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Was haben Drogen mit Liebe zu tun?

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Wie geben wir ihnen diese <strong>Liebe</strong> und welche <strong>Liebe</strong> meine ich überhaupt?<br />

Professionelle <strong>Liebe</strong>. Gibt es professionelle <strong>Liebe</strong>?<br />

Wir geben ihnen professionelle <strong>Liebe</strong>.<br />

Nach Regeln, nach Skos- Richtlinien, psychologisch abgewogen, alltagstauglich, paradox<br />

hinterfragt, voraus denkend, in Frage gestellt, durchdiskutiert.<br />

<strong>Was</strong> geben wir unseren BewohnerInnen?<br />

Wenn sie <strong>zu</strong> uns kommen, lassen wir sie in Ruhe. Sie <strong>haben</strong> ihr Zimmer, sie <strong>haben</strong> <strong>zu</strong> essen und<br />

wir sind da, um Fragen <strong>zu</strong> beantworten. Am Anfang müssen sie sich nur an zwei Regeln halten:<br />

absolut keine Gewalt, auch keine verbale und keine <strong>Drogen</strong> im Haus.<br />

Während dieser Anfangszeit beobachten wir sie und wir tauschen unsere Beobach<strong>tun</strong>gen aus.<br />

Es ist erstaunlich, welche unterschiedlichen Beobach<strong>tun</strong>gen in 14 Tagen <strong>zu</strong>sammenkommen. Die<br />

Nachtwache nimmt völlig andere Aspekte wahr als der Tagdienst, Männer andere als Frauen.<br />

Die BewohnerInnen zeigen ihre enorm differierenden Tagesformen extrem unterschiedlich. Wir<br />

vom Team gehen unterschiedlich da<strong>mit</strong> um und rufen dementsprechend verschiedene<br />

Reaktionen hervor. Ist aus diesem Mix verschiedenster Wahrnehmungen eine fiktive<br />

Persönlichkeitsstruktur kristallisiert, beginnen wir den kreativen Teil. Und - lassen Sie mir die<br />

Provokation - ich nenne unseren Umgang <strong>mit</strong> den BewohnerInnen liebend. Es ist <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong>m<br />

Leben, <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong>m Glauben, dass ein ungeliebter Mensch <strong>mit</strong> der richtigen Unterstüt<strong>zu</strong>ng ein<br />

Mensch werden kann, der sich selbst findet, versteht und lieben lernt, der ein Leben <strong>mit</strong><br />

Selbstwert findet und sich in die Gesellschaft eingliedern kann. Ich rede nicht von körperlicher<br />

Zuwendung, nicht von Loben, wo es nichts <strong>zu</strong> loben gibt, nicht von aktivem Zuhören, von<br />

proaktiver Unterstüt<strong>zu</strong>ng, von Empowerment, analytischer Therapie, systemischem Weitblick,<br />

kognitiver Verhaltenstherapie, Einbe<strong>zu</strong>g aller Komponenten <strong>zu</strong> jedem Zeitpunkt, ich rede von all<br />

dem, ich rede von der kreativen Kunst, das Leben liebend <strong>zu</strong> leben. Ich rede vom Gleichgewicht<br />

zwischen der <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> mir selbst und der <strong>Liebe</strong> <strong>zu</strong> meinen Mitmenschen, ich rede vom Flow, von<br />

der bedingungslosen Hingabe an das Leben, auch in meiner Arbeit. Manchmal spüre ich diesen<br />

Flow, manchmal in einer Teamsit<strong>zu</strong>ng, wenn jemand etwas sagt, das mir <strong>zu</strong>tiefst widerspricht<br />

und ich allmählich merke, dass ich auch diese Wahrheit in mein Weltbild integrieren kann. Oder<br />

wenn ich <strong>mit</strong> einem Bewohner streite und spüre, dass Widerstand Standfestigkeit und Halt<br />

bedeuten kann. Wenn wir nach einer katastrophalen Auseinanderset<strong>zu</strong>ng einen neuen Anlauf<br />

nehmen, wenn Scheitern und Erfolg allmählich <strong>zu</strong> einem einzigen Gesicht werden, wenn<br />

Unmögliches möglich wird.<br />

Wenn Arbeit <strong>mit</strong> <strong>Drogen</strong> konsumierenden Menschen Erfolg <strong>haben</strong> soll, braucht es sehr, sehr viel<br />

Geduld und es braucht diese Kunst, die Kunst, verschiedenste Interventionen in verschiedensten<br />

Situationen auf verschiedenste Arten an<strong>zu</strong>wenden. <strong>Drogen</strong> konsumierende Menschen <strong>haben</strong><br />

nicht einen Defekt, den man monokausal beheben kann. Ihnen fehlt die <strong>Liebe</strong>. Meist ist es<br />

einfach, heraus<strong>zu</strong>finden, wann und wie sie ihnen abhanden gekommen ist. Sie ihnen<br />

<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>geben, ist nicht nur eine therapeutische Meisterleis<strong>tun</strong>g, ich nenne diesen Prozess eine<br />

Kunst. Eine Kunst, bei der nicht nur keine Übergriffe passieren dürfen, nicht nur Behutsamkeit<br />

wie bei kleinen Kindern erfordert wird, nicht nur Abwehrkräfte gegen hässliche<br />

Respektlosigkeiten, (wenn die BewohnerInnen voll auf <strong>Drogen</strong> sind), stärker als in einem<br />

Boxkampf nötig sind. Es braucht die Schlauheit von Füchsen, die Toleranz von Nihilisten, die<br />

scharfe Wahrnehmung von Wissenschaftern, die Hingabe von Müttern, es braucht den Flow.<br />

Eintauchen ins Leben, dort wo die Grenzen sind, dort wo Abgründe immer und überall lauern,<br />

wo Hinterhältigkeiten keine Verschnaufpause <strong>zu</strong>lassen, dort wo die Spannung einem zerreisst,<br />

dort, wo man nicht mehr weiss, wo einem der Kopf steht, wo man den Boden unter den Füssen<br />

verliert, im Nebel umherirrt, hinten und vorne nicht mehr draus kommt. Dort lernt man das

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