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Heimat

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<strong>Heimat</strong><br />

von Hans Dieter Peschken<br />

So geht es der <strong>Heimat</strong>, wenn <strong>Heimat</strong>freunde<br />

sich Ihrer annehmen. Wenn sie zu wissen<br />

oder zu fühlen glauben, was <strong>Heimat</strong> bedeutet.<br />

Dann sind sie begeistert dabei und der<br />

Leser staunt ob der Fülle der Beiträge und der<br />

Gedanken, wie sie im letzten Heft der <strong>Heimat</strong><br />

zu lesen waren. Und der Leser denkt an Paul<br />

Watzlawick 1 und dessen Gedanken. Nämlich<br />

daran, dass zuviel des Guten schlecht werden<br />

kann. Nun sei Schlechtes nicht den Autoren<br />

und auch nicht den Herausgebern der <strong>Heimat</strong><br />

unterstellt. Aber, in solcher Fülle reizen die<br />

<strong>Heimat</strong>-Elogen doch zum Widerspruch, zum<br />

Mindesten zu einer kritischen Reflexion.<br />

Zur Erinnerung, so war der Tenor: Die <strong>Heimat</strong><br />

wird als Ort gesehen oder soziales Gefüge<br />

definiert, in das man durch Geburt oder Zuzug<br />

hineingeraten ist. Zufall bestimmte also, was<br />

als <strong>Heimat</strong> gemeint wird. Kein Zufall scheint<br />

es, wie man damit umgeht. Man muss sie<br />

offenbar lieben, die <strong>Heimat</strong>, das ist Konsens.<br />

Egal, wie sie aussieht, wie die Lebens- und<br />

Wohnverhältnisse dort sind. <strong>Heimat</strong>los zu<br />

sein ist für Menschen unvorstellbar, offenbar<br />

ein schrecklicher Zustand. Umso schrecklicher,<br />

je mehr sie sich von ihrer vermeintlichen<br />

<strong>Heimat</strong> räumlich oder mental entfernt<br />

haben. Sie gar ohne eigene Schuld „verloren“<br />

haben. <strong>Heimat</strong> wird zu einem Sehnsuchtsort,<br />

an dem sie in Gedanken und Träumen verweilen,<br />

den sie nicht selten in ihrer Erinnerung<br />

erst erschaffen.<br />

Aber gibt es sie überhaupt, die <strong>Heimat</strong>? Ein<br />

persönlicher, lokalisierbarer, begrenzter Ort?<br />

Wird der Mensch etwa mit Wurzeln geboren,<br />

oder nicht doch mit Beinen und Füßen, mit<br />

denen er sich fortbewegen kann? Primaten<br />

bewohnen ein Revier, das sie verteidigen,<br />

aber auch wechseln können. Wie war es<br />

mit unseren Vorfahren? Sie streiften zuerst<br />

umher, Nahrungssuche und Nahrungsangebot<br />

bestimmten ihren Lebensraum. Den sie<br />

ausdehnten und wechselten, wenn es zum<br />

Überleben nötig erschien. So breiteten sich<br />

unsere Vorfahren auf der ganzen Erde aus,<br />

lange Zeit immer unterwegs. Ja, unterwegs<br />

zu sein war der selbstverständliche Zustand,<br />

der das Lebensgefühl bestimmte. Mit<br />

der Sesshaftigkeit, mit der Schaffung einer<br />

dauerhaften Wohnstatt, einer <strong>Heimat</strong>, kam<br />

nicht das Glück, sondern das große Übel<br />

über die Menschen. <strong>Heimat</strong> wurde „Besitz“,<br />

im Wortsinn. Wurde ein Stück Land, auf dem<br />

man „saß“, wurde zu Eigentum. Eigentum als<br />

<strong>Heimat</strong> schloss zugleich andere davon aus,<br />

am gleichen Platz eine <strong>Heimat</strong> zu finden. Erschlug<br />

Kain, der sesshafte Ackerbauer, nicht<br />

seinen Bruder Abel, weil er seinen Besitz<br />

gegen den umherziehenden Hirten verteidigen<br />

wollte? Und entsprangen und entspringen<br />

nicht alle Kriege in der Welt dem Versuch,<br />

die alte angestammte <strong>Heimat</strong> zu verteidigen,<br />

die anderen zu vertreiben und heimatlos zu<br />

machen? Und geht es nicht immer darum,<br />

die alte <strong>Heimat</strong> um eine neue <strong>Heimat</strong> zu vergrößern?<br />

Aber auch die kleineren Übel sind mit <strong>Heimat</strong><br />

verbunden. Der ideologische Abkömmling<br />

der hehren <strong>Heimat</strong> ist der Eigenheim-Wahn.<br />

Er zerstört unsere Städte, lässt sie ausfransen.<br />

Menschen wird eingeredet, ein eigenes,<br />

eingezäuntes Haus draußen vor der Stadt zu<br />

besitzen, gebe ihnen Sicherheit. Dort sei ihr<br />

Heim, das sei ihre <strong>Heimat</strong>. Um von dort weg<br />

und wieder zurück zu kommen, müssen sie<br />

fahren, produzieren Autoverkehr und verpesten<br />

die Luft. Oder sie bleiben zu Hause, in<br />

ihrem Eigenheim, wo es so gemütlich sein<br />

soll, und sie doch nur einsam sind. Im Gegenzug<br />

veröden die Städte, ihre Infrastruktur wird<br />

zerstört und ihre Bewohner werden ebenfalls<br />

zum Fahren gezwungen, wenn sie arbeiten<br />

oder einkaufen wollen.<br />

Sind wir Menschen denn auf der Erde, um<br />

hier heimisch zu sein? Martin Heidegger sagt:<br />

„Der Mensch ist gegen seinen Willen in die<br />

Welt geworfen und sein Sein ist ein Sein zum<br />

Tode.“ 2 Ich bin in Krefeld geboren, zufällig,<br />

und habe immer im Radius von 500 Metern<br />

um meine Volksschule gewohnt. Ich bin ein<br />

Einheimischer, ohne Zweifel. In der Geschichte<br />

der Stadt kenne ich mich etwas aus, kann<br />

mich auch in der hier üblichen Sprache ausdrücken.<br />

Ich lebe auch nicht ungern hier, wäre<br />

das so, wäre ich längst weggezogen. Bin<br />

ich deswegen hier heimisch?<br />

Als ich geboren wurde, und das war im Krieg,<br />

sagte man, ich sei „zur Welt gekommen.“ Zur<br />

Welt, nicht nach Krefeld. Überall auf der Welt<br />

kommen die Kinder „auf die Welt.“ Ich bin<br />

beileibe nicht das, was man einen Weltbürger<br />

nennt. Längst noch nicht war ich auf allen<br />

Kontinenten. Aber ich bin sicher, dass ich ein<br />

Mensch bin, der auf der Erde lebt, ein einheimischer<br />

Erdenbewohner. Der vorübergehend<br />

hier lebt, denn mein Aufenthalt – wie der aller<br />

Menschen – hier ist zeitlich begrenzt. „Was<br />

ist Euer Leben? Ein Rauch seid Ihr, der eine<br />

kleine Zeit bleibt und dann verschwindet“,<br />

schreibt Jakobus. 3 Ich bin Gast auf der Erde,<br />

bin vorübergehend ein Erdenbewohner. Und<br />

bin ein Erbe aller meiner Vorgänger auf der<br />

Erde, gleich wo sie lebten. Und deshalb ist<br />

es auch so, dass ich mich an Orten spontan<br />

wohlfühle, an denen ich vorher nie war. An<br />

ganz fremden Orten kann sich ein Gefühl einstellen,<br />

das zwischen guter Erinnerung und<br />

Geborgensein schwankt. Vielleicht ist es dieses<br />

Gefühl, das manche als „<strong>Heimat</strong>gefühl“<br />

bezeichnen. Mich bindet das Gefühl nicht an<br />

einen Ort, es ist nicht an Krefeld noch sonst<br />

einen Ort verankert.<br />

Bestimmt erbt der Mensch von seinen Vorfahren<br />

mehr als Körperbau, Haut- oder Augenfarbe.<br />

Er erbt auch die Erlebnisse seiner<br />

Ahnen, vage vielleicht, und nicht zu konkretisieren.<br />

Aber eben dieses Nachfühlen, diese<br />

Erinnerung an selber nie erlebte Zeiten und<br />

nie gesehene Orte steckt in uns allen. Wenn<br />

wir wollen, können wir es spüren, und wir<br />

können es nur wollen, wenn wir uns darüber<br />

klar werden: <strong>Heimat</strong> als einen geografisch<br />

bestimmbaren Ort unserer Biografie gibt es<br />

nicht. <strong>Heimat</strong> ist eine Illusion, <strong>Heimat</strong> wird<br />

oft ideologisch verwendet um Menschen zu<br />

manipulieren. Ernst Bloch nennt seinen Begriff<br />

„Ultimum“ als „etwas, das allen in die<br />

Kindheit scheint und worin noch niemand<br />

war: <strong>Heimat</strong>.“ 4<br />

<strong>Heimat</strong> ist eine Utopie, ist der vergebliche<br />

Versuch, etwas Dauerhaftes, ein statisches<br />

Paradies im Diesseits zu schaffen. Wir sind<br />

Reisende, Durchreisende auf dieser Erde.<br />

Unsere Reise, jedes Menschen Reise, hat<br />

mit dem Beginn der Menschheit begonnen.<br />

Unser mentales Reisegepäck erhielten wir<br />

von den Vorfahren und wir werden es weiterreichen.<br />

Und unsere Reise wird mit unserem<br />

Tod nicht enden. Wir werden weiterleben in<br />

allen irdisch Reisenden, eine <strong>Heimat</strong> jedoch<br />

wird nie jemand finden. „<strong>Heimat</strong> haben“, an<br />

einen Ort gebunden bleiben, als Synonym<br />

für „glücklich sein“ zu brauchen, wird genau<br />

dazu führen, dass Glücklichsein verhindert<br />

wird.<br />

die <strong>Heimat</strong> 81/2010 19


Alles, was hier gegen die <strong>Heimat</strong> vorgebracht<br />

wird, ist ein Versuch, die Welt besser zu machen,<br />

wie es Harald Martenstein vorschlägt.<br />

Oder wenigstens sie zu bereichern. „Suchen<br />

Sie eine gut abgehangene Allerweltsthese,<br />

eine Meinung, der alle, die Sie kennen, beipflichten.<br />

(…) Und nun vertreten Sie mit großem<br />

Nachdruck das genaue Gegenteil. (…)<br />

Sie bereichern die geistige Landschaft. (…)<br />

Sehr bald wird ein Einfaltspinsel daher kommen<br />

und Ihnen Zynismus vorwerfen. Dann<br />

zitieren Sie am besten den Germanisten und<br />

Schillerpreisträger Peter-André Alt, der sagt:<br />

,Das Moralische zielt darauf ab, bewundert<br />

zu werden, und ist deshalb eine Form des<br />

Egoismus.‘ Wirklich gut ist, philosophisch<br />

betrachtet, vermutlich nur das Böse.“ 5 Soweit<br />

Harald Martenstein, und mit ihm bin ich<br />

der Meinung, dass gerade eine befremdliche,<br />

einigen gar böse erscheinende Meinung<br />

die Welt, und sei es auch nur deren<br />

kleiner Krefelder Teil, bereichern kann. Den<br />

kleinen Teil der Welt, in dem sich nicht nur<br />

Krefelder aufhalten, wie schon Fritz Huhnen<br />

6 feststellte, sondern auch Gute und<br />

Böse.<br />

Anmerkungen<br />

1 Paul Watzlawick, Vom Schlechten des Guten oder Hekates<br />

Lösungen, Piper, München 1986<br />

2 Martin Heidegger, Sein und Zeit, 19. Auflage, Niemeyer,<br />

Tübingen 2006<br />

3 Jakobusbrief, 4,14<br />

4 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 3 Bde. 1954 – 1959<br />

5 Harald Martenstein, Über die Kunst, anderer Meinung zu<br />

sein, in: Zeit Magazin Nr. 53, 22. 12. 2009<br />

6 Fritz Huhnen, Gute, Böse und Krefelder, Verlag C.<br />

Busch-Du Fallois und Söhne, Krefeld, 1950<br />

Mundart<br />

von Theo Versteegen<br />

Bee os tu Huus<br />

<strong>Heimat</strong><br />

… wieermaake<br />

Dä Berg, dat Krütz, die Müehle<br />

jehüere bee’enieen,<br />

dat kannste richtig fühle,<br />

dat kannste och wahl sieehn.<br />

Die Alde on die Jonge<br />

jehüere bee’enieen,<br />

jeflött on och jesonge,<br />

tesaame mot et sieen.<br />

Et Wirke on et Danze<br />

jehüere bee’enieen,<br />

kenn Stöckwerk, nä et Janze,<br />

dat mot et emmer sieen.<br />

Et Free’e on et Trou’e<br />

jehüere bee’enieen,<br />

en Hüske han off bou’e,<br />

dat kann bee os noch sieen.<br />

Et Kuome on et Wegjoehn<br />

jehüere bee’enieen,<br />

on jedes Kiehr ant Bett stoehn,<br />

dat mot bee os noch sieen,<br />

beei os tu Huus.<br />

Wä wet, wat kömmt?<br />

wovan man drömt.<br />

Wat üever es,<br />

dat es jewess,<br />

es net miehr doe<br />

wo et ens woer.<br />

Diep en os dren,<br />

en Hert on Senn,<br />

doe levvt et doch,<br />

doe set et noch,<br />

wat os jelieert,<br />

wat wir jefieert<br />

Stärk wie ’ne Buom,<br />

leet wie ’ne Druom,<br />

free wie en Sproehn,<br />

et Hert en de Boem,<br />

de Woertel diep,<br />

jesonk on riep.<br />

Jewirkt, jebett,<br />

van allem jett,<br />

jefreet, jetrout,<br />

jett opjebout,<br />

jepott, jeseit,<br />

on enjebreit.<br />

Met Fröndlichkieet<br />

für Hölp jerieet<br />

bee Alt on Nöi,<br />

bee Bau on Bäu,<br />

bee jedermann<br />

duon wat mer kann.<br />

’Ne kloere Bleck,<br />

’ne fasse Trett,<br />

en echt Tuhuus,<br />

’ne frouhe Jruß,<br />

suo en de Welt<br />

min <strong>Heimat</strong> tällt.<br />

Wat die Alde früher mieke,<br />

– ens en dänne Pött te kieke, –<br />

wat se os als Erv trückliete,<br />

tällt für os noch lange Tiete.<br />

Net bluoß Deckele opbühre,<br />

öm dann en die Pött te rühre,<br />

nöie Koss jelt et te fenge<br />

on dann op de Dösch te brenge.<br />

Feste en et Füer renbloese,<br />

net mar en de Äsch römkroese,<br />

jederieen soll doevan leäve,<br />

soll jett krieje, soll jett jeäve.<br />

Jeder soll sin Stell vertreäne,<br />

suo met Wirke on met Beäne.<br />

Wenn se all tesaamehalde,<br />

hölpt et Jonge on och Alde.<br />

20 die <strong>Heimat</strong> 81/2010

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