Reader zur Aktionswoche - Armut bedroht alle
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<strong>Reader</strong> <strong>zur</strong> Liga-<strong>Aktionswoche</strong> 2013<br />
Erste Phase<br />
7<br />
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat<br />
(Artikel 20, Absatz 1 Grundgesetz).<br />
Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des<br />
republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses<br />
Grundgesetzes entsprechen (Artikel 28, Absatz 1, Satz 1 Grundgesetz).<br />
Nach dem Scheitern der Weimarer Republik und der für die ganze Welt katastrophalen Diktatur der<br />
Jahre 1933 bis 1945 bedeutete das Grundgesetz einen echten demokratischen Neuanfang. Dass das<br />
Eigentum der Sozialbindung unterliegen und der Staat verpflichtet sein sollte für eine sozial gerechte<br />
Ordnung zu sorgen, war unter den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, die in den Jahren<br />
1948/49 über das Grundgesetz berieten, nicht strittig. So erhoben sie die Sozialstaatlichkeit zu einem<br />
eigenständigen Staatsziel und definierten im Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland als sozialen<br />
Bundesstaat und als sozialen Rechtsstaat. Dass die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Bundesstaat<br />
ist, wurde darüber hinaus durch die Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 abgesichert, in dem eine Änderung,<br />
durch die „die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden“, für unzulässig<br />
erklärt wird.<br />
Eine der besten Definitionen des Sozialstaatsprinzips stammt von dem Bremer Professor für Politikwissenschaften<br />
Frank Nullmeier. Nullmeier schreibt: „Normativer Bezugspunkt <strong>alle</strong>r sozialstaatlicher Aktivitäten<br />
ist die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit, die Sicherung eines sozialen Existenzminimums<br />
für <strong>alle</strong> sowie die Milderung der ökonomischen Ungleichverteilung und der sozialen<br />
(Klassen-, Schichten-, Gruppen-) Gegensätze. Dies kann sowohl durch Marktunterstützung und Marktregulation<br />
als auch durch Maßnahmen nicht-marktlicher Sicherung sozialer Rechte geschehen. Als generelle<br />
Sozialbindung staatlichen Handelns fordert Sozialstaatlichkeit aber grundlegend die politischdemokratische<br />
Überformung der Marktprozesse nach Maßstäben sozialer Gerechtigkeit.“ 2<br />
In den 1950er und 1960er Jahren wurde das Sozialstaatsprinzip Schritt für Schritt in Gesetzesform gegossen.<br />
Besonders markante Einschnitte waren die Rentenreform 1957, das Bundessozialhilfegesetz<br />
1961, das Arbeitsförderungsgesetz 1969 und das Kündigungsschutzgesetz, das ebenfalls 1969 in Kraft<br />
trat. In der ersten Hälfte der siebziger Jahre wurde dann die soziale Sicherung noch einmal deutlich ausgebaut.<br />
So wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz eingeführt, die Renten sowie die Sozialhilfesätze<br />
wurden deutlich erhöht.<br />
2 Frank Nullmeier: Sozialstaatsbegriff und Sozialstaatsentwicklung, in: Uwe Andersen; Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch<br />
des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., Wiesbaden 2009, S. 626-632, S.627.