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Was haben Drogen mit Liebe zu tun?

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<strong>Was</strong> <strong>haben</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>mit</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> <strong>tun</strong>?<br />

<strong>Was</strong> macht man <strong>mit</strong> <strong>Drogen</strong> konsumierenden Menschen?<br />

Man schliesst sie ein, man schliesst sie aus.<br />

Man verurteilt sie, man begnadigt sie.<br />

Man ignoriert sie, man bewundert sie.<br />

Man bestraft sie, man verhätschelt sie.<br />

Man hasst sie, man liebt sie.<br />

Liebt man sie?<br />

<strong>Liebe</strong>n sie sich selbst?<br />

<strong>Liebe</strong>n sie die <strong>Drogen</strong>?<br />

<strong>Was</strong> sind <strong>Drogen</strong>?<br />

Arznei, Genuss<strong>mit</strong>tel, getrocknete Kräuter, psychoaktive Substanzen, seit 8000 Jahren bekannt,<br />

in allen Kulturen <strong>zu</strong> allen Zeiten verwendet, verehrt, geächtet, ritualisiert, verbannt, kultiviert.<br />

Alles wurde versucht.<br />

Gehören <strong>Drogen</strong> <strong>zu</strong>m Leben wie Essen und Schlafen, wie Sexualität und Aggressivität, wie<br />

Lachen und Weinen? Wie die <strong>Liebe</strong> und der Tod?<br />

Wie geht man <strong>mit</strong> <strong>Drogen</strong> konsumierenden Menschen um?<br />

Respektvoll?<br />

<strong>Liebe</strong>voll?<br />

Ja sicher, aber was ist <strong>Liebe</strong>?<br />

<strong>Liebe</strong> ist die Kraft zwischen zwei Wesen, die Nachkommen hervorbringt. <strong>Liebe</strong> lässt Familien<br />

überdauern, Sippen gedeihen. Ohne <strong>Liebe</strong> stirbt jede Spezies aus. Je geschickter Wesen <strong>mit</strong> der<br />

<strong>Liebe</strong> umgehen, desto grösser ist die Chance, dass sie überdauern.<br />

Soweit so gut, aber dieses Wissen führt mich nicht durch den Alltag.<br />

Ich arbeite seit drei Jahren in der Wege Weierbühl.<br />

Wie gehen wir <strong>mit</strong> <strong>Drogen</strong> konsumierenden Menschen um?<br />

Behandeln wir sie richtig?<br />

Geben wir unseren BewohnerInnen das, was sie brauchen, was ihnen fehlt?<br />

<strong>Was</strong> fehlt ihnen?<br />

Sie wollen Geld. Da<strong>mit</strong> kaufen sie sich <strong>Drogen</strong>. Konsumieren sie diese <strong>Drogen</strong>, um ihr Schicksal,<br />

ihr Elend <strong>zu</strong> vergessen? Um sich die Wärme, die <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> geben, die sie sonst in ihrem Umfeld<br />

nicht finden? Wollen sie also <strong>Liebe</strong>?<br />

Wollen sie ein Dach über dem Kopf?<br />

Wollen sie Sicherheit?<br />

Wie geben wir ihnen Sicherheit?<br />

Wollen sie Arbeit? Wollen sie ein gefragtes Element der Gesellschaft sein, hoch geachtet,<br />

geschätzt, verehrt? Wollen sie ein wertvolles Mitglied in der Gesellschaft sein? So wie wir auch?<br />

Wollen sie nicht genau dasselbe, was wir auch wollen? Anerkennung, Ach<strong>tun</strong>g, Respekt, <strong>Liebe</strong><br />

eben.<br />

<strong>Was</strong> fehlt unseren BewohnerInnen?<br />

Es fehlt an allem, an Geld, an Zuwendung, an Verständnis, an Arbeitsmöglichkeiten, an Ruhe,<br />

an Zufriedenheit, an juristischen Antworten, an Durchblick, an körperlicher Gesundheit, an<br />

seelischem Wohlbefinden, an Wohlbefinden auf allen Ebenen. Es fehlt an <strong>Liebe</strong>, an <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> sich<br />

selbst, <strong>zu</strong> den Andern, <strong>zu</strong>m Leben, an <strong>Liebe</strong> in der Kindheit, der Jugend, der Schule, <strong>zu</strong> den<br />

Freunden.


Wie geben wir ihnen diese <strong>Liebe</strong> und welche <strong>Liebe</strong> meine ich überhaupt?<br />

Professionelle <strong>Liebe</strong>. Gibt es professionelle <strong>Liebe</strong>?<br />

Wir geben ihnen professionelle <strong>Liebe</strong>.<br />

Nach Regeln, nach Skos- Richtlinien, psychologisch abgewogen, alltagstauglich, paradox<br />

hinterfragt, voraus denkend, in Frage gestellt, durchdiskutiert.<br />

<strong>Was</strong> geben wir unseren BewohnerInnen?<br />

Wenn sie <strong>zu</strong> uns kommen, lassen wir sie in Ruhe. Sie <strong>haben</strong> ihr Zimmer, sie <strong>haben</strong> <strong>zu</strong> essen und<br />

wir sind da, um Fragen <strong>zu</strong> beantworten. Am Anfang müssen sie sich nur an zwei Regeln halten:<br />

absolut keine Gewalt, auch keine verbale und keine <strong>Drogen</strong> im Haus.<br />

Während dieser Anfangszeit beobachten wir sie und wir tauschen unsere Beobach<strong>tun</strong>gen aus.<br />

Es ist erstaunlich, welche unterschiedlichen Beobach<strong>tun</strong>gen in 14 Tagen <strong>zu</strong>sammenkommen. Die<br />

Nachtwache nimmt völlig andere Aspekte wahr als der Tagdienst, Männer andere als Frauen.<br />

Die BewohnerInnen zeigen ihre enorm differierenden Tagesformen extrem unterschiedlich. Wir<br />

vom Team gehen unterschiedlich da<strong>mit</strong> um und rufen dementsprechend verschiedene<br />

Reaktionen hervor. Ist aus diesem Mix verschiedenster Wahrnehmungen eine fiktive<br />

Persönlichkeitsstruktur kristallisiert, beginnen wir den kreativen Teil. Und - lassen Sie mir die<br />

Provokation - ich nenne unseren Umgang <strong>mit</strong> den BewohnerInnen liebend. Es ist <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong>m<br />

Leben, <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong>m Glauben, dass ein ungeliebter Mensch <strong>mit</strong> der richtigen Unterstüt<strong>zu</strong>ng ein<br />

Mensch werden kann, der sich selbst findet, versteht und lieben lernt, der ein Leben <strong>mit</strong><br />

Selbstwert findet und sich in die Gesellschaft eingliedern kann. Ich rede nicht von körperlicher<br />

Zuwendung, nicht von Loben, wo es nichts <strong>zu</strong> loben gibt, nicht von aktivem Zuhören, von<br />

proaktiver Unterstüt<strong>zu</strong>ng, von Empowerment, analytischer Therapie, systemischem Weitblick,<br />

kognitiver Verhaltenstherapie, Einbe<strong>zu</strong>g aller Komponenten <strong>zu</strong> jedem Zeitpunkt, ich rede von all<br />

dem, ich rede von der kreativen Kunst, das Leben liebend <strong>zu</strong> leben. Ich rede vom Gleichgewicht<br />

zwischen der <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> mir selbst und der <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> meinen Mitmenschen, ich rede vom Flow, von<br />

der bedingungslosen Hingabe an das Leben, auch in meiner Arbeit. Manchmal spüre ich diesen<br />

Flow, manchmal in einer Teamsit<strong>zu</strong>ng, wenn jemand etwas sagt, das mir <strong>zu</strong>tiefst widerspricht<br />

und ich allmählich merke, dass ich auch diese Wahrheit in mein Weltbild integrieren kann. Oder<br />

wenn ich <strong>mit</strong> einem Bewohner streite und spüre, dass Widerstand Standfestigkeit und Halt<br />

bedeuten kann. Wenn wir nach einer katastrophalen Auseinanderset<strong>zu</strong>ng einen neuen Anlauf<br />

nehmen, wenn Scheitern und Erfolg allmählich <strong>zu</strong> einem einzigen Gesicht werden, wenn<br />

Unmögliches möglich wird.<br />

Wenn Arbeit <strong>mit</strong> <strong>Drogen</strong> konsumierenden Menschen Erfolg <strong>haben</strong> soll, braucht es sehr, sehr viel<br />

Geduld und es braucht diese Kunst, die Kunst, verschiedenste Interventionen in verschiedensten<br />

Situationen auf verschiedenste Arten an<strong>zu</strong>wenden. <strong>Drogen</strong> konsumierende Menschen <strong>haben</strong><br />

nicht einen Defekt, den man monokausal beheben kann. Ihnen fehlt die <strong>Liebe</strong>. Meist ist es<br />

einfach, heraus<strong>zu</strong>finden, wann und wie sie ihnen abhanden gekommen ist. Sie ihnen<br />

<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>geben, ist nicht nur eine therapeutische Meisterleis<strong>tun</strong>g, ich nenne diesen Prozess eine<br />

Kunst. Eine Kunst, bei der nicht nur keine Übergriffe passieren dürfen, nicht nur Behutsamkeit<br />

wie bei kleinen Kindern erfordert wird, nicht nur Abwehrkräfte gegen hässliche<br />

Respektlosigkeiten, (wenn die BewohnerInnen voll auf <strong>Drogen</strong> sind), stärker als in einem<br />

Boxkampf nötig sind. Es braucht die Schlauheit von Füchsen, die Toleranz von Nihilisten, die<br />

scharfe Wahrnehmung von Wissenschaftern, die Hingabe von Müttern, es braucht den Flow.<br />

Eintauchen ins Leben, dort wo die Grenzen sind, dort wo Abgründe immer und überall lauern,<br />

wo Hinterhältigkeiten keine Verschnaufpause <strong>zu</strong>lassen, dort wo die Spannung einem zerreisst,<br />

dort, wo man nicht mehr weiss, wo einem der Kopf steht, wo man den Boden unter den Füssen<br />

verliert, im Nebel umherirrt, hinten und vorne nicht mehr draus kommt. Dort lernt man das


Leben, dort sieht man, was <strong>Liebe</strong> wäre. Durch ihre Abwesenheit wird einem bewusst, was man<br />

braucht, gebraucht hätte.<br />

In dieser Wege habe ich drei Jahre gearbeitet, habe alles gegeben und alles bekommen. Von<br />

Anfang an wusste ich, dass die Arbeit nur möglich ist, wenn ich mich auf einen irren Dialog<br />

einlasse, wenn ich das Leben am Rand kennen lernen will. Ich habe Abgründe gesehen,<br />

Dimensionen erlebt und habe begriffen. Ich habe mir Erfahrungen angeeignet und diese trage<br />

ich nun <strong>mit</strong> mir. In der Wege höre ich auf, ich bin müde geworden, habe alles gegeben und alles<br />

bekommen.<br />

Nun gehe ich in die Welt hinaus und verstehe plötzlich Dinge, die ich früher nie verstanden<br />

habe.<br />

<strong>Drogen</strong> konsumierende Menschen stillen ein Bedürfnis, wie das andere auch <strong>tun</strong>. Illegal zwar,<br />

aber was ist illegal? Alkohol war es in Amerika in den 30er Jahren. Hanf wurde in der Schweiz<br />

legal bis 1963 geraucht. Welche Substanzen wann und warum legal oder illegal sind,<br />

bestimmen die Mächtigen der Gesellschaft. Vielleicht so wie die Gesellschaft die Sicherheit auf<br />

der Strasse definiert. Seit dem 2. Weltkrieg sind mehr Menschen von andern Menschen <strong>zu</strong> Tode<br />

gefahren worden, als im Weltkrieg selbst umgekommen sind. Warum die Autos deshalb nicht<br />

verboten werden, kann ich mir nicht besser erklären, als warum Tabak und Alkohol legale<br />

<strong>Drogen</strong> sind, Heroin und Kokain aber illegale. Wer bestimmt, was gut ist fürs Leben und was<br />

nicht, ist willkürlich.<br />

Machen unsere BewohnerInnen es wie alle andern Menschen auch? Sie wursteln sich durchs<br />

Leben, spielen bei den Machtspielen <strong>mit</strong>, so gut wie sie eben können?<br />

Wer <strong>zu</strong> langsam ist, kauft sich ein Auto. Wer geschickt ist, lässt die Arbeit von einer Maschine<br />

machen. Wer seine Probleme nicht selbst bewältigen kann, verdrängt sie <strong>mit</strong> <strong>Drogen</strong>. Ist es<br />

<strong>zu</strong>fällig, wer für seine Arbeit Geld bekommt und wer als unselbständig bezeichnet wird? Sind<br />

Menschen, die für die Landesverteidigung Tö<strong>tun</strong>gsmaschinen bedienen gute Menschen und<br />

<strong>Drogen</strong>konsumierende schlechte?<br />

<strong>Was</strong> fehlt unseren BewohnerInnen? <strong>Was</strong> machen andere besser? Ist es besser, legal <strong>mit</strong> dem<br />

Flugzeug von Kongress <strong>zu</strong> Kongress <strong>zu</strong> fliegen und die Luft <strong>zu</strong> verpesten, oder ist es besser, still<br />

und möglichst heimlich viel Alkohol oder andere <strong>Drogen</strong> <strong>zu</strong> konsumieren, um von der Welt<br />

nichts mehr <strong>zu</strong> spüren, <strong>zu</strong> warten, bis man sang und klanglos untergeht, einem andern<br />

Erdenbewohner den Platz lässt.<br />

<strong>Was</strong> fehlt unseren BewohnerInnen?<br />

<strong>Liebe</strong>!<br />

Ich habe in den letzten drei Jahren gelernt, wie wertvoll <strong>Liebe</strong> ist. Ich habe erfahren, was <strong>Liebe</strong><br />

ist. Ich habe sie dort gefunden, wo ich sie am wenigsten gesucht hätte. Die<br />

<strong>Drogen</strong>konsumentInnen <strong>haben</strong> mir wie niemand sonst gezeigt, dass ich sie nur in mir selbst<br />

finden kann. Die Beobach<strong>tun</strong>g von Menschen, denen die <strong>Liebe</strong> in extremem Masse abhanden<br />

gekommen ist, hat sie mir gebracht. Bei ihnen habe ich gelernt, dass sie überall und nirgends ist,<br />

unergründlich, verborgen, schwer <strong>zu</strong> finden, leicht <strong>zu</strong> verlieren. Nur die volle Hingabe ans Leben<br />

selbst produziert sie laufend neu. Ich trage sie nun in mir und hoffe, dass sie mich trägt.<br />

So verabschiede ich mich vom Team und den BewohnerInnen der Wege Weierbühl <strong>mit</strong> einer<br />

unerwarteten Bereicherung. Dafür werde ich ihnen solange dankbar sein, wie mich die <strong>Liebe</strong><br />

<strong>zu</strong>m Leben trägt, ich hoffe, bis ans Ende meines Lebens. Danke.<br />

Urban Kühnis

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