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Wiedergutmachung in Rumänien stockt - Heldsdorf

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<strong>Wiedergutmachung</strong> <strong>in</strong> Rumänien <strong>stockt</strong><br />

He<strong>in</strong>z Götsch<br />

Rechtsanwalt/Hermannstadt<br />

(erschienen <strong>in</strong> der Siebenbürgischen Zeitung vom 8. August 2010)<br />

Rumänien legt die f<strong>in</strong>anzielle Entschädigung für Enteignungsopfer auf Eis und begrenzt die<br />

Entschädigung für Opfer kommunistischer Verfolgung. Mit der Dr<strong>in</strong>glichkeitsverordnung Nr.<br />

62/2010, veröffentlicht im Amtsblatt Rumäniens Nr. 446 vom 1. Juli 2010, hat die Regierung<br />

<strong>in</strong> Bukarest e<strong>in</strong>schneidende, nach Ansicht des Juristen He<strong>in</strong>z Götsch verfassungswidrige und<br />

menschenrechtsverletzende Änderungen des Gesetzes 247/2005 und des Gesetzes Nr.<br />

221/2009 verfügt. Begründet werden die Änderungen mit der angespannten Wirtschafts- und<br />

F<strong>in</strong>anzlage des Landes.<br />

Auch bisher wurden Entschädigungszahlungen für nicht restituierte Immobilien kaum oder<br />

nur spärlich geleistet. Rumänien ist Spitzenreiter bei den Verurteilungen wegen<br />

Eigentumsverletzungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser hat<br />

wiederholt bemängelt, dass der für Auszahlungen e<strong>in</strong>gerichtete Eigentumsfond (Fondul<br />

Proprietatea) nicht funktioniert.<br />

Das Gesetz 247/2005, Titel VII, über die Regelung der f<strong>in</strong>anziellen Entschädigung für<br />

widerrechtlich enteignete Immobilien, die nicht <strong>in</strong> natura restituiert wurden, ist geändert<br />

worden. Mit der Dr<strong>in</strong>glichkeitsverordnung Nr. 62/2010 s<strong>in</strong>d die Entschädigungszahlungen<br />

vorerst bis 1. Juli 2012 ausgesetzt worden. Bisher hatten Entschädigungsberechtigte laut<br />

Dr<strong>in</strong>glichkeitsverordnung Nr. 81/2007 die Option, zugesprochene Aktien bis zu e<strong>in</strong>er<br />

Höchstsumme von 500 000 Lei je Entschädigungsakte (aktueller Umrechnungskurs 1 € = ca.<br />

4,25 Lei) <strong>in</strong> Geld anzufordern und die Differenz bis zum tatsächlichen ermittelten Wert <strong>in</strong><br />

Aktien zu erhalten. Wer schon über e<strong>in</strong>en Bescheid auf f<strong>in</strong>anzielle Entschädigung verfügt, hat<br />

nun zwei Möglichkeiten: den Zahlungstitel <strong>in</strong> nicht gedeckte Aktien umwandeln zu lassen<br />

oder noch zwei Jahre zu warten und zu hoffen, dass Rumänien wieder zahlungsfähig wird. Es<br />

bleibt abzuwarten, wie das rumänische Verfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof<br />

für Menschenrechte darauf reagieren. Beim Gerichtshof <strong>in</strong> Straßburg ist derzeit e<strong>in</strong><br />

sogenannter Pilot-Prozess gegen Rumänien anhängig. E<strong>in</strong>e Entscheidung wird frühestens im<br />

September dieses Jahres erwartet. Bei diesem Prozess hat auch RESRO e.V. geklagt. Je nach<br />

Ausgang des Verfahrens könnte Rumänien gezwungen se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e restriktive<br />

Restitutionspraxis zu ändern und die e<strong>in</strong>schlägigen Gesetze zu reformieren. Der Verband der<br />

Siebenbürger Sachsen ist auch weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensiv bemüht, die rumänische Politik zum<br />

E<strong>in</strong>lenken zu bewegen. Er hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch mit Rumäniens Innenm<strong>in</strong>ister Vasile Blaga<br />

am 31. Juli <strong>in</strong> Bukarest die Problematik erörtert. Innenm<strong>in</strong>ister Blaga hat e<strong>in</strong>e kurzfristige<br />

Prüfung der E<strong>in</strong>wendungen zugesagt.<br />

Nach Inkrafttreten des Rehabilitations- und <strong>Wiedergutmachung</strong>sgesetzes Nr. 221/2009 am 11.<br />

Juni 2009 (diese Zeitung berichtete am 7. September 2009) s<strong>in</strong>d bei rumänischen Gerichten<br />

ca. 8 000 Klagen auf Entschädigung der Opfer von Verurteilungen oder adm<strong>in</strong>istrativen<br />

Maßnahmen mit politischem Charakter aus dem Zeitraum 6. März 1945 bis 22. Dezember<br />

1989 e<strong>in</strong>gegangen. Bisher soll nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Verfahren rechtskräftig abgeschlossen se<strong>in</strong>.<br />

Die Entschädigungssumme für den erlittenen moralischen und materiellen Schaden war<br />

vorerst nicht begrenzt. Materieller Schaden ist nach so langer Zeit schwer nachweisbar; der<br />

seelische Schmerz ist unermesslich und daher schwierig zu beziffern. Wichtig ist die<br />

Zeitspanne der Verurteilung, Verschleppung, Deportierung, Evakuierung, Internierung <strong>in</strong><br />

Arbeitslagern, die Intensität des negativen physischen und psychischen Erlebten, dessen<br />

Folgen, die Wichtigkeit der verletzten Rechte sowie die familiären, beruflichen und sozialen<br />

Auswirkungen, die zum Teil bewiesen oder auch glaubhaft gemacht werden müssen.


Entschädigungsansprüche können noch bis 11. Juni 2012 beim Landgericht (Tribunal) geltend<br />

gemacht werden. Klagen können die Opfer selbst oder, falls diese bereits verstorben s<strong>in</strong>d,<br />

deren Ehepartner oder die Nachkommen ersten und zweiten Grades (K<strong>in</strong>der, Enkelk<strong>in</strong>der)<br />

gegen den rumänischen Staat, vertreten durch das F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium. Mit der<br />

Dr<strong>in</strong>glichkeitsverordnung wurden die möglichen Ansprüche begrenzt auf: höchstens 10 000<br />

Euro für direkt Betroffene, 5 000 Euro für den h<strong>in</strong>terbliebenen Ehepartner und die K<strong>in</strong>der, 2<br />

500 Euro für die Enkelk<strong>in</strong>der. Bei den laufenden Verfahren sollen diese Höchstgrenzen auch<br />

berücksichtigt werden.<br />

Unter Berufung auf Art. 155, Gesetz Nr. 105/ 1992 können Betroffene ohne Wohnsitz <strong>in</strong><br />

Rumänien die Klage beim Landgericht Bukarest (Tribunalul Bucureşti) e<strong>in</strong>reichen. Ungewiss<br />

ist, ob das Gesetz auch die Russlanddeportation, die vor dem 6. März 1945 stattgefunden hat,<br />

betrifft. Im Gesetz Nr. 221/2009 gibt es aber e<strong>in</strong>e Ermächtigungsklausel, die der Justiz<br />

erlaubt, auch diesen Tatbestand mit e<strong>in</strong>zubeziehen, zumal die Folgen der Deportation über<br />

diesen Stichtag h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>gen. Wir werden die laufenden Verfahren beobachten und über den<br />

Trend <strong>in</strong> der Rechtsprechung berichten. – An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass<br />

der Bericht der Europäischen Kommission von Juli 2010 über den Zustand der rumänischen<br />

Justiz der negativste seit dem Beitritt Rumäniens zur EU ist.<br />

Diese H<strong>in</strong>haltetaktik sorgt bei Betroffenen für viel Unmut. Es ist leider gängige Praxis <strong>in</strong><br />

Rumänien, dass vom Parlament verabschiedete Gesetze durch Dr<strong>in</strong>glichkeitsverordnungen<br />

der Regierung geändert werden. Derlei Regelungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Form und im Inhalt<br />

verfassungs- bzw. menschenrechtswidrig. Mangelt es <strong>in</strong> Rumänien an Geld oder fehlt der<br />

politische Wille, kommunistisches Unrecht wiedergutzumachen? E<strong>in</strong>e Klage beim<br />

Verfassungsgericht, ausschließlich für Teile der Änderungen, wurde <strong>in</strong>zwischen vom Anwalt<br />

des Volkes (avocatul poporului) e<strong>in</strong>gereicht.

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