Oktober 2013 – Nr. 9 (PDF) - Robert Bosch Stiftung
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32 :: Neuerscheinungen von Adelbert-von-Chamisso-Preisträgern<br />
On the road again<br />
Selim Özdogan bleibt ein junger Autor<br />
Neue Bücher<br />
Vor 18 Jahren erschien ein Roman, in dem es um<br />
eine traumhaft beginnende und schmerzlich endende<br />
Sommerliebe geht und der Selim Özdogan als einen<br />
höchst glaubwürdigen Literaten der deutsch-türkischen<br />
Gastarbeiterkinder-Generation bekannt machte. Den<br />
Titel vergisst man nie mehr: Es ist so einsam im Sattel,<br />
seit das Pferd tot ist. Mit sicherem Gefühl für Tempo<br />
und Rhythmus, zumeist in schnoddriger Zeitgeistsprache<br />
und doch in ganz unterschiedlichen Tonlagen,<br />
witzig, ironisch und schnörkellos erzählte Özdogan von<br />
den Erfahrungen, Träumen und Gefühlen junger Menschen.<br />
Für seine ersten drei Prosabücher <strong>–</strong> Nirgendwo<br />
& Hormone und Ein gutes Leben ist die beste Rache<br />
kamen bald hinzu <strong>–</strong> wurde der damals 28-Jährige 1999<br />
mit dem Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet. Seitdem<br />
ist er dem Preis eng verbunden, als ein besonders<br />
an Schulen sehr erfolgreicher Performer seiner immer<br />
zahlreicher werdenden Texte sowie als Leiter von<br />
Workshops und Schreibwerkstätten.<br />
Wer hätte damals gedacht, dass dieser coole<br />
Szene-Autor sechs Jahre später einen so traurigen wie<br />
zugleich wunderschönen Roman veröffentlichen<br />
würde, der am Beispiel der Hauptfigur Gül und ihrer<br />
Familie vom türkischen Alltagsleben der fünfziger und<br />
vor allem sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts erzählt<br />
und damit die Vorgeschichte der Özdogan-Generation<br />
festhält? Die Tochter des Schmieds, ein bis heute<br />
schmählich unterschätztes Buch, endet mit Güls Reise<br />
nach Deutschland und hat 2011 durch Heimstraße 52<br />
eine beachtliche Fortsetzung erfahren.<br />
Das sind aber nur die Perlen aus Özdogans Textfabrik<br />
<strong>–</strong> es gibt wenige deutsche Schriftsteller, die, was<br />
ihre Buchproduktion wie die Zahl ihrer öffentlichen<br />
Auftritte betrifft, derart fleißig sind wie dieser in Köln<br />
lebende Autor. Allein 2012 sind drei Bücher von ihm<br />
erschienen, <strong>2013</strong> sind mindestens zwei zu erwarten.<br />
Seit wenigen Wochen ist das erste davon im Handel,<br />
ein voluminöser neuer Roman mit einem etwas rätselhaften<br />
Titel: DZ. Dieses »DZ« ist ein fiktives Land in<br />
Südostasien, das seinen Bewohnern ein Leben in Freiheit<br />
und grenzenlosen Zugang zu allen Drogen dieser<br />
Welt anbietet. Selim Özdogan erzählt von Ziggy, der<br />
sich, um seiner Mutter ihren letzten Wunsch zu erfüllen,<br />
auf die Suche nach seinem Bruder Damian macht.<br />
Er erzählt von der Drogenwelt im Internet, von prekären<br />
Lebensentwürfen und von der Suche nach dem<br />
Glück <strong>–</strong> Themen und Motive, die den Autor seit je beschäftigen<br />
und die auch im Klang der Blicke zu finden<br />
sind.<br />
»Wir lebten in der Steinstadt und jeder glaubte, es<br />
gäbe noch ein anderes Leben«, heißt es lakonisch in<br />
der dritten der sage und schreibe 36 in diesem Band<br />
versammelten Kurzgeschichten. »Manche stiegen in<br />
den Bus, fuhren weg. Einige kamen wieder, andere<br />
nicht.« Nicht allein am Erzählton merkt man sofort,<br />
dass dem heute 42-Jährigen die unendliche Verlorenheit<br />
und mit Coolness drapierte Ratlosigkeit, aber auch<br />
das unermessliche Freiheits- und Glücksgefühl der<br />
Unter-Dreißig-Generation nicht abhanden gekommen<br />
sind. Dass er viel gelernt hat von seinen zumeist amerikanischen<br />
Vorbildern, zeigen allein schon die Anfangssätze<br />
seiner Geschichten: »Ich hätte auf meinen Vater<br />
hören sollen« zum Beispiel, »Nicht das ganze Leben.<br />
Oder vielleicht doch …« oder »Irgendwann war es so<br />
weit«. Um Sonne und Schatten geht es hier, um Liebe<br />
und Tod, um Sehnsucht und Enttäuschung, um Gewalt<br />
und Hass, um Eifersucht und Abscheu und um das<br />
große Glück. Meist auch um die Deutschtürken und um<br />
die Anderen, am eindrucksvollsten vielleicht in der<br />
Erzählung »Opfer«.<br />
Die vieldiskutierte Frage, was denn nun eigentlich<br />
»interkulturelle Literatur« sei, wird mit Der Klang der<br />
Blicke souverän beantwortet. So nämlich sieht sie aus,<br />
und wie außergewöhnlich und originell sie sein kann,<br />
erfährt man auf jeder Seite dieses umfangreichen Bandes.<br />
Nein, es muss nicht immer ein Roman sein. Mit<br />
seinen durchweg spannenden Erzählungen relativiert<br />
der in mehrfacher Hinsicht jung gebliebene Schriftsteller<br />
aus dem Geiste Adelbert von Chamissos seinen<br />
in der Geschichte »Verdachtsmomente« zu findenden<br />
Satz »Der Mensch ist nicht dafür gedacht, in der Oberliga<br />
zu spielen«. Ob dafür gedacht oder nicht <strong>–</strong> der<br />
Schriftsteller Selim Özdogan jedenfalls, der spielt<br />
schon längst ganz oben mit.<br />
Selim Özdogan, Der Klang der Blicke.<br />
Geschichten. Haymon Verlag, Innsbruck/Wien 2012.<br />
264 Seiten, 19,90 Euro<br />
Selim Özdogan, DZ. Roman. Haymon Verlag,<br />
Innsbruck/Wien <strong>2013</strong>. 380 Seiten, 22,90 Euro