Oktober 2013 – Nr. 9 (PDF) - Robert Bosch Stiftung
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Chamissos Berlin :: 19<br />
Mit Siebenmeilenstiefeln<br />
durch Berlin<br />
Du, meine liebe deutsche Heimat, hast,<br />
Warum ich bat, und mehr noch mir gegeben;<br />
Du ließest freundlich dem gebeugten Gast<br />
Die eigne traute Hütte sich erheben,<br />
Und der bescheidne kleine Raum umfaßt<br />
Ein neuerwachtes heitres reiches Leben;<br />
Ich habe nicht zu bitten, noch zu klagen,<br />
Dir nur aus frommem Herzen Dank zu sagen.<br />
Von Michael Bienert<br />
Mit diesen Versen beginnt das Gedicht »Berlin«,<br />
das Adelbert von Chamisso 1831 seiner neuen Heimat<br />
widmete. Er war damals 50 Jahre alt, hatte sich als<br />
Schriftsteller, Weltreisender und Naturforscher einen<br />
Namen gemacht, eine bürgerliche Existenz als Botaniker<br />
aufgebaut und eine Familie gegründet. Das aufstrebende<br />
Berlin des frühen 19. Jahrhunderts mit seinen<br />
literarischen Zirkeln und der erst 1810 gegründeten<br />
Universität bot ihm die Chance, sich von einem französischen<br />
Grafensohn in einen liberalen preußischen<br />
Bürger zu verwandeln.<br />
Zu Chamissos Lebzeiten verdoppelte sich die Einwohnerzahl<br />
der preußischen Hauptstadt von etwa<br />
140.000 auf rund 280.000 Menschen. Berlin war noch<br />
keine Weltstadt wie Paris und London, aber schon eine<br />
richtige Großstadt und auf dem Weg zur Industriestadt.<br />
Chamisso hat das in seinem Werk kaum thematisiert,<br />
aber das großstädtische Milieu war eine stillschweigende<br />
Voraussetzung seiner Existenz. Wie die<br />
meisten romantischen Dichterkollegen, die den deutschen<br />
Wald und die blaue Blume feierten, schätzte<br />
Chamisso die Vorzüge des Großstadtlebens und hätte<br />
sie nicht gegen eine Hütte in der Waldeinsamkeit eingetauscht.<br />
Jedenfalls nicht auf Dauer.<br />
Wer in Berlin auf die Suche nach den Orten<br />
Chamissos geht, findet auch nach 200 Jahren noch aussagekräftige<br />
Spuren. Auf dem umseitig abgebildeten<br />
Plan von 1832 sieht man die Orte in der Umgebung, so<br />
wie sie Chamisso durchwandert hat. Am unteren Rand<br />
schmückt die Karte Schinkels 1821 eingeweihtes<br />
Nationaldenkmal für die Befreiungskriege auf dem<br />
Kreuzberg (im heutigen Viktoriapark). Nicht allzu weit<br />
von Chamissos Grab bietet sich von dem Denkmal aus<br />
noch immer ein großartiger Panoramablick über die<br />
historische Mitte der Hauptstadt.<br />
(Eine erweiterte Version der Karte ist online unter<br />
www.text-der-stadt.de/Chamissokarte.html zu sehen.)