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Die Bedeutung der Handschriften von Qumran – heute - Kath.de

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<strong>Die</strong> <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Handschriften</strong> <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> <strong>–</strong> <strong>heute</strong><br />

Vortrag vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Karl-Rahner-Aka<strong>de</strong>mie 8.10.2013<br />

Prof. Dr. Heinz-Josef Fabry, Universität Bonn<br />

<strong>Die</strong> Aufregung, die in <strong>de</strong>n 90er Jahren durch das auf Eisenman gestützte Buch<br />

<strong>von</strong> Baigent und Leigh geschürt wur<strong>de</strong>, hat sich trotz aller Gegenbeweise nie<br />

gelegt. Nach fast 50 Jahren waren die Texte <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> noch immer nicht<br />

ediert. Ein solches wissenschaftliches Debakel musste einen ernsthaften Grund<br />

haben. Es konnte eigentlich nur eine Institution geben, die ernsthaft daran interessiert<br />

sein musste, die Edition dieser Texte aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit rund um Jesu Geburt<br />

und Beginn <strong><strong>de</strong>r</strong> Urkirche zu unterdrücken: die Kirche. Nach Ausweis dieser Texte<br />

müsse man das Christentum und die Kirche <strong>von</strong> Grund auf umkrempeln. Jesus<br />

war verheiratet, habe Frauen um sich geschart und alles an<strong><strong>de</strong>r</strong>e gewollt, nicht<br />

jedoch Papsttum und Kirche. Baigent und Leigh konnten nicht wissen, was in<br />

<strong>de</strong>n <strong>Qumran</strong>-Texten stand, da diese im Rockefeller-Museum in Jerusalem unter<br />

Verschluss lagen. Trotz<strong>de</strong>m hat die breite Öffentlichkeit ihre Hirngespinste wie<br />

warme Semmeln verschlungen.<br />

Einzig richtig an ihrer Attacke war, dass die Texte aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit vom 3. Jh. v. Chr.<br />

bis 68 n. Chr. stammten, nach menschlichem Ermessen also irgen<strong>de</strong>twas über<br />

Jesus und die christliche Urgemein<strong>de</strong> aussagen könnten. Wenn <strong>Qumran</strong> bis 68 n.<br />

Chr. existierte, dann muss <strong>Qumran</strong> doch Johannes <strong>de</strong>n Täufer, Jesus und die<br />

christliche Urgemein<strong>de</strong> in Jerusalem gekannt haben. Und umgekehrt: Johannes<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Täufer, Jesus und die frühen Christen müssten eigentlich doch auch <strong>Qumran</strong><br />

gekannt haben. Und noch weiter: Haben vielleicht bei<strong>de</strong> jüdischen Gruppen <strong>–</strong><br />

<strong>Qumran</strong> und die frühchristliche Urgemein<strong>de</strong> <strong>–</strong> etwas gemeinsam, eine gemeinsame<br />

Wurzel? Waren sie vielleicht gar i<strong>de</strong>ntisch? War Jesus ein <strong>Qumran</strong>er? <strong>–</strong><br />

wie es einmal <strong><strong>de</strong>r</strong> SPIEGEL reißerisch formulierte.<br />

Fragt man die ZuhörerInnen bei Vorträgen, warum sie sich für <strong>Qumran</strong> interessieren,<br />

dann dominiert eine Antwort ganz ein<strong>de</strong>utig: angesichts <strong>de</strong>s <strong>de</strong>solaten<br />

Erscheinungsbil<strong>de</strong>s <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche erhofft man sich, über <strong>Qumran</strong> wie<strong><strong>de</strong>r</strong> etwas <strong>von</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> ursprünglichen Frische und Dynamik <strong><strong>de</strong>r</strong> Jesus-Bewegung zu erfahren. <strong>Die</strong><br />

heutige Kirche sei so weit <strong>von</strong> ihren Ursprüngen entfernt, dass das Charisma <strong>de</strong>s


2<br />

Anfanges <strong>de</strong>n Menschen nicht mehr betreffe. <strong>Die</strong> Kirche reguliere und reglementiere,<br />

ergehe sich in Reichtum und Palast gewor<strong>de</strong>nen Strukturen, aber die frohe<br />

Botschaft <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Befreiung <strong>de</strong>s Menschen komme nicht mehr rüber. <strong>Qumran</strong>-<br />

Interesse ist also eigentlich ein Interesse an <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche. Als kath. Theologe ist<br />

mir diese Kombination recht, allerdings ist mir schon aus wissenschaftlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n ein Höchstmaß an Differenzierung und Präzisierung wichtig.<br />

1. Ausgangsfragen und erste Beobachtungen:<br />

Es wird mir darum gehen aufzuzeigen, ob Beziehungen zwischen <strong>Qumran</strong>, <strong>de</strong>n<br />

<strong>Qumran</strong>rollen und <strong>de</strong>m frühen Christentum und seinen Schriften vorliegen. Welche<br />

<strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> haben diese Texte für unser Verständnis <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Bibel, <strong>von</strong> ihren<br />

einzelnen Büchern und vom Bibeltext im Ganzen und im Detail. Wer waren<br />

überhaupt die Menschen <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> und was sagen uns ihre Texte über ihre<br />

Zeit und Geschichte? Und vor allen Dingen: Vermögen ihre Texte uns etwas<br />

über ihre Theologie zu vermitteln, die uns eventuell auch <strong>heute</strong> noch geistiggeistliche<br />

Impulse zu geben vermögen?<br />

Dazu bin ich Ihnen eine kurze und gedrängte Basis-Information schuldig: Unter<br />

<strong>Qumran</strong> verstehen wir zuerst einen Ort ca. 15 km südlich <strong>von</strong> Jericho am Nordwestufer<br />

<strong>de</strong>s Toten Meeres. Zwischen 1947 und 1957 wur<strong>de</strong>n hier 11 Höhlen<br />

erschlossen, aus <strong>de</strong>nen insgesamt ca. 960 <strong>Handschriften</strong> geborgen wer<strong>de</strong>n konnten,<br />

wobei die meisten aber in einem ziemlich fragmentarischen Zustand sind.<br />

1.1. Knapp ein Viertel dieser Texte sind <strong>Handschriften</strong>, die hebräische o<strong><strong>de</strong>r</strong> aramäische<br />

Bibelhandschriften enthalten, bieten also auf <strong>de</strong>n ersten Blick nichts<br />

Neues. Es sind Bibeltexte, die wir schon immer haben. Aber jetzt kommt`s: <strong>Die</strong><br />

Bibeltexte selbst sind ausnahmslos alle nicht <strong>de</strong>ckungsgleich mit unseren Bibeltexten;<br />

meistens stimmen sie in etwa mit unserem hebr. Bibeltext überein, häufig<br />

jedoch bieten sie einen hebr. Text, wie er <strong>de</strong>n Übersetzern <strong><strong>de</strong>r</strong> Septuaginta im<br />

3./2. Jh. v. Chr. in Alexandria vorgelegen hatte. Damit sind wir bereits bei einem<br />

ersten Grundproblem angelangt, das uns zwar auch schon vor <strong>Qumran</strong> bekannt<br />

war, nun jedoch ganz neue Tiefenstrukturen gewinnt: Das Problem <strong><strong>de</strong>r</strong> alttestamentlichen<br />

Textgeschichte und <strong><strong>de</strong>r</strong> Textkritik.


3<br />

<strong>Die</strong> mehr als 200 Bibeltexte in <strong>Qumran</strong> lassen erkennen, dass <strong>Qumran</strong> fünf unterschiedliche<br />

hebr. Bibeln hatte, die sie auch nebeneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verwen<strong>de</strong>ten. <strong>Die</strong>se<br />

Textpluralität gab es im frühen Christentum zur Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirchenväter auch. Erst<br />

die dogmatischen Auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzungen in <strong>de</strong>n christologischen Konzilien führten<br />

dazu, dass man sich mehr und mehr auf einen einzigen Bibeltext kaprizierte.<br />

Auch die vielen Häretiker-Probleme dieser Zeit lassen sich meistens auf unterschiedliche<br />

Bibeltexte zurückführen. Möglicherweise ist sogar die Abspaltung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kopten auf <strong>de</strong>m Konzil <strong>von</strong> Chalkedon eine solche Folge.<br />

Daneben zeigt sich ein zweites überraschen<strong>de</strong>s Moment: <strong>Qumran</strong> bietet hebr.<br />

Bibeltexte, die uns bisher nur aus <strong><strong>de</strong>r</strong> griechischen Bibel bekannt waren, die sog.<br />

Deuterokanonischen Schriften, die vom Ju<strong>de</strong>ntum und <strong>von</strong> Luther nicht als biblische<br />

Bücher akzeptiert wur<strong>de</strong>n, vielmehr als apokryph ausgeschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n<br />

waren. Entsprechend fin<strong>de</strong>n sich diese Bücher we<strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> hebräischen Bibel,<br />

<strong>de</strong>m sog. Masoretischen Text, noch in <strong>de</strong>n protestantischen Bibel. <strong>Die</strong>se Schriften<br />

gehörten offensichtlich selbstverständlich zur Bibliothek <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Qumran</strong>, die damit signalisiert, dass sie einen eigenständigen Kanon biblischer<br />

Schriften hatte. Das Thema <strong><strong>de</strong>r</strong> Kanongeschichte gewinnt damit neue Aufmerksamkeit.<br />

In <strong><strong>de</strong>r</strong> Tat hatte die Gemein<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> einen erheblich umfangreicheren Kanon<br />

als die hebr. und auch die griech. Bibel, zumal auch die als Apokryphen gewerteten<br />

Bücher <strong>de</strong>s Henoch und das Jubiläenbuch mit an die 20 Exemplaren in<br />

<strong>Qumran</strong> belegt waren. Damit signalisiert die Gemein<strong>de</strong>, dass sie nicht <strong>de</strong>m rabbinischen<br />

Diktum unterliegt, dass Gott sich <strong>de</strong>n Menschen nur in <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit zwischen<br />

Moses und Artaxerxes geoffenbart habe (Josephus, CAp), son<strong><strong>de</strong>r</strong>n dass sie<br />

im Gegensatz zum gesamten Ju<strong>de</strong>ntum ihrer Zeit an die Fortdauer göttlicher<br />

Offenbarung glaubte, die wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um <strong>de</strong>n Grundstoff lieferte für weitere Bücher<br />

mit kanonischer Dignität. Hier haben wir bereits eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Übereinstimmung<br />

mit <strong>de</strong>m Urchristentum.<br />

1.2. Verschaffen wir uns an dieser Stelle einen kurzen Überblick über die<br />

<strong>Qumran</strong>texte: Neben <strong>de</strong>n Bibeltexten enthält ein weiteres Viertel <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Handschriften</strong><br />

Texte, die wir ebenfalls zum Teil schon kannten: es han<strong>de</strong>lt sich um die<br />

sogenannten apokryphen Schriften (Jubiläenbuch, Henoch). Daneben tritt eine<br />

bibelnahe, dann aber doch ganz neue Textart, die „rewritten Bible-texts“, ausge-


4<br />

<strong>de</strong>hnten Nacherzählungen biblischer Texte mit reichlich zusätzlichem legendarischem<br />

Material, florilegienartige Zitatsammlungen, die uns offensichtlich einen<br />

schönen Einblick gewähren, wie man in <strong><strong>de</strong>r</strong> damaligen Zeit aus pädagogischen<br />

Grün<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Bibeltext umgehen konnte.<br />

Etwa die Hälfte <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Qumran</strong>texte bietet nun für die Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> Bibelwissenschaftler<br />

und Historiker komplett Neues. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich zuerst einmal um Regelbücher,<br />

also Gesetzessammlungen, die offensichtlich verfasst wor<strong>de</strong>n sind, um<br />

das Zusammenleben einer frommen orthodoxen jüdischen Gruppe zu regeln<br />

(1/4QS; CD/4QD; 4QMMT). Ein näheres Studium dieser Texte zeigt sehr bald,<br />

dass es sich dabei nicht um eine einzige Gruppe han<strong>de</strong>lt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n wahrscheinlich<br />

um zwei, vielleicht sogar um unbestimmt mehrere, die sich mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger<br />

<strong>de</strong>utlich <strong>von</strong> einan<strong><strong>de</strong>r</strong> unterschei<strong>de</strong>n, dann aber doch eine ganze Reihe <strong>von</strong> Gemeinsamkeiten<br />

haben. Prägend für diese Gruppen sind die <strong>de</strong>monstrative Abwendung<br />

vom Jerusalemer Tempel und <strong>de</strong>m dort stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Opferkult, eine<br />

gera<strong>de</strong>zu feindliche Abwehr je<strong><strong>de</strong>r</strong> hellenistischen Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne, ein ausgeprägtes<br />

priesterliches Selbstbewusstsein, ein ausgeprägtes Gemeinschaftsbewusstsein<br />

und ein intensives Gebetsleben.<br />

Auffallend groß ist die Zahl weisheitlicher Bücher (4QInstr; 4QMyst), die in<br />

großer Nähe zu Jesus Sirach, Kohelet und <strong>de</strong>m bibl. Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Weisheit die Gemein<strong>de</strong><br />

charakterisierten als eine Gruppe, die mit ihrer Philosophie sich gegen<br />

die weitgehend atheistische o<strong><strong>de</strong>r</strong> polytheistische griech.-hellenistische Philosophie<br />

positionierte. Dabei fin<strong>de</strong>n sich gelegentlich auch esoterische Bücher<br />

(4QDib Ham; 4QHoroscope; 4QShirShabb).<br />

Schließlich ist eine große Gruppe <strong>von</strong> Texten zu nennen, die normalerweise nur<br />

in einer Tempelbibliothek zu fin<strong>de</strong>n sind: kultische Bücher, Gebetsbücher<br />

(1/4QH, 4QBarkiNafshi) Handbücher/Manualien für die Rituale und Festfeiern<br />

(4QOrd), Kalen<strong><strong>de</strong>r</strong>texte mit peniblen Zahlenangaben (4QMišm), <strong>Die</strong>nstordnungen<br />

für Priesterfamilien und schließlich Reinheitsvorschriften (4QToh). <strong>Die</strong>se<br />

große Zahl an kultischer Literatur hat zu <strong><strong>de</strong>r</strong> Hypothese geführt, eine Gruppe<br />

Priester habe in <strong>de</strong>n Höhlen <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> die Tempelbibliothek aus Jerusalem vor<br />

<strong>de</strong>m Ansturm <strong><strong>de</strong>r</strong> Römer ausgelagert. Dagegen aber sprechen gewichtige Gegenargumente.


5<br />

1.3. Ein Überblick über alle diese Texte lässt eine intensive Charakterisierung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Menschen <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> zu:<br />

a) offensichtlich besteht die Gemein<strong>de</strong> zu einem großen Teil aus Priestern und<br />

Leviten. Dafür sprechen auch die vielen Texte, in <strong>de</strong>nen die bei<strong>de</strong>n großen Priesterlinien<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Aaroni<strong>de</strong>n und Zadoki<strong>de</strong>n verherrlicht wer<strong>de</strong>n. Zu<strong>de</strong>m nennt sich<br />

die Gemein<strong>de</strong> häufig selbst „Söhne Zadoks“.<br />

b) <strong>Die</strong>se Priester befolgen und zitieren die prophetische Botschaft Jes 40,3<br />

„Stimme <strong>de</strong>s Rufers: In <strong><strong>de</strong>r</strong> Wüste bereitet <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s Herrn!“ <strong>–</strong> Sofort bemerken<br />

wir Nähe und Unterschied zu Johannes <strong>de</strong>m Täufer: „Stimme <strong>de</strong>s Rufers in<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Wüste: Bereitet <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s Herrn!“ (Mt 3,3). Der Täufer predigt in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Wüste, die Menschen sollen jedoch in ihren Städten und Dörfern vom Bösen<br />

umkehren. <strong>Die</strong> <strong>Qumran</strong>er aber sind in die Wüste ins Exil gegangen, um hier ihre<br />

Umkehr zu leben.<br />

c) die <strong>Qumran</strong>er haben die Jerusalemer Priesterschaft verlassen, weil diese <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

hellenistischen Säkular-Philosophie anhängen und sich nichts dabei <strong>de</strong>nken, auch<br />

einmal <strong>de</strong>m Zeus ein Opfer darzubringen.<br />

d) die <strong>Qumran</strong>er haben <strong>de</strong>n Jerusalemer Tempel verlassen, weil sie diesen für<br />

verunreinigt und <strong>de</strong>n dort praktizierten Opferkult für Blasphemie halten.<br />

e) Sie sind aber Priester und wollen es auch bleiben. Deshalb achten sie penibel<br />

auf die priesterlichen Reinheitsgebote, die sie sogar drastisch verschärfen. Sie<br />

halten sich <strong>von</strong> Frauen fern, schotten sich vor je<strong>de</strong>m Außenhan<strong>de</strong>l ab, um nicht<br />

mit unreinen Dingen bewusst o<strong><strong>de</strong>r</strong> unbewusst in Berührung zu kommen. Sie gehen<br />

dreimal pro Tag ins Reinigungsbad.<br />

f) Ein Drittel <strong>de</strong>s Tages und ein Drittel <strong><strong>de</strong>r</strong> Nacht studieren sie in <strong><strong>de</strong>r</strong> Tora und<br />

haben dreimal am Tag gemeinsame Gebete. Obwohl sie Gegner <strong><strong>de</strong>r</strong> Pharisäer<br />

sind, haben sie mit ihnen doch <strong>de</strong>n strengen Tora-Gehorsam gemeinsam; mehr<br />

noch: sie haben eine Menge Zusatzgesetze über diese hinaus. Neuere Forschungen<br />

präzisieren dieses Bild: Sie wussten sich in <strong><strong>de</strong>r</strong> Sukzession <strong>de</strong>s Moses und<br />

achteten seine Tora. Daneben aber tauchen in ihrem Vokabular immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

„himmlische Tafeln“ auf, die Bestimmungen enthalten, nach <strong>de</strong>nen schon<br />

Noach, Abraham und Isaak weit vor Moses gelebt haben. Es gibt also noch eine


6<br />

ältere Tora, <strong><strong>de</strong>r</strong> sie sich verpflichtet wissen, woraus sie auch ihre Differenz zu<br />

<strong>de</strong>n Pharisäern begrün<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong>se auffälligen Eigentümlichkeiten hat schon bald die These aufkommen lassen,<br />

es han<strong>de</strong>le sich hier um die bei Josephus, Plinius und Philo genannten Essener,<br />

die nach <strong>de</strong>n dortigen Beschreibungen in Gedi <strong>–</strong> ebenfalls am Toten Meer <strong>–</strong><br />

eine Art mönchisches Leben gepflegt hätten. Eher jedoch sind sie mit <strong>de</strong>n bei<br />

Josephus genannten Chasidim „Frommen“ zu i<strong>de</strong>ntifizieren, die sich als Traditionalisten<br />

konsequent gegen je<strong>de</strong>n philosophischen, politischen, lebensanschaulichen<br />

und religiösen Vereinnahmungsversuch positionierten.<br />

Nehmen wir diese Literatur zusammen, so verdichtet sich das Bild, welches wir<br />

<strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Qumran</strong>gemein<strong>de</strong> gewinnen, tatsächlich so, dass man einem Vergleich<br />

mit <strong>de</strong>m, was wir <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Jerusalemer christlichen Urgemein<strong>de</strong> wissen, in mancherlei<br />

Hinsicht ins Auge fassen könnte.<br />

2. Wagen wir nun <strong>de</strong>n Schritt aus <strong><strong>de</strong>r</strong> reinen Textwissenschaft heraus und schauen<br />

auf die archäologischen Überreste <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong>, dann zeigt sich dort ungefähr<br />

im Mittelpunkt <strong><strong>de</strong>r</strong> umliegen<strong>de</strong>n Höhlen ein Gebäu<strong>de</strong>komplex, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich we<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

mit einer Wohnbebauung, noch mit einem Kloster, noch mit einem landwirtschaftlichen<br />

Gut o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar einer römischen villa-rustica vergleichen lässt. Der<br />

Komplex hat <strong>von</strong> allem etwas, wobei jedoch min<strong>de</strong>sten 8 Reinigungsbä<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

(Miqwen) und ein großer Versammlungsraum auffallen. Min<strong>de</strong>stens drei gefun<strong>de</strong>ne<br />

Tintenfässer lassen <strong>de</strong>n Schluss zu, dass hier Texte geschrieben o<strong><strong>de</strong>r</strong> abgeschrieben<br />

wor<strong>de</strong>n sind; die hier gefun<strong>de</strong>ne Keramik ist z.T. i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>n<br />

Tontöpfen, in <strong>de</strong>nen die Schriftrollen in <strong>de</strong>n Höhlen untergebracht waren. Da<br />

man mit archäologischen Befun<strong>de</strong>n bekanntlich sehr vorsichtig umgehen muss,<br />

geziemt es sich, hier keine allzu kühnen Schlussfolgerungen zu ziehen. Für <strong>de</strong>n<br />

nüchternen Wissenschaftler ist <strong><strong>de</strong>r</strong> ganze Befund recht unspektakulär, wenn es<br />

ihm auch in <strong>de</strong>n Fingern kribbelt, wenn er plötzlich fast 1000 Texte vor sich hat,<br />

die mehr als 2000 Jahre alt sind.<br />

3. <strong>Die</strong> Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Qumran</strong>gemein<strong>de</strong> lässt sich in wenigen Schritten nachzeichnen,<br />

da vieles sich einfach im Dunkel <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte verloren hat. Aus <strong>de</strong>n<br />

Schriften selbst kann man entnehmen, dass <strong>Qumran</strong> sich zurückführt auf eine


7<br />

recht umfangreiche Bewegung <strong>von</strong> Chasidim im Ju<strong>de</strong>ntum nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Hellenisierungswelle<br />

unter Alexan<strong><strong>de</strong>r</strong> d.Gr. Nach ihm wur<strong>de</strong> das Reich aufgeteilt unter <strong>de</strong>n<br />

Diadochen, in Ägypten die Ptolemäer, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Levante die Seleuki<strong>de</strong>n. Palästina<br />

war <strong><strong>de</strong>r</strong> Zankapfel zwischen bei<strong>de</strong>n Reichen und wur<strong>de</strong> dann durch die Schlacht<br />

bei Banyas (200 v. Chr.) <strong>de</strong>n Seleuki<strong>de</strong>n zugeschlagen. Antiochus IV. hatte sich<br />

das Hellenisierungsprogramm zu eigen gemacht und nutzte es, um die jüdische<br />

I<strong>de</strong>ntität und Nationalität endgültig zu brechen. Dazu erließ er drastische Gesetze,<br />

vertrieb <strong>de</strong>n amtieren<strong>de</strong>n Hohenpriester und ersetzte ihn durch jüdische Wen<strong>de</strong>hälse.<br />

Wahrscheinlich hat dieser Hohepriester beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s unter <strong>de</strong>n Gruppen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Chasidim außerhalb Jerusalems so viel Autorität gehabt, dass die sich ihm<br />

unterstellt und seinem Einigungsbestreben gefolgt sind. Daraus entstand allmählich<br />

die „Einung“ <strong>–</strong> Spezialbezeichnung für die Gemein<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong>, eine<br />

Vereinigung vieler priesterlicher, levitischer und laikaler Gruppen <strong>von</strong> Frommen,<br />

wobei eine Gruppe sich beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s profilierte: <strong>Die</strong> „Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Neuen Bun<strong>de</strong>s<br />

aus <strong>de</strong>m Land Damaskus“, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Regel „Der letzte Midrasch <strong><strong>de</strong>r</strong> Tora“ in vielen<br />

Exemplaren in Höhle 4 und in einer Fassung aus <strong>de</strong>m 11. Jh. n. Chr. in <strong><strong>de</strong>r</strong> Synagoge<br />

<strong>von</strong> Alt-Kairo gefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n ist. Der Kopf <strong><strong>de</strong>r</strong> Vereinigung, <strong><strong>de</strong>r</strong> vertriebene<br />

Hohepriester bekam <strong>de</strong>n Ehrentitel „Lehrer <strong><strong>de</strong>r</strong> Gerechtigkeit“. Er gab sich<br />

als Offenbarungsempfänger aus und wur<strong>de</strong> als solcher akzeptiert; seine Schriften<br />

erhielten kanonischen Rang. Das passt sehr gut in die Zeit <strong>de</strong>s Antiochus IV. (um<br />

175 v. Chr.). Aus <strong>de</strong>n Schriften erfahren wir auch, dass die Gruppe stark eschatologisch-apokalyptisch<br />

ausgerichtet war. Das entspricht <strong>de</strong>m parallel dazu entstan<strong>de</strong>nen<br />

Danielbuch, das offensichtlich in <strong>Qumran</strong> intensiv studiert wur<strong>de</strong>. Mit<br />

Horoskopen und apokalyptischer Logik errechnete man die Zeit bis zum Weltuntergang<br />

mit 100 Jahren nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Ermordung eines Hohenpriesters. Auch das<br />

passt in diese Zeit, da Onias III. <strong>von</strong> einem simonistisch an die Macht gekommenen<br />

Pseudo-Hohenpriester Menelaos um 170 v. Chr. ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n ist<br />

(2Makk 4,30-38). <strong>Die</strong> Getreuen <strong>de</strong>s unbekannten vertriebenen Hohenpriesters<br />

wählten das Exil in <strong>de</strong>n Wüstengebieten Judäas. An<strong><strong>de</strong>r</strong>e zogen aus nach Samaria<br />

(Samaritaner), nach Leontopolis in Ägypten und nach Elephantine in Assuan.<br />

<strong>Qumran</strong> liegt ganz in <strong><strong>de</strong>r</strong> Nähe <strong><strong>de</strong>r</strong> alten Priesterstadt Jericho, wo viele Priesterfamilien<br />

wohnten, die nur nach Jerusalem aufzogen, wenn sie dort zum <strong>Die</strong>nst<br />

eingeteilt waren. Auch in ihren Kreisen gab es massive Opposition gegen <strong>de</strong>n<br />

Zeuskult am Jerusalemer Tempel. Eine Gruppe <strong>von</strong> ihnen hat sich dann um 110


8<br />

v. Chr. im benachbarten <strong>Qumran</strong> nie<strong><strong>de</strong>r</strong>gelassen, wo sich eine im 6. Jh. v. Chr.<br />

erbaute <strong>–</strong> inzwischen wahrscheinlich weitgehend verfallene <strong>–</strong> Karawanserei befand,<br />

die sie aufbauten, erheblich erweiterten und für ihre Zwecke einrichteten,<br />

um sich hier in <strong>de</strong>n noch verbleiben<strong>de</strong>n 40 Jahren bis zum En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit durch<br />

Gott wohlgefälligen Lebenswan<strong>de</strong>l auf das En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeiten vorzubereiten. <strong>Die</strong><br />

Texte aus dieser Zeit zeugen <strong>von</strong> einer ungeheuer hoch gespannten eschatologischen<br />

Naherwartung. <strong>Qumran</strong> schrieb sich sogar eine Kriegsrolle, in <strong><strong>de</strong>r</strong> minutiös<br />

die Schlacht am jüngsten Tag zwischen <strong>de</strong>n Söhnen <strong>de</strong>s Lichtes und <strong>de</strong>n Söhnen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Finsternis strategisch notiert war. Zum errechneten Zeitpunkt kam es tatsächlich<br />

zu einer gewaltigen politischen Verschiebung, <strong>de</strong>nn <strong><strong>de</strong>r</strong> Römer Pompejus<br />

zog im Jahre 63 v. Chr. in Jerusalem ein, um im Streit um das Hohepriesteramt<br />

zwischen Hyrkan II. und Aristobul II. aufzuräumen.<br />

Hatte die Gemein<strong>de</strong> <strong>Qumran</strong>s ihn vielleicht als <strong>de</strong>n lang ersehnten Messias angesehen,<br />

so kam es sofort zur Ernüchterung, <strong>de</strong>nn Pompejus betrat zum Schrecken<br />

aller Frommen das Allerheiligste <strong>de</strong>s Tempels. Da erkannte die Gemein<strong>de</strong>, dass<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>von</strong> ihnen erwartete Messias nun doch nicht gekommen war; sie schwenkte<br />

<strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> apokalyptischen Naherwartung auf eine Fernerwartung um <strong>–</strong> wie wir es<br />

ähnlich später auch bei Paulus antreffen wer<strong>de</strong>n <strong>–</strong> und schrieb zur Begründung<br />

dazu eigens einen Kommentar zum Propheten Habakuk, hier Hab 2,3: „Es wird<br />

erst zu einer bestimmten Zeit eintreffen, was du siehst; aber es drängt zum En<strong>de</strong><br />

und es ist keine Täuschung. Wenn es sich verzögert, harre aus, <strong>de</strong>nn es kommt,<br />

es kommt und bleibt nicht aus“. <strong>Die</strong> Gemein<strong>de</strong> verlor ihre eschatologische Spannung<br />

und blieb dann noch bis zur Zerstörung durch die Römer 68 n. Chr. eine<br />

relativ unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Priester-Exklave, die zwar weiterhin ihren Reinheitsvorstellungen<br />

und ihrer Trennung vom Jerusalemer Tempelkult anhing, eine gera<strong>de</strong>zu<br />

klerikalistische I<strong>de</strong>ntifikation pflegte und sich selbst als „Tempel aus Menschen“<br />

verstand. Aber sie hatte ihren eschatologischen Biss verloren, konnte aber durchaus<br />

mit I<strong>de</strong>en aufwarten, die all <strong>de</strong>n Menschen willkommen sein mussten, die<br />

sich aus <strong>de</strong>m nahezu ein Jahrtausend alten Trott <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums mit ihrer Dichotomie<br />

<strong>von</strong> laikalen Pharisäern mit ihrer unabdingbaren und menschenfeindlichen<br />

Tora-Observanz und <strong>de</strong>n dünkelhaften klerikalistischen Sadduzäern mit ihrer<br />

lukrativen beutelschröpfen<strong>de</strong>n Opferpraxis ausklinken wollten. Wie nahe sind<br />

wir hier doch <strong>de</strong>n neutestamentlichen Texten 1 Jh. später! <strong>Die</strong> Analyse <strong><strong>de</strong>r</strong> Texte<br />

ergibt, dass in dieser Zeit nach 50 v. Chr. in <strong>Qumran</strong> keine eigenen Werke mehr


9<br />

entstan<strong>de</strong>n sind. Im Wesentlichen beschränkte man sich auf das Kopieren bereits<br />

vorhan<strong>de</strong>ner Texte.<br />

4. <strong>Die</strong> <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Texte<br />

Für <strong>de</strong>n Bibelwissenschaftler ist recht bald <strong>de</strong>utlich, worin die wirkliche <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong><br />

dieser Texte liegt. Dazu eine Bemerkung, die Sie überraschen wird: die älteste<br />

hebräische Bibelhandschrift, die wir besitzen, liegt im Stadtmuseum <strong>von</strong> St.<br />

Peterburg, <strong><strong>de</strong>r</strong> sog. Ko<strong>de</strong>x Leningra<strong>de</strong>nsis. Er stammt aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit zwischen 900<br />

und 1000 n. Chr. und wur<strong>de</strong> in Tiberias geschrieben. <strong>Die</strong> ältesten griechischen<br />

Bibelhandschriften <strong>–</strong> es sind gleich drei <strong>–</strong> stammen aus <strong>de</strong>m 4. Jh. n. Chr. aus<br />

<strong>de</strong>m äg. Alexandrien; sie variieren in unglaublich vielen Fällen. <strong>Die</strong> ältesten Bibeltexte<br />

aus <strong>Qumran</strong> (4QSam b ; 4QJer a ; 4QDan c ) entstammen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit um 300<br />

v.Chr., stehen also <strong><strong>de</strong>r</strong> realen Abfassungszeit noch sehr nahe. <strong>Die</strong> weiteren Texte<br />

sind in <strong><strong>de</strong>r</strong> folgen<strong>de</strong>n Zeit entstan<strong>de</strong>n, sind also alle um mehr als ein Jahrtausend<br />

älter als unsere bisher zugänglichen hebräischen Bibeltexte und ungefähr ein halbes<br />

Jahrtausend älter als unsere griechischen Bibeltexte. <strong>Die</strong>se qumranischen<br />

Bibeltexte zeigen uns in aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass zum einen<br />

unser heutiger Bibeltext in einer jahrtausen<strong>de</strong>-alten Tradition <strong><strong>de</strong>r</strong> Texttreue steht,<br />

dass aber zum an<strong><strong>de</strong>r</strong>en die Bibel zur Zeit Jesu Christi z.T. erheblich an<strong><strong>de</strong>r</strong>s aussah<br />

als unsere heutige Bibel. Sie war wahrscheinlich wesentlich umfangreicher,<br />

die Bücher waren an<strong><strong>de</strong>r</strong>s angeordnet und <strong>–</strong> zu unserem Erstaunen <strong>–</strong> konnten<br />

mehrere Textfassungen nebeneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> existieren. Danach ergab sich wohl ein<br />

kompliziertes Wechselspiel zwischen rabbinischem Ju<strong>de</strong>ntum und frühem Christentum,<br />

als <strong>de</strong>ssen Ergebnis wir <strong>heute</strong> eine hebräische Bibel <strong><strong>de</strong>r</strong> Ju<strong>de</strong>n haben, die<br />

sich <strong>de</strong>utlich <strong>von</strong> unserem christlichen Alten Testament unterschei<strong>de</strong>t.<br />

4.1. <strong>Die</strong> <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong>Qumran</strong>s für die Textgeschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> Bibel zeigt sich z.B.<br />

im Fall <strong>de</strong>s Jeremiabuches. In diesem Buch unterschei<strong>de</strong>n sich <strong><strong>de</strong>r</strong> hebr. und<br />

griech. Text gewaltig, <strong>de</strong>nn die griech. Fassung ist ungefähr um ein Siebtel kürzer<br />

als die hebr. Fassung. <strong>Die</strong> qumranischen Jeremia-Texte, die z.T. bis ins 3. Jh.<br />

v. Chr. zurückreichen, bestätigen <strong>de</strong>n griech. Text und weisen ihn damit als <strong>de</strong>n<br />

älteren und ursprünglicheren aus. Erinnern möchte ich nochmal an die vorhin<br />

erwähnte Pluriformität <strong>de</strong>s Bibeltextes, wie er in 5 divergieren<strong>de</strong>n hebr. Bibeltexten<br />

in <strong>Qumran</strong> sichtbar wur<strong>de</strong>.


10<br />

4.2. <strong>Die</strong> <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong> <strong>Qumran</strong>s für die Kanontheologie zeigt sich am Beispiel<br />

<strong>de</strong>s Psalmenbuches. Das qumranische Psalterium hatte ganz sicher erheblich<br />

mehr als 150 Psalmen. Einige <strong>von</strong> <strong>de</strong>n überzähligen Psalmen sind <strong>heute</strong> noch im<br />

Psalterium <strong><strong>de</strong>r</strong> syrisch-orthodoxen Kirche vorhan<strong>de</strong>n. Zu<strong>de</strong>m waren die Psalmen<br />

in <strong>Qumran</strong> in einer an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Anordnung so angeordnet, dass sie ein<strong>de</strong>utig auf <strong>de</strong>n<br />

davidischen Messias ausgerichtet sind.<br />

4.3. Als signifikantes Beispiel für eine qumranische Exegese kann die große<br />

Jesaja-Rolle gelten. Für <strong>Qumran</strong> wie parallel für das NT auch war das Jesajabuch<br />

das wichtigste Buch <strong>de</strong>s AT überhaupt. Bei<strong>de</strong> Gruppierungen waren da<strong>von</strong> überzeugt,<br />

dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Prophet <strong>de</strong>s 8. und 7. Jh. v. Chr. seine Botschaft nicht für die damaligen<br />

Israeliten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n für die Menschen <strong>de</strong>s 1. Jh. v. Chr. und <strong><strong>de</strong>r</strong> Folgezeit<br />

geschrieben habe. <strong>Die</strong>ses aktualistische Prophetenverständnis ist einerseits nur<br />

möglich, wenn die allein seligmachen<strong>de</strong> Funktion <strong><strong>de</strong>r</strong> Tora nicht mehr unbestritten<br />

ist, so dass man sich Lebensleitung bei <strong>de</strong>n Propheten holen muss. An<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits<br />

ist damit eine heftige Kritik und Polemik gegen die Kräfte verbun<strong>de</strong>n, für<br />

die die Tora das einzig seligmachen<strong>de</strong> Instrument ist: die Pharisäer.<br />

Nun lag auch das Jesaja-Buch in <strong>Qumran</strong> in zwei verschie<strong>de</strong>nen Versionen vor:<br />

in Hebr. und in einer relativ freien griech. Übersetzung, und bei<strong>de</strong> Texte stan<strong>de</strong>n<br />

in einer <strong>de</strong>utlichen Spannung zueinan<strong><strong>de</strong>r</strong>. <strong>Die</strong> griech. Übersetzung war also <strong>–</strong> wie<br />

eigentlich je<strong>de</strong> Übersetzung <strong>–</strong> eine Exegese <strong>de</strong>s Jesajabuches. Eine genauere<br />

Analyse zeigt, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Übersetzer eigentlich sehr eng am hebr. Text geblieben<br />

ist und nur die Möglichkeiten <strong>de</strong>s hebr. Konsonantentextes ausgenutzt hat. Ähnlich<br />

und doch wie<strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>s macht es <strong>Qumran</strong>. Hier gab es einen Schreiber, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>de</strong>n hebr. Text zweimal ganz abgeschrieben hat, so dass wir nun zwei 11 m lange<br />

Jesaja-Rollen haben. Für die feinsinnige Exegese beim Abschreiben bringe ich<br />

zwei Beispiele:<br />

a.) Eine Variante zu Jes 1,24-25 in <strong><strong>de</strong>r</strong> Großen Jesaja-Rolle legt die Vermutung<br />

nahe, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Schreiber mit <strong>de</strong>m qumranischen „Lehrer <strong><strong>de</strong>r</strong> Gerechtigkeit“ (zwischen<br />

160 und 135 v. Chr.) zu i<strong>de</strong>ntifizieren sei.<br />

MT:<br />

„Deswegen, Spruch <strong>de</strong>s Herrn JHWH Seba´ot, <strong>de</strong>s Starken Israels: Wehe, ich will Rache<br />

nehmen an meinen Fein<strong>de</strong>n, mich rächen an meinen Gegnern. Und ich wen<strong>de</strong> meine<br />

Hand gegen dich ...


11<br />

1QJes a : „Deswegen, Spruch <strong>de</strong>s Herrn JHWH Seba´ot, [<strong>de</strong>s Starken Israels]: Wehe, ich will<br />

Rache nehmen an seinen Fein<strong>de</strong>n, mich rächen an seinen Gegnern. Und er wen<strong>de</strong>t<br />

meine Hand gegen dich ...<br />

<strong>Die</strong> Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> Suffixe <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> 1. Sg. zur 3. Sg. sind markant und weist auf<br />

eine Gestalt, die kontextuell nur erkennbar wird, wenn man <strong>de</strong>n in V. 21 genannten<br />

„Gerechten“ auf <strong>de</strong>n „Lehrer <strong><strong>de</strong>r</strong> Gerechtigkeit“ bezieht. <strong>Die</strong>ser regierte tatsächlich<br />

einmal in Jerusalem, aber seine Fein<strong>de</strong> <strong>–</strong> gemeint ist wohl <strong><strong>de</strong>r</strong> „Frevelpriester“<br />

(vgl. 1QpHab 8,8ff.) <strong>–</strong> hatten ihn verdrängt.<br />

b.) Eine Variante zu Jes 22,5 in <strong><strong>de</strong>r</strong> Großen Jesaja-Rolle zeigt eine verborgene<br />

Aktualisierung <strong>de</strong>s Prophetentextes durch <strong>de</strong>n qumranischen Schreiber:<br />

MT:<br />

1QJes a<br />

„Denn einen Tag <strong><strong>de</strong>r</strong> Bestürzung und Verwüstung und Verwirrung (kommt) vom Herrn<br />

JHWH Seba´ot. Im Tal <strong><strong>de</strong>r</strong> Vision ist Verwüstung <strong><strong>de</strong>r</strong> Mauer und Lärm gegen <strong>de</strong>n<br />

Berg“.<br />

„Denn einen Tag <strong><strong>de</strong>r</strong> Bestürzung und Verwüstung und Verwirrung (kommt) vom Herrn<br />

JHWH Seba´ot. Im Tal <strong><strong>de</strong>r</strong> Vision ist Verwüstung <strong>de</strong>s Heiligtum auf <strong>de</strong>m Berg“.<br />

Ohne Zweifel hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Abschreiber mit <strong>de</strong>m Originaltext nicht viel anfangen<br />

können und nach einer Textvereinfachung gesucht. Möglicherweise konnte er<br />

dabei sogar einen aktuellen Bezug einbauen, wobei er auf die Profanisierung <strong>de</strong>s<br />

Tempels durch Antiochus IV. zurückblicken konnte.<br />

5. <strong>Die</strong> Theologie <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong><br />

<strong>Die</strong> Darstellung <strong><strong>de</strong>r</strong> Theologie dieser Gemein<strong>de</strong> braucht viel Raum, so dass ich<br />

mich auf einige wenige Stichpunkte beschränken muss: Zuerst einmal sind die<br />

<strong>Qumran</strong>er Ju<strong>de</strong>n und damit unmittelbare Erben <strong>de</strong>s Alten Testamentes. Und doch<br />

sind sie an<strong><strong>de</strong>r</strong>s als die zeitgenössischen Ju<strong>de</strong>ntümer, weil sie zentrale „Dogmen“<br />

an<strong><strong>de</strong>r</strong>s interpretierten.<br />

5.1. Gott<br />

Nehmen wir als Ausgangspunkt das Stichwort אלוהים „Gott“, so merkt man sofort,<br />

dass dieser Terminus vergleichsweise viel häufiger als im AT gebraucht<br />

wur<strong>de</strong>, obwohl <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrauch <strong>de</strong>s Gottesnamens mit steigen<strong><strong>de</strong>r</strong> Ten<strong>de</strong>nz vermie<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>. Es war also eine neue Unmittelbarkeit entstan<strong>de</strong>n, in <strong><strong>de</strong>r</strong> weniger<br />

über Gott als mit Gott und zu Gott gesprochen wur<strong>de</strong>. Der Terminus „Gott“<br />

meinte die personale Größe, löste sie aber auch auf in eine kollektive himmlische


12<br />

Größe, die die Grenzen <strong>von</strong> Immanenz (Ko-Existenz mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong>) und<br />

Transzen<strong>de</strong>nz (Ko-Existenz mit und in Gott) fließend machte. Das mag <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Grund dafür sein, dass es in <strong>Qumran</strong> keine explizite „Monotheismus-Formel“<br />

(vgl. Dtn 6,4) gab. Es ist eine Renaissance <strong><strong>de</strong>r</strong> mythischen Sprache (v.a. in<br />

ShirShabb) zu beobachten, die es ermöglicht, Gott und Mensch in einer ganz intimen<br />

Nähe zu sehen, ohne die Transzen<strong>de</strong>nz zu verleugnen. <strong>Die</strong>se einzigartige<br />

Konzentration auf Gott zeigt zugleich eine partikularistische Entfremdung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gemein<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> jüdischen und erst recht heidnischen Umgebung an.<br />

Gott wur<strong>de</strong> durchaus auch als strafen<strong><strong>de</strong>r</strong> Gott gesehen, aber seine Haupteigenschaft<br />

war seine Gna<strong>de</strong>, die wie Regentropfen auf die Gemein<strong>de</strong> hernie<strong><strong>de</strong>r</strong>fällt.<br />

Sie ist Gegenstand <strong><strong>de</strong>r</strong> Offenbarung und Erkenntnis und gilt ausschließlich <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gemein<strong>de</strong> (1QS 2,1). Seine Glorie war im Ju<strong>de</strong>ntum mit <strong>de</strong>m Tempel auf <strong>de</strong>m<br />

Zion verbun<strong>de</strong>n (so noch 11QT), jetzt ist es die Gemein<strong>de</strong>, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Gottes Größe<br />

anwest.<br />

5.2. Gemein<strong>de</strong><br />

In Rezeption dt-jes. Terminologie ist Gott <strong><strong>de</strong>r</strong> „Schöpfer“ <strong>de</strong>s Alls und „alles<br />

Seien<strong>de</strong>n“ (1QH 20,12), er ist <strong><strong>de</strong>r</strong> „Urgrund <strong>de</strong>s Seien<strong>de</strong>n“ (1QS 3,13ff.) <strong>–</strong> eine<br />

Terminologie, die einen reflektierten hellenistischen Einfluss erkennen lässt. Seine<br />

Schöpfungsgaben bestehen in „non-sectarian“ Texten in Leben, Lebensatem,<br />

Land, Tora und Bund, in „sectarian“ Texten darüber hinaus in Geist, Einsicht,<br />

Erkenntnis, Wissen, Weisheit und einem „Herzen <strong><strong>de</strong>r</strong> Einsicht“.<br />

Er hat <strong>de</strong>n Erdkreis fest gegrün<strong>de</strong>t, wobei sein Schöpfungswirken bereits in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

prä-kreationalen Phase ansetzt. Vor aller Zeit und vor allem Geschaffenen hat er<br />

in <strong><strong>de</strong>r</strong> אמת die <strong><strong>de</strong>r</strong> äg. Ma‘at vergleichbare Urordnung gesetzt, das „wahre Gesetz“<br />

(1QS 1,15), die <strong>de</strong>m Kosmos zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong> Wirklichkeit <strong>de</strong>s einen<br />

Seins, die <strong>de</strong>n überkommenen kosmischen Dualismus letztlich doch zu einer höheren<br />

Einheit zusammenführt. Es ist genau <strong><strong>de</strong>r</strong> prä-existente Logos, wie er aus<br />

Joh 1,1ff. uns in neutestamentlicher Diktion überkommen ist.<br />

<strong>Die</strong>se eine Wirklichkeit kann <strong>de</strong>shalb auch nur in „einer“ Gemein<strong>de</strong> ekklesiologisch<br />

gelebt wer<strong>de</strong>n und das Leben ethisch bestimmen, eben in <strong><strong>de</strong>r</strong> „Einung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Wahrheit“. Gott selbst ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Schöpfer dieser Einung, die Gemein<strong>de</strong> ist sein Erbteil.<br />

Trotz<strong>de</strong>m kann die Existenz dieser Gemein<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>n kosmischen Dualis-


13<br />

mus negieren: Wahrheit und Sün<strong>de</strong> erscheinen als zwei kosmische Mächte, die<br />

miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> ringen, ein Kampf, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich auch im individuellen Beter abspielt und<br />

erst im eschatologischen Kampf entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n wird (so auch Röm 11,18; 1<br />

Tim 2,4; 3,15).<br />

5.3. Erwählung:<br />

<strong>Die</strong> Gemein<strong>de</strong> ist sichtbares Zeichen göttlicher Erwählung, die sich dokumentiert<br />

in einer durch Son<strong><strong>de</strong>r</strong>-Offenbarung und Nähe zu <strong>de</strong>n göttlichen Wesen ermöglichten<br />

endgültigen Auslegung <strong><strong>de</strong>r</strong> Tora. Einmal kollidiert mit solchen Aussagen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> feste Glaube an Prä<strong>de</strong>stination und göttliche Determination, an<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits<br />

antwortet die Gemein<strong>de</strong> auf diese göttliche Erwählung mit Gottesfurcht und Tora-Gehorsam,<br />

sieht also für sich eine gewisse Entscheidungsfreiheit als Ermöglichungsgrund<br />

individueller ethischer Verantwortlichkeit. <strong>Die</strong> durch die Erwählung<br />

bewirkte einzigartige Konstellation wird auch in <strong>Qumran</strong> mit <strong>de</strong>m Term<br />

„Bund“ qualifiziert. In <strong>de</strong>n Texten <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> hat dieser Begriff je<strong>de</strong>n profanen<br />

Bezug aufgegeben und dient einzig <strong><strong>de</strong>r</strong> Beschreibung dieses beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en Zustan<strong>de</strong>s<br />

zwischen Gott und Menschen. <strong>Die</strong>ser Bund <strong>de</strong>s Noach, <strong><strong>de</strong>r</strong> Väter, <strong>de</strong>s Moses<br />

ist in <strong>Qumran</strong> jetzt im „neuen/erneuerten Bund <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong> (5malige Nennung)<br />

endgültige eschatologische Wirklichkeit gewor<strong>de</strong>n ist. Im neuen Bund,<br />

verkörpert in <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong>, liegt <strong><strong>de</strong>r</strong> endgültige Fluchtpunkt <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte und<br />

Heilsgeschichte Israels vor, Grund und Anlass, genau diese eschatologische<br />

Wirklichkeit jährlich in einer eigenen liturgischen Bun<strong>de</strong>s-Memoria zu feiern.<br />

5.4. Offenbarung<br />

Der neue Bund ist <strong>de</strong>swegen neu, weil nun das „Verborgene“, d.h. <strong><strong>de</strong>r</strong> richtige<br />

Kalen<strong><strong>de</strong>r</strong> und die gerechten Bezeugungen bis hin zur „Seinsordnung“ mit Ewigkeits-<br />

und Ausschließlichkeitscharakter aufge<strong>de</strong>ckt und <strong><strong>de</strong>r</strong> „Gott <strong><strong>de</strong>r</strong> Erkenntnis“<br />

durch Son<strong><strong>de</strong>r</strong>offenbarung die endgültige Einsicht gewährt und die Menschen<br />

zu „Wissen<strong>de</strong>n“ gemacht hat. Offenbarung und göttliche Pädagogik führen zu<br />

dieser neuen Qualifikation <strong><strong>de</strong>r</strong> erwählten Menschen. <strong>Die</strong>se Bezeichnung begegnet<br />

in <strong>Qumran</strong> vergleichsweise doppelt so häufig wie im Tanakh <strong>–</strong> offensichtlich<br />

als kreative Antwort auf die spätalttestamentliche Krise <strong><strong>de</strong>r</strong> Weisheit. Es geht um<br />

die Erkenntnis als Teilhabe an <strong><strong>de</strong>r</strong> göttlichen Offenbarung, die kognitive Eigenschaft<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Engel. Wenn also dieses Wissen nun in die Gemein<strong>de</strong> hinein vermittelt<br />

wird, schließt sich zugleich wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kreis zu <strong>de</strong>n göttlichen Wesen. <strong>Die</strong> Texte


14<br />

betonen zwei Hauptauswirkungen dieser Offenbarungsvermittlung: die Gemein<strong>de</strong><br />

<strong>–</strong> darin vornehmlich <strong><strong>de</strong>r</strong> „Lehrer“ <strong>–</strong> wird fähig zur endgültigen Rechtsbelehrung<br />

und zur Gotteserkenntnis, die aus sich heraus <strong>de</strong>n Lobpreis entlässt, für<br />

<strong>Qumran</strong> tragen<strong><strong>de</strong>r</strong> Bestandteil <strong><strong>de</strong>r</strong> Liturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> Bun<strong>de</strong>serneuerung (vgl. die<br />

christliche Eucharistie).<br />

5.5. Tora und Gesetz<br />

<strong>Die</strong> Tora-Observanz hat die Gemein<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Pharisäern gemeinsam. Nun aber<br />

ist ein wirklich tiefes Verständnis zu beobachten. Es geht nicht mehr nur um <strong>de</strong>n<br />

Tun-Ergehen-Zusammenhang, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um eine ganz fundamentale Sicht: die<br />

Tora ist nicht einfach nur das Gesetz, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Wille und <strong><strong>de</strong>r</strong> Wunsch Gottes,<br />

das „Grundprinzip“ und „Fundament“ <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong>, macht <strong>de</strong>n Menschen fähig<br />

zur Gotteserkenntnis. <strong>Die</strong>se „Grundlagen <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong>“ sind <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Priestern<br />

gelegt wor<strong>de</strong>n sind und sind nun bleiben<strong>de</strong> Strukturordnung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s. Nun hat<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Begriff „Fundament“ in <strong>Qumran</strong> eine doppelte <strong>Be<strong>de</strong>utung</strong>, <strong>de</strong>nn er meint<br />

auch das „Geheimnis“, <strong>de</strong>n „Rat“, <strong><strong>de</strong>r</strong> eben nur ihr, d.h. exklusiv <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong><br />

<strong>von</strong> Gott geoffenbart ist.<br />

5.6. Leviten und Priester<br />

Der in <strong>Qumran</strong> <strong>de</strong>zidiert verwaltete und auf die Gemein<strong>de</strong> hin erneuerte „Bund<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> ewigen Priesterschaft“ geht zum einen auf eine alte aaronidische Tradition<br />

zurück: <strong>Die</strong> Priester haben die Gemein<strong>de</strong> gegrün<strong>de</strong>t, sind ihre Träger und bil<strong>de</strong>n<br />

ihre hierarchische Spitze. Ihre Hauptaufgabe besteht im Gottesdienst, <strong><strong>de</strong>r</strong> aufgrund<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Ablehnung <strong>de</strong>s Opferkultes ganz neue Formen kreieren muss. <strong>Die</strong><br />

qumranische Priesterschaft entwickelte für sich eine neue priesterliche Sukzession,<br />

die einerseits vor Aaron zurückgreift und auf Melchise<strong>de</strong>k vorausgreift. Damit<br />

verwiest <strong>Qumran</strong> auf <strong>de</strong>n Galater- und Hebräerbrief, in <strong>de</strong>nen Jesus als „Hoherpriester<br />

nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Ordnung <strong>de</strong>s Melchise<strong>de</strong>k“ bezeichnet wird.<br />

5.7. Sühne und Rettung<br />

<strong>Die</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> Sün<strong>de</strong> und Schuld rezipieren ein<strong>de</strong>utig die alttestamentlichen<br />

Vorgaben. In <strong>de</strong>n Vorstellungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Sühne geht die Gemein<strong>de</strong> jedoch einen<br />

eigenen Weg. Jetzt ist die Sühne nicht mehr durch Schlachtopfer zu erreichen.<br />

<strong>Die</strong> Sühne wird theozentriert, insofern Sühne nicht mehr Verdienst <strong>de</strong>s Menschen<br />

sein kann, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n nur geschieht, wenn und weil Gott selbst sie ermög-


15<br />

licht. Angesichts dieser göttlichen Vorgabe geschieht eine Ethisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Sühnepraxis,<br />

die die Gemein<strong>de</strong> als Ort <strong><strong>de</strong>r</strong> Sühne sieht, wo sie durch ihre Thora-<br />

Observanz Sühne leistet, d.h. wo sie Gott bewegt, die Priester, die Gemein<strong>de</strong> und<br />

das Land zu entsühnen.<br />

5.8. Gottesherrschaft<br />

Im NT bricht mit Jesus Christus die Gottesherrschaft an, die in <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemeinschaft<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Christen sichtbare Gestalt annimmt. <strong>Die</strong> Forschung hat lange Zeit geglaubt,<br />

<strong>Qumran</strong> habe keine Vorstellung <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> „Königsherrschaft Gottes“ gehabt. <strong>Die</strong>s<br />

war zutreffend, solange man nur nach <strong>de</strong>m Terminus mal e kût „Königsherrschaft“<br />

gesucht hat. Tatsächlich hat <strong>Qumran</strong> diesen Terminus weitgehend unterdrückt,<br />

da die Gemein<strong>de</strong> mit einer Monarchie nichts anfangen konnte. Erst als man <strong>de</strong>n<br />

Begriff mæmšalah analysierte, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass sich die Gemein<strong>de</strong> selbst als<br />

Königreich versteht, in <strong>de</strong>m Gott mit seinen göttlichen Wesen präsent ist und<br />

sich im Eschaton hier in seiner ganzen Größe offenbaren und die Weltherrschaft<br />

übernehmen wird. In<strong>de</strong>m die Gemein<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> „Herrschaft Belials“ standhält und<br />

ihr durch Tora-Gehorsam und Festhalten am Bund Paroli bietet, wird sie zur<br />

„Gegen-Herrschaft“, eben zur mæmšalah Gottes, <strong><strong>de</strong>r</strong>er sich je<strong>de</strong>s Gemein<strong>de</strong>mitglied<br />

am Fest <strong><strong>de</strong>r</strong> Bun<strong>de</strong>serneuerung je neu vergewissert.<br />

6. Zusammenfassen<strong>de</strong> Thesen<br />

<strong>–</strong> In <strong>Qumran</strong> wur<strong>de</strong> keine neutestamentliche Schrift gefun<strong>de</strong>n, im NT wird <strong>Qumran</strong><br />

nicht erwähnt.<br />

<strong>–</strong> Johannes <strong><strong>de</strong>r</strong> Täufer predigt die Umkehr, ein zentrales Thema in <strong>Qumran</strong>. Er<br />

tauft, aber seine Taufe ist nicht mit <strong>de</strong>n Reinigungsbä<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Qumran</strong>er zu vergleichen,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sollte <strong>de</strong>n Einzug in das „neue Israel“ sakramental vollziehen.<br />

<strong>–</strong> <strong>Die</strong> <strong>Qumran</strong>-Gemein<strong>de</strong> und das frühe Christentum waren bei<strong>de</strong> aktive Gruppierungen<br />

<strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums: <strong>Qumran</strong> hat die hebräische Bibel bevorzugt, die Urkirche<br />

die griech. Septuaginta.<br />

<strong>–</strong> <strong>Die</strong> Zeiträume <strong><strong>de</strong>r</strong> Gruppe <strong>von</strong> <strong>Qumran</strong> und <strong><strong>de</strong>r</strong> Urgemein<strong>de</strong> überlappen sich<br />

über einen Zeitraum <strong>von</strong> ungefähr 30 Jahren. Theoretisch könnte man sich gekannt<br />

haben. Zur Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Bildung <strong><strong>de</strong>r</strong> Jerusalemer Urgemein<strong>de</strong> (Pfingsterfahrung!)<br />

(Hinrichtung <strong>de</strong>s Jakobus und <strong>de</strong>s Diakons Stephanus durch Hero<strong>de</strong>s Ag-


16<br />

rippa gegen 44 n. Chr.) war <strong>Qumran</strong> aber völlig unbe<strong>de</strong>utend. Seine Bewohner<br />

galten wahrscheinlich als Son<strong><strong>de</strong>r</strong>linge, <strong>de</strong>n heutigen Piusbrü<strong><strong>de</strong>r</strong>n vergleichbar.<br />

<strong>–</strong> <strong>Die</strong> <strong>Qumran</strong>rollen stammen fast vollständig aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Konstituierung<br />

<strong>de</strong>s frühen Christentums.<br />

<strong>–</strong> Jesus und seine ersten Jünger waren ausnahmslos Galiläer, „Nordstaatler“, die<br />

schon seit Davids Zeiten ein gespanntes Verhältnis zu <strong>de</strong>n Judäern, <strong>de</strong>n „Südstaatlern“<br />

aus Judäa und Jerusalem hatten. Bezüge Jesu zu <strong>Qumran</strong> sind <strong>de</strong>shalb<br />

wenig wahrscheinlich.<br />

<strong>–</strong> Jesus und seine Apostel waren schließlich in Jerusalem, aber die <strong>Qumran</strong>er<br />

waren es nicht, so dass auch hier eine Kontaktnahme kaum wahrscheinlich ist.<br />

<strong>–</strong> <strong>Die</strong> vielen Gemeinsamkeiten erklären sich aus <strong><strong>de</strong>r</strong> gemeinsamen jüdischen Religion<br />

und Tradition, aus <strong><strong>de</strong>r</strong> sich <strong>Qumran</strong> wie Christentum kreativ und innovativ<br />

weiter entwickelt haben.<br />

<strong>–</strong> <strong>Die</strong> Gemeinsamkeiten erklären sich weiterhin aus <strong><strong>de</strong>r</strong> gleichen Zeit mit ihren<br />

sozio-kulturellen Problemen, auf die bei<strong>de</strong> Gruppe reagieren mussten.<br />

<strong>–</strong> <strong>Die</strong> Gemeinsamkeiten erklären sich weiterhin aus <strong><strong>de</strong>r</strong> katastrophalen politischen<br />

Situation, auf die das gesamte Ju<strong>de</strong>ntum mit einer hochgespannten apokalyptischen<br />

Messias-Erwartung reagiert hat. <strong>Qumran</strong> und das Christentum haben<br />

auch dies aus ihrer jüdischen Umwelt übernommen.<br />

<strong>–</strong> Bei<strong>de</strong> Gruppierungen haben auch auf die Usancen antiker Kultvereine zurückgegriffen,<br />

wie sie aus <strong>de</strong>m hellenistischen, aber auch <strong>de</strong>m aram. und nabatäischen<br />

Bereich in großem Umfang bekannt waren. <strong>Die</strong>se Gemeinschaften kannten<br />

die Gütergemeinschaft, flache Hierarchien, gemeinschaftliche Gastmähler und<br />

Armenfürsorge.<br />

Zum Abschluss: <strong>Die</strong> vielen Gemeinsamkeiten sind offensichtlich, aber sie be<strong>de</strong>uten<br />

keine Abhängigkeit we<strong><strong>de</strong>r</strong> in die eine noch in die an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Richtung.<br />

„Fragt man <strong>von</strong> <strong>de</strong>n <strong>Qumran</strong>texten her, was <strong>de</strong>nn das eigentlich Neue am Christentum<br />

im Vergleich mit <strong>de</strong>m damaligen Ju<strong>de</strong>ntum gewesen ist, so ist die Antwort<br />

ein<strong>de</strong>utig: was <strong>Qumran</strong> und an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Ju<strong>de</strong>n <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft erwarteten, beginnt<br />

mit Jesus in Erfüllung zu gehen. <strong>Die</strong> Heilsvollendung steht zwar noch aus;<br />

aber die Er<strong>de</strong>nzeit Jesu ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Beginn <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilszeit, das Han<strong>de</strong>ln Gottes durch


17<br />

Jesus Christus <strong>–</strong> bis hin zu seinem Sühnetod am Kreuz und seiner Auferweckung<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>n Toten durch Gott <strong>–</strong> Grundlage aller christlichen Glaubensorientierung.<br />

<strong>Die</strong>se unterschiedliche Grundorientierung hat letztlich zur Trennung zwischen<br />

Christentum und Ju<strong>de</strong>ntum geführt, nichts an<strong><strong>de</strong>r</strong>es. <strong>Die</strong> <strong>Qumran</strong>fun<strong>de</strong> machen<br />

diesen Sachverhalt so <strong>de</strong>utlich, wie er zuvor nicht hatte sein können, nicht zuletzt<br />

<strong>de</strong>shalb, weil sie zugleich in mannigfacher Hinsicht zeigen, was gar nicht spezifisch<br />

christlich, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n im Ju<strong>de</strong>ntum bereits vorbereitet gewesen ist. <strong>Die</strong> Hauptbe<strong>de</strong>utung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Qumran</strong>fun<strong>de</strong> für das Verständnis Jesu und <strong>de</strong>s frühen Christentums<br />

liegt also darin, daß wir jetzt genauer als je zuvor erkennen können, wie die<br />

jüdischen Wurzeln <strong>de</strong>s Christentums beschaffen waren und was bei Jesus wirklich<br />

neu ist“ (H. Stegemann).

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