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Panorama Deutschland - elibraries.eu

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Ausland<br />

UNITED PHOTOS / REUTERS<br />

OPCW-Chef Üzümcü, Kontroll<strong>eu</strong>r in Syrien: Von der Vergangenheit eingeholt<br />

Ein Lichtblick<br />

Die internationalen Giftgas-Inspektoren bekommen den<br />

Friedensnobelpreis – vor ihrer schwierigsten Mission.<br />

AFP<br />

Manchmal kann man auch<br />

dem Nobelpreis-Komitee nur<br />

schwer glauben. Die Organisation<br />

für das Verbot von Chemiewaffen,<br />

OPCW, bekomme den diesjährigen<br />

Friedensnobelpreis nicht wegen<br />

der Ereignisse in Syrien, sondern für<br />

ihre langjährige Arbeit, so das Komitee<br />

am vergangenen Freitag.<br />

Nur dass die Arbeit der OPCW seit<br />

ihrer Gründung 1997 an den Rändern<br />

der öffentlichen Aufmerksamkeit stattfand.<br />

Denn eigentlich wurde die Organisation<br />

nur als Kontrollinstanz<br />

installiert, sie soll die Umsetzung der<br />

internationalen Chemiewaffenkonvention<br />

überprüfen. Alle Bestände sollen<br />

danach vernichtet, die Produktions -<br />

anlagen zerstört werden.<br />

Die Sprengköpfe und Granaten in<br />

jenen Staaten, die die Konvention unterzeichnet<br />

haben, stammten zumeist<br />

aus Zeiten des Kalten Krieges und galten<br />

vor allem in den Industriestaaten<br />

als gefährliche Altlasten, die alle loswerden<br />

wollten. 58172 Tonnen, knapp<br />

82 Prozent der weltweit bekannten Bestände,<br />

sind bislang nach Angaben der<br />

OPCW-Zentrale in Den Haag vernichtet<br />

worden, recht einvernehmlich. Die<br />

OPCW-Prüfer machten, nüchtern formuliert,<br />

einfach ihren Job, und kaum<br />

jemandem fiel das auf.<br />

Trotzdem wurde die Entscheidung<br />

des Nobelpreis-Komitees jetzt weltweit<br />

begrüßt. Denn sie kann helfen,<br />

jenen Auftrag abzusichern, dessen Erfüllung<br />

auf jeden Fall preiswürdig sein<br />

wird: die Zerstörung des syrischen<br />

Giftgas-Arsenals, 1000 Tonnen wohl.<br />

Gemessen an der sonstigen Hoffnungslosigkeit,<br />

dem Krieg in Syrien<br />

ein Ende zu bereiten, ist das ein Lichtblick<br />

– auch wenn die Kämpfe mit allen<br />

anderen Waffen weitergehen. Das<br />

Prinzip Hoffnung, das schon US-Präsident<br />

Barack Obama den Friedensnobelpreis<br />

eingetragen hat, dürfte diesmal<br />

ebenfalls eine Rolle gespielt haben.<br />

„Man kann den Preis auch etwas<br />

opportunistisch finden“, konzidiert<br />

Åke Sellström, Chef der Uno-Waffeninspektoren<br />

in Syrien, der natürlich<br />

trotzdem begeistert ist („ganz toll!“).<br />

Die Mission, von Uno und OPCW<br />

gemeinsam übernommen, ist die<br />

schwierigste in der Geschichte der<br />

Kontroll<strong>eu</strong>re. Für so etwas ist die<br />

OPCW in Wahrheit nicht ausgelegt:<br />

die Vernichtung eines immensen Chemiewaffenarsenals<br />

mitten in einem<br />

Kampfgebiet.<br />

Bislang haben die derzeit 27 Spezialisten<br />

in Syrien mit simplen Mitteln<br />

wie Vorschlaghämmern einige Produktionsanlagen<br />

unbrauchbar gemacht.<br />

Die hochkomplizierte Vernichtung der<br />

Vorräte steht noch in weiter Ferne.<br />

Damit hat die OPCW unter Generaldirektor<br />

Ahmed Üzümcü zwar Erfahrung,<br />

aber in friedlicher Umgebung:<br />

in Russland und den USA – die beide<br />

dem Zeitplan hinterherhinken, weil<br />

selbst die technischen Kapazitäten der<br />

Großmächte daheim nicht ausreichen.<br />

„Eigentlich war vorgesehen, alle Chemiewaffen<br />

innerhalb von zehn Jahren<br />

zu vernichten“, so der d<strong>eu</strong>tsche Chemiewaffenexperte<br />

Ralf Trapp, der die<br />

OPCW mitaufgebaut hat, „maximal<br />

sollte es eine Verlängerung auf 15 Jahre<br />

geben, ab Inkrafttreten 1997.“<br />

Doch von den etwa 40000 Tonnen<br />

in Russland beispielsweise sind nach<br />

OPCW-Angaben bislang erst 75 Prozent<br />

vernichtet.<br />

Dass ein Staat Giftgas im Krieg einsetzen<br />

würde, zumal gegen die eigene<br />

Bevölkerung, damit hatte ernsthaft niemand<br />

mehr gerechnet. „Die Vergangenheit<br />

hat uns eingeholt“, konstatiert<br />

Stefan Mogl, Leiter des Fachbereichs<br />

Chemie beim Schweizer Bundesamt<br />

für Bevölkerungsschutz und bis Juni<br />

Vorsitzender des wissenschaftlichen<br />

Beirats der OPCW: „Aber der Preis<br />

ist wunderbar, denn ich bin der Überz<strong>eu</strong>gung,<br />

dass die Chemiewaffen -<br />

konvention einer der wichtigsten<br />

Abrüstungsverträge überhaupt ist mit<br />

umfangreichen Kontrollmechanismen –<br />

nur wurde er international bislang wenig<br />

wahrgenommen.“<br />

Nun gebe es Hoffnung auch für den<br />

Bereich n<strong>eu</strong>artiger toxischer Stoffe aus<br />

dem Arsenal von Polizeikräften, deren<br />

Einsatz unter den Vertragsstaaten umstritten<br />

ist. Sie sind bislang von der<br />

Konvention ausgenommen. Es geht<br />

um Giftstoffe, wie sie russische Spe -<br />

zialeinheiten 2002 beim Sturm eines<br />

von tschetschenischen Geiselnehmern<br />

besetzten Theaters in Moskau nutzten.<br />

Über 120 Geiseln starben an Vergiftungen.<br />

Das Label „nichttödlich“ sei<br />

irreführend, so ein OPCW-Protokoll<br />

vom 27. März, „schließlich ist Giftigkeit<br />

eine Frage der Dosis“.<br />

„Wenn hochentwickelte Staaten einen<br />

Kampfstoff einsetzen“, fragt Mogl,<br />

„was hält dann deren Gegner davon<br />

ab, auch Chemie einzusetzen? Das ist<br />

eine hochgefährliche Mischung.“<br />

MANFRED ERTEL,<br />

HANS HOYNG, CHRISTOPH REUTER<br />

Lesen Sie zu den Nobelpreisen auch<br />

auf Seite 138: die Schriftstellerin<br />

Alice Munro; auf Seite 156: die Physiker<br />

Peter Higgs und François Englert<br />

Animation: So zerstört<br />

man Chemiewaffen<br />

spiegel.de/app422013nobelpreis<br />

oder in der App DER SPIEGEL<br />

110<br />

DER SPIEGEL 42/2013

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