Praxishandbuch für âMathematikâ 8. Schulstufe. Band 2 - Bifie
Praxishandbuch für âMathematikâ 8. Schulstufe. Band 2 - Bifie
Praxishandbuch für âMathematikâ 8. Schulstufe. Band 2 - Bifie
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<strong>Praxishandbuch</strong><br />
für „Mathematik“<br />
<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong><br />
<strong>Band</strong> 2<br />
Information für Lehrer/innen
<strong>Praxishandbuch</strong><br />
für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong><br />
<strong>Band</strong> 2
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung<br />
des österreichischen Schulwesens<br />
Stella-Klein-Löw-Weg 15 / Rund Vier B<br />
1020 Wien<br />
<strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. <strong>Band</strong> 2<br />
BIFIE (Hrsg.), Graz: Leykam, 2012<br />
ISBN 978-3-7011-7843-8<br />
Einbandgestaltung: Die Fliegenden Fische, Salzburg<br />
& Andreas Kamenik, BIFIE I Zentrales Management & Services<br />
Layout & Satz: Ulrike Gamsjäger, Nadine Landsrath & Andreas Kamenik, BIFIE I Zentrales<br />
Management & Services<br />
Redaktion & Lektorat: Hans Christian Neureiter, Waltraud Weber, BIFIE Wien I Zentrum für<br />
Innovation & Qualitätsentwicklung; Stefan Terler & Martina Wegerer, BIFIE I Zentrales Management<br />
& Services<br />
Druck: Medienfabrik Graz GmbH, 8020 Graz<br />
Vertrieb an den Buchhandel: Leykam Buchverlagsgesellschaft m.b.H. Nfg. & Co.KG<br />
Die angebotenen Texte und Beispiele zur Umsetzung im Unterricht können an österreichischen<br />
Schulen und an Pädagogischen Hochschulen in den Bereichen der Aus-, Fort- und<br />
Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in dem für die jeweilige Lehrveranstaltung erforderlichen<br />
Umfang von der Website des BIFIE (https://www.bifie.at) heruntergeladen, kopiert<br />
und verbreitet werden.<br />
Autorinnen und Autoren:<br />
Isabella Benischek<br />
Elisabeth Fuchs<br />
Sieglinde Fürst<br />
Elisabeth Mürwald-Scheifinger<br />
Hans Christian Neureiter<br />
Herbert Neureiter<br />
Christa Preis<br />
Koordination:<br />
Waltraud Weber
Inhalt<br />
3 Vorwort<br />
5 1 Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong><br />
Herbert Neureiter<br />
21 2 Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen<br />
Elisabeth Mürwald-Scheifinger<br />
35 3 Aufgaben im Mathematikunterricht<br />
Christa Preis<br />
47 4 Selbstdifferenzierende Aufgaben<br />
Hans Christian Neureiter<br />
63 5 Nachhaltigkeit sichern<br />
Isabella Benischek & Elisabeth Mürwald-Scheifinger<br />
83 6 Intelligentes Üben<br />
Elisabeth Fuchs<br />
101 7 Technologieeinsatz im Mathematikunterricht<br />
Sieglinde Fürst<br />
123 8 Überblick zu den gängigen Antwortformaten bei<br />
Überprüfungen<br />
Sieglinde Fürst
2 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Hinweise<br />
Hinweise für die Benutzung des <strong>Praxishandbuch</strong>s<br />
Die Bedeutung der Icons:<br />
Verweis auf Kapitel des <strong>Praxishandbuch</strong>s<br />
Kommentar<br />
Tipps für die Praxis
3<br />
Vorwort<br />
Das Wiener Zentrum des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung<br />
des österreichischen Schulwesens (BIFIE) hat den gesetzlichen Auftrag, die Qualitätsentwicklung<br />
des österreichischen Schulwesens zu unterstützen und zur dauerhaften Verankerung<br />
der Bildungsstandards im Unterricht beizutragen. Dies geschieht unter anderem durch<br />
Publikation und fortlaufende Aktualisierung unterrichtsnaher Lehr-, Lern- und Begleitmaterialien<br />
in gedruckter bzw. elektronischer Form.<br />
Das vorliegende <strong>Praxishandbuch</strong> <strong>Band</strong> 2 zu den Bildungsstandards Mathematik in der<br />
Sekundarstufe I setzt sich zum Ziel, die österreichischen Mathematiklehrer/innen nach der<br />
Rückmeldung der Ergebnisse der ersten nationalen Standardüberprüfung bei der Qualitätsentwicklung<br />
ihres Unterrichts zu unterstützen. Dabei werden wesentliche Brennpunkte der<br />
aktuellen Unterrichtssituation in den Blick genommen: die leistungsmäßige Heterogenität von<br />
Klassen- und Lerngruppen, der Wunsch, die Nachhaltigkeit des Unterrichts zu steigern und<br />
die Chancen, die vermehrter Technologieeinsatz bieten kann. Auch die Ansprüche, die sich<br />
aus der standardisierten Reifeprüfung in Mathematik bzw. Reife- und Diplomprüfung in Angewandter<br />
Mathematik ergeben, werden dabei im Auge behalten, z. B. durch eine umfassende<br />
Darstellung der neuen Antwortformate bei zentralen Prüfungen. Ein weiterer Fokus wird auf<br />
die Verschiedenartigkeit von Aufgaben gelegt: Wozu können Aufgaben dienen? Was können<br />
selbstdifferenzierende Aufgaben leisten? Wie können Aufgabenstellungen zu intelligentem<br />
Üben führen? Bei der Behandlung all dieser Fragen und Aspekte wird nach der Erläuterung<br />
des theoretischen Hintergrunds jeweils eine Reihe von praktischen Anwendungsvorschlägen<br />
angeboten.<br />
Wir hoffen, mit dieser Publikation Praktiker/innen bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe zu unterstützen,<br />
in geeigneter Weise auf die Ergebnisse der ersten Standardüberprüfung zu reagieren<br />
und die Kompetenzorientierung im Mathematikunterricht weiter voranzubringen.<br />
Mag. Peter Simon, MSc<br />
Leiter des BIFIE Wien I Zentrum für Innovation & Qualitätsentwicklung
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 5<br />
1 Rückmeldung an die Lehrer/innen –<br />
Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong><br />
1.1 Einleitung<br />
Herbert Neureiter<br />
Die Rückmeldung von Ergebnissen aus Evaluierungen soll den Anstoß zu Schulentwicklungsprozessen<br />
und zur konkreten Verbesserung des Unterrichts geben (vgl. Änderung des<br />
Bundes-Schulaufsichtsgesetzes, 2011, § 18). Diesem Ansatz liegt die Erwartung zugrunde,<br />
dass durch die Rückmeldung an die Schulen sowohl Impulse zur Veränderung schulischer<br />
Abläufe und Strukturen gegeben als auch Veränderungen im Unterricht initiiert werden. Gespeist<br />
wird diese Erwartung aus der allgemeinen Feedbackforschung (Visscher & Coe, 2003;<br />
Kluger & DeNisi, 1996; Hattie & Timperley, 2007). Es hat sich gezeigt, dass die Wirksamkeit<br />
des Feedbacks, die bewusste Aufnahme der Informationen (Rezeption) und der Grad der<br />
Auseinandersetzung mit der Rückmeldung vor allem davon abhängen, ob es in der Rückmeldung<br />
Hinweise auf relevante Informationen gibt. Diese relevanten Informationen werden auch<br />
als cues bezeichnet und haben das Ziel, die Aufmerksamkeit der Zielgruppen vor allem auf<br />
den weiteren Entwicklungsprozess und auf Verbesserungsmöglichkeiten zu lenken.<br />
Je nach Zielgruppe können Ergebnisrückmeldungen folgende Funktionen zugeschrieben<br />
werden (vgl. Tresch, 2007, S. 52–54): Honorierung des entstandenen Aufwands, Mittel zur<br />
Akzeptanzsicherung, Verantwortung und Rechenschaftslegung, Objektivierung der Beurteilerpraxis,<br />
Professionalisierung, Qualitätssicherung und -entwicklung. Es zeigt sich also, dass<br />
eine zielgruppenadäquate Rückmeldung zum einen motivierend sein kann und zum anderen<br />
als Informationsquelle direkt Anregungen zur Verhaltensänderung und Optimierung der<br />
Lernprozesse liefern kann. Feedback ist dann besonders wirksam, wenn es aufgrund der<br />
relevanten Informationen gelingt, die Diskrepanz zwischen Soll und Ist zu minimieren. Effektives<br />
Feedback sollte vor allem folgende drei Fragen bzw. Aspekte berücksichtigen (Hattie &<br />
Timperley, 2007, S. 86–87):<br />
1. Welche Ziele gibt es? (Feed-up-Aspekt)<br />
2. Mit welchen Mitteln erreiche ich diese Ziele? (Feedback-Aspekt)<br />
3. Welcher nächste Schritt muss folgen, um den Lernprozess erfolgreich zu gestalten?<br />
(Feedforward-Aspekt)<br />
Die erste Frage ist besonders wichtig, denn ohne entsprechende Zielvorstellungen ist es<br />
unmöglich zu wissen, wie ein Ziel erreicht werden kann und wann es erreicht wurde. Auf der<br />
Grundlage folgender Ausgangsfragen könnte ein Prozess initiiert werden, in dem die Ziele<br />
hinsichtlich Stärken und Schwächen der Schule formuliert werden (Kiper, 2009, S. 20–21):<br />
<br />
Was sagen die Daten über die Lerngruppe/Schule aus?<br />
<br />
Welche Stärken und Schwächen können identifiziert werden?<br />
<br />
Wo bestätigen die Interpretationen der Daten die bisherigen Erfahrungen bzw. Einschätzungen<br />
und wo gibt es Widersprüche?<br />
<br />
Gibt es Überraschungen?<br />
<br />
Wo stehen die Daten im Widerspruch zum Schulprogramm, zu Vorgaben, wie die Schule<br />
sein soll etc.?<br />
<br />
Welche Interessen (Schulleitung, Lehrpersonen, Eltern, Schüler/innen) gehen in die Interpretationen<br />
ein?<br />
Als besondere Herausforderung gilt dabei, die Fragen nicht zu vage, sondern möglichst klar<br />
zu formulieren. Weitere Fragen können Bezug auf die Wertvorstellungen, die implizit oder<br />
explizit an der Schule vorhanden sind, nehmen (ebd.):<br />
<br />
Welche Wertvorstellungen sind uns wichtig?<br />
<br />
Welche Ziele haben wir?<br />
<br />
Was ist uns wichtig?<br />
<br />
Können Problembereiche identifiziert werden, die uns daran hindern, die Ziele zu erreichen?
6 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Nach Analyse des Ist- und Festlegung des Soll-Zustands folgt der nächste Schritt, um Antworten<br />
auf die Frage „Mit welchen Mitteln erreiche ich diese Ziele?“ zu erhalten. Dazu müssen<br />
geeignete Problemlösungsprozesse durchdacht und Handlungspläne erarbeitet werden.<br />
Sind alle dafür benötigten Informationen vorhanden oder werden weitere benötigt, um fortzufahren?<br />
Dabei handelt es sich vermutlich um keinen leichten Schritt, zumal „die eigenständige,<br />
hypothesengeleitete Auseinandersetzung mit den Ergebnissen“ Lehrerinnen und Lehrern<br />
mitunter nach wie vor Schwierigkeiten bereitet (Groß Ophoff, Hosenfeld & Koch, 2007,<br />
S. 423). Dessen ungeachtet kann ein solcher Problemlösungsprozess durch die Beantwortung<br />
folgender Fragen angeregt werden (Kiper, 2009, S. 22):<br />
<br />
Wo gibt es Probleme, die schnell und wirksam gelöst werden können?<br />
<br />
Womit kann sofort und zielführend begonnen werden?<br />
<br />
Welche Probleme sind schwieriger zu bewältigen und benötigen mehr (Vorbereitungs-)<br />
Zeit?<br />
Abgeschlossen sollte dieser Planungsschritt erst werden, nachdem auch erörtert wurde,<br />
<br />
welche konkreten Handlungsschritte gesetzt werden,<br />
<br />
welche Personen bzw. Personengruppen wofür verantwortlich sind und<br />
<br />
wann welches Problem gelöst werden soll (ebd.).<br />
Rückgreifend auf die eingangs erwähnte Erwartung, dass durch die Rückmeldung von Ergebnissen<br />
Schulentwicklungsprozesse angestoßen und diese auch längerfristig verfolgt werden,<br />
stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen an den Schulen vorhanden sein müssen,<br />
damit dies auch wirklich passiert. Im deutschsprachigen Raum setzten sich einige Studien<br />
mit dieser Frage auseinander. Groß Ophoff, Hosenfeld und Koch (2007) wiesen in diesem<br />
Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei den aus Vergleichsarbeiten (VERA) „abgeleiteten<br />
Aktionen eher um routinierte und weniger innovative Maßnahmen handelt, die i. d. R. nicht<br />
über die Klasse hinausgehen [...]“ (S. 423). Sie erstellten Rezeptionsprofile von Lehrerinnen<br />
und Lehrern und ordneten diese drei verschiedenen Typen zu:<br />
<br />
<br />
<br />
Typ 1 ist besonders aktiv, setzt sich zeitnah und intensiv mit den Ergebnissen auseinander<br />
und zeichnet sich durch die Entwicklung von Lern- und Testmaterialien aus.<br />
Typ 2 beschäftigt sich weniger intensiv mit den Ergebnissen und, falls doch, vor allem mit<br />
Individual- und Klassenergebnissen, die er als nützlich und zugleich als nicht sehr verständlich<br />
einstuft. Ebenso leitet Typ 2 aus den Ergebnissen eher bewährte Unterrichtsaktivitäten<br />
ab.<br />
Besonders kritisch – trotz intensiver Auseinandersetzung mit der Rückmeldung – ist Rezeptions-Typ<br />
3, der sich im Vergleich zu Typ 1 und Typ 2 eher selten zu unterrichtsentwickelnden<br />
Maßnahmen veranlasst sieht (ebd.).<br />
Van Ackeren (2007, S. 34–36) konnte zeigen, dass die rückgemeldeten Ergebnisse unterschiedlich<br />
genutzt werden. Dabei wird nach instrumenteller, konzeptueller, symbolischer und<br />
prozesshafter Nutzungsform unterschieden:<br />
<br />
<br />
Der instrumentelle Nutzungstyp nimmt die Evaluationsergebnisse als direkten Ausgangspunkt<br />
für weitere Handlungen.<br />
Im Vergleich dazu nimmt der konzeptuelle Nutzungstyp die Datenrückmeldung als einen<br />
zusätzlichen Baustein neben anderen einflussnehmenden Faktoren auf und leitet aus diesen<br />
weitere Konsequenzen ab. Kennzeichnend für diese Nutzungsform ist, dass es sich<br />
um eine längerfristige und nicht direkt auf die Rückmeldung zurückführbare Qualitätsentwicklung<br />
handelt.
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 7<br />
<br />
<br />
Werden die Daten direkt aus politischem oder taktischem Interesse genutzt oder die Ergebnisse<br />
zu Legitimationszwecken verwendet, wird von einer symbolischen Nutzung<br />
gesprochen.<br />
Die vierte – die prozesshafte – Nutzungsform ist eng mit dem Qualitätszyklus 1 verbunden,<br />
da durch die Rückmeldung bzw. das Feedback an die einzelnen Zielgruppen ein<br />
andauernder Reflexionsprozess initiiert und langfristig eine Verhaltensänderung bewirkt<br />
werden sollte. Dies könnte etwa durch die Entwicklung von Netzwerken geschehen, die<br />
dann professionell begleitet werden.<br />
Ähnliche Erkenntnisse lassen sich auch aus den Erfahrungen der Bildungsstandards-Testung<br />
2009 (der sogenannten „Baseline-Testung“) gewinnen. Amtmann, Grillitsch und Petrovic<br />
(2011) konnten im Evaluationsbericht zeigen, dass die Ergebnisrückmeldung für Schulleitungen<br />
und Lehrpersonen „brauchbar“ war. Beide Zielgruppen hätten sich intensiv mit den Ergebnissen<br />
auseinandergesetzt; die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung lässt sich daraus<br />
ablesen, dass die Rückmeldung häufig mit der Schulleitung oder mit Fachkolleginnen und<br />
-kollegen besprochen wurde, Thema einer pädagogischen Konferenz war oder in Fachgruppen<br />
bzw. Arbeitsgemeinschaften diskutiert wurde. Auch im Hinblick auf Informationsgehalt,<br />
Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und praktische Verwertbarkeit wurde die Rückmeldung<br />
positiv bewertet (ebd., S. 5–6). Hinsichtlich der praktischen Verwertbarkeit traten für die<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung Schwierigkeiten auf, da der Transfer in die Praxis und die<br />
Formulierung konkreter Handlungsfelder für viele Befragten – vor allem aus dem Kreis der<br />
Lehrer/innen – noch zu unklar sei. Vor diesem Hintergrund äußerte ein beträchtlicher Teil der<br />
Befragten den Wunsch, vor allem bei der Umsetzung von Qualitätsentwicklungsmaßnahmen<br />
Unterstützung zu erhalten.<br />
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Schul- und Unterrichtsentwicklung auf Basis von rückgemeldeten<br />
Daten nur dann gelingen kann, wenn Lehrkräfte sowohl von der Brauchbarkeit<br />
der Rückmeldung überzeugt sind als auch über bestimmte Wissensformen verfügen. Das<br />
bedeutet, dass Lehrer/innen für eine erfolgreiche Rückmeldung auch darüber Bescheid wissen<br />
sollten, wie die Daten erhoben wurden (= methodisches Wissen), welche Daten vorliegen<br />
(= Diagnosewissen) und wie diese Daten zu interpretieren sind (= theoretisches Wissen)<br />
(Kiper, 2009, S. 22–23).<br />
Im folgenden Abschnitt soll zunächst ein Rahmenmodell als Ausgangspunkt für die Schulrückmeldung<br />
vorgestellt werden. In der Folge wird der Aufbau der Rückmeldung auf Lehrerebene<br />
skizziert, um anschließend anhand von vier Grafiken beispielhaft die Schritte Rezeption,<br />
Reflexion, Aktion und Evaluation zu erläutern. Dabei stehen neben dem konkreten Eingehen<br />
auf die Grafiken und die Behandlung möglicher Fragen auch denkbare Handlungsfelder im<br />
Fokus. Abschließend werden Unterstützungsmöglichkeiten vorgestellt und kurze Ausblicke<br />
auf das Jahr 2015 gegeben.<br />
1.2 Das Rahmenmodell von Helmke und Hosenfeld<br />
als Ausgangspunkt für die Schulrückmeldung<br />
Als Grundlage zur Konzeption vieler Rückmeldungen im schulischen Kontext dient das Rahmenmodell<br />
von Helmke und Hosenfeld (2005, S. 129–131) zur Nutzung von Rückmeldungen<br />
aus Schulvergleichsstudien. Für den Schulbericht wurden wesentliche Elemente daraus<br />
übernommen. In diesem Abschnitt wird zunächst versucht, den Schulbericht weitestgehend<br />
in dieses Rahmenmodell einzubetten, um den Fokus danach auf die Rückmeldung an Lehrer/<br />
innen zu richten. Am Ende des Abschnitts werden beispielhaft mögliche Handlungsfelder<br />
1 Der Qualitätszyklus an der Schule beginnt mit der Überprüfung, es folgen die Rückmeldung und die<br />
Aufarbeitung der Ergebnisse. Nachdem Maßnahmen geplant und umgesetzt wurden, wird abschließend<br />
überprüft, ob und inwieweit diese erfolgreich waren (vgl. BIFIE, 2012, S. 38).
8 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
aufgezeigt, die sich für Mathematiklehrer/innen in der Auseinandersetzung mit dem Bericht<br />
ergeben können.<br />
Information<br />
über<br />
Vergleiche mit<br />
Leistungsniveau<br />
Leistungsbandbreite<br />
Fehlermuster<br />
Diagnosehäufigkeit<br />
Parallelklassen<br />
äquivalenten<br />
Klassen<br />
Bundesland<br />
Standards<br />
Vorjahresergebnis<br />
Akzeptanz von Evaluation<br />
Vorwissen/Expertise<br />
Motivation, Emotion, Volition<br />
Rezeption<br />
Technische<br />
Übermittlung<br />
Aktualität<br />
Verständnis<br />
Reflexion<br />
Suche nach<br />
Erklärungen<br />
ggf. Erhebung<br />
zusätzlicher<br />
Informationen<br />
Individuelle Bedingungen<br />
Selbstwirksamkeit<br />
Professionelles Selbstverständnis<br />
Stabiltät von Gewohnheiten<br />
Aktion<br />
Sicherung eines Mindestniveaus<br />
Verbesserung von Unterrichtsqualität<br />
und Klassenführung<br />
Evaluations-, Aufgaben- und<br />
Fehlerkultur<br />
Diagnostische Kompetenz<br />
Koppelung mit Projekten zur<br />
Unterrichtsqualität<br />
Evaluation<br />
Haben die ergriffenen<br />
Maßnahmen<br />
gewirkt?<br />
Wem haben Sie<br />
genutzt?<br />
Ist die Wirkung<br />
nachhaltig?<br />
Schulische Bedingungen<br />
Ausstattung der Schule<br />
Akzeptanz seitens der Eltern und Schüler/innen<br />
Evaluations- und Kooperationsklima Verbindlichkeit und Verankerung im Schulprogramm<br />
Innovative und explorative Orientierung<br />
Moderatoren und Qualitätsberater<br />
Hilfeleistung durch Wissenschaft<br />
Institutionalisierte Hilfen zur Dateninterpretation<br />
Externe Bedingungen<br />
Lehreraus- und -weiterbildung<br />
Unterstützung durch die Schulaufsicht, Landesinstitute<br />
Abb. 1: Zyklenmodell (nach Helmke & Hosenfeld, 2005)<br />
Wie das Zyklenmodell (Abb. 1) zeigt, führt der Weg nach Erhalt der Rückmeldung von der<br />
Information über Rezeption, Reflexion und Aktion hin zur Evaluation, womit sich der Qualitätszyklus<br />
wieder schließt. Ausgehend von der Rückmeldung kommt es zunächst zur bewussten<br />
Auseinandersetzung (Rezeption) mit den Ergebnissen. Danach werden diese idealerweise<br />
besprochen und detaillierte Erklärungen für ihr Zustandekommen gesucht. Der<br />
nächste Schritt – die Aktion – ist wohl der schwierigste. In mehreren Studien konnte nachgewiesen<br />
werden, dass der Zyklus ohne entsprechendes Handlungswissen und die nötige<br />
Unterstützung häufig genau an dieser Stelle unterbrochen bzw. gestoppt wird. Ob der Verarbeitungsprozess<br />
an diesem Punkt fortgeführt werden kann, hängt nicht nur von individuellen<br />
Bedingungen der Lehrer/innen ab, sondern auch von schulischen und externen Rahmenbedingungen<br />
sowie der Reflexionsbereitschaft der am Prozess beteiligten Personen. Inwieweit<br />
die in Schritt 3 (vgl. Abb. 1) beschlossenen Aktionen Veränderungen bewirkt haben oder die<br />
beschlossenen Ziele erreicht wurden, kann mit einer anschließenden Evaluation (beispielsweise<br />
bei der nächsten Standardüberprüfung) festgestellt werden, deren Ergebnisse gleichzeitig<br />
Startpunkt für den nächsten Zyklus sind. Das Zyklenmodell zeigt eindrucksvoll, dass<br />
der Weg von der Rückmeldung über die Implementierung zur Innovation von vielen Faktoren<br />
abhängt und im Allgemeinen sehr vielschichtig ist.<br />
Basierend auf dem hier skizzierten Modell wird das Augenmerk im nächsten Abschnitt auf<br />
die Rückmeldung an Lehrer/innen gerichtet, indem ein entsprechender Zyklus beispielhaft<br />
nachempfunden wird.
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 9<br />
1.3 Rückmeldung an Lehrer/innen<br />
Vorab muss angemerkt werden, dass es im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich ist, auf<br />
Einzelheiten der Rückmeldung an Lehrer/innen einzugehen und detaillierte Informationen zur<br />
Standardüberprüfung und zu Aufbau und Inhalt der Ergebnisrückmeldung zu geben. Eine<br />
ausführliche Darstellung der Rückmeldung ist über die Website des BIFIE unter https://www.<br />
bifie.at/node/64 abrufbar.<br />
1.3.1 Schritt 1: Die Information<br />
Anzahl der Schüler/innen<br />
Informationen<br />
über die<br />
Schüler/innen<br />
demografische / sozioökonomische<br />
Merkmale<br />
Wohlbefinden<br />
motivationale Merkmale<br />
kriterialer Vergleich<br />
Rückmeldung an<br />
die Lehrer/innen<br />
Mathematik<br />
gesamt<br />
fairer Vergleich<br />
Streuung<br />
Subgruppen<br />
Geschlecht<br />
Migrationshintergrund<br />
Handlungsbereiche<br />
österr. Vergleich<br />
(mit Streuung)<br />
fairer Vergleich<br />
Kompetenzbereiche<br />
Inhaltsbereiche<br />
Kompetenzprofil<br />
österr. Vergleich<br />
(mit Streuung)<br />
fairer Vergleich<br />
Kompetenzprofil<br />
Abb. 2: Aufbau der Lehrerrückmeldung (nach BIFIE, 2012, S. 13)<br />
Im ersten Schritt des Zyklenmodells wird der Frage nachgegangen, welche Informationen<br />
der Rückmeldung entnommen werden können. Die Rückmeldung an Lehrer/innen folgt dem<br />
Prinzip „vom Allgemeinen zum Besonderen“ (Comenius). Zunächst werden demnach die Ergebnisse<br />
des Fachs Mathematik gesamt und erst im Anschluss jene der einzelnen Kompetenzbereiche<br />
behandelt.<br />
Die Rückmeldung an Lehrer/innen erfolgt online. Um auf die Daten zugreifen zu können,<br />
erhalten die Lehrer/innen über die Schulleitung Zugangscodes, mit deren Hilfe sie die Ergebnisse<br />
ihrer eigenen Unterrichtsgruppe abrufen können. Berücksichtigt werden dabei die Resultate<br />
der Gruppe in Mathematik gesamt sowie in den einzelnen Bereichen des Kompetenzmodells<br />
Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> (vgl. Abb. 2). Darüber hinaus werden Informationen zur<br />
Schülergruppe (z. B. Wohlbefinden, Freude an Mathematik, Zusammensetzung der Gruppe)
10 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
bereitgestellt. Von der Größe und Zusammensetzung der Gruppe hängt ab, welche Werte<br />
an Lehrer/innen rückgemeldet werden, da der Wahrung der Anonymität der Schüler/innen<br />
höchste Priorität eingeräumt wird. Weiters wird bei der Erstellung sowohl auf die Aussagekraft<br />
der statistischen Berechnungen als auch auf die Übersichtlichkeit der Darstellung geachtet.<br />
Bei der Rückmeldung an Lehrer/innen lassen sich zwei Arten von Vergleichsmaßstäben<br />
unterscheiden, die soziale und die kriteriale Bezugsnorm. Erstere setzt individuell erzielte<br />
Ergebnisse mit Referenzwerten in Beziehung. So werden Erwartungswerte angegeben (z. B.<br />
der Österreich-Schnitt) oder Vergleiche mit Unterrichtsgruppen ähnlicher Zusammensetzung<br />
(= fairer Vergleich, vgl. Abb. 6) dargestellt. Die kriteriale Bezugsnorm wird auch als sachliche<br />
Bezugsnorm bezeichnet und ermöglicht den Vergleich der Schülerergebnisse mit zuvor<br />
festgelegten Standards oder Kompetenzstufen (vgl. Rheinberg, 2001) – beispielsweise die<br />
Einordnung individueller Ergebnisse in vorher festgelegte Kompetenzniveaus für Mathematik.<br />
Der Bericht gliedert sich also im Wesentlichen in drei Teile. Der erste Teil informiert über die<br />
Zusammensetzung und die Charakteristika der Unterrichtsgruppe. Im zweiten Teil wird die Mathematikkompetenz<br />
der Schülergruppe näher beleuchtet. Einzelne Grafiken geben Auskunft<br />
über die Kompetenzstufenverteilung, das Ergebnis im fairen Vergleich, die Leistungsstreuung,<br />
den Einfluss des Geschlechts und eines ggf. vorhandenen Migrationshintergrunds in der eigenen<br />
Unterrichtsgruppe. Teil 3 setzt sich mit der Mathematikkompetenz, aufgefächert nach den<br />
einzelnen Handlungs- und Inhaltsbereichen, auseinander, wobei zum einen die Streuungswerte,<br />
zum anderen das Kompetenzprofil und die Bereiche im fairen Vergleich dargestellt werden.<br />
1.3.2 Schritte 2 und 3: Rezeption der und Reflexion über die<br />
Ergebnisse<br />
Ausgehend von der Rückmeldung an Lehrer/innen werden im folgenden Abschnitt beispielhaft<br />
die beiden darauffolgenden Schritte – Rezeption der und Reflexion über die Ergebnisse<br />
– behandelt. Nach Erhalt und erster Durchsicht der Rückmeldung wird sich primär die<br />
Frage stellen, wie aus der Vielfalt an Information die für den eigenen Unterricht relevanten<br />
Ergebnisse extrahiert werden können. Die Wirksamkeit der Rückmeldung hängt von individuellen<br />
Bedingungen (Eigenschaften) der einzelnen Lehrkraft ab (vgl. Abb. 1). Die persönlichen<br />
Eigenschaften und Einstellungen der Lehrkraft sind ein zentrales Moment im Prozess der<br />
Rückmeldung, das entscheidende Bedeutung dafür hat, was nun von der Rückmeldung in<br />
den Unterricht wirksam und nachhaltig implementiert wird.<br />
Um die Rezeption der Ergebnisse und die Reflexion darüber zu erleichtern, enthält jede<br />
Rückmeldegrafik beispielhafte Fragen, die helfen sollen, die Fülle an Daten richtig zu interpretieren.<br />
Der Fokus gilt zunächst dem Einordnen der Ergebnisse und dem Vergleich mit den Referenzwerten,<br />
etwa mit den Schulergebnissen oder dem Österreich-Schnitt. Danach könnte<br />
überlegt werden, welches Ergebnis man sich erwartet hätte, durch welche Besonderheiten<br />
sich das tatsächliche Ergebnis auszeichnet und welche Erklärungsansätze für sein Zustandekommen<br />
plausibel scheinen. Da Schülerkompetenzen das Produkt eines komplexen Zusammenspiels<br />
auf Schüler-, Klassen- und Schulebene sind (vgl. etwa Helmke, 2009, S. 73),<br />
ist es oft besonders schwierig, eindeutige Antworten auf diese Fragen zu finden. Dessen<br />
ungeachtet sollte dieser äußerst wichtige Schritt für eine erfolgreiche Unterrichtsentwicklung<br />
nicht ausgelassen, sondern besonders ausführlich durchdacht werden.<br />
Verteilung auf Kompetenzstufen<br />
Abbildung 3 stellt die prozentuelle Verteilung der Schüler/innen auf die verschiedenen Kompetenzstufen<br />
in Form einer kriterialen Rückmeldung dar. Die kriteriale Rückmeldung bezieht<br />
sich auf im Vorfeld festgelegte Kompetenzstufen und zeigt, wie viele Schüler/innen die Bil-
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 11<br />
dungsstandards „nicht erreicht“, „teilweise erreicht“, „erreicht“ oder „übertroffen“ haben. Die<br />
Beschreibung der jeweiligen Kompetenzstufen befindet sich in der Ergebnisrückmeldung<br />
unterhalb der Abbildung. Als Referenzwerte werden in dieser Grafik die Verteilung auf Schulebene<br />
sowie die Gesamtverteilung aller Schüler/innen, die an der Standardüberprüfung teilgenommenen<br />
haben, abgebildet. In der vorliegenden Grafik haben von 22 Schülerinnen und<br />
Schülern vier (18 %) die Bildungsstandards teilweise erreicht, zwölf (55 %) haben diese erreicht.<br />
Im Vergleich zur Schule zeigt sich, dass von jenen sechs Schülerinnen und Schülern,<br />
die die Bildungsstandards sogar übertroffen haben, drei aus der Unterrichtsgruppe stammen.<br />
Zugleich lässt sich feststellen, dass drei Schüler/innen (14 %) aus der Gruppe die Standards<br />
nicht erreicht haben. Somit haben von 22 Schülerinnen und Schülern 19 die Bildungsstandards<br />
teilweise erreicht bzw. erreicht.<br />
Danach stehen folgende Fragen im Fokus: Welches Ergebnis habe ich mir erwartet? Welche<br />
Besonderheiten gibt es im Ergebnis? Nachdem diese Fragen beantwortet wurden, gilt es,<br />
Erklärungsansätze zu finden. Im Detail bedeutet das, dass – wenn das Ergebnis wie erwartet<br />
oder besser als erwartet ausgefallen ist – man sich die Frage stellen könnte, was man als<br />
Lehrperson zu diesem Ergebnis beitragen konnte? War es die eigene fachliche, didaktische<br />
oder diagnostische Kompetenz? Hatte man besondere Erwartungen und Ziele, die man den<br />
Schülerinnen und Schülern besonders gut vermitteln konnte? War es die Qualität des verwendeten<br />
Lehr-Lern-Materials?<br />
BIST-Ü M8 (2012)<br />
L1<br />
Mathematik<br />
Verteilung auf die Kompetenzstufen<br />
Entwurf<br />
fiktive Werte<br />
Kompetenzstufen Mathematik<br />
3<br />
Bildungsstandards übertroffen<br />
Punktbereich: ab 674*<br />
Ihre Gruppe<br />
14%<br />
Ihre Schule<br />
8%<br />
5%<br />
* fiktive Schwellenwerte<br />
2<br />
1<br />
Bildungsstandards erreicht<br />
Punktbereich: 487* bis 673*<br />
Bildungsstandards teilweise erreicht<br />
Punktbereich: 415* bis 486*<br />
55%<br />
63%<br />
50%<br />
25%<br />
unter 1 Bildungsstandards nicht erreicht<br />
Punktbereich: bis 414*<br />
18%<br />
14%<br />
17%<br />
12%<br />
20%<br />
... entspricht folgenden absoluten Schülerzahlen<br />
Kompetenzstufen Mathematik<br />
Ihre Gruppe Ihre Schule<br />
3 BIST übertroffen<br />
3 86<br />
2 BIST erreicht 12 48<br />
1 BIST teilw. erreicht<br />
4<br />
13<br />
unter 1 BIST nicht erreicht<br />
3<br />
9<br />
(n = 22) (n = 76)<br />
Abb. 3: Mathematik – Verteilung auf Kompetenzstufen (nach BIFIE, 2012, S. 18)
12 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Ist das Ergebnis schlechter als erwartet ausgefallen, wird man ebenfalls Ursachen für das<br />
Testergebnis suchen. Man wird sich auch in diesem Fall die oben genannten Fragen stellen.<br />
Zusätzlich lässt sich fragen: Gab es im Vorfeld oder während der Testung Vorkommnisse, die<br />
die Testsituation und somit die Konzentration der Schüler/innen beeinflusst haben könnten?<br />
Da in dieser Grafik die Kompetenzstufenverteilung der gesamten Unterrichtsgruppe ausgewiesen<br />
wird, könnte – sofern unterschiedliche Leistungsgruppen erfasst wurden – von Interesse<br />
sein, wie sich die Ergebnisse der einzelnen Schüler/innen – dargestellt auf Leistungsgruppenebene<br />
– auf der Punkteskala (200 bis 800 Punkte) verteilen.<br />
Streuung in gemischten Unterrichtsgruppen unter Berücksichtigung der<br />
Leistungsgruppen<br />
Abbildung 4 zeigt, dass von 22 Schülerinnen und Schülern neun die erste, fünf die zweite<br />
und acht die dritte Leistungsgruppe besuchten. Die Gruppe liegt mit einem Mittelwert<br />
von 545 Punkten deutlich über dem Österreich-Schnitt von 503 Punkten. Das Vertrauensintervall<br />
reicht von 534 bis 556 Punkten, was bedeutet, dass in diesem Wertebereich mit<br />
90%iger Sicherheit die wahre Leistung der Gruppe liegt 2 . Die Testergebnisse der ersten Leistungsgruppe<br />
reichen von 470 bis 770 Punkten, die der zweiten Gruppe streuen von 450 bis<br />
690 Punkten und die acht Schüler/innen der dritten Leistungsgruppe erreichen Werte von<br />
BIST-Ü M8 (2012)<br />
L3.1<br />
fiktive Werte<br />
Mathematik<br />
Streuung in Ihren Leistungsgruppen<br />
Österreich<br />
503<br />
Ihre Gruppe (n=22) 545 (± 11)<br />
Ihre einzelnen Schüler/innen<br />
... 1. Leistungsgruppe (n=9)<br />
... 2. Leistungsgruppe (n=5)<br />
... 3. Leistungsgruppe (n=8)<br />
1. LG<br />
2. LG<br />
3. LG<br />
800<br />
750<br />
700<br />
650<br />
600<br />
550<br />
500<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
niedriger Kompetenzen<br />
höher<br />
Abb. 4: Mathematik – Streuung in den Leistungsgruppen (nach BIFIE, 2012, S. 24)<br />
2 Dieser Wertebereich wird in der Legende unterhalb der Grafik in Klammern angegeben, da das<br />
Testergebnis aufgrund potenzieller Messfehler nicht exakt der tatsächlichen Leistung entsprechen<br />
muss. Ein messfehlerfreies Testen wäre nur möglich, wenn unendlich viele verschiedene Testaufgaben<br />
gestellt und unendlich viele Schüler/innen getestet würden. Vgl. dazu BIFIE, 2012, S. 70.
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 13<br />
340 bis 610 Punkten. Auf den ersten Blick scheint die Streuung der einzelnen Schüler/innen<br />
hinsichtlich der Leistungsgruppenzugehörigkeit erwartungskonform zu sein. Auf den<br />
zweiten Blick fällt jedoch auf, dass eine Schülerin/ein Schüler der dritten Leistungsgruppe<br />
mit 610 Punkten eine besonders starke Mathematikleistung vorweist. Zwei weitere Schüler/innen<br />
dieser Leistungsgruppe liegen über dem Österreich-Schnitt bzw. überlappen sich<br />
deutlich mit den Leistungen der zweiten und ersten Leistungsgruppe. An dieser Stelle stellt<br />
sich die Frage, wie die Schülerzusammensetzung in den Leistungsgruppen – besonders die<br />
der dritten – ausgesehen hat. Nach welchen diagnostischen Gesichtspunkten bzw. schulinternen<br />
Richtlinien wurden die Schüler/innen den einzelnen Gruppen zugeordnet? Wurden<br />
die Schüler/innen hinsichtlich ihrer Mathematikkompetenz zutreffend eingeschätzt und davon<br />
ausgehend der für sie „richtigen“ Leistungsgruppe zugewiesen? Besitzt man als Lehrperson<br />
selbst ausreichende Kenntnis von Leistungsunterschieden zwischen den Schülerinnen und<br />
Schülern, d. h., verfügt man über eine ausreichende diagnostische Kompetenz (vgl. Helmke,<br />
2009, S. 130–135)? Welche Möglichkeiten bzw. Fortbildungsangebote gibt es, um die diagnostische<br />
Kompetenz zu schärfen?<br />
Handlungsbereiche mit Streuung<br />
Im nächsten Schritt wenden wir uns der Frage zu, welche Leistungen in den einzelnen Kompetenzbereichen<br />
erreicht wurden. Die Schüler/innen mussten im Rahmen der Überprüfung<br />
verschiedene mathematische Aufgabenstellungen bearbeiten, wobei jede Aufgabe – dem<br />
Kompetenzmodell Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> entsprechend – einem bestimmten Handlungsund<br />
Inhaltsbereich zugeordnet ist. Exemplarisch dazu wird im Folgenden Abbildung 5 beschrieben.<br />
Diese Grafik stellt das durchschnittliche Ergebnis der Gruppe sowie die Streuung<br />
der einzelnen Schüler/innen in den Handlungsbereichen Darstellen und Modellbilden, Rechnen<br />
und Operieren, Interpretieren sowie Argumentieren und Begründen dar. Als Referenzwert<br />
dient hier wieder der arithmetische Mittelwert aller in Österreich getesteten Schüler/innen<br />
sowie jener der Schule. Im Mittelpunkt sollten zunächst das durchschnittliche Ergebnis und<br />
die Verteilung der Schüler/innen in den jeweiligen Kompetenzbereichen stehen. Bei flüchtiger<br />
Betrachtung könnte man meinen, dass in Bezug auf die Handlungsbereiche keine besonderen<br />
Stärken und Schwächen herauszulesen sind, da sich alle Vertrauensintervalle scheinbar<br />
überlappen. Bei genauerer Betrachtung (ggf. Nachrechnen) erkennt man aber, dass dies<br />
nicht der Fall ist; Interpretieren unterscheidet sich beispielsweise signifikant von Rechnen<br />
und Operieren, aber auch von Argumentieren und Begründen. Im Fokus stehen in der Folge<br />
die einzelnen Bereiche: Im Bereich Darstellen und Modellbilden liegt das durchschnittliche<br />
Ergebnis der Gruppe mit 530 Punkten inklusive einem Vertrauensintervall von 19 Punkten<br />
signifikant über dem Österreich-Schnitt, aber genau im Schulschnitt. Die Leistungen streuen<br />
von 370 bis 710 Punkten, wobei drei Schüler/innen genau 530 Punkte (= Modalwert) erreicht<br />
haben. Im Bereich Rechnen und Operieren liegt die Gruppe mit 555 Punkten deutlich sowohl<br />
über dem Österreich-Schnitt als auch über dem Schulschnitt. Die Leistungen streuen<br />
von 400 bis 700 Punkten. Im Gegensatz dazu scheint im Bereich Interpretieren ein relativer<br />
Schwachpunkt der Gruppe zu liegen, da die Leistungen zum einen sehr stark streuen, zum<br />
anderen mit 505 Punkten genau im Österreich-Schnitt liegen und sich vom Schulschnitt<br />
nicht signifikant unterscheiden. Analog zum Bereich Interpretieren streuen die Leistungen<br />
im Bereich Argumentieren und Begründen ebenfalls sehr stark (von 350 bis 740 Punkten),<br />
wobei die Modalwerte bei 580 und 600 Punkten liegen. In diesem Handlungsbereich wurde<br />
mit 568 Punkten das höchste durchschnittliche Ergebnis erreicht, was bedeutet, dass das<br />
wahre Testergebnis mit 90%iger Sicherheit zwischen 544 und 592 Punkten liegt. Unter Berücksichtigung<br />
der statistischen Unsicherheit befindet sich das Gruppenergebnis knapp im<br />
Wertebereich des Schulergebnisses.<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die durchschnittlichen Ergebnisse der<br />
Gruppe über dem Österreich-Schnitt liegen, sieht man vom Bereich Interpretieren ab. Als
14 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
besondere Stärken sind Rechnen und Operieren sowie Argumentieren und Begründen hervorzuheben.<br />
Schwächen – relativ gesehen zum sehr guten Abschneiden der Gruppe – bestehen<br />
im Bereich Interpretieren, wobei die Leistungen hier immer noch im Österreich-Schnitt<br />
und unter Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit auch im Schulschnitt liegen.<br />
An dieser Stelle könnte der Frage nachgegangen werden, welche Maßnahmen im Unterricht<br />
gesetzt werden könnten, um langfristig auch im Bereich Interpretieren bessere Leistungen<br />
zu erzielen. Wurde dieser Handlungsbereich bei den didaktisch-methodischen Überlegungen<br />
zur Unterrichtsgestaltung bisher vernachlässigt? Gibt es praktische Unterrichtsbeispiele<br />
(etwa Praxishandbücher), anhand derer dieser Bereich stärker gefördert werden könnte?<br />
BIST-Ü M8 (2012)<br />
L6<br />
Mathematik: Handlungsbereiche<br />
in Ihrer Gruppe<br />
Darstellen und<br />
Modellbilden<br />
Rechnen und<br />
Operieren<br />
Interpretieren<br />
Argumentieren<br />
und Begründen<br />
Entwurf<br />
fiktive Werte<br />
800<br />
750<br />
700<br />
650<br />
600<br />
550<br />
500<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
niedriger Kompetenzen<br />
höher<br />
Darstellen und<br />
Modellbilden<br />
Rechnen und<br />
Operieren<br />
Interpretieren<br />
Argumentieren<br />
und Begründen<br />
200<br />
Österreich 503 505 504<br />
501<br />
Ihre Schule (n=76)<br />
530 (± 12) 525 (± 10) 533 (± 15) 538 (± 8)<br />
Ihre Gruppe (n=22) 530 (± 19) 555 (± 18) 505 (± 24) 568 (± 24)<br />
Ihre einzelnen Schüler/innen<br />
Abb. 5: Mathematik – Handlungsbereiche in der Gruppe (nach BIFIE, 2012, S. 30)<br />
Abschließend wird der Frage nachgegangen, welches Ergebnis unter den gegebenen strukturellen<br />
Rahmenbedingungen (Schülerpopulation, Standort der Schule usw.) zu erwarten gewesen<br />
wäre, wobei hier exemplarisch die Inhaltsdimension betrachtet wird.<br />
Inhaltsbereiche im fairen Vergleich<br />
Als Beispiel für den sogenannten „fairen Vergleich“ hinsichtlich der Kompetenzbereiche dient<br />
Abbildung 6, wobei hier die einzelnen Inhaltsbereiche in den Mittelpunkt gerückt werden.
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 15<br />
Diese Grafik zeigt das durchschnittliche Ergebnis der Gruppe in den mathematischen Inhaltsbereichen<br />
Zahlen und Maße, Variable, funktionale Abhängigkeiten, Geometrische Figuren und<br />
Körper und Statistische Darstellungen und Kenngrößen. Zusätzlich zu den durchschnittlichen<br />
Ergebnissen der Schüler/innen der Gruppe ist für jeden Inhaltsbereich der Erwartungsbereich<br />
in Form eines grauen Felds dargestellt. Der Erwartungsbereich ist jener Bereich, der aufgrund<br />
der gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen zu erwarten gewesen wäre. Das bedeutet,<br />
dass sich für alle anderen Schulen mit vergleichbaren Rahmenbedingungen der gleiche<br />
Erwartungsbereich ergibt, weswegen man von einem „fairen Vergleich“ spricht. Mit in die Berechnung<br />
aufgenommen werden ausschließlich Einflussgrößen, die die Schule nicht unmittelbar<br />
beeinflussen kann. Solche Größen sind beispielsweise Merkmale des Schulstandorts<br />
(Schulgröße, Gemeindegröße, Schulart, Entfernung zur nächstgelegenen allgemeinbildenden<br />
höheren Schule etc.) sowie Merkmale der Zusammensetzung der Schülerpopulation (Geschlechterverhältnis,<br />
Anteil der Schüler/innen mit Migrationshintergrund, Sozialstatus etc.).<br />
Betrachtet man beispielsweise den Bereich Statistische Darstellungen und Kenngrößen, so<br />
liegt das Ergebnis ohne Berücksichtigung des Vertrauensintervalls über dem Erwartungsbereich.<br />
Dies bedeutet, dass das Ergebnis der Gruppe besser ist, als es infolge der Rahmenbedingungen<br />
sowie der demografischen und sozioökonomischen Merkmale der Schüler/innen<br />
zu erwarten gewesen wäre.<br />
BIST-Ü M8 (2012)<br />
L10<br />
Mathematik: Inhaltsbereiche<br />
in Ihrer Gruppe im fairen Vergleich<br />
fiktive Werte<br />
Zahlen und<br />
Maße<br />
Zahlen und<br />
Maße<br />
Variable,<br />
funktionale<br />
Abhängigkeiten<br />
Variable,<br />
funktionale<br />
Abhängigkeiten<br />
Geometrische<br />
Figuren und<br />
Körper<br />
Geometrische<br />
Figuren und<br />
Körper<br />
Statistische<br />
Darstellungen<br />
und Kenngrößen<br />
Statistische<br />
Darstellungen<br />
und Kenngrößen<br />
Österreich 504 503 504<br />
501<br />
Ihre Gruppe (n=22)<br />
550 (± 19) 522 (± 26) 552 (± 17) 578 (± 26)<br />
Erwartungsbereich Ihrer Gruppe 495 – 559 491 – 573 510 – 572 487 – 554<br />
800<br />
750<br />
700<br />
650<br />
600<br />
550<br />
500<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
niedriger Kompetenzen<br />
höher<br />
Ergebnis liegt über / unter / im Erwartungsbereich<br />
Abb. 6: Mathematik – Inhaltsbereiche in der Gruppe im fairen Vergleich (nach BIFIE, 2012, S. 44)
16 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
In diesem Fall sind die Ergebnisse ohne Berücksichtigung der Vertrauensintervalle zu interpretieren,<br />
da die statistische Unsicherheit des Ergebnisses bereits in der Darstellung des Erwartungsbereichs<br />
berücksichtigt wird. Bestätigung findet diese Berechnung durch die symbolische<br />
Lesehilfe, die zeigt, ob die durchschnittlich erreichte Punktezahl über dem, unter<br />
dem oder im Erwartungsbereich liegt. Mithilfe der Symbole lässt sich leicht erkennen, dass<br />
nur das Ergebnis der Gruppe im Inhaltsbereich Statistische Darstellungen und Kenngrößen<br />
über dem Erwartungsbereich liegt. Das Ergebnis der Gruppe entspricht also weitgehend<br />
dem gemäß den strukturellen Rahmenbedingungen der Schülerzusammensetzung zu erwartenden<br />
Ergebnis. Gleichwohl lässt sich aber auch feststellen, dass das Gruppenergebnis<br />
im Bereich Zahlen und Maße in der oberen Hälfte des Erwarungsbereichs bzw. im Bereich<br />
Statistische Darstellungen und Kenngrößen über dem Erwartungsbereich liegt.<br />
Anschließend an diese Bestandsaufnahme sollte ein Abgleich mit den eigenen Erwartungen<br />
erfolgen und es sollten Fragen nach den Besonderheiten der Ergebnisse und den Wirkmechanismen,<br />
die diesen Ergebnissen zugrunde liegen, gestellt werden. Auch wenn hier augenscheinlich<br />
alles im „grünen Bereich“ liegt und die Frage nach den Wirkmechanismen nicht<br />
vordringlich scheint, ist es wichtig, sie zu stellen.<br />
Die Rückmeldung verfolgt das Ziel, die Qualität des Unterrichts zu verbessern – unabhängig<br />
davon, ob die Ergebnisse erwartungswidrig ausfallen oder nicht. Rückgreifend auf die oben<br />
erwähnten Merkmale, die in die Berechnung des fairen Vergleichs einfließen, müssen Faktoren<br />
benannt werden, die Lehrer/innen beeinflussen können. Dazu zählen auf der Ebene des<br />
Unterrichts vor allem die Material- und Methodenauswahl bzw. das Ausmaß, in dem diese<br />
Auswahl das Lernpotenzial der Schüler/innen (Vorwissen, Lern- und Gedächtnisstrategien,<br />
Lernmotivation, Anstrengungsbereitschaft usw.) berücksichtigt (Helmke, 2009, S. 73).<br />
In diesem Abschnitt wurde auf ausgewählte Grafiken der Musterrückmeldung an Lehrer/innen<br />
eingegangen. Zu jeder Grafik folgten modellhaft Überlegungen in folgender Reihenfolge:<br />
1. Ermitteln der Ergebnisse und Vergleichen mit verschiedenen Referenzwerten (Schulschnitt,<br />
Österreich-Schnitt etc.)<br />
2. Aufspüren von Besonderheiten der Ergebnisse und Vergleich mit den eigenen Erwartungen<br />
3. Suchen von Faktoren, die das Zustandekommen der erhaltenen Ergebnisse erklären<br />
Es stellt sich in diesem Prozess die zentrale Frage nach der Zuschreibung von Ursachen und<br />
Wirkungen von Einflussfaktoren, aus denen die Ergebnisse letztendlich resultieren. Besonders<br />
fruchtbar ist dieser Prozess, wenn es sich um erwartungswidrige Resultate handelt und<br />
innerschulisch nach Antworten gesucht wird. Je intensiver sich das gesamte Kollegium mit<br />
der Rückmeldung beschäftigt, desto eher wird der nächste Schritt des Zyklenmodells – die<br />
Aktion – gesetzt.<br />
1.3.3 Schritt 4: Die Aktion<br />
Das Zyklenmodell richtet den Schwerpunkt vornehmlich auf konkrete Maßnahmen und Aktivitäten<br />
auf Schul- und Klassenebene. Dabei geht es um Handlungsschritte, die in Summe die<br />
Unterrichtsqualität verbessern sollen, wie beispielsweise Kurse zur Förderung der diagnostischen<br />
Kompetenz oder Differenzierungsmöglichkeiten im Bereich der Lehr-Lern-Materialien.<br />
Unterstützt werden diese Handlungsschritte durch eine Reihe von Angeboten, die das Bundesministerium<br />
für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) in Kooperation mit dem BIFIE und<br />
den Pädagogischen Hochschulen bereitstellt (vgl. BMUKK, 2012).
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 17<br />
Rückmeldemoderatorinnen und Rückmeldemoderatoren<br />
Die Rückmeldemoderation wurde in Zusammenarbeit mit dem BIFIE entwickelt. Dabei erhalten<br />
Schulen die Möglichkeit, über die Pädagogischen Hochschulen des jeweiligen Bundeslands<br />
sogenannte Rückmeldemoderatorinnen/Rückmeldemoderatoren als externe<br />
Unterstützung für das Lesen und Interpretieren des Ergebnisberichts anzufordern (vgl. die<br />
Informationen auf der Website des BIFIE unter https://www.bifie.at/node/66). Die Rückmeldemoderatorinnen<br />
und -moderatoren wurden in Zusammenarbeit mit dem BIFIE über die<br />
Pädagogischen Hochschulen speziell dafür ausgebildet, Schulleiter/innen sowie Lehrer/innen<br />
bei der sachlichen Analyse, der objektiven Interpretation der Ergebnisse und deren Aufbereitung<br />
zu unterstützen.<br />
Kernaufgabe der Rückmeldemoderatorinnen und -moderatoren ist es, die Schulen beim<br />
Identifizieren von Stärken und Schwächen zu unterstützen. Im Dialog mit Schulleitung und<br />
Lehrpersonen wird versucht, Handlungsfelder aufzuzeigen. Begonnen wird dieser Prozess<br />
im Rahmen eines Erstgesprächs mit der Schulleitung, in dem neben dem Lesen und Interpretieren<br />
der Grafiken und Tabellen etwa auch ein Stärken-Schwächen-Profil erstellt werden<br />
kann. Mögliche Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen können reflektiert<br />
und bundeslandspezifische Unterstützungsmöglichkeiten angesprochen werden. Das<br />
Erstgespräch und die erste Ergebnisanalyse finden stets mit der Schulleitung statt. In der<br />
Folge können Gespräche mit der Schulleitung und den betroffenen Lehrerinnen und Lehrern<br />
geführt oder begleitende pädagogische (Fach-)Konferenzen besucht werden. Im Anschluss<br />
daran gibt es für die Lehrpersonen der überprüften Klassen auch die Möglichkeit, mit der<br />
Rückmeldemoderatorin/dem Rückmeldemoderator ein Vier-Augen-Gespräch über die Klassenergebnisse<br />
zu führen.<br />
Schul- und Unterrichtsberater/innen<br />
Nach diesem zweiten Gesprächstermin ist die Arbeit für die Rückmeldemoderatorinnen und<br />
-moderatoren beendet, da ein nachfolgender Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozess<br />
nicht mehr Gegenstand ihres Aufgabengebiets ist. Wünscht sich eine Schule diesbezüglich<br />
fachliche Beratung oder eine Begleitung des Prozesses, so können über die Pädagogischen<br />
Hochschulen Schul- und Unterrichtsberater/innen angefordert werden.<br />
Diagnoseinstrumente<br />
Weiters bietet das BIFIE Diagnoseinstrumente zur Informellen Kompetenzmessung (IKM) an<br />
(vgl. dazu https://www.bifie.at/ikm). Sie unterstützen Lehrkräfte bei der Planung und Gestaltung<br />
ihres Unterrichts, indem sie objektive Aussagen über den Leistungsstand der Schüler/<br />
innen liefern. Für Mathematik stehen im Bereich der Sekundarstufe I Diagnoseinstrumente<br />
für die 6. und 7. <strong>Schulstufe</strong> online zur Verfügung. Nach Durchführung der Kompetenzmessung<br />
in der Unterrichtsgruppe und der anschließenden Bewertung der freien Antwortformate<br />
durch die Lehrperson generiert das System sofort eine umfassende Ergebnisrückmeldung.<br />
Neben der individuellen Feststellung der Schülerkompetenzen gibt die Auswertung der IKM<br />
Lehrerinnen und Lehrern auch Auskunft über den Lernstand der gesamten Gruppe und informiert<br />
so rechtzeitig vor der Standardüberprüfung über noch nicht hinreichend beachtete<br />
Bereiche des Kompetenzmodells.
18 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Publikationen und Handreichungen<br />
Lehrerinnen und Lehrern wird eine Vielzahl von Unterstützungsleistungen zur Vorbereitung<br />
und Gestaltung des Unterrichts geboten (Lehrbücher, CDs, Spiele, Onlineangebote etc.). Auf<br />
der Website des BIFIE sind umfangreiche Materialien – darunter Praxishandbücher, Themenhefte<br />
und Aufgabensammlungen – frei zugänglich (siehe https://www.bifie.at/downloads).<br />
Lerngemeinschaften und Netzwerke<br />
Eine weitere direkte Nutzung der Ergebnisrückmeldung kann im Rahmen schulinterner, aber<br />
auch in Form schulübergreifender Kooperationen stattfinden, d. h. in Form von standortund<br />
regionsübergreifenden Lern- bzw. Arbeitsgemeinschaften und Netzwerken. Diese Form<br />
der Kooperation zeichnet sich durch die längerfristige Einbindung der handelnden Personen,<br />
selbstständige Entwicklungsarbeit, kollegialen Erfahrungsaustausch bzw. kollegiale Rückmeldung<br />
(z. B. kollegiale Hospitation, Supervision etc.) aus. Lerngemeinschaften helfen, das<br />
„Einzelkämpfertum“ in der Klasse zu überwinden.<br />
1.3.4 Schritt 5: Die Evaluation<br />
Abgeschlossen wird der erste Zyklus durch eine neuerliche Überprüfung der Bildungsstandards<br />
Mathematik im Jahr 2015. Damit wird ersichtlich, ob bzw. inwieweit die getroffenen<br />
Maßnahmen die gewünschte Wirkung entfalten konnten. Gleichzeitig beginnt an dieser Stelle<br />
ein neuer Qualitätszyklus.<br />
Literatur<br />
Ackeren, I. van (2007). Nutzung großflächiger Tests für die Schulentwicklung. Erfahrungen<br />
aus England, Frankreich und den Niederlanden. Berlin: Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung. Verfügbar unter http://www.bmbf.de/pub/nutzung_grossflaechiger_tests_fd_<br />
schulentwicklung.pdf [19.09.2012].<br />
Amtmann, E., Grillitsch, M. & Petrovic, A. (2011). Bildungsstandards Ergebnisrückmeldung –<br />
Erste Erfahrungen aus der Baseline-Testung 2009. Executive Summary zu BIFIE-Report<br />
7/2011. Graz: Leykam.<br />
Änderung des Bundes-Schulaufsichtsgesetzes (2011). In BGBl. I Nr. 28/2011. Verfügbar unter<br />
http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2011_I_28/BGBLA_2011_I_2<strong>8.</strong><br />
pdf [19.07.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2012). Rückmeldung an die Lehrer/innen. Standardüberprüfung M8 –<br />
2012. Rückmeldung der Ergebnisse Ihrer Unterrichtsgruppe. Arbeitsfassung vom 19. April<br />
2012. Salzburg: BIFIE. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/1689 [19.09.2012].<br />
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (Hrsg.) (2012). Bildungsstandards.<br />
Richtlinien des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur für Schulaufsicht,<br />
SchulleiterInnen und LehrerInnen sowie Schulpartner für den Umgang mit den Rückmeldungen<br />
der Bildungsstandardsüberprüfung. Verfügbar unter http://www.bmukk.gv.at/medienpool/22324/bildungsstandards_rl.pdf<br />
[19.07.2012].
Rückmeldung an die Lehrer/innen – Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 19<br />
Groß Ophoff, J., Hosenfeld, I. & Koch, U. (2007). Formen der Ergebnisrezeption und damit<br />
verbundene Schul- und Unterrichtsentwicklung. In Empirische Pädagogik 21 (4). S. 411–427.<br />
Hattie, J. & Timperley, H. (2007). The Power of Feedback. In Review of Educational Research<br />
77. S. 81–112.<br />
Helmke, A. & Hosenfeld, I. (2005). Standardbezogene Unterrichtsevaluation. In Brägger, G.,<br />
Bucher, B. & Landwehr, N. (Hrsg.). Schlüsselfragen zur externen Schulevaluation. Bern: hep.<br />
S. 127–152.<br />
Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und<br />
Verbesserung des Unterrichts. Seelze: Kallmeyer.<br />
Kiper, H. (2009). Schulentwicklung im Rahmen von Kontextsteuerung. Welche Hinweise geben<br />
(durch Evaluation und Vergleichsarbeiten gewonnene) Daten für ihre Ausrichtung? In<br />
Bohl, T. & Kiper, H. (Hrsg.). Lernen aus Evaluationsergebnissen. Bad Heilbronn: Klinkhardt.<br />
S. 13–2<strong>8.</strong><br />
Kluger, A. & DeNisi, A. (1996). The effects of feedback interventions on performance: A historical<br />
review, a metaanalysis, and a preliminary feedback intervention theory. In Psychological<br />
Bulletin 119 (2). S. 254–284.<br />
Rheinberg, F. (2001). Bezugsnormen und schulische Leistungsbeurteilung. In Weinert, F.<br />
(Hrsg.). Leistungsmessung in Schulen. Weinheim: Beltz. S. 59–70.<br />
Tresch, S. (2007). Potenzial Leistungstest: Wie Lehrerinnen und Lehrer Ergebnisrückmeldungen<br />
zur Sicherung und Steigerung ihrer Unterrichtsqualität nutzen. Bern: hep.<br />
Visscher, A. & Coe, R. (2003). School performance feedback systems: conceptualization,<br />
analysis, and reflection. In School effectiveness and school improvement 14 (3). S. 321–349.
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 21<br />
2 Mathematikunterricht in heterogenen<br />
Lerngruppen<br />
Die einzige Chance sich auf die Zukunft vorzubereiten, besteht darin,<br />
möglichst viele im System zu haben, die anders sind.<br />
Markus Hengstschläger<br />
Elisabeth Mürwald-<br />
Scheifinger<br />
2.1 Heterogenität<br />
Der Begriff Heterogenität steht für Uneinheitlichkeit oder Verschiedenartigkeit. Im pädagogischen<br />
Sprachgebrauch beschreibt dieser Begriff die Unterschiedlichkeit der Schüler/innen<br />
hinsichtlich verschiedener Merkmale, die als lernrelevant eingeschätzt werden. Diskutiert<br />
werden vor allem die Heterogenität hinsichtlich der schulischen Leistungen oder der Begabungen,<br />
hinsichtlich des Alters, des Geschlechts sowie die kulturelle Heterogenität in einer<br />
Lerngruppe. Das Thema heterogene Lerngruppe bezieht sich nicht ausschließlich auf NMS<br />
oder Hauptschulen, auch AHS-Klassen sind heterogene Lerngruppen. Darum haben die<br />
Gedanken und Ideen, die im Folgenden genannt werden, die gesamte Sekundarstufe I vor<br />
Augen. Die beschriebenen Tipps und Methoden sollen ebenso an AHS Eingang finden.<br />
Roßbach und Wellenreuther (2002) nennen vier Merkmale, in denen sich Heterogenität manifestieren<br />
kann:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Wissensbasis: Schüler/innen einer Klasse verfügen in verschiedenen Wissensbereichen<br />
über unterschiedliche Kenntnisse, sodass für die einzelne Lernende/den einzelnen Lernenden<br />
die jeweils zu lernende Informationsmenge unterschiedlich ist.<br />
Intelligenz: Schüler/innen unterscheiden sich darin, wie schnell sie Informationen aufnehmen,<br />
wie viele Informationen sie im Arbeitsgedächtnis speichern und wie effizient sie<br />
Informationen in ihr Langzeitgedächtnis integrieren können.<br />
Motivation: Schüler/innen differieren in ihrer Lernlust, ihren Ängsten und in ihren Motivationen.<br />
Dies wirkt sich sowohl auf den Umfang der Lerntätigkeiten in den verschiedenen<br />
Bereichen als auch auf die Fähigkeit, effektiv Informationen zu verarbeiten, aus.<br />
Meta-Kognition: Schüler/innen verfügen über unterschiedliche Strategien der Problembearbeitung<br />
und Problemlösung. Sie unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, die Güte der<br />
eigenen Problemlösung kritisch zu beurteilen.<br />
Die folgenden, von Tillmann und Wischer (2006, S. 45–46) aus einer Untersuchung der deutschen<br />
Schullandschaft abgeleiteten Erkenntnisse lassen sich auch auf das österreichische<br />
Schulsystem übertragen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Die Lerngruppen an Sekundarstufen sind im internationalen Vergleich sehr homogen hinsichtlich<br />
ihrer kognitiven Merkmale. Dennoch ist die Streuung z. B. der Lesekompetenz<br />
so groß, dass als „schwach“ bezeichnete AHS-Schüler/innen etwa den Stand des Durchschnitts<br />
an Hauptschulen erreichen und als „stark“ bezeichnete Haupt- oder Mittelschüler/innen<br />
etwa den Stand des Durchschnitts an AHS.<br />
Lernschwache oder lernbehinderte Schüler/innen beeinflussen die Leistungsentwicklung<br />
stärkerer Schüler/innen in derselben Lerngruppe nicht negativ.<br />
Die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten fällt bei lernschwachen Schülerinnen und<br />
Schülern negativer aus, wenn sie in leistungsheterogenen Lerngruppen sind.<br />
Homogene Lerngruppen von Schülerinnen und Schülern mit Lern- und Erziehungsproblemen<br />
verschlechtern deren Lernchancen erheblich.<br />
2.2 Heterogenität und Individualisierung<br />
Die Heterogenität von Lerngruppen ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Leistungsniveaus,<br />
Lebenserfahrungen, sozialer Hintergründe und Werte, unterschiedlicher Kulturen und
22 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Bedürfnisse. Für eine Gesellschaft bzw. eine Schule, die Inklusion bejaht, auf Toleranz und<br />
Verständigung setzt und Heterogenität als Chance sieht, muss der allgemeine Erziehungsauftrag<br />
lauten, die Lernenden in das Umgehen mit Unterschieden einzuüben. Hartmut von<br />
Hentig (1988, S. 28) umschreibt diese Art von Schule als Polis, mit dem Hinweis, dass „man<br />
sich auf das spätere Leben am besten vorbereitet, indem man jetzt lebt – zunehmend bewusst,<br />
zunehmend vernünftig, zunehmend verantwortlich“.<br />
Wenn Schüler/innen in einer Schule, einer Klasse oder einer Lerngruppe gut leben und damit<br />
auch gut lernen können, dann heißt das, dass sie<br />
<br />
das eigene Leben in der Schule und der Gemeinschaft bewusst, verantwortlich und vernünftig<br />
gestalten.<br />
<br />
in einer Gemeinschaft aufwachsen, die Unterschiede respektiert und Toleranz lebt.<br />
<br />
an ihrem individuellen Lernzuwachs gemessen werden und entsprechende Anregungen,<br />
Forderungen bzw. Förderungen erhalten.<br />
<br />
vielfältige und unterschiedliche Gelegenheiten erleben, um die eigenen Kompetenzen und<br />
Ressourcen einzusetzen und zu erproben.<br />
Vielfalt und Heterogenität einer Lerngruppe kann als unüberwindbares Hindernis oder als<br />
weiterführende Chance für alle an diesem Lernvorhaben Beteiligten angesehen werden. In<br />
der „Salamanca-Erklärung“ der UNESCO-Weltkonferenz (Österreichische UNESCO Kommission,<br />
1994) wird betont, dass Schulen mit integrativer Orientierung diskriminierende Haltungen<br />
und Intoleranz bekämpfen und darüber hinaus eine effektive Bildung für den Großteil<br />
aller Kinder gewährleisten können. Auch ohne Mechanismen der Selektion ist eine inklusive<br />
Betreuung unterschiedlicher Lernender durch geeignete Maßnahmen möglich. Wird der<br />
Mensch als soziales Wesen erkannt, ist ein gemeinsames Curriculum von Bedeutung. Dieses<br />
hat eine inklusive Pädagogik als Grundlage, in der alle Lernenden in gelebter Kooperation auf<br />
ihrem jeweiligen Wissens- und Entwicklungsstand unter Berücksichtigung der jeweils vorhandenen<br />
Kompetenzen miteinander auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Die Bertelsmann<br />
Stiftung (o. J., S. 4) untermauert diesen Anspruch mit der Forderung, dass jedes Kind – unabhängig<br />
von seiner sozialen und kulturellen Herkunft und in Betrachtung seiner besonderen<br />
(oder auch nicht besonderen) Bedürfnisse – auf vielfältige Art und Weise angeregt und herausgefordert<br />
wird. Jedes Kind soll Schule als einen Lern- und Lebensraum erleben, in dem<br />
es sich mit seinen Fähigkeiten angenommen fühlt, in dem es Bestätigung erfährt und in dem<br />
ihm die Entwicklung seiner Fähigkeiten zugetraut wird.<br />
Unterricht, der diesen Forderungen Rechnung tragen will, verlangt von Lehrpersonen, dass<br />
sie sich mit unterschiedlichen Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern auseinandersetzen.<br />
Sie lenken ihren Blick in erster Linie auf die Ressourcen, Interessen und Lernniveaus der<br />
Schüler/innen und schließen daraus auf die Form und die Inhalte ihres Unterrichts. „Wozu all<br />
diese Arbeit?“, werden sich einige Lehrpersonen fragen. Die Antwort darauf kann mit dem<br />
Genetiker Markus Hengstschläger (2012, S. 5–7) gegeben werden: weil<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Individualisierung die einzige Möglichkeit ist, sich auf Fragen in der Zukunft, die wir heute<br />
noch nicht kennen, vorzubereiten,<br />
der Mensch individuell ins Leben geht und sich sein Leben lang gegen Gleichmacherei<br />
wehren muss,<br />
bildungsferne Schichten zur Bildung geführt werden müssen, nicht um den Durchschnitt<br />
zu heben, sondern um mehr Talente zu entdecken,<br />
wenn alle verschieden sind, keiner mehr auffällt.<br />
Ein wesentliches Element der Zukunft ist, dass sie Neues bringt – ohne Rücksicht auf den<br />
aktuellen Stand unseres Wissens. Anders sein und möglichst Verschiedenartige im System<br />
zu haben, ist die mächtigste Eigenschaft der Gesellschaft auf dem Weg in die Zukunft.
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 23<br />
Wollen wir uns auf die Zukunft gut vorbereiten, muss unser Ziel sein, jeder/jedem Einzelnen<br />
die Chance zu geben, ihre/seine individuellen Ressourcen zu entdecken und durch Arbeit,<br />
Training und Übung in besondere Leistungen umzusetzen. Lehrpersonen können und sollen<br />
bei ihren Schülerinnen und Schülern fördern und fordern, was jede/jeder Einzelne auch mit<br />
Begeisterung bereit ist zu tun. Durchmischung steigert die Individualität in unserem System<br />
und ist daher eine unverzichtbare Komponente der Evolution (ebd., S. 15–21).<br />
2.3 Heterogenität und Unterricht<br />
All diese Überlegungen und Gedanken in einem Unterricht umzusetzen, der für Schüler/innen<br />
und Lehrer/innen gleichermaßen befriedigend ist, stellt eine Herausforderung dar. Manche<br />
Umsetzungsideen werden an Grenzen stoßen: Die Schüler/innen wissen mit der Methode<br />
nicht umzugehen; die Schulleitung hätte lieber „geordneten“ Unterricht im Klassenraum;<br />
Kolleginnen und Kollegen wollen nicht mittun, weil sie meinen, dass „dies eh nichts bringt“<br />
usw. Sie können die Liste selbst fortsetzen. Jetzt nicht aufzugeben, sondern Mut daraus zu<br />
schöpfen und weiter – eventuell mit kleinen Variationen – in diesem Sinne zu arbeiten, wird<br />
schlussendlich belohnt werden mit Jugendlichen, die in ihrem Selbstwert gewachsen sind,<br />
die um ihre individuellen Fähigkeiten wissen und die bereit sind für die Zukunft und ihre Anforderungen.<br />
Einige Ideen zum Umgang mit heterogenen Lerngruppen sollen Sie anregen,<br />
Ihnen Unterstützung geben, Ihnen Mut machen.<br />
Howard Gardner beschreibt die Schule in Der ungeschulte Kopf. Wie Kinder denken (1993,<br />
S. 249–250) als einen „Ort der Entdeckungen und Erforschungen“, wo Jüngere bzw. Nochnicht-Wissende<br />
von Älteren bzw. Bereits-Wissenden lernen, indem sie gemeinsam Tätigkeiten<br />
mit einem gemeinsamen Ziel durchführen. Es ist dies der Versuch einer Antwort auf<br />
die Frage, wie man der Unterschiedlichkeit von Kindern bzw. Jugendlichen gerecht werden<br />
kann. Die Schüler/innen wählen nach ihren Fähigkeiten und Interessen einen Arbeitsbereich<br />
aus, sind dort dann als „Lehrlinge“ tätig, während Lehrpersonen oder auch andere<br />
Expertinnen/Experten als ihre „Lehrmeister“ fungieren: Computerprogrammierer/innen sind<br />
im „Technologiezentrum“ tätig, Tierpfleger/innen kümmern sich um die Tiere. Arbeiter/innen<br />
einer „Fahrradfabrik“ setzen Fahrräder zusammen usw. Jede „Lehrlingsgruppe“ besteht aus<br />
Jugendlichen unterschiedlichen Alters, die in dem betreffenden Fach oder für den Bereich<br />
unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen. Der größte Teil des Lernens geht kooperativ vor<br />
sich. Befriedigung ergibt sich daraus, dass eine Arbeit gut verrichtet wird. Da die Schüler/<br />
innen von Anfang an mit einer bedeutsamen und anspruchsvollen Arbeit betraut sind, haben<br />
sie ein echtes Interesse am Ergebnis ihrer Bemühungen und an der Arbeit von ihresgleichen.<br />
Mancherorts wird diese Idee unter der Bezeichnung Freiarbeit in ähnlicher Form umgesetzt:<br />
Schüler/innen wählen für eine bestimmte Arbeitszeit (z. B. über zwei Wochen die ersten<br />
beiden Unterrichtseinheiten jedes Schultags oder ein Semester lang drei Unterrichtseinheiten<br />
pro Woche, jede Woche an einem anderen Tag) die von ihnen zu bearbeitenden Themenbereiche<br />
selbst, bearbeiten ihr ausgewähltes Thema, finden weitere oder neue Fragestellungen<br />
und stellen ihre Leistungen (im Rahmen einer Präsentation beim nächsten Elternabend, vor<br />
dem Klassenplenum, in der Schulzeitung, an der Wandtafel etc.) vor. Die Lehrpersonen sind<br />
in dieser Zeit wichtige Helfer/innen und Trainer/innen; sie unterstützen (auch wenn es nicht<br />
unbedingt ihr Fachbereich ist), helfen bei den Recherchen, geben Tipps. Durch die selbstständige<br />
Arbeit der Schüler/innen gewinnen sie Zeit für individuelle Beratung und Unterstützung.<br />
Die Durchmischung von <strong>Schulstufe</strong>n findet sich selten in Projektbeschreibungen, obwohl<br />
ein Lernen von Älteren hier für beide Seiten im Sinne nachhaltigen Lernens genutzt werden<br />
könnte.
24 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Peer-Coaching kann in unterschiedlichster Weise durchgeführt werden:<br />
<br />
<br />
<br />
In einer Klasse bilden sich Lernpartnerschaften: Zwei bis drei Schüler/innen arbeiten und<br />
lernen miteinander (vgl. Mürwald-Scheifinger & Weber, 2011, S. 131).<br />
Von und mit Älteren lernen: Schüler/innen der 6. <strong>Schulstufe</strong> wiederholen beispielsweise<br />
das Zeichnen, Messen und Benennen von Winkeln als Vorarbeit zur Konstruktion von<br />
Drei- und Vierecken. Sie erkennen dabei die Probleme, die beim Zeichnen und Messen<br />
von Winkeln auftreten und suchen nach Lösungsmöglichkeiten. Diese Erfahrungen nutzen<br />
sie nun, um die Schüler/innen der 5. <strong>Schulstufe</strong> in diesen Themenbereich einzuführen.<br />
Zwei Schüler/innen der 6. <strong>Schulstufe</strong> betreuen vier bis fünf Schüler/innen der<br />
5. <strong>Schulstufe</strong>, führen sie in den Themenbereich ein und erarbeiten mit ihnen das Zeichnen,<br />
Messen und Benennen von Winkeln. 1<br />
Leistungsstarke Schüler/innen der <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> melden sich freiwillig als Tutorinnen und<br />
Tutoren für leistungsschwächere Schüler/innen und bieten „Nachhilfeunterricht“ an.<br />
„Überall dort, wo Jugendliche echt gefordert sind, gebraucht werden und die Erfahrung machen,<br />
dass es auf sie ankommt“ (Groeben, 2012, S. 183), sind nachhaltig wirksame Lehrund<br />
Lerngelegenheiten zu finden. Es lohnt sich, ein wenig im Buch Bewährung. Von der<br />
nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein von Hartmut von Hentig (2006) zu lesen, der (besonders<br />
für Pubertierende) den Schulunterricht für ein Jahr gegen Lerngelegenheiten, wie sie Gardner<br />
in seiner Vision von Schule beschrieben hat, tauschen möchte – Schüler/innen müssen die<br />
Erfahrung machen, nützlich zu sein. Durch Projekte, im Rahmen derer Schülerinnen und<br />
Schülern von der Auswahl der Themen über die Planung, das Zeit- und Arbeitsmanagement<br />
sowie die Umsetzung bis hin zum Abschluss (sei dies eine Präsentation, ein Fest, eine Ausstellung,<br />
ein Kurzfilm o. Ä.) die gesamte Verantwortung gegeben wird, können Erfahrungen,<br />
wie Hentig und Groeben sie fordern, stattfinden und erlebt werden. Schüler/innen erkennen,<br />
dass ein etwaiges Scheitern in ihrer Verantwortung liegt und ein solches Scheitern auch<br />
stattfinden darf, um daraus zu lernen.<br />
Eine Idee für den Mathematikunterricht, die sich an das echte Gefordertsein anlehnt, stellt der<br />
Wettbewerb dar. In BasisMathematik 1–2 (BMUKK, 2008) wird ein solcher Versuch im Kapitel<br />
Motivation durch Wettbewerb unternommen. Die Schüler/innen werden von einer fiktiven<br />
Firma aufgefordert, eine kreative Verpackung für drei Tennisbälle herzustellen und diese zu<br />
präsentieren. Dabei gilt es, auch den benötigten Materialbedarf zu erheben, eine Kostenaufstellung<br />
zu machen und die Problematik des Transports in größeren Mengen zu überlegen.<br />
Jede Arbeitsgruppe hat die alleinige Verantwortung für ihre gesamte Arbeitstätigkeit – vom<br />
Besorgen der Materialien über das Einhalten der vereinbarten Arbeitsaufteilungen bis hin zur<br />
Präsentation vor einer Jury. 2 Als einen „Prozess der Abstimmung zwischen inneren und äußeren<br />
Welten, Ansprüchen und Erwartungen“ beschreibt Arno Combe (2006, S. 33) dieses<br />
Erfahrungslernen. Ein „inszenierter“ Wettbewerb (wie der oben vorgestellte) ist natürlich nicht<br />
mit dem wirklichen Leben gleichzusetzen, nichtsdestotrotz unterstützen solche Lernerfahrungen<br />
einen durchdringenden Aneignungsprozess und fördern damit die Nachhaltigkeit des<br />
Lernens.<br />
Wer dem Korn beim Wachsen helfen will, indem er<br />
an den Halmen zieht, dezimiert seine Ernte.<br />
(nach einem Gleichnis von Mong Tse)<br />
Martin Wagenschein regt mit seiner „Didaktik des Verstehens“ zur Entschleunigung des Unterrichts<br />
und des Lernens an. Er möchte Lehrpersonen ermutigen, nicht Wissen zu vermitteln,<br />
1 Ein Praxisbericht der Praxishauptschule der PH Kärnten zum Thema Bruchrechnen findet sich unter<br />
http://mb-gemeinsamlernen.bmukk.gv.at/AusDerPraxis [25.09.2012].<br />
2 Ein Bericht einer gelungenen Umsetzung und die notwendigen Unterlagen finden sich unter<br />
http://mb-gemeinsamlernen.bmukk.gv.at/Materialienpool [25.09.2012].
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 25<br />
sondern die Sache selbst reden, wirken und an ihr Denk- und Erkenntnisprozesse in Gang<br />
setzen zu lassen. Dieses genetische Lernen braucht Zeit, die Lehrpersonen ihren Lernenden<br />
geben müssen, und zwar „nicht weil wir leider keine Zeit mehr hätten, alles durchzunehmen,<br />
was sich zunehmend an Wissen anhäuft, sondern weil wir viel Zeit haben und weil es in<br />
jedem Fall sinnlos wäre, erfolglos, weder schulend noch bildend, diese mit Stoffanhäufung<br />
zu vertun“ (Wagenschein, 1992, S. 43). Könnten Lehrende das Ziehen am Halm unterlassen<br />
(nach dem Gleichnis von Mong Tse), würde die Qualität des Gelernten steigen. Oft werden<br />
hervorragende, aber bedächtige Begabungen oder Ressourcen verscheucht, weil die Wegwerf-Konsum-Einstellung<br />
auf Schule und Ausbildung ausgedehnt wird.<br />
Der professionelle Umgang mit Heterogenität setzt bei Lehrpersonen eine intensive Auseinandersetzung<br />
mit Sach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz, eine gelungene Implementierung<br />
der Intentionen der Bildungsstandards wie auch ein offen gestaltetes Konzept<br />
der Individualisierung von Unterricht voraus. Individualisierung eröffnet den Zugang zur einzelnen<br />
Lernenden/zum einzelnen Lernenden in der Gemeinschaft und steht damit gegen die<br />
Tradition von Schule und der herkömmlichen Stundenplanung, die in ihrer klaren Definiertheit<br />
der Verschiedenheit und den unterschiedlichen Bedürfnissen der Einzelnen entgegensteht.<br />
Mit dieser Beschreibung weist Johannes Bastian (2007, S. 149–150) sehr deutlich auf die<br />
Problematik von Unterricht in und mit heterogenen Lerngruppen hin.<br />
Nicht alle müssen verstehen,<br />
aber alle müssen mitdenken.<br />
Martin Wagenschein<br />
2.4 Warum fällt dieses Umdenken so schwer?<br />
Dieses Umdenken fällt auch deshalb so schwer, weil Lehrpersonen meist gewissheitsorientiert<br />
sind: Ich (als Lehrperson) möchte die Gewissheit haben, dass ich mit meinen Schülerinnen<br />
und Schülern die von mir vorgegebenen Ziele erreiche (lehrseitiger Unterricht). Eine<br />
Entschleunigung, wie Wagenschein sie einfordert, und das Loslassen dieser Gewissheitsorientierung<br />
führen zu einem Paradigmenwechsel, der für einen Unterricht in heterogenen Lerngruppen<br />
unabdingbar ist: Wir (die Schüler/innen und Lehrer/innen) haben ein gemeinsames<br />
Ziel. Wir versuchen, das Ziel auf unterschiedlichen, gleichberechtigten Wegen zu erreichen,<br />
wissend, dass nicht alle das Ziel erreichen werden bzw. erreichen können.<br />
Jürgen Baumert, Johannes Fried, Hans Joas et al. (2002, S. 195) beschreiben in Die Zukunft<br />
der Bildung ein Basiswissen, das die Grundlage moderner Allgemeinbildung darstellt: Mit unterschiedlichen<br />
Zugangswegen eröffnen sich unterschiedliche Formen, die Welt zu verstehen,<br />
sich mit diesem Wissen auseinanderzusetzen, es zu bewerten und aus Erfahrungen Werte<br />
wachsen zu lassen. Nicht alle werden alles auf dem gleichen Niveau können, es müssen<br />
auch nicht alle alles verstehen, aber alle müssen mitdenken. Viele Erfahrungen zeigen, dass<br />
es durch didaktische und methodische Kniffe und mit dem Fokus auf Aktivierungspotenzial<br />
und Motivation möglich ist, alle Schüler/innen „mitzunehmen“, ihre Lust und Neugierde auf<br />
die Begegnung mit der Welt zu erhalten und zu fördern und ihnen nachhaltige, langfristig<br />
verfügbare Kompetenzen zu vermitteln. Dass alle am Ende gleich viel können, ist allerdings<br />
ein illusorisches Ziel – es sollte vielmehr darum gehen, das individuell Mögliche zu erreichen.<br />
Bei der Angst im Umgang mit Heterogenität – eigentlich müsste man sagen: beim Wunsch<br />
nach möglichst großer Homogenität – ist vor allem die Idealvorstellung von „richtigem“ (was<br />
bedeutet das?) Unterricht bedeutsam. Ein solches „Idealbild“ setzt sich aus Erinnerungen<br />
an die eigene Schulzeit zusammen und wird durch die unterrichtspraktische Ausbildung, vor<br />
allem durch ihre Umsetzung, ausgestaltet und verfestigt.
26 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Dieses Idealbild unterliegt drei Bestimmungsstücken:<br />
<br />
<br />
<br />
Der Unterricht basiert auf einem perfekten „Drehbuch“, der Vorbereitung, die minutiös<br />
abzuarbeiten ist und bei der alles im (bis jetzt leider noch vorherrschenden) 45- bis 50-Minuten-Takt<br />
umzusetzen ist. Gelingt dies, ist das „Stundenziel“ erreicht.<br />
Die Lerngruppe bewegt sich im Gleichschritt mit möglichst geringfügigen Abweichungen.<br />
Auch beim Unterricht in Teilgruppen sollten alle am gleichen „Endpunkt“ – nicht nur für<br />
diese Unterrichtseinheit – ankommen.<br />
Die Lehrperson zeichnet sich dadurch aus, dass sie wie ein großartiger Dompteur, Regisseur<br />
oder Dirigent jede einzelne Lernende/jeden einzelnen Lernenden „unter Kontrolle“<br />
hat – unter der Annahme, dass Lernende nur dann wirkungsvoll lernen, wenn sie den für<br />
sie geplanten Lernweg auch einhalten.<br />
Für einen sinnvollen Umgang mit der Herausforderung heterogener Lerngruppen sollen jedoch<br />
einige hilfreiche Faktoren beachtet werden:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Zeit: Den Schülerinnen und Schülern soll genügend Zeit zum eigenständigen Entdecken<br />
und für benötigte Umwege gegeben werden.<br />
Methodenvielfalt: Der Einsatz vielfältiger Methoden soll helfen, selbstständige, selbstgesteuerte<br />
und selbstverantwortete Lernformen konsequent zu üben, damit diese zu einer<br />
selbstverständlichen Gewohnheit werden. Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz sollen<br />
trainiert werden, damit ein Arbeitsklima entsteht, in dem die Lehrperson nicht mehr<br />
alles „unter Kontrolle“ haben muss.<br />
Teamteaching: Erfahrungen zeigen, dass offene Lernformen dann effektiv sind, wenn<br />
das gesamte Lehrerteam, das diese Lerngruppe unterrichtet, sich über gemeinsame Ziele,<br />
Maßstäbe und Rituale verständigt hat. Dazu ist ein über längere Zeit stabiles Team<br />
notwendig, in dem sich alle für alles verantwortlich fühlen und sich dadurch gleichzeitig<br />
gegenseitig entlasten. Ideen, methodische Anregungen, didaktische Überlegungen und<br />
Materialien sollen gemeinsam diskutiert, ausgetauscht und hergestellt werden. Austausch<br />
entlastet die einzelne Lehrperson, gemeinsames Tun erleichtert Erkennen.<br />
Pädagogisch-didaktisches Material: Dieses soll das Erkennen und Verstehen der individuellen<br />
und konkreten Schwierigkeiten und Bedürfnisse einzelner Lernender erleichtern.<br />
Arbeit und Anstrengung: Diese Erfahrungen müssen für Lernende als sinnvoll erlebt<br />
werden, etwa durch das Anerkennen individueller Lernfortschritte, durch Beiträge von<br />
einzelnen oder durch Überprüfung des Lernstands zur persönlichen Information für die<br />
Lernenden (vgl. Becker, 2004, S. 11–12).<br />
Wenn Lernende wollen, was sie machen, dann schaffen sie Großartiges.<br />
2.5 Heterogenität und Individualisierung umgesetzt<br />
All diese Überlegungen müssen angestellt und umgesetzt werden, wenn kompetenzorientierter<br />
lernseitiger Unterricht Wirklichkeit werden soll. John Holt (2009, S. 94) stellt Unterricht,<br />
der in all seinen Facetten ausschließlich von Lehrpersonen gestaltet wird, als nicht zielführend<br />
dar, denn „Lehren erzeugt kein Lernen. Lerner erzeugen Lernen. Lerner erschaffen Lernen“.<br />
Lernseitiger Unterricht geht von den Bedürfnissen der Schüler/innen aus und schafft Möglichkeiten,<br />
die es erlauben, kontinuierlich ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihre wahren Ziele<br />
verwirklichen zu lernen. In einer lernenden Schule werden Unterrichtssituationen geboten,<br />
die neue Denkformen fordern und in denen gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden, in<br />
denen Menschen lernen, miteinander zu lernen (Senge, 1996, S. 11). Heterogene Lerngruppen<br />
verlangen beim Bestreben, auch individuelle Zugänge zu ermöglichen, nach Methodenvielfalt.<br />
Im ersten <strong>Band</strong> des <strong>Praxishandbuch</strong>s für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> (BIFIE, 2011b),<br />
im <strong>Band</strong> Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis (BIFIE, 2011a) sowie auf der
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 27<br />
Website des Projekts Mathematische Bildung 3 finden sich viele methodische Zugänge jeweils<br />
an mathematischen Inhalten dargestellt. All diese Ideen wurden in den Pilotierungsphasen an<br />
Schulen der Sekundarstufe I in ganz Österreich erprobt.<br />
Stellvertretend für viele Ideen seien hier nun noch einige kreative Überlegungen angeführt, die<br />
ihren Schwerpunkt im Bereich der inneren Differenzierung haben und daher für leistungsheterogene<br />
Lerngruppen gut geeignet sind.<br />
2.5.1 Karussell (z. B. Eigenschaften ebener Figuren)<br />
Die Schüler/innen sitzen im Kreis, jede/jeder Lernende hat eine Unterlage und einen Stift.<br />
Jede Schülerin/jeder Schüler erhält ein A4-Blatt, auf dem einige Fragestellungen notiert sind<br />
(Querformat):<br />
1. Wie lautet eine Formel für den Flächeninhalt?<br />
2. Wie lautet eine Formel für den Umfang?<br />
3. Wie viele Seiten hat die Figur?<br />
4. Nenne besondere Eigenschaften dieser Figur.<br />
5. Wie viele Winkel hat die Figur?<br />
6. Welche Gegenstände im Alltag haben diese Form?<br />
7. Gibt es (einen) Körper mit einer solchen Grundfläche? Wie heißt dieser (heißen diese)?<br />
<strong>8.</strong> Wie lautet eine Formel zur Berechnung des Durchmessers/der Diagonalen?<br />
Vorbereitet wurden jeweils auf einem Extrablatt Zeichnungen verschiedener Figuren:<br />
<br />
Dreieck, Kreis, Halbkreis, Rechteck, Quadrat, Deltoid, Raute, Trapez, Parallelogramm<br />
Ablauf:<br />
Jede Lernende/jeder Lernende zieht eine Zeichnung und heftet sie mit einer Büroklammer an<br />
seinen Fragebogen, ohne sie den anderen Lernenden zu zeigen.<br />
Jede/jeder darf sich eine Fragestellung aussuchen, die sie/er schriftlich beantworten kann. Es<br />
darf immer nur eine Antwort notiert werden. Die Fragen müssen nicht der Reihe nach beantwortet<br />
werden. Auf ein Zeichen der Lehrperson hin wird die Unterlage mit dem gesamten<br />
Blatt im Uhrzeigersinn weitergegeben. Kann bei dieser Figur keine Antwort gegeben werden,<br />
darf sich das Karussell trotzdem weiterdrehen. Nun kann die/der nächste Lernende eine<br />
weitere Frage beantworten.<br />
Sollte jemand für eine bereits beantwortete Frage noch eine Antwort wissen, so darf diese<br />
dazugeschrieben werden. Bereits vorhandene Antworten dürfen von anderen Lernenden<br />
nicht geändert oder gestrichen werden. Wird ein Fehler entdeckt, darf auf diesen durch einen<br />
erläuternden Kommentar hingewiesen und die vermeintlich richtige Antwort dazugeschrieben<br />
werden. Jede Frage kann/soll auch mehrere Antworten bekommen. Das Karussell läuft,<br />
solange die Schüler/innen mit Spannung dabei sind bzw. solange die Lehrperson es zulässt.<br />
Vor dem letzten Wechsel wird das Blatt mit der Zeichnung weggenommen und verdeckt in<br />
die Mitte des Sitzkreises gelegt, die Unterlage wird wieder weitergegeben.<br />
3 http://mb-gemeinsamlernen.bmukk.gv.at/default.aspx [25.09.2012]
28 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Abb. 1: Karussell<br />
Zur Weiterarbeit bieten sich mehrere Möglichkeiten an:<br />
<br />
<br />
Variante 1 (bei kleinen Lerngruppen): Die Schüler/innen lesen die Antworten durch; wer<br />
zu wissen glaubt, welche Figur auf seinem Blatt beschrieben wurde, sucht sich eine Antwort<br />
aus, die für sie/ihn klar zur entsprechenden Figur gehört. Was sagen die anderen<br />
dazu? Glaubt noch jemand, eine Figurenbeschreibung zu haben, auf die diese Eigenschaft<br />
zutrifft? Nun kann eine Diskussion beginnen, ob manche Eigenschaften nur einer<br />
Figur oder auch mehreren Figuren zuordenbar sind. Hat jemand die richtige Figur herausgefunden,<br />
darf sie/er sich die Skizze aus der Mitte nehmen.<br />
Variante 2 (bei größeren Lerngruppen): Das Karussell wird in zwei Sitzkreisen bearbeitet.<br />
Die Schüler/innen geben am Ende ihr Skizzenblatt weg. Durch Nachfragen (ohne die<br />
Figur zu nennen) wird die Partnerin/der Partner aus der anderen Gruppe gefunden.
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 29<br />
Um mehr Bewegung in einen sitzlastigen Unterricht zu bringen, können die Sessel des Kreises<br />
möglichst weit voneinander entfernt aufgestellt werden. Auf ein Zeichen der Lehrperson<br />
hin wechseln die Lernenden und gehen zum nächsten Sessel.<br />
Kommentar:<br />
Diese Methode bietet sich für eine heterogene Lerngruppe an, weil jede/jeder Lernende sich<br />
bei irgendeiner Antwort einbringen kann. Es wird niemand bloßgestellt durch etwaiges Nichtwissen.<br />
Manche Einsichten können gewonnen werden, wenn die/der Lernende (richtige) Antworten<br />
dort findet, wo sie/er diese nicht vermutet hat (Aha-Erlebnisse!). Es besteht auch die<br />
Möglichkeit, diese Übung paarweise – in einer Lernpartnerschaft – durchzuführen.<br />
Bei dieser Methode kann jede/jeder mit ihren/seinen Fähigkeiten, ihrem/seinem Wissen zur<br />
Lösung eines Gesamtprodukts beitragen. Sie hat darüber hinaus selbstdifferenzierenden<br />
Charakter, da sich jede/jeder Lernende selbst für eine Frage bzw. eine Antwort entscheiden<br />
kann. Erfahrungsgemäß versuchen sich leistungsfähige Schüler/innen gleich an den eher<br />
schwierigen Fragestellungen, sodass die scheinbar leichteren von den Schülerinnen und<br />
Schülern mit niedrigem Leistungsniveau beantwortet werden können. Diese können aber<br />
(und tun dies) auch scheinbar schwierige Fragen ausprobieren.<br />
Spannend ist es darüber hinaus, den Schülerinnen und Schülern mit höherem Leistungsniveau<br />
oder/und auf einer höheren <strong>Schulstufe</strong> folgende Aufgabenstellungen zu geben:<br />
Beispiele:<br />
<br />
Gestaltet für die Schüler/innen der 5. <strong>Schulstufe</strong> ein Karussell zum Thema Körper. Entwerft<br />
einen Fragebogen und zeichnet mithilfe von GeoGebra die notwendigen Skizzen.<br />
<br />
Gestaltet für die Schüler/innen der 6. <strong>Schulstufe</strong> ein Karussell zum Thema Zahlenmengen.<br />
<br />
Gestaltet für die Schüler/innen der 7. <strong>Schulstufe</strong> ein Karussell zum Thema Pythagoreischer<br />
Lehrsatz.<br />
2.5.2 Fliegenklatsche (z. B. Zahlenmengen)<br />
Diese Methode bringt Bewegung in den Unterricht, macht den Schülerinnen und Schülern<br />
großen Spaß und eignet sich für jedes Thema und jeden Fachbereich. Außerdem motiviert<br />
sie alle Schüler/innen, über die Fragestellung nachzudenken und nach passenden Antworten<br />
zu suchen.<br />
Ablauf:<br />
Abb. 2: Fliegenklatsche
30 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Die Lehrperson hat Fragen zu Antworten, die an der Tafel stehen, vorbereitet. Die Schüler/<br />
innen bilden zwei oder drei Mannschaften. Die Mitglieder jeder Mannschaft sitzen hintereinander<br />
auf Sesseln in den Positionen 1, 2, 3, 4 usw. Im Idealfall gelingt es der Lehrperson, auf<br />
eine bestimmte Position etwa gleich leistungsstarke Schüler/innen zu setzen. Jede Mannschaft<br />
hat vor der Tafel eine Fliegenklatsche liegen. Verschiedenfarbige Fliegenklatschen sind<br />
vorteilhaft. Haben alle Schüler/innen ihre Positionen eingenommen, beginnt der Wettbewerb.<br />
Die Lehrperson stellt eine Frage und macht eine Denkpause, in der alle Schüler/innen nachdenken.<br />
Dann erst nennt die Lehrperson eine Position. Die Schüler/innen in der gleichen<br />
Position laufen zur Tafel, nehmen die Fliegenklatsche ihrer Mannschaft und „klatschen“ auf<br />
die von ihnen gewählte Antwort. Wer ist die/der Schnellste mit der richtigen Antwort?<br />
Folgende Lösungsmöglichkeiten stehen an der Tafel: N, Q, Z, R, I, falsch (f), richtig (r).<br />
Diese Fragen/Aussagen hat die Lehrperson vorbereitet:<br />
Frage/Aussage<br />
Antwort<br />
Werden ganze Zahlen dividiert, ist das Ergebnis immer eine ganze Zahl.<br />
f<br />
Eine reelle Zahl kann auch eine irrationale Zahl sein.<br />
r<br />
Addition und Multiplikation sind in N unbeschränkt ausführbar.<br />
r<br />
Division und Subtraktion sind in N unbeschränkt ausführbar.<br />
f<br />
Periodische Zahlen sind irrationale Zahlen.<br />
f<br />
Das Ergebnis der Rechnung 17 – 56 liegt in der Zahlenmenge Z.<br />
r<br />
Welche ist die „kleinste” Zahlenmenge, in der alle Produkte zweier natürlicher<br />
Zahlen liegen?<br />
N<br />
Das Ergebnis der Rechnung -5 + 3 liegt in der Zahlenmenge N?<br />
f<br />
Die Division ist in Z nur beschränkt ausführbar.<br />
r<br />
Welche Zahlenmenge enthält rationale und irrationale Zahlen?<br />
R<br />
Gutpunkte kann es für die schnellste richtige Antwort geben, aber auch für alle, die richtig<br />
geklatscht haben. Eine interessante Variante ist es, Fragen zu stellen, zu deren Beantwortung<br />
auch mehrere Antworten als richtig gelten können. Jede richtige Antwort wird dann mit einem<br />
Gutpunkt bewertet, d. h., es können dann auch mehrere Gruppen einen Gutpunkt erhalten.<br />
Frage<br />
In welcher Zahlenmenge liegt das Ergebnis, wenn natürliche Zahlen<br />
addiert werden?<br />
In welcher Zahlenmenge liegt das Ergebnis der Rechnung 18 : 12?<br />
In welcher Zahlenmenge liegt das Ergebnis der Rechnung 156 – 155?<br />
In welcher Zahlenmenge liegt das Ergebnis der Rechnung 49 : 7?<br />
In welcher Zahlenmenge kann das Ergebnis liegen, wenn eine natürliche<br />
Zahl durch eine natürliche Zahl ungleich 0 dividiert wird?<br />
In welcher Zahlenmenge liegt die Wurzel der Zahl 2?<br />
In welcher Zahlenmenge liegt die Zahl π?<br />
Antwort<br />
N, Z, Q, R<br />
Q, R<br />
N, Z, Q, R<br />
N, Z, Q, R<br />
N, Z, Q, R<br />
I, R<br />
I, R<br />
Diskussionen über Zahlenmengen werden dadurch hervorgerufen, das Argumentieren und<br />
richtige Formulieren trainiert.
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 31<br />
2.5.3 Was ist eigentlich die Frage? (z. B. Prozentrechnen)<br />
„Rückwärtsarbeiten“ ist im üblichen Mathematikunterricht kaum vorhanden, meist wird von<br />
vorne gearbeitet: zuerst die Frage, dann die Antwort. So wird automatisierend geübt und gearbeitet.<br />
Wurde ein neu erarbeiteter/gelernter Mechanismus oder ein bestimmtes Verfahren<br />
einige Male durchgeführt, wird meist nicht mehr nach seinem Ursprung gefragt. Wird allerdings<br />
die Reihenfolge umgekehrt, können Schüler/innen zeigen, ob sie das Verfahren wirklich<br />
verstanden haben oder nur reproduktiv wiedergeben.<br />
Die Lehrperson notiert Begriffe und Zahlen an der Tafel: z. B. Prozentwert, 80, Prozentsatz,<br />
100, Grundwert, 4, Mehrwertsteuer, Skonto usw.<br />
Die Schüler/innen wählen in Einzel- oder Partnerarbeit einen Begriff oder eine Zahl aus und<br />
überlegen eine Fragestellung zum Thema Prozentrechnen, deren Antwort der ausgewählte<br />
Begriff oder die ausgewählte Zahl ist.<br />
Auf ihrem Arbeitsblatt notieren die Schüler/innen ihre Antwort, auf der anderen Seite die<br />
Fragestellung. Schüler/innen mit niedrigem Leistungsniveau können ihre Arbeitsunterlagen<br />
(Schulbücher, Hefte usw.) als Unterstützung verwenden, der Lerneffekt ist deswegen nicht<br />
geringer. Diese Arbeitsweise stärkt das Verstehen von Algorithmen und beugt rein reproduktivem<br />
Wiedergeben vor. So kann nachhaltig trainiert werden.<br />
In der nächsten Unterrichtseinheit bearbeiten andere Schüler/innen die Fragestellungen, hier<br />
können gegebenenfalls nochmals Unklarheiten geklärt werden.<br />
Diese Idee lässt sich hervorragend mit der Methode Fliegenklatsche verbinden: Die Fragen<br />
und Antworten werden der Lehrperson übergeben, nachdem sie auf ihre Richtigkeit überprüft<br />
wurden. Nach einer gewissen Zeit werden diese Fragen und Antworten für die Methode<br />
Fliegenklatsche eingesetzt. Führt eine Lehrperson dies des Öfteren durch und hebt die Schülerblätter<br />
auf, so hat sich nach kurzer Zeit bereits eine umfangreiche Sammlung ergeben,<br />
die nun laufend (ohne zusätzliche Vorbereitungsarbeit) verwendet und immer wieder ergänzt<br />
werden kann.<br />
2.5.4 Richtig-Falsch-Diktat (z. B. Vierecke)<br />
Die Lehrperson hat eine beliebige Anzahl von Behauptungen zu einem Themenbereich notiert,<br />
z. B.:<br />
<br />
Ein Parallelogramm hat mindestens ein Paar parallele Seiten.<br />
<br />
Jedes Rechteck hat einen Umkreis.<br />
<br />
Die Summe der Innenwinkel in einem Viereck beträgt 360°.<br />
<br />
Die Diagonalen eines Parallelogramms stehen aufeinander normal.<br />
Es finden sich darunter richtige und falsche Behauptungen. Es ist darauf zu achten, dass die<br />
Sätze nicht zu lang sind, eventuell werden sie ein bis zwei Mal wiederholt.<br />
Jede/jeder Lernende erhält ein Arbeitsblatt, auf dem notiert ist, ob die richtigen oder die<br />
falschen Sätze notiert werden sollen. Gegebenenfalls könnten Schüler/innen mit Deutschproblemen<br />
mit vorgegebenen Arbeitsblättern arbeiten; sie lesen mit, wenn die Lehrperson<br />
vorliest, und markieren jeweils entsprechend ihrer Aufgabenstellung „richtig“ oder „falsch“.<br />
Sind alle Sätze genannt, kontrollieren die Schüler/innen in Partnerarbeit (jeweils ein Mal „richtig“<br />
und ein Mal „falsch“), ob sie nicht die gleichen Sätze notiert haben.
32 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Diese Übung dient dem Bewusstmachen von eigenem Wissen und fördert die Verwendung<br />
der mathematischen Fachsprache (siehe dazu auch Kapitel 5, S. 73–79).<br />
Hier wurden nur einige Anregungen gegeben (vgl. auch Handke, 2012, S. 28–29, S. 94–96,<br />
S. 148–150), in der Umsetzung werden sich noch viele Varianten dazugesellen. In diesen und<br />
ähnlichen Methoden finden sich viele Möglichkeiten zur Differenzierung und zur selbstständigen<br />
Bearbeitung, bei denen Schüler/innen Erfolge erleben können. Dies sind unter anderem<br />
Indikatoren für gelingenden lernseitigen kompetenzorientierten Unterricht, bei dem alle Schüler/innen<br />
mitmachen können.<br />
Wirkliche Könner können mehr, als sie wissen.<br />
(Hilbert Meyer)<br />
Literatur<br />
Bastian, J. (2007). Einführung in die Unterrichtsentwicklung. Weinheim: Beltz.<br />
Baumert, J., Fried, J., Joas, H. et al. (2002). Manifest. In Kilius, N., Kluge, J. & Reisch, L.<br />
(Hrsg.). Die Zukunft der Bildung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 171–225.<br />
Becker, G. (2004). Regisseur, Meisterdirigent, Dompteur? Die Sehnsucht nach „gleichen<br />
Lernvoraussetzungen“ hat Gründe. In Becker, G., Lenzen, K.-D., Stäudel, L. et al. (Hrsg.).<br />
Heterogenität. Unterschiede nutzen – Gemeinsamkeiten stärken. Friedrich Jahresheft XXII.<br />
S. 10–12.<br />
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (o. J.). Wir brauchen eine andere Schule! Das deutsche Bildungssystem<br />
hält nicht, was es verspricht! Konsequenzen aus PISA. Positionen der Bertelsmann<br />
Stiftung. Gütersloh.<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011a). Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis. Graz:<br />
Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/351 [25.09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011b). <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. 2., überarbeitete<br />
Auflage. Graz: Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/315 [25.09.2012].<br />
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (Hrsg.) (2008). BasisMathematik<br />
1–2. Wien.<br />
Combe, A. (2006). Hatten die schon Schuhe? Zur Theorie des Erfahrungslernens. In Pädagogik<br />
58 (6). S. 32–36.<br />
Gardner, H. (1993). Der ungeschulte Kopf. Wie Kinder denken. Stuttgart: Klett.<br />
Groeben, A. von der (2012). Verschiedenheit nutzen. Besser lernen in heterogenen Gruppen.<br />
Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Handke, U. (2012). Mehr Erfolg im Unterricht. Ausgewählte Methoden, die Schüler motivieren.<br />
5. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Hengstschläger, M. (2012). Die Durchschnittsfalle. Gene – Talente – Chancen. Salzburg: Ecowin.
Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen 33<br />
Hentig, H. von (1988). Britta, Lümmel und ein Labyrinth. Die Laborschule als Erfahrungsraum.<br />
Text zum gleichnamigen Film von Hartmut von Hentig, Siegfried Kätsch, Wolfgang Kosiek.<br />
Bielefeld: Universität Bielefeld.<br />
Hentig, H. von (2006). Bewährung. Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein. München:<br />
Hanser.<br />
Holt, J. (2009). In jeder wachen Stunde. In Hunt, J. (Hrsg.). Das Freilerner-Buch. Betrachtungen<br />
zum Leben ohne Schule. Winsen: Anahita. S. 93–96.<br />
Meyer, H. (2010). Was ist guter Unterricht? 7. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Mürwald-Scheifinger, E. & Weber, W. (2011). Kompetenzorientierter Unterricht – Sekundarstufe<br />
I – Mathematik. In Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung<br />
des österreichischen Schulwesens (BIFIE) (Hrsg.). Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie<br />
und Praxis. Graz: Leykam. S. 109–13<strong>8.</strong> Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/351<br />
[21.09.2012].<br />
Österreichische UNESCO Kommission (Hrsg.) (1994). „Pädagogik für besondere Bedürfnisse“.<br />
Die Salamanca-Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse.<br />
Wien. Zitiert nach Grubich, R. (2005). Homo oder Hetero? Eine Frage des (pädagogischen)<br />
Umgangs mit Diversität. In Erziehung & Unterricht 5–6 (155). Wien: öbv. S. 485–490.<br />
Roßbach, H.-G. & Wellenreuther, M. (2002). Empirische Forschungen zur Wirksamkeit von<br />
Methoden der Leistungsdifferenzierung in der Grundschule. In Heinzel, F. & Prengel, A.<br />
(Hrsg.). Heterogenität, Integration und Differenzierung in der Primarstufe. Jahrbuch Grundschulforschung<br />
6. Opladen: Leske + Budrich. S. 44–57.<br />
Senge, P. (1996). Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. 2. Auflage.<br />
Stuttgart: Klett.<br />
Tillmann, K.-J. & Wischer, B. (2006). Heterogenität in der Schule. Forschungsstand und Konsequenzen.<br />
In Pädagogik 3. S. 44–4<strong>8.</strong><br />
Wagenschein, M. (1992). Verstehen lernen. Genetisch – Sokratisch – Exemplarisch. Weinheim:<br />
Beltz.
Aufgaben im Mathematikunterricht 35<br />
3 Aufgaben im Mathematikunterricht<br />
3.1 Aufgaben im Mathematikunterricht – Funktion<br />
und Merkmale<br />
Christa Preis<br />
Ein wichtiges Werkzeug für den Mathematikunterricht sind Aufgaben. Sie tragen die mathematischen<br />
Inhalte und lösen Lernprozesse aus. Mithilfe entsprechender Aufgaben wird die<br />
Kompetenzentwicklung bei den Schülerinnen und Schülern gefördert.<br />
In der Regel wählen Lehrer/innen aus dem verwendeten Lehrbuch geeignete Aufgaben<br />
aus. Wenn es sinnvoll und notwendig erscheint, werden zur Unterstützung weitere Lehrbücher,<br />
Fachzeitschriften, Aufgabenpools usw. herangezogen. Vorhandene Aufgaben werden<br />
gegebenenfalls modifiziert und es werden auch selbstständig neue Aufgaben entwickelt.<br />
In diesem Zusammenhang hat sich wohl jede/r schon die Frage gestellt: „Was macht eine<br />
gute Aufgabe aus?“ Es ist sicher nicht möglich, diese Frage generell zu beantworten, weil<br />
Aufgaben unterschiedliche Funktionen haben. Somit muss die Frage modifiziert werden:<br />
„Welche Aufgabe ist für welchen Zweck gut geeignet?“<br />
Im Unterricht benötigt man<br />
<br />
Aufgaben zum Lernen und Entdecken (zur Förderung von Lernprozessen)<br />
<br />
Aufgaben zur Erarbeitung neuer Inhalte<br />
<br />
Aufgaben für Übungsphasen (siehe Kapitel 6, Intelligentes Üben, S. 83)<br />
<br />
Aufgaben zum Problemlösen-Lernen<br />
<br />
Aufgaben zum Leisten (zum Überprüfen von Fähigkeiten)<br />
<br />
Aufgaben zur Diagnose<br />
Abhängig von der Funktion, die eine Aufgabe erfüllen soll, wird diese unterschiedliche Merkmale<br />
aufweisen. Im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Unterricht in heterogenen Lerngruppen<br />
werden im vorliegenden <strong>Praxishandbuch</strong> vor allem die Merkmale Offenheit und Differenzierungsvermögen<br />
behandelt.<br />
3.2 Offenheit von Aufgaben<br />
Das Aufgabenmerkmal Offenheit ist jenes, das in einer Vielzahl von Ansätzen zur Weiterentwicklung<br />
der Aufgabenkultur immer wieder eingefordert wird (Büchter & Leuders, 2005,<br />
S. 88). Um verstehendes Lernen zu fördern und zu ermöglichen, wird man insbesondere bei<br />
der Auswahl der Aufgaben darauf achten, dass es sich nicht nur um das lineare Abarbeiten<br />
von vorgezeichneten Tätigkeiten handelt (obwohl auch diese Form von Aufgaben ihre Berechtigung<br />
hat). Schüler/innen, die verstehend lernen, sind im Lernen erfolgreicher und das<br />
einmal erworbene Wissen ist nachhaltiger verfügbar (repetitive Strategie versus elaborative<br />
Strategie, vgl. BIFIE, 2011, S. 33–41).<br />
Im klassischen Mathematikunterricht wird das Lösungsverfahren nach dem Einstieg in ein<br />
neues Thema an einem Musterbeispiel gezeigt. Im Anschluss daran bearbeiten die Schüler/innen<br />
geschlossene Aufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad, an denen sie das<br />
vorgezeigte Verfahren rezeptartig nachvollziehen und trainieren. Die gestellten Aufgaben unterscheiden<br />
sich vom Musterbeispiel nur dadurch, dass das vorgezeigte Lösungsverfahren<br />
noch nicht ausgeführt wurde. Dieser Aufgabentyp fördert primär die Rechenfertigkeit bei der<br />
Durchführung des vorgegebenen Verfahrens. Der Weg zum Ziel ist den Schülerinnen und<br />
Schülern von vornherein bekannt. Sie brauchen nicht mehr zu überlegen, wie sie vorgehen<br />
müssen, um zur Lösung zu kommen bzw. warum sie so vorgehen. Anspruchsvollere Aufgaben<br />
unterscheiden sich von den zu Beginn gestellten nur dadurch, dass sie aufwändiger sind<br />
und/oder mehrere Arbeitsschritte zur Ermittlung der Lösung benötigen.
36 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Verstehendes und reflektierendes Lernen wird möglich, wenn Aufgaben so gestellt sind, dass<br />
die Schüler/innen eigene Wege gehen können. Diese eigenen Wege müssen von den Lehrpersonen<br />
auch eingefordert werden. Es ist dabei durchaus möglich, unterschiedliche Ziele<br />
zu erreichen. Zudem sollte immer wieder eine Reflexion der Lösungswege angeregt werden.<br />
Fehler und Umwege beim Finden der Lösung(en) sind durchaus erwünscht und liefern wiederum<br />
Reflexionsanlässe.<br />
Um den Lernenden diese Möglichkeiten zu geben, ist es notwendig, im Unterricht auch<br />
offene Aufgaben zu stellen. Eine Öffnung erreicht man durch Weglassen von Informationen<br />
oder durch weniger konkrete Fragen. Explizitere Vorgaben zum Lösungsweg schließen eine<br />
Aufgabe. Offene Aufgaben eignen sich auch sehr gut für kooperative Lernformen – die Schüler/innen<br />
werden dazu angehalten, über Fragestellungen, mathematische Inhalte und Hintergründe<br />
zu kommunizieren und zu reflektieren. Dabei erleben sie Mathematik als sinnvolles<br />
Hilfsmittel für das Treffen von Entscheidungen.<br />
Geschlossene Fragestellung<br />
Jan, Tim und Lukas trainieren für einen Weitsprungbewerb. Die Tabelle zeigt ihre<br />
Sprungweiten bei fünf Trainingssprüngen.<br />
1. Sprung 2. Sprung 3. Sprung 4. Sprung 5. Sprung<br />
Jan 4,47 m ungültig ungültig 4,20 m 4,14 m<br />
Tim 4,40 m 4,26 m 4,34 m 4,30 m 4,35 m<br />
Lukas 4,32 m 4,34 m 4,36 m 4,32 m 4,31 m<br />
Berechne die durchschnittliche Sprungweite (das arithmetische Mittel) der gültigen<br />
Sprünge für Jan, Tim und Lukas.<br />
Lösung:<br />
Jan: 4,27 m; Tim: 4,33 m; Lukas: 4,33 m<br />
Variante mit offener Fragestellung<br />
Jan, Tim und Lukas trainieren für einen Weitsprungbewerb. Die Tabelle zeigt ihre<br />
Sprungweiten bei fünf Trainingssprüngen.<br />
1. Sprung 2. Sprung 3. Sprung 4. Sprung 5. Sprung<br />
Jan 4,47 m ungültig ungültig 4,20 m 4,14 m<br />
Tim 4,40 m 4,26 m 4,34 m 4,30 m 4,35 m<br />
Lukas 4,32 m 4,34 m 4,36 m 4,32 m 4,31 m<br />
Nur einer von ihnen darf am Bewerb teilnehmen.<br />
Finde für jeden von ihnen ein Argument, das für seine Teilnahme spricht.
Aufgaben im Mathematikunterricht 37<br />
Mögliche „Lösungen“ der Schüler/innen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
„Jan ist von allen am weitesten gesprungen.“<br />
„Jan sollte nicht teilnehmen, immerhin besteht ein 40%iges Risiko, dass er wieder<br />
einen ungültigen Sprung macht.“<br />
„Tim und Lukas sind zwar durchschnittlich gleich weit gesprungen, aber Tims<br />
größte Sprungweite ist größer als die von Lukas und beim Bewerb zählt die größte<br />
Weite.“<br />
„Tim und Lukas sind zwar durchschnittlich gleich weit gesprungen, aber Lukas<br />
springt viel konstanter. Bei Tim ist die Gefahr groß, dass er im Bewerb einen<br />
schlechten Sprung hat.“<br />
Kommentar:<br />
Durch die offene Fragestellung werden die Lernenden (auch) unterschiedliche statistische<br />
Kenngrößen heranziehen, um entsprechende Argumente zu finden.<br />
Nicht mechanisches Rechnen steht im Vordergrund, sondern ein reflektierender Umgang mit<br />
statistischen Kenngrößen. Auch wird erkennbar, inwieweit die Lernenden die im Unterricht<br />
eingeführten mathematischen Fachbegriffe im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden.<br />
Die Aufgabe eignet sich als Einstiegsbeispiel für das Kapitel Statistische Kenngrößen, weil sie<br />
deutlich macht, dass es nicht ausreicht, eine Datenliste ausschließlich mithilfe des arithmetischen<br />
Mittels zu beschreiben, und anregt, weitere Kenngrößen zu definieren.<br />
Im Folgenden wird ein einfaches Klassifikationsschema für offene Aufgaben nach Regina<br />
Bruder (2011) beschrieben.<br />
3.3 Klassifikationsschema für offene Aufgaben mit<br />
Beispielen<br />
Regina Bruder (2011) unterscheidet Aufgabentypen danach, wie offen sie sind bezüglich<br />
<br />
der Information über die Ausgangssituation, Start<br />
<br />
der Methode bzw. des Lösungsverfahrens und Weg<br />
<br />
des Ergebnisses bzw. der Lösung. Ziel
38 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Damit ergeben sich acht mögliche Aufgabentypen 1 , die im Mathematikunterricht eine Rolle<br />
spielen können:<br />
Das Zeichen ü steht für „bekannt“, ? für „nicht bekannt“.<br />
Start<br />
Situation<br />
Information<br />
Weg<br />
Methode<br />
Verfahren<br />
Ziel<br />
Ergebnis<br />
Lösung<br />
Bezeichnung des<br />
Aufgabentyps<br />
ü ü ü Musteraufgabe mit Lösung<br />
ü ü ? Bestimmungsaufgabe<br />
? ü ü Umkehraufgabe, bei der eine Ausgangssituation<br />
? ? ü zu einem Ergebnis bei vorgegebenen<br />
Verfahren rekonstruiert werden soll<br />
? ü ?<br />
Erfinden einer Aufgabe zu einem vorgegebenen<br />
Lösungsweg<br />
ü ? ü<br />
Beweisaufgabe, bei der eine Argumentationskette<br />
aufgebaut werden muss, die zum<br />
angegebenen Ergebnis führt<br />
ü ? ?<br />
Problemaufgabe, bei der selbstständig<br />
Lösungswege entwickelt werden müssen<br />
? ? ? Problemaufgabe mit offenem Ausgang<br />
}<br />
offene Aufgaben geschlossene<br />
Aufgaben<br />
3.3.1 Beispiele – Geschlossene Aufgaben<br />
Musteraufgaben mit Lösung ü ü ü<br />
Das Betrachten von gelösten Aufgaben und die Reflexion über die vorliegende<br />
Aufgabenbearbeitung(en) bieten Gelegenheit, über Problemlöseprozesse nachzudenken,<br />
und können zum Anlass genommen werden, über verwendete Strategien zu reflektieren und<br />
diese zu beschreiben. Ein Spezialfall von Musteraufgaben sind Aufgaben zur Fehlersuche.<br />
Michaela hat die Gleichung 5x – 2 – 3x – 4 = 6x – 3 – 5x richtig gelöst. Betrachte ihren<br />
Lösungsweg. Ist sie geschickt vorgegangen? Welchen Tipp würdest du ihr geben?<br />
5x – 2 – 3x – 4 = 6x – 3 – 5x | +4<br />
5x – 2 – 3x = 6x – 3 – 5x + 4 | +2<br />
5x – 3x = 6x – 3 – 5x + 4 + 2 | +5x<br />
5x – 3x + 5x = 6x – 3 + 4 + 2 | -6x<br />
5x – 3x + 5x – 6x = -3 + 4 + 2<br />
x = 3<br />
1 Dieses Modell wird auch im <strong>Praxishandbuch</strong> Mathematik AHS Oberstufe (BIFIE, 2011, S. 114–123)<br />
vorgestellt.
Aufgaben im Mathematikunterricht 39<br />
Julius hat kontrolliert, ob die angeführten Aussagen richtig sind und die falschen Aussagen<br />
durchgestrichen. Bist du mit seiner Bewertung einverstanden? Stelle gegebenenfalls<br />
richtig. Begründe deine Meinung.<br />
Alle Quadrate sind<br />
zueinander ähnlich.<br />
Alle Kreise sind<br />
einander ähnlich.<br />
Alle gleichseitigen<br />
Dreiecke sind einander<br />
ähnlich.<br />
Alle Rechtecke sind<br />
einander ähnlich.<br />
Alle gleichschenkligen<br />
Dreiecke sind einander<br />
ähnlich.<br />
Kommentar:<br />
Geschlossenen Aufgaben mit Fehlersuche kommt im Hinblick auf die bei Standardtestungen<br />
und zentralen Prüfungen häufig eingesetzten Multiple-Choice-Formate immer größere Bedeutung<br />
zu. Werden diese Aufgaben im Unterricht eingesetzt, sollte sich die Kontrolle nicht<br />
darauf beschränken, ob die Kreuzchen an den richtigen Stellen sind. Erst wenn Beschreibungen,<br />
Begründungen und Erklärungen eingefordert werden, kann das Diagnosepotenzial<br />
solcher Aufgaben erhöht werden.<br />
Bestimmungsaufgaben ü ü ?<br />
Bei den folgenden beispielhaft angeführten geschlossenen Aufgaben steht das Eintrainieren<br />
eines erlernten Verfahrens im Vordergrund. Diese Beispiele finden sich häufig im Anschluss<br />
an ein entsprechendes Musterbeispiel. Eigene Lösungswege der Schüler/innen werden weitestgehend<br />
ausgeschlossen und ein Reflektieren über den Lösungsweg findet in der Regel<br />
nicht statt.<br />
1. Berechne den Flächeninhalt eines Parallelogramms mit a = 6 cm und h a<br />
= 4 cm<br />
mithilfe der Flächenformel.<br />
2. Löse die Gleichung 3x + 4 = 16 mithilfe von Äquivalenzumformungen.<br />
3. Berechne den Flächeninhalt der abgebildeten<br />
Figur. Zerlege sie dafür in ein Rechteck und ein<br />
rechtwinkliges Dreieck. Die Seitenlänge eines<br />
quadratischen Kästchens beträgt 1 cm.<br />
4. Vereinfache den Term a 5 · s 4 · a 6 · s 2 · s =
40 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
3.3.2 Beispiele – Offene Aufgaben<br />
Umkehraufgaben ? ü ü ? ? ü<br />
Aus geschlossenen Aufgaben werden beispielsweise durch Umkehrung offene Aufgaben.<br />
Hier sei ein Beispiel zur Flächenberechnung vorgestellt: Anstatt mithilfe der bekannten Flächenformel<br />
Flächenberechnungen durchführen zu lassen, kann man den Flächeninhalt vorgeben<br />
und die Schüler/innen passende Figuren zeichnen lassen. Oder man gibt bei Gleichungsaufgaben<br />
die Lösung einer Gleichung vor und fragt nach möglichen Gleichungen.<br />
Unterschiedliche Lösungsstrategien und -wege, die auf unterschiedlichem Niveau möglich<br />
sind, führen zu unterschiedlichen richtigen Antworten und Ausgangssituationen. Umkehraufgaben<br />
eignen sich auch gut als Diagnoseaufgaben – die gewählten Lösungswege lassen<br />
Rückschlüsse auf die Vorstellungen der Schüler/innen zu.<br />
Zeichne drei verschiedene Parallelogramme mit dem Flächeninhalt A = 18 cm².<br />
Mögliche Lösungen:<br />
Weitere mögliche Lösungen aus Schülerarbeiten:<br />
Kommentar:<br />
Im Gegensatz zur geschlossenen Bestimmungsaufgabe kann hier nicht mehr in die Flächenformel<br />
eingesetzt werden. Die Bearbeitungen zeigen unter anderem, dass das Rechteck<br />
als Spezialfall des Parallelogramms erkannt wird. Die Erprobung des Beispiels auf einer<br />
7. <strong>Schulstufe</strong> zeigte, dass viele Schüler/innen nicht die Form des Parallelogramms bei gleichbleibender<br />
Seitenlänge und Höhe modifizierten, sondern Seitenlänge und Höhe veränderten.<br />
1. Notiere drei verschiedene Gleichungen, deren Lösung 5 ist.<br />
2. Das durchschnittliche wöchentliche Taschengeld der drei Freundinnen Sarah, Anna<br />
und Maria beträgt 3 €. Wie viel € könnte jede von ihnen bekommen? Notiere drei<br />
verschiedene Möglichkeiten.<br />
3. Gib einen Bruch an, der größer als 1__ und kleiner als 2__ ist. Beschreibe, wie du den<br />
2 3<br />
Bruch gefunden hast.
Aufgaben im Mathematikunterricht 41<br />
Erfinden von Aufgaben zu einem vorgegebenen<br />
Lösungsweg<br />
? ü ?<br />
Bei diesem Aufgabentyp ist der Lösungsweg vorgegeben und die Schüler/innen müssen<br />
überlegen, welche Aufgabe sie mit diesem Lösungsweg bearbeiten könnten. Die Bearbeitung<br />
der Aufgabe lässt Rückschlüsse darauf zu, wie flexibel Schüler/innen mit mathematischen<br />
Übersetzungsprozessen zwischen einer sachbezogenen Situation und einem mathematischen<br />
Modell agieren (vgl. Eichler, Herget, Käpnick et al., 2005).<br />
Erfinde eine Rechengeschichte, deren Lösung du mithilfe der Rechnung<br />
100 – (32 + 2 · 5) ermitteln kannst.<br />
Erfinde Textaufgaben zu folgenden Rechnungen:<br />
48 g : 6 g<br />
60 m : 4<br />
Kommentar:<br />
Die von den Lernenden formulierten Aufgaben liefern einen Hinweis darauf , ob die Schüler/<br />
innen beim Dividieren zwischen „Messen“ und „Teilen“ unterscheiden können.<br />
1. Marlies hat den Flächeninhalt A einer Figur in cm² mithilfe der Rechnung A = 16 ∙ 8 ______<br />
2 <br />
bestimmt. Um welche Figur(en) könnte es sich gehandelt haben?<br />
2. Formuliere eine Textaufgabe, bei deren Beantwortung du die Lösung der Gleichung<br />
x + (x + 3) = 15 nützen kannst.<br />
3. „Michel aus Lönneberga“: Kennst du die lustigen<br />
Geschichten von „Michel aus Lönneberga“?<br />
In einem der vielen Streiche hängt Michel<br />
seine kleine Schwester Ida an den Fahnenmast<br />
und zieht sie als Fahne hoch. In den Diagrammen<br />
ist das Hissen der „Ida-Fahne“ auf<br />
verschiedene Weise dargestellt. Beschreibe,<br />
wie Michel gezogen haben muss, damit das<br />
jeweilige Diagramm entsteht.<br />
(nach Griesel, Postel & Suhr, 2004, S. 25)
42 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Beweisaufgaben ü ? ü<br />
Bei Beweisaufgaben wird den Schülerinnen und Schülern das Ergebnis bereits mitgeteilt und<br />
nach der Begründung des Lösungswegs gefragt.<br />
Begründe, warum der Flächeninhalt A eines Deltoids mit den Diagonalen e und f mithilfe<br />
der Formel A = ____ e ∙ f berechnet werden kann.<br />
2<br />
Kommentar:<br />
Durch die Angabe des Ergebnisses wird für die Lernenden klar, dass das bloße Mitteilen der<br />
Formel nicht ausreicht.<br />
Eine 12 cm lange Schnur soll in Stücke mit einer Länge von 3 cm zerschnitten<br />
werden. Marvin berechnet die Anzahl der notwendigen Schnitte mit der Rechnung<br />
12 : 3 = 4 und antwortet: „Es sind 4 Schnitte notwendig.“ Erkläre, warum seine Antwort<br />
falsch ist.<br />
Problemaufgaben, bei denen selbstständig Lösungswege<br />
entwickelt werden müssen<br />
ü ? ?<br />
Subjektiv schwierige bzw. unbekannte Aufgaben werden als Problem(löse)aufgaben bezeichnet.<br />
Die Schüler/innen müssen selbstständig Lösungswege entwickeln und aus den ihnen<br />
bekannten heuristischen Strategien (systematisches Probieren, Vorwärts- und Rückwärtsarbeiten,<br />
Rückführen von Unbekanntem auf Bekanntes) geeignete auswählen und heuristische<br />
Hilfsmittel (Veranschaulichung durch Skizzen, Tabellen, grafische Darstellungen, Gleichungen<br />
usw.) nützen. Dabei wird ihre geistige Beweglichkeit trainiert. Inwieweit eine Aufgabe tatsächlich<br />
eine Problemaufgabe ist, hängt stets auch von den individuellen Vorkenntnissen der Lernenden<br />
ab. Eine scheinbar geschlossene Bestimmungsaufgabe wird zur Problemaufgabe, wenn<br />
den Schülerinnen und Schülern noch kein Standardverfahren zur Bearbeitung bekannt ist.<br />
Um die Bereitschaft, sich mit Aufgaben dieser Art auseinanderzusetzen, zu steigern bzw.<br />
um zufriedenstellende Lösungen entwickeln zu können, müssen Schüler/innen schrittweise<br />
darauf vorbereitet werden – Problemlösen muss und kann man auch lernen.<br />
Im Bus ist die Hälfte der Sitzplätze mit Erwachsenen besetzt. Auf der Hälfte der übrigen<br />
Plätze sitzen Kinder. 13 Sitzplätze sind frei. Wie viele Sitzplätze hat der Bus?<br />
Versuche, verschiedene Lösungswege zu finden, und beschreibe sie.<br />
Mögliche Lösungen:<br />
<br />
Lösungsansatz mithilfe einer informativen Figur:<br />
Erwachsene<br />
1__ 2 <br />
Kinder<br />
13<br />
1__ 4 1__ 4 <br />
Die freien Plätze umfassen ein Viertel aller Sitzplätze, daher hat der Bus 4 · 13 =<br />
52 Sitzplätze.
Aufgaben im Mathematikunterricht 43<br />
<br />
Lösungsansatz mithilfe einer Gleichung:<br />
x … Anzahl der Sitzplätze<br />
x__ + 1__ · x__ + 13 = x<br />
2 2 2<br />
x = 52<br />
Der Bus hat 52 Sitzplätze.<br />
Kommentar:<br />
Bei der Bearbeitung dieser Aufgabe wird deutlich, welche heuristischen Hilfsmittel (informative<br />
Figur, Gleichung …) die Lernenden zur Bearbeitung von Problemaufgaben nützen. Grundsätzlich<br />
führt das Anfertigen einer informativen Figur unmittelbar zur Lösung der Aufgabe.<br />
Allerdings erfordert dieser Zugang eine Abstraktionsleistung der Lernenden, die nicht unterschätzt<br />
werden sollte: „Immer dann, wenn man ein Objekt … in Anteile aufteilen will, kann<br />
man sich dieses Objekt oder diese Anzahl als Länge einer Strecke veranschaulichen oder als<br />
Rechteckfläche (Balken) oder als Kreisfläche (Torte, Pizza).“ (Bruder & Collet, 2011, S. 48).<br />
Doch auch der Versuch, die Aufgabe mithilfe einer Gleichung zu lösen, ist wertvoll im Hinblick<br />
auf das Problemlösen-Lernen.<br />
Berechne den Flächeninhalt der abgebildeten Figur auf verschiedene Arten. Die Seitenlänge<br />
eines quadratischen Kästchens beträgt 1 cm (vgl. Bruder & Collet, 2011,<br />
S. 92).<br />
Kommentar:<br />
Im Gegensatz zur vorangegangenen Aufgabenstellung im Abschnitt 3.3.1 lässt diese Aufgabe<br />
den Lösungsweg offen bzw. fordert verschiedene Lösungswege ein. Dadurch wird eine<br />
Diagnose möglich: Welche Strategie verwenden die Schüler/innen – Zerlegen oder Ergänzen?<br />
Welche Figuren verwenden sie bei der Zerlegung?
44 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Aus einem rechteckigen Blatt Papier (DIN-A4-Blatt: 210 mm x 294 mm) soll eine<br />
möglichst große, oben offene Schachtel hergestellt werden. Dazu werden an den<br />
Ecken vier gleich große Quadrate abgeschnitten. Bei welcher Seitenlänge des Quadrats<br />
hat die Schachtel das größte Volumen?<br />
Die folgende Abbildung zeigt die Bearbeitung der Aufgabe durch eine Schülerin der<br />
<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> mit Technologieeinsatz (GeoGebra):<br />
Kommentar:<br />
Die Bearbeitung dieser Aufgabenstellung ist auf unterschiedlichen Niveaus und mit unterschiedlichen<br />
Ansätzen möglich. Durch Probieren und Herstellen einer größeren Zahl von entsprechenden<br />
Behältern erkennen die Schüler/innen, wie sich das Volumen in Abhängigkeit<br />
von der Seitenlänge der abgeschnittenen Quadrate ändert. Systematisches Probieren und<br />
das Eintragen der Werte der Seitenlänge des abgeschnittenen Quadrats und des Volumens in<br />
eine Tabelle (bzw. auch die grafische Darstellung des Volumens in Abhängigkeit von der Seitenlänge)<br />
ermöglichen die (näherungsweise) Bestimmung der gesuchten Seitenlänge. Diese<br />
Form der Bearbeitung ist von Schülerinnen und Schülern aller Leistungsniveaus einforderbar.<br />
Der Einsatz von Technologie (beispielsweise GeoGebra) macht das „Probieren“ einfacher.
Aufgaben im Mathematikunterricht 45<br />
Für die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern<br />
nach der Bearbeitung von Problemaufgaben Fragen hinsichtlich der verwendeten Strategien<br />
und der eingesetzten Hilfsmittel (Tabelle, informative Figur, Zerlegungsprinzip, Ergänzungsprinzip,<br />
Gleichung etc.) zu stellen und mit der Klasse zu diskutieren: Was hat dir<br />
geholfen, die Aufgabe zu lösen? Erkläre, warum dieses Hilfsmittel (Tabelle, Gleichung …) dir<br />
bei der Bearbeitung der Aufgabe geholfen hat.<br />
Problemaufgaben mit offenem Ausgang ? ? ?<br />
Offene Situationen entstehen, wenn Informationen selbstständig eingeholt werden müssen<br />
und auch das Ergebnis noch unklar ist. Im Unterricht werden diese Aufgaben häufig im Rahmen<br />
von Projekten zu bearbeiten sein. Beispiele für diesen Aufgabentyp sind etwa Fermi-<br />
Aufgaben (siehe S. 57).<br />
1. Plane den nächsten Wandertag.<br />
2. Eure Klasse erhält den Auftrag, das Buffet für den nächsten Elternsprechtag zu<br />
organisieren. Die Einnahmen dürft ihr zur Gestaltung eures Klassenraums verwenden.<br />
Was wollt ihr anbieten? Welche Kosten entstehen? Zu welchem Preis wollt ihr<br />
verkaufen? Welche Einnahmen könnt ihr erzielen?<br />
Kommentar:<br />
Diese Aufgaben zeigen den Schülerinnen und Schülern deutlich, dass Mathematik nützlich<br />
ist, um Alltagsprobleme zu lösen.<br />
3.4 Einsatz offener Aufgaben im Unterricht<br />
Der regelmäßige Einsatz offener Aufgaben in verschiedenen Phasen des Unterrichts als Ergänzung<br />
zu herkömmlichen Routineaufgaben unterstützt die Schüler/innen bei der Entwicklung<br />
der Handlungskompetenzen Darstellen und Modellbilden, Interpretieren sowie Argumentieren<br />
und Begründen. Gleichzeitig wird ihre geistige Beweglichkeit trainiert. Unabhängig<br />
von der Bedeutung offener Aufgaben wird es in jedem Fall nötig sein, auch Routineaufgaben<br />
im Unterricht zu behandeln.<br />
Das Lernpotenzial einer Aufgabe kommt nicht automatisch zum Tragen. Für die Entfaltung<br />
des Aufgabenpotenzials ist stets auch das methodische und didaktische Geschick der Lehrer/innen<br />
verantwortlich. So wird es einer geschickten Lehrkraft häufig gelingen, etwa durch<br />
zusätzliche, zur Reflexion anregende Fragestellungen aus der unscheinbarsten Routineaufgabe<br />
eine Aufgabe mit hohem Lernpotenzial zu machen.<br />
Testungen und/oder Schularbeiten sollen im Hinblick auf langfristigen Kompetenzaufbau<br />
auch Diagnose ermöglichen. Daher ist auch in Test- und/oder Prüfungssituationen der teilweise<br />
Einsatz von offenen Aufgaben sinnvoll. Will man wissen, ob die Schüler/innen ein<br />
Verfahren nicht nur unverstanden anwenden, muss man ihnen Möglichkeiten geben, ihre<br />
Überlegungen darzulegen und die Reflexion von Lösungswegen – ob selbst gewählt oder<br />
vorgegeben – einfordern.
46 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Literatur<br />
Barzel, B., Holzäpfel, L., Leuders, T. et al. (2011). Mathematik unterrichten: Planen, durchführen,<br />
reflektieren. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Bruder, R., Büchter, A., Komorek, E. et al. (2008). Mathematikunterricht entwickeln. Berlin:<br />
Cornelsen Scriptor.<br />
Bruder, R. & Collet, C. (2011). Problemlösen lernen im Mathematikunterricht. Berlin: Cornelsen<br />
Scriptor.<br />
Büchter, A. & Leuders, T. (2005). Mathematikaufgaben selbst entwickeln. Berlin: Cornelsen<br />
Scriptor.<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011). <strong>Praxishandbuch</strong> Mathematik AHS Oberstufe. Auf dem Weg zur<br />
standardisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung. Graz: Leykam. Verfügbar unter https://<br />
www.bifie.at/node/1354 [26.09.2012].<br />
Eichler, A., Herget, W., Käpnick, F. et al. (2005). mathematica didactica. Zeitschrift für Didaktik<br />
der Mathematik 2<strong>8.</strong><br />
Griesel, H., Postel, H. & Suhr, F. (Hrsg.) (2004). Elemente der Mathematik. 6. Arbeitsheft.<br />
Braunschweig: Schroedel.<br />
Leuders, T. (2001). Qualität im Mathematikunterricht der Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen<br />
Scriptor.
Selbstdifferenzierende Aufgaben 47<br />
4 Selbstdifferenzierende Aufgaben<br />
Gerade im Fach Mathematik machen Lehrer/innen die Erfahrung, dass es in fast allen Klassen<br />
und Gruppen, die sie unterrichten, beachtliche Unterschiede bei der Schnelligkeit und<br />
Intensität gibt, mit der die einzelnen Schüler/innen fachliche Inhalte aufnehmen und für sich<br />
nutzbar machen können. Dies gilt auch für Gruppen, bei denen durch äußere, schulorganisatorische<br />
Differenzierung bereits versucht wurde, in Bezug auf die Leistungsfähigkeit eine<br />
gewisse Homogenität innerhalb der Gruppe herzustellen.<br />
Hans Christian<br />
Neureiter<br />
Der vorerst naheliegende Gedanke, dass es nun die Aufgabe der Lehrperson sei, auf diese<br />
individuellen Unterschiede stets mit individuellen Lernprogrammen zu reagieren, ist in vielen<br />
Fällen aus zwei Gründen schwer im Schulalltag umsetzbar: Erstens würde die Vorbereitung<br />
sehr vieler verschiedener Lernprogramme die zeitlichen Möglichkeiten der Lehrpersonen<br />
überschreiten und zweitens ist es in der Regel nicht möglich, zu jedem Zeitpunkt die individuellen<br />
Voraussetzungen aller Schüler/innen zu kennen (vgl. Büchter & Leuders, 2005,<br />
S. 104).<br />
Weil also eine von außen kommende sinnvolle und effektive Differenzierung des Lernangebots<br />
häufig nicht möglich ist, gilt es, nach Wegen zu suchen, die diese Differenzierung in<br />
die Person der/des Lernenden verlegt. Das Lernangebot sollte so gestaltet sein, dass jede<br />
Schülerin/jeder Schüler Anknüpfungspunkte findet, die ihrer/seiner Leistungsfähigkeit entsprechen<br />
und von denen aus weitere Lernschritte möglich sind. Dass auf diesem Weg in<br />
der Regel nicht alle die gleichen Ergebnisse erreichen werden, ist zu erwarten. Wichtig ist<br />
jedoch, dass es auf diese Weise wahrscheinlicher wird, dass sowohl leistungsschwächere<br />
als auch leistungsstärkere Schüler/innen in dem ihnen entsprechenden Maß gefordert und<br />
damit gefördert werden.<br />
Selbstdifferenzierende Aufgaben 1 sind ein solches Lernangebot, das versucht, die Differenzierung<br />
in die Person des Lernenden zu legen. Nicht die Lehrperson ordnet einzelnen Schülerinnen<br />
und Schülern bestimmte Teilaufgaben einer größeren Gesamtaufgabe zu, sondern<br />
die Aufgabe selbst ist so gestaltet, dass die Schüler/innen von sich aus Prioritäten setzen<br />
können. Eine selbstdifferenzierende Aufgabe ist also ein Aufgabenformat, das allen Schülerinnen<br />
und Schülern als Ganzes vorgelegt wird. Jede Schülerin/jeder Schüler kann selbst<br />
entscheiden, mit welcher Teilaufgabe sie/er beginnt, und es wird nicht erwartet, dass immer<br />
alle Schüler/innen alle Teilaufgaben bearbeiten. Sehr wohl sollten jedoch alle Teilaufgaben bei<br />
der am Schluss erfolgenden zusammenfassenden Betrachtung der Gesamtaufgabe, bei der<br />
die Lehrperson alle Ergebnisse zusammenführt, in den Blick genommen werden.<br />
Es sollte auf Schwierigkeiten eingegangen und zusammen mit den Schülerinnen und Schülern<br />
analysiert werden, welche Kompetenzen für die Lösung der Teilaufgaben notwendig<br />
waren. Wichtig ist, dass die einzelnen Teilaufgaben unabhängig voneinander gelöst werden<br />
können. In der Regel besteht eine selbstdifferenzierende Aufgabe aus einem Informationsteil<br />
und aus drei bis fünf Teilaufgaben, die nicht hierarchisch (etwa nach geschätzter Schwierigkeit)<br />
geordnet sind. Diese Freiheit der Anordnung und der Bearbeitungsreihenfolge kann<br />
dadurch unterstrichen werden, dass – wie in den folgenden Beispielen – die Teilaufgaben<br />
etwa durch Spielkartensymbole gekennzeichnet werden. Ihrer Arbeitsgeschwindigkeit entsprechend<br />
bearbeiten die Schüler/innen die ihnen mögliche Anzahl von Teilaufgaben. Die<br />
Idee zur folgenden Aufgabe stammt aus dem Projekt SINUS Nordrhein-Westfalen (Ministerium<br />
für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2010), das eine ganze<br />
Reihe von selbstdifferenzierenden Aufgaben enthält.<br />
1 Solche oder ähnliche Aufgaben werden häufig auch als „Blütenaufgaben“ bezeichnet (vgl. beispielsweise<br />
Bruder, 2006).
48 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
4.1 Fahrradfahren<br />
Sarah fährt viel und gern mit dem Fahrrad, auch zu ihrer ca. 3 km entfernten Schule.<br />
Da viele Kinder mit dem Fahrrad zur Schule kommen, dauert das Abstellen und Abschließen<br />
des Fahrrads etwa 5 Minuten. Der Unterricht beginnt um <strong>8.</strong>15 Uhr. Sarah<br />
benötigt für 1 km etwa 5 Minuten.<br />
Sarah besucht ihre Freundin Hannah, die 8 km entfernt wohnt, oft mit dem Rad.<br />
An diesem Wochenende<br />
nimmt Sarah mit ihrer Freundin<br />
an einer Radrallye teil. Start<br />
und Ziel ist Annendorf. In den<br />
anderen Orten wird der zu Beginn<br />
ausgeteilte Rallyepass mit<br />
einem Stempel versehen. Von<br />
Annendorf aus sind alle Orte<br />
einmal zu durchfahren. In jedem<br />
Ort ist ein Aufenthalt von<br />
15 Minuten vorgesehen. In Deheim<br />
wird zu einem Preis von<br />
3 € ein kleiner Imbiss gereicht.<br />
Ferlingen (F)<br />
Gerrham (G)<br />
5,4 km<br />
1,7 km<br />
Embach (E)<br />
Cehausen (C)<br />
2,7 km<br />
2,6 km 3 km<br />
3,4 km<br />
2,5 km<br />
1,8 km<br />
3,5 km<br />
4,3 km<br />
1,3 km<br />
Deheim (D)<br />
4,9 km<br />
Bernau (B)<br />
Annendorf (A)<br />
Start/Ziel<br />
♦<br />
Sarah<br />
♠<br />
Um<br />
möchte immer 10 Minuten<br />
vor Unterrichtsbeginn in der<br />
Schule sein. Wann muss Sarah<br />
von zu Hause wegfahren?<br />
14.30 Uhr startet Sarah von<br />
zu Hause, um Hannah zu besuchen.<br />
Wann trifft sie dort ein?<br />
♣<br />
Welchen<br />
♥<br />
Gib<br />
Weg würdest du bei<br />
der Radrallye wählen? Begründe<br />
deine Wahl.<br />
möglichst viele Radrouten<br />
der Rallye an. Beachte: Jeder<br />
Ort darf nur einmal angefahren<br />
werden.<br />
Findet noch weitere interessante Aufgabenstellungen und bearbeitet diese.<br />
(Mögliche) Lösungen:<br />
♦ Sarah muss um 7.45 Uhr von zu Hause wegfahren.<br />
♠ Sarah trifft um 15.10 Uhr bei Hannah ein.<br />
♣ Ich würde die folgende Route wählen, weil sie die kürzeste ist: Annendorf (A) –<br />
Bernau (B) – Cehausen (C) – Deheim (D) – Embach (E) – Ferlingen (F) – Gerrham<br />
(G) – Annendorf (A). Diese Route ist 23,3 km lang.<br />
♥ Es gibt 6 verschiedene Routen:<br />
R1: A – B – C – D – E – F – G – A<br />
R2: A – C – B – D – E – F – G – A<br />
R3: A – B – D – C – E – F – G – A<br />
R4: A – G – F – E – D – C – B – A<br />
R5: A – G – F – E – C – D – B – A<br />
R6: A – G – F – C – E – D – B – A
Selbstdifferenzierende Aufgaben 49<br />
Kommentar:<br />
Wie bei einer selbstdifferenzierenden Aufgabe angestrebt, spricht diese Aufgabe unterschiedliche<br />
Zugänge an: Zweimal geht es in verschiedener Komplexität um Berechnungen<br />
von Zeitpunkten (♦ und ♠). Die Begründungsaufgabe ♣ lässt offene und kreative Lösungen<br />
zu. Jemand könnte auch die längste Route nehmen wollen, um möglichst lange mit der<br />
Freundin zusammen zu sein. Die ♥-Frage werden jene zuerst bearbeiten, die lieber kombinieren<br />
als addieren.<br />
Ebenfalls an ein Beispiel aus dem oben genannten Projekt angelehnt ist die folgende selbstdifferenzierende<br />
Aufgabe Adriaurlaub. Eine niederschwellige Teilaufgabe mit hohem Realitätsbezug<br />
(Gesamtkosten für einen 14-tägigen Adriaaufenthalt) sollte für alle Schüler/innen<br />
lösbar sein. Die Überlegungen zur gerechten Kostenaufteilung führen deutlich in den Handlungsbereich<br />
Argumentieren und Begründen hinein.<br />
4.2 Adriaurlaub<br />
Familie Binder und Familie Müller verbrachten<br />
ihren Urlaub gemeinsam an der Adria.<br />
Sie teilten sich 14 Tage lang eine Ferienwohnung,<br />
die pro Tag 120 € kostete. Für die<br />
Endreinigung mussten bei der Abreise noch<br />
30 € in bar bezahlt werden.<br />
Zur Familie Binder gehören die Eltern, der<br />
11-jährige Sohn und die 9-jährige Tochter.<br />
Die alleinerziehende Frau Müller hat 13-jährige<br />
Zwillingstöchter.<br />
Zusammen unternahmen die beiden Familien viele Ausflugsfahrten. Sie benutzten<br />
dazu den großen PKW der Familie Binder mit seinen 7 Sitzplätzen. Während des<br />
14-tägigen Urlaubs entstanden für die Verpflegung und für die gemeinsamen Fahrten<br />
Kosten von 1 435 €.
50 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Herr Binder schlägt bei der Abrechnung vor, dass jede Familie die Hälfte der Gesamtkosten<br />
für die gemeinsamen Fahrten und die Verpflegung bezahlen soll. Frau Müller<br />
möchte die Kosten anders aufteilen.<br />
♦<br />
Herr<br />
♠<br />
Berechne<br />
Binder hat die Kosten<br />
für die Ferienwohnung (ohne<br />
Endreinigung) im Vorhinein mit<br />
Kreditkarte bezahlt. Er ersucht<br />
nun Frau Müller, ihm 720 € für<br />
die Wohnung zu überweisen.<br />
Wie ist Herr Binder auf diese<br />
Summe gekommen?<br />
die Summe aller Kosten<br />
(ausgenommen die Anreise)<br />
für beide Familien zusammen für<br />
den 14-tägigen Urlaub an der<br />
Adria.<br />
♣<br />
Bei<br />
♥<br />
Welche<br />
manchen Reiseanbietern<br />
zahlen Kinder unter 14 Jahren<br />
nur die Hälfte. Wie müssten die<br />
Kosten für die gemeinsamen<br />
Fahrten und für die Verpflegung<br />
unter dieser Bedingung aufgeteilt<br />
werden?<br />
Vorschläge könnte<br />
Frau Müller für die Kostenaufteilung<br />
bei den Ausflugsfahrten<br />
machen? Begründe deine Ideen<br />
und berechne jeweils die Kosten<br />
für die beiden Familien.<br />
Findet noch weitere interessante Aufgabenstellungen und bearbeitet diese.<br />
(Mögliche) Lösungen:<br />
♦ Herr Binder hat die Wohnungskosten (120 € ∙ 14 = 1 680 €) durch 7 geteilt, weil<br />
insgesamt 7 Personen die Wohnung genutzt haben. Für Familie Müller hat er entsprechend<br />
3 Personen verrechnet (1680 : 7 ∙ 3 = 720).<br />
♠ Die Gesamtkosten für beide Familien zusammen (Ferienwohnung, Ausflüge, Verpflegung,<br />
ohne Anreise) betragen 3 145 €.<br />
♣ Ansatz: 3x + 4 ∙ 0,5x = 1 435; Familie Binder: 861 €, Familie Müller: 574 €<br />
♥ Variante 1: Frau Müller könnte argumentieren, dass – nach der Anzahl der Personen<br />
– die Gesamtkosten für die gemeinsamen Fahrten und die Verpflegung im<br />
Verhältnis 4 : 3 aufgeteilt werden sollten. Die Benutzung des Autos von Familie<br />
Binder würde dabei durch die zwei Erwachsenen in dieser Familie aufgewogen.<br />
Ansatz: 4x + 3x = 1 435; Familie Binder: 820 €; Familie Müller: 615 €<br />
Variante 2: Frau Müller könnte argumentieren, dass – nach der Anzahl der Personen<br />
– grundsätzlich die Gesamtkosten für die gemeinsamen Fahrten und die<br />
Verpflegung im Verhältnis 4 : 3 aufgeteilt werden sollten. Für die Benutzung des<br />
Autos von Familie Binder würde sie Herrn Binder 100 € geben.<br />
Grundsätzlicher Ansatz: 4x + 3x = 1 435; Kosten nach Zahlung der 100 € von<br />
Frau Müller an Herrn Binder: Familie Binder: 720 €; Familie Müller: 715 €<br />
Kommentar:<br />
Umfangreiche Aufgaben wie die Aufgabe Adriaurlaub enthalten oft viel Lesetext. Das kann<br />
leistungsschwächere Schüler/innen entmutigen. Besteht diese Gefahr, sollte die Lehrperson<br />
den Aufgabentext zuerst gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern durchlesen.<br />
Offene Aufgabenformate können die innere Differenzierung erleichtern und voranbringen<br />
(siehe Kapitel 3, S. 35–37). Es hat sich jedoch gezeigt, dass eine einseitige Orientierung an<br />
diesen Formaten nicht allen Schülerinnen und Schülern gerecht wird (vgl. Reibold & Bruder,
Selbstdifferenzierende Aufgaben 51<br />
2010, S. 2). Werden selbstdifferenzierende Aufgaben mit dem Fokus auf die Aufgabenformate<br />
betrachtet, dann sollen sie auch in dieser Hinsicht eine entsprechende Vielfalt bieten. Die<br />
folgende Aufgabe Mountainbikestrecke soll dies demonstrieren.<br />
4.3 Mountainbikestrecke<br />
Martina und Paul haben eine Mountainbikestrecke<br />
befahren.<br />
Der Graph beschreibt ihre Fahrt, wobei<br />
die Seehöhe (in Metern) als Funktion der<br />
Zeit (in Stunden) dargestellt ist.<br />
Anmerkung: Diese Form der Darstellung des Streckenverlaufs lässt keine Rückschlüsse auf die Streckenführung<br />
in Bezug auf Steilheit oder Beschaffenheit und auch keine Rückschlüsse in Bezug auf die Fahrgeschwindigkeit<br />
von Martina und Paul zu.<br />
♦<br />
Beschreibe<br />
♠<br />
Auf<br />
den Verlauf dieser<br />
Fahrt mit Worten. Wie lang<br />
brauchten Martina und Paul, um<br />
die Strecke zu bewältigen?<br />
zwei Streckenabschnitten<br />
mussten Martina und Paul einen<br />
Anstieg bewältigen. Kennzeichne<br />
diese Abschnitte in der Grafik.<br />
In welchem Abschnitt haben<br />
sie schneller an Höhe gewonnen.<br />
Begründe deine Antwort.<br />
♣<br />
Haben<br />
♥<br />
In<br />
Martina und Paul eine<br />
Rastpause eingelegt? Begründe<br />
deine Antwort.<br />
welchen Höhen startet<br />
bzw. endet die Strecke? Nach<br />
welcher Zeit wurde der höchste<br />
Punkt erreicht und wie hoch<br />
über dem Meeresspiegel waren<br />
sie dann? Wie hoch über dem<br />
Meeresspiegel waren sie nach<br />
3 Stunden Fahrtdauer? Wann<br />
befanden sie sich auf einer Seehöhe<br />
von 400 m?<br />
Zwei der folgenden Aussagen gehen aus dem Diagramm hervor. Kreuze<br />
die zwei Aussagen an, die sich mit Sicherheit aus dem Diagramm ergeben.<br />
O Martina und Paul haben in der ersten Stunde fast 400 Höhenmeter<br />
gewonnen.<br />
O Martina und Paul fuhren auf dieser Mountainbikestrecke abwärts<br />
schneller als aufwärts.<br />
O Die Mountainbikestrecke verläuft in der ersten Stunde stärker steigend<br />
als in der sechsten Stunde.<br />
O Insgesamt haben Martina und Paul Anstiege von fast 600 Höhenmetern<br />
bewältigt.<br />
O Martina und Paul waren in der dritten Stunde schneller unterwegs als in<br />
der vierten Stunde.
52 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
(Mögliche) Lösungen:<br />
♦ In der ersten Stunde ist in kurzer Zeit ein großer Höhenunterschied zu bewältigen,<br />
in der zweiten, dritten und vierten Stunde verliert die Strecke an Höhe, während<br />
sie in den folgenden 2,5 Stunden wieder ansteigt. In der letzten Stunde verliert die<br />
Strecke ziemlich rasch an Höhe. Martina und Paul haben ca. 7,5 Stunden benötigt.<br />
♠ Sie haben in der ersten Stunde schneller an Höhe gewonnen, weil in kürzerer Zeit<br />
mehr Höhenmeter bewältigt wurden.<br />
♣ Sie haben keine Rastpause eingelegt. Dies erkennt man daran, dass der Graph<br />
keine Stellen aufweist, an denen die Seehöhe für einige Zeit gleichbleibend ist.<br />
♥ Start bei 200 m; Ende bei ca. 320 m. Nach ca. 1 Stunde und 20 Minuten wurde<br />
der höchste Punkt mit knapp 600 m Seehöhe erreicht. Nach 3 Stunden waren<br />
sie in ca. 400 m Seehöhe. Nach ca. 20 Minuten, nach ca. 3 Stunden, nach ca.<br />
5,5 Stunden und nach ca. 7,25 Stunden befanden sie sich jeweils auf einer Seehöhe<br />
von 400 m.<br />
Kreuze die zwei Aussagen an, die sich mit Sicherheit aus dem Diagramm ergeben.<br />
X Martina und Paul haben in der ersten Stunde fast 400 Höhenmeter gewonnen.<br />
O Martina und Paul fuhren auf dieser Mountainbikestrecke abwärts schneller als<br />
aufwärts.<br />
O Die Mountainbikestrecke verläuft in der ersten Stunde stärker steigend als in<br />
der sechsten Stunde.<br />
X Insgesamt haben Martina und Paul Anstiege von fast 600 Höhenmetern bewältigt.<br />
O Martina und Paul waren in der dritten Stunde schneller unterwegs als in der<br />
vierten Stunde.<br />
Strebt man bei der Arbeit mit heterogenen Lerngruppen eine innere Differenzierung an, so<br />
sind grundsätzlich zwei Herangehensweisen denkbar, die als geschlossene bzw. als offene<br />
Differenzierung bezeichnet werden. Bei der geschlossenen Differenzierung versucht die Lehrperson,<br />
jeder Schülerin/jedem Schüler ein „maßgeschneidertes“ Aufgabenprogramm anzubieten.<br />
Es ergeben sich dabei zwei Probleme: a) Wie findet die Lehrperson jenes Maß, das<br />
genau passend ist? und b) Woher nimmt die Lehrperson die Zeit – einerseits für die jeweilige<br />
individuelle Diagnose und andererseits für die Vorbereitung der individuellen Aufgabenzusammenstellungen?<br />
Wegen dieser Probleme findet die offene Differenzierung immer größeren<br />
Zuspruch (vgl. Hußmann & Prediger, 2007, S. 3). Hier haben die Lernenden eine Auswahlmöglichkeit<br />
und übernehmen dadurch auch einen Teil der Verantwortung dafür, dass sie sich<br />
auf einem ihnen entsprechenden Niveau mit mathematischen Fragestellungen beschäftigen.<br />
Mithilfe der in diesem Kapitel beschriebenen selbstdifferenzierenden Aufgaben lässt sich<br />
das Konzept der offenen Differenzierung konkret umsetzen. Freilich sind auch mit diesem<br />
Konzept Probleme verbunden. Wenn leistungsstarke Schüler/innen nicht von sich aus bereit<br />
sind, auf dem ihnen angemessenen Niveau zu arbeiten, werden zusätzliche Impulse seitens<br />
der Lehrperson notwendig sein. Bei der folgenden Aufgabe Laufbrunnen könnte es z. B.<br />
durchaus sein, dass die Begründungs- oder Interpretationsteilaufgabe einzelnen leistungsstarken<br />
Schülerinnen und Schülern als zu mühsam erscheint und sie von sich aus eher die<br />
anderen Teilaufgaben bearbeiten würden. Hier bedarf es der Unterstützung durch die Lehrperson.<br />
Der mathematische Kompetenzaufbau – gerade auch im Bereich Argumentieren<br />
und Begründen – ist ein langfristiger Prozess und muss möglichst früh beginnen. Man kann<br />
diesen Prozess durchaus mit jenem Weg vergleichen, der im Deutschunterricht dazu führt,<br />
dass eine Schülerin/ein Schüler eine Erörterung verfassen kann.
Selbstdifferenzierende Aufgaben 53<br />
4.4 Laufbrunnen<br />
Auf dem Foto siehst du einen Brunnen, bei dem die folgenden Größen gemessen<br />
wurden:<br />
<br />
Die Innenmaße des annähernd quaderförmigen Trogs betragen ca. 360 cm x<br />
75 cm x 58 cm (Angabe als Länge x Breite x Höhe).<br />
<br />
In den abgebildeten Brunnen fließen pro Minute 23 Liter Wasser.<br />
<br />
Der innere Durchmesser des Zuflussrohrs beträgt 3,2 cm.<br />
<br />
Der Trog kann bis zu 6 cm unter den Rand gefüllt werden, das restliche Wasser<br />
fließt durch ein Überlaufrohr ab.<br />
♦<br />
Peter<br />
♠<br />
Wie<br />
behauptet: Wenn der<br />
Durchmesser des Zuflussrohrs<br />
doppelt so groß wäre, würde<br />
das Füllen des Trogs nur halb<br />
so lange dauern. Stimmt Peters<br />
Behauptung? Begründe deine<br />
Meinung.<br />
viel Liter Wasser sind in<br />
dem Trog, wenn er bis zu<br />
6 cm unter den Rand gefüllt ist?<br />
Um den Brunnen entleeren zu<br />
können, befindet sich am Boden<br />
eine Öffnung, durch die durchschnittlich<br />
40 Liter Wasser pro<br />
Minute aus dem Trog fließen.<br />
Wie lange dauert es, bis der<br />
Brunnen „leer“ ist? (Der Zufluss<br />
des Wassers beim Laufbrunnen<br />
kann nicht gestoppt werden.)<br />
♣<br />
Wie<br />
♥<br />
Interpretiere<br />
viel Liter Wasser sind in<br />
dem Trog, wenn er bis zu 6 cm<br />
unter den Rand gefüllt ist? Gib<br />
die errechnete Wassermenge<br />
auch in hl und in m³ an. Wie lange<br />
dauert das Füllen des Trogs?<br />
die folgenden vier<br />
Diagramme, die zu dieser Brunnenaufgabe<br />
gehören. Bei allen<br />
Diagrammen ist die Beschriftung<br />
der beiden Achsen unvollständig.<br />
Vervollständige die Beschriftung<br />
der Achsen sinnvoll und<br />
beschreibe in Worten die Aussagen<br />
der einzelnen Diagramme.
54 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Diagramm 1<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
0 20 40 60 80 100 120<br />
Diagramm 2<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
0 20 40 60 80 100 120<br />
Diagramm 3<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
0 20 40 60 80 100 120<br />
Diagramm 4<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
0 20 40 60 80 100 120<br />
(Mögliche) Lösungen:<br />
♦ Peters Behauptung ist falsch. Wenn man den Durchmesser verdoppelt, vervierfacht<br />
sich die Querschnittsfläche (A = r²π) und damit steigt auch die pro Minute<br />
durchfließende Wassermenge auf weit mehr als das Doppelte an (Anmerkung:<br />
Wegen des Gesetzes von Hagen-Poiseuille wäre die Antwort „auf das Vierfache“<br />
physikalisch nicht korrekt; es genügt aber in diesem Fall sicher, das Argument der<br />
vierfachen Querschnittsfläche zu akzeptieren und einen Hinweis auf die größere<br />
Strömungsgeschwindigkeit in der Mitte des Rohres zu geben.)<br />
♣ V = 1404 l = 14,04 hl = 1,404 m³; 61 Minuten = 1h 1min<br />
♠ V = 1404 l; Differenz aus Zufluss und Abfluss: -17 l/min; 1 404 : 17 = 82,59<br />
à ca. 1 h 23 min.<br />
♥ 1. Der Trog ist zu Beginn leer und wird durch das Zulaufrohr bis 6 cm unter den<br />
Rand gefüllt. Dann ändert sich das Wasservolumen im Beobachtungszeitraum<br />
nicht mehr, da gleich viel Wasser abfließt wie zufließt. Beschriftung der Achsen:<br />
x – Zeit in Minuten; y – Wasservolumen im Trog in Litern<br />
2. Der Trog ist zu Beginn halb voll und wird durch das Zulaufrohr bis 6 cm unter<br />
den Rand gefüllt. Dann ändert sich das Wasservolumen im Beobachtungszeitraum<br />
nicht mehr, da gleich viel Wasser abfließt wie zufließt. Beschriftung der<br />
Achsen: x – Zeit in Minuten; y – Wasservolumen im Trog in Litern<br />
3. Der Trog ist zu Beginn voll und wird bei geöffnetem Zulauf geleert. Da pro<br />
Minute 23 l Wasser in den Trog einfließen, aber durchschnittlich 40 l abfließen,<br />
ist der Trog nach 83 Minuten leer. Beschriftung der Achsen: x – Zeit in<br />
Minuten; y – Wasservolumen im Trog in Litern (Anmerkung: Es ist möglicherweise<br />
sinnvoll, die Schüler/innen darauf hinzuweisen, dass die Abnahme des<br />
Wasservolumens in Wirklichkeit nicht linear verläuft, da sich mit zunehmender<br />
Wasserstandshöhe auch die Druckverhältnisse im Trog ändern. Deshalb wird<br />
bei der Aufgabe auch von einer durchschnittlichen Abflussmenge von 40 l/min<br />
ausgegangen.<br />
4. Das Diagramm zeigt die Veränderung des Wasserstands im Trog. Er ist zu<br />
Beginn leer und wird gefüllt. Die Wasserstandshöhe nimmt kontinuierlich zu.<br />
Nach 61 Minuten ist die Maximalhöhe erreicht. Da sich die Unterkante des<br />
Abflusses auf 52 cm Höhe befindet, kann das Wasser nicht weiter ansteigen.<br />
Beschriftung der Achsen: x – Zeit in Minuten; y – Wasserstandshöhe in cm
Selbstdifferenzierende Aufgaben 55<br />
Bei den bisher vorgestellten selbstdifferenzierenden Aufgaben ergaben sich für die<br />
Schüler/innen Wahlmöglichkeiten durch Teilaufgaben, die verschiedene Kompetenzen und<br />
Leistungsniveaus ansprechen. Daneben lassen sich auch selbstdifferenzierende Aufgabenstellungen<br />
konstruieren, die ohne die Vorgabe von Teilaufgaben auskommen und dennoch<br />
die Ansprüche „niedrigschwelliger Einstieg“, „in sich wertvolle Teilergebnisse“ und „Herausforderung<br />
für Leistungsstarke“ erfüllen.<br />
Ein erstes Beispiel für eine Aufgabe dieser Art ist die Vier-Vierer-Frage 2 .<br />
4.5 Vier-Vierer-Frage<br />
Ist es möglich, jede der zehn Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 dadurch darzustellen,<br />
dass ausschließlich vier Mal die Ziffer „4“ verwendet wird und nur die Grundrechnungsarten<br />
+, –, ∙ und : sowie Klammern zum Einsatz kommen?<br />
Es muss also in einer Rechnung, deren Ergebnis eine der angeführten Zahlen sein soll,<br />
genau vier Mal die 4 vorkommen. Dabei dürfen alle Grundrechnungsarten verwendet<br />
und Klammern gesetzt werden. Die Bildung neuer Zahlen aus mehreren Vierern (z. B.<br />
44) ist nicht gestattet. Beispiel für eine Darstellung der Zahl 16: 4 ∙ 4 – 4 + 4 = 16.<br />
(Mögliche) Lösungen:<br />
1 = (4 + 4) : (4 + 4)<br />
2 = 4 ∙ 4 : (4 + 4)<br />
3 = (4 + 4 + 4) : 4<br />
4 = 4 ∙ (4 – 4) + 4<br />
5 = (4 ∙ 4 + 4) : 4<br />
6 = 4 + (4 + 4) : 4<br />
7 = (4 + 4) – 4 : 4<br />
8 = 4 + 4 + 4 – 4<br />
9 = 4 + 4 + 4 : 4<br />
10 = ?<br />
Kommentar:<br />
Die Frage wird zuerst mündlich gestellt, an die Wand projiziert oder in Form von Kopien an die<br />
Schüler/innen kommuniziert. Anhand des Beispiels der Zahl 16 wird geklärt, ob die Fragestellung<br />
verstanden wurde. Danach folgen eine fünfminütige Einzelarbeit und eine fünfminütige<br />
Partnerarbeit. Nach dieser werden erste Lösungen gesammelt und an der Tafel notiert. Bei<br />
Zahlen, für die es bereits Lösungen gibt, werden – wenn vorhanden – auch gleich alternative<br />
Vorschläge notiert. Diese erste Sammelphase regt die Kreativität für die folgende, zehn bis<br />
fünfzehn Minuten umfassende Einzelarbeitsphase an. Abschließend werden die Lösungen<br />
für die weiteren Zahlen gesammelt und es wird das Fehlen einer Lösung für die Zahl 10<br />
festgestellt.<br />
Ein weiteres Beispiel für eine selbstdifferenzierende Aufgabe, die ohne vorgegebene Teilaufgaben<br />
auskommt, ist die Aufgabe Würfelnetze finden. Ein oder zwei Würfelnetze zu finden<br />
und aufzuzeichnen ist ein niederschwelliger Einstieg, der sehr vielen Schülerinnen und Schülern<br />
gelingen kann. Verlässlich alle möglichen Würfelnetze zu finden, ist hingegen auch für<br />
leistungsstarke Schüler/innen eine sehr große Herausforderung. Gerade bei dieser Aufgabe,<br />
die zu großen Unterschieden in der Qualität und Quantität der Ergebnisse führt, ist jene förderliche<br />
Einstellung der Lehrperson von großer Bedeutung, die Annedore Prengel als „Anerkennungskultur“<br />
bezeichnet hat (vgl. Wollring, 2007, S. 1). Es geht dabei darum, dass auch<br />
Teillösungen oder noch unvollständig entwickelte Strategien positiv gewertet und als wichtige<br />
Beiträge für den Gesamtlösungsprozess gewürdigt werden. Bei den Würfelnetzen ist jedes<br />
einzelne richtige Netz ein Anlass für ein kleines Lob. Im Zuge der Erprobung dieser Aufgabe<br />
2 nach einer Idee von Gerhard Lindbichler, Haus der Mathematik, Wien
56 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
zeigte sich, dass sich auch bei leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern eine positive<br />
innere Dynamik entwickelte, die sich etwa im Ausruf von Anna-Lara äußerte: „Juhu, das<br />
ist schon mein dritter Entwurf!“.<br />
4.6 Würfelnetze finden<br />
Zeichne mehrere – und wenn möglich alle denkbaren – Netze, die einen Würfel von<br />
2 cm Kantenlänge ergeben, in dein Heft. Zeichne jedes dieser Netze zuerst auf ein<br />
loses, kariertes Blatt Papier und schneide es aus. Falte es – wenn möglich – zu einem<br />
Würfel und überprüfe dadurch, ob es sich tatsächlich um das Netz eines Würfels handelt.<br />
Zwei Netze gelten als gleich, wenn sie sich beim Aufeinanderlegen vollständig<br />
überdecken. Die Netze dürfen dazu auch umgedreht werden.<br />
Beginne in einer Einzelarbeit und bilde nach 15 Minuten mit drei weit entfernt sitzenden<br />
Mitschülerinnen oder Mitschülern eine Vierergruppe.<br />
Lösung:<br />
Kommentar:<br />
<br />
Die im Rahmen der Einzelarbeit oder in der Gruppenphase häufig gestellte Frage „Wann<br />
sind zwei Netze gleich?“ führt direkt zum Inhalt des Fachbegriffs Kongruenz, der neben<br />
der Verschiebung und Drehung auch die Spiegelung einschließt.<br />
<br />
In der Gruppenphase sollen die Schüler/innen Stapel von kongruenten Netzen bilden, um<br />
deutlich zu sehen, wie viele verschiedene Netze schon gefunden wurden.<br />
<br />
Für die Kommunikation in der Gruppe kann es hilfreich sein, den verschiedenen Netzen<br />
Namen zu geben, z. B. „Momo“ oder „Mimi“.<br />
<br />
Die Schüler/innen erhalten zum Abschluss ein kopiertes Blatt mit den elf denkbaren Netzen,<br />
das eine zusätzliche Selbstkontrolle und einen systematischen Überblick ermöglicht.<br />
Dieser Kontrollstreifen wird dann ins Heft geklebt.<br />
4.7 Telefonspiel 3<br />
Im Bereich einfacher geometrischer Figuren ist folgende Partnerarbeit selbstdifferenzierend:<br />
Jede Partnerin/jeder Partner zeichnet, ohne dass die/der andere die Zeichnung sehen kann,<br />
eine Kombination einfacher geometrischer Figuren (z. B. eine Kombination dreier etwa gleich<br />
großer Rechtecke). Anschließend versucht sie/er, die erstellte Zeichnung ihrer/seiner Partnerin<br />
oder ihres/seines Partners so gut zu beschreiben, dass diese/dieser sie nachzeichnen<br />
kann. Nach dem Vergleich mit der Originalzeichnung folgt ein Rollentausch.<br />
Das Telefonspiel kann mit oder ohne Rückfragemöglichkeit gespielt werden. Jedenfalls darf<br />
keine/keiner der Partner/innen sehen, was die/der andere gezeichnet hat oder gerade zeichnet.<br />
Bewährt hat sich, dass die Schüler/innen dabei Rücken an Rücken sitzen.<br />
3 Diese Idee ist in erweiterter Form in der Broschüre MathematikMethoden 1 (BMUKK, 2007, S. 50)<br />
beschrieben.
Selbstdifferenzierende Aufgaben 57<br />
4.8 Fermi-Aufgaben<br />
Benannt ist dieser Typ von Aufgaben nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi, der für<br />
seine treffsicheren Abschätzungen bekannt war. Fermi-Aufgaben stammen aus der alltäglichen<br />
Erfahrungswelt und sind daher allen zugänglich. Sie selbst enthalten zu ihrer Beantwortung<br />
nur unzureichende Informationen. Sie bedingen daher eigene Recherchen und Annahmen,<br />
um Abschätzungen vernünftig begründen zu können. Die Aufgaben führen in der<br />
Regel weder zu einer völlig eindeutigen, exakten Antwort noch sind sie durch einen einzigen<br />
Lösungsweg lösbar.<br />
Die folgende Aufgabengruppe zeigt exemplarisch, wie Fermi-Aufgaben – als Aufgabengruppe<br />
zusammengestellt – den Schülerinnen und Schülern im Sinn der Selbstdifferenzierung<br />
vorgelegt werden können:<br />
♦<br />
Wie<br />
♠<br />
Wie<br />
oft blinzelt man an einem<br />
Tag?<br />
viele Zigaretten raucht ein<br />
echter Kettenraucher pro Tag?<br />
♣<br />
♥<br />
Trinkt ein Mensch in einem Jahr<br />
mehr Flüssigkeit als in einer<br />
Badewanne Platz hat?<br />
Wie viele Zahnärzte gibt es in<br />
Hallein?<br />
(Mögliche) Abschätzungen:<br />
♦ Die Schüler/innen könnten bei sich bzw. bei ihren Nachbarn beobachten, wie oft<br />
sie in einer Minute blinzeln. Geht man von zehn Mal Blinzeln pro Minute und von<br />
8 Stunden Schlaf aus, kommt man auf ca. 1 000 Mal (970 Mal) Blinzeln pro Tag.<br />
♣ Ja, auf alle Fälle. Geht man von zumindest 1,5 Litern Flüssigkeit pro Tag aus, so<br />
sind das schon mehr als 500 Liter pro Jahr. Eine Badewanne fasst jedoch nur ca.<br />
200 Liter.<br />
♠ Ein echter Kettenraucher raucht fast ohne Pause. Geht man von einer Rauchzeit<br />
von 10 Minuten pro Zigarette, 7 Stunden Schlaf und 1 Stunde Essenszeit aus, so<br />
ergeben sich ca. 100 Zigaretten (96 Zigaretten) pro Tag.<br />
♥ Hallein hat ca. 20 000 Einwohner. Annahmen: 20 % haben ein künstliches Gebiss<br />
und gehen nur mehr selten zum Zahnarzt. Im Schnitt gehen die anderen einmal<br />
pro Jahr zum Zahnarzt. Eine Behandlung dauert etwa eine halbe Stunde. Die<br />
Ordinationszeit eines Zahnarzts beträgt etwa 25 Stunden pro Woche. Er kann<br />
also 50 Personen pro Woche behandeln. Wenn der Zahnarzt 46 Wochen pro Jahr<br />
ordiniert, kommt er auf 2 300 Behandlungen. 16 000 durch 2 300 ergibt ca. 7. Es<br />
müsste also in Hallein ca. 7 Zahnärzte geben. (Anmerkung: Laut Telefonbuch sind<br />
derzeit 8 Zahnärzte in Hallein tätig.)<br />
4.9 Das Schulbuch als Helfer – Schulbuchaufgaben<br />
und innere Differenzierung<br />
Die Erstellung von Unterrichtssequenzen, die wesentliche Aspekte der Selbstdifferenzierung<br />
berücksichtigen, muss nicht mit großem Aufwand verbunden sein. Fast alle Lehrbücher bieten<br />
eine gute Basis für die Zusammenstellung solcher Sequenzen. 4<br />
Explizit als selbstdifferenzierende Aufgaben gekennzeichnete Beispiele kommen in Schulbüchern<br />
selten vor. In diesem Abschnitt wird aber gezeigt, auf welche Weise Schulbücher im<br />
4 Die Grundidee zu den folgenden Ausführungen stammt aus Büchter & Leuders, 2005, S. 107–10<strong>8.</strong>
58 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Hinblick auf die Idee der Selbstdifferenzierung genutzt werden können. Die Ausführungen<br />
machen deutlich, dass es für Lehrpersonen mit überschaubarem Aufwand möglich ist, durch<br />
präzise Arbeitsaufträge Gruppen von Schulbuchaufgaben in Richtung selbstdifferenzierender<br />
Aufgaben zusammenzufassen und so das Schulbuch in sehr effektiver Weise zu nutzen.<br />
Aufgabe der Lehrkraft bleibt es, die in den Lehrbüchern vorhandenen Beispiele unter dem<br />
Blickwinkel der Möglichkeit zur Selbstdifferenzierung zu analysieren und eine entsprechende<br />
Beispielauswahl zu treffen.<br />
Sehr wichtig ist die sorgfältige Formulierung der Arbeitsaufträge. Diese sollen den Schülerinnen<br />
und Schülern die ersten Male schriftlich in Papierform vorgelegt werden. Ist dieser<br />
spezifische Umgang mit dem Lehrbuch dann nach einiger Zeit geläufig, genügt es, die Aufträge<br />
mündlich bekanntzugeben und sie etwa an der Tafel zu notieren. Keinesfalls geht es in<br />
diesem Kapitel um die Erstellung neuer Arbeitsblätter. Im Gegenteil: Das Lehrbuch rückt in<br />
den Mittelpunkt und soll optimal eingesetzt werden.<br />
Bei den vorgestellten Arbeitsaufträgen ist ein Transfer in Richtung einer sinnvollen und effektiven<br />
Vorbereitung auf Leistungsmessungen zu erwarten. Schüler/innen können die Erfahrung<br />
machen, dass es wichtig ist, sich einen Überblick zu verschaffen, bevor man zu rechnen beginnt.<br />
Sie sehen, dass es häufig genügt, nur einige ausgewählte Beispiele tatsächlich durchzurechnen,<br />
wenn eine Vielzahl von Aufgaben die gleiche inhaltliche Grundstruktur besitzt.<br />
Für die Lehrpersonen ergibt sich durch die Verwendung der vorgestellten Arbeitsaufträge die<br />
Möglichkeit, einzelne Schüler/innen individuell zu unterstützen, während die Gesamtgruppe<br />
mit der Bearbeitung des Arbeitsauftrags beschäftigt ist. Um allen Schülerinnen und Schülern<br />
Anknüpfungspunkte zu bieten, sollen die Aufgabenzusammenstellungen immer Beispiele<br />
enthalten, die auch auf niedrigem Leistungsniveau weitgehend selbstständig bearbeitet werden<br />
können.<br />
Alle Arbeitsaufträge beginnen mit einer Einzelarbeitsphase. Ob der ganze Arbeitsauftrag als<br />
Einzelarbeit gestellt wird oder in eine Partnerarbeit bzw. Gruppenarbeit übergeht, hängt vom<br />
fachlichen Inhalt und von der Klassensituation ab. Eine Zusammenfassung bzw. Weiterführung<br />
im Plenum ist auf alle Fälle zu empfehlen. Dabei soll jeweils auch herausgearbeitet werden,<br />
welche Kompetenzen für die Lösung der Aufgabe notwendig waren.<br />
Die im Folgenden vorgestellten vier Arbeitsaufträge können durch die Aufforderungen<br />
„Beginne mit dem Leichtesten“,<br />
„Suche das Schwierigste heraus“,<br />
„Schätze dich ein“ und<br />
„Erkenne die Gemeinsamkeiten“<br />
charakterisiert werden.<br />
4.9.1 Arbeitsauftrag 1: „Mit dem Leichtesten beginnen“<br />
Mit dem folgenden Arbeitsauftrag kann aus einer herkömmlichen Schulbuchseite, die eine<br />
Sammlung von Einzelaufgaben zu einem bestimmten Lehrstoffbereich enthält, ohne großen<br />
Aufwand eine selbstdifferenzierende Aufgabe gemacht werden. Das Stichwort zu diesem<br />
Arbeitsauftrag lautet: „Mit dem Leichtesten beginnen“. Welche (Teil-)Aufgabe am leichtesten<br />
ist, wird aber nicht von der Lehrperson festgelegt. Diese Entscheidung trifft jede Schülerin/<br />
jeder Schüler für sich selbst.
Selbstdifferenzierende Aufgaben 59<br />
Arbeitsauftrag:<br />
<br />
<br />
Wähle von den folgenden Aufgaben jene als erste zur Bearbeitung aus, die dir am<br />
leichtesten erscheint.<br />
Fahre mit der für dich nächstschwierigeren Aufgabe fort.<br />
Kommentar:<br />
Große Sorgfalt ist von der Lehrperson darauf zu verwenden, welche (Teil-)Aufgaben dieser<br />
Schulbuchseite den Schülerinnen und Schülern zur Auswahl vorgelegt werden. Keinesfalls<br />
dürfen die Schüler/innen in Bezug auf ihre Leseleistung bzw. Lesebereitschaft überfordert<br />
werden. Andererseits sollen ihnen verschiedene Zugänge im Hinblick auf konkrete Handlungsweisen<br />
offen stehen, z. B. mit konkreten Zahlenrechnungen zu beginnen, eine Tabelle<br />
zu vervollständigen oder eine Zeichnung bzw. Skizze anzufertigen.<br />
4.9.2 Arbeitsauftrag 2: „Das Schwierigste heraussuchen“<br />
Dieser Arbeitsauftrag zielt wesentlich auf die Förderung der kommunikativen Fähigkeiten der<br />
Schüler/innen ab. Sie müssen abschätzen können, welche Aufgabe ihnen vermutlich schwer<br />
fallen wird, und diese Abschätzung auch erläutern können. Für die Lehrperson ergibt sich<br />
durch die Prozessbeobachtung oder durch Nachfrage in der abschließenden Plenumsphase<br />
ein Überblick darüber, worin die größten Schwierigkeiten der Schüler/innen bestehen. Wichtig<br />
ist, dass bei den zur Wahl gestellten Aufgaben zwei dabei sind, die auch für Schüler/innen<br />
mit niedrigem Leistungsniveau auf alle Fälle lösbar sind.<br />
Arbeitsauftrag:<br />
<br />
<br />
<br />
Lies die folgenden fünf Aufgaben durch und suche die für dich schwierigste heraus.<br />
Teile deiner Banknachbarin/deinem Banknachbarn mit, welche Aufgaben du ausgesucht<br />
hast und erkläre ihr/ihm, warum du diese Aufgabe als schwierig ansiehst.<br />
Beginne danach mit der Bearbeitung der für dich leichtesten Aufgabe.<br />
Kommentar:<br />
Dieser Arbeitsauftrag eignet sich besonders gegen Ende der Erarbeitung eines bestimmten<br />
Stoffkapitels, um Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, einen Überblick über<br />
das schon Gelernte zu gewinnen. Er eignet sich aber auch, um noch vorhandene Lücken zu<br />
erkennen.<br />
Ergänzend empfiehlt sich für eine effiziente Gestaltung einer solchen Unterrichtssequenz der<br />
Einsatz von Tutorinnen und Tutoren (siehe Abschnitt 6.4, S. 94). Tutorinnen und Tutoren sind in<br />
diesem Zusammenhang Schüler/innen, die eine bestimmte Art von Aufgabenstellungen bereits<br />
beherrschen und von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern zur Mithilfe bei der Lösung der<br />
Aufgaben herbeigerufen werden können. Tutor/in wird man in einer solchen Sequenz, wenn<br />
man der Lehrperson zeigt, dass man (fast) alle vorgelegten Aufgaben richtig gelöst und den Lösungsweg<br />
auch schriftlich dokumentiert hat. Manche besonders begabte Schüler/innen übernehmen<br />
gerne solche Tutorenrollen. Es ist jedoch darauf zu achten, dass besonders Begabte<br />
immer wieder auch mit inhaltlichen Herausforderungen besonderer Art konfrontiert werden.
60 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
In vielen Schulbüchern werden einzelne Aufgaben mit einem „+“ versehen, das in der Legende<br />
dann als Zeichen für „schwieriger und umfangreicher“ beschrieben wird. Die Verwendung<br />
solcher Zeichen („Sternchen-Aufgaben“) ist ein zweischneidiges Unterfangen. Einerseits wird<br />
der Lehrperson eine gewisse Zusatzinformation geliefert, andererseits kann dieses Vorgehen<br />
Schüler/innen, die sich selbst als leistungsschwächer einstufen oder weniger Selbstbewusstsein<br />
haben, davon abhalten, solche Aufgaben überhaupt näher in den Blick zu nehmen –<br />
auch wenn diese für sie letztlich durchaus lösbar wären.<br />
4.9.3 Arbeitsauftrag 3: „Das eigene Können einschätzen“<br />
Der dritte der hier vorgestellten Arbeitsaufträge führt zu einer aktiven Differenzierung durch<br />
die Schüler/innen selbst. Sie müssen versuchen einzuschätzen, wo sie mit ihren Fähigkeiten<br />
stehen. Diese Selbsteinschätzung hilft wiederum auch der Lehrperson dabei, die Schüler/<br />
innen dort abzuholen, wo sie stehen und sie dann in der Plenumsphase in effektiver Weise<br />
weiterzuführen bzw. die Leistungsstärkeren in ihren Ergebnissen zu bestätigen.<br />
Arbeitsauftrag:<br />
<br />
Lies die folgenden Aufgaben durch.<br />
<br />
Suche zwei (Teil-)Aufgaben heraus, die du sicher lösen kannst.<br />
<br />
Suche danach zwei (Teil-)Aufgaben heraus, die du vermutlich lösen kannst.<br />
<br />
Bearbeite nun alle herausgesuchten (Teil-)Aufgaben.<br />
Kommentar:<br />
Die von der Lehrperson zur Auswahl angebotenen Aufgaben können auch über mehrere<br />
Schulbuchseiten verteilt sein. Soll in einem bestimmten Inhaltsbereich (z. B. Wachstumsprozesse)<br />
ein bestimmter Handlungsbereich (z. B. H1, Darstellen und Modellbilden) auf jeden<br />
Fall angesprochen werden, so ist der Arbeitsauftrag entsprechend zu erweitern, etwa durch<br />
folgende Formulierung:<br />
<br />
Versuche, in einem letzten Schritt auf alle Fälle mindestens eine Formel aufzustellen<br />
und mindestens eine Grafik zu zeichnen, falls das in deinen bisherigen Bearbeitungen<br />
noch nicht geschehen ist.<br />
4.9.4 Arbeitsauftrag 4: „Gemeinsamkeiten erkennen“<br />
Lehrer/innen wünschen sich von Schulbüchern zu Recht, dass diese eine Fülle von Übungsaufgaben<br />
enthalten. Wenn diese an einer Stelle im Lehrbuch so zusammengestellt sind, dass<br />
es sich um eine große Zahl von Beispielen handelt, die von der Rechenstruktur her gleich<br />
oder sehr ähnlich sind, spricht man von Aufgabenplantagen. Solche finden sich in vielen<br />
Schulbüchern und sind für eine innere Differenzierung nutzbar, wenn die Lehrperson geeignete<br />
Arbeitsaufträge gibt. Bei einer Aufgabenplantage ist es nur selten sinnvoll, alles bis ins<br />
Detail durchzurechnen oder durchrechnen zu lassen. Je nach Lesekompetenz wird man sich<br />
auf drei Aufgaben beschränken oder bis zu acht Aufgaben einbeziehen. Bei einer Aufgabenplantage<br />
zum Themenbereich Massen berechnen könnte Arbeitsauftrag 4 beispielsweise<br />
folgendermaßen lauten:
Selbstdifferenzierende Aufgaben 61<br />
Arbeitsauftrag:<br />
<br />
Lies dir alle Aufgaben durch.<br />
<br />
Was muss bei allen Aufgaben jedenfalls berechnet werden?<br />
<br />
Welche (Teil-)Aufgaben sind ganz ähnlich?<br />
<br />
Bearbeite eine der Aufgaben.<br />
<br />
Fallen dir bei einzelnen Aufgaben Besonderheiten auf? Welche?<br />
<br />
Bearbeite mindestens eine weitere Aufgabe.<br />
Kommentar:<br />
Das hier angewendete Prinzip der Forderung nach individuell-reflektierter Aufgabenauswahl<br />
bringt für die Schüler/innen mehrere Vorteile mit sich:<br />
<br />
<br />
<br />
Sie haben Gelegenheit, in den Texten und Aufgabenstellungen Gemeinsamkeiten im Sinn<br />
ähnlicher Strukturen zu erkennen, bevor sie „drauf los“ rechnen.<br />
Sie können individuell jene Aufgabe(n) operativ bearbeiten, die inhaltlich ihr größtes Interesse<br />
finden.<br />
Sie lernen, dass es auch in der Vorbereitung auf eine Lernzielkontrolle oder Leistungsüberprüfung<br />
nicht notwendig ist, jedes Beispiel operativ zu bearbeiten.<br />
Die Besonderheiten einzelner (Teil-)Aufgaben können anschließend im Plenum in zeitökonomischer<br />
Weise besprochen werden, ohne dass alles konkret gerechnet wird.<br />
Die Formulierung gleiche Struktur ist wahrscheinlich nicht Bestandteil des Sprachschatzes<br />
zehnjähriger Schüler/innen, wenn es um die Beschreibung von Gemeinsamkeiten in Bezug<br />
auf verschiedene Aufgaben geht. Es lohnt sich jedoch, diese bewusst einzuführen. Strukturerkennung<br />
und Mustererkennung sind zentrale mathematische Handlungen.<br />
4.9.5 Ein Leistungstest<br />
Fast immer ist es sinnvoll, Arbeitsaufträge vollständig zu lesen, bevor man mit der konkreten<br />
(Rechen-)Arbeit beginnt. Damit sich die Schüler/innen diesen strategischen Grundsatz auch<br />
emotional einprägen, sind die sechs Minuten Unterrichtszeit, die der folgende Leistungstest<br />
benötigt, gut investiert:<br />
Der Arithmetik-Geometrie-Leistungstest<br />
Die Zeit ist auf 6 Minuten begrenzt.<br />
1. Lies alles durch, bevor du etwas tust.<br />
2. Schreibe schnell deinen Vor- und Nachnamen rechts oben auf die Testseite.<br />
3. Zeichne im vorigen Satz ein Rechteck rund um das Wort „schnell“.<br />
4. Zeichne 5 kleine Quadrate auf die rechte Hälfte dieser Seite.<br />
5. Zeichne einen Kreis in jedes dieser Quadrate.<br />
6. Addiere alle auf dieser Seite vorkommenden Zahlen. Notiere das Ergebnis: _____<br />
7. Rechne im Kopf: 17 – 8 + 7 – 6 = ______<br />
<strong>8.</strong> Addiere die Lösungen der Aufgaben 6 und 7. Notiere das Ergebnis: _______<br />
9. Schreibe ein „x“ in die linke untere Ecke dieses Blatts.<br />
10. Unterschreibe dieses Blatt unten rechts mit deinem Nachnamen.<br />
11. Und nun, nachdem du alle Anweisungen sorgfältig durchgelesen hast, tue nur<br />
das, was in Anweisung 2 steht.
62 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
4.9.6 Zusammenfassung<br />
Nahezu jedes Schulbuch kann in Richtung selbstdifferenzierender Aufgabenstellungen genutzt<br />
werden, wenn die Lehrperson in geeigneter Weise mehrere Aufgaben zusammenfasst<br />
und präzise Arbeitsaufträge gibt, wie z. B.:<br />
<br />
Beginne mit der für dich leichtesten Aufgabe.<br />
<br />
Suche die für dich schwierigste Aufgabe heraus und erkläre deiner Nachbarin/deinem<br />
Nachbarn, was für dich schwierig ist.<br />
<br />
Schätze ein, welche zwei Aufgaben du sicher lösen kannst und welche zwei Aufgaben du<br />
wahrscheinlich lösen kannst.<br />
<br />
Lies alle Aufgaben durch. Bei welchen Aufgaben fallen dir Gemeinsamkeiten auf? Welche?<br />
Literatur<br />
Bruder, R. (2006). Modul 1: Weiterentwicklung der Aufgabenkultur im Mathematikunterricht.<br />
Verfügbar unter http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/unterricht/individuelles-lernen/aufgabenkultur_im_mathematikunterricht.pdf?start&ts=1306331820&file=aufgab<br />
enkultur_im_mathematikunterricht.pdf [16.05.2012].<br />
Büchter, A. & Leuders, T. (2005). Mathematikaufgaben selbst entwickeln. Lernen fördern –<br />
Leistung überprüfen. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (Hrsg.) (2007). MathematikMethoden<br />
1. Wien.<br />
Hußmann, S. & Prediger, S. (2007). Mit Unterschieden rechnen – Differenzieren und Individualisieren.<br />
Verfügbar unter http://www.mathematik.uni-dortmund.de/~prediger/veroeff/07-<br />
PM17-Hussmann-Prediger-Differenzieren-Vorabfassung.pdf [16.05.2012].<br />
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2010).<br />
SINUS Nordrhein-Westfalen. Projekt „Diagnose und individuelle Förderung“. Verfügbar unter<br />
http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/sinus/front_content.php?idart=<br />
2343 [16.05.2012].<br />
Prediger, S. (2007). Mit der Vielfalt rechnen – Aufgaben, Methoden und Strukturen für den<br />
Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht. Verfügbar unter http://www.mathematik.uni-dortmund.de/~prediger/veroeff/07-Indive-Differenzieren.pdf<br />
[16.05.2012].<br />
Reibold, J. & Bruder, R. (2010). Ein binnendifferenzierendes Unterrichtskonzept für die Sekundarstufe<br />
I im Projekt MABIKOM: Unterrichtsbeispiele und erste Evaluationsergebnisse. Darmstadt.<br />
Verfügbar unter http://www.mathematik.tu-dortmund.de/ieem/cms/media/BzMU/<br />
BzMU2010/BzMU10_REIBOLD_Julia_Binnendifferenzierung.pdf [16.05.2012].<br />
Wollring, B. (2007). Würfelnetze finden und ordnen – Design von Lernumgebungen zur Geometrie<br />
für die Grundschule. Verfügbar unter http://www.sinus-transfer.uni-bayreuth.de/fileadmin/MaterialienIPN/Wollring_Wuerfelnetze_finden_und_ordnen_43_f_Erkner_07-06-22.pdf<br />
[16.05.2012].
Nachhaltigkeit sichern 63<br />
5 Nachhaltigkeit sichern<br />
5.1 Zum Begriff der Nachhaltigkeit<br />
Der Begriff Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. „Erstmals wurde das<br />
Prinzip der Nachhaltigkeit vor etwa 300 Jahren formuliert. Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann<br />
am kursächsischen Hof in Freiberg (Sachsen), forderte 1713 in seinem Werk<br />
Sylvicultura oeconomica, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie durch<br />
planmäßige Aufforstung durch Säen und Pflanzen wieder nachwachsen konnte und gilt deshalb<br />
als Schöpfer des forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriffes.“ (Aachener Stiftung Kathy<br />
Beys, 2012)<br />
Isabella Benischek &<br />
Elisabeth Mürwald-<br />
Scheifinger<br />
Im Bildungsbereich bedeutet Nachhaltigkeit, dass Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen über<br />
einen langen Zeitraum verfügbar sind. Diese Erklärung schließt nahtlos an die Kompetenzdefinition<br />
von Weinert an. Kompetenzen sind demnach „die bei Individuen verfügbaren oder<br />
durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu<br />
lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten,<br />
um die Problemlösung in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll<br />
nutzen zu können“ (Weinert, 2001, S. 27). Jede Lernerin/jeder Lerner bringt Kompetenzen<br />
in die Schule und den Unterricht mit. Das Ziel von Unterricht ist es, diese bereits vorhandenen<br />
Kompetenzen auf ein höheres Niveau hin zu entwickeln sowie weitere Kompetenzen<br />
zu erwerben, um diese dann auch langfristig zur Verfügung zu haben. Meist wird Unterricht<br />
darauf ausgerichtet, welche Kompetenzen als nicht vorhanden diagnostiziert werden (defizitorientierte<br />
pädagogische Diagnostik). Motivierender und effektiver wäre Unterricht, würden<br />
bereits vorhandene Ressourcen erhoben und genützt werden. Ressourcenorientierte<br />
Kompetenzentwicklung sowie der darauf aufbauende Unterricht richten sich danach aus,<br />
Aufgabenstellungen für Schüler/innen so vorzubereiten, dass sie zu deren Lösung auf bereits<br />
vorhandene Ressourcen zurückgreifen können, aber auch neue Lösungsstrategien und<br />
Lösungsmechanismen entdecken und trainieren können. Dadurch kann vorhandenes Wissen<br />
mit neuem, selbst entdecktem Wissen verknüpft werden (Mürwald-Scheifinger & Weber,<br />
2011, S. 123–124).<br />
„Der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung ist ein Prozess, der auf Selbsttätigkeit und Reflexivität<br />
von Menschen angewiesen ist. ‚Nachhaltigkeit vermitteln‘ wäre also eine Methode,<br />
die ihr Ziel verfehlen müsste. Dies auch deshalb, weil nicht angenommen werden kann, dass<br />
es eine direkte Beziehung zwischen Wissen und Verhalten gibt. Man kann nicht davon ausgehen,<br />
dass Nachhaltigkeit sich unmittelbar aus der Vermittlung von deren Sinnhaftigkeit<br />
ergibt.“ (Michelsen, Siebert & Lilje, 2011, S. 73)<br />
5.2 Nachhaltigkeit und Unterricht<br />
5.2.1 Allgemeine Aspekte zu Nachhaltigkeit und Unterricht<br />
Abbildung 1 zeigt, wie Nachhaltigkeit und nachhaltiges Lernen aus bildungs- und lerntheoretischer<br />
Sicht dargestellt werden können.<br />
Grundkompetenzen (vgl. Verordnung der Bundesministerin, 2009) sollen nachhaltig verfügbar<br />
sein. Darüber hinaus steht es jeder Lehrperson, aber auch jeder/jedem Lernenden frei<br />
zu entscheiden, welches Wissen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche Kompetenzen<br />
darüber hinaus nachhaltig verfügbar sein sollen. Danach richtet sich die grundlegende<br />
Zielsetzung von Unterricht aus. In einem zeitgemäßen Unterricht sollten daher Fragen zum<br />
Basiswissen und Aufgaben zu den Grundkompetenzen immer wieder eingebaut und geübt<br />
werden. Dabei ist es wichtig und notwendig, dass zuerst konkrete Ziele formuliert werden<br />
(Die Schüler/innen können ...). Anhand dieser Ziele ist festzustellen, welche Kompetenzen die
64 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Lernenden benötigen, sodass bereits vorhandene Kompetenzen im Sinne von Ressourcen<br />
und neu zu entwickelnden Kompetenzen im Unterricht in den Fokus genommen werden<br />
können. In diesem Zusammenhang wird von Output-Orientierung gesprochen.<br />
Nachhaltiges Lernen<br />
bildungstheoretische<br />
Perspektive<br />
nachhaltige<br />
Nutzung<br />
lerntheoretische<br />
Perspektive<br />
nachhaltige<br />
Wirkung<br />
Nachhaltigkeit<br />
als Bildungsziel<br />
Nachhaltigkeit<br />
der Bildungsinhalte<br />
Nachhaltigkeit<br />
des Lernverhaltens<br />
Nachhaltigkeit<br />
der Lernergebnisse<br />
Bildung<br />
für eine<br />
nachhaltige<br />
Entwicklung<br />
Schlüsselqualifizierung:<br />
Gestaltungskonzept<br />
Didaktischer<br />
Formalismus:<br />
Schlüsselqualifizierung<br />
Didaktischer<br />
Materialismus:<br />
Curriculumrevision<br />
Förderung der<br />
Lernfähigkeit:<br />
Lernen<br />
zu lernen<br />
Erhaltung der<br />
Lernbereitschaft:<br />
lebenslanges<br />
Lernen<br />
Evaluation<br />
dauerhafter<br />
Lern- / Transferwirkungen<br />
Sicherung der<br />
Lerntransfers<br />
professionelles<br />
pädagogisches Handeln<br />
Abb. 1: Perspektiven von nachhaltigem Lernen (nach Schüßler, 2005, S. 2)<br />
Neben der Output-Orientierung rückt der Lernprozess der Schüler/innen in den Fokus.<br />
Schratz artikuliert die Forderung, die Perspektive „Lehrseits von Unterricht“ gegen die Perspektive<br />
„Lernseits von Unterricht“ zu tauschen. Wird die lernseitige Sichtweise eingenommen,<br />
so wird zuerst die Schülerin/der Schüler in der sozialen Gruppe vor dem Hintergrund des<br />
Lehr-/Lernprozesses wahrgenommen und erst in zweiter Linie die Lehrperson samt ihrer unterrichtlichen<br />
Zielsetzung selbst (Beer & Benischek, 2011, S. 17). Das Lernen des Individuums<br />
steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, den Schülerinnen und Schülern soll die Zeit gegeben<br />
werden, nachzudenken, eigene Fragen entwickeln und stellen zu dürfen. Diese Herausforderung<br />
kann nicht in jedem Augenblick des Unterrichts erfüllt werden, alleine der Blick auf das<br />
Lernen des Individuums verändert die Denk- und Sichtweise der Lehrerin/des Lehrers. Im Folgenden<br />
werden Ideen und Handreichungen zur Erfüllung dieser Herausforderung angegeben,<br />
die eine veränderte – nämlich lernseitige – Sichtweise unterstützen können.<br />
5.2.2 Nachhaltigkeit und Merkmale eines kompetenzorientierten<br />
Mathematikunterrichts<br />
Im Blickpunkt der Bildungsstrategie für Nachhaltigkeit stehen unter anderem Formen von<br />
selbstorganisiertem und projektorientiertem Lernen, die es den Lernenden ermöglichen, Zusammenhänge<br />
zu erkennen und sich mit den Problemen/Aufgaben kritisch, produktiv, kreativ<br />
und wirksam auseinanderzusetzen. Dafür bedarf es einer Vielzahl von Methoden (Michelsen,<br />
Siebert & Lilje, 2011, S. 73). In diesem Zusammenhang steht die Diskussion um Unterrichtsqualität<br />
und guten Unterricht. „Neben einer Verständigung darüber, was Mathematikunterricht<br />
leisten soll (normativer Aspekt), muss bei einer Aufzählung von Qualitätsmerkmalen<br />
ebenfalls die Frage einbezogen werden, mit welchen Mitteln er diese Ziele erreichen kann.<br />
Während die erste Frage immer nur im Konsens aller (entscheidungstragenden) Beteiligten<br />
beantwortbar ist, ist die zweite der wissenschaftlichen Untersuchung (im Sinne empirischer<br />
Forschung) durchaus zugänglich.“ (Leuders, 2001, S. 36)
Nachhaltigkeit sichern 65<br />
Viele Studien (beispielsweise Urban-Glowatzki, 2010; Kruppa, Mandl & Hense, 2002) zeigen,<br />
dass Schüler/innen mit größerer Wahrscheinlichkeit nachhaltig Wissen, Können, Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten erwerben, wenn Kompetenzorientierung im Unterricht im Fokus steht. Dies<br />
ist die Grundlage für lebenslanges Lernen. Erreicht werden kann Nachhaltigkeit somit durch<br />
eine aktive Auseinandersetzung der Schüler/innen mit vielfältigen Themen, wobei der Erarbeitung,<br />
dem Verstehen, der Übung und Festigung ein hoher Stellenwert zukommt (siehe<br />
dazu auch Kapitel 6).<br />
Ein kompetenzorientierter Mathematikunterricht weist nach Kratz folgende Merkmale auf:<br />
„Einbeziehung offener Aufgaben mit breitem Differenzierungspotenzial<br />
<br />
Erarbeiten vielfältiger Lösungen, Vergleichen und Bewerten von Lösungen<br />
<br />
Einsatz von Methoden und Materialien, die zur Binnendifferenzierung geeignet sind und<br />
der Heterogenität der Lernenden gerecht werden<br />
<br />
Inner- und außermathematische Vernetzungen<br />
<br />
Vorstellungsaktivierung, Problemlösen, Modellieren, Argumentieren, Begründen<br />
<br />
Durchgängige Stimulierung von Eigenaktivitäten, Stärkung der Eigenverantwortung für<br />
den Lernprozess, sowohl in Erarbeitungs- als auch in Übungsphasen (intelligentes Üben)<br />
<br />
Methodenvariation im Rahmen einer klaren Unterrichtsstruktur mit vielen Schüler-Kooperationsphasen<br />
<br />
Erkennbar beurteilungsfreie Arbeitsatmosphäre, wo Fehler Lernanlässe sind<br />
<br />
Reflexion über das Vorgehen und über Mathematik<br />
<br />
Einsatz digitaler Werkzeuge zum Entdecken, zur Begriffsbildung, zur Visualisierung und<br />
zur Entlastung von Kalkülen an geeigneten Stellen“ (Kratz, 2011, S. 19)<br />
5.2.3 Nachhaltigkeit und Umsetzung im Mathematikunterricht<br />
Darstellungsebenen<br />
Zurückgehend auf die Theorie der Denkentwicklung von Piaget wird konstatiert, dass Lernprozesse<br />
mehrere Stadien durchlaufen, die durch immer höhere Denkleistungen charakterisiert<br />
sind. Der Prozess des Denkens wird als eine Verinnerlichung von konkreten Handlungen<br />
angesehen. Nach Bruner können dabei drei Repräsentationsmodi unterschieden werden: die<br />
enaktive, die ikonische und die symbolische Darstellungsebene. Für verschiedene mathematische<br />
Bereiche ist es hilfreich, diese Ebenen weiter zu differenzieren. Symbolische Darstellungen<br />
(beispielsweise Zahlen) können den Lernenden so vertraut sein, dass diese in anderen<br />
Bereichen handelnd eingesetzt werden können. Somit können die Darstellungsebenen von<br />
Bruner folgendermaßen erweitert werden:<br />
<br />
enaktiv (Handlungen mit konkretem Material)<br />
<br />
numerisch-figurativ (z. B. Darstellung von Zahlen mit Punkten, Strichen etc.)<br />
<br />
numerisch-tabellarisch (z. B. Zahlen sind in Tabellen angeordnet)<br />
<br />
ikonisch-grafisch (z. B. Funktionsgraphen)<br />
<br />
symbolisch-algebraisch (z. B. Funktionsterme)<br />
<br />
symbolisch-sprachlich (z. B. Darstellung mithilfe der Alltagssprache und/oder der mathematischen<br />
Fachsprache) (Bruner, 1974; Kratz, 2011, S. 132–133)<br />
Der Mathematikunterricht sollte stets die Kompetenz fördern, einen bestimmten Inhalt von<br />
einer Darstellungsebene in eine andere übertragen zu können, denn dies ist in vielen Arbeitsund<br />
Lebensbereichen wichtig.
66 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Lernspirale<br />
Die beschriebenen Darstellungsebenen spiegeln sich in den Lernspiralen wider. „Lernspiralen<br />
beschreiben mehrstufige Arbeitsprozesse der Schüler/innen zur intensiven Erschließung und<br />
Durchdringung des jeweiligen Lernstoffs. Sie implizieren kleinschrittiges Fordern und Fördern<br />
und verbinden vielseitiges eigenverantwortliches Lernen mit konsequenter Methoden-, Kommunikations-<br />
und Kooperationsschulung im Unterricht […]. Sie gewährleisten unterschiedliche<br />
Kontroll- und Anwendungssituationen, binden die Schüler/innen als Helfer und Miterzieher<br />
mit ein und sichern dadurch ein relativ hohes Maß an Lernanstrengung, Lernförderung<br />
und Lerndisziplin.“ (Klippert, 2008, S. 92)<br />
Lernspiralen können über (mehrere) <strong>Schulstufe</strong>n aufgebaut werden (vgl. Lernlinien in BIFIE,<br />
2011c, S. 43; Spiralprinzip in den Lehrplänen), aber auch in Lerneinheiten (eine oder mehrere<br />
Schulstunden umfassend) während eines Schuljahrs.<br />
Somit könnte eine Lernspirale zur Flächenberechnung folgendermaßen aussehen:<br />
<br />
spezifische Informationen zur Flächenberechnung lesen<br />
<br />
Klärung offener Fragen in Gruppen<br />
<br />
Erläuterung von Aufgaben (z. B. im Doppelkreis)<br />
<br />
Berechnung der Flächeninhalte von verschiedenen Figuren in Einzelarbeit<br />
<br />
Vergleich und Beratung in Partnerarbeit<br />
<br />
Konstruktion von Aufgaben in Partnerarbeit<br />
<br />
Austausch der erstellten Aufgaben und Berechnung der Flächen<br />
<br />
Gespräch und Austausch in der Vierergruppe<br />
<br />
Methodenreflexion und Beurteilung der Methode<br />
<br />
vertiefende Tipps und Hinweise der Lehrperson (Klippert, 2008, S. 93)<br />
Anregungen zum Initiieren von Lernspiralen (Fotoassoziation Geometrische Figuren, Dosenmathematik<br />
Zeit, Doppelkreis Vierecke) finden sich unter anderem in den Heften der Reihe<br />
MathematikMethoden (BMUKK, 2007/08).<br />
Forschend-entdeckender Unterricht<br />
Ein forschend-entdeckender Unterricht fördert ebenfalls die direkte Auseinandersetzung mit<br />
den Inhalten. Die Lernenden bekommen dadurch die Gelegenheit, ihr Wissen in Bezug zum<br />
individuellen Vorverständnis aktiv zu konstruieren. Solch ein Lernweg ist zumeist verbunden<br />
mit einem Erleben von Sinnhaftigkeit, sowohl auf inhaltlicher als auch auf motivationaler Ebene.<br />
Zudem wird mit dieser Art von Unterricht der Gefahr vorgebeugt, dass Schüler/innen ein<br />
eher statisches Bild von Mathematik, das nur aus starren Gebilden besteht, erfahren (Barzel,<br />
Holzäpfel, Leuders et al., 2011, S. 44). Es scheint nämlich nach wie vor für viele Menschen<br />
festzustehen, dass in der Mathematik mit unveränderlichen Regeln gerechnet wird, diese<br />
zunächst erklärt und dann geübt werden (Maaß, 2009, S. 7).<br />
Jede Lernerin/jeder Lerner soll die angebotenen Informationen individuell erarbeiten, verarbeiten<br />
und aktiv in ihre/seine bereits vorhandenen Wissensstrukturen integrieren. So gesehen<br />
ist Lernen immer eine individuelle Konstruktionsleistung. Aus dieser Sichtweise heraus gelingt<br />
Lernen vor allem, wenn die Lerner/innen<br />
„die Themen, Gegenstände und das eigene Tun für sich als sinnvoll erkennen,<br />
<br />
das neue Wissen mit ihrem Vorwissen vernetzen,<br />
<br />
in der Kommunikation mit anderen ihr Wissen und ihre Erkenntnisse darstellen und diskutieren,
Nachhaltigkeit sichern 67<br />
<br />
sich in ihrer Lernumgebung sicher und aufgehoben fühlen,<br />
<br />
ihr Lernen bewusst wahrnehmen und reflektieren und<br />
<br />
sich in ihren sozialen Kontexten als selbstwirksam erfahren“ (Brüning & Saum, 2009,<br />
S. 11).<br />
Hier seien Rund um den Äquator und Cheopspyramide (BMBWK, 2006, S. 32–41) als Anregungen<br />
genannt. Diese und ähnliche methodische Ideen in einen kompetenzorientierten,<br />
lernseitigen Unterricht einzubauen, wird durch die Aussage John Medinas (2012) verstärkt,<br />
der insistiert, dass der Mensch als Forscher geboren wird: Dinge, die selbst entdeckt und<br />
erforscht werden, bleiben besser in Erinnerung als passiv aufgenommene Informationen.<br />
5.2.4 Nachhaltigkeit und exemplarische Methoden für den<br />
Unterricht<br />
Vielfältige Erfahrungen von Lehrpersonen zeigen, dass die Methode des kooperativen Lernens<br />
die Nachhaltigkeit des Gelernten fördert. Zu den Prinzipien des kooperativen Lernens<br />
gehören persönliche Verantwortung, Austausch und individuelle Denkzeit, was zu innerer Aktivierung,<br />
mehr Sicherheit und besseren Beiträgen führt. Das Grundprinzip des kooperativen<br />
Lernens ist daher folgender Dreischritt (vgl. Brüning & Saum, 2009, S. 115–117): 1. Denken<br />
(die Schülerin/der Schüler arbeitet alleine) – 2. Austauschen (Vergleich von Ergebnissen, Diskussion<br />
von abweichenden Resultaten in Partner- und/oder Gruppenarbeit) – 3. Vorstellen<br />
(Präsentation der Gruppenergebnisse in der Klasse samt Diskussion, Verbesserung usw.).<br />
„ICH-DU-WIR“<br />
Vielen didaktischen Methoden bzw. Sozialformen liegt das „ICH-DU-WIR“-Prinzip zugrunde.<br />
Es stellt die grundlegende Idee des kooperativen Lernens dar. Will eine Sache verstanden<br />
werden, so muss das Individuum sich davon ansprechen lassen, es muss sich auf eine Sachlage<br />
einlassen und seine eigenen Gedanken und Ideen dazu fassen. Bereits Hans-Georg<br />
Gadamer artikuliert die erste unabdingbare hermeneutische Bedingung, durch die Verstehen<br />
beginnen kann: „[...] dass uns etwas anspricht, dass das Individuum angesprochen wird mit<br />
der Aufforderung zu reagieren (ausgesprochen oder auch nicht ausgesprochen)“ (Gadamer,<br />
1959, S. 24). Durch die persönliche Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt erfährt das<br />
Individuum die eigenen Möglichkeiten, aber auch Grenzen („ICH-Phase“). In der Bearbeitung<br />
und Reflexion der Gedanken von anderen zu einem Sachverhalt wird die reflexive Kompetenz<br />
trainiert und die eigenen Ideen werden möglicherweise in Frage gestellt („DU-Phase“). Durch<br />
den Gedankenaustausch mit anderen bekommen Erkenntnisse eine Gestalt und der eigene<br />
Horizont wird stetig erweitert („WIR-Phase“). So wird an einer gemeinsamen Sprache gearbeitet,<br />
die sich immer mehr dem Regulären nähert und doch die eigene, persönliche Sprache<br />
bleibt. Martin Wagenschein beschreibt dieses Ringen um eine gemeinsame Ebene als die<br />
Sprache des Verstehens: ICH versuche es so! Wie machst DU das? Darauf einigen WIR uns!<br />
(Wagenschein, 1980, nach Ruf & Gallin, 2005, S. 25).<br />
Sesseltanz<br />
Eine rasch durchzuführende Art des Gedankenaustauschs ist der Sesseltanz 1 . Urs Ruf und<br />
Peter Gallin beschreiben diese Methode folgenderweise: In einer ersten Phase des Schreibens<br />
fassen die Lernenden ihre Ideen in Worte und schreiben sie nieder. Sie legen ein leeres<br />
1 Diese Methode wurde zum Thema Einen Ausflug planen auf einer 5. <strong>Schulstufe</strong> erprobt, zu sehen auf<br />
der DVD Bildungsstandards Mathematik <strong>8.</strong> Unterrichtsvideos und Begleitmaterialien, die Multiplikatorinnen<br />
und Multiplikatoren in der Fortbildung zur Verfügung steht.
68 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Blatt mit der Bezeichnung Rückmeldungen neben ihre Niederschrift und begeben sich zu<br />
einem anderen Platz. Durch das Lesen des Texts einer/eines anderen und der schriftlichen<br />
Rückmeldung wird der Blick nicht nur auf die Ideen einer Mitschülerin/eines Mitschülers gelegt,<br />
sondern vor allem auch die eigene Resonanzfähigkeit beleuchtet. Rückmeldungen sind<br />
Signale, Weckrufe, die den eigenen und den fremden Horizont öffnen, erweitern, in Frage<br />
stellen, ohne ein Ziel, einen Abschluss, ein Ende vorwegzunehmen. Sie lassen einen offenen<br />
Spielraum für die Entscheidung, darüber zu reflektieren oder nicht. Auch scheinbar negative<br />
Bemerkungen haben hier ihre Berechtigung, sofern sie nicht verletzend sind: „Mir gefällt deine<br />
Idee nicht, weil …“ kann Einsichten ermöglichen und kreative Kräfte wecken. „Deine Idee<br />
ist schlecht“ spricht ein Urteil über den anderen und verhindert damit eine Auseinandersetzung<br />
(Ruf & Gallin, 2005, S. 39).<br />
Placemat 2<br />
Die Schüler/innen werden in Gruppen zu drei oder vier Personen eingeteilt und setzen sich<br />
rund um ein großes Blatt (günstig: Format A3). Auf diesem Blatt ist für jede Schülerin/jeden<br />
Schüler ein individueller Schreibbereich vorhanden, wo in Einzelarbeit die Ideen notiert werden.<br />
In die Mitte des Blatts werden die gemeinsamen Vorstellungen der Gruppe geschrieben.<br />
Abb. 2: Placemat<br />
Durchführung: Die Lehrperson gibt das Thema/die Fragestellung/den Impuls vor. Die Schüler/innen<br />
haben nun eine bestimmte Zeitspanne zur Verfügung, ihre Gedanken in ihrem<br />
Schreibbereich zu notieren. In dieser Phase sollte nicht miteinander gesprochen werden.<br />
Anschließend lesen alle Schüler/innen die Ideen der anderen durch, danach werden diese<br />
diskutiert. Es sollte nach einer gewissen Zeit beschlossen werden, welche Ideen in die Mitte<br />
des Blatts geschrieben werden – diese repräsentieren die Gruppe.<br />
2 Der Einsatz dieser Methode kann über die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zur Verfügung stehende<br />
DVD Bildungsstandards Mathematik 4. Unterrichtsvideos und Begleitmaterialien sowie über<br />
den <strong>Band</strong> Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis (BIFIE, 2011a, S. 132) nachvollzogen<br />
werden.
Nachhaltigkeit sichern 69<br />
Zwischenresümee<br />
„Es liegt auf der Hand, dass in einem kompetenzorientierten Unterricht den Methoden eine<br />
viel weiter reichende Bedeutung zukommt als für Abwechslung zu sorgen. […] Schülermethoden<br />
sind Kompetenzentwicklungsmethoden. Lehrermethoden sind Kompetenzermöglichungen.<br />
Sie sollen Lust auf Leistung fördern. Das geht weit über die Unterhaltungsfunktion<br />
hinaus. Ihre angenehme Wirkung entsteht nicht nur durch Spaß an der Sache, sondern durch<br />
den Erfolg, den sie Kindern und Jugendlichen ermöglichen. Kompetenz gibt Sicherheit und<br />
erzeugt Vertrauen in die eigene Stärke. Mangelndes Kompetenzbewusstsein macht Angst<br />
vor Anforderungen. Kompetenzfördernder Unterricht kann damit auch ein Schlüssel zum Abbau<br />
von Schulangst sein.“ (Mattes, 2011, S. 10) Kompetenzorientierung und Nachhaltigkeit<br />
sind untrennbar miteinander verbunden. Im Hinblick auf Bildung bedeutsam ist der Erwerb<br />
einer Kompetenz erst dann, wenn die Lerner/innen auch außerhalb des schulischen Kontexts<br />
davon Gebrauch machen können (ebd., S. 18).<br />
Nachhaltigkeit sichern geht nicht im Gleichschritt – dieser Prozess setzt Differenzierung und<br />
Individualisierung voraus. Den Schülerinnen und Schülern muss Raum und Zeit für die Durchdringung<br />
des „Stoffs“ gegeben werden.<br />
Kopfübungen<br />
Zur Förderung von grundlegenden Kompetenzen können unter anderem sogenannte Kopfübungen<br />
3 dienen. Darunter werden rituelle Lerngelegenheiten für das Aktivbleiben von mathematischem<br />
Basiswissen verstanden. Diese Übungen enthalten in der Regel Aufgaben zu<br />
unterschiedlichen, nicht zum aktuellen Stoff gehörenden Verfahren, Begriffen und Zusammenhängen,<br />
die nachhaltig verfügbar sein sollen. Gleichzeitig soll auch die Selbsteinschätzung<br />
der Schüler/innen im Fokus stehen, die Aufgaben sollen die Lernenden zum Ausgleichen<br />
von individuellen Schwächen anregen. Durch regelmäßige Wiederholung von grundlegenden<br />
Wissensbausteinen wird dem Vergessen entgegengewirkt und ein langfristig verfügbares,<br />
solides mathematisches Wissens-Fundament aufgebaut, das wiederum Voraussetzung zur<br />
Lösung von anspruchsvollen Aufgaben ist.<br />
Bau- und Bausteinaufgaben<br />
Ebenso können Bauaufgaben und ihre Bausteinaufgaben als gute Möglichkeit zur Festigung<br />
von Grundkompetenzen herangezogen werden. „Bauaufgaben sind komplexe Aufgaben, die<br />
stark kompetenzorientiert sind, meist mehrere Handlungs- und Inhaltsdimensionen vereinen<br />
und dadurch vernetztes Denken nicht nur erfordern, sondern auch fördern. Sie haben Aktivierungspotenzial<br />
und machen die Schüler/innen neugierig […]. Sie haben oft auch produktive<br />
Anteile […] und können durch unterschiedliche Problemlösestrategien erschlossen<br />
werden. Zur Lösung sind meist Grundkompetenzen erforderlich, auch weiter zurückliegende<br />
Lerninhalte müssen wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Dadurch wird die langfristige<br />
Verfügbarkeit bereits erworbenen Wissens trainiert.“ (Mürwald-Scheifinger & Weber, 2011,<br />
S. 127). Bausteinaufgaben hingegen versuchen, möglichst nur eine Handlungs- und eine<br />
Inhaltsdimension zu verknüpfen. 4<br />
3 Detaillierte Beschreibungen und Anregungen zur Methode Kopfübungen finden sich im <strong>Praxishandbuch</strong><br />
für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> (BIFIE, 2011b), in den Heften der Reihe BasisMathematik<br />
(BMUKK, 2008) sowie im Abschnitt 6.2.1, S. 84.<br />
4 In der Praxis erprobte Bauaufgaben mit Bausteinaufgaben finden sich unter anderem in Exemplarische,<br />
beziehungsreiche Aufgaben (BMBWK, 2006, S. 57–75) und im <strong>Band</strong> Kompetenzorientierter<br />
Unterricht in Theorie und Praxis (BIFIE, 2011a, S. 127–130).
70 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
5.2.5 Nachhaltigkeit und Lernen<br />
Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften beeinflussen Schule und Unterricht immer stärker.<br />
Es ist bekannt, dass das Gehirn nur zwei Prozent des Körpergewichts wiegt, aber mehr<br />
als 20 Prozent der mit der Nahrung aufgenommenen Energie verbraucht. „Menschen ‚leisten<br />
sich‘ diesen Luxus, denn wie die Flügel des Albatros oder die Flossen des Wals für das Fliegen<br />
und das Schwimmen optimiert wurden, wurde das Gehirn durch die Evolution optimiert:<br />
für das Lernen. Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass die Evolution uns Menschen<br />
für die Schule optimiert hat.“ (Spitzer, 2010, S. 50) Lernen ist hier nicht gleichbedeutend mit<br />
Auswendiglernen, aus neurobiologischer Sicht wäre diese Ansicht sogar falsch. Ein wesentlicher<br />
Begriff im Zusammenhang mit Neurowissenschaften und Lernen ist jener der Neuroplastizität<br />
– Nervenzellen und ihre Verbindungen (Synapsen) verändern sich ständig durch<br />
ihre eigene Tätigkeit, die Veränderung der Stärke der Verbindungen zwischen Nervenzellen<br />
kann als Lernen bezeichnet werden; im Gehirn entstehen somit neuronale Repräsentationen.<br />
Seit vielen Jahrzehnten wird in der Psychologie der Begriff Gedächtnisspuren verwendet: Das<br />
Gedächtnis kann als die Summe der Spuren von vergangenen Erlebnissen, durch die die<br />
Synapsen in ihrer Stärke verändert wurden, bezeichnet werden. Daher sind Wiederholungen<br />
sehr gut für das Lernen, da „dann Impulse immer wieder über die entsprechenden Synapsen<br />
laufen und sich diese durch den wiederholten Gebrauch eben auch nachhaltig verändern“<br />
(ebd., S. 50–55).<br />
Wichtig dabei ist, dass sich sowohl Lernende als auch Lehrende Ziele setzen. Diese helfen,<br />
langfristig zu denken, zu handeln und Motivation und Ausdauer über einen längeren Zeitraum<br />
zu erhalten. Eine weitere wesentliche Komponente ist das Selbstvertrauen, denn wer an sich<br />
glaubt, ist sich auch seines Könnens bewusst (Binder, 2007, S. 13–15).<br />
Die im Folgenden vorgestellten Ideen können nachhaltiges Lernen unterstützen.<br />
Wer sich bewegt, kann besser denken!<br />
Bewegung in den Schulalltag einzubauen, ist kein schwieriges Unterfangen und bedeutet<br />
auch nicht, dass jede Mathematikstunde zu einer Turnstunde umfunktioniert werden soll.<br />
Mit einfach umsetzbaren methodischen Ideen wie dem Einsatz von Laufdiktaten, einem Orientierungslauf<br />
im Schulhaus bzw. im Schulgarten oder Bewegungsübungen zur Aktivierung<br />
von Körper und Geist wird auf jeden Fall Schwung in die Mathematikstunde gebracht. Diese<br />
Ideen wecken auch die letzten Lerner/innen, die sich eigentlich „zurückziehen“ wollten. Mit<br />
Methoden wie der Informationssuche mit Bewegung 5 können neue Inhalte erarbeitet werden<br />
oder – etwa mit einem Laufdiktat – länger zurückliegende Inhalte wieder hervorgeholt und so<br />
nachhaltig gefestigt werden. Auch die Methode Fliegenklatsche (vgl. S. 29) verbindet nachhaltige<br />
Festigung, Bewegung und Spaß.<br />
Wer sich langweilt, denkt nicht mit!<br />
„Wer die Einzelheiten richtig im Gedächtnis behalten will, sollte nicht bei den Einzelheiten<br />
beginnen. Ausgangspunkt sollten vielmehr die Kerngedanken sein, um die herum man die<br />
Einzelheiten hierarchisch anordnet“ (Medina, 2012, S. 91). Wird diese Überlegung mit Martin<br />
Wagenscheins Idee des „Verstehenden Lernens“ verknüpft, so entsteht eine motivationsfördernde<br />
lernseitige Unterrichtsphilosophie. Wagenschein möchte die Lernende/den Lernenden<br />
in ihrer/seiner Ganzheit und mit ihrer/seiner Neugier einbeziehen. Er versteht Bildung nicht<br />
5 Diese Methode wurde zum Thema Statistik auf der <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> erprobt, zu sehen auf der DVD<br />
Bildungsstandards Mathematik <strong>8.</strong> Unterrichtsvideos und Begleitmaterialien, die Multiplikatorinnen<br />
und Multiplikatoren in der Fortbildung zur Verfügung steht.
Nachhaltigkeit sichern 71<br />
als einen additiven Prozess, sondern beschreibt sein verstehendes Lernen so: Lernen muss<br />
nicht unbedingt immer von unten nach oben, vom Einfachen zum Komplizierten, vollzogen<br />
werden. Eine komplexe, die Spontanität herausfordernde Frage kann die Gedankenarbeit<br />
und das Interesse, daran zu arbeiten, weit mehr anregen (Wagenschein, 1992, S. 29–31).<br />
Für die Motivation der Schüler/innen sind Einzelheiten wichtig und notwendig, aber für das<br />
langfristige Behalten ist das Vordringen zu den Kerngedanken unumgänglich. Um Neues<br />
verarbeiten und die passenden Vernetzungen herstellen zu können, braucht es Verarbeitungszeit:<br />
Ein Abschnitt eines Inputs darf nur eine gewisse Zeit dauern (beispielsweise zehn<br />
Minuten – diese Zeitspanne ist auch vom Alter der Lernenden abhängig), soll vom Wesentlichen<br />
beherrscht werden und dieses sollte in einer Minute erklärt werden können. Nach dieser<br />
Zeitspanne muss ein „Haken“ gesetzt werden, da sonst die Aufmerksamkeit verloren geht.<br />
Dieser Haken ist ein emotional bedeutungsvoller Reiz, d. h., er muss ein Gefühl auslösen, für<br />
das Thema relevant sein, einen Rückblick geben oder einen neuen Akzent setzen; dies kann<br />
auch eine methodische Veränderung sein (vgl. Medina, 2012, S. 98–101). Werden Lernende<br />
emotional angeregt, so gelingt ihnen Lernen besser. Echte Motivation ist immer auch emotional<br />
besetzt (Wagenschein, 1992, S. 87), daher müssen Lehrer/innen neben der sachlichen<br />
Motivation auch für emotionale Anregungen sorgen. Dem fantasievollen und pädagogischen<br />
Geschick von Lehrpersonen sind hier keine Grenzen gesetzt. Aufgaben können diesem Anspruch<br />
gerecht werden, wenn ihr Aktivierungspotenzial überprüft wird.<br />
Wer aktuelles Feedback erhält, wird motiviert!<br />
Neben der motivierenden Abwechslung ist die unmittelbare Rückmeldung der größte Faktor<br />
für motivierendes Lernen. Darum sollten Aufgabenstellungen auch Möglichkeiten der<br />
Selbstkontrolle aufweisen. Mit entsprechenden Übungsprogrammen am Computer lassen<br />
sich derartige Erfolgserlebnisse leicht erreichen. Das Prinzip des Erfolgs ist der Grundstein<br />
für motivierendes Arbeiten. Die/der Lernende erlebt die Wirksamkeit und Fruchtbarkeit des<br />
eigenen Lernens, was zu Stolz und Selbstbewusstsein führt. Dies wird nicht nur durch die Erfolgsfeststellung<br />
durch die Lehrperson initiiert, sondern auch durch Möglichkeiten der Selbstkontrolle<br />
und Selbstevaluation.<br />
Mit Flow-Erlebnis Anker für Nachhaltigkeit setzen!<br />
Die diagnostische Kompetenz von Lehrenden ist gefragt, wenn Aufgaben und Methoden auf<br />
die kognitiven, emotionalen, motivationalen und sozialen Voraussetzungen der Lerngruppe<br />
abgestimmt werden. Lustlosigkeit, Ineffizienz und der Verlust von Anstrengungsbereitschaft<br />
werden oft durch Überforderung bzw. Unterforderung hervorgerufen.<br />
Als Flow-Erlebnis beschreibt Mihalyi Csikszentmihalyi ein häufig auch durch herausfordernde,<br />
schwierige Aktivitäten erzeugtes Hochgefühl, das einem „nahezu spontanen, mühelosen und<br />
zugleich extrem konzentrierten Bewusstseinszustand“ entspricht (Csikszentmihalyi, 1997,<br />
S. 162).<br />
Folgende Elemente werden einer Flow-Erfahrung zugeschrieben:<br />
<br />
klare, definierte Ziele<br />
<br />
unmittelbares Feedback für das eigene Handeln<br />
<br />
Aufgaben und Fähigkeiten sind im Gleichgewicht<br />
<br />
gezielte Aufmerksamkeit (Denken) auf das Handeln<br />
<br />
Ablenkungen werden kaum wahrgenommen<br />
<br />
keine Versagensängste, da ein Scheitern kaum möglich ist (ebd., S. 163–168)
72 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Anforderungen<br />
Überforderung<br />
Flow<br />
Unterforderung<br />
Fähigkeiten<br />
Abb. 3: Flow im Kontext von Anforderungen und Fähigkeiten<br />
Würde es im Unterricht gelingen, Flow-Erlebnisse zu vermitteln, bräuchte uns Nachhaltigkeit<br />
kein Kopfzerbrechen machen. Genau den Punkt zu treffen, der jede Lernende/jeden Lernenden<br />
individuell motiviert und zu Flow-Erlebnissen bringt, ist schwer möglich und wird auch<br />
nur manchmal gelingen. Trotzdem sollte es das Bestreben der Lehrpersonen sein, diese<br />
Punkte zu treffen. Das Geheimnis erfüllten Lernens ist es, Flow bei möglichst vielen Aktivitäten<br />
zu erleben, die man ohnehin durchführen muss.<br />
Elaboriertes Arbeiten<br />
Wer immer wieder denkend und vernetzend lernt und vor allem auch wiederholt und übt,<br />
dem werden die Inhalte nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Im Rahmen elaborierenden Arbeitens<br />
bestätigt sich die konstruktivistische Grundthese des Wissens immer wieder neu. Durch<br />
unterschiedliche Anwendungen wird Wissen neu vernetzt und mit altem Wissen verknüpft.<br />
Derart gestaltetes Lernen erhöht die Flexibilität des Denkens, vertieft das angehäufte Wissen,<br />
erleichtert den Transfer, verhilft zu kreativen Problemlösestrategien und fördert Selbststeuerung<br />
und Kreativität (Gudjons, 2005, S. 13). Sehr hilfreich sind dabei Strukturskizzen wie Mindmaps,<br />
Collagen oder Plakate, da durch Visualisierung ein reflexiver Prozess angeregt wird.<br />
Verwendung von Transferaufgaben<br />
Transferaufgaben geben Antwort auf die oft gestellte Frage „Wozu brauche ich das?“. Fertigkeiten<br />
und Wissen werden dann als nützlich begriffen, wenn sie zur Lösung von Problemstellungen<br />
beitragen. Eine weitere Voraussetzung für einen gelingenden Transfer ist ein durch<br />
mechanisches Üben hervorgebrachtes sachliches und prozedurales Wissen.<br />
Gage und Berliner (1996, S. 332) geben einige wichtige Tipps für gelingenden Transfer:<br />
<br />
Erst das Grundlegende sichern, dann den Transfer versuchen.<br />
<br />
Voraussetzendes Wissen sicherstellen (wenn etwa das Bruchzahlverständnis nicht vorhanden<br />
ist, können keine Brüche addiert werden).<br />
<br />
Die Lernenden kreieren selbst eine Transferaufgabe.<br />
<br />
Lösungswege laut denkend vortragen, im Plenum/in der Gruppe diskutieren.
Nachhaltigkeit sichern 73<br />
Da Mathematik nicht ohne Kommunikation auskommt und es eine eigene Fachsprache gibt,<br />
ist es unumgänglich, dass – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – Begriffe geklärt und korrekt<br />
verwendet werden.<br />
5.2.6 Nachhaltigkeit und Sprache<br />
„Jede Wissenschaft hat ihre eigene Art, Fragen zu stellen und Lösungen zu formulieren. Wer<br />
sich auskennt in einer Fachsprache und wer über die spezifischen Begriffe und Methoden<br />
verfügt, weiß sofort, was er zu tun hat, wenn er einem fachlichen Problem begegnet. Er kennt<br />
sich aus in den Hauptdimensionen seines Faches, weiß um die Schnellstraßen, die Fragen<br />
und Lösungen effizient miteinander verbinden, und pendelt ungehindert hin und her.“ (Ruf &<br />
Gallin, 2005, S. 21)<br />
In der Mathematik müssen verwendete Begriffe gut geklärt und klar definiert sein, da sie vor<br />
allem in den Kompetenzbereichen Interpretieren sowie Argumentieren und Begründen zu<br />
einer wesentlichen gemeinsamen Sprache und Ausdrucksweise gehören. Es muss zunächst<br />
gelingen, Situationen zu schaffen, in denen die Schüler/innen auf natürliche Art dazu angehalten<br />
werden, sich zu verständigen. Es liegt nahe, sich auszutauschen und Sachprobleme<br />
in gemeinsamer Arbeit anzugehen. Ein solches Verhalten wird als befriedigend und lohnend<br />
erlebt. Dazu ist eine Unterrichtskultur Voraussetzung, die Verständigungs- und Kooperationsbereitschaft<br />
als selbstverständliche Verhaltensorientierung umfasst. Heymann (1996,<br />
S. 140) beschreibt Mathematik als Kommunikationsmedium und als eine Erscheinungsform<br />
des Alltagslebens.<br />
Die Entschlüsselung mathematischer Botschaften (z. B. Tabellen, grafische Darstellungen)<br />
setzt ein gewisses mathematisches Grundwissen und eine Einübung im Umgang mit mathematischer<br />
Fachsprache voraus, sodass auch das Problem der Verständigung zwischen<br />
Expertinnen und Experten sowie Laien entschärft werden kann – wobei hier als Expertinnen<br />
und Experten auch bereits wissende bzw. verstehende Schüler/innen im Dialog mit ihren<br />
Mitschülerinnen und Mitschülern gelten.<br />
Um eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, braucht es eindeutige und klar definierte Begriffe.<br />
Dies ist besonders dann unumgänglich, wenn die Begriffe in der Mathematik eine<br />
andere Bedeutung haben als in der Alltagssprache (z. B. Punkt, Strecke, Wurzel, kürzen,<br />
abrunden etc.). Die Klärungen sollten in einer kommunikativen Auseinandersetzung erfolgen<br />
und nicht durch die Vorgabe eines Merksatzes o. Ä., der auswendig zu lernen ist. Es ist auch<br />
darauf zu achten, dass die Erklärungen stets korrekt sind, vor allem im Hinblick auf die Verwendung<br />
des Begriffs auf einer höheren <strong>Schulstufe</strong>. Das schließt nicht aus, dass Erklärungen<br />
einen Bezug zum Alltag haben können oder lustig (z. B. „Eselsbrücken“) sind. Die korrekte<br />
Begriffsklärung darf aber auch von Seiten der Lehrer/innen nicht unterschätzt werden. Durch<br />
die eigene Schulbiografie und Ausbildung bedingt, werden Begriffe manchmal unreflektiert<br />
verwendet, eine korrekte Begriffsdefinition ad hoc oder eine korrekte schülergerechte Erklärung<br />
sind manchmal nicht möglich. Hilfreich bei der Arbeit mit Fachbegriffen, sowohl für<br />
Lernende als auch für Lehrende, sind ein Mathematik-Vokalbelheft oder Karteikarten.<br />
Je besser die mathematischen Begriffe verstanden und beherrscht werden, umso besser<br />
gelingen auch mathematische Aussagen/Argumente. Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen:<br />
<br />
Es stimmt, dass 1 + 2 = 3.<br />
<br />
Die Lösung der Gleichung x 2 = 2 ist für x aus Q die leere Menge.<br />
<br />
Kommt bei einer Bruchgleichung die Unbekannte im Nenner vor, dann muss die Grundmenge<br />
G zur Definitionsmenge D verkleinert werden.
74 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Es gibt viele Möglichkeiten, die mathematische Fachsprache bewusst in den Unterricht einzubauen.<br />
Im folgenden Beispiel soll ein verbal dargestellter Sachverhalt dem entsprechend<br />
mathematisch dargestellten Sachverhalt zugeordnet werden. Dies verlangt von den Schülerinnen<br />
und Schülern eine fundierte Kenntnis der Fachbegriffe.<br />
Aufgabe:<br />
Welche in einem Satz beschriebene Aufgabe gehört zu welcher Rechnung? Verbinde.<br />
Vermehre die Summe der Zahlen 28 und<br />
7 um den Quotienten dieser Zahlen.<br />
7 · 8 + 28 =<br />
Addiere 28 zum Produkt aus 7 und <strong>8.</strong> (28 : 7) · 2 =<br />
Verdopple den Quotienten aus 28 und 7. 7 + 28 · 8 =<br />
Addiere zu 7 das Produkt aus 28 und <strong>8.</strong> (28 + 7) + (28 : 7) =<br />
Eine weitere Möglichkeit, den Fokus auf die Begriffsdefinition zu legen, stellt die Verwendung<br />
von Lückentexten dar.<br />
Aufgabe:<br />
Setze die Wörter an der richtigen Stelle ein: Dezimalzahl, Division, gemischte Zahl,<br />
Bruchstrich.<br />
Bruchzahlen können verschieden dargestellt werden. 7 : 8 ist als ______________<br />
dargestellt, 7 – 8<br />
mit einem ______________, 3 1 – 2<br />
als ____________________ und 3,5 als<br />
_________________.<br />
Kommentar:<br />
Innere Differenzierung lässt sich bei Aufgaben dieser Art leicht durchführen – leistungsstärkere<br />
Schüler/innen erhalten keine Schlüsselwörter.<br />
Ebenso ist bei der Auswahl oder der Erstellung von Aufgaben für die Schüler/innen auf die<br />
Sprache zu achten, zumal die Förderung der Lesekompetenz auch Aufgabe des Mathematikunterrichts<br />
ist. Der Text sollte verständlich und altersgerecht sein, wobei unter anderem<br />
auf Satzlänge (kurz und präzise, keine Schachtelsätze), auf fachliche Richtigkeit und auf die<br />
optimale Anordnung von Text und Bild zu achten ist.<br />
Wenn auf der 5. <strong>Schulstufe</strong> „große Zahlen“ durchgenommen werden, so gibt es kaum eine<br />
Lernende/einen Lernenden, der ihre/seine Lehrperson nicht „testen“ möchte, ob sie denn<br />
auch weiß, wie ganz große Zahlen ausgesprochen werden. Aber auch das eigenständige<br />
Hantieren mit diesen Zahlen macht den Lernenden große Freude. Wenn die Aufgabe für die<br />
Schüler/innen motivierend ist, so ist ein längerer Text für sie in der Regel kein Problem.
Nachhaltigkeit sichern 75<br />
Aufgabe:<br />
Ein Gruß: Ich schicke dir vierundzwanzig Trillionen achthundertdreißig Billiarden neunhundertzweiunddreißig<br />
Billionen fünfundfünfzig Milliarden dreihundertzwanzig Millionen<br />
siebenhundertachtundneunzig Tausend und fünf Grüße. Schreibe diese Zahl von<br />
Grüßen in Ziffernschreibweise an.<br />
Auch viele Knobelaufgaben und mathematische Rätsel setzen eine gewisse Fachsprachenkompetenz<br />
voraus, sie sind motivierend und bringen die Schüler/innen dazu, zu kombinieren,<br />
zu argumentieren, zu interpretieren und zu rechnen.<br />
Aufgabe:<br />
Ein Geschäftsmann, dessen Büro vier Telefonnummern hatte, entdeckte an diesen<br />
zufällig folgende Eigentümlichkeiten. In keiner kam eine Ziffer zweimal vor, jede hatte<br />
10 als Ziffernsumme und jede ergab eine Zahl mit gleichen Ziffern, wenn man ihre<br />
Umkehrung (gleiche Zahl mit verkehrter Ziffernreihe) dazu addierte.<br />
Er teilte diese Entdeckung seinem Freund mit, den es reizte, aus diesen Andeutungen<br />
die vier Telefonnummern zu ermitteln.<br />
Wie lauten die Nummern, wenn berücksichtigt wird, dass im Telefonbuch dieser Stadt<br />
die Nummern zwischen 20 000 und 90 000 liegen?<br />
Lösung: 30241, 34201, 41230, 43210<br />
(nach Degrazia, 2008, S. 70–71)<br />
Rätsel gibt es zu allen mathematischen Inhalten der Sekundarstufe I. Sehr oft beinhalten<br />
sie nicht nur Aktivierungspotenzial für logisches Denken, sondern sind auch hervorragende<br />
Übungen für die fachgemäße Verwendung von Fachsprache und die „Übersetzung“ von Texten<br />
in die mathematische Fachsprache.<br />
Schüler/innen müssen über eine gewisse „Übersetzungskompetenz“ verfügen, da es in der<br />
Mathematik viele Texte mit Alltagswörtern gibt, die in eine mathematische Form (Rechnung,<br />
Gleichung, Diagramm, Graph usw.) zu bringen sind. Viele Begriffe werden bereits in der<br />
Volksschule erarbeitet und zugrunde gelegt. Sie bilden die Basis für die Weiterarbeit auf der<br />
Sekundarstufe I und auch auf der Sekundarstufe II. Daher müssen Vorstellungen und Modelle<br />
von Anfang an korrekt sein. Anschließend werden zwei Beispiele zur Illustration herausgegriffen.<br />
Erweiterung der Zahlenmengen (von den natürlichen Zahlen zu den<br />
ganzen Zahlen)<br />
Über die Entstehung der negativen Zahlen ist historisch nichts bekannt. Sie wurden eigentlich<br />
nur als nützliche Werkzeuge beispielsweise beim Lösen von Gleichungen verwendet und<br />
verschwanden wieder bei der Angabe einer positiven Lösung. Den bekannten Zahlen wurden<br />
positive und negative Vorzeichen gegeben, um eine Gegensätzlichkeit auszudrücken<br />
(Guthaben – Schuld, Temperatur über und unter dem Gefrierpunkt …). Die negativen Zahlen
76 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
konnten nicht als Quantitäten gedacht werden und wurden daher nicht als Zahlen anerkannt,<br />
denn sie waren ja „weniger als nichts“ (vgl. Leibniz). Erst im 19. Jahrhundert wurden die negativen<br />
Zahlen axiomatisch grundgelegt und allein durch ihre Rechengesetze charakterisiert.<br />
Die geschichtliche Entwicklung zeigt, dass bei der Einführung der negativen Zahlen eine Erklärung<br />
mithilfe eines Zusatzbegriffs ein wesentlicher Schritt im Lernprozess ist, weil er einer<br />
alltagstauglichen Auffassung der negativen Zahlen entspricht (negative Zahlen als positive<br />
Zahlen mit einer zusätzlichen Deutung) (Malle, 2007b, S. 8).<br />
Die Schüler/innen kennen negative Zahlen – beispielsweise als Markierungen auf Skalen<br />
(Temperaturskala …) – und sie können auch einfache Aufgaben lösen, bei denen, von einem<br />
Zustand ausgehend, bei gegebener Veränderung der Endzustand berechnet wird. Die Vorzeichen<br />
„+“ und „-“ werden erarbeitet und können anschließend in vielen Situationen interpretiert<br />
werden: vor und nach Christus, Schulden oder Guthaben usw.<br />
Doch bei der Ordnung der negativen Zahlen können sich etliche Fragen auftun: Was ist kleiner:<br />
-4 oder -2? Wird das negative Vorzeichen als Schuld interpretiert, so wäre -4 > -2, denn<br />
4 € Schulden sind mehr als 2 € Schulden. Denkt man an die Zahlengerade, dann wird -4 < -2<br />
nahegelegt, denn -4 liegt links von -2. Welche Interpretation ist nun also richtig? Grundsätzlich<br />
sind beide Interpretationen richtig, aber die fortlaufende Anordnung der ganzen Zahlen<br />
wurde festgelegt, da sie sich als zweckmäßig erwiesen hat. Wird von einer Ungleichung (z. B.<br />
6 < 8) ausgegangen und auf beiden Seiten mehrmals 5 abgezogen, so erhält man 1 < 3 und<br />
schließlich -4 < -2 (Permanenzprinzip).<br />
Eine weitere Problematik tut sich bei der Addition und Subtraktion von ganzen Zahlen auf:<br />
(+4) + (-7) = (-3). Jeder „vernünftige“ Mensch würde 4 – 7 = -3 schreiben. Warum sollte<br />
man das so kompliziert schreiben, wo doch der Widerstand gegen die Klammernschreibweise<br />
groß ist? Der Sinn dieser Schreibweise liegt aber darin, die Rechenoperationen von<br />
den natürlichen Zahlen auf die ganzen Zahlen auszudehnen. Im oben angeführten Beispiel<br />
(+4) + (-7) = (-3) geht es um eine Addition zweier ganzer Zahlen, während die verkürzte<br />
Schreibweise eine Subtraktion darstellt. Bei Addition und Subtraktion ganzer Zahlen muss<br />
somit zwischen Vorzeichen und Rechenzeichen unterschieden werden (Malle, 2007a,<br />
S. 54–55).<br />
Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Begriffsbildung und der Durchdringung von Begriffen<br />
große Bedeutung zukommt. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass pauschal<br />
getätigte Aussagen wie „Man kann nur eine kleine von einer großen Zahl wegzählen“ mathematisch<br />
gesehen gefährlich werden können. Hier sei nochmals vermerkt, wie wichtig es ist,<br />
ein Mitdenken und echtes Verstehen (vor allem auch durch genügend Zeit) zu ermöglichen,<br />
und welchen Wert pädagogische Diagnostik bei der Erstellung von Aufgaben und vor allem<br />
bei der Auswahl und Beschreibung der Lösungswege von Schülerinnen und Schülern hat.<br />
Der Funktionsbegriff<br />
Bereits in der Volksschule wird der Funktionsbegriff zugrunde gelegt. Dies geschieht unter<br />
anderem, wenn im Rahmen von Sachaufgaben beim Schlussrechnen von einer Einheit auf<br />
eine Mehrheit, von einer Mehrheit auf die Einheit oder von einer Mehrheit auf eine andere<br />
Mehrheit geschlossen wird (z. B.: Ein Kilogramm Äpfel kostet 2 Euro. Wie viel Euro kosten<br />
4 kg?). Dabei wird die Annahme getroffen, dass sich Menge und Preis immer im selben Verhältnis<br />
vermehren bzw. verringern, Preisnachlässe werden nicht berücksichtigt.<br />
Im Mathematikunterricht auf der 5. und 6. <strong>Schulstufe</strong> ist das Kapitel der direkten und indirekten<br />
Proportionalität ebenfalls prominent vertreten. Beide Begriffe müssen hier definiert<br />
und gut reflektiert werden, denn die Pauschalaussage „je mehr …, desto mehr …“ bzw. „je
Nachhaltigkeit sichern 77<br />
weniger …, desto weniger …“ ist nicht zulässig. Korrekt wäre beispielsweise die Aussage für<br />
die direkte Proportionalität, dass zwei Größen zueinander direkt proportional sind, wenn dem<br />
Doppelten (Dreifachen, Vierfachen …) der einen Größe das Doppelte (Dreifache, Vierfache …)<br />
der anderen Größe entspricht. Ebenso verhält es sich mit dem Proportionalitätsfaktor k. Bei<br />
zwei direkt proportionalen Größen ist der Quotient der einzelnen Wertepaare gleich groß. Der<br />
Wert dieses Quotienten wird mit k bezeichnet. Bei der indirekten Proportionalität entspricht<br />
dann dem n-ten Teil der einen Größe das n-Fache der anderen Größe und für die Zahlenpaare<br />
(x I y) einer indirekten Proportionalität gilt, dass x · y = k.<br />
Diese klare Definition spiegelt sich auch in der Schreibweise solcher und ähnlicher Aufgaben<br />
wider. Stark verankert, weil traditionell eingeführt und weitergegeben, wurden (und werden)<br />
Proportionalitätsaufgaben in folgender oder ähnlicher Schreibweise gelehrt:<br />
3 kg ... 15,00 €<br />
7 kg ... x (?) €<br />
Danach wird mit Pfeildarstellungen gearbeitet, die den Lernenden nach einer Art Kochrezept<br />
die Berechnung vorgeben. Schnell sind diese Darstellungen „gelernt“, hinterfragt werden sie<br />
kaum mehr; Schüler/innen wissen, wie sie tun sollen, sie wissen aber nicht (mehr), was sie<br />
eigentlich tun.<br />
Die Schreibweise in Tabellenform begründet sich dadurch, dass die Proportionalität einen<br />
funktionalen Zusammenhang darstellt und somit auch gleich als solche gelehrt werden soll.<br />
Es hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Aufgabentyp Schlussrechnung<br />
in seinem Kern als Funktion verstanden wird (Vollrath & Weigand, 2007, S. 170). Eine<br />
Einführung unter diesem Gesichtspunkt ist auch in der Volksschule möglich, da die Schreibweise<br />
in Tabellenform schlussendlich auch ein Mechanismus ist, der erlernt wird. Die weitere<br />
Begründung liegt darin, dass die Anschlussfähigkeit zu Funktionen durch eine von Anfang an<br />
fachlich richtige Schreibweise erleichtert wird.<br />
kg €<br />
3 15,00<br />
7 ?<br />
Wie Kompetenzaufbau im Inhaltsbereich Funktionale Abhängigkeiten langfristig gestaltet werden<br />
kann, wird im <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> (BIFIE, 2011b, S. 63–69)<br />
erläutert.<br />
Auf der 7. <strong>Schulstufe</strong> kehrt dieser Inhalt bei der Berechnung von Proportionen wieder, um<br />
dann auf der <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> erneut in Form von linearen Gleichungen und Gleichungssystemen<br />
mit zwei Variablen aufgegriffen und vertieft bzw. erweitert zu werden. Aber nur, wenn der<br />
Funktionsbegriff tatsächlich gefestigt ist, können diese Inhalte durchdrungen werden.<br />
Gerade beim grafischen Lösen linearer Gleichungen spielt der Proportionalitätsfaktor k eine<br />
wesentliche Rolle. Es ist zu wenig, zu wissen, dass „k beim Zeichnen jener Wert ist, der angibt,<br />
nachdem d auf der y-Achse aufgetragen und man eine Einheit nach rechts gegangen<br />
ist, wie viele Einheiten hinauf (wenn positiv) oder hinunter (wenn negativ) zu gehen sind“.<br />
Vertieft werden können dann die verschiedenen Lösungsfälle von linearen Gleichungssystemen,<br />
wenn die Bedeutung von k bewusst gemacht wurde (eine Lösung, keine Lösung, unendlich<br />
viele Lösungen). Hier eignet sich auch die Verwendung von Computerprogrammen,<br />
um den Zeitaufwand beim grafischen Lösungsverfahren zu reduzieren – hier kommt es nicht<br />
auf die Kompetenzen des korrekten Konstruierens an, sondern auf die Interpretation.
78 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Ebenso ist die Interpretation von Funktionsgraphen in diesem Zusammenhang zu nennen:<br />
Aufgabe:<br />
Welche Informationen gibt die Zeichnung?<br />
Preis in €<br />
Menge in kg<br />
Lösungsmöglichkeiten: „Menge und Preis sind direkt proportional“, „Es gibt keinen<br />
Mengenrabatt“ ...<br />
Aufgabe:<br />
Die Behälter werden so mit Wasser gefüllt, dass in jeder Sekunde gleich viel Wasser<br />
hineinläuft. Die Funktionsgraphen geben die Füllhöhe (h) in Abhängigkeit von der Zeit<br />
(t) an. Welches Diagramm passt zu welchem Behälter?<br />
h<br />
1<br />
h<br />
2<br />
h<br />
3<br />
t<br />
t<br />
t<br />
h<br />
4<br />
h<br />
5<br />
h<br />
6<br />
t<br />
t<br />
t
Nachhaltigkeit sichern 79<br />
Mathematisches Vokabelheft, individuelle Formelsammlung, Merkheft<br />
Mit den genannten Inhalten soll beispielhaft angeführt werden, wie unterschiedlich die Verwendung<br />
und Einübung der mathematischen Fachsprache vermittelt werden kann. Zum<br />
Abschluss dieses kurzen Anrisses zum Thema Fachsprache sollen das oft verwendete „mathematische<br />
Vokabelheft“, die individuelle Formelsammlung bzw. das individuelle Merkheft<br />
angeführt werden. Oftmals werden hier stark verkürzt und aus dem Kontext herausgenommene<br />
Algorithmen niedergeschrieben, auswendig gelernt und als rein mechanische Abarbeitung<br />
im Gedächtnis fixiert.<br />
Für das flexible Anwenden in variablen Situationen ist aber nicht der Automatismus notwendig,<br />
sondern vor allem die Fähigkeit zur Umsetzung des Algorithmus in einen anderen<br />
Kontext. Dies kann beispielsweise durch folgende Art von Merkheft/Formelsammlung/Vokabelheft<br />
unterstützt werden:<br />
Text<br />
mathematische<br />
Darstellung<br />
Rechenbefehl in<br />
Worten<br />
Darstellung mit<br />
Variablen<br />
anders ausgedrückt<br />
die Hälfte (von) : 2 Dividiere durch 2. x : 2 oder x__<br />
2 halbieren<br />
vermindere<br />
um 4<br />
– 4 Subtrahiere 4. x – 4 abziehen<br />
drei Prozent<br />
von<br />
Endpreis nach<br />
Gewährung von<br />
20 % Rabatt<br />
andere Denkstrategie<br />
für<br />
20 % Rabatt<br />
3 % von<br />
– 20 %<br />
– 20 %<br />
Berechne den<br />
Wert von 3/100<br />
des Gesamten.<br />
_____ x · 3<br />
drei Hundertstel<br />
100 von<br />
Gesamt<br />
Berechne den (x) – _____ x · 20 Zuerst werden<br />
100 20 % vom<br />
Wert von 20/100<br />
Gesamtwert<br />
des Gesamten und oder<br />
berechnet<br />
subtrahiere diesen<br />
vom Gesamten. <br />
Gesamt (x) _____<br />
und dann von<br />
· 80<br />
100 diesem abgezogen.<br />
Wenn vom Gesamtwert<br />
20 % abgezogen<br />
werden,<br />
bleiben von 100 %<br />
dann 80 % übrig.<br />
Gesamt<br />
(x) · 0,8<br />
100 % – 20 %<br />
sind 80 %,<br />
also werden<br />
diese gleich<br />
berechnet.<br />
5.2.7 Resümee<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unterschiedliche, vielfältige Unterrichts- und<br />
Bearbeitungsmethoden zu einem nachhaltigen Lernen und Behalten führen. Der Unterricht<br />
muss Kompetenzorientierung fokussieren; die Erkenntnisse der Neurowissenschaften sollten<br />
Einfluss auf die Gestaltung von Unterricht haben.
80 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Literatur<br />
Aachener Stiftung Kathy Beys (Hrsg.) (2012). Lexikon der Nachhaltigkeit. Definition Nachhaltigkeit.<br />
Verfügbar unter http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/definitionen_1382.htm<br />
[27.09.2012].<br />
Barzel, B., Holzäpfel, L., Leuders, T. et al. (2011). Mathematik unterrichten: Planen, durchführen,<br />
reflektieren. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Beer, R. & Benischek, I. (2011). Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens. In<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.). Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis. Graz: Leykam.<br />
S. 5–2<strong>8.</strong> Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/351 [27.09.2012].<br />
Binder, P. (2007). Kopftraining. So bringen Sie Ihr Gehirn in Schwung. Leoben: Kneipp.<br />
Bruner, J. (1974). Entwurf einer Unterrichtstheorie. Berlin: Berlin-Verlag.<br />
Brüning, L. & Saum, T. (2009). Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen. Strategien<br />
zur Schüleraktivierung. Essen: NDS.<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011a). Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis. Graz:<br />
Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/351 [2<strong>8.</strong>09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011b). <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. 2., überarbeitete<br />
Auflage. Graz: Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/315 [2<strong>8.</strong>09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011c). <strong>Praxishandbuch</strong> Mathematik AHS Oberstufe. Auf dem Weg<br />
zur standardisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung. Graz: Leykam. Verfügbar unter<br />
https://www.bifie.at/node/1354 [27.09.2012].<br />
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK) (Hrsg.) (2006). Exemplarische,<br />
beziehungsreiche Aufgaben. Erweiterung des Aufgabenpools zur Version 3.0 der<br />
Bildungsstandards für Mathematik am Ende der <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. Wien. Verfügbar unter http://<br />
www.gemeinsamlernen.at/siteVerwaltung/mOBibliothek/Bibliothek/Broschuere_M8_Aufgaben_Februar_2006.pdf<br />
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Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (Hrsg.) (2007/08). MathematikMethoden.<br />
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Intelligentes Üben 83<br />
6 Intelligentes Üben<br />
„Übungen, unter immer wieder neuen Gesichtspunkten, an immer wieder neuem Material,<br />
in immer wieder neuen Zusammenhängen, anderen Anwendungen,<br />
als immer wieder neue, größere Aufgaben – darin steckt das Geheimnis des Übens!“<br />
(Heinrich Roth)<br />
Elisabeth Fuchs<br />
Lebenslanges Lernen bedeutet, ein Leben lang selbstständig zu lernen. Dabei wird Lernen<br />
zu einem selbstverständlichen und unablässigen Teil persönlicher Lebensgestaltung. In der<br />
Schule als einem Ort der Begegnung mit Lernen soll der Kompetenzerwerb bei den Schülerinnen<br />
und Schülern möglichst früh einsetzen und als lebenslanger Prozess verstanden<br />
werden. Für neue Konzepte offen sein, neue Kompetenzen erwerben, neue Situationen einschätzen<br />
können, mit Unerwartetem fertig werden – all dies sind wichtige Aspekte, die den<br />
Weg eines Menschen wesentlich bestimmen können. Grundlagen, diesen Lernweg gut bewältigen<br />
zu können, sind ein gut verankertes Grundwissen und -können, ein sicheres Umgehen<br />
mit Routinen, die Herstellung von Alltagsbezügen sowie die Planung und motivierte<br />
Durchführung des eigenen Lernens. Dem Wiederholen und Üben wird dabei eine besondere<br />
Bedeutung beigemessen.<br />
6.1 Warum üben?<br />
Nachhaltiges Lernen verlangt, dem Vergessen vorzubeugen. Die Geschwindigkeit, mit der<br />
wir vergessen, hängt von vielen Faktoren ab. Das Alter der Person und körperliche Faktoren<br />
wie Gesundheit, Schlaf, Stress und Nervosität beeinflussen den Prozess des Behaltens<br />
ebenso wie die Schwierigkeit des Lernstoffs. Näherungsweise kann gesagt werden, dass<br />
Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten langsam vergessen werden (ca. 5 % nach 30 Tagen),<br />
Gedichte etwas schneller (ca. 45 % nach 30 Tagen) und sinnlose Silben sehr schnell (mehr<br />
als 75 % nach 5 Tagen).<br />
100 %<br />
80 %<br />
60 %<br />
40 %<br />
20 %<br />
A = Prinzipien und<br />
Gesetzmäßigkeiten<br />
B = Gedichte<br />
C = Prosatexte<br />
D = sinnlose Silben<br />
nach: 5 10 15 20 25 30 Tagen<br />
Abb. 1: Vergessenskurven (nach Michel & Novak, 1990)<br />
Das bedeutet, je klarer, strukturierter, logischer und schlüssiger die Inhalte den Schülerinnen<br />
und Schülern dargeboten werden, desto günstiger ist es für den Prozess des Behaltens. Für<br />
neu gelernte Inhalte ist ein regelmäßiges Wiederholen unumgänglich. Man kann davon ausgehen,<br />
dass kurze Wiederholungsphasen nach immer längeren Zeitintervallen effizienter sind<br />
als kurzfristiges überhäuftes Lernen, wie es vor Schularbeiten häufig Praxis ist. Die optimalen<br />
Abstände für Wiederholungen richten sich nach der lernenden Person und dem Inhalt. Die<br />
Erfahrung zeigt, dass es günstig ist, neu Gelerntes am Nachmittag bzw. Abend des gleichen<br />
Tags, spätestens aber innerhalb von zwei Tagen das erste Mal und nach zwei bis drei Tagen<br />
ein zweites Mal zu wiederholen. In weiterer Folge können die zeitlichen Abstände größer<br />
werden – etwa zweimal, dann einmal pro Woche und schließlich in größeren Intervallen. Auch<br />
das Wiederholen von neu Gelerntem und das Reflektieren neuartiger Zusammenhänge in<br />
der Zeit unmittelbar vor dem Schlafengehen wird von Schülerinnen und Schülern als effektiv<br />
rückgemeldet. Letztendlich muss jede/jeder für sich selbst herausfinden, wann die beste<br />
Lernzeit ist und mit welchen Intervallen sie/er am besten zurecht kommt.
84 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Neben dem wiederholten Bewusstmachen und mehrfachen Wiederholen nach der Informationsaufnahme<br />
ist ein sinnvolles, quantitativ ausreichendes Üben notwendig. In der Folge<br />
sollen den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten zum Anwenden des neu Gelernten<br />
geboten werden. Dabei können sie ihre Fertigkeiten vervollkommnen und einen Transfer in<br />
neuartige Situationen wagen. Erst damit kann der neue Inhalt nachhaltig in das bestehende<br />
Wissensnetz integriert werden.<br />
6.2 Wozu üben?<br />
6.2.1 Routine für den Alltag<br />
Bildungsstandards verlangen die nachhaltige Sicherung von Grundkompetenzen. Wenn dafür<br />
nicht regelmäßig geübt wird, ist nach ein paar Wochen schon wieder vieles vergessen.<br />
Dem Üben und Wiederholen von Basisfertigkeiten sollte dabei ein hoher Stellenwert beigemessen<br />
werden. Dazu gehören z. B. Kopfrechenfertigkeiten, Runden, Überschlagsrechnungen,<br />
Rechnen mit Zehnerpotenzen, Verständnis für Maßeinheiten und Umwandlungsfaktoren,<br />
einfaches Rechnen mit Prozenten, verschiedene Darstellungsformen von Bruchteilen,<br />
Verstehen einfacher Terme, Winkel messen, Skizzen von ebenen Figuren und einfachen Körpern<br />
erstellen usw. Eigenständige Übungsformen zum Wachhalten und Wiederholen von<br />
Basiswissen sind nach Regina Bruder der „Mathematikführerschein“ und die sogenannten<br />
„Kopfübungen“ (Bruder, 2008, S. 5).<br />
Trotz Taschenrechner und Computer gehört ein schnelles und sicheres Rechnen mit einfachen<br />
Zahlen im Kopf zum für den Alltag unverzichtbaren Grundkönnen. Das folgende Beispiel<br />
für einen Mathematikführerschein soll dabei als Übungsanregung dienen:<br />
Kopfrechentest (<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>)<br />
Für die folgenden Aufgaben hast du 4 Minuten Zeit.<br />
1. 5 + 7 = 11. 18 + 17 = 21. 600 – 420 =<br />
2. 13 – 8 = 12. 27 : 9 = 22. 30 · 6 =<br />
3. 2 · 87 = 13. 560 : 2 = 23. 41 – 50 =<br />
4. 160 : 40 = 14. 19 + 32 = 24. 16 + 19 =<br />
5. 21 · 6 = 15. 44 – 7 = 25. 15 · (-4) =<br />
6. 47 – 14 = 16. 120 + 350 = 26. (-52) + (-14) =<br />
7. 11 · 0 = 17. 35 : 5 = 27. 42 : 7 =<br />
<strong>8.</strong> 1 – 4 = 1<strong>8.</strong> 12 · 10 = 2<strong>8.</strong> 61 + (-25) =<br />
9. 15 · (-3) = 19. 96 : 6 = 29. 450 : 9 =<br />
10. 39 : 3 = 20. 37 + 55 = 30. 76 – 18 =<br />
Anzahl richtiger Lösungen:<br />
Kopfrechenführerscheinprüfung bestanden: ja / nein<br />
Datum:<br />
Unterschrift:<br />
(nach Bruder, 2008)
Intelligentes Üben 85<br />
Ein Einsatz des Kopfrechentests erscheint ab der 7. <strong>Schulstufe</strong> sinnvoll; der Test könnte<br />
zu Beginn der <strong>8.</strong> und 9. <strong>Schulstufe</strong> wiederholt werden und nach der Beurteilung jeweils als<br />
„Zertifikat“ ausgeteilt werden. Bei Nichterreichen der erwünschten Leistung macht es Sinn,<br />
ein Übungsangebot zu erstellen und den Test zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen.<br />
Es genügt, wenn z. B. einmal wöchentlich in nicht mehr als 10 Minuten „vermischte“ Kopfübungen<br />
als rituelle Lerngelegenheiten stattfinden. Den Schülerinnen und Schülern werden<br />
die Aufgaben über Beamer, Overhead oder auch nur mündlich dargeboten. Die Beispiele<br />
werden unabhängig vom aktuellen Lernstoff oder einer konkreten Anwendungssituation zusammengestellt.<br />
Für diagnostische Zwecke ist es sinnvoll, die Aufgaben über einen längeren<br />
Zeitraum (etwa 10 Wochen) aus gleichbleibenden Themenbereichen zu wählen (vgl. BIFIE,<br />
2011b, S. 73 und S. 104–105).<br />
Das folgende Beispiel wurde der Online-Plattform der Arbeitsgruppe Fachdidaktik der<br />
Mathematik der TU Darmstadt (o. J.) entnommen:<br />
Beispiel für eine Kopfübung (einsetzbar ab der 7. <strong>Schulstufe</strong>)<br />
1. Zeichne den dritten Teil (ein Drittel) des Kreises mit Farbe ein.<br />
2. Welche Diagramm-Möglichkeiten kennst du, um dir einen Sachverhalt zu veranschaulichen?<br />
Gib mindestens zwei verschiedene Diagrammdarstellungen an.<br />
3. (799 – 79) : 12 =<br />
4. Zeichne einen Winkel von 34°.<br />
5. Welchen Umfang hat ein Rechteck mit Seitenlängen von 4 cm und 7 cm?<br />
6. Skizziere einen Quader im Schrägriss.<br />
7. 4,517 t = ? kg<br />
<strong>8.</strong> Gib jeweils ein Beispiel für eine punkt-, achsen- und drehsymmetrische Figur.<br />
9. Ist 234 589 durch 9 teilbar?<br />
10. Gib die ersten 10 Primzahlen an.<br />
11. Berechne 2__ : 2__<br />
5 3 =<br />
12. Zwei Schüler/innen einer Klasse haben beim letzten Test einen Einser geschrieben,<br />
drei Schüler/innen einen Zweier und 1__ der Schüler/innen der Klasse einen<br />
3<br />
Dreier. Neun Schüler/innen haben ein „Genügend“ oder ein „Nicht genügend“ bekommen.<br />
Wie viele Schüler/innen gehen in diese Klasse?
86 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Lösungsvorschlag:<br />
1.<br />
Ein Drittel<br />
2. Diagramme zum Veranschaulichen sind: Kreisdiagramm, Balkendiagramm, Säulendiagramm<br />
3. (799 – 79) : 12 = 720 : 12 = 60<br />
4.<br />
34°<br />
5. Umfang = 2 · 4 cm + 2 · 7 cm = 22 cm<br />
6.<br />
h<br />
b<br />
a<br />
7. 4,517 t = 4 517 kg<br />
<strong>8.</strong> Symmetrien:<br />
Punktsymmetrie Achsensymmetrie Drehsymmetrie<br />
9. Nein, 234 589 ist nicht durch 9 teilbar, da die Quersumme nicht durch 9 teilbar ist.<br />
10. Die ersten 10 Primzahlen sind: 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29<br />
11. 3__<br />
5 <br />
12. (2 + 3 + 9) = 14; 14 Schüler/innen haben die Note 1, 2, 4 oder 5 geschrieben, das<br />
entspricht zwei Drittel. Ein Drittel entspricht daher einer Zahl von 7 Schülerinnen<br />
und Schülern. Die Klassenschülerzahl beträgt 21.
Intelligentes Üben 87<br />
Durch „Kopfgeometrie“ können die Entwicklung des geometrischen Vorstellungs- und Denkvermögens<br />
und das Denken in ein, zwei und drei Dimensionen gefördert werden. Dabei ist<br />
das Lösen einer geometrischen Aufgabenstellung nur durch Operieren im Kopf ohne Hilfsmittel<br />
gefordert. Visualisierungen oder Modelle können kopfgeometrische Überlegungen und<br />
Begründungen anregen. Nach dem Darstellen des Ergebnisses mit Begründungen soll es<br />
Kontrollmöglichkeiten geben, wobei es günstig ist, dabei auf Materialien zurückzugreifen.<br />
Beispiele für kopfgeometrische Aufgabenstellungen<br />
Martins Mutter bäckt eine große Pizza. Die eine Hälfte wird mit Schinken belegt, ein<br />
Drittel der anderen Hälfte nur mit Gemüse. Welcher Anteil der Pizza wird nur mit Gemüse<br />
belegt?<br />
Lösung: ein Sechstel<br />
Wie muss man einen Würfel durchschneiden, damit als Schnittfläche ein Quadrat, ein<br />
Rechteck oder ein Dreieck entsteht?<br />
(Kontrollmöglichkeit mithilfe eines Modells oder eines durchgeschnittenen Würfels,<br />
der aus einer Kartoffel hergestellt wurde)<br />
Lösung, ausgehend von einem Würfel mit den Eckpunkten ABCDEFGH: Quadrat:<br />
Schnittflächen, jeweils parallel zu einer Seitenfläche (z. B. parallel zu ABEF); Rechteck:<br />
„Diagonalschnitt“ (z. B. Rechteck ACEG); Dreieck: „Ecken abschneiden“ oder z. B.<br />
Dreieck BEG)<br />
Der Körper in Bild a besteht aus fünf Würfeln. Dieser Körper wird gedreht. Welche der<br />
folgenden Figuren (b – e) kann sich ergeben?<br />
a<br />
b c d e<br />
Lösung: d<br />
(nach Hammer, 2011, S. 25)
88 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Hier ist jeweils ein Viereck teilweise verdeckt (unterhalb der waagrechten Linie). Um<br />
welche Art von Viereck kann es sich bei den drei Bildern jeweils handeln? Finde möglichst<br />
viele (alle) Viereckstypen. Begründe jeweils deine Antwort.<br />
Lösung: Links: Quadrat, Rechteck, Trapez, Parallelogramm, Rhombus, Deltoid;<br />
Mitte: Rechteck, Parallelogramm, Trapez; Rechts: Trapez<br />
(nach Roth, 2011, S. 29)<br />
Den Sinn des Festigens von Routinen und des Wachhaltens von Basisfertigkeiten betont<br />
auch Hans Aebli (1991). Eine solche „Übung strebt die Bildung von Automatismen an“, es<br />
sollen „rasche, sichere, aber stereotype Reaktionen“ trainiert werden. Aebli begründet den<br />
daraus entstehenden Nutzen damit, dass durch diese Automatisierung eine gedankliche Beweglichkeit<br />
und Übersicht geschaffen wird, sodass „neue Operationen in höhere Zusammenhänge<br />
integriert werden können“ (Wynands, 2006, S. 114). Erst wenn eine Schülerin/<br />
ein Schüler etwa über bestimmte Rechenschritte nicht mehr nachdenken muss, ist sie/er in<br />
der Lage, mithilfe dieser Rechenschritte neue Probleme zu lösen. Aufgrund der Heterogenität<br />
der Unterrichtsgruppen werden nicht alle Schüler/innen diese Ziele gleichermaßen erreichen.<br />
Wenn weiteres Üben bei einzelnen Schülerinnen und Schülern keinen Fortschritt bringt, so ist<br />
es möglicherweise sinnvoll, trotzdem einen Schritt vorwärts und – falls erforderlich – später<br />
wieder einen Schritt zurück zu gehen, um die Hürde zu nehmen. Es kann nicht erwartet werden,<br />
dass alle die vorgegebenen Ziele zum gleichen Zeitpunkt gleich gut erreichen.<br />
6.2.2 Nachhaltiger Kompetenzaufbau<br />
Im Sinne der Bildungsstandards und der Kompetenzorientierung tritt eine spezielle Form des<br />
Übens in den Mittelpunkt. Es wird nun versucht, den Anteil der Übungen, die auf das reine<br />
Automatisieren abzielen, zu reduzieren und durch Aufgabensequenzen zu ersetzen, die nicht<br />
nur Rechenfertigkeit trainieren, sondern zusätzlich auch den Blick auf Zusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten,<br />
Regeln, Methoden oder Begriffe lenken.<br />
Mit Aufgaben dieser Art kann ein wichtiges Denkmuster für strategisches Arbeiten geübt<br />
werden. Von Bedeutung ist dabei, zunächst mit „signifikanten“ Zahlen statt mit Variablen zu<br />
arbeiten. Um das allgemeine Gesetz leichter zu finden, kann man diese signifikanten Zahlen<br />
färbig hervorheben und anschließend durch Variable ersetzen.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass das auf Automatisieren abzielende Üben die Schüler/innen allein<br />
nicht befähigen kann, das in einer bestimmten Situation erlernte Wissen auf ähnliche oder<br />
neue Situationen zu übertragen. Für einen derartigen Wissenstransfer müssen übergeordnete<br />
Begriffe und Strukturen herausgearbeitet und begreifbar gemacht werden, Stoffgebiete<br />
vernetzt, neue Erkenntnisse entdeckt und begründete Kommunikation angestoßen werden.<br />
Dem Üben mit Berücksichtigung dieser Aspekte sollte daher ein hoher Stellenwert innerhalb<br />
des Mathematikunterrichts beigemessen werden.
Intelligentes Üben 89<br />
Folgende Aufgaben zum Thema Terme und Größen sollen neben dem Üben von<br />
Basiskompetenzen (Kopfrechnen mit einziffrigen Zahlen, Maßumwandlungen ...) den Blick<br />
auf Zusammenhänge lenken:<br />
1. Rechne aus und ordne die Ergebnisse der Größe nach. Beginne mit der kleinsten<br />
Zahl.<br />
4 + 2 · 3 (4 + 2) · 3 4 · (2 + 3) 4 : (2 – 1)<br />
4 : 2 – 1 4 – 2 · 0 (4 + 2 : 1) · 0<br />
2. Welche Größenangaben gehören zu Längen, welche zu Flächen? Sortiere und<br />
ordne.<br />
0,6 m 0,1 m² 50 mm 80 cm² 10 cm² 1dm² 1__ km 66 cm<br />
2<br />
3. Arbeite mit folgenden Längenangaben:<br />
305 m, 905 m, 195 m, 95 m, 550 m, 650 m, 450 m, 915 m, 805 m, 85 m<br />
a. Zwei Längen sollen zusammen höchstens 1,5 km ergeben. Schreibe alle passenden<br />
Längenpaare auf.<br />
b. Wie lang sind x gleich lange Stäbe, die zusammen so lang sind wie alle hier<br />
angegebenen Längen zusammen? Bestimme die Stablängen für verschiedene<br />
x-Werte.<br />
4. Ergänze die Faktoren so, dass eine richtige Gleichung entsteht.<br />
10 · 6 = 5 · __ · __ 100 · 15 = 25 · __ · 3 · __ 9 · 40 = __ · __ · __ · __<br />
(nach Blum, Drüke-Noe, Hartung et al., 2006, S. 116)<br />
Die folgenden Aufgaben zum Thema Gleichungen ermöglichen neben dem reinen Rechnen<br />
das Erkennen von Aufgabenmustern (Anreiz für Entdeckungen) und deren Begründung<br />
(Herausforderung).<br />
1. Rechne und kontrolliere. Ergänze ähnliche Gleichungen.<br />
a. 9 · 11 = 10 · 10 – 1 19 · 21 = 20 · 20 – 1 29 · 31 = 30 · 30 – 1<br />
b. 9 · 1 – 1 = 8 9 · 21 – 1 = 188 9 · 321 – 1 = 2 888 9 · 4 321 – 1 = _______<br />
2. a. Schau dir die Serie von Gleichungen an und kontrolliere.<br />
b. Setze die Reihe um drei weitere Gleichungen fort.<br />
c. Wie heißt die 10. Gleichung? Ist sie richtig?<br />
d. Zeichne für die beiden Seiten der Gleichungen Punktmuster.<br />
Tipp: Links stehen „Quadratzahlen“, rechts „Dreieckszahlen“.<br />
1 = 1<br />
4 – 1 = 1 + 2<br />
9 – 4 + 1 = 1 + 2 + 3<br />
16 – 9 + 4 – 1 = 1 + 2 + 3 + 4
90 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Lösungsvorschlag:<br />
zu c. 100 – 81 + 64 – 49 + 36 – 25 + 16 – 9 + 4 – 1 = 1 + 2 + 3 + ……. + 9 + 10<br />
55 = 55<br />
zu d.<br />
linke Seite rechte Seite 4 linke – 1 Seite = 1 + 2 rechte Seite<br />
(„Quadrat- „Dreiecks- („Quadrat- 3<br />
= 3 „Dreieckszahlen“)<br />
zahlen“ zahlen“) zahlen“<br />
4 – 1<br />
3<br />
=<br />
=<br />
1 + 2<br />
3<br />
9 – 4 + 1<br />
6<br />
=<br />
=<br />
1 + 2 = 3<br />
6<br />
3. Kontrolliere, ergänze und prüfe weitere ähnliche Gleichungen.<br />
(1 + 2) 2 = 1 3 + 2 3<br />
(1 + 2 + 3) 2 = 1 3 + 2 3 + 3 3<br />
(1 + 2 + 3 + 4) 2 = 1 3 + 2 3 + 3 3 + 4 3<br />
9 – 4 + 1<br />
6<br />
=<br />
=<br />
1 + 2 = 3<br />
(nach 6Blum, Drüke-Noe, Hartung et al., 2006, S. 116)<br />
Die folgende Aufgabe verbindet das Erkennen von Aufgabenmustern mit einer geometrischen<br />
Visualisierung:<br />
1. Du siehst hier eine Reihe von Quadraten, deren Seitenlänge immer um ein Kästchen<br />
zunimmt. Sie werden stets nach der gleichen Regel aufgeteilt.<br />
a. Wie setzt sich die Reihe fort?<br />
. . . .<br />
4 2 = 1 · 4 + 3 · 4<br />
5 2 = 2 · 5 + 3 · 5<br />
6 2 = 3 · 6 + 3 · 6
Intelligentes Üben 91<br />
b. Gib einen Term für die Anzahl 10², 30², 50² der Kästchen des Quadrats gemäß<br />
dieser Aufteilung an:<br />
10² = _______________ 30² = ________________ 50² = ________________<br />
c. Gib einen Term für die Anzahl k² der Kästchen des Quadrats gemäß dieser<br />
Aufteilung an und überprüfe ihn durch Termumformung:<br />
k² = _________________<br />
2. Löse die gleichen Aufgaben wie unter Punkt 1 mit der folgenden Aufteilung:<br />
. . . .<br />
4 2 = 2 · 4 + 3 · 2 + 2<br />
5 2 = 2 · 5 + 4 · 3 + 3<br />
6 2 = 2 · 6 + 5 · 4 + 4<br />
3. Erfinde weitere Aufteilungsarten und gib den zugehörigen Term an.<br />
Lösung zu Aufgabe 1:<br />
b) 10 2 = 7 · 10 + 3 · 10 30 2 = 27 · 30 + 3 · 30 50 2 = 47 · 40 + 3 · 40<br />
c) k 2 = (k – 3) · k + 3 · k<br />
(nach Herget, Jahnke & Kroll, 2008, S. 104)<br />
Bereits nach einer kurzen Einführung in das neue Thema beginnt der Prozess des Übens.<br />
Üben und entdeckendes Lernen schließen einander dabei nicht aus (Wynands, 2006,<br />
S. 114). Die angebotenen Übungsaufgaben sollen das eigenständige Denken fördern und<br />
zum Weiterdenken auffordern, um Muster, Regeln oder Strukturen zu erkennen.<br />
Damit Schüler/innen diese Kompetenzen entwickeln und das Gelernte auch auf für sie neuartige<br />
Situationen übertragen können, sind im Allgemeinen viele Lernerfahrungen auf einem bestimmten<br />
Gebiet notwendig. Dabei kann ein vermehrtes Analysieren guter Lösungsbeispiele<br />
Schülerinnen und Schülern zu wirksamen Strategien für die Lösung von Aufgaben verhelfen.<br />
Die kommunikativen Kompetenzen der Bildungsstandards fordern außerdem, diese Erkenntnisse<br />
zu begründen und sich darüber mit anderen – in adäquater Form und mit mathematischen<br />
Sprachmitteln – auszutauschen.
92 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Zusammenfassend spricht man hier von kompetenzorientiertem intelligentem Üben, wobei<br />
möglichst alle Schüler/innen individuell angesprochen und in geeigneter Weise erreicht werden<br />
können.<br />
Beispiel „Wie teuer ist der Ausflug?“:<br />
(Aufgabenstellung mit Schwerpunkten auf arithmetischem Modellieren und Argumentieren)<br />
Fünf Freunde planen einen Ausflug nach Hamburg. Sie fahren mit dem PKW und<br />
wollen dort die Modellbahnausstellung besuchen.<br />
Im PKW finden höchstens<br />
5 Personen Platz.<br />
Benzinkosten gesamt: 150 €<br />
Eintritt Modellbahnausstellung:<br />
8 € pro Person<br />
Kosten pro Person in €: ____ 150<br />
5 + 8<br />
a. Was ändert sich, wenn die Benzinkosten auf 160 € steigen?<br />
b. Was ändert sich, wenn zwei Freunde krank werden?<br />
c. Was ändert sich, wenn insgesamt sechs Freunde mitfahren?<br />
d. Was ändert sich, wenn es in der Ausstellung eine Gruppenkarte zu 28 € für bis zu<br />
sechs Besucher/innen gibt?<br />
e. Mit welchem Term kann man die Gesamtkosten für alle ausrechnen?<br />
f. Finde selbst weitere Fragestellungen.<br />
(nach Marxer, 2012)<br />
6.3 Was üben?<br />
Aufgaben zum Üben neu gelernter Begriffe, zum Stabilisieren, zur Sicherung von Routinen<br />
und zum regelmäßigen Wiederholen von Basiswissen spielen in einem kompetenzorientierten<br />
Unterricht im Sinne der Bildungsstandards nach wie vor eine wesentliche Rolle – sowohl im<br />
Unterricht in der Schule als auch bei den Arbeiten zu Hause.<br />
Ziel des Übens soll es nach Leuders (2009, S. 133) allerdings sein, neben dem Üben von<br />
Kenntnissen und Fertigkeiten eine Reihe weiterer Fähigkeiten gleichermaßen zu fördern.<br />
Dazu zählen<br />
<br />
das Verstehen- und Erklären-Können anhand konkreter Vorstellungen,<br />
<br />
das Anwenden in neuen Situationen,<br />
<br />
das Nutzen übergreifender Strategien in unbekannten Situationen sowie<br />
<br />
die Reflexionsfähigkeit, d. h., die Fähigkeit zu beurteilen bzw. zu bewerten.<br />
Abgesehen von den Grundkenntnissen als Voraussetzung für das Anwenden bauen die<br />
angeführten Fähigkeitsaspekte nicht in Stufen aufeinander auf, d. h., es besteht kein zunehmender<br />
Schwierigkeitsgrad. Dadurch besteht weitestgehend für alle Schüler/innen die<br />
Möglichkeit, in allen genannten Fähigkeitsaspekten – bezogen auf ein Thema – zu lernen und<br />
durch gezieltes Üben mit leichten bis schwierigen bzw. elementaren bis vertiefenden Übungen<br />
gefördert zu werden.
Intelligentes Üben 93<br />
Beispiel zum Thema Mittelwert<br />
Wie kannst du den arithmetischen Mittelwert bzw. den Median einer<br />
Datenliste bestimmen?<br />
Berechne jeweils den arithmetischen Mittelwert der folgenden Datenreihe:<br />
Angesprochener<br />
Fähigkeitsaspekt<br />
Kenntnisse<br />
Fertigkeit<br />
1, 3 1, 3, 5 1, 3, 5, 7<br />
Setze die Reihe fort und bestimme wiederum jeweils den arithmetischen<br />
Mittelwert. Betrachte die Mittelwerte. Was fällt dir auf?<br />
Eine Datenliste enthält folgende Werte:<br />
16, 15, 18, 17, 17, 16, 19, 16, 19<br />
Verstehen/<br />
Vorstellung<br />
Der arithmetische Mittelwert beträgt 17.<br />
Tim und Tina haben im Unterricht gefehlt und können nun die Bedeutung<br />
des arithmetischen Mittelwerts nicht verstehen. Hilf ihnen.<br />
Finde eine passende Situation aus dem Alltag zu der oben dargestellten<br />
Datenliste, damit sich Tina und Tim besser vorstellen<br />
können, was ein arithmetischer Mittelwert ist.<br />
Der Preis eines bestimmten Fernsehgeräts wurde bei fünf Anbietern<br />
ermittelt: 399,00 €; 459,00 €; 409,00 €; 399,50 €; 389,00 €<br />
a. Wie teuer ist dieses Fernsehgerät im Durchschnitt?<br />
b. Warum geben Konsumentenvereine häufig den Median und nicht<br />
das arithmetische Mittel der Preise an? Überlege und notiere eine<br />
Begründung.<br />
Ein Ferienhotel macht eine Umfrage unter seinen Gästen, in der nach<br />
der Wichtigkeit der Hotelsauna gefragt wird. Das Ergebnis lautet:<br />
Anwendungsfähigkeit<br />
Strategie<br />
sehr wichtig: 85<br />
ziemlich wichtig: 38<br />
weniger wichtig: 60<br />
unwichtig: 31<br />
Wie wichtig ist den Hotelgästen die Hotelsauna? Erläutere deine<br />
Überlegungen.<br />
Suche zunächst die Durchschnitte (arithmetischer Mittelwert) heraus,<br />
die du ohne Verwendung der Formel bestimmen kannst. Begründe<br />
deine Auswahl.<br />
Reflexionsfähigkeit<br />
(z. B. Bewerten,<br />
Begründen)<br />
a. 4, 5, 5, 5, 5, 6<br />
b. 8, 10, 12, 14<br />
c. 4, 6, 10<br />
d. 10, 5, 5, 5, 10<br />
e. 1, 3, 5, 6<br />
f. 11, 12, 14, 15<br />
(nach Leuders, 2009, S. 133 und 137–139)
94 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
6.4 Wie üben?<br />
Nach Regina Bruder (2008) kann intelligentes Üben nur in einer ruhigen, konzentrierten Arbeitsatmosphäre<br />
stattfinden. Dabei sollen gemeinsam vereinbarte Regeln (Materialien, Lautstärke<br />
etc.) eingehalten und Lernstörungen diskret und beiläufig behoben werden.<br />
Im Fokus steht der Lernprozess der Schüler/innen. Winter und Wittmann (zitiert nach Bruder,<br />
2008, S. 5) forderten bereits in den 1980er-Jahren, dass im Unterricht „entdeckend geübt<br />
und übend entdeckt“ werden soll. Dabei kommt es insbesondere darauf an, dass jede Schülerin/jeder<br />
Schüler individuell aktiv wird. Was im eigenen Tun erforscht, ausfindig gemacht<br />
und erfasst wurde, wird besser und gründlicher behalten.<br />
Motivation und die richtige Einstellung zum Üben sind notwendige Voraussetzungen, damit<br />
Üben zu einem erfolgreichen Prozess werden kann. Durch Lernen und Üben in Sinnzusammenhängen<br />
kann Motivation aus der Sache heraus möglich werden. Verantwortung für das<br />
eigene Lernen und Üben kann gefördert werden, indem die Schüler/innen immer wieder<br />
aufgefordert werden, sich bewusst zu machen, „was“ sie „wie gut“ schaffen.<br />
Die Schüler/innen üben in der Folge überlegter (Worum geht es? Was ist leicht? Was kann<br />
ich schon? Was muss ich noch lernen? usw.). Durch das Erleben von Erfolgen kann neue<br />
Übungsbereitschaft geweckt werden; ein regelmäßiges Bewusstmachen von Inhalten und<br />
Zielen (einsichtiges Lernen) hilft, das Geübte besser zu behalten und den Übungsertrag zu<br />
steigern. Für einen gelingenden Lern- und Übungsprozess ist daher die Ausrichtung auf die<br />
Möglichkeiten und Bedürfnisse der einzelnen Schüler/innen von besonderer Wichtigkeit. Dieser<br />
Forderung kann durch Maßnahmen äußerer Differenzierung – etwa durch Üben an Stationen<br />
oder durch Arbeiten mit individualisierenden Wochenplänen bzw. mit Kompetenzrastern<br />
– Rechnung getragen werden.<br />
Eine andere Möglichkeit, die zu einer inneren Differenzierung führt, ist das Üben mit sogenannten<br />
„selbstdifferenzierenden Aufgaben“. Das sind Aufgaben, die allen Schülerinnen und<br />
Schülern (auch unterschiedlicher Leistungsniveaus) ein Üben an denselben Aufgaben in geeigneter<br />
Weise ermöglichen, sodass jede Schülerin/jeder Schüler auf ihrem/seinem Niveau<br />
Nutzen aus den Übungen ziehen kann (vgl. S. 47). Aufgaben, die diesem differenzierenden<br />
Anspruch genügen, berücksichtigen meist folgende drei Aspekte:<br />
1. einen Einstieg, der zum Problem hinführt und für niemanden eine unüberwindliche Hürde<br />
darstellt<br />
2. den Kern der Sache, eine gehaltvolle mathematische Problemstellung zum aktuellen<br />
Lehrstoff<br />
3. eine „Rampe“, die Schüler/innen zu einem geistigen „Höhenflug“ einlädt, der freilich<br />
manchmal nicht jeder/jedem gelingen wird 1 (Hammer, 2007, S. 110–114)<br />
Im Gegensatz zum kleinschrittigen Üben sollen die Schüler/innen durch das Üben in Sinnzusammenhängen<br />
befähigt werden, eigene Denkleistungen zu erbringen. Hindernisse und<br />
Widerstände auf dem Weg zum Ziel sollen dabei weitestgehend selbstverantwortlich überwunden<br />
werden. Nach der ersten individuellen Auseinandersetzung mit dem Übungsbeispiel<br />
kann ein Austausch mit einer Partnerin/einem Partner oder in Kleingruppen fruchtbringend<br />
sein.<br />
1 Hier kann z. B. verlangt werden, Verbindungen herzustellen oder den im Kern bearbeiteten Spezialfall<br />
zu verallgemeinern. Man kann auch Entdeckungen ermöglichen oder Problemlösestrategien anregen.
Intelligentes Üben 95<br />
Beispiel:<br />
a. Einstieg<br />
Es sind die Zahlen 1, 2 und 3 gegeben. Bilde alle möglichen Bruchzahlen aus<br />
jeweils zwei dieser Zahlen und sortiere sie der Größe nach. (Eine Mehrfachverwendung<br />
der gegebenen Zahlen ist erlaubt.)<br />
b. Kern der Sache<br />
Wie viele Möglichkeiten gibt es, wenn du die Zahlen 1, 2, 3, 5 und 7 verwendest?<br />
Wie viele dieser Bruchzahlen haben Werte, die kleiner als 1 sind?<br />
c. Rampe<br />
Wie viele Möglichkeiten gibt es, wenn du die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6, ..., n verwendest?<br />
Haben die Bruchzahlen alle unterschiedliche Werte? Forsche weiter.<br />
Lösungsvorschlag:<br />
(Hammer, 2007, S. 110–114)<br />
a. 1__ < 1__ < 2__ < 1__ = 2__ = 3__ < 3__ < 2__ < 3__<br />
3 2 3 1 2 3 2 1 1 <br />
b. 1__<br />
1 1__ 2 1__ 3 1__ 5 1__ 7 Zehn Bruchzahlen haben einen Wert kleiner als<br />
2__<br />
1, abzulesen oberhalb der „Diagonale“ von links<br />
1 2__ 2 2__ 3 2__ 5 2__ 7 oben bis rechts unten in der nebenstehenden<br />
3__<br />
Darstellung.<br />
1 3__ 2 3__ 3 3__ 5 3__ 7 <br />
5__<br />
1 5__ 2 5__ 3 5__ 5 5__ 7 <br />
7__<br />
1 7__ 2 7__ 3 7__ 5 7__ 7 <br />
c. 1__<br />
1 1__ <br />
2<br />
............. 1__<br />
n <br />
2__<br />
1 2__ <br />
2<br />
............. 2__<br />
n <br />
. .<br />
. .<br />
. .<br />
n__ ..................... n__<br />
1 n <br />
n Spalten, n Zeilen, d. h. n ∙ n = n² Bruchzahlen<br />
insgesamt. Darin sind n uneigentliche Brüche,<br />
dargestellt in der „Diagonale“ von links oben bis<br />
rechts unten, enthalten.<br />
Die Anzahl der Bruchzahlen mit einem Wert<br />
kleiner als 1 lässt sich daher mit dem Term<br />
(n² – n) : 2 berechnen. Dies entspricht allen<br />
Bruchzahlen oberhalb der „Diagonale“ von links<br />
oben bis rechts unten in der nebenstehenden<br />
Darstellung.<br />
Analog wird die Anzahl der Brüche mit einem<br />
Wert größer als 1 berechnet.<br />
Eine zusätzliche Möglichkeit zur Unterstützung bieten Hilfekärtchen für gestufte Hilfen im<br />
Hinblick auf Inhalte und/oder Lösungsstrategien. Diese können geordnet am Lehrertisch<br />
aufgelegt werden; die Schüler/innen holen sich dann bei Bedarf einzelne Hilfekärtchen. Ein<br />
letztes Hilfekärtchen gibt eine mögliche Darstellung des gesamten Lösungswegs an, sodass<br />
tatsächlich jede Schülerin/jeder Schüler das zu bearbeitende Problem selbstständig lösen<br />
kann. Die Antwort dazu ermöglicht eine Selbstkontrolle.
96 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Beispiel für eine gestufte strategische Hilfe zu b.:<br />
Hilfe 1<br />
Erstelle eine übersichtliche<br />
Tabelle, damit du<br />
sichergehen kannst, alle<br />
Möglichkeiten zu erfassen.<br />
Antwort zu Hilfe 1<br />
Stufe 1<br />
Nenner<br />
Zähler 1 2 3 5 7<br />
1<br />
2<br />
3<br />
5<br />
7<br />
Antwort zu Hilfe 1<br />
Stufe 2<br />
1__<br />
1 1__ 2 1__ 3 1__ 5 1__ 7 <br />
2__<br />
1 2__ 2 2__ 3 2__ 5 2__ 7 <br />
3__<br />
1 3__ 2 3__ 3 3__ 5 3__ 7 <br />
5__<br />
1 5__ 2 5__ 3 5__ 5 5__ 7 <br />
7__<br />
1 7__ 2 7__ 3 7__ 5 7__ 7 <br />
Das Arbeiten mit einer Partnerin/einem Partner oder in Lerngruppen fördert zudem die kommunikativen<br />
Fähigkeiten und das Reflektieren über das Tun, wie es die Bildungsstandards<br />
verlangen.<br />
Übungsphasen stellen einen wesentlichen Teil in einem vollständigen Lernzyklus dar und<br />
sollten nach Möglichkeit von Lehrkräften begleitet werden. Um zu gewährleisten, dass<br />
die Lehrkraft sich mit einzelnen Schülerinnen und Schülern und ihren individuellen Problemen<br />
auseinandersetzen kann, müssen genügend Zeit und Raum zur Verfügung stehen.<br />
Unterstützt werden können die Lehrer/innen fallweise durch leistungsstarke Schüler/innen,<br />
die als Tutorinnen und Tutoren fungieren. Peer-Tutoring ist eine besonders intensive Art von<br />
Partnerarbeit, bei der Schüler/innen spezifische Funktionen von Lehrkräften übernehmen.<br />
Damit geht auf der einen Seite ein Lernen durch Lehren für die Tutorin/den Tutor, auf der<br />
anderen Seite ein Unterstützen und Fördern der Mitschülerin/des Mitschülers einher. Gut<br />
gelingt dies mithilfe von Tutorinnen und Tutoren, die über die entsprechenden fachlichen und<br />
sozialen Kompetenzen verfügen (vgl. BIFIE, 2011a, S. 131–132).<br />
Fehler, die sich beim Üben einschleichen können, sollen frühestmöglich korrigiert werden, da<br />
sie sich im weiteren Verlauf des Übens sonst festigen und so den Lernerfolg beeinträchtigen.<br />
Neben der Selbstkontrolle durch die Schüler/innen – etwa mithilfe von Lösungsblättern –<br />
oder der Kontrolle durch die Lehrkraft bietet auch das Bilden von Tandems Entlastung in der<br />
Reflexions- und Kontrollphase. Schüler/innen stellen sich wechselseitig Lösungswege bzw.<br />
Lösungsstrategien vor, vergleichen die Ergebnisse, diskutieren über die Lösungswege und<br />
interpretieren ihre Ergebnisse. Fehler sind dabei keine Schande, sondern eine Chance. Die<br />
Analyse falscher oder unbrauchbarer Lösungswege kann den Lernprozess erneut in Gang<br />
bringen. Der fehlerhafte Ansatz muss in Ruhe durchschaut werden können, um neue Lösungswege<br />
zu finden.<br />
Üben im Rahmen der Hausübungen bietet für Schüler/innen die Chance, sich noch einmal<br />
individuell und aktiv mit den Lerninhalten zu beschäftigen. Eltern haben dabei motivierende<br />
Funktion, sind aber im Allgemeinen keine didaktisch geschulten Ansprechpartner/innen. Es<br />
soll daher kein Druck bestehen, alle Aufgaben unbedingt richtig gelöst in die Schule mitzubringen.<br />
Von den Schülerinnen und Schülern selbstständig bearbeitete Hausaufgaben in<br />
schriftlicher Form sollen von der Lehrkraft kontrolliert und gewürdigt werden.
Intelligentes Üben 97<br />
6.5 Wann und wie oft üben?<br />
<br />
Es ist günstig, oft, aber kurz und ohne Zeitdruck zu üben.<br />
<br />
Bezogen auf die Unterrichtsstunde soll dem Üben genügend Platz eingeräumt werden.<br />
Üben darf nicht erst in den letzten Minuten der Unterrichtsstunde beginnen oder zur Gänze<br />
in Hausübungen ausgelagert werden.<br />
<br />
Bezogen auf den Lernprozess ist unmittelbares, kontinuierliches und immanentes Üben<br />
erforderlich.<br />
Üben begleitet den gesamten Lernprozess, wobei unterschiedliche Typen von Übungen<br />
zweckmäßig sind:<br />
<br />
<br />
<br />
Am Anfang (unmittelbar nach dem ersten Eintauchen in das neue Thema) sind mehr oder<br />
weniger gestützte Übungen mit konkretem Material und zeichnerischen Darstellungen<br />
sinnvoll. Diese bilden nicht nur die Grundlage für den Aufbau von Basiswissen und Grundfertigkeiten,<br />
sondern leiten auch höhere Denkprozesse an. Die Symbolsprache der Mathematik<br />
ist behutsam als eine immer kürzere Bezeichnung dieser anschaulichen Operationen<br />
aufzubauen.<br />
Im Mittelstück sind reflexive Übungen von Vorteil. Dabei werden in einer ersten Phase die<br />
Fertigkeiten bzw. Wissenselemente individuell geübt. Das entspricht der traditionellen<br />
Form des unstrukturierten Übens. In einer zweiten Phase wird die in der Aufgabenserie<br />
steckende Struktur erforscht und nach Zusammenhängen gesucht, wobei höhere Denkleistungen<br />
zu erbringen sind.<br />
Den Abschluss sollen Automatisierungsübungen und immanente Übungen (Üben im<br />
Zuge einer übergeordneten Fragestellung) im Wechsel mit Einheiten zum Erkunden, Entdecken<br />
und Anwenden bilden.<br />
Ein Automatisieren gewisser grundlegender Wissenselemente und Fertigkeiten durch reines<br />
Üben ist auch im Konzept des intelligenten Übens vorgesehen. Doch ist darauf zu achten,<br />
dass der Übergang zu diesem Übungstyp nicht zu früh passiert, um nicht den Prozess des<br />
Verstehens zunichte zu machen (z. B. durch zu frühe Bekanntgabe der Bruchrechenregeln<br />
nach Einführungsbeispielen zum Verstehen). Das immanente Üben ist ein sehr anspruchsvoller<br />
Übungstyp und fordert die Schüler/innen in doppelter Weise. Zeitgleich mit der Nutzung<br />
grundlegenden Wissens und der Ausführung der betroffenen Fertigkeiten müssen die Schüler/innen<br />
auch die übergeordnete Zielsetzung im Auge haben.<br />
Sogenannte Bauaufgaben 2 (siehe auch Kapitel 5, S. 69) fordern ein solches indirektes Üben,<br />
das als besonders wirksam angesehen wird. Durch den langfristigen Kompetenzaufbau im<br />
Mathematikunterricht erfolgt das immanente Üben zu einem gewissen Teil auch automatisch,<br />
da frühere Übungsinhalte im Verlauf des Unterrichts von selbst wiederkehren und so frühere<br />
Themen und Inhalte immer wieder gefestigt werden. Zum Beispiel werden beim Lösen von<br />
Gleichungen das Rechnen mit ganzen Zahlen und Bruchzahlen, das Operieren mit Termen<br />
und das Berechnen des Werts eines Terms (Überprüfung der Richtigkeit der Lösung durch<br />
eine Probe) durch ein entsprechendes Angebot, je nach Bedarf und Zielsetzung, indirekt<br />
wieder geübt.<br />
Das Bearbeiten von alltagsbezogenen Sachaufgaben fordert neben der Kompetenz des Modellierens<br />
auch das Anwenden von Routinen aus verschiedenen mathematischen Bereichen<br />
zur Lösungsfindung. Bereits erfasste und abgespeicherte Abfolgen von Denk- und Handlungsschritten<br />
müssen wieder präsent gemacht, richtig eingesetzt und immer wieder neu<br />
vernetzt werden. Dadurch können die Grundkompetenzen im jeweiligen, individuell bestehenden<br />
Wissensnetz nachhaltig verankert werden.<br />
2 Vgl. dazu etwa BMBWK, 2006, S. 57 (Beispiel Fußgängerzone) sowie BIFIE, 2011a, S. 127–131<br />
(Beispiel Windkraftwerk).
98 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
6.6 Tipps für erfolgreiches, intelligentes Üben<br />
Erfolgsfaktoren beim Üben<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
„Der Erfolg des Übens wird erhöht, wenn der Gegenstand des Übens für den Schüler<br />
subjektiv bedeutsam ist.<br />
Der Erfolg des Übens wird erhöht, wenn er mit einem hohen Grad von Selbsttätigkeit<br />
verknüpft ist.<br />
Sinnvolle, strukturierte Zusammenhänge werden leichter gelernt und bleiben besser im<br />
Gedächtnis haften als zusammenhanglose Informationen.<br />
Das Üben fällt leichter und der Lernerfolg ist höher, wenn zuvor Gesetzmäßigkeiten,<br />
Oberbegriffe, Prinzipien und logische Verknüpfungen des neuen Sinn-, Sach- oder Problemzusammenhangs<br />
erarbeitet worden sind.<br />
<br />
Das Behalten des Gelernten wird erleichtert, wenn es mit bekannten älteren Wissensbeständen<br />
bzw. Kompetenzbereichen verknüpft wurde.<br />
<br />
Das Einprägen wird erschwert, wenn parallel dazu oder gleich danach ähnlich strukturierte<br />
Inhalte gelernt werden sollen (Ähnlichkeitshemmung).<br />
<br />
Das Behalten des Gelernten wird erschwert, wenn gleich danach interessante und aufregende<br />
neue Inhalte zur Kenntnis genommen werden.<br />
<br />
Regelmäßige Übungsphasen erhöhen den Erfolg.<br />
<br />
Die meisten Menschen lernen besser, wenn sie sowohl auditiv wie visuell unterstützt werden.<br />
<br />
Neu Gelerntes in den folgenden zwei Tagen wiederholen. (Nach 5 Tagen sind 70 % vergessen.)<br />
<br />
Nur was immer wieder reaktiviert und angewandt wird, wird dauerhaft behalten und gekonnt.<br />
<br />
In der Mittagszeit lernt sich's am schlechtesten!“ (zitiert nach Bruder, 2008, S. 5)<br />
Literatur<br />
Aebli, H. (1991). Zwölf Grundformen des Lehrens: eine allgemeine Didaktik auf psychologischer<br />
Grundlage. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
Arbeitsgruppe Fachdidaktik der Mathematik der TU Darmstadt (o. J.). Material Mathe. Kopfübung.<br />
Verfügbar unter http://www.problemloesenlernen.dvlp.de/files/material/klasse6/<br />
Kopfuebung_Klasse_6.pdf [2<strong>8.</strong>09.2012].<br />
Barzel, B., Holzäpfel, L., Leuders, T. et al. (2011). Mathematik unterrichten: Planen, durchführen,<br />
reflektieren. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Blum, W., Drüke-Noe, C., Hartung, R. et al. (Hrsg.) (2006). Praxisbuch: Bildungsstandards<br />
Mathematik: konkret, Sekundarstufe I: Aufgabenbeispiele, Unterrichtsanregungen, Fortbildungsideen.<br />
Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />
Bruder, R. (2008). Üben mit Konzept. In Mathematik lehren 147. Verfügbar unter http://www.<br />
friedrich-verlag.de/data/8E141877AF43410FB4C6382625AAFDBC.0.pdf [17.05.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011a). Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis. Graz:<br />
Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/351 [27.09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011b). <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. 2., überarbeitete<br />
Auflage. Graz: Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/315 [27.09.2012].
Intelligentes Üben 99<br />
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK) (Hrsg.) (2006). Exemplarische,<br />
beziehungsreiche Aufgaben. Erweiterung des Aufgabenpools zur Version 3.0 der<br />
Bildungsstandards für Mathematik am Ende der <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. Wien. Verfügbar unter http://<br />
www.gemeinsamlernen.at/siteVerwaltung/mOBibliothek/Bibliothek/Broschuere_M8_Aufgaben_Februar_2006.pdf<br />
[29.09.2012].<br />
Hammer, C. (2007). Durch Aufgaben gesteuerter Mathematikunterricht. In Bayrisches Staatsministerium<br />
für Unterricht und Kultus (Hrsg.). SINUS Bayern. Beiträge zur Weiterentwicklung<br />
des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts. Verfügbar unter http://www.sinusbayern.de/userfiles/Broschuere_2007/K5/K52L.pdf<br />
[17.05.2012]. S. 110–115.<br />
Hammer, C. (2011). Immer mal wieder ... 25 Aufgabenideen zur Kopfgeometrie. In Mathematik<br />
lehren 167. S. 25–27.<br />
Haug, R. (2006). Produktives Üben des räumlichen Vorstellungsvermögens – virtuelle Räume<br />
neu entdecken. In PM – Praxis der Mathematik in der Schule 48/12. S. 32–36.<br />
Haug, R., Harter, S. & Holzäpfel, L. (2010). Sinnstiftenden Mathematikunterricht selbst entwickeln.<br />
Skriptum. Freiburg: Pädagogische Hochschule Freiburg.<br />
Herget, W., Jahnke, T. & Kroll, W. (2008). Produktive Aufgaben für den Mathematikunterricht<br />
– Sekundarstufe I: 5.–10. Schuljahr. Aufgabensammlung. Berlin: Cornelsen.<br />
Leuders, T. (2009). Intelligent üben und Mathematik erleben. Verfügbar unter http://www.<br />
ehrenamt-bw.de/servlet/PB/-s/1ohvjubvd0kzltfo60nq72f46fgeaj0/show/1339305/2009_<br />
leuders_intelligent_ueben_mathemagische_momente.pdf [17.05.2012].<br />
Leuders, T. & Wittmann, G. (2006). Produktives Üben im Geometrieunterricht . In PM – Praxis<br />
der Mathematik in der Schule 48/12. S. 1–7.<br />
Marxer, M. (2012). Arithmetisches Modellieren – Vorerfahrungen zu Variablen und Termen<br />
ermöglichen. In Mathematik lehren 171. S. 49–54.<br />
Michel, C. & Novak, F. (1990). Kleines psychologisches Wörterbuch. Erweiterte und aktualisierte<br />
Neuausgabe. Freiburg: Herder.<br />
Paradies, L., Linser, H. & Greving, J. (2007). Diagnostizieren, Fordern und Fördern. Berlin:<br />
Cornelsen Scriptor.<br />
Roth, J. (2011). Geometrie im Kopf. Bewegliches Denken nutzen und fördern. In Mathematik<br />
lehren 167. S. 28–31.<br />
Rüdell, E. (2010). Das BASIS-Buch des Lernens. Mehr Erfolg für unsere Kinder in der Schule.<br />
Seelze: Kallmeyer.<br />
Ruf, U., Keller, S. & Winter, F. (2008). Besser lernen im Dialog. Dialogisches Lernen in der<br />
Unterrichtspraxis. Seelze: Kallmeyer.<br />
Wynands, A. (2006). Intelligentes Üben. In Blum, W., Drüke-Noe, C., Hartung, R. et al.<br />
(Hrsg.). Mathematik: konkret, Sekundarstufe I: Aufgabenbeispiele, Unterrichtsanregungen,<br />
Fortbildungsideen. Berlin: Cornelsen Scriptor. S. 113–125.
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 101<br />
7 Technologieeinsatz im Mathematikunterricht<br />
7.1 Welche Technologien können zum Einsatz<br />
kommen?<br />
Sieglinde Fürst<br />
Das Wort Technologie meint in diesem Zusammenhang:<br />
elektronische Werkzeuge<br />
<br />
einfache Taschenrechner<br />
<br />
grafikfähige Taschenrechner<br />
<br />
CAS-Rechner 1<br />
<br />
Tabellenkalkulation (z. B. Excel)<br />
<br />
dynamische Geometriesoftware (z. B. GeoGebra)<br />
elektronische Lernmedien<br />
<br />
Lernpfade<br />
<br />
CD-ROM- und Internet-basierte Lernumgebungen<br />
<br />
Applets<br />
<br />
dynamische Webseiten (z. B. dynamische GeoGebra-Arbeitsblätter)<br />
elektronische Wissensbasen<br />
<br />
Internet als Informationsquelle (z. B. Google, Wikipedia, YouTube)<br />
<br />
CDs mit mathematischen Übungsprogrammen<br />
<br />
mit CDs ausgestattete Schulbücher<br />
Darüber hinaus lässt sich das Internet als Kommunikationsmedium nützen, wo via E-Mail<br />
oder Lernplattformen ein Austausch zwischen Lehrer/in und Schüler/in möglich ist. Neue<br />
Entwicklungen sind zu beobachten (z. B. Entwicklung von interaktiven Lehrbüchern), die<br />
eine ständige Weiterbildung der Lehrer/innen und eine Nachjustierung des Unterrichtsgeschehens<br />
bedingen. Der Mathematik-Lehrplan der Sekundarstufe führt als Bildungs- und<br />
Lehraufgabe „verschiedene Technologien (z. B. Computer) einsetzen können“ an und fordert:<br />
„Die Möglichkeiten elektronischer Systeme bei der Unterstützung schülerzentrierter, experimenteller<br />
Lernformen sind zu nutzen“.<br />
Im vorliegenden Kapitel soll keinem bestimmten Gerät oder Programm der Vorzug gegeben,<br />
vielmehr sollen die Möglichkeiten des Technologieeinsatzes im Allgemeinen beleuchtet werden.<br />
7.2 Warum Technologie?<br />
Was sagen Lehrer/innen, die Technologie einsetzen?<br />
Der gesellschaftliche Umbruch, den das Informationszeitalter auf allen Ebenen gebracht hat,<br />
muss auch im schulischen Alltag Niederschlag finden. Daher seien einige Aspekte angeführt,<br />
die für den Einsatz von Technologie im Mathematikunterricht sprechen:<br />
<br />
<br />
Das frühe Erlernen von Computertechniken (Tabellenkalkulation, Zeichenprogramme,<br />
Textverarbeitung usw.) fördert nachhaltigen Wissenserwerb.<br />
Dem Mangel an Fachkräften in technischen Berufen sollte durch die zunehmende Förderung<br />
technischer Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern begegnet werden.<br />
1 CAS = Computer-Algebra-Systeme
102 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
<br />
<br />
<br />
Die standardisierte schriftliche Reifeprüfung sieht ab dem Schuljahr 2015/16 für die Reifeund<br />
Diplomprüfung an BHS Mindestanforderungen an die Technologie (www.bifie.at/<br />
node/81) bzw. ab dem Schuljahr 2017/18 an AHS den verpflichtenden Einsatz von höherwertiger<br />
Technologie (DGS, CAS, Tabellenkalkulation) vor.<br />
Das selbstverständliche Umgehen mit neuen Technologien ist vor allem für die künftige<br />
Berufswahl von Mädchen wichtig, da diese tendenziell leider noch immer weniger an<br />
Technik interessiert sind bzw. weniger oft technische Berufe wählen als männliche Jugendliche<br />
und damit ihre beruflichen Zukunftsaussichten verschlechtern (OECD, 2008;<br />
OECD, 2012).<br />
Immer mehr Haushalten steht ein (mobiler) Computer zur Verfügung.<br />
Die Rolle der Lehrerin/des<br />
Lehrers wandelt sich.<br />
Man ist nicht immer die/der<br />
Alleinwissende.<br />
Auch außerhalb der Unterrichtszeit<br />
wird gefragt, diskutiert, nach<br />
Lösungen gesucht.<br />
Entdeckendes<br />
Lernen wird<br />
gefördert.<br />
Probleme beim<br />
Umgang mit dem<br />
Gerät können oft<br />
nur gemeinsam<br />
gelöst werden.<br />
Der Kontakt zwischen<br />
Lehrpersonen und den Kindern,<br />
aber auch jener zwischen den<br />
Schülerinnen und Schülern wird<br />
gefördert.<br />
Die Motivation im Unterricht steigt.<br />
Für mich ist das soziale Lernen der<br />
Kinder die bedeutendste Erfahrung.<br />
Abb. 1: Aussagen von Lehrerinnen und Lehrern<br />
Ein Argument, das immer wieder gegen den Technologieeinsatz vorgebracht wird, ist das<br />
Zurückdrängen von händischen Fertigkeiten. Auf grundlegende mathematische Rechenfertigkeiten<br />
darf natürlich nicht vergessen werden. Was als „grundlegende Rechenfertigkeit“ zu<br />
gelten hat, muss allerdings festgelegt werden.<br />
Die mit Technologieeinsatz einhergehenden Veränderungen des Unterrichts geben Anlass zur<br />
Hoffnung, dass Schüler/innen verstärkt zu selbstständigem Wissenserwerb angeregt werden<br />
und damit vermehrt eine sachbezogene Motivation zum Lernen aufbauen.<br />
Früher Technologieeinsatz fordert auf zum Experimentieren, Interpretieren von Lösungen,<br />
Suchen unterschiedlicher Lösungswege und Begründen. Daher unterstützt früher Technologieeinsatz<br />
eher repetitiv Lernende (= Auswendiglernen von Lösungsstrategien, Einüben<br />
gewisser Schemata) beim verständigen Lernen. Dieses verständige Lernen ist anzustreben,<br />
denn Schüler/innen, die versuchen, den Inhalt zu verstehen und mit bereits Bekanntem zu<br />
verknüpfen, schneiden auch in Prüfungssituationen wesentlich besser ab. Interessante Erkenntnisse<br />
über unterschiedliche Lerntypen und erfolgreiche Lernstrategien finden sich im<br />
<strong>Praxishandbuch</strong> Mathematik AHS Oberstufe (BIFIE, 2011b, S. 33).<br />
7.3 Einfluss des Technologieeinsatzes auf den<br />
Unterricht<br />
Technologieeinsatz sollte nicht nur sporadisch im Unterricht erfolgen, sondern den Mathematikunterricht<br />
kontinuierlich begleiten. Dies bedeutet, dass Änderungen in den didaktischen<br />
Zugängen, im Lernprozess, aber auch in den Sozialformen des Unterrichtsgeschehens auftreten.<br />
Erfahrungen zum Technologieeinsatz liegen aus mehreren Unterrichtsprojekten vor;<br />
viele Materialien, die unmittelbar oder mit kleinen Änderungen im Unterricht eingesetzt werden<br />
können, sind bereits verfügbar.
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 103<br />
Technologieeinsatz unterstützt<br />
<br />
entdeckendes Lernen und trägt zu nachhaltigem Wissenserwerb bei. Mathematische Zusammenhänge,<br />
Rechenregeln oder Eigenschaften von geometrischen Figuren werden<br />
von den Schülerinnen und Schülern mittels Technologie selbstständig erkannt bzw. erarbeitet.<br />
<br />
das Auffinden eigener Lösungsstrategien, da Vermutungen und Rechnungen schnell<br />
überprüft werden können.<br />
<br />
die Kompetenzentwicklung in den Handlungsbereichen Modellbilden und Interpretieren<br />
sowie Argumentieren und Begründen.<br />
<br />
das Lesen und Verstehen von Texten.<br />
<br />
Interpretationen von Ergebnissen im Kontext.<br />
Das schriftliche Rechnen tritt bei verstärktem Technologieeinsatz in den Hintergrund.<br />
Helmut Heugl (BIFIE, 2011b, S. 73) gibt für den Einsatz von Technologie vier verschiedene<br />
Bereiche an. Diese gelten auch für die Sekundarstufe I:<br />
<br />
Visualisieren<br />
<br />
Experimentieren<br />
<br />
Modellieren<br />
<br />
Rechnen<br />
7.3.1 Visualisieren<br />
Visualisierungen sind in verschiedenen Inhalten, wie etwa in der Statistik oder Funktionenlehre,<br />
absolut notwendig (BIFIE, 2011a, S. 18 und S. 34). Mit Technologie stehen grafische<br />
Darstellungen gerade in heterogenen Gruppen für alle schnell zur Verfügung. Sie sind Hilfen<br />
sowohl bei der Lösung von Aufgaben als auch für das vertiefende Verständnis. Diese beiden<br />
Aspekte werden von den folgenden beiden Aufgaben angesprochen:<br />
Beispiel: Grafisches Darstellen von Daten<br />
Die 3A und die 3B fahren gemeinsam auf Projektwoche in den Pinzgau. Es werden<br />
vier verschiedene Projekte angeboten:<br />
Projekt 1: Wanderung zur Thüringerhütte<br />
Projekt 2: Mineralien suchen im Harbachtal<br />
Projekt 3: Besuch des Kraftwerks Kaprun<br />
Projekt 4: Besuch eines Kupferschaubergwerks<br />
Die Schüler/innen stimmen ab, was sie am liebsten machen wollen. Die Ergebnisse<br />
sind in folgender Tabelle zusammengefasst:<br />
Projekt 3A 3B<br />
1 5 2<br />
2 9 4<br />
3 6 7<br />
4 3 6
104 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Stelle mithilfe eines Tabellenkalkulationsprogramms die Wahl der 3A und der 3B sowie<br />
beider Klassen gemeinsam in jeweils einem Kreisdiagramm dar. Wie sollen die Lehrkräfte<br />
entscheiden? Begründe die Entscheidung.<br />
Mögliche Lösung:<br />
Die Lehrkräfte könnten versuchen, sowohl Projekt 2 als auch Projekt 3 durchzuführen,<br />
da gleich starkes Interesse besteht, wie das Kreisdiagramm zeigt. Sie könnten auch<br />
nochmals über diese beiden Projekte abstimmen lassen (Stichwahl).<br />
Kommentar:<br />
Diese Aufgabe ist bei Einsatz einer Tabellenkalkulation, die das Zeichnen von Grafiken einschließt,<br />
für alle lösbar. Die gegebene Tabelle kann, wie oben angedeutet, direkt in das Programm<br />
Excel übernommen werden. Die Summen können entweder mit einer Formel oder im<br />
Kopf berechnet werden. Das dreimalige Zeichnen eines Kreisdiagramms bewirkt ein Einüben<br />
der notwendigen Programmschritte ohne viel Zeitaufwand. Kreisdiagramme erfordern beim<br />
händischen Zeichnen viel Aufwand und Wissen (Arbeiten mit Winkelmaßen), was den Einsatz<br />
von Technologie begründet.<br />
Beispiel: Grafisches Lösen von Gleichungssystemen – Lösungsfälle<br />
Die nächste Aufgabe bezieht sich auf ein Kapitel, das die Vernetzung von Algebra und Funktionslehre<br />
aufzeigt, nämlich das Lösen von Gleichungen (= Aufsuchen von Nullstellen einer<br />
Funktion) und von Gleichungssystemen (= Schnitt zweier Funktionsgraphen).
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 105<br />
Beim Lösen von Gleichungssystemen werden bevorzugt Gleichungssysteme verwendet, die<br />
eine eindeutige Lösung haben. Bei nicht eindeutig lösbaren Gleichungssystemen (d. h. keine<br />
oder unendlich viele Lösungen) agieren die Schüler/innen oft hilflos und glauben, sich verrechnet<br />
zu haben. Hier unterstützt die Visualisierung der Lösungsfälle durch eine grafische<br />
Darstellung die Schüler/innen in ihrem Lernprozess und trägt damit zur Nachhaltigkeit bei.<br />
Sind die Bilder erst im Kopf, kann leichter auf den Algorithmus rückgeschlossen werden.<br />
Ist ein lineares Gleichungssystem gegeben, muss den Schülerinnen und Schülern bewusst<br />
werden, dass Gleichungen der Form a · x + b · y = c (b ≠ 0) als lineare Funktionen interpretiert<br />
werden können und somit als Graphen darstellbar sind.<br />
Beispiel: Grafisches Lösen von Gleichungssystemen – Lösungsfälle<br />
Gleichungssystem 1 Gleichungssystem 2 Gleichungssystem 3<br />
2x – y = 5 2x – y = 5 2x – y = 5<br />
x + 2y = 5 4x – 2 y = 2 y = 2x – 5<br />
a. Löse die drei Gleichungssysteme rechnerisch ohne Technologieeinsatz.<br />
b. Löse die drei Gleichungssysteme grafisch mit Technologieeinsatz.<br />
c. Wie viele Lösungen können auftreten?<br />
d. Woran erkennst du schon in der Angabe, welcher Lösungsfall eintreten wird?<br />
Zusatzaufgabe:<br />
Finde selbst Gleichungssysteme, die keine Lösung bzw. unendlich viele Lösungen<br />
haben. Beschreibe, worauf du achten musst.<br />
Lösung zu b. und c. mit GeoGebra:<br />
Gleichungssystem 1: eine Lösung x = 3, y = 1
106 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Gleichungssystem 2: keine Lösung<br />
Gleichungssystem 3: unendlich viele Lösungen<br />
Kommentar:<br />
Arbeitsauftrag d. wird eher für leistungsstarke Schüler/innen interessant sein. Man könnte<br />
die Fragestellung auch offener gestalten (z. B.: Löse die 3 Gleichungssysteme grafisch und<br />
überprüfe durch Rechnung. Was fällt dir auf? Notiere deine Beobachtungen).<br />
Durch gezieltes Fragen kann man die Schüler/innen dahingehend führen, passende Zahlen<br />
auszuprobieren. Die meisten Schüler/innen werden erkennen, dass es nur dann unendlich
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 107<br />
viele Lösungen gibt, wenn die erste und zweite Gleichung Vielfache voneinander sind. Trifft<br />
dies nur auf die Koeffizienten von x und y zu, gibt es keine Lösung. Vermutungen können<br />
auch bei diesem Beispiel durch Experimentieren mit dem Programm bestätigt oder verworfen<br />
werden.<br />
Das Arbeiten mit Geometrieprogrammen wie GeoGebra, das kostenlos im Internet zur Verfügung<br />
steht, hat viele Vorteile. Dynamische Geometrieprogramme bieten eine Fülle von Einsatzmöglichkeiten<br />
ab der 5. <strong>Schulstufe</strong>. Lernenden macht Mathematik damit Spaß. Auch<br />
motorisch ungeschicktere Schüler/innen erhalten mit einem Zeichenprogramm exakte Figuren.<br />
Mit dem Einsatz von Farben, Schattierungen und Linienstärken können individuelle, oft<br />
fast künstlerische Blätter entstehen. Dies stärkt das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in<br />
das eigene Können. Beides sind wichtige Aspekte erfolgreichen Lernens.<br />
Eigenschaften von geometrischen Objekten können selbst entdeckt werden. Man kann Längen<br />
und Winkel messen, die Figur verschieben usw. Somit können Geometrieprogramme<br />
nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Visualisierung mathematischer Sachverhalte liefern,<br />
sondern auch zum Experimentieren eingesetzt werden.<br />
7.3.2 Experimentieren<br />
Durch Technologieeinsatz können Vermutungen aufgestellt, untersucht und gegebenenfalls<br />
bewiesen werden.<br />
Beispiel: Entdeckungen im Dreieck<br />
Aufgabe 1. Teil:<br />
Mit einem dynamischen Geometrieprogramm wird in einem Halbkreis ein Dreieck gezeichnet.<br />
Man vermutet, dass der Winkel ACB ein rechter Winkel ist. Durch seine<br />
Messung und durch Verschieben des Punkts C kann gezeigt werden, dass diese<br />
Vermutung stimmt (Satz von Thales) (vgl. BIFIE, 2011a, S. 21).<br />
Mögliche Lösung mit GeoGebra:<br />
Kommentar:<br />
Diese Aufgabenstellung wird auch von „Sorgenkindern“ bewältigt und bietet viele Möglichkeiten,<br />
weiter zu forschen. Dies illustrieren die folgenden Aufgabenstellungen.
108 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Aufgabe 2. Teil:<br />
Konstruiere ein Dreieck ABC aus den beiden Endpunkten A und B des Durchmessers<br />
eines Halbkreises und einem weiteren Punkt C, der auf diesem Halbkreis liegt.<br />
Bewege den Punkt C auf dem Kreisbogen und entscheide, ob folgende Sätze wahr<br />
oder falsch sind.<br />
Aussage wahr falsch<br />
α + β ergibt immer 80°.<br />
Die Summe α + β hat immer denselben Wert.<br />
α kann nie größer als β sein.<br />
β ist immer kleiner als 90°.<br />
γ misst immer 90°.<br />
Die Summe der beiden Winkelgrößen α und β ist gleich groß wie<br />
der Winkel γ.<br />
Kommentar:<br />
Wird die obige Tabelle in der Großgruppe besprochen, sollte man auch Erklärungen einfordern,<br />
warum manche Aussagen falsch sind.<br />
Aufgabe 3. Teil:<br />
Zeichne über jeder Seite ein Quadrat und miss die Flächeninhalte. Benutze nun die<br />
Tabelle. Trage die Flächeninhalte in drei Spalten ein. Errechne in der 4. Spalte a 2 + b 2<br />
und in der 5. Spalte c 2 . Ändere dein Dreieck durch „Ziehen“ der Eckpunkte. Was fällt<br />
dir auf?<br />
Möglicher Lösungsweg:
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 109<br />
Kommentar:<br />
Unter Verwendung des Tabellenkalkulationsprogramms kann die Gültigkeit des pythagoreischen<br />
Lehrsatzes für verschiedenste rechtwinkelige Dreiecke überprüft werden. Für weniger<br />
leistungsstarke Schüler/innen genügt es, den Lehrsatz damit einprägsam zu demonstrieren.<br />
Schülerinnen und Schülern mit höherem Leistungsniveau sollte man bewusst machen, dass<br />
damit noch kein exakter Beweis für die Gültigkeit des pythagoreischen Lehrsatzes erfolgt ist<br />
(Beweise sind in allen Lehrbüchern vorhanden). Man weiß nicht, ob er wirklich für alle rechtwinkeligen<br />
Dreiecke gilt. Damit wird verständlich, dass Beweise in der Mathematik stets so<br />
zu führen sind, dass sie Allgemeingültigkeit haben. 2<br />
7.3.3 Modellieren<br />
Technologie ermöglicht das Arbeiten mit verschiedenen mathematischen Modellen. So können<br />
etwa Zinseszinsaufgaben leichter mit einem rekursiven Modell gelöst werden. Dieses<br />
kann auch bei Kreditrückzahlungen (vgl. S. 118) Anwendung finden.<br />
Ein rekursives Modell, das eine Maschine zur Verfügung stellt, macht auch schwierigere Aufgaben<br />
auf niedrigerem Niveau durchführbar. Für leistungsschwächere Schüler/innen ist es<br />
eher von Vorteil, mit einfachem Zinssatz, aber ständig aktualisiertem Grundwert zu rechnen,<br />
als Formeln für Zinseszinsrechnung erarbeiten zu müssen.<br />
Beispiel: Zinsen<br />
Ein Kapital von 100,- € wird mit einem jährlichen Zinssatz von 2 % veranlagt.<br />
Wie entwickelt sich das Guthaben in den nächsten Jahren? Fertige dazu eine Tabelle<br />
und eine Zeichnung an.<br />
Mögliche Lösung:<br />
Das Kapital am Beginn des nächsten Jahres ist gleich dem um die Zinsen vermehrten<br />
Kapital des Vorjahres.<br />
Kapital neu<br />
= Kapital alt<br />
+ Zinsen<br />
Möchte man wissen, wie ein Kapital von 100,- € bei einem jährlichen Zinssatz von 4 %<br />
wächst, so lautet das Modell x n+1<br />
= x n<br />
+ x n<br />
· 0,02 = x n<br />
· 1,02, wobei x 0<br />
= 100.<br />
Das Programm GeoGebra liefert Tabelle und Grafik:<br />
2 Weitere Einsatzideen bietet das <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> (BIFIE, 2011a,<br />
S. 50). Ein Beispiel zur Visualisierung mit Technologieeinsatz (Äquivalenzumformungen) findet sich im<br />
<strong>Praxishandbuch</strong> Mathematik AHS Oberstufe (BIFIE, 2011b, S. 129).
110 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Kommentar:<br />
Mathematisch steckt in diesem rekursiven Modell ein Iterationsverfahren, d. h. eine Methode<br />
der wiederholten Anwendung desselben Rechenverfahrens. Das Ergebnis eines Schritts findet<br />
als Ausgangswert des jeweils nächsten Schritts Verwendung. Maschinen arbeiten sehr<br />
oft mit solchen Verfahren.<br />
Weitere Aufgaben ähnlicher Art finden sich in Kapitel 8 (S. 123).<br />
7.3.4 Operieren, Rechnen<br />
Komplexere Rechnungen werden von der „Maschine“ gelöst. Dies erlaubt auch lebensnahe<br />
Aufgabenstellungen, man braucht keine „schönen“ Zahlen. Viele Fehler beim Operieren gehen<br />
auf mangelnde Strukturerkennungskompetenz zurück. Für das Üben in diesem Bereich<br />
bringt ein Technologieeinsatz den Vorteil, dass die Schüler/innen Fehler leicht selbst finden<br />
können, was das Einprägen und nachhaltige Lernen fördert.<br />
Beispiel: Technologieeinsatz und Strukturerkennen<br />
Terme müssen in einen Taschenrechner oder in ein CAS-System exakt eingegeben werden,<br />
was einen nicht unwesentlichen Schritt zur Erkennung von Termstrukturen darstellt. Dabei ist<br />
besonders von Bedeutung, zu erkennen, welche Strukturen bzw. Rechenoperationen darin<br />
versteckt sind.<br />
Die folgenden Aufgaben können zuerst in Einzelarbeit, dann in Partnerarbeit bearbeitet werden,<br />
wobei erklärt und begründet werden sollte, wo Klammern unbedingt zu setzen sind.<br />
Das Rechnen mit Zahlen und das Erkennen von Rechengesetzen bereitet das Rechnen mit<br />
Variablen vor. Nur wenn dieser Grundstein gelegt ist, kann man in weiterführenden Schulen<br />
darauf sinnvoll aufbauen.<br />
Beispiel: Technologieeinsatz und Strukturerkennung<br />
Gib in deinen Taschenrechner ein:<br />
_______ <br />
32 + 78<br />
23 + <br />
24 + 38<br />
63 – 8<br />
_________<br />
12 – 4 · 5 <br />
Vergleiche dein Ergebnis mit deiner Partnerin/deinem Partner.<br />
Stelle deiner Partnerin/deinem Partner eine ähnliche Aufgabe. Überprüfe ihr/sein<br />
Ergebnis.<br />
Der richtige Wert des Terms wird nur dann angezeigt, wenn an den entsprechenden Stellen<br />
die Klammern gesetzt werden. Auf diese Weise kann die entsprechende Termstruktur<br />
(Quotient) erkannt werden. Die möglicherweise andere Schreibweise eines Gerätes führt zur<br />
Frage, welche Schreibweisen gleichwertig sind und welche Fehler man vermeiden muss. Die<br />
möglichen Fehler sollten unbedingt in der Klasse thematisiert werden.<br />
Werden Fehler gemacht, steigt die Motivation zu verstärkter Selbstkontrolle. Fragen tauchen<br />
auf: Was habe ich falsch gemacht? Warum liefert die Maschine ein anderes Ergebnis? Oder<br />
ist es vielleicht doch dasselbe? Die Schüler/innen sind nicht immer auf eine Korrektur durch<br />
die Lehrerin/den Lehrer angewiesen. Der Mut, etwas auszuprobieren, nimmt zu, was gerade<br />
für Schüler/innen, die Angst haben, Fehler zu machen, und die in Mathematik ungern neue<br />
Wege beschreiten, ein Vorteil ist.
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 111<br />
7.4 Arbeiten mit Lernsoftware<br />
Eine weitere Möglichkeit des Technologieeinsatzes ist die Verwendung fertiger Applets bzw.<br />
Lernpfade im Internet. Es gibt eine Fülle von Materialien (Trainings für das Bruchrechnen,<br />
binomische Formeln usw.), die man zum Üben, aber auch zum Erarbeiten neuer Inhalte<br />
verwenden kann. Hier sei besonders auf die diversen Lernpfade aufmerksam gemacht, bei<br />
denen Schüler/innen (selbstständig oder im Team) Schritt für Schritt zu einem Lernziel hingeführt<br />
werden. Viele Schulbuchverlage bieten zu den Schulbüchern auch CDs an.<br />
Lernpfade<br />
Im Internet 3 finden sich themenspezifische Lernpfade zur Medienvielfalt, die den sinnvollen<br />
Einsatz neuer Medien im Mathematikunterricht beispielhaft illustrieren. Folgende Themenbereiche<br />
betreffen die Sekundarstufe I:<br />
<br />
Geometrie (6. <strong>Schulstufe</strong>): Koordinatensystem und geometrische Grundbegriffe; Kongruenz<br />
– vermuten, erklären, begründen; Dreiecke – merkwürdige Punkte<br />
<br />
Satz von Pythagoras (7./<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>): Pythagoras (7. <strong>Schulstufe</strong>), Pythagoras im Raum<br />
(<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>)<br />
<br />
Zylinder – Kegel – Kugel (<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>)<br />
<br />
Beschreibende Statistik (<strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>)<br />
Eine Einführung in die intuitive Erfassung des Funktionsbegriffs für die 5./6. <strong>Schulstufe</strong> findet<br />
sich z. B. unter http://rfdz.ph-noe.ac.at/fileadmin/lernpfade/lernpfad_wetter/index.htm<br />
[27.09.2012].<br />
Abb. 2: Erfassung des Funktionsbegriffs<br />
3 Siehe http://www.austromath.at/medienvielfalt/ [27.09.2012].
112 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Hier wird anhand von Temperaturkurven mit Diagrammen gearbeitet. Es werden Werte abgelesen<br />
und Tabellen erstellt. Auch Lernpfade für die Themenbereiche Direktes und indirektes<br />
Verhältnis und Lineare Funktionen sind unter diesem Link verfügbar.<br />
Das Angebot von kostenpflichtiger und kostenloser Lernsoftware ist sehr groß und von unterschiedlicher<br />
Qualität. Lernsoftware kann im Schulnetzwerk installiert werden und steht dann<br />
zur Verfügung. Vor dem Einsatz muss die Lehrkraft meist einige Zeit aufwenden, um einen<br />
sinnvollen Unterrichtseinsatz vorzubereiten. Die Arbeit in heterogenen Gruppen kann damit<br />
aber erleichtert werden, weil viele Programme individuelle Aufgaben auf unterschiedlichen<br />
Leistungsniveaus bereitstellen.<br />
Oft wird man auch von Elternseite gefragt, welche Programme bzw. CDs zum zusätzlichen<br />
Üben in Mathematik geeignet sind. Dann sind Empfehlungen der Lehrperson gefragt, damit<br />
nicht irgendein Produkt gekauft wird.<br />
7.5 Exemplarische Aufgaben für Technologieeinsatz<br />
Die hier beschriebenen Aufgaben sind als Unterrichtssequenzen zu verstehen, die je nach<br />
Aufgabenstellung bzw. Vorkenntnissen und Leistungsfähigkeit der Schüler/innen Teile einer<br />
Unterrichtsstunde oder auch mehrere Unterrichtsstunden umfassen können. Teilweise werden<br />
auch Arbeitsblätter für den Einsatz im Unterricht sinnvoll sein.<br />
Die didaktischen Zugänge sind als Vorschläge zu verstehen. Es obliegt jeder Lehrkraft, eigene<br />
Zugänge zu wählen. Nur durch verständnisvolles Lernen wird den Schülerinnen und Schülern<br />
der Transfer auf neue Kontexte gelingen. Unterschiedliche Lösungswege der Lernenden<br />
sind ausdrücklich zu fördern. Es sollte den Schülerinnen und Schülern genug Zeit eingeräumt<br />
werden, nachzudenken, zu probieren, Fehler zuzulassen und diese zu verbalisieren und zu<br />
korrigieren.<br />
7.5.1 Direktes oder indirektes Verhältnis oder keines von<br />
beiden?<br />
Das Erkennen funktionaler Zusammenhänge und die Bestimmung ihrer Art sollten immer<br />
wieder geübt werden. Technologie kann das Verständnis dafür unterstützen. Erkennt man<br />
das mathematische Modell, das zur Lösung einer Textaufgabe benötigt wird, kennt man<br />
auch den Lösungsweg. Auch weniger leistungsstarke Schüler/innen haben ein Anrecht auf<br />
exakten Unterricht, daher sind Vereinfachungen, die mathematisch falsch sind, unzulässig.<br />
Zwei Beispiele dafür:<br />
„je mehr …, desto mehr …“<br />
direktes Verhältnis<br />
„je mehr …, desto weniger …“<br />
indirektes Verhältnis<br />
Abb. 3: Vereinfachungen<br />
Je nach Leistungsvermögen der Schüler/innen können folgende Erkennungsmerkmale für<br />
ein direktes bzw. indirektes Verhältnis zwischen zwei Größen x und y angeboten werden:
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 113<br />
Direktes Verhältnis<br />
Indirektes Verhältnis<br />
1 ... das Doppelte ..., das Doppelte …<br />
... das Dreifache ..., das Dreifache … usw.<br />
... das Doppelte ..., die Hälfte …<br />
... das Dreifache ..., der dritte Teil … usw.<br />
2 Die Zeichnung ergibt eine Gerade durch<br />
den Ursprung.<br />
Die Zeichnung ergibt eine Kurve (Hyperbelast).<br />
3 Es lässt sich eine Formel der Form<br />
y = k · x finden.<br />
Es lässt sich eine Formel der Form<br />
y = k : x finden.<br />
4 Die y-Werte verhalten sich wie die<br />
x-Werte.<br />
y 1<br />
: y 2<br />
= x 1<br />
: x 2<br />
Die y-Werte verhalten sich umgekehrt wie<br />
die x-Werte.<br />
y 1<br />
: y 2<br />
= x 2<br />
: x 1<br />
5 y Der Quotient __<br />
x hat immer denselben Wert. Das Produkt x · y hat immer denselben<br />
Wert.<br />
Die folgenden Aufgaben mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad sind für heterogene Gruppen<br />
gedacht. Je nach Leistungsstärke der Schüler/innen wird eine gewisse Anzahl an Aufgaben<br />
gelöst.<br />
Aufgabe:<br />
In der Tabelle kann man die Preise von Orangen bei Kauf der jeweils angegebenen<br />
Mengen ablesen.<br />
Menge in kg Preis in €<br />
3 6<br />
4 8<br />
5 10<br />
8 16<br />
12 24<br />
Fragestellung 1:<br />
Zeige in der Tabelle, dass eine direkte Proportionalität vorliegt. Gib den Preis von 1 kg<br />
Orangen an.<br />
Mögliche Lösungen:<br />
Ein Kilogramm Orangen kostet 2 €.<br />
Wer dreimal/viermal so viel kauft, muss<br />
auch dreimal/viermal so viel bezahlen.
114 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Kommentar:<br />
Diese Lösung ist auch ohne Technologieeinsatz von allen Schülerinnen und Schülern zu erwarten.<br />
Schüler/innen, die gewohnt sind, regelmäßig Technologie einzusetzen, werden in der<br />
Tabelle auch die Proportionalität auf andere Art feststellen.<br />
Für direkte Verhältnisse gilt __<br />
y x<br />
= k, für indirekte gilt y · x = k. Diese Art der Überprüfung ist vor<br />
allem bei Aufgaben angebracht, bei denen Kopfrechnungen nicht mehr so leicht durchführbar<br />
sind.<br />
Menge x Preis y y : x x · y<br />
3 6 2 18<br />
4 8 2 32<br />
5 10 2 50<br />
8 16 2 128<br />
12 24 2 288<br />
Weil __<br />
y x<br />
= k = 2 gilt, liegt ein direktes Verhältnis vor.<br />
Fragestellung 2:<br />
Zeige mithilfe einer Zeichnung in einem Koordinatensystem, dass eine direkte Proportionalität<br />
vorliegt.<br />
Mögliche Lösung:<br />
Größen, die zueinander direkt proportional sind, bilden Wertepaare, die alle auf einer<br />
Geraden durch den Ursprung liegen. Das ist hier der Fall. Es liegt ein direktes Verhältnis<br />
vor.
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 115<br />
Kommentar:<br />
Zur Differenzierung/Individualisierung könnte dieses Beispiel entsprechend erweitert werden:<br />
<br />
Es werden drei Tabellen angegeben (direkte Proportionalität, indirekte Proportionalität,<br />
kein Verhältnis).<br />
<br />
Die Schüler/innen sollen die Graphen erstellen, diese vergleichen und begründen, warum<br />
welche Proportionalität vorliegt. Sie sollen darüber diskutieren und sich austauschen.<br />
<br />
Weiters sollen sie zu jedem Graphen ein Beispiel aus der Praxis angeben (Alltagsbeispiel …).<br />
<br />
Sie sollen eigene Beispiele finden (Tabelle, Graph, Verbindung zum Alltag/zur Arbeitswelt).<br />
<br />
In heterogenen Gruppen müssen leistungsstarke Schüler/innen auch eine passende Formel<br />
finden und mit Verhältnisgleichungen arbeiten. Bei Schüler/innen mit niedrigem Leistungsniveau<br />
genügt das Erkennen eines direkten Verhältnisses aus der Tabelle (Pfeile<br />
mit · 3 usw.) bzw. mithilfe des Graphen.<br />
7.5.2 Weltrekord beim 100-m-Lauf der Männer (Verwendung<br />
von Daten im Internet)<br />
Technologieeinsatz ermöglicht das grafische Darstellen von Daten, was Schüler/innen in der<br />
Praxis etwa für Referate, schriftliche Arbeiten, Berufsanforderungen etc. nutzen können. Der<br />
Lehrplan sieht im Abschnitt Statistik unter anderem folgende Lerninhalte vor:<br />
<br />
grafische Darstellungen lesen, anfertigen und kritisch betrachten können<br />
<br />
Manipulationsmöglichkeiten erkennen<br />
<br />
Untersuchen und Darstellen von Datenmengen unter Verwendung statistischer Kennzahlen<br />
(z. B. Mittelwert, Median, Quartil, relative Häufigkeit, Streudiagramm)<br />
In der folgenden Aufgabe 4 sollen einige dieser Ziele angesprochen werden. Der erste Teil der<br />
Aufgabe schult das Interpretieren von Grafiken, das Ablesen von Daten, die verbale Beschreibung<br />
des Datenverlaufs und die Auseinandersetzung mit dem Kontext. Gut geeignet für<br />
Aufgaben dieser Art sind soziale Lernformen wie z. B. die „wachsende Gruppe“ (zum Thema<br />
Winkel siehe BMUKK, 2008).<br />
Aufgabe 1. Teil:<br />
Das Diagramm zeigt die Entwicklung des Weltrekords im 100-m-Lauf der Männer.<br />
Weltrekordzeiten 100 m Männer (elektronisch gestoppte Zeiten)<br />
9.6<br />
9.8<br />
Rekordzeit<br />
10.0<br />
10.2<br />
10.4<br />
10.6<br />
1920 1940 1960 1980 2000<br />
Datum<br />
4 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/100-Meter-Lauf#Weltrekordentwicklung [27.09.2012]
116 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Offene Fragestellung:<br />
Gib an, was man aus der Grafik ablesen kann. Überlegt, was euch besonders interessiert<br />
bzw. was euch auffällt.<br />
Enger geführte Fragestellungen:<br />
1. Betrachte das Diagramm. Erkläre, wie die Daten dargestellt werden, damit sie gut<br />
ablesbar sind.<br />
2. Lies die Weltrekordzeit der 1930er-Jahre und von heute ab.<br />
3. Gib einen Zeitraum an, in dem es keine starke Veränderung der Weltrekordzeit<br />
gab.<br />
4. Wann gab es starke Verbesserungen der Weltrekordzeit?<br />
5. Überlege, woran es liegen könnte, dass die Verbesserungen in immer kürzeren<br />
Zeitabständen stattfinden.<br />
Aufgabe 2. Teil:<br />
Du findest in der Tabelle berühmte Weltrekordhalter mit ihren Weltrekordzeiten. Stelle<br />
diese Zeiten in einem Diagramm dar. Wähle selbst eine passende Darstellung.<br />
Zeit (s) Name Land Datum Ort<br />
10,64 Ralph Metcalfe USA 16.07.1932 Stanford<br />
10,34 Barney Ewell USA 09.07.1948 Evanston<br />
10,32 Ray Norton USA 10.0<strong>8.</strong>1958 Thonon-les-Bains<br />
10,25 Armin Hary GER 21.06.1960 Zürich<br />
9,95 Jim Hines USA 14.10.1968 Mexiko-Stadt<br />
9,93 Carl Lewis USA 17.0<strong>8.</strong>1988 Zürich<br />
9,79 Maurice Greene USA 16.06.1999 Athen<br />
9,77 Asafa Powell JAM 1<strong>8.</strong>0<strong>8.</strong>2006 Zürich<br />
9,72 Usain Bolt JAM 31.05.2008 New York City<br />
9,69 Usain Bolt JAM 16.0<strong>8.</strong>2008 Peking<br />
9,58 Usain Bolt JAM 16.0<strong>8.</strong>2009 Berlin<br />
Mögliche Lösung (zwei verschiedene Darstellungsformen):
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 117<br />
Vor- und Nachteile unterschiedlicher Darstellungsarten können angesprochen werden. Anhand<br />
des Boxplot-Diagramms lässt sich gut erkennen, dass diese Darstellungsform für diese<br />
Aufgabe nicht geeignet ist, weil es sich um eine zeitliche Entwicklung handelt. Auch die Abbildung<br />
oben (Liniendiagramm) erzeugt kein zutreffendes Bild, exakt wäre ein Punktdiagramm.<br />
Aufgabe 3. Teil:<br />
Die Weiterführung der Aufgabe könnte darin bestehen, eventuell im Turnunterricht<br />
die Zeiten der Schüler/innen beim 100-m-Lauf zu stoppen. Die Daten könnten nach<br />
Geschlecht geordnet, grafisch (z. B. mit einem Boxplot/Kastenschaubild) dargestellt<br />
und ausgewertet werden. Größen wie arithmetisches Mittel, Median, Quartile könnten<br />
erarbeitet und gefestigt werden.<br />
7.5.3 Schuldenfalle<br />
Da gerade junge Menschen leicht in die sogenannte „Schuldenfalle“ tappen, stellt das Experimentieren<br />
über das Anwachsen einer Schuld bei verschiedenen Zinssätzen und Laufzeiten<br />
und in Erweiterung mit unterschiedlichen Rückzahlungsraten einen wichtigen Beitrag<br />
der Mathematik zur Lebensbewältigung dar. Auch der Vergleich von Möglichkeiten wie Ratenzahlung,<br />
Leasing, Sparen, Kreditnahme usw., um sich bestimmte Wünsche zu erfüllen,<br />
kann angesprochen und im Projektunterricht eventuell auch länger und intensiver behandelt<br />
werden. Die „Maschine“ entlastet von langwierigen, mitunter schwierigen Rechnungen und<br />
schafft Freiraum zur Interpretation der Ergebnisse.
118 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Aufgabe:<br />
a. Herr Grünfelder nimmt für den Kauf eines Autos einen Kredit in der Höhe von<br />
10 000 € zu einem Fixzinssatz (Hinweis: nicht lebensnah!) von 5,5 % auf. Er bezahlt,<br />
nachdem die alte Schuld verzinst ist, am Ende jedes Jahres 1 000 € zurück.<br />
Wann hat er den Kredit abbezahlt? Wie hoch ist die letzte Rate?<br />
b. Herr Grünfelder nimmt einen Kredit in der Höhe von 10 000 € zu einem Fixzinssatz<br />
(Hinweis: nicht lebensnah!) von 5,5 % auf. Er bezahlt, nachdem die alte Schuld verzinst<br />
ist, am Ende jedes Jahres 500 € zurück. Wann hat er den Kredit abbezahlt?<br />
Möglicher Lösungsweg mit Excel:<br />
a. b.<br />
Jahre Schuld Jahre Schuld<br />
0 10000,00 Eintrag für das 0 10000,00 Eintrag für das<br />
1 9550,00 Feld B2: 1 10050,00 Feld B2:<br />
2 9075,25 =B1*1,055-1000 2 10102,75 =B1*1,055-500<br />
3 8574,39 3 10158,40<br />
4 8045,98 4 10217,11<br />
5 7488,51 5 10279,05<br />
6 6900,38 6 10344,40<br />
7 6279,90 7 10413,34<br />
8 5625,29 8 10486,08<br />
9 4934,68 9 10562,81<br />
10 4206,09 10 10643,77<br />
11 3437,43 11 10729,17<br />
12 2626,48 12 10819,28<br />
13 1770,94 13 10914,34<br />
14 868,34 14 11014,63<br />
15 -83,90 15 11120,43<br />
Im Fall a. dauert die Rückzahlung 15 Jahre; die letzte Rate beträgt 868,34 €.<br />
Im Fall b. wird trotz Schuldenrückzahlung die Gesamtschuld immer größer. Ein Hinweis<br />
auf Finanzprobleme von Gebietskörperschaften (z. B. Staatsschulden) erscheint<br />
hier angebracht.<br />
Kommentar:<br />
In der Aufgabe steckt viel Potenzial, lebensnah über die Sinnhaftigkeit von Anschaffungen auf<br />
Kredit zu diskutieren. Zum Beispiel wäre es möglich, dass ein Auto längst nicht mehr funktionstüchtig<br />
ist, aber noch immer dafür Raten bezahlt werden müssen. Mit Technologieeinsatz<br />
sind Aufgaben dieser Art in der Sekundarstufe I lösbar. Kenntnisse von geometrischen Folgen<br />
oder schwierige Formeln werden nicht benötigt. Wichtig ist, das Bildungsgesetz zu kennen:<br />
neue Schuld = alte Schuld + Zinsen der alten Schuld – Rückzahlungsrate. Ebenso können<br />
Aufgaben zum Sparen bei jährlichen gleichbleibenden Einzahlungen gelöst werden.
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 119<br />
7.5.4 Funktionale Abhängigkeiten<br />
Auf den ersten Blick mag die folgende Aufgabe, die stofflich eher dem Erweiterungsbereich<br />
zuzuordnen ist, kompliziert ausschauen. Sie wird jedoch von den Schülerinnen und Schülern<br />
gern angenommen. Das spielerische Umgehen mit der Lage von Geraden und das eigenständige<br />
oder angeleitete Erforschen von Funktionsgleichungen und deren Graphen führen<br />
zur Erarbeitung eines intuitiven Funktionsbegriffs im Allgemeinen und der linearen Funktion im<br />
Besonderen. Hier wird der Grundstein für komplexere Aufgaben gelegt, was für das Lernen<br />
in weiterführenden Schulen hilfreich ist.<br />
Funktionale Zusammenhänge werden häufig durch Gleichungen bzw. Formeln beschrieben.<br />
Doch welchen Einfluss haben die Parameter in diesen Gleichungen auf den Verlauf des zugehörigen<br />
Graphen? Dieser Zusammenhang zwischen Gleichung und Graph kann mit Geo-<br />
Gebra veranschaulicht werden.<br />
Die folgende Unterrichtsaufgabe dient zur Erarbeitung der Lage des Graphen von linearen<br />
Funktionen der Form y = k · x + d in Abhängigkeit von den Parameterwerten k und d.<br />
Aufgabe:<br />
1. Gegeben ist eine lineare Funktion mit der Funktionsgleichung y = k · x + 2. Wähle<br />
für die Zahl k unterschiedliche Werte, z. B. zwischen -3 und +3. Zeichne die Graphen<br />
der Funktionen in ein Achsenkreuz.<br />
2. Gegeben ist eine lineare Funktion mit der Funktionsgleichung y = x + d. Wähle für<br />
die Zahl d unterschiedliche Werte, z. B. zwischen -3 und +3. Zeichne die Graphen<br />
der Funktionen in ein (neues) Achsenkreuz.<br />
3. Gegeben ist eine lineare Funktion mit der Funktionsgleichung y = k · x + d. Wähle<br />
für die Zahlen k und d unterschiedliche Werte, z. B. zwischen -3 und +3 unter<br />
Verwendung der Schieberegler.<br />
Welche Besonderheiten fallen euch auf? Fasst eure Ergebnisse zusammen.<br />
Möglicher Lösungsweg zu 1. und 2. (erstellt mit dem Programm GeoGebra):
120 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Es empfiehlt sich, zuerst für jeden gewählten Parameterwert eine Gerade zu zeichnen.<br />
Vermutungen über die Lage der Geraden werden so leichter anzustellen sein. Für<br />
die 3. Aufgabenstellung können die in GeoGebra vorhandenen Schieberegler benutzt<br />
werden. In der Funktionsgleichung y = k · x + d werden die Parameter k und d variabel<br />
gestaltet. Die Schüler/innen können durch Eingabe der Gleichung und der Definition<br />
der Parameter als Schieberegler den Funktionsterm beliebig ändern. So kann die<br />
Vermutung aus 1. bzw. 2. nochmals überprüft werden.
Technologieeinsatz im Mathematikunterricht 121<br />
Kommentar:<br />
Wachsende Gruppe und Museumsrundgang sind als Arbeitsformen empfehlenswert.<br />
7.6 Resümee<br />
Das Kapitel Technologieeinsatz im Mathematikunterricht soll Lehrerinnen und Lehrern einerseits<br />
Mut machen und andererseits Anregungen geben, wie neue methodische bzw. didaktische<br />
Wege im Mathematikunterricht beschritten werden können. Dem anfangs notwendigen<br />
Mehraufwand an Vorbereitungszeit steht eine Individualisierung des Lernens gegenüber, die<br />
gerade in heterogenen Gruppen zum Tragen kommt. Kinder und Jugendliche sind in einer<br />
Welt der Informationstechnologie groß geworden, der Umgang mit elektronischen Geräten<br />
aller Art gehört zu ihrem Alltag und sie bewältigen die an sie gestellten Aufgaben gut. Ein<br />
zeitgemäßer, motivierender Mathematikunterricht wird immer mehr auf diese Technologien<br />
zurückgreifen und die damit verbundenen neuen didaktischen Möglichkeiten ausnutzen.<br />
Literatur<br />
Bauer, K., Fürst, S., Haselberger, W. et al. (2010). Mathematik und Fachrechnen für landwirtschaftliche<br />
Berufs- und Fachschulen. Schwarzenbek: avBUCH im Cadmos Verlag.<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011a). <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>. 2., überarbeitete<br />
Auflage. Graz: Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/315 [27.09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011b). <strong>Praxishandbuch</strong> Mathematik AHS Oberstufe. Auf dem Weg<br />
zur standardisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung. Graz: Leykam. Verfügbar unter<br />
https://www.bifie.at/node/1354 [27.09.2012].
122 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (Hrsg.) (2008). MathematikMethoden.<br />
Beiträge zur Unterrichtsentwicklung mit dem Blick auf Bildungsstandards für Mathematik<br />
am Ende der <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> 2. Wien.<br />
Fürst, S. (2001). SchülerInnenarbeitshefte zum Ti-92/92+ in der Sek-I – Proportionen und<br />
Strahlensatz. Linz: bk-teachware.<br />
Gäng, P. (1998). Excel für Wissenschaft und Technik. Düsseldorf: Data Becker.<br />
GeoGebra (2012): Dynamische Mathematiksoftware. Verfügbar unter http://www.geogebra.<br />
org [01.02.2012].<br />
Heugl, H. (2012). Standards und Technologie. Verfügbar unter http://www.acdca.ac.at/material/vortrag/heugl_wels0511.htm<br />
[27.10.2012].<br />
Lehmann, E. (2004). Klassenarbeiten mit Computeralgebra in der Sekundarstufe 1. Mainburg:<br />
Texas Instruments.<br />
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (Hrsg.) (2008).<br />
Encouraging Student Interest in Science and Technology Studies. OECD Publishing.<br />
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (Hrsg.) (2012).<br />
Pisa im Fokus 3. Verfügbar unter http://www.oecd.org/pisa/pisainfocus/pisa%20in%20<br />
focus%20N°14_GER.pdf [27.09.2012].
Überblick zu den gängigen Antwortformaten bei Überprüfungen 123<br />
8 Überblick zu den gängigen Antwortformaten<br />
bei Überprüfungen<br />
Zur Analyse der mathematischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern nehmen Aufgaben<br />
einen hohen Stellenwert ein. Im Unterricht erfolgen eine Bewertung und schließlich<br />
auch eine Beurteilung durch die Lehrkraft. Für zentrale Überprüfungen (nationale Überprüfungen<br />
der Bildungsstandards, standardisierte Reife- und Diplomprüfung, PISA etc.) werden<br />
von Testpsychologinnen und Testpsychologen, Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern<br />
sowie Lehrkräften eigene Items entwickelt, die strenge Kriterien erfüllen müssen. Um den<br />
Interpretationsspielraum bei der Entscheidung, ob eine Aufgabe richtig gelöst wurde, einzuengen,<br />
werden bei den Überprüfungen üblicherweise geschlossene Aufgaben mit eindeutiger<br />
Lösungserwartung eingesetzt. Der häufige Einsatz von geschlossenen Antwortformaten<br />
ermöglicht eine rasche (auch elektronische) Auswertung. Diese strengen Kriterien sind allerdings<br />
für Aufgaben, die im Unterricht Verwendung finden, nur bedingt relevant. Es ist jedoch<br />
vorteilhaft, die Schüler/innen mit den bei zentralen Überprüfungen verwendeten Antwortformaten<br />
vertraut zu machen, denn auch in weiterführenden Schulen, Betrieben, Fachhochschulen,<br />
Universitäten und anderen Institutionen finden Eignungstests in ähnlicher Form statt.<br />
Sieglinde Fürst<br />
Welches Format nun „offen“, „halboffen“ oder „geschlossen“ genannt wird, ist nicht immer eindeutig.<br />
Im Folgenden werden verschiedene Antwortformate 1 in Anlehnung an die Formate der<br />
zentralen Überprüfungen angeführt und hinsichtlich ihres Einsatzes im Unterricht beleuchtet.<br />
<strong>8.</strong>1 Offenes Antwortformat<br />
Die Formulierung der Antwort auf die gestellte Frage und die Art der Dokumentation des<br />
Lösungswegs (sofern diese gefordert wird) bleiben bei offenen Antwortformaten den Schülerinnen<br />
und Schülern überlassen. Nahezu alle Unterrichtsaufgaben in der Schule und Übungsaufgaben<br />
für zu Hause werden sich dieser Formate bedienen. Dabei werden auch sprachliche<br />
Fähigkeiten angesprochen und deren Entwicklung gefördert. Die Dokumentation des<br />
Lösungswegs erfordert Ordnung und Übersicht.<br />
Die in den vorhergegangenen Kapiteln angeführten Aufgaben verlangen ebenfalls meist „freie<br />
Antworten“, wobei diese als Text, als eine Skizze mit einer Erklärung, als Flussdiagramm oder<br />
in anderer Form erbracht werden können. Im Gegensatz zu Schularbeiten oder Überprüfungen<br />
dürfen diese im erarbeitenden Unterricht unexakt, fehlerhaft und unvollständig sein.<br />
Durch gemeinsames Diskutieren verschiedener Lösungswege lassen sich wertvolle Lernimpulse<br />
setzen und viele (auch überfachliche) Fähigkeiten trainieren.<br />
Aufgabe mit „freien Antworten“: Verdünnungssaft<br />
Ermittle, wie vielen durstigen Freunden du ein ¼-Liter-Glas Saft<br />
einschenken kannst, wenn du die ganze Flasche Saft wie auf<br />
der Flasche angegeben verdünnst? Notiere, wie du vorgehst.<br />
(Wolkerstorfer, 2012, S. 55)<br />
1 Vgl. insbesondere die beiden auf der Website des BIFIE abrufbaren Dokumente Freigegebene Items<br />
aus der Pilotierung 2011 – Mathematik 8 (BIFIE, 2011) sowie Die standardisierte schriftliche Reifeprüfung<br />
in Mathematik. Inhaltliche und organisatorische Grundlagen zur Sicherung mathematischer<br />
Grundkompetenzen (BIFIE, 2012b, S. 27–31).
124 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Gerade offen zu beantwortende Aufgaben haben großes Diagnosepotenzial. Sie sind meist<br />
verstehens- oder kompetenzorientiert formuliert und können daher Auskunft über bereits<br />
vorhandene Ressourcen bzw. verinnerlichte Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern<br />
geben (vgl. Mürwald-Scheifinger & Weber, 2011, S. 113–119).<br />
Offene Antwortformate sind nicht nur für Argumentations- oder Begründungsfragestellungen<br />
nutzbar, sondern geben darüber hinaus wichtige Hinweise, wenn sie für Modellbildungs- und<br />
Interpretationsfragestellungen verwendet werden. Auch im operativen Bereich haben sie einen<br />
Platz, wenn es darum geht, herauszufinden, ob Verfahren wirklich verstanden wurden.<br />
<strong>8.</strong>2 Halboffenes Antwortformat<br />
Laut Definition von PISA lassen halboffene Formate jeweils nur eine eindeutige richtige Antwort<br />
– es kann sich dabei auch um eine Konstruktion (vgl. Abschnitt <strong>8.</strong>3 dieses Kapitels), eine<br />
Gleichung oder eine kurze Erklärung handeln – zu, die leicht auf Korrektheit überprüft werden<br />
kann. Die Antwortformulierung erfolgt durch die Schülerin/den Schüler, ist aber aufgrund der<br />
präzisen Aufgabenformulierung nur sehr kurz, d. h., sie umfasst oft nur ein Wort, einen Term<br />
oder eine Zahl als Ergebnis einer Rechnung.<br />
Aufgabe 1:<br />
Gib an, durch welche Zahl dividiert wurde. Ergänze die Zahl im Kästchen.<br />
÷<br />
12 435 1,2435<br />
Aufgabe 2:<br />
Die Abbildung zeigt ein Bauwerk, das aus 1-cm³-Würfeln hergestellt wurde. Gib die<br />
Größe des Volumens des Bauwerks an.<br />
V = .......... cm³<br />
Kommentar:<br />
Wird diese Aufgabe im erarbeitenden Unterricht und nicht zur Leistungsüberprüfung eingesetzt,<br />
empfiehlt es sich, den Schülerinnen und Schülern mittels Bausteinen die Möglichkeit
Überblick zu den gängigen Antwortformaten bei Überprüfungen 125<br />
des Nachbauens zu geben. Die Ermittlung des Flächeninhalts des Körpers kann als zusätzliche<br />
Aufgabe gestellt werden, womit in heterogenen Gruppen unterschiedliche Leistungsniveaus<br />
angesprochen werden.<br />
<strong>8.</strong>3 Konstruktionsformat<br />
Das Konstruktionsformat kann als haIboffen angesehen werden. In eine bereits vorgegebene<br />
Zeichnung (z. B. ein Koordinatensystem) sollen Punkte, Geraden etc. eingetragen werden.<br />
Es gibt auch Aufgaben, die das Zeichnen geometrischer Figuren in einem Koordinatensystem<br />
verlangen. Dabei kann es sich je nach Vielfalt der Lösungswege um eine halboffene oder um<br />
eine offene Aufgabe handeln.<br />
Beispiel:<br />
Gegeben sind eine Gerade g und ein Punkt P. Zeichne<br />
eine zur Geraden g parallele Gerade h durch den<br />
Punkt P.<br />
<strong>8.</strong>4 Geschlossene Antwortformate<br />
Alle geschlossenen Antwortformate sind daran zu erkennen, dass eine richtige Antwort, Aussage<br />
bzw. Zuordnung durch Ankreuzen ermittelt wird.<br />
<strong>8.</strong>4.1 Multiple-Choice-Antwortformate<br />
Bei diesem Format sind mehrere Antworten vorgegeben, die richtige Aussage/die richtigen<br />
Aussagen ist/sind anzukreuzen. Die Wahrscheinlichkeit, die richtige(n) Antwort(en) zu erraten,<br />
ist dabei unterschiedlich hoch.<br />
Erstellt die/der Lehrende eigene Aufgaben und bedient sich dieses Antwortformats, so wird<br />
sie/er schnell feststellen, wie schwierig es ist, geeignete falsche Antworten (sogenannte Distraktoren<br />
= Ablenker) zu finden, die vernünftig klingen, aber eben nicht korrekt sind. Weiters<br />
muss man darauf achten, nicht zwei einander widersprechende Antworten vorzugeben.<br />
Beispiel:<br />
A: Das Quadrat ist ein Parallelogramm.<br />
B: Das Quadrat ist kein Parallelogramm.
126 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Kommen zwei solcher Antworten vor, ist klar, dass nur eine gelten kann, was die Zahl der<br />
Antworten einschränkt.<br />
Es ist günstig, Aussagen mit ähnlichem Satzbau und ungefähr gleicher Länge zu formulieren.<br />
Bei zentralen Überprüfungen sind Multiple-Choice-Antwortformate in der Regel sogenannte<br />
0-1-Aufgaben, d. h., sie werden nur dann mit einem Punkt bewertet, wenn alle Antworten<br />
richtig sind. Sind etwa zwei richtige Aussagen vorhanden und nur eine davon wird angekreuzt,<br />
so erhält die Schülerin/der Schüler keinen Punkt.<br />
Dem oft vorgebrachten Einwand, dass Multiple-Choice-Formate richtige Ergebnisse durch<br />
„Raten“ ermöglichen, beugt die Testpsychologie vor, indem nur bestimmte Formen dieses<br />
Antwortformats verwendet werden.<br />
a. Format „2 aus 5“<br />
Es sind fünf Aussagen vorgegeben, die Aufforderung lautet: Kreuze die beiden zutreffenden<br />
Aussagen an.<br />
Beispiel:<br />
Kreuze die beiden zutreffenden Aussagen über einen Quader an.<br />
Die Grundfläche eines Quaders ist immer ein Quadrat.<br />
Ein Quader hat 8 Kanten.<br />
Die einander gegenüberliegenden Flächen eines Quaders sind deckungsgleich.<br />
Es kann Begrenzungsflächen des Quaders geben, die keine rechten Winkel<br />
haben.<br />
Das Volumen V eines Quaders mit den Kantenlängen a, b und c kann mithilfe<br />
der Formel V = a · b · c berechnet werden.<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
Kommentar:<br />
Dieses Format wird bei der Überprüfung der Bildungsstandards in Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong><br />
nicht mehr eingesetzt. Besonders Leistungsschwächeren fiel bei der Baseline-Testung<br />
2009 der Wechsel zwischen dem „1 aus 6“-Format (siehe unten) und dem „2 aus 5“-Format<br />
schwer. Dies zeigte sich dadurch, dass viele nur ein Kästchen ankreuzten und damit keinen<br />
Punkt erhielten. (Sie wurden also in ihrer Leistungsfähigkeit unterschätzt.)<br />
Ebenso gab es Positionseffekte, d. h., bei „2 aus 5“-Items, die eher am Ende der Überprüfung<br />
bearbeitet werden mussten, wurde häufig nur eine Antwortmöglichkeit angekreuzt,<br />
obwohl zwei richtige Antworten zu markieren waren. Dies ließ auf einen Müdigkeitseffekt<br />
schließen, der den Wechsel zwischen „1 aus 6“ und „2 aus 5“ zusätzlich erschwerte. Aus<br />
diesen Gründen sind bei den Standardüberprüfungen keine „2 aus 5“-Items mehr im Einsatz.<br />
Im Rahmen der Informellen Kompetenzmessung (IKM) und der standardisierten Reifeprüfung<br />
in Mathematik an AHS findet dieses Antwortformat hingegen weiterhin Verwendung.
Überblick zu den gängigen Antwortformaten bei Überprüfungen 127<br />
b. Format „1 aus 4“<br />
Die folgende Aufgabe entstammt dem auf der Website des BIFIE abrufbaren Aufgabenpool<br />
für die Sekundarstufe I 2 . Aus vier möglichen Antworten ist die richtige auszuwählen.<br />
Beispiel:<br />
Ein quaderförmiges Paket mit<br />
der Länge x cm, der Breite y cm<br />
und der Höhe 12 cm wird wie in<br />
der Abbildung verschnürt. Für die<br />
Masche muss man noch 140 cm<br />
<strong>Band</strong> extra berechnen. Mit welcher<br />
der folgenden Formeln kannst du<br />
die Länge L des benötigten <strong>Band</strong>s<br />
in cm berechnen?<br />
Kreuze den Kreis mit der richtigen<br />
Formel an.<br />
O L = 2 ∙ x + 2 ∙ y + 4 ∙ 12 + 140<br />
O L = 2 ∙ (x + y + 12) + 140<br />
O L = x + y + 12 + 4 Lösung:<br />
O L = 2 ∙ (x + 12) + y + 140 L = 2 ∙ x + 2 ∙ y + 4 ∙ 12 + 140<br />
c. Format „1 aus 6“<br />
Es sind sechs Antworten vorgegeben, nur eine von ihnen ist richtig. Dieses Format wird derzeit<br />
noch bei der Überprüfung der Bildungsstandards Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong> verwendet,<br />
soll aber sukzessive durch „1 aus 4“-Aufgaben ersetzt werden. In Rahmen der standardisierten<br />
Reifeprüfung in Mathematik an AHS wird es künftig jedoch flächendeckend zum Einsatz<br />
kommen. Durch Vorgabe von sechs Aussagen ist die Wahrscheinlichkeit, die richtige Aussage<br />
zu erraten, geringer.<br />
Beispiel:<br />
C<br />
Gegeben ist ein rechtwinkeliges Dreieck<br />
mit den Seiten e, f und g.<br />
g<br />
90°<br />
f<br />
Kreuze die Formel an, die den Zusammenhang<br />
zwischen den Seitenlängen richtig<br />
angibt.<br />
A<br />
e<br />
B<br />
g 2 = f 2 + e 2<br />
e = g + f<br />
f = √ _____ e – g <br />
√ ______<br />
g 2 + f 2 = e 2<br />
g = √ ______<br />
e 2 – f 2 <br />
a 2 + b 2 = c 2<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
2 Verfügbar unter http://aufgabenpool.bifie.at/m7 [27.09.2012].
128 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
d. Format „x aus 5“<br />
Aus fünf vorgegebenen Aussagen sind x Antwortmöglichkeiten als richtig zu erkennen. Mindestens<br />
eine der vorgegebenen Aussagen ist richtig (x ≥ 1), da sonst nicht feststellbar ist, ob<br />
das Beispiel überhaupt bearbeitet wurde.<br />
Beispiel:<br />
Der Goldpreis am Weltmarkt hat sich in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt.<br />
Kreuze die zutreffende(n) Aussage(n) an.<br />
Der Goldpreis beträgt heute 200 % des vor sechs Jahren gültigen Goldpreises.<br />
Vor sechs Jahren war Gold um 50 % billiger als heute.<br />
Der Goldpreis ist in den vergangenen sechs Jahren um 150 % gestiegen.<br />
Gold war vor sechs Jahren nur halb so teuer wie heute.<br />
Wenn der Goldpreis weiter steigt wie in den vergangenen sechs Jahren,<br />
kostet Gold in sechs Jahren viermal so viel wie vor sechs Jahren.<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
<strong>8.</strong>4.2 Richtig-Falsch-Items<br />
Richtig-Falsch-Items (zum Ankreuzen) bestehen aus einer Aussage und zwei Antwortalternativen<br />
(richtig/falsch, ja/nein, trifft zu/trifft nicht zu), von denen eine zutrifft. Um die Ratewahrscheinlichkeit<br />
zu minimieren, werden solche Items nur blockweise vorgelegt. Dies zeigt die<br />
folgende Aufgabe:<br />
Der Auftragszettel des Tischlerlehrlings ist zerrissen. Dieser Teil ist noch<br />
vorhanden.<br />
b = 6 cm<br />
30 °<br />
a = 10 cm<br />
Abb. 7: Auftragszettel<br />
Welche der angegebenen geometrischen Figuren könnte der Tischlerlehrling<br />
mit diesen Angaben eindeutig konstruieren?<br />
Lies dir jede Aussage durch. Kreuze an, ob sie richtig oder falsch ist. S<br />
richtig<br />
falsch<br />
Rechteck £ £<br />
Dreieck £ £<br />
Parallelogramm £ £<br />
Trapez £ £<br />
Deltoid £ £<br />
M8Bspl<br />
Lösung: falsch, richtig, richtig, falsch, falsch (nach BIFIE, 2012a, S. 30)
Überblick zu den gängigen Antwortformaten bei Überprüfungen 129<br />
<strong>8.</strong>4.3 Cloze-Format/Lückentext<br />
Cloze-Formate können als halboffene Formate betrachtet werden. Anders als in vielen<br />
Übungsbüchern ist nicht bloß eine Lücke mit einem Begriff zu füllen, sondern oft wird ein<br />
Satz mit zwei Lücken vorgegeben, zu denen es jeweils drei mögliche Antworten gibt. Nur<br />
eine Antwort pro Lücke ist richtig.<br />
Beispiel:<br />
Gegeben ist folgende Tabelle, die den Preis von Erdäpfeln angibt.<br />
Menge x in kg 1 5 10 15 20 25 … x 1<br />
x 2<br />
Preis y in € 1,2 6 12 18 24 30 … y 1<br />
y 2<br />
Vervollständige den Satz so, dass er mathematisch korrekt ist. Kreuze dazu für die<br />
erste und zweite Lücke je einen der drei vorgegebenen Ausdrücke an.<br />
Menge x und Preis y stehen 1 , weil 2<br />
1 2<br />
im indirekten Verhältnis<br />
im direkten Verhältnis<br />
weder im direkten noch im<br />
indirekten Verhältnis<br />
o<br />
o<br />
o<br />
obige Zahlenpaare nicht Punkte<br />
auf einer Geraden sind.<br />
das Produkt x · y stets den<br />
gleichen Wert hat.<br />
x 1<br />
: x 2<br />
= y 1<br />
: y 2<br />
.<br />
o<br />
o<br />
o<br />
<strong>8.</strong>4.4 Zuordnungsformat („Matching Items“)<br />
Dieses Format kommt bei der Überprüfung der Bildungsstandards in Mathematik <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong><br />
zwar nicht vor, in Englisch und Deutsch wird es aber bereits eingesetzt. Auch bei der<br />
standardisierten Reifeprüfung in Mathematik an AHS wird es nach aktuellem Entwicklungsstand<br />
zum Einsatz kommen.<br />
Um die Trefferhäufigkeit durch bloßes Raten gering zu halten, werden z. B. zu vier Begriffen<br />
sechs Möglichkeiten für eine passende Zuordnung angeboten. Damit ist in der zweiten Spalte<br />
ein Überschuss an zuordenbaren Aussagen vorhanden. 3<br />
3 Auch andere Formen dieses Formats sind im Einsatz (vgl. z. B. BIFIE, 2012c).
130 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Beispiel:<br />
Ordne den 4 gezeichneten Körpern die richtige Formel zur Berechnung des Volumens<br />
zu. Trage dazu den richtigen Buchstaben in die leere 2. Spalte ein.<br />
Körper<br />
Zugeordnete<br />
Formel<br />
A<br />
V = _____ a + c<br />
2 <br />
B<br />
V = _______ a · b · c <br />
2<br />
C<br />
V = _____<br />
a2 · b<br />
3 <br />
D<br />
V = _______ a · b · c <br />
3<br />
E<br />
V = _____ a + c<br />
2 · c · b<br />
F<br />
V = a · b · c<br />
Gut einsetzbar sind die beschriebenen geschlossenen Antwortformate<br />
<br />
am Ende einer Lernsequenz,<br />
<br />
zur Erhebung des aktuellen Wissensstands,<br />
<br />
als Wiederholungen zwischendurch bei der Abhandlung ganz anderer Themenbereiche<br />
im Sinne des nachhaltigen Lernens sowie<br />
<br />
als Kopfübungen (vgl. S. 85).
Überblick zu den gängigen Antwortformaten bei Überprüfungen 131<br />
Mathematische Kompetenzen können damit punktgenau überprüft werden. Es wird dabei<br />
in Kauf genommen, dass andere Fähigkeiten wie sprachliche Exaktheit, Formulieren der eigenen<br />
Gedanken in Sätzen, Herstellen von Querverbindungen usw. weniger zum Tragen<br />
kommen. So hat etwa die Aufgabenstellung „Gib Möglichkeiten zum Nachweis eines direkten<br />
Verhältnisses an“ eine völlig andere Qualität als die im Abschnitt <strong>8.</strong>4.3 dieses Kapitels angeführte<br />
Lückentextaufgabe, in der die möglichen Antworten bereits vorgegeben sind und die<br />
zutreffende Aussage angekreuzt werden muss. Anfänglich werden Schüler/innen mit diesen<br />
Antwortformaten mitunter Schwierigkeiten haben, weil sie nicht mit eigenen Wörtern entsprechend<br />
ihrer eigenen mathematischen Vorstellung antworten können. Plötzlich soll man als<br />
Schüler/in auch wissen, was „alles nicht gilt“. Darauf wird im Unterricht Augenmerk zu legen<br />
sein. Eine umfassende Analyse und Besprechung von Fehlern, die man „nicht machen darf“,<br />
können hier hilfreich sein. Eine gute Übung ist in diesem Zusammenhang, den Schülerinnen<br />
und Schülern die Möglichkeit zu geben, zu einer Fragestellung selbst möglichst „gute“ falsche<br />
Antworten zu suchen.<br />
Die folgende, in Partner- oder Gruppenarbeit umsetzbare Unterrichtssequenz soll das illustrieren:<br />
Aufgabe:<br />
Gegeben ist ein Rechteck mit den Seitenlängen a und b. Findet richtige und „gute“<br />
falsche Aussagen zu den Eigenschaften des Rechtecks.<br />
In der Großgruppe werden die Aussagen gesammelt und nach „richtig“ und „falsch“<br />
eingeordnet. Das Ergebnis könnte dabei wie folgt aussehen:<br />
richtig<br />
falsch<br />
R1: Das Rechteck ist ein Viereck. F1: Ein Viereck mit 4 gleich langen Seiten<br />
ist ein Rechteck.<br />
R2: Das Rechteck hat vier rechte Winkel. F2: Das Rechteck hat genau eine<br />
Symmetrie achse.<br />
R3: Das Rechteck besitzt einen Umkreis. F3: Das Rechteck besitzt einen Inkreis.<br />
R4: Das Rechteck hat zwei gleich lange<br />
Diagonalen.<br />
R5: Für den Umfang u des Rechtecks<br />
gilt: u = 2 · a + 2 · b.<br />
R6: Für den Flächeninhalt A des Rechtecks<br />
gilt: A = a · b.<br />
F4: Im Rechteck halbieren die Diagonalen<br />
die Winkel.<br />
F5: Für den Umfang u des Rechtecks gilt:<br />
u = 2 · a + b.<br />
F6: Für den Flächeninhalt A des Rechtecks<br />
gilt: A = 2 · a + 2 · b.<br />
Daran schließt sich eine Besprechung an, warum die Aussagen falsch sind und wie man sie<br />
richtig stellen könnte. Werden z. B. in F1 „ist ein Rechteck“ durch „kann ein Rechteck sein“,<br />
in F2 „eine“ durch „zwei“ ersetzt oder in F5 an richtiger Stelle eine Klammer eingefügt, entstehen<br />
aus falschen Aussagen solche, die richtig sind. Statt der Aussage R2 könnte man auch<br />
sagen: „Das Rechteck hat vier gleich große Winkel“, denn wegen der Winkelsumme von<br />
360° in jedem Viereck müssen alle Winkel rechtwinkelig sein. Formuliert man hingegen die<br />
Aussage R4 um zu „Jedes Viereck mit gleich langen Diagonalen ist ein Rechteck“, erhält man<br />
eine falsche Aussage, denn es könnte auch ein gleichschenkeliges Trapez gemeint sein. Den<br />
Schülerinnen und Schülern sollte dabei bewusst werden, welche sprachliche Genauigkeit<br />
Mathematik erfordert. Oft kann ein Wort den Sinn einer Aussage ändern.
132 <strong>Praxishandbuch</strong> für „Mathematik“ <strong>8.</strong> <strong>Schulstufe</strong>, <strong>Band</strong> 2<br />
Sinnvoll erscheint es auch, im Unterricht mögliche Lösungsstrategien zu besprechen. Diese<br />
könnten wie folgt lauten:<br />
<br />
Du sollst nicht darauf los raten.<br />
<br />
Lies alle vorgegebenen Antworten durch, bevor du dich für die Lösung entscheidest.<br />
<br />
Scheide jene Antworten aus, von denen du ganz sicher bist, dass sie falsch sind.<br />
<br />
Verwende Papier und Bleistift bzw. Taschenrechner, um zu Ergebnissen zu kommen.<br />
<br />
Manchmal hilft dir eine Zeichnung bzw. Skizze.<br />
Vor allem ist den Schülerinnen und Schülern einsichtig zu machen, dass – etwa bei Multiple-<br />
Choice-Aufgaben – durchaus schriftlich gearbeitet werden kann/soll. Niemand muss alles „im<br />
Kopf“ rechnen können.<br />
Ein geschickter Umgang mit den einzelnen Antwortformaten und der Einsatz günstiger Lösungsstrategien<br />
können das Testergebnis positiv beeinflussen. Es ist zu vermuten, dass viele<br />
Testergebnisse (z. B. bei PISA) auch deshalb nicht zur Zufriedenheit der Lehrkräfte bzw. der<br />
Öffentlichkeit ausfallen, weil die in diesen Tests verwendeten Antwortformate in unseren Schulen<br />
kaum eingesetzt werden und Schüler/innen ungeschickte Lösungsstrategien anwenden.<br />
Durch die Bearbeitung verschiedenartiger Antwortformate im Unterricht wird einerseits ein<br />
Gewöhnungseffekt eingeleitet, andererseits wird auch die Schwellenangst vermindert und<br />
damit bei neuen Aufgaben mit diesen Antwortformaten die Kombinationsfähigkeit erhöht.<br />
Die vorgestellten Formate finden nicht alle bei der Überprüfung der Bildungsstandards Anwendung.<br />
Sie können aber für den Unterricht verändert und adaptiert werden und somit das<br />
Aufgabenrepertoire der Lehrkraft erweitern.<br />
Literatur<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2011). Freigegebene Items aus der Pilotierung 2011 – Mathematik <strong>8.</strong><br />
Salzburg. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/460 [27.09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2012a). Bildungsstandards in Österreich. Überprüfung und Rückmeldung.<br />
3., aktualisierte Auflage. Salzburg. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/560<br />
[27.09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2012b). Die standardisierte schriftliche Reifeprüfung in Mathematik.<br />
Inhaltliche und organisatorische Grundlagen zur Sicherung mathematischer Grundkompetenzen.<br />
Wien. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/1442 [27.09.2012].<br />
Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens<br />
(BIFIE) (Hrsg.) (2012c). Freigegebene Items Englisch 8, Reading. Salzburg. Verfügbar<br />
unter https://www.bifie.at/node/1724 [27.09.2012].<br />
Mürwald-Scheifinger, E. & Weber, W. (2011). Kompetenzorientierter Unterricht – Sekundarstufe I<br />
– Mathematik. In Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen<br />
Schulwesens (BIFIE) (Hrsg.). Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis.<br />
Graz: Leykam. Verfügbar unter https://www.bifie.at/node/351 [27.09.2012]. S. 109–13<strong>8.</strong><br />
Wolkerstorfer, S. (2012). Pädagogische Diagnostik. Grundlage für kompetenzorientierten Mathematikunterricht<br />
in der Sekundarstufe 1. Bachelorarbeit Pädagogische Hochschule Niederösterreich.<br />
Baden.
Notizen
www.bifie.at<br />
Leykam Buchverlag<br />
verlag@leykam.com<br />
www.leykamverlag.at<br />
978-3-7011-7843-8