strong>in</strong>en Haupte<strong>in</strong>wand gegen den Egalitarismus auf den Tisch legen.<br />

I. Egalitarismus<br />

E<strong>in</strong>e Konzeption von Gerechtigkeit ist egalitaristisch, wenn sie Gerechtigkeit wesentlich über<br />

<strong>Gleichheit</strong> versteht, <strong>Gleichheit</strong> also als e<strong>in</strong> zentrales und unabgeleitetes Ziel von Gerechtigkeit<br />

ansieht, als moralischen Selbstzweck oder Eigenwert. Anders gesagt, bestimmt e<strong>in</strong>e<br />

egalitaristische Gerechtigkeitstheorie das e<strong>in</strong>em jeden gerechtermassen Zustehende<br />

wesentlich relational oder komparativ, mit Blick auf andere, und nicht absolut, unabhängig<br />

von anderen. Die Standardform von Gerechtigkeitsansprüchen im Egalitarismus ist demnach:<br />

Person P steht Gut G zu, weil andere Personen G auch haben oder bekommen haben. E<strong>in</strong>e<br />

Balkenwaage mag diese Relationalität symbolisieren.<br />

Die H<strong>in</strong>sicht, <strong>in</strong> welcher der moderne Egalitarismus <strong>Gleichheit</strong> unter den Menschen<br />

ver<strong>wir</strong>klichen will, ist gewöhnlich ihre Möglichkeit, nach ihren eigenen Vorstellungen gut zu<br />

leben, ihre Lebensaussichten. Die sogenannte „Equality-of-What?”-Debatte kreist um die<br />

Frage, wie man diese H<strong>in</strong>sicht genauer <strong>in</strong>terpretiert. John Rawls will die <strong>Gleichheit</strong> der<br />

Lebensaussichten festmachen an der Verfügung über gleich viele Grundgüter, Ronald<br />

Dwork<strong>in</strong> an der Verfügung über gleich viele Ressourcen. Amartya Sen <strong>in</strong>terpretiert das<br />

<strong>Gleichheit</strong>sideal als <strong>Gleichheit</strong> der Funktionsfähigkeit.<br />

Die H<strong>in</strong>sicht Lebensaussichten (wie auch immer genauer <strong>in</strong>terpretiert) erfährt im<br />

Egalitarismus allerd<strong>in</strong>gs meist noch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung auf unverdiente Lebensaussichten, da<br />

Menschen mitunter selbst etwas dafür könnten, wie gut oder schlecht sie im Vergleich zu<br />

anderen dastehen. Wenn die e<strong>in</strong>en hart arbeiten oder sparen, während die anderen „sich auf<br />

die faule Haut legen“ oder „das Geld zum Fenster herausschmeissen“, und die e<strong>in</strong>en fortan<br />

über bessere Lebensaussichten verfügen als die anderen, dürfe dies nicht als Verletzung der<br />

normativ gebotenen <strong>Gleichheit</strong> gelten, sondern sei moralisch ganz <strong>in</strong> Ordnung. Für ihre<br />

Entscheidungen müssten die Menschen schon selbst e<strong>in</strong>stehen. Egalisiert müsse nur werden,<br />

1


was Menschen e<strong>in</strong>fach so zufällt, zum Beispiel die Gaben der Natur, der äusseren wie der<br />

<strong>in</strong>neren, Erbschaften oder Geschenke.<br />

<strong>Gleichheit</strong> muss nicht der e<strong>in</strong>zige Eigenwert se<strong>in</strong>, den e<strong>in</strong>e egalitaristische<br />

Gerechtigkeitstheorie verfolgt. Typischerweise verb<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e egalitaristische Theorie den<br />

Eigenwert von <strong>Gleichheit</strong> mit dem Eigenwert von Wohlfahrt. Denn <strong>Gleichheit</strong> unter den<br />

Menschen lässt sich schliesslich auch dadurch schaffen, dass man e<strong>in</strong>fach alle umbr<strong>in</strong>gt. Alle<br />

mit 0 Lebensaussichten ist auch e<strong>in</strong>e Form der <strong>Gleichheit</strong>.<br />

Dieses Beispiel macht die Notwendigkeit des Übergangs von e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>en Egalitarismus mit<br />

nur dem e<strong>in</strong>en Eigenwert <strong>Gleichheit</strong> zu e<strong>in</strong>em pluralistischen Egalitarismus mit zum<strong>in</strong>dest<br />

e<strong>in</strong>em weiteren Eigenwert für Wohlfahrt deutlich.<br />

Der pluralistische Egalitarismus sollte zudem vielleicht „moderat“ genug se<strong>in</strong>, um im<br />

Konfliktfall „<strong>Gleichheit</strong> versus Wohlfahrt“ nicht immer <strong>Gleichheit</strong> Trumpf se<strong>in</strong> zu lassen,<br />

sondern Abstriche an <strong>Gleichheit</strong> um e<strong>in</strong>er höheren Lebensqualität für alle willen<br />

h<strong>in</strong>zunehmen. E<strong>in</strong> berühmtes Beispiel für e<strong>in</strong>en moderaten, pluralistischen Egalitarismus ist<br />

John Rawls’ Abmilderung des <strong>Gleichheit</strong>spr<strong>in</strong>zips zum Differenzpr<strong>in</strong>zip, das<br />

sozioökonomische Ungleichheiten, welche die absolute Position der am schlechtest Gestellten<br />

anheben, als gerecht ausweist.<br />

Damit ist das Grundmuster der egalitaristischen Gerechtigkeitskonzeption vorgestellt: Der<br />

Egalitarismus komb<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> der Regel, als pluralistischer Egalitarismus, e<strong>in</strong><br />

<strong>Gleichheit</strong>spr<strong>in</strong>zip bezüglich unverdienter Lebensaussichten mit e<strong>in</strong>em Wohlfahrtspr<strong>in</strong>zip und<br />

nimmt moderaterweise im Konfliktfall „<strong>Gleichheit</strong> versus Wohlfahrt“ gewisse Abstriche an<br />

<strong>Gleichheit</strong> um e<strong>in</strong>er grösseren allgeme<strong>in</strong>en Wohlfahrt willen h<strong>in</strong>.<br />

II. Der Humanismus<br />

Der Nonegalitarismus misst <strong>Gleichheit</strong> ke<strong>in</strong>en zentralen Wert an sich zu. Er versteht<br />

Gerechtigkeit nicht relational, sondern wesentlich über absolute Standards der Suffizienz.<br />

Könnte man die Lebensaussichten der Menschen mit e<strong>in</strong>er Waage messen, dann operierte der<br />

Nonegalitarismus mit e<strong>in</strong>er gängigen Küchenwaage und trachtete danach, dass alle Menschen<br />

den grünen Bereich des Genug erreichen. Ungleichheiten oberhalb der Schwelle des Genug<br />

gelten im Nonegalitarismus nicht per se als ungerecht. Je nachdem, mit welchen Sockelwerten<br />

e<strong>in</strong> Nonegalitarismus operiert, ergeben sich verschiedene Varianten der nonegalitaristischen<br />

Gerechtigkeitskonzeption. Es gibt nicht nur e<strong>in</strong>e Alternative zum Egalitarismus, es gibt ihrer<br />

viele.<br />

So stellt zum Beispiel der Libertarianismus Robert Nozicks e<strong>in</strong>e nonegalitaristische<br />

Gerechtigkeitskonzeption dar. Nozick will die negative Freiheit aller schützen. Niemand darf<br />

se<strong>in</strong>es Lebens, se<strong>in</strong>er Gesundheit, se<strong>in</strong>er Freiheit oder se<strong>in</strong>es Eigentums beraubt werden.<br />

E<strong>in</strong>en Staat, der über die Garantie dieser m<strong>in</strong>imalen Abwehrrechte h<strong>in</strong>ausgeht, begreift<br />

Nozick als Unrechtsstaat.<br />

Die meisten Nonegalitaristen heute geben sich mit solch m<strong>in</strong>imalen absoluten Standards nicht<br />

zufrieden. Die Vision der gerechten Gesellschaft, die sie dem Egalitarismus gegenüberstellen,<br />

ist weit attraktiver als der Nozicksche Libertarianismus. Bei den neuen Nonegalitaristen hat<br />

der Staat nicht nur die negative Freiheit aller zu schützen. Er hat auch dafür zu sorgen, dass<br />

niemand unter elenden Umständen existieren muss. Jeder muss Zugang haben zu:<br />

• Nahrung<br />

• Obdach<br />

• Sicherheit<br />

• mediz<strong>in</strong>ischer Grundversorgung<br />

• persönlichen Nahbeziehungen<br />

• sozialer Zugehörigkeit<br />

2


• Individualität<br />

• privater wie politischer Autonomie.<br />

Allen muss e<strong>in</strong> menschenwürdiges Leben effektiv ermöglicht werden, was nicht heisst, dass<br />

nicht alle, etwa durch Arbeit, auch ihren Teil dazu zu leisten haben, dass sie e<strong>in</strong><br />

menschenwürdiges Niveau erreichen.<br />

Im nonegalitaristischen Humanismus weitet sich damit der Fokus von negativer Freiheit auf<br />

Menschenwürde. Gerechtigkeit muss jedoch im Humanismus nicht e<strong>in</strong>fach mit der<br />

unbed<strong>in</strong>gten Garantie e<strong>in</strong>es humanitären Sockels für alle zusammenfallen. Dem Sockel<br />

nachgeordnet können vielmehr diverse Verteilungspr<strong>in</strong>zipien rangieren, wie die Pr<strong>in</strong>zipien<br />

der Anerkennung besonderer Leistungen, der Vergabe von Stellen nach Qualifikation oder<br />

des freien Tausches. Die Garantiepr<strong>in</strong>zipien des Sockel-Bereichs s<strong>in</strong>d als „allgeme<strong>in</strong>e<br />

Gerechtigkeit“, „Menschenrechte“, „Anstand“ („decency“) oder „politische Solidarität“<br />

term<strong>in</strong>ologisch zu unterscheiden von den darüber liegenden Verteilungspr<strong>in</strong>zipien der<br />

„besonderen Gerechtigkeit“, „Gerechtigkeit (im engeren S<strong>in</strong>ne)“, „B<strong>in</strong>destrich-“ oder<br />

„Verteilungsgerechtigkeit(en)“.<br />

Die derzeit bekanntesten humanistischen Gerechtigkeitstheorien dürften die Sphärentheorie<br />

von Michael Walzer, der Aristotelische Essentialismus von Martha Nussbaum und die Politik<br />

der Würde von Avishai Margalit se<strong>in</strong> (vgl. Krebs (Hg.) 2000, 2002).<br />

III. Die Kritik am Egalitarismus<br />

Der wichtigste Vorwurf an den Egalitarismus lautet auf Verwechslung von „Allgeme<strong>in</strong>heit“<br />

mit „<strong>Gleichheit</strong>“: Argumente dafür, dass Gerechtigkeit <strong>Gleichheit</strong> verlangt und damit mehr<br />

als e<strong>in</strong>en Sockel von Menschenrechten plus Verteilungsgerechtigkeit für alle, sucht man <strong>in</strong><br />

der politischen Gegenwartsphilosophie vergebens. Was man anstelle von Argumenten f<strong>in</strong>det,<br />

ist e<strong>in</strong>e Verwechslung von Forderungen nach Allgeme<strong>in</strong>heit oder Inklusion, nach der<br />

allgeme<strong>in</strong>en Gewährung des Zugangs zu dem Sockel e<strong>in</strong>erseits, mit Forderungen nach<br />

relationaler <strong>Gleichheit</strong> andererseits. Anders gesagt, man f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Verwechslung von<br />

Forderungen nach dem Genug für alle mit Forderungen nach dem Gleich Viel wie die anderen<br />

für alle. Der Verwechslung zugrunde liegt e<strong>in</strong>e logische Möglichkeit unserer Sprache, die<br />

Möglichkeit, dass man Forderungen nach Allgeme<strong>in</strong>heit oder Inklusion stets <strong>in</strong> Forderungen<br />

nach <strong>Gleichheit</strong> umformulieren kann. Statt:<br />

„Alle Menschen sollen den Sockel erreichen können“,<br />

kann man auch sagen:<br />

„Alle Menschen sollen gleich dar<strong>in</strong> gemacht werden, dass sie den Sockel erreichen können“,<br />

oder:<br />

„Ihre Lebensaussichten sollen dah<strong>in</strong>gehend angeglichen werden“.<br />

Aber diese <strong>Gleichheit</strong>, die man dann fordert, ist nur e<strong>in</strong> Nebenprodukt des eigentlichen Ziels.<br />

Die <strong>Gleichheit</strong> sitzt auf der allgeme<strong>in</strong>en Gewährung von x oder der Inklusion <strong>in</strong> x nur auf. Sie<br />

ist nicht unabhängig davon. An sich ist die Angleichung der Lebenschancen der Menschen<br />

ke<strong>in</strong> Ziel der Gerechtigkeit, sondern e<strong>in</strong>e Ausgeburt des Neides oder, mit Nietzsche geredet,<br />

des Ressentiment. Nietzsche trägt wie üblich zu dick auf, doch sieht man <strong>in</strong> der Übertreibung<br />

die Stossrichtung deutlicher:<br />

Das s<strong>in</strong>d alles Menschen des Ressentiment, diese psychologisch Verunglückten und Wurmstichigen, e<strong>in</strong><br />

ganzes zitterndes Erdreich unterirdischer Rache, unerschöpflich, unersättlich <strong>in</strong> Ausbrüchen gegen die<br />

Glücklichen und ebenso <strong>in</strong> Maskeraden der Rache, <strong>in</strong> Vorwänden zur Rache: wann würden sie<br />

eigentlich zu ihrem letzten, fe<strong>in</strong>sten, sublimsten Triumph der Rache kommen? Dann unzweifelhaft,<br />

wenn es ihnen gelänge, ihr eignes Elend, alles Elend überhaupt den Glücklichen <strong>in</strong>’s Gewissen zu<br />

schieben: so dass diese sich e<strong>in</strong>es Tags ihres Glücks zu schämen begönnen und vielleicht e<strong>in</strong>ander sich<br />

sagten: „es ist e<strong>in</strong>e Schande, glücklich zu se<strong>in</strong>! es giebt zu viel Elend!“ ... Aber es könnte gar ke<strong>in</strong><br />

grösseres und verhängnisvolleres Missverständnis geben, als wenn dergestalt die Glücklichen, die<br />

Wohlgerathenen, die Mächtigen an Leib und Seele anf<strong>in</strong>gen, an ihrem Recht auf Glück zu zweifeln. Fort<br />

3


mit dieser „verkehrten Welt“! Fort mit dieser schändlichen Verweichlichung des Gefühls! Dass die<br />

Kranken nicht die Gesunden krank machen – ... - das Höhere soll sich nicht zum Werkzeug des<br />

Niedrigsten herabwürdigen, das Pathos der Distanz soll <strong>in</strong> alle Ewigkeit auch die Aufgaben aus<br />

e<strong>in</strong>ander halten! Ihr Recht, dazuse<strong>in</strong>, das Vorrecht der Glocke mit vollem Klang vor der misstönigen,<br />

zersprungenen, ist ja e<strong>in</strong> tausendfach grösseres: sie alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Bürgen der Zukunft, sie alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d<br />

verpflichtet für die Menschen-Zukunft. (Genealogie der Moral, Absatz 14 der Dritten Abhandlung)<br />

Wir müssen im Namen der Gerechtigkeit nicht alle Kont<strong>in</strong>genzen, von denen das menschliche<br />

Leben nur so wimmelt, kompensieren, um möglichst gerade Balken zu erreichen.<br />

Gerechtigkeit ist ke<strong>in</strong> Kompensationsbetrieb für Glück und Pech aller Art. Wer hungert oder<br />

schwer krank ist, hat e<strong>in</strong>en moralischen Anspruch auf Unterstützung, nicht weil es anderen<br />

unverdientermassen besser geht als ihm, sondern weil es ihm schlecht geht und Punkt.<br />

Der Egalitarismus gew<strong>in</strong>nt se<strong>in</strong>e Plausibilität vor allem aus der Ungerechtigkeit der<br />

Verletzung menschenwürdiger Lebensbed<strong>in</strong>gungen, die er als Ungleichheiten beschreibt. Wie<br />

kann es gerecht se<strong>in</strong>, fragt der Egalitarist, wenn die e<strong>in</strong>en hungern müssen und die anderen<br />

Austern und Champagner schlürfen? Gerechtigkeit muss <strong>Gleichheit</strong> unter den Menschen<br />

schaffen. – Identifiziert man jedoch die vorliegende Ungerechtigkeit richtig, nämlich als<br />

Verletzung elementarer, absoluter Gerechtigkeitsstandards, dann verliert der Egalitarismus<br />

se<strong>in</strong>e Plausibilität, und was bleibt ist der illegitime Übergang vom Genug zum Gleich Viel<br />

wie die anderen, von Universalität und Unparteilichkeit zu Egalität.<br />

IV. Literatur<br />

Dwork<strong>in</strong>, Ronald (1981) „What Is Equality? Part 2: Equality of Resources”, <strong>in</strong>: Philosophy and Public Affairs<br />

10, S. 283-345.<br />

Krebs, Angelika (Hg.) (2000) <strong>Gleichheit</strong> oder Gerechtigkeit. Frankfurt: Suhrkamp Verlag. Mit Beiträgen von<br />

Harry Frankfurt, Joseph Raz, Derek Parfit, Avishai Margalit, Elizabeth Anderson und Michael Walzer.<br />

Krebs, Angelika (2002) Arbeit und Liebe. Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt:<br />

Suhrkamp Verlag.<br />

Margalit, Avishai (1996) The Decent Society. Cambridge: Harvard University Press. Deutsch (1997) Politik der<br />

Würde. Berl<strong>in</strong>: Alexander Fest Verlag.<br />

Nozick, Robert (1974) Anarchy, State, and Utopia. Oxford: Basil Blackwell. Deutsch (1976) Anarchie, Staat,<br />

Utopie. München: Wolfgang Drummer Verlag.<br />

Nussbaum, Martha (1992) “Human Function<strong>in</strong>g and Social Justice”, <strong>in</strong>: Political Theory 20, 2, S. 202-246.<br />

Deutsch (1993) <strong>in</strong>: Micha Brumlik und Hauke Brunkhorst (Hg.) Geme<strong>in</strong>schaft und Gerechtigkeit. Frankfurt:<br />

Fischer Verlag, S. 323-361.<br />

Rawls, John (1971) A Theory of Justice. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press. Deutsch (1975)<br />

E<strong>in</strong>e Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt: Suhrkamp Verlag.<br />

Sen, Amartya (1992) Inequality Reexam<strong>in</strong>ed. Oxford: Clarendon Press.<br />

Walzer, Michael (1983) Spheres of Justice. Oxford: Basil Blackwell. Deutsch (1992) Sphären der<br />

Gerechtigkeit. Frankfurt: Campus Verlag.<br />

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