ianus 4/1999 - IANUS - Technische Universität Darmstadt
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Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit<br />
Interdisciplinary Research Group Science, Technology and Security<br />
Arbeitsbericht <strong>IANUS</strong> 4/<strong>1999</strong><br />
Working Paper<br />
10-Jahre <strong>IANUS</strong><br />
Ein Jubiläums-Symposium<br />
als Ausblick in die Zukunft<br />
Juli 1998<br />
<strong>IANUS</strong> — <strong>Technische</strong> Universität <strong>Darmstadt</strong> — Hochschulstraße 10<br />
D-64289 <strong>Darmstadt</strong>, Germany<br />
Tel.: 0 61 51/16 43 68 (Sekretariat) — Fax: 0 61 51/16 60 39<br />
Mail: <strong>ianus</strong>@hrzpub.tu-darmstadt.de — Internet: http://www.tu-darmstadt.de/ze/<strong>ianus</strong>
10 Jahre <strong>IANUS</strong><br />
Ein Jubiläums-Symposium<br />
als Ausblick in die Zukunft<br />
am Dienstag, dem 07. Juli 1998,<br />
im Hessischen Staatsarchiv,<br />
<strong>Darmstadt</strong>, Karolinenplatz 3.<br />
Eine Dokumentation<br />
herausgegeben im Auftrag der<br />
Interdisziplinären Arbeitsgruppe<br />
Naturwissenschaft, Technik und<br />
Sicherheit (<strong>IANUS</strong>)<br />
von<br />
Prof. Dr. Wolfgang Bender
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Vorwort 5<br />
Das Programm 7<br />
Mitwirkende 9<br />
Die Reden und Referate<br />
ƒ Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, Grußwort 11<br />
ƒ Motive, Themen und Resultate: Die ersten zehn Jahre. 13<br />
Stefan Pickl befragt <strong>IANUS</strong>-KollegInnen<br />
ƒ Jürgen Schneider, Friedens- und Zukunftsfähigkeit – 21<br />
Eine Verpflichtung für Forschung und Lehre?<br />
ƒ Erika Fellner, Problemorientierte Interdisziplinarität für 29<br />
den Lebensstandort<br />
ƒ Frank Kaufmann, Orientierung an Zukunftsfähigkeit: 31<br />
Zum gesellschaftlichen Auftrag der Hochschulen<br />
ƒ Werner Buckel, Verantwortung in der Wissenschaft – 35<br />
mehr als ein Ideal<br />
ƒ Wolfgang Bender, Kooperative Lösungen technik- 37<br />
induzierter Konflikte im Kontext von Sicherheit und<br />
Nachhaltigkeit. Kommentar zum aktuellen <strong>IANUS</strong>-<br />
Rahmenthema<br />
ƒ Wolfgang Liebert, Kooperative Lösung technik- 47<br />
bedingter Konflikte im Kontext von Sicherheit und<br />
Nachhaltigkeit – Das Beispiel neuer Nukleartechnologien<br />
ƒ Gernot Erler, Perspektiven für Abrüstung und eine 57<br />
kernwaffenfreie Welt<br />
Lesung 65<br />
<strong>IANUS</strong> stellt sich vor 69<br />
Anhang
Vorwort<br />
Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit konnte<br />
im Frühjahr 1998 auf ihr zehnjähriges Bestehen zurückblicken. Aus diesem Anlaß fand<br />
am 07. Juli 1998 ein „Jubiläums-Symposium als Ausblick in die Zukunft“ statt, das wir in<br />
diesem <strong>IANUS</strong>-Arbeitsbericht dokumentieren. Das Symposium sollte die Motive, Zielsetzungen<br />
und Projekte von <strong>IANUS</strong> verdeutlichen und sowohl durch die Referate der<br />
Gäste wie auch von <strong>IANUS</strong>-Mitgliedern zur Profilierung und Weiterentwicklung des<br />
<strong>IANUS</strong>-Arbeitskonzepts beitragen.<br />
Gegenüber dem ausgedruckten Programm ergaben sich zwei Änderungen. Herr<br />
Dr. Christoph Bertram, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, war leider durch<br />
Krankheit an der Teilnahme gehindert. Frau Edelgard Bulmahn, MdB, inzwischen Bundesministerin<br />
für Bildung und Forschung, konnte wegen kurzfristig aufgetretener Terminschwierigkeiten<br />
nicht anwesend sein. An ihrer Stelle sprach Herr Gernot Erler, MdB.<br />
Der Vortrag von Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Dürr kann hier leider nicht wiedergegeben<br />
werden, da er frei gesprochen wurde.<br />
Wir danken allen, die durch Grußworte und Referate ihre Verbundenheit mit und ihr Interesse<br />
an der inhaltlichen Arbeit von <strong>IANUS</strong> zum Ausdruck gebracht haben. Wir haben<br />
uns auch sehr darüber gefreut, daß so viele Gäste – Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter aus unserer Universität, Freunde aus Institutionen, mit denen<br />
wir kooperieren, Förderer aus den verschiedensten Bereichen – an unserem Symposium<br />
und an der anschließenden Feier teilgenommen haben.<br />
Wir weisen noch darauf hin, daß ebenfalls aus Anlaß des 10jährigen Bestehens von<br />
<strong>IANUS</strong> im Sommersemester 1998 und im Wintersemester 1998/<strong>1999</strong> eine Reihe<br />
„<strong>IANUS</strong> im Gespräch“ organisiert wurde, in der Gäste und <strong>IANUS</strong>-Mitglieder zu wichtigen<br />
<strong>IANUS</strong>-Themen Stellung genommen haben. Wir beabsichtigen, diese Vorträge zusammen<br />
mit anderen Texten zu den Arbeitsschwerpunkten von <strong>IANUS</strong> in einem Band<br />
der TUD-Schriftenreihe „Wissenschaft und Technik“ zu veröffentlichen.<br />
Auch die zusammen mit der Akademie für politische und soziale Bildung „Haus am<br />
Maiberg“ und dem Institut für Theologie und Sozialethik der TUD veranstaltete Tagung<br />
„Wege zu einer nuklearwaffenfreien Welt“ steht im Zusammenhang mit dem <strong>IANUS</strong>-<br />
Jubiläum. Zu dieser Tagung wird ein eigener Dokumentationsband herausgegeben<br />
werden.<br />
Prof. Dr. Werner Krabs, Sprecher<br />
Dr. Jürgen Scheffran, Sprecher<br />
5
10 Jahre <strong>IANUS</strong>.<br />
Ein Jubiläums-Symposium als Ausblick in die Zukunft<br />
am Dienstag, den 07.07.1998,<br />
im Hessischen Staatsarchiv,<br />
<strong>Darmstadt</strong>, Karolinenplatz 3,<br />
moderiert von Prof. Dr. Dirk Ipsen<br />
13.30 Uhr Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, Präsident der TUD<br />
Grußwort<br />
Prof. Dr. Hans Reiner Böhm<br />
Interdisziplinäre Technikforschung an der TUD und die Rolle von<br />
<strong>IANUS</strong><br />
13.55 Uhr Motive, Themen und Resultate:<br />
Die ersten zehn Jahre<br />
Stefan Pickl befragt <strong>IANUS</strong>-KollegInnen<br />
(Prof. K. Nixdorff, Dr. M. Kalinowski,<br />
Dr. J. Scheffran sowie Dipl.-Wirtsch.-Ing. R. Rösch)<br />
14.30 Uhr Dr. Christoph Bertram<br />
Naturwissenschaften in der Friedens- und Konfliktforschung —<br />
Erinnerung an einen Anstoß<br />
14.45 Uhr Prof. Dr. Jürgen Schneider<br />
Friedens- und Zukunftsfähigkeit — Eine Verpflichtung für Forschung<br />
und Lehre ?<br />
15.00 Uhr Diskussion<br />
15.30 Uhr Erste Pause<br />
16.00 Uhr Erika Fellner<br />
Problemorientierte Interdisziplinarität für den Lebensstandort<br />
Deutschland<br />
Frank Kaufmann<br />
Orientierung an Zukunftsfähigkeit: Zum gesellschaftlichen Auftrag der<br />
Hochschulen<br />
16.20 Uhr Prof. Dr. Werner Buckel<br />
Verantwortung in der Wissenschaft — mehr als ein Ideal<br />
7
16.40 Uhr Prof. Dr. Wolfgang Bender<br />
Dr. Wolfgang Liebert<br />
Kooperative Lösungen technikinduzierter Konflikte im Kontext von<br />
Sicherheit und Nachhaltigkeit. Das aktuelle <strong>IANUS</strong>-Rahmenthema<br />
erläutert am Beispiel neuer Nukleartechnologien<br />
17.10 Uhr Diskussion<br />
17.30 Uhr Zweite Pause<br />
18.00 Uhr Edelgard Bulmahn<br />
Bonner Erwartungen an eine kritische Begleitung des<br />
naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts<br />
18.25 Uhr Prof. Dr. Hans Peter Dürr<br />
Möglichkeiten und Schranken der Zukunftsgestaltung<br />
19.10 Uhr Diskussion<br />
19.30 Uhr Prof. Dr. Werner Krabs<br />
Ausblick<br />
10-Jahre-<strong>IANUS</strong>-Feier<br />
ab 20.00 Uhr<br />
in den Repräsentationsräumen des Präsidenten im Darmstädter Residenzschloß,<br />
Eröffnung durch:<br />
Prof. Dr. Egbert Kankeleit<br />
8
Mitwirkende:<br />
Prof. Dr. Hans Reiner Böhm, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für<br />
Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT), TUD.<br />
Prof. Dr. Werner Buckel, em. Lehrstuhlinhaber für Physik, Karlsruhe; ehemaliger<br />
Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG); ehemaliger Präsident<br />
der Europäischen Physikalischen Gesellschaft (EPS).<br />
Prof. Dr. Hans Peter Dürr, Direktor em. des Max-Planck-Instituts für Physik, München;<br />
Träger des Right Livelihood Awards; bis 1997 Vorsitz der Vereinigung Deutscher<br />
Wissenschaftler (VDW).<br />
Gernot Erler, Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD), vormals Vorsitzender des<br />
Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle des Deutschen Bundestages,<br />
jetzt außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.<br />
Erika Fellner, Mitglied des Hessischen Landtages; Sprecherin der SPD-Fraktion für<br />
Wissenschaft und Hochschulen.<br />
Frank Kaufmann, Mitglied des Hessischen Landtages; Hochschulpolitischer Sprecher<br />
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.<br />
Prof. Dr. Jürgen Schneider, Hochschullehrer für Geologie an der Universität<br />
Göttingen; Mitglied des Vorstandes der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative<br />
„Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit“.<br />
Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, Präsident der <strong>Technische</strong>n Universität <strong>Darmstadt</strong>.<br />
9
Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner, Präsident der TUD<br />
Grußwort<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
ich freue mich, Sie als Präsident der <strong>Technische</strong>n Universität <strong>Darmstadt</strong> zu diesem ersten<br />
runden Geburtstag unserer „Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft,<br />
Technik und Sicherheit“ – kurz <strong>IANUS</strong> – begrüßen zu dürfen. Da ich dieses „Kind“ vor<br />
zehn Jahren nicht mit aus der Taufe gehoben habe, kann ich nur vermuten, daß der<br />
Name <strong>IANUS</strong> nicht zufällig gewählt wurde.<br />
Der doppelgesichtige Gott <strong>IANUS</strong>, der für die Römer als Schutzgott des Hauses dessen<br />
Eingang und Ausgang symbolisierte, steht im Fall unserer interdisziplinären Arbeitsgruppe<br />
für die beiden Auswirkungen, die Technik und Forschung auf den Menschen<br />
haben können. Sie können uns das Leben erleichtern, den Wohlstand mehren und das<br />
Überleben der wachsenden Weltbevölkerung sichern helfen – oder aber zur Zerstörung<br />
der Umwelt, zu Krieg und Vernichtung aller Lebensgrundlagen mißbraucht werden.<br />
In welcher Weise wir Menschen Technik, Wissenschaft und Forschung nutzen, ist nicht<br />
Schicksal, sondern hängt von unseren eigenen politischen und wissenschaftlichen Entscheidungen<br />
ab. Dies muß immer wieder deutlich gemacht werden, um dem — in der<br />
Öffentlichkeit weit verbreiteten — Glauben an die „Sachzwänge“ technischer Systeme<br />
und Entwicklungen entgegenzuwirken. Eben an dieser Stelle setzt die Arbeit von <strong>IANUS</strong><br />
an: informieren und aufklären, mahnen und warnen, Vorschläge machen für eine friedliche<br />
Nutzung der ungeheuren technisch-wissenschaftlichen Potentiale, die wir Menschen<br />
uns in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben.<br />
Von der Größe der Bedrohung her gesehen nimmt es nicht wunder, daß sich <strong>IANUS</strong> in<br />
diesem Zusammenhang von Anfang an ganz vordringlich und beharrlich für die Abschaffung<br />
aller Kernwaffen auf der Welt eingesetzt hat. In den achtziger Jahren, die<br />
noch vom Kalten Krieg geprägt waren, schien das vielen Menschen eine Traumtänzerei,<br />
eine Vision, die nur von weltfremden Gelehrten in ihrem Elfenbeinturm ausgedacht<br />
worden sein konnte. Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staats- und<br />
Wirtschaftsordnung sowjetischer Prägung und dem Auseinanderfallen des Ostblocks<br />
sind Kernwaffen als Drohpotentiale der Weltmächte zwar eigentlich obsolet geworden;<br />
die Frage, was mit den vorhandenen Beständen passiert und welche Gefahren von<br />
neuen und kleineren Atommächten drohen, scheint in der Öffentlichkeit aber niemanden<br />
mehr so recht zu interessieren.<br />
Die Vision einer Welt ohne Kernwaffen wäre – wie <strong>IANUS</strong> nicht müde wird zu belegen –<br />
heute realisierbar. Nur müßten alle Anstrengungen unternommen werden, die derzeit<br />
auf der Welt vorhandene, unvorstellbare Zahl von 22 000 Sprengköpfen mit einer<br />
Sprengkraft von 500 000 Hiroshima-Bomben in einem wechselseitig kontrollierten Prozeß<br />
der Abrüstung zu beseitigen und zugleich dafür zu sorgen, daß nicht an anderer<br />
Stelle neue Atomwaffen entwickelt und gelagert werden.<br />
11
Dies ist mit moralischen Appellen allein nicht zu erreichen. Erforderlich sind Vorschläge<br />
an die Politiker, die auf fundierter Sachkenntnis der zweifellos komplizierten Materie und<br />
auf dem notwendigen Augenmaß basieren. Das heiß konkret: Naturwissenschaftler und<br />
Ingenieure müssen sich des Themas annehmen und über eine öffentliche Diskussion<br />
der möglichen Abrüstungsstrategien die Politiker in Zugzwang bringen.<br />
<strong>IANUS</strong> hat diesen Prozeß 1995 durch den Anstoß zur Gründung des „International<br />
Network of Engineers and Scientists against Proliferation“ – kurz INESAP – weltweit in<br />
Gang gebracht. Wir sind stolz darauf, daß dieses Netzwerk hier von unserer <strong>Technische</strong>n<br />
Universität in <strong>Darmstadt</strong> seinen Ausgang genommen hat.<br />
Ich kann und will den Referenten nicht vorgreifen, die heute im Rahmen dieses Jubiläumskolloquiums<br />
die Leistungen von <strong>IANUS</strong> im einzelnen nachzeichnen werden. Nur<br />
eine Anmerkung sei mir noch gestattet: Interdisziplinarität und Internationalität sind<br />
heute mehr als je zuvor unverzichtbare Bestandteile des Profils der TU <strong>Darmstadt</strong>. Beides<br />
leistet <strong>IANUS</strong> in hervorragender Weise: Naturwissenschaftler, Ingenieure, Sozialwissenschaftler<br />
und Informatiker arbeiten Hand in Hand und bringen ihr jeweiliges<br />
Fachwissen ein zur gemeinsamen Lösung der vielfältigen Fragen und Probleme im<br />
Kontext von Nuklearwaffen – oder auch zu einem weiteren, von <strong>IANUS</strong> bearbeiteten<br />
Thema, der umweltgerechten Sicherung des Energiebedarfs. Internationale Zusammenarbeit<br />
ist dabei unumgänglich, weil wir nur diese eine Welt gemeinsam erhalten<br />
oder vernichten können. Wir brauchen also in allen Teilen des Erdballs Menschen, die<br />
sich aktiv für die friedliche Nutzung unseres technisch-wissenschaftlichen Potentials<br />
einsetzen.<br />
Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Prof. Dr. Egbert Kankeleit, inzwischen<br />
emeritierter Professor der Kernphysik an der TU <strong>Darmstadt</strong>, der <strong>IANUS</strong> mit aufgebaut<br />
hat und in all den Jahren als engagierter Initiator und Koordinator die zahlreichen<br />
Aktivitäten der Gruppe unterstützt und mitgetragen hat.<br />
Ich hoffe und wünsche mir, daß <strong>IANUS</strong> weiterhin wächst und gedeiht und daß sich immer<br />
wieder und immer mehr Menschen aus unserer Universität dieser Gruppe anschließen,<br />
um gemeinsam für die friedliche, die lebensverbessernde Nutzung unserer<br />
technisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse zu kämpfen.<br />
12
Motive, Themen und Resultate: Die ersten zehn Jahre.<br />
Stefan Pickl befragt <strong>IANUS</strong>-KollegInnen<br />
Sehr geehrter Herr Präsident,<br />
liebe Gäste und Freunde der <strong>IANUS</strong>-Gruppe,<br />
ich begrüße Sie recht herzlich zu dem Programmpunkt „Vorstellung der interdisziplinären<br />
Arbeitsgruppe <strong>IANUS</strong>“. Normalerweise wird man unter diesem Titel an einer solchen<br />
Festveranstaltung einen Vortrag über die wissenschaftlichen Arbeiten und Forschungsergebnisse<br />
erwarten, der dann in einen philosophischen Exkurs über Inter-,<br />
Trans- bzw. Multidisziplinarität mündet. Abschließend könnte dann ein Klagelied über<br />
fehlende Ressourcen und Rahmenbedingungen seinen Platz finden.<br />
Wir dachten uns, daß diese Form nicht unbedingt auf Ihr Interesse stoßen, und andererseits<br />
auch nicht zu einer lebendigen, Interdisziplinarität praktizierenden Gruppe wie<br />
<strong>IANUS</strong> passen würde.<br />
Prof. Wörner formulierte einmal zu Beginn eines Symposiums, daß „Interdisziplinarität<br />
immer nur in Köpfen stattfinden könne“. Ich habe dieses Zitat so verstanden, daß es<br />
zwar der institutionellen Rahmenbedingungen bedarf — ich glaube an dieser Stelle<br />
sollten wir uns auch besonders bei Ihnen bedanken, daß <strong>IANUS</strong> Teil der TUD ist und<br />
sich in dieser Form entwickeln konnte aber immer Forscher und Wissenschaftler bereit<br />
sein müssen, Interdisziplinarität zu praktizieren und zu vollziehen.<br />
Daher - aber auch als Zeichen des Dankes - wollen wir Ihnen vier Köpfe vorstellen, die<br />
versucht haben, Interdisziplinarität zu verwirklichen.<br />
Beginnen möchte ich mit der einzigen Dame in der Runde. Nicht nur aus Höflichkeit,<br />
sondern auch weil Frau Professorin Kathryn Nixdorff, die an der TUD dem Fachbereich<br />
Biologie angehört, eines der Gründungsmitglieder vor 10 Jahren gewesen ist.<br />
Wie kam es damals zur Gründung von <strong>IANUS</strong>? Wie fanden die ersten Schritte statt<br />
bzw. war es schwer, über die eigene Disziplin hinauszugehen?<br />
K. Nixdorff: Eigentlich hat alles schon Anfang der 80er Jahren begonnen. Mit einem<br />
Beschluß des Konvents der THD wurden wir alle aufgefordert, uns mit der<br />
Thematik Frieden und Konflikt in Forschung und Lehre zu befassen. Damals<br />
haben einige von uns Workshops zu diesem Thema in den verschiedenen<br />
Disziplinen organisiert. Bei uns in der Biologie wurde dieser Workshop<br />
sehr stark durch die Studierenden getragen. Es war eine gute Gelegenheit<br />
für die Studierenden, ihr Wissen über infektiöse Krankheitserreger<br />
zu vertiefen und gleichzeitig ein Bewußtsein für die Gefahren, die mit dem<br />
Mißbrauch von Forschungsergebnissen verbunden sind, zu gewinnen. Es<br />
wurden Ringvorlesungen organisiert, in denen die verschiedenen Gruppen<br />
die Ergebnisse ihrer Arbeit vorgetragen haben. Danach haben wir angefangen,<br />
Seminare mit verschiedenen Arbeitsgruppen (z. B. Physik, Mathematik,<br />
Biologie und Informatik) zu veranstalten, so daß wir eine Zu-<br />
13
sammenarbeit in der Lehre einüben konnten. Viele von uns in naturwissenschaftlichen<br />
Disziplinen haben bei dieser Arbeit jedoch gespürt, daß<br />
wir an Grenzen gekommen sind, wo wir z. B. die Expertise von Sozialwissenschaftlern<br />
benötigen. Deshalb war es für uns eine aufregende Angelegenheit,<br />
als die VW-Stiftung vorhatte, eine interdisziplinäre Forschungsgruppe<br />
zum Thema Rüstungsdynamik an einer deutschen Universität zu<br />
unterstützen und schließlich die THD auswählte. Mit dieser Anerkennung<br />
unserer Arbeit war <strong>IANUS</strong> faktisch gegründet. Die VW-Stiftung hat uns<br />
dann fünf Jahre lang großzügig gefördert.<br />
Die Ad-hoc-Gruppe zur Verifikation der Biologischen-Waffen-Konvention tagt in Genf,<br />
und Du verfolgst diese Verhandlungen. Momentan findet ein reger Diskurs über den<br />
Atomwaffensperrvertrag statt, der durch die jüngsten Atombombenversuche ausgelöst<br />
wurde. Kann man bei der Verwirklichung der B-Waffenkonvention beobachten, daß hinsichtlich<br />
des älteren A-Waffensperrvertrages ein Lernprozeß zu beobachten ist bzw. wie<br />
erfolgreich ist man bisher gewesen?<br />
K. Nixdorff: Die Biologische-Waffen-Konvention wurde 1972 vereinbart, ohne daß effektive<br />
Verifikationsmaßnahmen in die Konvention inkorporiert wurden.<br />
Dies geschah aus mehreren Gründen. Seit 1993 führt eine Ad-hoc-Gruppe<br />
der Vertragsstaaten Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll zur<br />
biologischen Waffenkonvention. Ich versuche in der Tat, diese Verhandlungen<br />
zu beobachten. In <strong>IANUS</strong> führe ich zusammen mit Kollegen im Institut<br />
für Politikwissenschaft ein Projekt über die Verifikation der Biologischen-Waffen-Konvention<br />
durch. Immer wieder bin ich als NGO nach<br />
Genf gefahren, um dort Gespräche mit verschiedenen Delegationen dieser<br />
Ad-hoc-Gruppe zu führen, in allererster Linie mit der deutschen Delegation.<br />
Ich versuche unsere Vorstellungen bekannt zu geben, und wir<br />
werden sogar manchmal nach unserer Meinung gefragt.<br />
Die Verifikation von biologischen Waffen ist besonders schwierig, viel<br />
schwieriger als z. B. bei chemischen Waffen, und die Verhandlungen gestalten<br />
sich ebenfalls schwierig. Einiges kann man von anderen Verträgen<br />
übertragen (Chemiewaffen-Konvention, Atomwaffensperrvertrag) aber<br />
wegen des ausgeprägten dual-use-Charakters von biologischen Waffen<br />
sind viele Bestimmungen zur Verifikation anderer Massenvernichtungswaffen<br />
nicht unmittelbar übertragbar. Fortschritte bei diesen Verhandlungen<br />
sind jedoch zu beobachten. Es wird ein Verifikationsprotokoll zur Biologischen-Waffen-Konvention<br />
geben, dieses wird jedoch aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach weniger umfassend als die Verifikationsbestimmungen<br />
zur Chemiewaffen-Konvention sein.<br />
Vielen Dank, Kathryn. Du hast mehrfach den Zusammenhang von Politik und Wissenschaft<br />
angesprochen. Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres <strong>IANUS</strong>-Mitglied vorstellen:<br />
Dr. Martin Kalinowski, Kernphysiker, promovierte 1997 über „Monte Carlo Simulationen<br />
und Experimente zum zerstörungsfreien Nachweis von Lithium-6 - Physikalische<br />
Fragen zur Tritiumkontrolle“ mit einer interdisziplinär angelegten Arbeit, die in enger<br />
Kooperation mit einem Politikwissenschaftler entstand. Während des Projektes hatte er<br />
einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Los Alamos, wo er einen wesentlichen<br />
Teil seiner physikalischen Berechnungen durchführte.<br />
14
Welche Bedeutung spielt die Interdisziplinarität bei <strong>IANUS</strong>? Ist es wirklich gelungen,<br />
über die formelle Alibi-Interdisziplinarität hinauszugelangen? Welche Schwierigkeiten<br />
treten dabei auf? Hat <strong>IANUS</strong> dabei etwas gelernt, was als Botschaft weitergegeben<br />
werden kann?<br />
M. Kalinowski: Kennzeichnend für <strong>IANUS</strong> ist die sehr hohe Dichte an interpersonellen<br />
Kooperationen über die Fachgrenzen hinweg, und zwar auf verschiedenen<br />
Ebenen, sowohl in Post-Doc-Projekten als auch in Promotionsvorhaben.<br />
Als Beispiel möchte ich das Tritiumprojekt („Internationale Kontrolle von<br />
Tritium zur nuklearen Nichtverbreitung und Abrüstung“) hervorheben, in<br />
dem ein Politikwissenschaftler (Lars Colschen) und ein Physiker (Martin<br />
Kalinowski) in jeweils ihrem Fach promoviert haben. Das Problem, das<br />
sich für den Physiker ergab: Die Hälfte der Projektarbeit konnte im<br />
Fachbereich Physik nicht begutachtet werden, weil sie keine originelle<br />
neue Physik darstellte. Originell war diese Hälfte der Arbeit als Systemstudie,<br />
in der 95% der interdisziplinären und praxisrelevanten Fragen<br />
beantwortet werden. Die physikalische Spezialfrage, die innerhalb der<br />
anderen Hälfte der Physikalischen Projektarbeit gelöst wurde, schließt<br />
eine wesentliche Lücke der Systemstudie und beantwortet damit die<br />
restlichen 5% der allgemeinen Fragen. Diese wesentliche Lücke war<br />
die Frage, ob die gegenwärtig routinemäßig eingesetzten Meßverfahren<br />
für nukleare Safeguards an frischen Brennelementen auch geeignet<br />
wären, die heimliche Produktion von Tritium zu entdecken. Mit einer<br />
Monte-Carlo Simulation des Neutronentransportes wurde der Effekt des<br />
Rohstoffes zur Tritiumproduktion, Lithium-6, in einem Brennelement auf<br />
das Meßergebnis des sog. Neutronenkoinzidenzkragenzählers ermittelt.<br />
Das Ergebnis ist, daß die heimliche Tritiumproduktion mit heutiger<br />
Meßtechnik entdeckbar wäre.<br />
Aus den Erfahrungen ergibt sich eine hochschulpolitische Konsequenz:<br />
Eine Begutachtung und Honorierung von originär interdisziplinären und<br />
praxisrelevanten Leistungen muß ermöglicht werden. Dies muß in Studien-<br />
und Promotionsordnungen vorgesehen werden. Es muß in den<br />
Institutionen gewollt und gefördert werden. Außerdem muß es mehr<br />
begutachtete, fachübergreifende Zeitschriften geben. Nicht zuletzt müssen<br />
spezielle Forschungsförderungsprogramme für interdisziplinäre<br />
Fragen geschaffen werden.<br />
Was hat Physik mit einem Thema zu tun, daß vor allem ein politisches zu sein scheint,<br />
wie die Nichtverbreitung und Abrüstung von Kernwaffen weltweit. Es ist verständlich,<br />
daß die Physiker sich in der Verantwortung sehen, da durch ihre Arbeit die Kernwaffe<br />
möglich wurde. Aber kann ihr Engagement denn Wissenschaft sein?<br />
M. Kalinowski: Die politische Komponente ist unbestritten und sie ist schwergewichtig.<br />
Wir bemühen uns, unsere wissenschaftliche Arbeit von unserer politischen<br />
zu trennen und diese Trennung für unsere Partner deutlich zu<br />
machen: Wenn wir nicht nur als Berater in Sachfragen, sondern mit eigenen<br />
politischen Interessen und Zielsetzungen auftreten, so tun wir<br />
dies im Rahmen von Nichtregierungsorganisationen wie der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative<br />
„Verantwortung für Frieden und Zukunftsfä-<br />
15
higkeit“ mit Sitz in Dortmund oder im Rahmen des von uns initiierten<br />
und nach wie vor koordinierten „International Network of Engineers and<br />
Scientists Against Proliferation“ (INESAP).<br />
Es gibt allerdings eine große Palette von physikalischen und technischen<br />
Grundsatzfragen, die beantwortet werden müssen, um eine fundierte<br />
politische Entscheidungsfindung zu ermöglichen. <strong>Technische</strong> Lösungen<br />
sind erforderlich, um politische Entscheidungen umsetzen zu<br />
können. Ich nenne nur einige Beispiele: Frühwarnung vor neuen technischen<br />
Entwicklungen und deren politisch relevanten Konsequenzen,<br />
Verifikationstechnologien, Abbau von Plutonium. Hier kann die TUD einen<br />
wichtigen Beitrag liefern, der an deutschen Universitäten fast einmalig<br />
ist und der weltweite Anerkennung gefunden hat sowohl in der<br />
wissenschaftlichen Gemeinschaft als auch bei politischen Entscheidungsträgern.<br />
Ein weiterer Bereich, wo sich Physik und Politik aneinander reiben, ist der Bereich von<br />
Abrüstungsfragen, Fragen der internationalen Stabilität und des strategischen Verhaltens.<br />
Ich möchte hierzu Dr. Jürgen Scheffran vorstellen, der 1989 über das Thema<br />
„Strategisches Abwehrverhalten, Abrüstung und Stabilität“ promovierte und sich zur Zeit<br />
über die mathematische Beschreibung von Konflikten habilitiert. In seinen wissenschaftlichen<br />
Arbeiten entwickelte er Kriterien, die den Diskurs über Rüstungsprozesse und<br />
Abrüstungsverhandlungen erleichtern sollen.<br />
Könntest Du diesen Beitrag etwas näher beschreiben bzw. zu welcher Erkenntnis kann<br />
man im Bereich von Sicherheitsfragen durch mathematische Modelle kommen?<br />
J. Scheffran: Mathematische Modelle können zur Klärung der Begrifflichkeiten beitragen<br />
und komplexe Zusammenhänge verdeutlichen, sie können Bedingungen,<br />
Ursachen, Folgen und grundsätzliche Lösungsmöglichkeiten für Probleme<br />
und Konflikte aufzeigen. In meiner Physik-Doktorarbeit hatte ich Gelegenheit,<br />
die Folgen von Raketenabwehrprogrammen für Abrüstung und strategische<br />
Stabilität zu untersuchen. Im Rahmen eines mathematischen<br />
Modells, das die Zusammenhänge zwischen Sicherheit, Kosten und Rüstungspotentialen<br />
darstellt, wurde es möglich, das Wettrüsten zwischen<br />
offensiven und defensiven Waffensystemen zu analysieren und nach Bedingungen<br />
für eine Stabilisierung durch Abrüstung und Rüstungskontrolle<br />
zu suchen. Derzeit führe ich in meiner Mathematik-Habilitation die Untersuchungen<br />
zur mathematischen Konfliktmodellierung fort, insbesondere<br />
über den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, Sicherheit und<br />
Konflikten. Beispiele betreffen Wasserkonflikte in Nahost, das Konfliktfeld<br />
Biodiversität oder Konflikte um Energieemissionen und Klimawandel. Mit<br />
mathematischen Methoden können Bedingungen für Chaos und Instabilität<br />
sowie Steuerungsmöglichkeiten der Akteure aufgezeigt werden, um<br />
durch Kooperation eine Konfliktlösung und -stabilisierung zu erreichen.<br />
Häufig werden wissenschaftliche Erkenntnisse nur dann wahrgenommen, wenn man sie<br />
auch wahrnehmen will. Damit möchte ich ausdrücken, wie schwer es ist, auf einem<br />
solch sensiblen Gebiet zu arbeiten und sich gleichzeitig wissenschaftlich zu etablieren.<br />
Wissenschaft, die häufig von einem gewissen Mainstream bestimmt wird. Gibt es ei-<br />
16
gentlich Netzwerke oder Verbindungen von Forschergruppen, die in diesem Bereich<br />
arbeiten?<br />
J. Scheffran: Neue Ideen und Innovationen müssen sich gegenüber etablierten Strukturen<br />
durchsetzen. Dies gilt auch für Initiativen, die sich kritisch mit den gesellschaftlichen<br />
Folgen der Wissenschaft auseinandersetzen und präventiv<br />
über Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Ob diese sich behaupten,<br />
hängt auch davon ab, ob sie in sozialen Strukturen und Netzwerken ihren<br />
Niederschlag finden. Dafür gibt es seit Beginn der achtziger Jahre, inspiriert<br />
durch die Friedensbewegung, eine Reihe von Beispielen. Zu nennen<br />
ist etwa die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Friedens-<br />
und Zukunftsfähigkeit“, die aus der Abrüstungskonferenz der Mainzer<br />
23 im Juli 1983 hervorgegangen ist. Durch die Abrüstungsdebatte angestoßen,<br />
haben eine Reihe von NaturwissenschaftlerInnen begonnen,<br />
eine Expertise zu Fragen der Abrüstung und Sicherheit zu entwickeln, etwa<br />
zu den Folgen eines Atomkriegs, zur Zielgenauigkeit der Mittelstrekkenraketen,<br />
der Machbarkeit der Raketenabwehr, zur Realisierbarkeit und<br />
Verifizierbarkeit der Abrüstung. Aus den durch die Volkswagen-Stiftung<br />
seit 1984 geförderten Forschungsstipendien sind naturwissenschaftlichorientierte<br />
Forschungsgruppen in <strong>Darmstadt</strong>, Bochum, Hamburg und Kiel<br />
hervorgegangen, die sich zum Forschungsverbund Naturwissenschaft,<br />
Technik und internationale Sicherheit (FONAS) zusammengeschlossen<br />
haben.<br />
Frühzeitig wurde auch die internationale Zusammenarbeit verstärkt, was<br />
1991 in der Gründung des International Network of Engineers and Scientists<br />
for Global Responsibility (INES) in Berlin seinen Niederschlag fand.<br />
Unter den vielfältigen Fragen wissenschaftlicher Verantwortung (z. B. zur<br />
nachhaltigen Entwicklung) spielt die nukleare Abrüstung weiter eine wichtige<br />
Rolle. In dem von <strong>IANUS</strong> in <strong>Darmstadt</strong> 1993 gegründeten WissenschaftlerInnen-Netzwerk<br />
INESAP spielt naturwissenschaftlich-technische<br />
Expertise eine erhebliche Rolle, so bei der Kontrolle und Beseitigung<br />
kernwaffenrelevanter Materialien, der Kontrolle von Trägersystemen und<br />
bei der Überprüfung (Verifikation) des nuklearen Abrüstungsprozesses<br />
sowie der Verhinderung neuer Kernwaffenentwicklung. Einige Ergebnisse<br />
wurden zusammengefaßt in einer Studie von 50 ExpertInnen aus 17 Ländern,<br />
die 1995 in New York vorgestellt wurde. Viele dieser Vorschläge<br />
sind in die Gründung eines internationalen Netzwerks von mehr als 1000<br />
regierungsunabhängigen Organisationen (Abolition 2000) eingeflossen<br />
sowie in einen Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention, der inzwischen<br />
als UNO-Dokument in sechs Sprachen vorliegt. Wie stabil solche<br />
Initiativen sind, hängt auch von der finanziellen Förderung ab.<br />
Die Umsetzung von Theorie in Praxis (als eines der Ziele von INESAP und der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative)<br />
ist nicht nur schwer im Bereich von Physik/Mathematik<br />
und Politik, sondern vor allem auch zwischen mathematischen Erkenntnissen und ökonomischen<br />
Randbedingungen, die letztlich fast alles bestimmen. Deswegen freue ich<br />
mich, als jüngstes Mitglied der vorzustellenden Teilnehmer Dipl. Wirtsch.-Ing. Roland<br />
Rösch ansprechen zu können, der 1996 am Zentrum für Europäische Wirtschaftswissenschaften<br />
eine Diplomarbeit über „Chancen und Grenzen von Joint-Implementation<br />
17
im Bereich fossiler Kraftwerke“ geschrieben hat und dann den Entschluß faßte, bei Prof.<br />
Ipsen in der <strong>IANUS</strong>-Gruppe zu promovieren.<br />
Roland, was waren die Beweggründe hierfür?<br />
R. Rösch: Um diese Frage ausreichend beantworten zu können, muß ich etwas<br />
weiter ausholen. Motiviert durch eine ganze Reihe von Reisen u. a. auch<br />
in Entwicklungsländer, begann ich mich schon sehr früh für Probleme mit<br />
globalem Charakter zu interessieren. Dieses Interesse hat mich dazu bewogen,<br />
eine Studienarbeit mit dem Thema „Zukünftige Entwicklung des<br />
globalen Primärenergieverbrauchs und die damit verbundenen Risiken“<br />
bei Prof. Dr. Dirk Ipsen anzufertigen. Die erfolgreiche Bearbeitung dieses<br />
Themas führte - motiviert durch Herrn Ipsen - zu meinem ersten Kontakt<br />
mit <strong>IANUS</strong>. Die Teilnahme an dem von <strong>IANUS</strong> durchgeführten Workshop<br />
„Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft“ im Frühjahr 1995 hat<br />
mein Interesse an einer Mitarbeit in dieser Gruppe, insbesondere im Arbeitsschwerpunkt<br />
„Verantwortbare Energieversorgung“ geweckt.<br />
Mein Interesse an globalen Energieproblemen mündete schließlich gegen<br />
Ende meines Studiums in die Bearbeitung meiner Diplomarbeit „Chancen<br />
und Grenzen von Joint Implementation im Bereich fossiler Kraftwerke am<br />
Beispiel der VR China“. Diese Arbeit wurde an der <strong>Technische</strong>n Universität<br />
<strong>Darmstadt</strong> wiederum von Prof. Ipsen betreut. Angefertigt habe ich diese<br />
Arbeit aber am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in<br />
Mannheim in der Abteilung „Umwelt und Ressourcenökonomie“ bei Herrn<br />
Dr. Hohmeyer. Trotz der konstruktiven und angenehmen Arbeitsatmosphäre,<br />
die ich an diesem renommierten Wirtschaftsforschungsinstitut in<br />
über 15 Monaten gemeinsamer Arbeit über meine Diplomarbeit hinaus<br />
kennengelernt habe, entschloß ich mich nach meinem Studium für eine<br />
<strong>IANUS</strong>-Mitarbeit.<br />
<strong>IANUS</strong> bietet mir neben einer menschlich angenehmen Arbeitsatmosphäre<br />
ein interdisziplinär zusammengesetztes Team, wie man es wohl sehr<br />
selten finden kann. Außerdem hat sich mir schon zu Beginn der Zusammenarbeit<br />
die Möglichkeit geboten, eigene kreative Ideen in vollem Umfang<br />
in das Projekt „Kooperative Lösungen in der Klimaschutzpolitik“, das<br />
ich mit Herrn Ipsen, Stefan Pickl und Jürgen Scheffran zusammen bearbeite,<br />
einzubringen.<br />
In der Regel bereiten sich die Gesprächsteilnehmer auf ein Gespräch dieser Art vor. Es<br />
sei mir erlaubt an dieser Stelle eine gänzlich unvorbereitete Frage zu stellen:<br />
Roland, wie zufrieden bist Du mit der Form der interdisziplinären Zusammenarbeit? (Ich<br />
möchte erwähnen, daß ich der Projektpartner bin und die Kritik nicht ein unbeteiligtes<br />
Gruppenmitglied treffen kann.)<br />
R. Rösch: Stefan, ich brauche nicht zu erklären, daß es auch bei der interdisziplinären<br />
Zusammenarbeit in <strong>IANUS</strong>-Projekten nicht nur Sonnenschein gibt! Interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit ist insbesondere bei einer hohen Zahl<br />
vertretener Disziplinen schwierig. Dem einzelnen Mitbearbeiter solcher<br />
Projekte wird, wenn sie erfolgreich sein sollen, auch in charakterlicher<br />
18
Hinsicht sehr viel abverlangt. Geduld ist neben einem hohen Maß an Kritikfähigkeit<br />
und Toleranz ein für diese Form der Zusammenarbeit wichtiger<br />
Charakterzug. Sinnvoll ist sicherlich die von uns im Projekt „Kooperative<br />
Lösungen in der Klimaschutzpolitik“ angewandte Arbeitsweise, die es ermöglicht,<br />
die eigene Sichtweise bzw. die Sicht der eigenen Disziplin immer<br />
wieder darzustellen, um sie den Projektbearbeitern anderer Disziplinen<br />
verständlicher zu machen.<br />
Ich möchte allen vier Befragten recht herzlich für Ihre Offenheit und persönlichen Eindrücke<br />
danken. Ich denke, daß diese Offenheit wesentliches Merkmal der <strong>IANUS</strong>-<br />
Gruppe ist und auf engste Art und Weise mit Interdisziplinarität verbunden ist.<br />
Lassen Sie mich abschließend doch noch eine Definition von Interdisziplinarität vornehmen,<br />
die mir in den Sinn kam, als wir dieses Gespräch führten: Vielleicht ist Interdisziplinarität<br />
Ausruck für ein Verständnis von Wissenschaft, daß Wissenschaft nicht<br />
zwischen Disziplinen, sondern zwischen Menschen stattfindet.<br />
Die <strong>IANUS</strong>-Gruppe begreift sich als eine Gruppe an der TUD, die versucht, mit Hilfe<br />
wissenschaftlicher Expertise einen Beitrag zu einer menschlicheren Gesellschaft zu<br />
leisen.<br />
Vielen Dank.<br />
19
Friedens- und Zukunftsfähigkeit — Eine Verpflichtung für Forschung<br />
und Lehre?<br />
Jürgen Schneider<br />
Einleitung<br />
Zunächst möchte ich Ihnen allen von <strong>IANUS</strong> meine herzlichen Glückwünsche sagen zu<br />
Ihrem 10-jährigen Jubiläum und von Herzen alles Gute wünschen.<br />
In Abwandlung eines Satzes von Lichtenberg kann man sagen: Wer nur seine Wissenschaft<br />
versteht, versteht auch die nicht ganz. Natürlich ist es nicht bequem, aus unserem<br />
gehüteten Elfenbeinturm herauszugehen, weil es mit meist nicht anerkannter Mühe<br />
verbunden ist, mehr Zeit zu investieren, als für die reine Lehre und Forschung im eigenen<br />
engeren Fachgebiet nötig ist, weil es mühselig ist, sich zu informieren über allgemeine<br />
ethische und gesellschaftliche, politische und globale Fragen, und weil es nicht<br />
immer leicht zu ertragen ist, sich der Kritik auszusetzen, weil man über Gebiete nachdenkt<br />
und redet, in denen man kein Diplom gemacht hat.<br />
Sollen wir uns als WissenschaftlerInnen in Forschung und Lehre beteiligen an der Suche<br />
nach einer Antwort auf die Frage nach den Wegen zu Friedens- und Zukunftsfähigkeit<br />
und wirklicher Abrüstung und dies alles unter Berücksichtigung der Lebenschancen<br />
der nächsten Generationen?<br />
Die Rolle der Wissenschaften und des Menschen in der Geobiosphäre<br />
Aufgabe der Wissenschaft sei es - so etwa formulierten es Francis Bacon und Descartes<br />
- jenes Wissen zu liefern, durch das wir in der Lage wären, uns zu Herren, Bezwingern<br />
und Besitzern der Natur und der Erde aufzuschwingen.<br />
Viel zu viel „Bemächtigungswissen“ statt „Erkenntniswissen“ haben wir gesammelt. Mit<br />
jedem neuen Kenntnis-Schritt wurden wir übermütiger und arroganter in unserer Ideologie<br />
der technisch-wissenschaftlichen Machbarkeit. Mit unserer Zivilisation sind wir aber<br />
parasitär abhängig geworden von der Ausbeutung der Geobiosphäre in einer Weise, die<br />
alles andere als zukunftsfähig ist. Müssen wir diese Tatsache nicht in der Forschung<br />
und in der Lehre berücksichtigen und weitergeben?<br />
Die Bedrohung der Geobiosphäre durch den Menschen<br />
Der größte und für die Zukunftsfähigkeit gefährlichste Irrtum des Menschen ist der<br />
Glaube an seine Überlegenheit über die Natur und an seine stetig wachsenden Fähigkeiten,<br />
die Erde für seine Zwecke unbegrenzt und in ständig steigendem Ausmaß ausbeuten<br />
und nutzen zu können. Wir haben aber nur diese eine Erde und wir können sie<br />
nicht verlassen, wie es manche Träumer von der bemannten Weltraumfahrt und manche<br />
Fortschrittspropheten der NASA und der ESA angesichts der Mars-Missionen auch<br />
21
neuerdings wieder öffentlich propagieren. Dabei haben wir auch aus den Forschungen<br />
der <strong>IANUS</strong>-Gruppe gelernt, daß die meisten dieser Planungen aufs engste mit den Begehrlichkeiten<br />
der Militärs nach neuen High-Tech-Waffen zusammenhängen.<br />
Wir sind dabei, der jüngeren Generation als Erbe radioaktive, chemische und andere<br />
feste, flüssige und gasförmige Abfälle (HERRMANN 1983, HERRMANN et al. 1985),<br />
eine weitgehend ausgebeutete Erde und eine belastete oder z. T. zerstörte Umwelt und<br />
eine Vielzahl von neuen Konfliktherden zu hinterlassen. Es gibt aber immer noch Leute<br />
aus Wirtschaft und Politik, die in zynischer Weise, aber allen Ernstes der kommenden<br />
Generation z. B. unsere Müllhalden als künftige Rohstofflager anbieten (DROHMANN<br />
1996). Was haben diese Leute an den Schulen und Hochschulen gelernt? Jedenfalls<br />
nichts von der Bedeutung des Entropie-Satzes.<br />
Schriftsteller und Künstler sind da sensibler im Wahrnehmen von Mißständen. Erich<br />
Fried drückte die Situation in dem Gedicht „status quo“ in seiner unvergleichlich prägnanten<br />
Art so aus: „Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, daß sie<br />
bleibt.“<br />
Der junge Autor Jörg Tremmel (1997) sagt deshalb einen von den heutigen Jugendlichen<br />
in Zukunft verlangten UN-Gerichtshof voraus, der sich mit den Ökologischen Verbrechen<br />
unserer Generation an den nachfolgenden Generationen befassen möge<br />
(SCHMID 1997).<br />
Die exponentiell wachsende Ausbeutung der Erde wird unvermeidlich zu finalen Verteilungskämpfen<br />
um die dramatisch schwindenden Ressourcen an sauberem Trinkwasser,<br />
an Anbauflächen, an Energie, metallischen und nichtmetallischen Rohstoffen und<br />
an genetischem Potential aussterbender Arten führen, wenn wir so weiter leben und<br />
wirtschaften, wie wir es heute tun. Wir führen einen für unsere Gattung und unsere natürliche<br />
Mitwelt verheerenden Ausbeutungskrieg gegen die Geobiosphäre. Und wir rüsten<br />
dabei weiter militärisch für kommende Kriege. Angesichts der ständig neuen Waffensysteme,<br />
des Aufbaus von Spezialkräften und gleichzeitiger Streichung der Mittel für<br />
Friedens- und Konfliktforschung muß man sich doch fragen: Sollen künftig schnelle<br />
Eingreiftruppen und neue Rüstungsprojekte Friedens- und Konfliktforschung ersetzen<br />
und sollen die Rohstoffe künftig mit Gewalt geholt werden? Dürfen wir widerspruchslos<br />
hinnehmen, wenn in den verteidigungspolitischen Richtlinien vom November 1992 unverblümt<br />
und in brutaler Offenheit steht, daß Einsätze der Bundeswehr auch „zur Aufrechterhaltung<br />
des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und<br />
Rohstoffen in aller Welt“ da seien?<br />
Wir haben doch genug an drängenden Problemen: Täglich werden weltweit nach den<br />
neuesten Zahlen von SIPRI 3,56 Milliarden DM für die Rüstung ausgegeben und täglich<br />
sterben 40.000 Kinder und zugleich sterben nach neueren Schätzungen etwa 100 Tierund<br />
Pflanzenarten aus. Das bedeutet, daß am Ende dieses Jahrhunderts - also bereits<br />
in zwei Jahren - bis zu 1/5 aller Tier- oder Pflanzenarten endgültig und unwiederbringlich<br />
von unserer Erde verschwunden sein werden, das sind bis zu zwei Millionen Arten.<br />
Ein Genozid dieser Größenordnung und dieses Tempos ist ohne Beispiel in der vier<br />
Milliarden Jahre dauernden Geschichte des Lebens auf der Erde. Glaubt jemand, man<br />
könne das durch Gentechnik kompensieren?<br />
Keines der drängenden Überlebensprobleme kann durch Rüstung und Militär gelöst<br />
werden, im Gegenteil.<br />
22
Wir müssen begreifen, daß die gemeinsame Bedrohung - ohne Ansehen der ideologischen,<br />
ethnischen und religiösen Unterschiede - die Zerstörung der Lebensgrundlagen<br />
unserer Geobiosphäre ist. Gegen diese Bedrohung hilft keine Gewalt, helfen nicht neue<br />
Umwelttechnologien und vor allem keine noch so raffinierten modernen High-Tech-<br />
Waffensysteme.<br />
Das exponentielle Wachstum der Erdbevölkerung ist zweifellos ein Problem, vor allem<br />
aber sind die steigenden, aus Profitinteresse ständig neu geweckten Bedürfnisse und<br />
z. T. weit überzogenen Ansprüche der Industrienationen die wesentlichen Gründe für<br />
die existenz- und zukunftsbedrohenden Probleme, vor denen die Menschheit heute<br />
steht. Die Entwicklungsländer können das Wohlstandsmodell der Industrieländer nicht<br />
kopieren, denn das wäre gleichbedeutend mit dem Kollaps des Planeten Erde. Der<br />
Physiker Michael F. Jischa (1997) formulierte treffend: „Somit lautet die schlichte Erkenntnis,<br />
daß die Dritte Welt nicht mehr so werden kann, wie die Erste jetzt ist, und die<br />
Erste zwangsläufig nicht mehr so bleiben kann, wie sie noch ist. Kurz formuliert: Das<br />
Wohlstandsmodell der Ersten Welt ist nicht exportfähig“. Aber wir produzieren und exportieren<br />
ständig Waffen, Minen, Know-how für Massenvernichtungsmittel, also Vorstufen<br />
der nächsten Kriege, in die dann unsere Söhne und Studenten geschickt werden<br />
sollen. Waffenproduktion und Waffenexport töten aber weit mehr Menschen als das<br />
verfluchte Rauschgift. Trotzdem werden sie nicht verboten.<br />
Die Menschheit ist niemals zuvor einer größeren globalen Bedrohung sowohl durch die<br />
in aller Welt aufgehäuften und ständig neu produzierten Massenvernichtungswaffen als<br />
auch durch die vielfältigen Arten der Umweltzerstörung ausgesetzt gewesen als unsere<br />
Generation. Was da auf uns zukommt an Problemen, bzw. in welchen wir bereits drinstecken,<br />
ist von einer solchen Dimension, daß es unverantwortlich ist, noch länger abzuwiegeln.<br />
Es bedarf neuer Denkweisen, neuer Wertsetzungen, neuer Strukturen und neuer Planungsinstrumente<br />
in Politik und Wirtschaft, aber auch in Forschung und Lehre. Wir<br />
brauchen einen ökologischen Generationenvertrag, der verhindert, daß die nächste<br />
Generation mit den Schulden, Problemen und Versäumnissen der vorigen, also unserer<br />
heute herrschenden Generation belastet wird (s. auch TREMMEL 1996). In unser<br />
Grundgesetz muß endlich zum Schutz der Rechte der bereits Geborenen und ihrer<br />
Umwelt das Prinzip der Nachhaltigkeit und der Zukunftsfähigkeit aufgenommen werden.<br />
Eine weitere Frage stellt sich mir, die bedenkenswert ist angesichts der hektischen Suche<br />
nach immer neuen Forschungsfeldern, um, wie es so schön heißt, „an der Forschungsfront“<br />
zu bleiben. Müssen wir denn jetzt schon alles wissen? Lassen wir unseren<br />
Kindern doch auch noch etwas zum Forschen übrig und bringen wir erst mal unseren<br />
unordentlichen Umwelt-Garten in Ordnung, der ihnen augenscheinlich ihre Lebensgrundlagen<br />
verschlechtert. Sorgen wir doch erst mal für den Aufbau einer humanen und<br />
friedvollen Welt.<br />
Dazu bedarf es allerdings nicht nur der fachlichen Intelligenz, die mit dem IQ gemessen<br />
wird, sondern es bedarf auch des EQ, der emotionalen Intelligenz, die emotionale Betroffenheit<br />
zuläßt, die Mitgefühl und Mitleidenkönnen nicht als etwas Unwissenschaftliches<br />
oder Unrealistisches abtut.<br />
23
Diesen EQ habe ich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der <strong>IANUS</strong>-Gruppe immer<br />
in hoffnungsvoller Weise neben der fachlichen Qualifikation beispielhaft ausgeprägt<br />
gesehen.<br />
Die Konsequenz für die Wissenschaften<br />
Angesichts der regionalen und globalen Probleme und Konflikte können wir Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler, die das Wissen um die Zusammenhänge haben<br />
oder zumindest haben können, wenn wir über den Tellerrand unseres Faches blicken,<br />
uns nicht aus der Gewissensentscheidung stehlen und die alleinige Verantwortung für<br />
die Folgen unserer Arbeit anderen, weniger Kompetenten überlassen. Das betrifft auch<br />
die Frage nach der ethisch und gesellschaftlich verantwortbaren Auswahl der Forschungsfelder,<br />
die wir in Zukunft beackern wollen und auch die Frage nach den Lehrinhalten.<br />
Die Lehre an den Schulen und Hochschulen darf nicht nur Fachwissen im Sinne von<br />
Verwertungswissen, also vermarktbarem Wissen, vermitteln, wie dies neuerdings wieder<br />
vermehrt von Politikern und Wirtschaftsleuten, aber auch von Wissenschaftlern in<br />
vielen Reden über die Zukunft des „Standortes Deutschland“ gefordert wird. Ethische<br />
und Verantwortungsfragen, auch für die möglichen lokalen und globalen, Ökologischen<br />
und sozialen Auswirkungen der Anwendung von Fachwissen und unseres Wirtschaftens<br />
müssen in die Lehre mit einbezogen werden, selbst wenn dies zusätzliche Belastung<br />
für die Lehrenden wie für die Lernenden bedeutet. Carl-Friedrich von Weizsäcker<br />
hat in diesem Zusammenhang sogar mehrfach gefordert, daß in jeder Vorlesung wenigstens<br />
5 Minuten der Verantwortungsfrage gewidmet werden sollte.<br />
Wir brauchen an den Schulen und Hochschulen eine solide Ausbildung von Menschen<br />
mit multidisziplinärer Erkenntnisfähigkeit, also mit einem breiten fachlichen Wissensstand<br />
auch über das engere Fachgebiet hinaus und mit einem gut ausgebildeten EQ.<br />
Und wir brauchen dringend eine Erziehung zur Friedfertigkeit in den Familien, Schulen,<br />
und auch an den Universitäten.<br />
Was ist zu tun?<br />
Forschung und Lehre müssen interdisziplinärer werden. Wir dürfen uns nicht auf ein<br />
Detailgebiet der Forschung reduzieren lassen und uns damit in den unpolitischen Elfenbeinturm<br />
der „neutralen wertfreien“ Wissenschaft zurückziehen. Das wäre eine Haltung,<br />
welche die Zukunft der heute Jungen und der kommenden Generationen mit Gleichgültigkeit<br />
betrachten würde. Der Biologe Rupert RIEDL (1973) hat dies treffend ausgedrückt:<br />
„Wenn wir es zulassen, daß man unser Wissen auf einen Teil der Kausalkette<br />
beschränkt, dann werden wir zu jener Personalgruppe des Krankenhauses Biosphäre<br />
gehören, die die Unheilbaren registriert und ihre letzten Wege begleitet.“<br />
Es ist zwar eine bequeme Ausrede, aber es ist unwissenschaftlich und unverantwortlich,<br />
zu behaupten, der Mensch könne sich nicht ändern.<br />
Evolution, auch geistige Evolution, ist ein Prozeß des Lernens. Kooperation, nicht Dominanz,<br />
langsame Entwicklung, nicht rasender Fortschritt waren in der vier Milliarden<br />
Jahre dauernden Geschichte des Lebens auf der Erde das Erfolgsrezept für Überleben<br />
und Höherentwicklung (MARTIN 1992). Dies können wir aus der Erdgeschichte, der<br />
24
Geschichte der Geobiosphäre, lernen. Die Aufgaben für die Wissenschaften wachsen in<br />
Forschung und Lehre, auch in der Praxis, aber auch in Richtung auf dringend nötige<br />
öffentliche Aufklärung, und damit wächst auch unsere Verantwortung gegenüber den<br />
heute lebenden und den kommenden Generationen von Lebewesen.<br />
Viele sagen, der Mensch würde und könne sich nicht ändern, weil er nun einmal genetisch<br />
so konstruiert sei und weil die stetige Beschleunigung des technischökonomischen<br />
Fortschritts inklusive der Waffentechnik somit eine Art Naturgesetzlichkeit<br />
sei. Hans-Peter DÜRR (1997) sagte in einem seiner ermutigenden Vorträge in einer<br />
sensiblen und engagierten, für Naturwissenschaftler nicht gerade üblichen Art: „Der<br />
Mensch ist von seiner Anlage her nicht nur ein rücksichtsloser Krieger und Ausbeuter.<br />
Der Mensch ist auch der Freund des anderen, der Liebende, der zum Ausgleich und zur<br />
Versöhnung Bereite, der zum Lieben Fähige. Lassen wir den friedvollen, verständigen,<br />
mitfühlenden, kooperativen Menschen in uns wachsen. Richten wir unseren kritischen<br />
Verstand, unsere Phantasie, unsere ganze Kraft und menschliche Leidenschaft darauf,<br />
daß die Einheit der Harmonie der Schöpfung sich auch im Zusammenleben der Menschen<br />
widerspiegeln kann.“ Dies müssen wir neben den Fachfragen auch in der Lehre<br />
vermitteln.<br />
Das Umdenken ist nicht einfach, aber, wie der Künstler und Schriftsteller Francis Picabia<br />
sagte: „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“<br />
Wir werden gefragt werden, spätestens von der kommenden Generation (s. TREMMEL<br />
1996, 1997), warum wir uns nicht frühzeitig und nicht energisch und intensiv genug gegen<br />
die Anfänge einer sich immer deutlicher abzeichnenden Katastrophe zur Wehr gesetzt<br />
haben und warum wir die Erkenntnisse über die bedrohliche Destabilisierung unserer<br />
natürlichen und sozialen Umwelt verdrängt, nicht ausreichend wahrgenommen,<br />
nicht lautstark genug veröffentlicht haben und wie wir in Forschung und Lehre darauf<br />
reagiert haben.<br />
Der Friedensforscher Lothar Schulze sagte sogar ganz provokativ: „Wenn wir die Probleme<br />
des friedlichen Zusammenlebens in einer lebenswerten Zukunft nicht lösen können,<br />
brauchen wir auch keine Antworten auf alle andern wissenschaftlichen Fragen zu<br />
suchen.“<br />
Die oft gestellte Frage nach der Instanz vor der wir uns zu verantworten haben, ist ganz<br />
einfach, ohne juristische Schnörkel und Spitzfindigkeiten, zu beantworten: Unsere Kinder<br />
und deren Generation sind die Instanz, vor der wir uns zu verantworten haben!<br />
Ein wichtiges allgemeinpolitisches und damit auch hochschulpolitisches Mandat oder<br />
Postulat an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst lautet: Wir sind nicht<br />
nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos<br />
hinnehmen.<br />
Entsprechend diesem Satz hat die <strong>IANUS</strong>-Gruppe immer gehandelt und gearbeitet. Es<br />
ist zu hoffen, daß <strong>IANUS</strong> nicht nur ein Feigenblatt für diejenigen ist, die nicht selbst bereit<br />
sind, den Elfenbeinturm ihrer Fachwissenschaft zu verlassen. Für Ihr bisheriges Engagement,<br />
Ihren Elan und Ihre Leistungen gebührt Ihnen allen Dank und Anerkennung,<br />
verbunden mit dem Wunsch, daß Sie alle weiterhin den nötigen Mut, die Zivilcourage<br />
und die Standfestigkeit behalten und vor allem, daß Sie das ihrer Arbeit gebührende<br />
Gehör finden in der Öffentlichkeit und in der Politik, aber auch in der Wissenschaftsge-<br />
25
meinde selbst. Und ich kann nur hoffen, daß Bund, Land und Universität diese so wichtige<br />
Gruppe und ihre Arbeiten weiterhin und noch viel intensiver als bisher unterstützen.<br />
Adresse des Autors:<br />
Prof. Dr. J. Schneider<br />
Institut für Geologie und<br />
Dynamik der Lithosphäre<br />
Goldschmidtstr. 3<br />
37077 GÖTTINGEN<br />
Tel.: 0551/397922<br />
E-mail: jschnei@gwdg.de<br />
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SCHNEIDER, J. (1987): Geosciences in conflict: Provision of resources versus protection of environment.-<br />
in: ARNDT, P . & LÜTTIG, W. (Hrsg.): Mineral resources-extraction, environmental protection<br />
and land-use planning in the industrial and developing countries.- E. Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung,<br />
Stuttgart, 29-46.<br />
SCHNEIDER, J. (1991): Die Verantwortung der Geowissenschaften für den Lebensraum Erde.- Die<br />
Geowissenschaften, 9. Jg., 1991, Nr. 9, 261-265.<br />
STRAHM, R. H. (1992): Warum sie so arm sind — Arbeitsbuch zur Entwicklung der Unterentwicklung in<br />
der Dritten Welt mit Schaubildern und Kommentaren.- Peter Hammer Verlag, Wuppertal, 8. Auflage,<br />
217 S.<br />
TREMMEL, J. (1996): Der Generationsbetrug — Plädoyer für das Recht der Jugend auf Zukunft.-<br />
Eichborn- Verlag, Frankfurt/M., 174 S.<br />
TREMMEL, J. (1997): „Ihr habt das Land nur von uns geborgt...“- Jugend und Zukunft in Deutschland.- in:<br />
Die Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, 5, 44. Jg., 436-440.<br />
ULRICH, B. (1983): Stabilität von Waldökosystemen unter dem Einfluß des „sauren Regens“.- Allg.<br />
Forstz, 38, 670-677.<br />
ULRICH, B. & MATZNER, E. (1983): Ökosystemare Wirkungsketten beim Wald- und Baumsterben.-<br />
Forst und Holzwirt, 38, 468-474.<br />
UMWELTBUNDESAMT (1997): Nachhaltiges Deutschland — Wege zu einer dauerhaft-umweltgerechten<br />
Entwicklung.- Erich Schmidt-Verlag, Berlin, 355 S.<br />
WEBER, J. (1993): Die Erde ist nicht untertan — Grundrechte der Natur.- Erich Eichborn-Verlag Frankfurt/M.,<br />
166 S.<br />
WEIZSÄCKER, E. U., LOVINS, A. B. & LOVINS, L. H. (1995): Faktor Vier — Doppelter Wohlstand —<br />
halbierter Naturverbrauch.- Der Neue Bericht an den Club of Rome.- Droemer Knaur Verlag, Stuttgart,<br />
352 S.<br />
WICKE, L. (1993): Umweltökonomie — Eine praxisorientierte Einführung.- 4. Aufl., Verlag F. Vahlen,<br />
München, 712 S.<br />
27
Problemorientierte Interdisziplinarität für den Lebensstandort<br />
Erika Fellner<br />
Ich freue mich über die Einladung zu einem Grußwort zu Ehren des 10-jährigen Bestehens<br />
von <strong>IANUS</strong>. Das Thema meines kurzen Beitrages lautet: „Problemorientierte Interdisziplinarität<br />
für den Lebensstandort“ – was bedeutet das für <strong>IANUS</strong>?<br />
Im Mittelpunkt steht:<br />
1. die Interdisziplinarität.<br />
Interdisziplinarität meint die Zusammenarbeit über zwei oder mehrere Fachgebiete hinaus.<br />
Es werden Schnittmengen gesucht, die dann interdisziplinär bearbeitet, d. h. von<br />
mehreren Seiten, aus verschiedenen Blickwinkeln, betrachtet werden. Bei <strong>IANUS</strong> arbeiten<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben natur- und gesellschaftswissenschaftlichen<br />
Fachbereichen zusammen. Interdisziplinarität wird dabei als ein kognitiver<br />
und sozialer Kooperationsprozeß verstanden. So lautet die Darstellung des<br />
Zentrums für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT), das <strong>IANUS</strong> in seiner Arbeit unterstützt.<br />
Wesentlich ist dabei die Kombination von Forschung und Lehre. Um dies fächerübergreifend<br />
im Curriculum zu sichern, wurde eine Projektgruppe begründet. Dies führte<br />
über zu enge Fachbereichsgrenzen hinaus und bildet ein weiteres Kriterium für ein solches<br />
Arbeiten in Forschung und Lehre.<br />
2. Problemorientiert zu sein.<br />
Daß <strong>IANUS</strong> problemorientiert vorgeht, wird bereits am Namen deutlich: Risiken sind<br />
das andere Gesicht des doppelgesichtigen Kopfes, dessen eine Seite Chancen und<br />
Möglichkeiten der technischen Forschung birgt.<br />
Sich der Möglichkeit von Risiken bewußt zu sein und Forschung nicht als „neutral“ zu<br />
betrachten, sondern gerade nach Sinn und Zweck zu fragen (nicht zu verwechseln mit<br />
Verwertbarkeit), heißt in diesem Zusammenhang, „problemorientiert“ zu sein. Für<br />
<strong>IANUS</strong> steht dabei „die Ambivalenz vieler naturwissenschaftlicher und technischer Forschungsprojekte<br />
im Hinblick auf zivile und militärische Anwendbarkeit“ im Mittelpunkt,<br />
wie es in einer Selbstdarstellung heißt. Ein Hauptbestandteil eines so verstandenen<br />
Umgangs mit Wissenschaft und Forschung ist demnach die Technikfolgenabschätzung.<br />
Insofern ist Problemorientierte Interdisziplinarität politisch: <strong>IANUS</strong> kann und will politische<br />
Gremien bei der Entscheidungsfindung über Richtlinien, Gesetze oder Förderung<br />
von Forschung beraten, und sich öffentlich äußern. Es ist Wissenschaft in gesellschaftlicher<br />
Verantwortung.<br />
Diese Arbeit soll schließlich<br />
29
3. „für den Lebensstandort“ erfolgen.<br />
Lebensstandort ist für uns die Erde, ober sogar darüber hinausgehend die Welt. Der<br />
Anspruch der Problemorientierung berührt beispielsweise auch die Weltraumforschung.<br />
Den „Lebensstandort“ sichern heißt, im Rahmen der interdisziplinären Wissenschaft<br />
neben technologischen auch soziale, ökologische und nicht zuletzt auch ethische Gesichtspunkte<br />
zu berücksichtigen. Gerade auch im Rahmen der Rüstungspolitik hinsichtlich<br />
der Massenvernichtungsmittel werden diese bedeutsam.<br />
Innerhalb dieser Kriterien findet Forschung dann wohl auch ihre Grenzen. Denn wenn<br />
die Entwicklung neuer Techniken nach heutigen Erkenntnissen das Risiko birgt, den<br />
„Lebensstandort“ in Gefahr zu bringen, ist die Einführung einer solchen Technik sicherlich<br />
nicht wünschenswert. Anders gesagt: Unter dem oberen Ziel einer Friedensforschung<br />
als gemeinsamem Ziel aller Forschung sind die wissenschaftlichen Bemühungen<br />
zu überprüfen und gegebenenfalls neu, nämlich bezogen auf die Kriterien der Förderlichkeit<br />
für den „Lebensstandort“, zu orientieren.<br />
Innerhalb dieser Kriterien gilt es also abzuwägen. Damit ist die These von der „Objektivität<br />
der Wissenschaft“ nicht haltbar. Um überhaupt zu gewährleisten, daß die aufgeführten<br />
Kriterien Beachtung finden können, ist Interdisziplinarität unabdingbare Voraussetzung.<br />
Immer beinhaltet dies die Notwendigkeit von Kooperationen.<br />
Problemorientierte Interdisziplinarität für den Lebensstandort – so heißt das Programm,<br />
dem sich <strong>IANUS</strong> seit nunmehr 10 Jahren widmet.<br />
Dazu gratuliere ich herzlich.<br />
30
Orientierung an Zukunftsfähigkeit: Zum gesellschaftlichen Auftrag der<br />
Hochschulen<br />
Frank Kaufmann<br />
Den Dank für die Einladung zu Ihrer heutigen Veranstaltung verbinde ich gleich eingangs<br />
mit der Entschuldigung dafür, daß ich mich der gestellten Aufgabe nicht gewachsen<br />
zeigen werde. Politiker stehen häufig vor unlösbaren Aufgaben, weil von ihnen<br />
meist Antworten gefordert werden, bevor sie die Problemlage überhaupt analysieren<br />
konnten; und sie entkommen diesem Dilemma in der Regel durch unpräzise Stellungnahmen,<br />
wenn nicht gar durch Verschleierungen. Genau dieser Ausweg ist mit aber<br />
hier und heute auf einem wissenschaftlichen Symposium ganz offensichtlich verschlossen,<br />
so daß ich mich auch schon wegen der äußerst knappen Zeitvorgabe auf sieben<br />
Thesen beschränken will, die sicherlich nur Aspekte des Themas streifen können. Dennoch<br />
will ich versuchen, sie so zu formulieren, daß sie der streitigen Diskussion zugänglich<br />
werden.<br />
1. These:<br />
Zukunftsfähigkeit bedeutet die Orientierung am Leitbild „sustainable development“, bei<br />
uns in der Regel „nachhaltige Entwicklung“ genannt. Eine solche Orientierung bedeutet<br />
aber in der Konsequenz eine Veränderung der politischen Vorgaben für die Wissenschaft<br />
insgesamt und rüttelt damit an bestehenden und unerschütterlich geglaubten<br />
Dogmen.<br />
2. These:<br />
Charakteristikum weiter Bereiche wissenschaftlicher Aktivitäten ist bis heute unter dem<br />
Schutz der Wissenschaftsfreiheit der Art. 5 Abs. 3 GG eine hoch elaborierte, disziplinäre<br />
Professionalität, die eher nur in Ausnahmefällen disziplinübergreifende Zusammenarbeit<br />
ermöglicht. Ganz besonders wird dies deutlich bei der Frage der Kooperation der<br />
„Wissenschaftskulturen“ von Natur- und Technikwissenschaften einerseits und Sozialund<br />
Geisteswissenschaften andererseits, wie u. a. auch der Wissenschaftsrat 1994 beispielhaft<br />
in seiner Stellungnahme zur Umweltforschung festgestellt hat.<br />
3. These:<br />
Für eine erfolgreiche Orientierung an Zukunftsfähigkeit wird es wesentlich darauf ankommen,<br />
die abgrenzende Disziplinarität zu überwinden und nicht nur zu interdisziplinärer<br />
Zusammenarbeit, sondern auch zu interdisziplinärer Einzelarbeit zu finden. Dies<br />
kann bei exponentiell wachsender Wissensmenge natürlich nicht die Forderung nach<br />
dem Universalgenie neuer Art sein, sondern heißt, daß wissenschaftliche Arbeit der<br />
31
Zukunft vom Einzelnen die Fähigkeit verlangt, mehr als eine disziplinäre Methodologie<br />
zu beherrschen.<br />
4. These:<br />
Methodenwissen als Ziel der akademischen Ausbildung ist der aktuelle Anspruch an die<br />
Universität; wir alle wissen, wie schnell sogar dieses sich weitgehend auf Verfügungswissen<br />
reduziert. Gebraucht wird aber unter der Forderung nach Zukunftsfähigkeit etwas<br />
anderes, was ich Problemwissen nenne. Problemwissen bedeutet die Fähigkeit,<br />
konkrete Problemkonstellationen umfassend — d. h. in möglichen Folgen für die unterschiedlichsten<br />
Bereiche — analysieren zu können und differenzierte Handlungsmöglichkeiten<br />
aufzuzeigen sowie daraus resultierende mögliche Entwicklungen und Folgenwirkungen<br />
mit zu beurteilen und zur Entscheidungsgrundlage zu machen.<br />
5. These:<br />
Die Hochschulen haben unter der Forderung nach einer Orientierung an Zukunftsfähigkeit<br />
demgemäß den gesellschaftlichen Auftrag, Problemwissen zu erarbeiten und weiterzugeben.<br />
Bislang tun sie dies nicht — auf jeden Fall bei weitem nicht in hinreichender<br />
Weise; sie müssen also sich dazu entschließen oder dazu angehalten werden.<br />
Aus eigener Einsicht innerhalb der wissenschaftsimmanenten Diskussion und auf der<br />
Grundlage der Entscheidungsstrukturen der Hochschulen ist es etwas zweifelhaft, ob<br />
ein solcher Paradigmawechsel gelingt. Wünschenswert, nein notwendig wäre er allemal<br />
und Institutionen wie <strong>IANUS</strong> wären hier sicherlich die geeigneten Vorbilder und Wegweiser;<br />
allerdings gibt es davon noch viel zu wenige.<br />
Es ist deshalb zunächst eine Forderung der Politik (die den Auftrag der Gesellschaft<br />
insoweit vertritt) an die Hochschulen, im Rahmen der Hochschulentwicklung ein entsprechendes<br />
Forschungsprofil zu entwickeln und entsprechende Projekte zu fördern.<br />
Dies formulieren wir BündnisGRÜNE u. a. in unseren „Perspektiven einer sozialen,<br />
emanzipatorischen, ökologischen und demokratischen Hochschul- und Wissenschaftspolitik“<br />
aus diesem Frühjahr. Es muß sich rasch zeigen, ob die Hochschulen diesen<br />
Weg einschlagen oder wie in vielen anderen fragen in Vergangenheit und Gegenwart<br />
eher passiv verharren.<br />
6. These:<br />
Der Staat als institutionalisierte Form der Gesellschaft und zugleich als Organisator und<br />
Finanzier der Hochschulen ist zugleich ggf. Auch ersatzweise gefordert. Die klassische<br />
und auch verfassungsrechtlich unproblematische Form wäre die spezifische Förderung<br />
durch (zusätzliche) finanzielle Ressourcen. Ein solches Verfahren bedeutet natürlich<br />
den Ausbruch verschärfter Verteilungskämpfe, egal ob innerhalb der einzelnen Hochschule,<br />
zwischen den Hochschulen oder in der Politik. Denn aus dem Vollen schöpfen<br />
kann derzeit niemand und auf Einnahmezuwächse zu warten, wäre gleichbedeutend<br />
damit, die überfällige Aufgabe auf die lange Bank zu schieben.<br />
Für die Bewältigung dieser Aufgabe ist deshalb an eine Veränderung der Strukturen<br />
und Funktionsbedingungen des derzeit bestehenden Systems der Forschungsförderung<br />
in der Bundesrepublik heranzugehen. In den gegebenen disziplinären und sektoralen<br />
Strukturen, die sich in der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft eingespielt haben,<br />
kann die Aufgabe, für die problemorientierte Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen<br />
geeignete Rahmenbedingungen und Förderformen zur Verfügung zu stellen,<br />
32
kaum geleistet werden. Die staatliche Forschungsförderungspolitik muß hier die Richtung<br />
neu bestimmen und dies rasch.<br />
7. These:<br />
Es ist darüber hinaus die Frage durchaus der Debatte wert, ob wir die verfassungsrechtlich<br />
geschützte Freiheit der Wissenschaft gemessen an ihren realen Auswirkungen<br />
auf Gegenwart und Zukunft nicht neu definieren müssen. Art. 5 Abs. 3 GG lautet ja bekanntlich:<br />
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre<br />
entbindet nicht von der Treue der Verfassung.<br />
Sollte nicht auch die Freiheit der Forschung nicht von der Treue zur Verfassung entbinden<br />
und den Hochschulangehörigen als staatlichen Bediensteten der Rahmen des Art.<br />
20a GG gerade auch in der Forschungstätigkeit gesetzt sein? Eine heikle Fragestellung,<br />
da sie im Fall der positiven Antwort natürlich die aktive ForscherInnengeneration<br />
möglicherweise einschränkt — aber vielleicht notwendigerweise, um zukünftigen Generationen<br />
überhaupt noch eine Freiheit zu erhalten. Aber damit wären wir im Brennpunkt<br />
einer anderen Debatte über Zukunftsfähigkeit, für die hier und jetzt kein Raum ist.<br />
Das mit meinen Thesen umrissene Problemfeld bedeutet auf jeden Fall aktuellen<br />
Handlungsbedarf für Politik, soweit sie sich gestaltend auf den sog. Gesellschaftlichen<br />
Fortschritt beziehen möchte. Denn um zukunftsfähig zu sein, müssen wir den Zustand<br />
aktiv überwinden, den Walter Kaiser unter der Überschrift „Chancen und Risiken“ in der<br />
Einleitung des Abschnitts „Technisierung des Lebens seit 1945“ in der Propyläen Technikgeschichte<br />
als persönliche Hoffnung wie folgt beschreibt:<br />
„Zu hoffen ist, daß Technik über die unmittelbare Sicherung der Existenz und über die<br />
Erleichterung des Lebens hinaus auch die Grenzen des Wachstums als Aufgabe annimmt,<br />
und zwar ungeachtet der Frage, wo denn genau die durch die Ressourcen an<br />
Energie, an Rohstoffen und durch die Leistungsfähigkeit des Menschen gegebenen<br />
Schranken gesetzt sind. Schwierig wird es sein, dies mit dem immanenten Drang der<br />
Technik, die eigenen Grenzen hinauszuschieben, in Einklang zu bringen. Mehr noch:<br />
So lange Technik als ein durch Eigendynamik geprägter Prozeß, nicht jedoch als ein die<br />
Folgen bedenkendes technisches Handeln aufgefaßt wird, wird sie nicht leicht in ein<br />
harmonisches Verhältnis zu Mensch und Natur zu bringen sein.“<br />
Den eigendynamischen Technikprozeß müssen wir stoppen, wenn wir zukunftsfähig<br />
werden wollen, dazu sind wir alle aufgerufen, unseren Beitrag zu leisten, nicht nur die<br />
Politik, sondern zuvörderst die WissenschaftlerInnen einer <strong>Technische</strong>n Universität,<br />
denen die <strong>IANUS</strong>-Menschen dafür ein Vorbild sein können.<br />
Ich gratuliere Ihnen zum Jubiläum und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
33
Verantwortung in der Wissenschaft – mehr als ein Ideal<br />
Werner Buckel<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
die Veranstalter des Jubiläums haben mich freundlicherweise eingeladen. Dafür darf ich<br />
hier nochmals sehr herzlich danken. Da ich für mein Grußwort kein Manuskript angefertigt<br />
habe, kann ich nur versuchen, die Gedanken zusammenzufassen, die ich zum Ausdruck<br />
bringen wollte.<br />
Bei der Tätigkeit von <strong>IANUS</strong> geht es darum, die allgemeine Verantwortung des Wissenschaftlers<br />
wirklich zu praktizieren. In den letzten Jahrzehnten wird in zunehmenden<br />
Maße und zum Teil auch sehr kontrovers darüber diskutiert, ob von einem Wissenschaftler<br />
überhaupt eine spezifische Verantwortung für die Ergebnisse seiner Forschung<br />
verlangt werden kann. Da die Ergebnisse der modernen Forschung dem Menschen<br />
eine ungeheure Macht geben, die nicht nur positiv sondern auch negativ, z. B. in<br />
schrecklichen Vernichtungswaffen, angewendet werden kann, wird eine Verantwortung<br />
des Wissenschaftlers, der seine Ergebnisse und deren Möglichkeiten gut kennt, nicht<br />
bestritten werden können.<br />
Ein Problem ist es aber, wie diese Verantwortung wahrgenommen werden kann. Kann<br />
ein einzelner Wissenschaftler überhaupt Einfluß auf die Anwendung seiner Ergebnisse<br />
nehmen? Kann und sollte man von einem Wissenschaftler verlangen, daß er seine Arbeit<br />
einstellt, wenn er sieht, daß die Ergebnisse auch gegen den Menschen verwendet<br />
werden können? Kann man überhaupt Regeln dafür aufstellen, welche wissenschaftliche<br />
Arbeit verantwortbar ist und welche nicht? Es wird in der Beurteilung stets auf die<br />
Rahmenbedingungen ankommen. Ich meine, daß man den amerikanischen Kernforschern,<br />
die unter dem Eindruck standen, das nationalsozialistische Deutschland könnte<br />
als erstes Land eine Atombombe entwickeln, keinen Vorwurf für die Arbeit an der<br />
Atombombe machen kann.<br />
Wie also kann man in diesen komplexen Zusammenhängen eine Verantwortung wahrnehmen?<br />
ich würde eine, wie ich meine, relativ einfache Forderung an alle Wissenschaftler<br />
stellen. Die Wissenschaftler sollten die Verwendung ihrer Ergebnisse sorgfältig<br />
verfolgen. Sie sollten sich die Mühe machen, festzustellen, wozu ihre Ergebnisse verwendet<br />
werden und sie sollten ihre Stimme deutlich erheben, wenn sie negative Konsequenzen<br />
zu erkennen glauben. Das ist, wie ich meine, eine bescheidene Forderung.<br />
Leider, das muß ich feststellen, wird auch diese Forderung nicht konsequent erfüllt.<br />
Hier komme ich auf <strong>IANUS</strong> zurück. Ich meine, daß <strong>IANUS</strong> genau diese Forderung zu<br />
erfüllen versucht. Hier haben sich vor 10 Jahren einige Wissenschaftler aus verschiedenen<br />
Gebieten dazu entschlossen, Mühe darauf zu verwenden, Entwicklungen kritisch<br />
zu verfolgen. Ich nenne nur die Probleme der Energiepolitik oder der Waffentechnik.<br />
Hier sind hervorragende Stellungnahmen erarbeitet worden. Dazu möchte ich <strong>IANUS</strong><br />
35
von Herzen gratulieren. Hier wird die Verantwortung des Wissenschaftlers wirklich<br />
wahrgenommen.<br />
Ich kann <strong>IANUS</strong> nur von ganzem Herzen wünschen, daß diese Arbeit fortgesetzt werden<br />
kann und daß sich die finanzielle Lage stabilisiert. Der <strong>Technische</strong>n Universität<br />
<strong>Darmstadt</strong> kann man Glück wünschen, daß sie eine solche Aktivität besitzt und, wie ich<br />
feststellen konnte, auch pflegt. Alles Gute für die nächsten 10 Jahre.<br />
36
Kooperative Lösungen technikinduzierter Konflikte im Kontext von<br />
Sicherheit und Nachhaltigkeit Kommentar zum aktuellen <strong>IANUS</strong>-<br />
Rahmenthema<br />
Wolfgang Bender<br />
Entstehung von <strong>IANUS</strong><br />
1. Die Entstehung der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und<br />
Sicherheit (<strong>IANUS</strong>) steht im Zusammenhang von langfristigen Bemühungen, die<br />
Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in den Wissenschaften und in den<br />
Hochschulen zu stärken. Dazu heißt es in dem umstrittenen, vom Bundesverfassungsgericht<br />
als verfassungskonform bestätigten § 6 des hessischen Universitätsgesetzes<br />
(HUG) in der novellierten Fassung von 1974:<br />
„Alle an der Forschung und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Hochschule<br />
haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis mitzubedenken.<br />
Werden ihnen Ergebnisse der Forschung, vor allem auf ihrem Fachgebiet<br />
bekannt, die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahr für die Gesundheit<br />
oder das Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen herbeiführen<br />
können, so sollen sie den zuständigen Fachbereichsrat oder ein zentrales Organ<br />
der Universität davon unterrichten.“(1)<br />
2. Seit den siebziger Jahren sind in der <strong>Technische</strong>n Hochschule <strong>Darmstadt</strong> Aktivitäten<br />
festzustellen, die dem § 6 HUG Rechnung zu tragen versuchen. Es gibt interdisziplinäre<br />
Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, die sich — u. a. angeregt durch die<br />
ersten Berichte des Club of Rome — mit der Verantwortung in der „naturwissenschaftlich-technischen<br />
Zivilisation“(2) auseinandersetzen. Es entsteht der Forschungsbericht<br />
„Die Stunde der Ingenieure“, vorgelegt von Eugen Kogon.(3) Eine<br />
Studie über die Risiken des Reaktorplutoniums erregt erhebliches Aufsehen und<br />
führt zu politischen Entscheidungen.(4) Lehrveranstaltungen thematisieren den<br />
Grenzbereich zwischen Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits und Ethik andererseits.<br />
Die Ringvorlesung „Verantwortung in der Wissenschaft“ vom WS 1986/87<br />
stellt einen Höhepunkt dieser Entwicklungen dar, der gleichzeitig weitere Aktivitäten<br />
anregt.(5)<br />
3. In diesem Zusammenhang war immer auch die Frage nach der zivil-militärischen<br />
Ambivalenz wissenschaftlicher Forschungen präsent. Als ein Ergebnis diesbezüglicher<br />
Reflexionen und Diskussionen ist der Beschluß anzusehen, den der Konvent<br />
am 14.02.1973 faßte:<br />
„1. Die <strong>Technische</strong> Hochschule <strong>Darmstadt</strong> lehnt die Durchführung militärischer Auftragsforschung<br />
innerhalb ihrer Einrichtungen ab.<br />
37
2. Die <strong>Technische</strong> Hochschule <strong>Darmstadt</strong> lehnt es grundsätzlich ab, Forschungsprojekte,<br />
die militärischer Geheimhaltung unterliegen, zu verfolgen, da solche Forschung<br />
mit dem Auftrag einer Hochschule zu Forschung und Lehre nicht vereinbar ist.“(6)<br />
4. Somit war an der THD eine Sensibilität für Verantwortungsprobleme — besonders<br />
auch im Hinblick auf militärische und waffentechnologische Fragen vorhanden, als<br />
Anfang der achtziger Jahre der sogenannte Nato-Doppelbeschluß in der deutschen<br />
Öffentlichkeit heftige Auseinandersetzungen um die Nachrüstung auslöste. Die Diskussionen<br />
innerhalb der Hochschule fanden ihren Niederschlag in dem folgenden<br />
Beschluß des Konvents vom 23.11.1983:<br />
„Angeregt durch die von unseren Kollegen im ‘Mainzer Appell’ getroffenen Feststellungen<br />
und in der Erkenntnis, daß in der bestehenden weltpolitischen Spannungssituation<br />
die gegenwärtige Hochrüstung und ihre Weiterentwicklung eine nicht mehr<br />
hinzunehmende Gefährdung der Menschheit überhaupt und unseres Volkes im besonderen<br />
darstellen, fordert der Konvent alle Fachbereiche (ggf. Institute und Arbeitsgruppen)<br />
auf, dafür Sorge zu tragen, daß<br />
1. der Themenbereich Rüstung/Abrüstung, Krieg und Frieden in seinen technischnaturwissenschaftlichen,<br />
humanwissenschaftlichen und politisch-ökonomischen<br />
Aspekten und Bezügen durch besondere Lehrveranstaltungen langfristig und angemessen<br />
behandelt wird und<br />
2. Forschungsprojekte initiiert und gefördert werden, die Beiträge zur Abrüstung und<br />
Friedenssicherung leisten.<br />
Der Konvent begrüßt als einen Beginn solcher Aktivitäten die in diesem WS veranstalteten<br />
Seminare und Arbeitstreffen. Als ersten Schritt zu einer festen Verankerung<br />
von Forschungs- und Lehrvorhaben innerhalb der an der TH betriebenen Disziplinen<br />
erwartet der Konvent einen in jedem Semester zu erstattenden Bericht.“(7)<br />
5. Die Aktivitäten, auf die der Konvent sich in seinem Beschluß bezieht, sind in dem<br />
Band „Hochschule und Rüstung“ beispielhaft dokumentiert.(8) In seinem Beitrag zu<br />
dieser Schrift macht Egbert Kankeleit auf einen bislang zu wenig beachteten Aspekt<br />
der friedenspolitischen Diskussion aufmerksam:<br />
„Dies ist die Aufklärungsfunktion mit dem besonderen Schwerpunkt auf technischnaturwissenschaftlichem<br />
Gebiet. Ich möchte behaupten, daß die Rüstungsspirale im<br />
wesentlichen davon lebt, daß der Dreierblock von Politik, Militär und Rüstungsindustrie<br />
einer technisch-physikalisch desinformierten und irregeleiteten Öffentlichkeit<br />
gegenübersteht. Die grundsätzlich neuen Elemente moderner Kriegführung sind in<br />
erster Linie technischer Art und finden selbst in den Diskussionen der Friedensbewegung<br />
noch zu wenig Beachtung. ... Wohl kaum jemals hat die Menschheit so dilettantisch<br />
so außerordentlich existenzgefährdende Probleme behandelt. Nicht, daß<br />
sie dümmer geworden wäre, aber die Komplexität auf physikalischem und elektronischem<br />
Gebiet moderner Waffentechnik hat derart schnell zugenommen, daß der erforderliche<br />
Kenntnisstand hinterherhinkt.“(9)<br />
6. Damit ist der nähere Kontext benannt, aus dem heraus es zur Gründung von <strong>IANUS</strong><br />
gekommen ist. Mit Blick auf die Motive der Beteiligten läßt sich sagen: Die interdisziplinäre<br />
Arbeitsgruppe verdankt ihre Existenz dem unmittelbaren und nachhaltigen<br />
Impuls gegen die Bedrohung durch immer mehr und immer gefährlichere Waffensy-<br />
38
steme ebenso wie der vernünftigen Einsicht: „Es soll kein Krieg sein,“(10) schon gar<br />
nicht ein Krieg mit modernen Massenvernichtungswaffen.<br />
Vom Anfangskonzept zum aktuellen Rahmenthema<br />
7. Die Mitglieder von <strong>IANUS</strong> sahen und sehen ihre Aufgabe in engagierter Forschung<br />
mit dem Ziel der Erhaltung von Sicherheit und der Förderung des Friedens. Aufgrund<br />
vor allem naturwissenschaftlicher Forschungen über die Entwicklung moderner atomarer<br />
und biologischer Waffen und ihrer Trägersysteme wollen sie rechtzeitig und<br />
kompetent über das Ausmaß der Bedrohung informieren und davor warnen; „Frühwarnung“<br />
ist dafür das Signalwort. Gleichzeitig aber geriet der Zusammenhang zwischen<br />
ziviler und militärischer wissenschaftlicher Forschung und Technik in den<br />
Blick: „Prüfbare Software“ kann der Erhöhung der Sicherheit komplexer technischer<br />
Systeme wie der Steigerung der Effizienz von Waffensystemen dienen. Die Erforschung<br />
und Entwicklung gentechnisch herzustellender Impfstoffe gegen biologische<br />
Kampfmittel läßt sich von der Erforschung und Entwicklung der Kampfmittel selbst<br />
kaum trennen. Bei der zivilen Nutzung der Kernenergie entstehen Materialien, die zur<br />
Herstellung atomarer Waffen tauglich sind oder ihre Wirksamkeit erhöhen und somit<br />
die Gefahr der horizontalen Weiterverbreitung sowie der quantitativen und qualitativen<br />
Weiterentwicklung atomarer Waffen erhöhen. Die zivil-militärische Ambivalenz<br />
von Wissenschaft und Technik war also ein zweites Kennwort für die Arbeit von<br />
<strong>IANUS</strong>.<br />
8. Die zivil-militärische Ambivalenz naturwissenschaftlich-technischer Forschung und<br />
Entwicklung läßt sich allerdings nicht von dem umfassenden Problem der Ambivalenz<br />
moderner Naturwissenschaft und Technologie abtrennen, wie sich z. B. der Nutzung<br />
von Plutonium in Kraftwerken bzw. bei der Wiederaufarbeitung von Brennstäben<br />
oder bei dem Umgang mit radioaktiven Abfällen zeigt. Es war also nicht zu umgehen,<br />
die Ambivalenz auch im Hinblick auf andere Widersprüche — wie z. B. dem<br />
zwischen ökonomischer Effizienz und ökologischen Risiken — zu thematisieren und<br />
die Wertfreiheit der Wissenschaft zu problematisieren. Damit war aber auch deutlich<br />
geworden, daß man sich mit der Verantwortbarkeit der zivilen Nutzung der Spaltenergie<br />
auseinandersetzen mußte.<br />
9. Ein vergleichbarer Erweiterungsvorgang ergab sich bei der Frage: Was treibt die Rüstungsdynamik<br />
voran? Nicht nur die extremen internationalen Spannungen des Ost-<br />
West-Konflikts trieben oder des Nord-Süd-Konflikts treiben sie voran, befördert durch<br />
die politischen und ethischen Argumentationsstrategien einer neuen Abschrekkungslehre,<br />
sondern es wächst die Gefahr, daß Ressourcen- und Umweltkonflikte<br />
militärisch ausgetragen bzw. militärische Interessen mit dieser Gefahr begründet<br />
werden. So traten also zunehmend auch die Umweltkonflikte in das Blickfeld von<br />
<strong>IANUS</strong>, sowohl was die Forschungen (z. B. Modellierung von Umweltkonflikten), als<br />
auch was die Lehre betraf (z. B. Risikogesellschaft und nachhaltige Entwicklung).<br />
Diese Entwicklungen machen verständlich, warum <strong>IANUS</strong> ein auf seine gegenwärtigen<br />
Motivationen, Arbeitsinteressen und gesellschaftlichen Aktivitäten bezogenes<br />
Rahmenthema formuliert hat, das lautet:<br />
39
Kooperative Lösungen technikinduzierter Konflikte<br />
im Kontext von Sicherheit und Nachhaltigkeit.<br />
Dieses Rahmenthema ist nun zu erläutern.<br />
Technikinduzierte Konflikte<br />
10. Das Thema von <strong>IANUS</strong> sind Konflikte, und zwar gesellschaftliche Konflikte, die in<br />
einem deutlichen Zusammenhang mit naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen<br />
stehen. Die gesellschaftlichen Konflikte können sowohl solche zwischen gesellschaftlichen<br />
Gruppen — z. B. Bürgerinitiativen und deren Organisationen einerseits,<br />
Unternehmen andererseits, Vertreter unterschiedlichen Forschungsinteressen<br />
oder Wissenschaftskonzeptionen — als auch Konflikte zwischen Staaten und<br />
Staatengruppen — z. B. atomwaffenbesitzenden Staaten und solchen, die völkerrechtlich<br />
verbindlich auf den Besitz dieser Waffen verzichtet haben — sein.<br />
11. Allerdings finden nur oder vornehmlich diejenigen gesellschaftlichen Konflikte das<br />
Arbeitsinteresse von <strong>IANUS</strong>, die durch moderne Technologien mitverursacht sind<br />
oder durch diese qualitativ verändert werden. Als Beispiel für einen durch die Entwicklungen<br />
der naturwissenschaftlich-technischen Zivilisation mitverursachten internationalen<br />
Konflikt ist der Streit über den Umgang mit der drohenden Klimaveränderung<br />
zu nennen, während der inzwischen beendete Ost-West-Konflikt zu jenen<br />
Konflikten gehört, die durch die Entwicklung der Raketen- und nuklearen Waffentechnik<br />
qualitativ verändert und verschärft worden ist. In diesem Zusammenhang ist<br />
zu beachten und genauer zu untersuchen, von welcher Art die Wechselbeziehung<br />
zwischen Gesellschaft und Technik ist: einerseits können z. B. politische Interessen<br />
die technische Entwicklung vorantreiben und hinsichtlich ihrer Zielsetzungen bestimmen,<br />
andererseits beeinflussen wissenschaftliche und technische Entwicklungen<br />
die gesellschaftlichen Verhältnisse oft weit über das zunächst vorhergesehene<br />
Maß hinaus. Man wird allerdings kaum einen Fall nennen können, bei dem nur die<br />
eine oder nur die andere Seite die treibende Kraft gewesen ist. Dies gilt zum Beispiel<br />
auch für die Atomwaffentechnik: Wenn die Kernphysiker den Politikern nicht<br />
das Konzept einer Atombombe nahegebracht hätten, so hätten letztere nicht das<br />
Geld für das Manhattan-Projekt zur Verfügung gestellt, wodurch es dann zu einem<br />
so raschen Fortschritt in der Atomwaffentechnik gekommen ist. In der Folgezeit haben<br />
der Ost-West-Konflikt und die damit verbundenen politischen Interessen immer<br />
wieder zur Förderung neuer Kernwaffenentwicklungen beigetragen, an denen<br />
Kernphysiker ihrerseits mit immer neuen Konzepten beteiligt gewesen sind. Das<br />
Problem des „militärisch-industriellen Komplexes“ ist damit noch nicht einmal benannt.<br />
Diese wenigen Andeutungen müssen genügen um festzustellen: <strong>IANUS</strong> hat<br />
es bei seinen Forschungsprojekten mit dem komplexen Ineinander von gesellschaftsbestimmter<br />
Technikentwicklung und technikbedingter Gesellschaftsentwicklung<br />
sowie — nimmt man noch die ökologische Dimension hinzu — von gesellschaftsbedingten<br />
Naturverhältnissen und naturabhängigen Gesellschaftsverhältnissen<br />
zu tun. Diese differenzierten Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen<br />
Konflikten und technischen Entwicklungen deuten wir mit dem Begriff „technikinduziert“<br />
an. Wir meinen damit technikinduzierte gesellschaftliche Konflikte.<br />
40
12. Häufig sind diese Konflikte ausgelöst durch die tatsächlichen oder vermuteten Risiken,<br />
die mit bestimmten modernen Technologien verbunden sind. Erinnert sei an<br />
die manifesten Risiken der Nutzung der Kernspaltenergie oder an die sehr unterschiedlich<br />
eingeschätzten Risiken verschiedener Anwendungen der Gentechnik.<br />
Andere Konflikte stehen im Zusammenhang mit den zu erwartenden Veränderungen<br />
gesellschaftlicher Verhältnisse und Lebensformen zum Beispiel durch Informatik<br />
und Rationalisierung, die von den einen begrüßt und von den anderen befürchtet<br />
werden. Insgesamt handelt es dabei um die gar nicht vermeidbare fortschreitende<br />
Kolonialisierung der Lebenswelt durch Technik.(11) Schließlich geht es drittens um<br />
Konflikte, die ihren Ursprung in der Überbeanspruchung der Natur durch Ressourcenverbrauch<br />
und schädigende Einträge, wodurch das „Recht der Menschen auf<br />
Verwurzelung in der Umwelt“ bedroht wird.(12) In diesen Fällen ist sind Technologien<br />
die Wirkursache, wenn auch nicht die einzige Ursache, gesellschaftlicher Konflikte.<br />
13. Eine besonders schwierige Aufgabe, die von <strong>IANUS</strong> bestenfalls in ersten Ansätzen<br />
wahrgenommen wird, besteht darin, die technikinduzierten gesellschaftlichen Konflikte<br />
im Zusammenhang des gesellschaftlichen Grundkonflikts, der Dominanz der<br />
marktwirtschaftlichen Organisation, d. h. in dem umfassenden Zusammenhang des<br />
kapitalistischen Verwertungsprozesses zu reflektieren. Eine marktwirtschaftlich orientierte<br />
Gesellschaft erwartet von Wissenschaft und Technik auf der Produktseite<br />
eine schnelle Abfolge innovativer Angebote und hinsichtlich der Produktivität deren<br />
beständige Steigerung. Sie verlangt also marktwirtschaftlich verwertbare Mittel, ohne<br />
die Frage der humanen, sozialen, ökologischen und zukunftsfähigen Zielsetzungen<br />
hinreichend zu berücksichtigen. Kurz gefaßt: sie thematisiert den Wirtschaftsstandort<br />
und nicht den Lebensstandort Deutschland. Eine Gruppe, die wenigstens<br />
versucht, von kritisch reflektierten Zielsetzungen her zu denken, sieht sich einer<br />
Schwierigkeit und einer Gefahr gegenüber. Ihre Schwierigkeit besteht darin, daß sie<br />
meist keine marktgängigen Produkte anzubieten hat, woraus die Probleme ihrer finanziellen<br />
Existenzsicherung resultieren. In eine Gefahr gerät sie, wenn sie den gesellschaftlichen<br />
Zusammenhang nicht als eine in sich geschlossene Totalität begreift,<br />
in der es nur marktwirtschaftlich instrumentalisierte Wissenschaften und<br />
Technologien geben kann, sondern Chancen für eine Human- und Sozialorientierung<br />
— anstelle der dominierenden Wirtschaftsorientierung — sieht, diese ausfindig<br />
zu machen und für diese zu werben sucht. Ihr droht dann nämlich selbst die Instrumentalisierung<br />
im sozioökonomischen Prozeß. Dies sich bewußt zu halten, ist eine<br />
ständige Herausforderung für die Gruppe, vor allem nachdem sie sich entschieden<br />
hat, angesichts der vielgesichtigen Ambivalenzen sich nicht parteiisch auf eine<br />
Seite zu stellen, sondern den gesellschaftlichen Grundkonflikt wie auch die Expertendillemata<br />
in sich selbst auszutragen, um moderierend auf kooperative Lösungen<br />
technikinduzierter Konflikte hinwirken zu können.(13)<br />
Sicherheit und Nachhaltigkeit<br />
14. <strong>IANUS</strong>-Projekte bemühen sich um empirische und deskriptive Objektivität durch<br />
spezialisierte disziplinäre Forschungsarbeiten, die durch problemorientierte Fragestellungen<br />
transdisziplinär und interdisziplinär miteinander verknüpft sind, und wol-<br />
41
len gleichzeitig einem normativen Anspruch genügen.(14) Der normative Anspruch<br />
wird mit den Begriffen Sicherheit und Nachhaltigkeit zum Ausdruck gebracht.<br />
15. Unter Sicherheit wird herkömmlicherweise vor allem die militärische Sicherheit verstanden.<br />
Mit ihren Projekten versucht <strong>IANUS</strong> nach wie vor, die Aufgabe der Frühwarnung<br />
zu erfüllen, wenn die Sicherheit bedroht scheint. Deswegen sind z. B. die<br />
Entwicklung neuer nuklearer oder biologischer Waffen und Rüstungskontrolle oder<br />
die Zusammenhänge zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie<br />
wichtige <strong>IANUS</strong>-Themen. Sicherheit wird in der durch naturwissenschaftliche Forschungen<br />
verbesserten Kontrolle von Waffensystemen (z. B. Tritiumkontrolle) sowie<br />
entsprechenden internationalen Verträgen und in konsequenter, vor allem atomarer<br />
Abrüstung gesehen. Damit werden wichtige Aspekte internationaler Sicherheit thematisiert,<br />
die zum Ziel haben, militärische Auseinandersetzungen zu verhindern<br />
oder vielleicht unmöglich zu machen.<br />
16. In den letzten Jahren hat sich der Inhalt des Begriffs der internationalen Sicherheit<br />
verändert. Fragen von Ressourcenerhalt und Umweltschutz sind zum Gegenstand<br />
internationaler Konflikte geworden. Entgegen den Bestrebungen vorherrschender<br />
Politik(15) will <strong>IANUS</strong> daraus nicht neue Aufgaben für das Militär, sondern für die<br />
wissenschaftliche Kooperation sowie für die internationale Politik und Diplomatie<br />
ableiten. Auf ähnliche Weise hat die bei <strong>IANUS</strong> bearbeitete Frage der zivilmilitärischen<br />
Ambivalenz Akzentverschiebungen erfahren. So werden einerseits die<br />
grenzüberschreitenden und globalen Risiken ziviler technischer und großtechnischer<br />
Anlagen — z. B. im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen<br />
oder radioaktiven Stoffen und Ökologie — als auch andererseits die Folgen für<br />
die Sicherheit des individuellen und sozialen Lebens bearbeitet. Dies kommt zum<br />
Ausdruck in dem ersten ethischen Leitkriterium: Erhaltung der Menschheit(16) Dieses<br />
Leitkriterium wird konkretisiert durch die Beurteilungs- und Gestaltungskriterien<br />
der Human- und Sozialverträglichkeit, wobei unter Sozialverträglichkeit die anderwärts<br />
gebrauchten Kriterien der internationalen Verträglichkeit oder der Kulturverträglichkeit<br />
mitgedacht sind.(17) Das Kriterium der Humanverträglichkeit berücksichtigt<br />
das Wechselverhältnis zwischen technischen Werkzeugen und Systemen<br />
einerseits und den menschlichen Individuen andererseits. Das Kriterium der Sozialverträglichkeit<br />
untersucht das Wechselverhältnis zwischen technischen Werkzeugen<br />
und Systemen einerseits und gesellschaftlichen Gruppen der mittleren Ebene,<br />
z. B. Schulen, Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen oder in der Arbeitswelt,<br />
gesellschaftlichen Großformationen, z. B. Staaten, und internationalen<br />
Beziehungen andererseits.(18)<br />
17. Bei Nachhaltigkeit ist der politische Leitbegriff des „sustainable development“ zu<br />
assoziieren, wie er beginnend mit dem Bericht der Weltkommission für Umwelt und<br />
Entwicklung „Unsere gemeinsame Zukunft“, 1983 in Auftrag gegeben, bis zu den<br />
Dokumenten der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro<br />
entfaltet worden ist.(19) Stand zunächst die dauerhafte Überwindung der Armut<br />
durch eine auch auf die Bedürfnisse der kommenden Generationen ausgerichtete<br />
und an den Grundsätzen der Gerechtigkeit orientierte Entwicklung im Vordergrund,<br />
so kam spätestens mit der Rio-Konferenz die ökologische Dimension hinzu, die eine<br />
die Lebensgrundlagen jetziger und kommender Generationen berücksichtigende<br />
42
Entwicklung, fordert. Für die <strong>IANUS</strong>-Arbeit bedeutet dies, daß neben das Leitkriterium<br />
der Erhaltung, das im Zusammenhang mit Sicherheit gesehen wurde, das ethische<br />
Leitkriterium der Entfaltung tritt, das sich in den Kriterien der Human-, Sozialund<br />
Umweltförderlichkeit konkretisiert.<br />
18. Nachhaltigkeit ist ein zukunftsorientiertes Konzept. Deshalb sieht <strong>IANUS</strong> ihre Aufgabe<br />
nicht nur in der frühzeitigen Warnung vor Konflikten, sondern auch in der Prävention<br />
von Konflikten und in der Mitwirkung bei der Gestaltung konvivialer Technologien(20)<br />
durch prospektive Technikbewertung. Die genannten Bewertungskriterien<br />
bleiben damit nicht nur Kriterien einer nachhinkenden Technikfolgenabschätzung,<br />
sondern sie werden zu Gestaltungskriterien in Entwurf und Entwicklung befindlicher<br />
neuer Technologien.(21)<br />
Kooperative Lösungen<br />
19. Ziel der Arbeit von <strong>IANUS</strong> in Forschung und Lehre, in Öffentlichkeitsarbeit und Politikberatung<br />
ist es, zur kooperativen Lösung technikbedingter gesellschaftlicher Konflikte<br />
beizutragen. Naturwissenschaftlich-technische Expertise und technisch unterstützte<br />
Lösungsansätze spielen dabei häufig eine zentrale Rolle. Dabei geht es auf<br />
der einen Seite um empirische und theoretische Klärungen der Konfliktursachen,<br />
der Konfliktkonstellation und der Konfliktdynamik, z. B. durch mathematische Modellierungen.<br />
Auf der anderen Seite geht es um die Lösungen, d. h. um die Bearbeitung<br />
von Kooperationshindernissen und die Möglichkeiten ihrer Überwindung.<br />
<strong>IANUS</strong> entwickelt und untersucht in vielfältiger Weise technische Mittel zur Reduzierung<br />
von technikbedingten Konflikten. So werden Realisierungsmöglichkeiten und<br />
Folgen verschiedener Alternativen zur verantwortungsvollen Energieversorgung in<br />
der Zukunft analysiert, Methoden zur Kontrolle und zur Eliminierung von Vorräten<br />
an Kernwaffenmaterialien erforscht und Meßverfahren für eine kooperative Überwachung<br />
von Rüstungskontrollabkommen geprüft und vorgeschlagen oder effiziente<br />
und kostengünstige Möglichkeiten der Verringerung des Kohlendioxydausstoßes<br />
durch „joint implementation“ untersucht.<br />
20. Dazu wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit über die Gruppe hinaus innerhalb<br />
der TUD und mit KollegInnen anderer Universitäten, Hochschulen und wissenschaftlichen<br />
Einrichtungen angestrebt.(22) Darüber hinaus wird die Kooperation mit<br />
gesellschaftlichen Gruppierungen und Interessengruppen, mit politischen Instanzen<br />
und Entscheidungsträgern immer wieder gesucht, realisiert und gepflegt. Dem liegt<br />
auch die Beobachtung zugrunde, daß im Bereich moderner Technologien wichtige<br />
gesellschaftsrelevante Entscheidungen ohne hinreichende Beteiligung der Öffentlichkeit<br />
und der politischen Entscheidungsinstanzen in einem — jedenfalls bei verfassungsrechtlicher<br />
Betrachtung — politikfreien Raum, besonders in Großunternehmen,<br />
getroffen worden sind. Angesichts dieser Subpolitik (23) geht es <strong>IANUS</strong><br />
um eine Repolitisierung und Demokratisierung solcher Entscheidungen.<br />
21. Als geeignete Form des wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurses<br />
über technikinduzierte Konfliktfelder mit dem Ziel ihrer kooperativen Bearbeitung<br />
haben sich Fachtagungen und Workshops bewährt, bei denen differierende tech-<br />
43
nologische Konzepte, unterschiedliche Expertenmeinungen, konkurrierende Interessen<br />
sowie die Argumentationen der Betroffenen miteinander ins Gespräch gebracht<br />
werden. In ihnen wird versucht, nicht nur die Probleme wissenschaftlicher<br />
und technischer Entwicklungen genauer zu sichten, sondern auch ihre human-, sozial-,<br />
umwelt- und zukunftsförderlichen Potentiale zu erkunden. Die Mitglieder von<br />
<strong>IANUS</strong> bemühen sich — im Bewußtsein der Ambivalenzen von Wissenschaften und<br />
Technik -, einseitige Sichtweisen zu vermeiden, um der Rolle eines Moderators bei<br />
der Suche nach kooperativen Lösungen gerecht zu werden. Beispiele für diese<br />
Bemühungen sind u. a. die folgenden Tagungen oder Workshops: Verantwortbare<br />
Energieversorgung für die Zukunft, Biodiversität, Neue Nukleartechnologien zwischen<br />
Naturwissenschaft und Ethik, Weltraumtechnik und Ethik.(24)<br />
22. Zusammengefaßt: <strong>IANUS</strong> möchte gesellschaftliche Prozesse prospektiver Technikbewertung<br />
und Technikgestaltung anregen und begleiten und in ihnen nicht eine<br />
polarisierende, sondern die moderierende Funktion — aufgrund reflektierter Sachkompetenz(25)<br />
— wahrnehmen.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Zitiert nach Deiseroth, Dieter: Berufsethische Verantwortung in der Forschung. Möglichkeiten und<br />
Grenzen des Rechts. Münster: LIT 1997. S. 440.<br />
(2) Vgl. Weizsäcker, Carl Friedrich von: Der Mensch im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter. München:<br />
Hanser 1977. S. 47-62.<br />
(3) Kogon, Eugen: Die Stunde der Ingenieure. Technologische Intelligenz und Politik. Düsseldorf: VDI<br />
1976.<br />
(4) Vgl. Kankeleit, Egbert — Küppers, Christian: Atombomben aus Reaktorplutonium? Ein Kurzgutachten.<br />
In: Traube, Klaus (Hrsg.) Der Atom-Skandal. Alkem, Nukem und die Konsequenzen. Reinbek: Rowohlt<br />
1988. S. 103-126.<br />
(5) Böhme, Helmut — Gamm, Hans-Jochen (Hrsg.): Verantwortung in der Wissenschaft. Eine Ringvorlesung<br />
an der <strong>Technische</strong>n Hochschule <strong>Darmstadt</strong>. THD-Schriftenreihe Wissenschaft und Technik 43.<br />
<strong>Darmstadt</strong> 1988.<br />
(6) Siehe Anmerkung 1. S. 451.<br />
(7) Zitiert nach Burkhardt, Armin (Hrsg.): Hochschule und Rüstung. Ein Beitrag von Wissenschaftlern der<br />
<strong>Technische</strong>n Hochschule <strong>Darmstadt</strong> zur („Nach“-) Rüstungsdebatte. <strong>Darmstadt</strong>: Darmstädter Blätter<br />
1984. S. 223. Dort ist auch der „Mainzer Appell“, auf den sich der Konventsbeschluß bezieht, nachzulesen<br />
(S. 219-222). Der Beschluß wurde mit ca. 70 Ja-Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen<br />
verabschiedet.<br />
(8) Siehe die vorangehende Anmerkung.<br />
(9) Kankeleit, Egbert: Beiträge der Hochschule zur Friedenssicherung. Zu einem Seminar am Fachbereich<br />
Physik. In: a.a.O. S. 188.<br />
(10) Kant, Immanuel: Metaphysik der Sitten, Rechtslehre. In: ders.: Werke in zehn Bänden. Band 7.<br />
<strong>Darmstadt</strong>: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983. S. 478.<br />
(1) Vgl. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen<br />
Vernunft. Frankfurt a. M.: edition Suhrkamp 1988 (Text der 4., durchgesehenen Auflage von 1987).<br />
Darin: Entkoppelung von System und Lebenswelt. S. 171-293.<br />
(12) Vgl. Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. Reinbek: Rowohlt 1975. S. 88.<br />
(13) Vgl. hierzu Teschner, Manfred: „Ist die gesellschaftliche Einbindung der Wissenschaft zukunftsfähig?“<br />
Zur Rolle des Wissenschaftsbetriebs in der Gesellschaftskrise. Vortrag im Rahmen der 3. Bucher<br />
Zukunftswerkstatt „Komponenten unseres Fortschrittssystems — sind sie zukunftsfähig?“ am 21.05.1998<br />
auf dem Biomedizinischen Forschungscampus Berlin-Buch. Manuskript. — Zu den Bezugnahmen auf die<br />
Kritische Theorie vgl. Bender, Wolfgang: Ethische Urteilsbildung. Stuttgart: Kohlhammer 1988. Darin:<br />
Negative Ethik (Th. W. Adorno). S. 126-137. — Zum Expertendilemma vgl. Gamm, Gerhard: Diskurs und<br />
44
Risiko. Über die Vernunft der Kontexte. Vortrag in der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart,<br />
7./8.3.1997. Manuskript.<br />
(14) Zu den Begriffen „problemorientiert“, „interdisziplinär“ und „transdisziplinär“ vgl. Jaeger, Jochen —<br />
Scheringer. Martin: Transdisziplinarität: Problemorientierung ohne Methodenzwang. In: GAIA 7 (1998),<br />
Nr. 1, S. 10-25.<br />
(15) Vgl. Meier, Oliver — Hager, Lutz: Atomwaffen für Regionalkonflikte? Modernisierung untergräbt bestehende<br />
Verträge. In: Wissenschaft und Frieden 4/97. S. 25-28. — Ruhmann, Ingo: High-Tech für den<br />
Krieg. USA bauen ihren Vorsprung weiter aus. : In: a.a.O. S. 29-41. — Scheffran, Jürgen: Militärs an die<br />
Ökofront? Umweltpolizist USA. In: a.a.O. S. 42-45. — Scharf, Rainer: Der zweite Frühling der Bombenbauer.<br />
In: Die Zeit, 28.05.1998. S. 38. — Mutz, Reinhard — Schoch, Bruno — Solms, Friedhelm (Hrsg.):<br />
Friedensgutachten 1998. Münster: LIT 1998. S. 4.<br />
(16) Die vollständige Formulierung des Leitkriteriums lautet: „Erhaltung der Menschheit in ihren natürlichen<br />
und kulturellen Lebenszusammenhängen“. Damit werden vor allem die Anregungen aufgenommen,<br />
die Hans Jonas mit seinem Werk „Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische<br />
Zivilisation“ (Frankfurt a. M.: Insel 1979) gegeben hat.<br />
(17) Vgl. z. B. Hoffmann, Johannes u. a. (für internationale Verträglichkeit)<br />
(18) Vgl. Bender, Wolfgang: Preservation and Development as Central Ideas for Designing Science and<br />
Technology. In: Rilling, Rainer — Spitzer, Hartwig — Greene, Owen — Hucho, Ferdinand — Pati, Gyula<br />
(Hrsg.): Challenges. Science and Peace in a Rapidly Changing Environment. Schriftenreihe Wissenschaft<br />
und Frieden Nr. 16/1992. S. 197-207. — Bender, Wolfgang — Platzer, Katrin — Sinemus, Kristina: On<br />
the Assessment of Genetic Technology: Reaching Ethical Judgments in the Light of Modern Technology.<br />
In: Science and Engineering Ethics (1995) 1, S. 21-32. — Bender, Wolfgang: Ethische Aspekte prospektiver<br />
Technikbewertung: Das Beispiel Kernfusion. <strong>IANUS</strong>-Arbeitsbericht 4/1998.<br />
(19) Zur Begriffsgeschichte von Nachhaltigkeit vgl. Münk, Hans J.: Nachhaltige Entwicklung und Soziallehre.<br />
In: Stimmen der Zeit 4/1998. S. 231-245. — Siehe auch Kalinowski, Martin: Zukunfts- und Ganzweltverträglichkeit.<br />
Versuche zur Einbeziehung der Interessen zeitlich und Räumlich weit entfernt Betroffener<br />
in die Technikfolgen-Abschätzung am Beispiel der Kerntechnik. Schriftenreihe der Gesellschaft<br />
für Technikfolgen-Abschätzung 9/1992. Berlin 1992.<br />
(20) Vgl. Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. Reinbek: Rowohlt 1975. Besonders<br />
S. 14f., 30-38.<br />
(21) Vgl. Ropohl, Günter: Ethik und Technikbewertung. — Bender, Wolfgang: Ethische Aspekte prospektiver<br />
Technikbewertung. Das Beispiel Kernfusion. <strong>IANUS</strong>-Arbeitsbericht 4/1998. <strong>Darmstadt</strong> 1998.<br />
(22) In diesem Zusammenhang sei auf die Reihe „<strong>IANUS</strong> im Gespräch“ hingewiesen, die im Sommersemester<br />
1998 begonnen wurde. Im Dialog zwischen Kolleginnen und Kollegen aus der TUD und anderen<br />
Hochschulen einerseits und <strong>IANUS</strong>-Mitgliedern andererseits wurden folgende Themen behandelt: „Theorie<br />
der Repräsentation“, „Problematik der Verifikation von biologischen Waffen“, „Zum Verständnis von<br />
Interdisziplinarität. Perspektiven von Wissenschafts- und Technikentwicklung“, „Wirtschaftswachstum,<br />
Energie und <strong>Technische</strong>r Fortschritt“. — Die Reihe wird im Wintersemester 1998/99 fortgesetzt.<br />
(23) Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Frankfurt a.. M.: Suhrkamp 1986. S. 300-374. — Ders.:<br />
Was ist Globalisierung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997. Darin: Weltgesellschaft als nicht demokratisch<br />
legitimierte Politik. S. 173-182.<br />
(24) Vgl. hierzu Bender, Wolfgang (Hrsg.): Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft. TUD-<br />
Schriftenreihe Wissenschaft und Technik, Band 70. <strong>Darmstadt</strong> 1997. — Humml, M. ...<br />
(25) Vgl. Euler, Peter: Technologisierung und Urteilskraft. Kritische Bildungstheorie im Zeitalter technologischer<br />
Zivilisation. Habilitationsschrift, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Psychologie und Sportwissenschaft<br />
der <strong>Technische</strong>n Hochschule <strong>Darmstadt</strong>, 1997 (Manuskript).<br />
45
Kooperative Lösung technikbedingter Konflikte im Kontext von Sicherheit<br />
und Nachhaltigkeit<br />
Das Beispiel neuer Nukleartechnologien<br />
Wolfgang Liebert 1<br />
Ambivalenz der Nukleartechnologie<br />
Ich möchte an die Begrifflichkeit der Ambivalenz anknüpfen, auf die Wolfgang Bender<br />
bereits Bezug nahm. Meine Bemerkungen sind dabei von grundsätzlicher und von beispielhafter<br />
Natur.<br />
Der englische Soziologe Zygmunt Bauman erkennt im Trennen, Ordnen, Klassifizieren<br />
Hauptmotive menschlicher Aktivität in der Moderne. 2 Ein Bewegungsgesetz der neuzeitlichen<br />
Welt ist nach Bauman das Ambivalenz-eliminierende Projekt der Moderne:<br />
Verwischen und Bemühung um Beseitigung von Ambivalenz, die eine Uneindeutigkeit<br />
der Zuordnung von Worten, Gegenständen und Ereignissen zu klassifizierenden oder<br />
zu bewertenden Kategorien bedeutet. „Der Schrecken vor Vermischung reflektiert die<br />
Besessenheit von dem Gedanken an Trennung.“ 3 Bauman analysiert mit dieser Blickrichtung<br />
eine Fülle von Aspekten unserer modernen, neuzeitlichen Welt. Er bezieht ihn<br />
auch auf den wissenschafts- und technikzentrierten Feldzug für die Herrschaft der Rationalität,<br />
aber erkennt im rein rationalen Strukturieren den Keim der Unordnung und<br />
einer spiralenförmig wachsenden Kette von Ambivalenzen — und erneuten Bemühungen<br />
um Ordnung. „Das moderne Bewußtsein kritisiert, warnt und ruft zur Wachsamkeit<br />
auf. Es macht das Handeln unaufhörlich, indem es seine Wirkungslosigkeit immer von<br />
neuem demaskiert. Es verewigt die ordnende Geschäftigkeit dadurch, daß es ihre Errungenschaften<br />
disqualifiziert und ihre Mängel bloßlegt.“ 4<br />
Ambivalenz und stets unabgeschlossen bleibende Bemühungen um Trennungen, um<br />
Überwindung von Ambivalenz, finden sich in der Tat in der technologischen Fortentwicklung<br />
und dem politisch-gesellschaftlichen Umgang damit. Ich bespreche hier das<br />
Beispiel nuklearer Technologien.<br />
Drei herausragende ambivalente Aspekte heutiger Nukleartechnologien sind:<br />
1. die zivil-militärische Ambivalenz, die sich in der Produktion und Nutzung von Waffenstoffen<br />
wie Plutonium, hochangereichertem Uran oder Tritium und entsprechenden<br />
Technologien ausdrückt sowie in (unterschiedlich starken) Bezügen zu Technologien<br />
und Grundlagenwissen für Kernwaffen;<br />
2. einerseits die Erzeugung einer wirtschaftlich benutzbaren hohen Energiedichte im<br />
Reaktor und andererseits die Erzeugung eines bisher ungekannten Katastrophenpotentials,<br />
das mit den Stichworten, Gefahr der Kritikalität, Gefahr der Kernschmelze,<br />
Nachwärmeproblematik, sowie Gefahr der Freisetzung von Teilen des radioaktiven<br />
Inventars skizziert werden kann;<br />
1 Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (<strong>IANUS</strong>) der <strong>Technische</strong>n<br />
Universität <strong>Darmstadt</strong>, Hochschulstraße 10, D-64289 <strong>Darmstadt</strong>. Bei diesem Text handelt es sich um<br />
eine vorläufige Version, die insbesondere um Literaturzitate zu ergänzen ist.<br />
2 Zygmunt Bauman, Ambivalenz und Moderne, Frankfurt: Fischer, 1995<br />
3 Bauman, a.a.O., S. 28<br />
4 a.a.O., S. 22.<br />
47
3. die Chance auf eine kurzfristige Energieausbeute aus kleinen Brennstoffmengen bei<br />
gleichzeitiger Generierung eines Langfristproblems über Jahrzehntausende durch<br />
Erzeugung großer Mengen hochaktiver Abfälle.<br />
Welche Bemühung um Trennung hat es im Falle der erstgenannten zivil-militärischen<br />
Ambivalenz gegeben? Die Wurzel der Nukleartechnologie liegt insbesondere in militärischen<br />
Zielsetzungen. Das US-Programm 'Atoms for Peace' der 50er und 60er Jahre<br />
war ein Angebot, mit der Trennung ziviler von militärischer Anwendung der Nukleartechnik<br />
die weltweite Verbreitung der militärischen Möglichkeiten — außerhalb der USA<br />
— zu schwächen. Aber alsbald wurden augenscheinlich zivile Programme Ausgangspunkt<br />
für militärische. Beispiele sind neue Nuklearmächte der sechziger Jahre, wie<br />
Frankreich oder Israel. Dies galt auch für Länder, die bislang zum Glück keine Atomwaffenmächte<br />
geworden sind, wie Deutschland oder Schweden.<br />
Dies hat zu einem zweiten Versuch der Trennung durch internationale Verrechtlichung<br />
geführt. Bis 1968 wurde der nukleare Nichtverbreitungsvertrag, der sogenannte Atomwaffensperrvertrag,<br />
ausgehandelt. Mit seinem Inkrafttreten im Jahr 1970 sollte der<br />
Atomwaffenbesitz auf die fünf Staaten beschränkt werden, die bis zum 1.1.1967 ihre<br />
technologischen Möglichkeiten durch einen Atomwaffentest demonstriert hatten (USA,<br />
Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China). Allen anderen Staaten sollte der<br />
Zugriff auf diese Waffe im internationalen Konsens verwehrt bleiben. Eine dritte Trennung<br />
wurde versucht, durchzusetzen: Wer den Zugriff auf zivile Nukleartechnik will und<br />
dafür internationale Unterstützung in Anspruch nehmen möchte, der muß auf den Weg<br />
zur Bombe verzichten. In Verbindung damit steht die Arbeit der Internationale Atomenergieorganisation<br />
(IAEO).<br />
Die Trennung in Atomwaffen- und Nukleartechnologiebesitzer auf der einen Seite und<br />
rein zivil orientierte Nukleartechnologienutzer auf der anderen Seite funktionierte aber<br />
nicht, da immer wieder einzelne Staaten in den Verdacht gerieten, zivile Forschungsund<br />
Entwicklungsprogramme als Ausgangsstufe und Deckmantel für militärische Ambitionen<br />
zu nutzen. So hat man nicht mehr allein auf die Überwachungsmaßnahmen, sogenannte<br />
Safeguards der IAEO, vertraut, sondern die wichtigsten Lieferländer für Nukleartechnologie<br />
einigten sich in den siebziger Jahren darauf, bestimmte Länder nicht<br />
mit sensitiven Technologien, die gewissermaßen auf den Index gesetzt wurden, zu versorgen.<br />
Diese Exportkontrollen waren die vierte Bemühung um Trennung: Einteilung<br />
der Welt in vertrauenswürdige Mitglieder des Nichtverbreitungsregimes und nichtvertrauenswürdige<br />
Staaten außerhalb des Regimes. Dann kam der Schock der Jahre<br />
1990/91. Ein Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages, der Irak, hatte heimlich ein bis<br />
dato durch die IAEO nicht aufgedecktes Bombenprogramm aufgelegt.<br />
Die Trennung in Regimemitglieder und Nichtmitglieder hatte nicht ausgereicht. Als Reaktion<br />
wurde in den USA die Strategie der 'Counterproliferation' entwickelt, die besagt,<br />
daß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, von diplomatischen Maßnahmen bis hin<br />
zu kriegerischen Eingriffen die Trennung der Welt in die 5 'anerkannten' Atomwaffenbesitzer<br />
und die restlichen knapp 200 Staaten, die keine Atomwaffen besitzen dürfen, aufrechtzuerhalten<br />
ist. Die indischen und pakistanischen Atomwaffentests im Mai 1998<br />
haben diese politische Chimäre der traditionellen Nichtverbreitungspolitik platzen lassen.<br />
Wie wurde im Falle der zweiten angeführten Ambivalenz heutiger Nukleartechnologie<br />
vorgegangen? Hier wurden immer weiter fortgeschrittene technologische Barrierenkonzepte<br />
entwickelt, die eine Trennung von innen und außen, von Katastrophenpotential<br />
innerhalb des Reaktors und weder im Normalbetrieb noch im Stör- oder Unglücksfall zu<br />
beeinträchtigende Außenwelt bewirken sollte. Dies konnte nicht vollständig gelingen.<br />
Parallel wurde die vielstufige Redundanz von Systemen, die die Sicherheit der Anlagen<br />
48
garantieren sollen, eingeführt. Dies bedeutete eine weitere Form der Trennung durch<br />
Flucht in eine neue Kategorie: Ausschluß einer Katastrophe durch ihre immer kleiner<br />
definierbare Wahrscheinlichkeit. Das wahrscheinliche „Gutgehen“ wird gegen das<br />
höchst unwahrscheinliche „Schiefgehen“ abgegrenzt und damit die mögliche Katastrophe<br />
virtuell eliminiert. Man hörte zunehmend auf die Warner und entwickelte weitere<br />
technische Strategien für aktuell diskutierte Reaktorkonzepte, um das Eintreten bzw. die<br />
Folgen einzelner schlimmstmöglicher Unfallszenarien, wie Kernschmelzen oder Hochdruckexplosionen<br />
des Reaktorgefäßes, durch technische Maßnahmen weniger wahrscheinlich<br />
zu machen bzw. aufzufangen. Dies bleibt aber im beschriebenen Muster des<br />
Handelns befangen, weil so keine Probleme vollständig gelöst werden, sondern eher<br />
verlagert werden, zu anderen Problemketten, deren geringere Eintreffenswahrscheinlichkeiten<br />
der einzige nennenswerte Vorteil ist.<br />
An dieser Stelle kann ich auf den dritten Ambivalenzaspekt nicht eingehen.<br />
Für beide hier skizzierten Beispiele von Trennungsspiralen kann Zygmunt Baumans<br />
Verdikt gelten: „Der Kampf gegen Ambivalenz ist ... selbstzerstörerisch und selbsterzeugend.<br />
Er ist unaufhaltsam, weil er seine eigenen Probleme erzeugt, während er sie<br />
zu lösen sucht.“ 5<br />
Wege aus der Ambivalenz ?<br />
Aus meiner Sicht trifft Baumans Analyse, soweit sie den Prozeß der naturwissenschaftlich-technischen<br />
Entwicklung in einer Außenansicht betrifft, weitgehend zu. Aber <strong>IANUS</strong><br />
möchte sich von dieser durchaus pessimistischen Sichtweise abgrenzen durch eine<br />
Bemühung, die wissenschaftlichen und technischen Ursachen der Ambivalenz sowie<br />
ihre politischen und sozialen Folgen und Einbettungen gründlich zu analysieren. So<br />
könnte vielleicht doch ein Weg aus den wahrnehmbaren Dilemmata gefunden werden.<br />
Eine wesentliche Frage ist, warum eigentlich die Ambivalenz-Beseitigung im skizzierten<br />
Beispiel scheitern mußte. Für den ersten Aspekt der zivil-militärischen Ambivalenz fällt<br />
auf, daß sich die Bemühungen im wesentlichen auf von Machtinteressen dominierte<br />
politische Regelungen des Technikgebrauchs beschränkten. Beim zweiten Aspekt der<br />
Anlagensicherheit ging es bislang in der Hauptsache um nachsorgende Technikfolgenbegrenzung<br />
mit technischen Mitteln.<br />
Daraus kann der Schluß gezogen werden, daß Alternativen der gesellschaftlichpolitischen<br />
Einbettung von Technologien zu diskutieren sind. Ebenso ist eine Ergänzung<br />
der nachsorgenden Perspektive durch eine vorbeugende und vorausschauende<br />
spezifische Innenperspektive der wissenschaftlich-technologischen Dynamik erforderlich.<br />
Auch wenn die 'Technikkontrolle' im Beispielfall als weitgehend gescheitert anzusehen<br />
ist, so zeichnen sich doch im Energietechnologiebereich gewisse Hoffnungen ab.<br />
Eine Fülle von technologischen Alternativen für die Befriedigung verschiedener energetischer<br />
Bedürfnisse zeichnen sich ab. Vielleicht ist so der Verzicht auf Risikotechnologien<br />
im fossilen wie im nuklearen Bereich tatsächlich möglich — gerade auch in Hinblick<br />
auf die drängende Klimaproblematik.<br />
Was das diskutierte Beispiel angeht, wäre ein Verzicht auf den Atomwaffenbesitz durch<br />
alle Staaten eine Möglichkeit, das Schema des unvollständigen Trennens und Ordnens<br />
zu durchbrechen. Dies setzt eine bewußte Wertentscheidung der Atomwaffenbesitzer<br />
und ihrer Verbündeten voraus. Zweitens besteht Analysebedarf innerhalb der Nuklearforschung<br />
und -technologie. Strategien der Proliferationsresistenz können studiert und<br />
dann auch technologisch verfolgt werden, die neue innerwissenschaftliche Entwicklungslinien<br />
eröffnen und die offenkundige zivil-militärische Ambivalenz konstruktiv angehen.<br />
Drittens besteht ein Weg darin, neuartige nukleartechnologische Ansätze zu<br />
5 Bauman, a.a.O., S. 16<br />
49
verfolgen, die von einer veränderten Zielrichtung ausgehen. So kann beispielsweise<br />
inhärente Sicherheit und eine passive Auslegung von Schutzeinrichtungen, die naturgesetzlich<br />
ablaufen und nicht von spezifischen Eingriffen von Bedienpersonal abhängen,<br />
zur Richtschnur gemacht werden. Eine drastische Minimierung des radioaktiven Inventars<br />
und der Folgeprodukte könnte das erklärte Ziel wissenschaftlicher Bemühungen<br />
sein. Mit solchen Ansätzen werden die Ambivalenzprobleme zwar nicht ein für alle Mal<br />
aus der Welt zu schaffen sein, aber die fortwährende Destabilisierung durch wissenschaftlich-technisch<br />
bedingte Ambivalenz könnte aufgefangen werden durch rationale<br />
Muster, die direkt mit der Wissenschafts- und Technikentwicklung und ihrem Gebrauch<br />
verbunden werden und auf Wertentscheidungen basieren. Die Strategie wäre eine bewußte<br />
Vermeidung von Ambivalenz bzw. die Reduktion ihres gefährlichen Spannungsverhältnisses,<br />
ohne in ständig neue Trennungsmuster zu verfallen.<br />
Nun werden tatsächlich neuartige Nukleartechnologien entwickelt, die für eine zukünftige<br />
Energieversorgung in der nach-fossilen Ära in Betracht kommen könnten. Seit etwa<br />
40 Jahren werden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Bereich der Kernfusion —<br />
mit wachsender Intensität — durchgeführt. Neuerdings wird auch der beschleunigergestützten<br />
Transmutationstechnologie Aufmerksamkeit in der Forschung gewidmet. Dabei<br />
handelt es sich um spezielle Spaltreaktoren, die mit einem Beschleuniger, der als Neutronenquelle<br />
dient, gekoppelt werden. Es macht Sinn sich mit diesem noch nicht reifen<br />
Technologien frühzeitig auseinanderzusetzen. Unabhängig davon, ob die Kernenergienutzung<br />
mit heute zur Verfügung stehender Technologie fortgesetzt wird, sie teilweise<br />
eingestellt oder gänzlich aufgegeben wird, werden in der Zukunft Entscheidungen für<br />
Neuinvestitionen im Bereich der Stromproduktion anstehen. Dann könnten neuartige<br />
Nukleartechnologien zu erstzunehmenden Optionen werden. Eher wird dann eine der<br />
beiden genannten neuen Technologien diskutiert werden, da die Risikopalette der gegenwärtigen<br />
Spaltenergienutzung und ihrer Weiterentwicklungsmöglichkeiten nicht akzeptabel<br />
erscheinen 6 . Zudem werden bereits jetzt im Bereich der Magnetfusionsforschung<br />
erhebliche staatliche Fördermittel für die Forschung zur Verfügung gestellt. Die<br />
Frage erhebt sich also schon heute, ob hier akzeptable und verantwortbare Energietechnologien<br />
für die Zukunft vorbereitet werden können.<br />
Neue Nukleartechnologien<br />
Vorteile der Fusionstechnologie im Vergleich zur gegenwärtigen Spaltenergienutzung<br />
wären offensichtlich. Konzepte für Fusionsreaktoren basieren zum Teil auf anderen<br />
physikalischen und technischen Prinzipien als Kernspaltungsreaktoren. Dies führt dazu,<br />
daß die schlimmst denkbaren Unfallszenarien, die aus diesem Bereich bekannt sind,<br />
auszuschließen sind. Das radiotoxische Gesamtinventar wäre reduziert, kaum Spaltprodukte<br />
würden entstehen und es würden bei entsprechendem Betrieb praktisch keine<br />
Aktinidenelemente (Plutonium, Americium, etc.) produziert. Auch die Radiotoxizität aktivierter<br />
Strukturmaterialien wäre qualitativ reduziert.<br />
Gleichwohl könnte die Freisetzung auch nur eines geringen Bruchteils des radioaktiven<br />
Inventars eines Fusionsreaktors, so wie er heute zumeist konzeptioniert wird, zu einer<br />
'Katastrophe' führen. Das radioaktive Inventar eines Fusionsreaktors ist im wesentlichen<br />
bestimmt durch die im Reaktor eingeschlossene Menge des radioaktiven schweren<br />
Wasserstoffs (Tritium), der als Brennstoff genutzt werden soll, sowie durch Reaktorteile,<br />
die durch Beschuß mit Neutronen, die aus den im Reaktor ablaufenden Fusionsreaktionen<br />
stammen, radioaktiv geworden sind. Für einen Großteil der anfallenden Materialien<br />
wird eine sichere Lagerung im Bereich von 'nur' 50 oder 100 Jahren notwendig sein.<br />
6 Vergl. W. Liebert, F. Schmithals (Hrsg.), Tschernobyl und kein Ende? - Argumente für den Ausstieg,<br />
Szenarien für Alternativen, Münster: agenda, 1997<br />
50
Aber nach dem heutigen Entwicklungsstand muß wohl davon ausgegangen werden,<br />
daß ein geologisches Endlager für einen Teil der Abfälle benötigt wird. (Dies liegt u. a.<br />
daran, daß bei der Fertigung von Spezialstahllegierungen, die für einen Fusionsreaktor<br />
notwendig sind, immer unerwünschte aber unvermeidbare Verunreinigungen auftreten.<br />
Einige dieser Substanzen werden durch den Reaktorbetrieb radioaktiv und haben dann<br />
Zerfallszeiten, die äußerst lang sind.)<br />
Was die Proliferationsproblematik angeht, muß auf die notwendige Produktion von Tritium,<br />
der als Brennstoff genutzt werden soll, im Reaktor selbst und der vielfältige Umgang<br />
mit diesem Stoff hingewiesen werden. Ein Ergebnis von früheren <strong>IANUS</strong>-<br />
Projekten ist, daß dies ein wesentliches Proliferationsproblem darstellt, denn Tritium<br />
spielt eine entscheidende Rolle in fortgeschritteneren Atomwaffenprogrammen. Ebenso<br />
könnten Spaltstoffe, wie Uran-233 oder Plutonium, für die Nutzung in Kernreaktoren<br />
zusätzlich im Neutronenfluß der Anlage erzeugt ('erbrütet') werden. Ein anderes Ergebnis<br />
von <strong>IANUS</strong>-Projekten ist, daß eine Spielart der Fusion, die sogenannte Trägheitseinschlußfusion,<br />
eine besondere Nähe zu Atomwaffenprogrammen aufweist.<br />
Grundsätzlich erscheint die Konzentration der Forschung auf einen Reaktor, der die<br />
schweren Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium als Brennstoff verwenden soll,<br />
problematisch. Die aus der Deuterium-Tritium-Fusion entstehenden Neutronen und das<br />
jeweils im Reaktor 'erbrütete' Tritium sind zugleich Quelle für eine gewinnbringende<br />
Energiewandlung aber ebenso Ursache für Probleme im Bereich Materialentwicklung,<br />
Umweltschutz, Abfallagerung und Proliferation. Die überzeugende Lösung solcher Problembereiche<br />
berührt die langfristige Akzeptabilität solcher Reaktorkonzepte.<br />
Die Realisierbarkeit von Fusionsreaktoren ist noch nicht erwiesen und hängt von einer<br />
Reihe offener wissenschaftlicher und technologischer Fragen ab. Mit kommerziell betriebenen<br />
Fusionsreaktoren wird frühestens ab Mitte des nächsten Jahrhunderts gerechnet.<br />
Ob innerhalb weniger Jahrzehnte dann eine Kraftwerksleistung installiert werden<br />
kann, die mit derjenigen heutiger Kernkraftwerke vergleichbar ist, muß allein schon<br />
wegen der hohen Investitionskosten fraglich erscheinen. Entsprechend begrenzt und<br />
sehr spät wirksam wäre der Beitrag der Fusion zur Reduktion klimarelevanter Emissionen<br />
(wie CO_2), die der Energiesektor heute erzeugt. Überdies wird im nächsten Jahrhundert<br />
die CO_2-Gesamtemission voraussichtlich nicht mehr von den heutigen Industriestaaten<br />
dominiert sein, sondern von den Emissionen der Länder mit großem 'Energiehunger'<br />
wie Indien und China. Man kann daran zweifeln, ob hier mit einem raschen<br />
Technologietransfer seitens der Industrieländer und genügend hohen Investitionskapitalien<br />
gerechnet werden kann, die einen Boom in der Fusionstechnologienutzung erwarten<br />
lassen könnte.<br />
Auch für die hybriden Konzepte (beschleunigergetriebene Spaltreaktoren) wird von den<br />
Entwicklern zumeist als Zielsetzung angegeben, die Risiken der bisherigen Spaltenergienutzung<br />
drastisch zu reduzieren, was Unfallrisiken, Proliferationsrisiken oder die<br />
Nachsorge für den nuklearen Abfall sowie die Reichweite verwendeter Brennstoffe anbetrifft.<br />
In einem der diskutierten Konzepte sollen 7 sollen die entstandenen Spaltprodukte nach<br />
einen Brennstoffzyklus von grob fünf Jahren abgetrennt werden und für eine Jahrhunderte<br />
lange Lagerung vorbereitet werden. Nach Angaben der Entwickler soll nach 700<br />
Jahren Abklingzeit die Radiotoxizität dieses Abfalls 20000 mal kleiner sein als bei heute<br />
genutzten Druckwasserreaktoren. Weiterhin muß das nicht umgewandelte Thorium und<br />
das aus dem Thorium durch Neutroneneinfang entstandene Uran-233 abgetrennt werden.<br />
Uran-233 ist (ähnlich wie Uran-235) spaltbar und soll dann für den nächsten Zyklus<br />
7 C. Rubbia, High Gain Energy Amplifier Operated with Fast Neutrons, in: E. Arthur et al., Proceedings of<br />
the International Conference on Accelerator Driven Transmutation Technology and Applications, Las<br />
Vegas, July 1994, American Institute of Physics: Woodbury, 1995, S. 44-53.<br />
51
als Brennstoff genutzt werden. Die entstandenen Aktiniden sollen insgesamt wieder in<br />
Brennelemente gefüllt werden, um sie in den weiteren Reaktorzyklen umzusetzen. Für<br />
die Aktiniden ergibt sich auf lange Sicht ein Gleichgewichtswert, der nicht mehr unterschritten<br />
werden kann. So würden die betriebenen Reaktoren selbst zur Endlagerstätte<br />
für diese besonders langlebigen Folgeprodukte des Reaktorbetriebs. Nur ein Zehntausendstel<br />
der Aktiniden soll nach der Abtrennung von den abgebrannten Brennelementen<br />
in den Spaltproduktstrom geraten, der längerfristig gelagert werden muß. Es handelte<br />
sich dann um eine virtuelle Eliminierung der Endlagerungserfordernisse auf geologischen<br />
Zeiträumen. Ob die technologischen Voraussetzungen dafür zur Verfügung<br />
gestellt werden können, muß vom heutigen Standpunkt aus jedoch sehr skeptisch betrachtet<br />
werden.<br />
Den Vorteilen, was mehr Sicherheit und Reduzierung der Radiotoxizität im Vergleich mit<br />
heute gängiger Reaktornutzung angeht, steht gegenüber, daß eine Fülle neuer Sicherheitsfragen<br />
aufgeworfen wird. Es gibt kaum Erfahrungen mit flüssigem Blei bzw. Blei-<br />
Wismuth, das in riesigen Mengen und großen Geschwindigkeiten als Kühlmittel umgewälzt<br />
werden muß. Es wird während des Reaktorbetriebs zunehmend radiotoxisch verseucht,<br />
was erhebliche Folgeprobleme auslöst. Der sichere Einschluß von einer Fülle<br />
von Radioisotopen, die durch den Reaktorbetrieb entstehen, ist eine große technische<br />
Herausforderung. Ob die längerfristige Lagerung von Spaltprodukten (unter Einschluß<br />
von kleineren Mengen äußerst langlebiger radioaktiver Isotope und kleinerer Mengen<br />
von Aktiniden), auf weit mehr Akzeptanz trifft, als die weitaus größere Abfallproblematik<br />
bei heutiger Nuklearenergienutzung, bleibt abzuwarten. 8<br />
Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß sich in Los Alamos das weltweit best finanzierte<br />
Projekt befindet, weil hier ein zivil-militärisches Dual-use Projekt aufgebaut wurde. Die<br />
Beschleunigerentwicklung soll in den nächsten Jahren neben den angesprochenen<br />
Zielen, insbesondere was die Reduktion der Problematik vorliegender nuklearer Abfälle<br />
angeht, vorrangig der Schaffung einer neuen Möglichkeit der Tritium-Produktion für<br />
Waffenzwecke dienen. 9 Auf der anderen Seite könnte ein Transmutationskonzept, wie<br />
das von Los Alamos, auch auf die Aufgabe der Plutonium-Beseitigung hin optimiert<br />
werden, wobei eine ganze Reihe technischer Komplikationen vermieden würde und die<br />
ökonomischen Randbedingungen ein untergeordneter Aspekt wäre.<br />
Zu den problematischen Aspekten dieser beschleunigergestützten Konzepte zählen<br />
unter anderem die Unsicherheit, ob die technischen Ziele überhaupt erreichbar sind.<br />
Dazu gehört die Frage, ob eine hohe Verfügbarkeit von neuartigen Beschleunigern, deren<br />
Realisierung über den bisherigen Erkenntnis- und Erfahrungsstand hinausgehen,<br />
aber von entscheidender Bedeutung für die Nutzung in Reaktorkonzepten wären, erzielt<br />
werden kann. Weiterhin irritiert, daß bei Verfolgung dieser Konzepte immer wieder auf<br />
Erfahrungen bei der Entwicklung von Schnellen Brütern zurückgegriffen wird, deren<br />
Realisierung weltweit als weitgehend gescheitert anzusehen ist. Zudem wird eine aufwendige,<br />
über das bislang Bekannte hinausgehende Wiederaufarbeitungstechnologie<br />
benötigt.<br />
8 Die Reduktion der Radiotoxizität kann nicht beliebig weit getrieben werden, wenn gleichzeitig eine angemessene<br />
Proliferationsresistenz erreicht werden soll und da bei den notwendigen Wiederaufarbeitungsprozessen<br />
der Brennstoffe keine vollständige Abtrennung von unerwünschten Isotopen möglich ist.<br />
Unter anderem spielen auf lange Sicht die schwer abtrennbaren Isotope des Protactinium eine wesentliche<br />
Rolle (J. Magill et al., Inherent Limitations in Toxicity Reduction Associated with Fast Energy Amplifiers,<br />
in: Henri Condé (Hrsg.), Proceedings of the Second International Conference on Accelerator-Driven<br />
Transmutation Technologies and Applications, Kalmar, Sweden, 3-7 June 1996, Uppsala University,<br />
1997, S.1114-1120).<br />
9 J. Browne et al., Status of the Accelerator Production of Tritium (APT) Project, in: Condé (1997), op. cit.,<br />
S.101-109<br />
52
Kriteriengeleitete Gestaltungsprozesse<br />
Nach den Erfahrungen mit der Spaltenergienutzung ist mit einem erheblichen Konfliktpotential<br />
auch bei der Einführung neuartiger nuklearer Energietechnologien zu rechnen.<br />
Bei Technologien, die sich noch im Stadium von Forschung und Entwicklung befinden,<br />
kann eine frühzeitige Debatte über Ziele, technische Möglichkeiten, absehbare<br />
Auswirkungen des Technologiegebrauchs, die nicht auf die Forschenden und die Fördermittel<br />
vergebenden Instanzen beschränkt bleiben, zur Konfliktreduzierung und möglicherweise<br />
auch zu Lösungen beitragen. Es ist zu erwarten — und auch sinnvoll -, daß<br />
sich die Debatte bereits an den Forschungsprogrammen entzünden wird. Wie kann beurteilt<br />
und sichergestellt werden, daß es sich hier tatsächlich um innovative, zukunftsfähige<br />
Technologieentwicklungen handelt?<br />
In dieser frühzeitigen Problematisierung liegt eine weitere Chance. Die Debatte muß<br />
nicht über fertige Produkte der Technikentwicklung geführt werden, sondern kann bereits<br />
in der Vorphase angesiedelt werden. So kann der Entwicklungsprozeß selbst beeinflußt<br />
werden. Diskurse der Technikfolgenabschätzung greifen bislang zumeist zu<br />
spät, da sie im wesentlichen nachsorgend angelegt sind. Eine prospektive Perspektive<br />
kann bewußt angesteuert werden. <strong>IANUS</strong> plädiert daher für einen problemorientierten<br />
und vorausschauenden Ansatz der Technik- und Wissenschaftsbewertung. Darin werden<br />
vorrangig zu diskutieren sein: die gesellschaftlichen Zielsetzungen und Rahmenbedingungen,<br />
die Attraktivität der in Entwicklung befindlichen technischen Mittel sowie die<br />
begründete Urteilsbildung. Hinzu tritt die Möglichkeit der Gestaltung des Entwicklungsprozesses<br />
selbst.<br />
Ziel-, Wert- und Sachebenen müssen konstruktiv miteinander vermittelt werden, um ein<br />
Höchstmaß an wissenschaftlich-technisch möglicher und gesellschaftlich gewollter Innovation<br />
zu ermöglichen. Eine geeignete Methodik, die hilfreich sein kann, ist die Aufstellung<br />
und Diskussion von Kriterien, um zunächst wesentliche Betrachtungsperspektiven<br />
zu definieren und um anschließend eine Bewertung und schließlich eine Gestaltung<br />
von technischen Optionen möglich zu machen. Diese müssen von den Sachseiten her<br />
gerechtfertigt und angemessen erscheinen und ebenso eine Orientierung an Zielen und<br />
Werten deutlich machen. Ein Kriterienkatalog ist nur dann brauchbar, wenn eine Vermittlung<br />
der unterschiedlichen Ebenen auf den Punkt gebracht werden kann.<br />
Ein auf breite Akzeptanz stoßender Kriterienkatalog wäre nicht nur hilfreich dadurch,<br />
daß er die Debatte auf wesentliche Aspekte fokussiert, sondern er würde auch einen<br />
Rahmen schaffen für die transparente Bewertung von Entwicklungszielen und -<br />
möglichkeiten innerhalb und außerhalb der Scientific Community. Wenn verschiedene<br />
ersichtliche Entwicklungspfade dementsprechend bewertet werden, können Unterschiede,<br />
Vor- und Nachteile in konkrete Beziehung zueinander gesetzt werden und<br />
Potentiale zur Verbesserung der verschiedenen Optionen können geweckt werden. So<br />
kann eine kriteriengeleitete Debatte, sofern sie allgemein akzeptable Eckpunkte festlegt,<br />
Gestaltungskräfte wecken und gesellschaftliche Entscheidungen in konfliktträchtigen<br />
Technologiefeldern vorbereiten helfen. Auch ein ausgesprochener Dissens über<br />
zugrundegelegte Kriterienkataloge kann ein wesentlicher Beitrag zu einem so strukturierten<br />
Bewertungs- und Gestaltungsdiskurs sein.<br />
So kann ein mehrfaches Ziel verfolgt werden:<br />
1 die Unterstützung einer frühzeitigen, fairen und vernünftigen, gesellschaftlichen<br />
Debatte;<br />
2 die Klärung von Gestaltungsspielräumen in der wissenschaftlich-technologischen<br />
Entwicklung und<br />
3 gegebenenfalls die aktive Beförderung gesellschaftlich akzeptabler Optionen.<br />
53
Kriterienkatalog für neue Nukleartechnologien<br />
<strong>IANUS</strong> bemüht sich zur Zeit in einem Kooperationsprojekt, entsprechende Kriterien für<br />
neue Nukleartechnologien aufzustellen. 10 Eine Vorfassung konnte im Rahmen eines<br />
Fachgesprächs „Neue Nukleartechnologien im Spannungsfeld von Naturwissenschaft<br />
und Ethik“, das <strong>IANUS</strong> im Frühjahr 1998 veranstaltete, diskutiert werden. Hier nahmen<br />
führende Vertreter beteiligter Forschungsinstitute teil sowie Vertreter von eher kritisch<br />
eingestellten Instituten und von Umweltverbänden.<br />
In aller Vorläufigkeit möchte ich einige Aspekte eines solchen Kriterienkatalogs hier vorstellen:<br />
1. Funktionsfähigkeit<br />
Unter Funktionsfähigkeit soll eine Reihe von Anforderungen gefaßt werden, die vom<br />
Nachweis der wissenschaftlichen und technischen Machbarkeit eines nuklearen<br />
Energiesystems ausgeht — also im Grunde von Selbstverständlichkeiten -, aber<br />
damit nicht stehenbleibt. Daneben ist die Genehmigungsfähigkeit gemäß einschlägiger<br />
nationaler Vorschriften zu berücksichtigen, die einen sicheren Betrieb der<br />
Komponenten des Systems und des Gesamtsystems betreffen.<br />
2. Sicherheit im Normalbetrieb<br />
Von der Gewinnung von Rohstoffen bis zur Entsorgung gehört die ganze Brennstoffspirale<br />
zu diesem Aspekt. Insbesondere geht es um die Begrenzung von Gefährdungen<br />
im Bereich der Brennstoffbearbeitung, durch kleinere Störfälle und<br />
Normalbetriebsemissionen.<br />
3. Katastrophenfreiheit<br />
Es muß nachprüfbar erkennbar sein, daß das Ziel einer wohldefinierten Katastrophenfreiheit<br />
erreichbar erscheint, d. h. das Unfallrisiko und das mögliche Schadensausmaß<br />
müßten drastisch reduziert werden können. Paragraph 7 des 1994 revidierten<br />
Deutschen Atomgesetzes gibt als eindeutiges Ziel vor, daß außerhalb der<br />
Anlagen — auch bei höchst unwahrscheinlichen Unfallabläufen — keine einschneidenden<br />
Katastrophenschutzmaßnahmen nötig werden sollen. Dies ist im Einklang<br />
mit den Anforderungen, die eine Expertengruppe der Internationalen Atomenergieorganisation<br />
vor einigen Jahren an das Design zukünftiger Nuklearsysteme gestellt<br />
hat. Hierbei werden auch probabilistische Überlegungen weiterhin eine wesentliche<br />
Rolle spielen, aber das Ziel des deterministischen Ausschlusses von folgenschweren<br />
Ereignissen (unter Definition einer sinnvollen Betrachtungsgrenze) muß ernst<br />
genommen werden.<br />
4. Proliferationsresistenz<br />
Wenn schon keine proliferationssichere Kerntechnologie vorstellbar ist, soll sie doch<br />
wenigstens resistent, robust gegen militärische Nutzung gemacht werden. Durchzuführende<br />
Maßnahmen betreffen unter anderem Restriktionen für den Gebrauch<br />
sensitiver atomwaffenrelevanter Nukleartechnologie in allen Ländern, die einschneidende<br />
Beschränkung des Umgangs mit waffenfähigen Materialien und das<br />
Design von Nukleartechnologie in einer Weise, daß ein Entstehen von waffengrädigen<br />
Materialien reduziert wird. Wenn man davon ausgeht, daß ein Überwachungssystem<br />
für Spaltstoffe niemals 'wasserdicht' gemacht werden kann, bleibt im Prinzip<br />
10 Hierbei handelt es sich um einen Teil eines TA-Studienprojektes im Auftrag des Schweizerischen Wissenschaftsrates.<br />
54
nur, die Brennstoffspirale so zu verändern, daß Waffenstoff so wenig wie möglich<br />
zugänglich wird.<br />
Dem probabilistischen Ansatz bei der Reaktorsicherheit entspricht ein auf Entdekkungswahrscheinlichkeiten<br />
basierendes Konzept nuklearer Safeguards. Auch hier<br />
wäre ein stärker deterministischer Ansatz durchgreifender, der Proliferationsrisiken<br />
an der technologischen Quelle auszuschließen sucht.<br />
5. Minimierung absehbarer Langzeitfolgen<br />
Absehbare Langzeitfolgen aus dem Betrieb von Anlagen sollten auf ein vertretbares<br />
Minimum reduziert werden. Für nukleare Technologien geht es hierbei insbesondere<br />
um langlebige radiotoxische Substanzen. Als 'vertretbare Minimierung' könnte eine<br />
Reduktion der Lagerungsnotwendigkeit auf menschlich-historisch übersehbare<br />
Zeiträume angesehen werden (also beispielsweise wenige Jahrhunderte oder weniger<br />
anstatt Jahrmillionen).<br />
6. Nachhaltige Rohstoffnutzung<br />
Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, daß die Reichweite der erforderlichen Rohstoffe<br />
für die Brennstoffertigung von vornherein in die Betrachtung miteinbezogen wird, so<br />
daß ein langer Horizont der Technologienutzung möglich erscheint. Eine mögliche<br />
Bestimmung der Meßlatte wäre die Anforderung, daß der vorhersehbare Nutzungshorizont<br />
weit über den theoretisch nutzbaren Zyklus für fossile Brennstoffe hinausgehen<br />
sollte — also mindestens viele Jahrhunderte bis weit ins nächste Jahrtausend<br />
hinein. Dies kann dadurch gerechtfertigt werden, daß aufwendige Entwicklungsarbeiten<br />
in Richtung einer nicht erneuerbaren Energiequelle, die wiederum nur<br />
als kurzfristige Übergangstechnologie wirksam werden kann, kaum sinnvoll erscheinen<br />
können. Dann müßte eher die Bemühung um einen schnellen Durchbruch<br />
im Bereich der regenerativen Energietechnologien absoluten Vorrang erhalten.<br />
7. Kalkulierbares Investitionsrisiko und nachhaltige Energiewirtschaft<br />
Für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit neuartiger (nuklearer) Energietechnologien<br />
sollte die notwendige, aber noch nicht operationalisierte, Internalisierung externer<br />
Kosten antizipiert werden. Hier ist jeweils eine ökologische Gesamtrechnung anzustreben.<br />
Die Förderung von neuen Energietechnologien sollte nicht allein von einer<br />
Prognostizierung eines stetig wachsenden weltweiten Energiebedarfs abhängig<br />
gemacht werden, sondern auch von der Wirkung verschiedener Maßnahmen auf<br />
eine Eindämmung dieser Entwicklung.<br />
8. Beitrag zur Erreichung von Klimaschutzzielen<br />
Der tatsächlich erwartbare Beitrag zur Erreichung von Klimaschutzzielen (beispielsweise<br />
Reduktion der CO_2-Emissionen) ist von hoher Bedeutung. Er muß in<br />
Konkurrenz zu denjenigen Beiträgen durch die mögliche Installierung anderer Energietechnologien<br />
— insbesondere erneuerbarer Energiequellen — überzeugend<br />
sein; dies auch hinsichtlich der spezifischen Kosten.<br />
9. Kulturverträglichkeit<br />
Hier sind Aspekte zu formulieren, die sich auf eine Sozialorientierung, Humanorientierung<br />
und Zukunftsorientierung beziehen. Stichworte betreffen die hohe Komplexität<br />
nuklearer Energietechnologien, eine prinzipielle Durchschaubarkeit der technischen<br />
Einrichtungen und Sicherheitsvorkehrungen durch nicht direkt beteiligte Experten<br />
und insbesondere auch Nicht-Experten und Nutzer, die Möglichkeit eines<br />
globalen Technologietransfers, Auswirkungen auf Strukturen weltweiter wissen-<br />
55
schaftlich-technischer Kooperation bzw. Abhängigkeitsverhältnisse, Demokratieverträglichkeit,<br />
etc.<br />
Schlußbemerkung<br />
Es bleibt abzuwarten, wie neue Nukleartechnologien gemäß eines solcherart strukturierten<br />
Kriterienrasters betrachtet und bewertet werden können und welche Gestaltungspotentiale<br />
sichtbar und gegebenenfalls entwickelbar werden. 11 Dann wird auch<br />
klarer zu sehen sein, ob oder wie weitgehend die Ambivalenzaspekte heutiger Nukleartechnologienutzung<br />
mit neuartigen technologischen Ansätzen angegangen werden<br />
können.<br />
Der Kreis schließt sich: Das Ambivalenz-eliminierende Projekt der Moderne und der<br />
damit angestoßene aber stets instabile und unabgeschlossene Drang zur Herrschaft<br />
der Rationalität lebt nach Bauman von der Ausgrenzung als irrational abqualifizierter<br />
Werturteile und moralischer Orientierung. In der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung<br />
soll mit unserem Ansatz eine entschiedene Gegenbewegung eingeleitet werden.<br />
Gleichzeitig sollen die Potentiale und Möglichkeiten wissenschaftlich-technischer<br />
Fortentwicklung bewußt geweckt werden. Dies sollte hier am Beispiel neuartiger Nukleartechnologien<br />
erläutert werden.<br />
<strong>IANUS</strong> sucht hierbei den Dialog mit den Beteiligten in der Forschung selbst, mit interdisziplinär<br />
Arbeitenden in der Umwelt- und Technikforschung, Entscheidungsträgern in<br />
der Politik, Vertretern von Umweltverbänden und der öffentlichen Meinung. Damit sollen<br />
Beiträge zu kooperativen Lösungen in diesen konfliktträchtigen Forschungs- und Entwicklungsfeldern<br />
möglich bzw. vorbereitet werden.<br />
Die Analyse und der gewünschte gesellschaftliche Diskurs bliebe allerdings unvollständig,<br />
wenn nicht auch die grundsätzlichen Alternativen auf der Basis anderer Energietechnologien<br />
einbezogen würden. Insbesondere die breite Palette regenerativer Energietechnologien<br />
ist von höchstem Interesse. Zwei wesentliche Aspekte dabei sind die<br />
Frage nach den zukünftigen Potentialen verschiedener Energietechnologien sowie die<br />
jeweilige Bewertung ihrer gesellschaftlichen Attraktivität und ihrer Entwicklungspotentiale<br />
angelehnt an einen (dann wohl noch zu erweiternden) Kriterienkatalog.<br />
11 Eine Vorarbeit dazu ist mit der von <strong>IANUS</strong> in Kooperation mit dem Öko-Institut erarbeiteten TA-Studie<br />
„'Fortgeschrittene Nuklearsysteme“' für den Schweizerischen Wissenschaftsrat zu erwarten.<br />
56
Perspektiven für Abrüstung und eine kernwaffenfreie Welt<br />
Gernot Erler<br />
Vor zehn Jahren wurde die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik<br />
und Sicherheit (<strong>IANUS</strong>) an der <strong>Technische</strong>n Hochschule <strong>Darmstadt</strong> gegründet. Die Motive<br />
ihrer Gründung gehen auf die globalen Gefährdungen durch die sich immer weiter<br />
nach oben drehende Rüstungsspirale des Kalten Krieges zurück. Daraus ergaben sich<br />
wichtige Schwerpunkte der Arbeit von <strong>IANUS</strong>: Rüstungskontrollforschung, Nonproliferation.<br />
Zum Gründungszeitpunkt hatte sich bereits eine Entschärfung der Blockkonfrontation<br />
angebahnt, führten Abrüstungsverhandlungen zu Erfolgen und fand schließlich im<br />
Jahr nach der <strong>IANUS</strong>-Gründung der Ost-West-Konflikt mit dem Fall der Berliner Mauer<br />
sein augenfälligstes Ende.<br />
Mit diesen Vorgängen verbanden sich große Hoffnungen auf umfassende Abrüstung<br />
und eine neue Politik der internationalen Konfliktbearbeitung. Bei meinen Darlegungen<br />
lasse ich mich von zwei Fragestellungen leiten: Wie haben sich die militärpolitischen<br />
Doktrinen in der Zwischenzeit entwickelt? Wie stellen sich die Perspektiven im Hinblick<br />
auf Abrüstung, vor allem auch nukleare Abrüstung, zur Zeit dar? Meine Antworten auf<br />
diese Fragen können gleichzeitig andeuten, in welcher Weise die vor zehn Jahren begonnene<br />
Arbeit heutige Aktualität besitzt.<br />
In der Tat hat ein militärpolitischer Paradigmenwechsel stattgefunden, nicht mit einem<br />
Knall und spektakulär, aber leise und beständig. Der Kalte Krieg versetzte die Menschen<br />
in Angst und Schrecken, allein schon durch die Gegenüberstellung von gewaltigen<br />
Offensivpotentialen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs und durch die allgegenwärtige<br />
Bedrohung eines aus Versehen oder im Rahmen einer nichtaufhaltbaren<br />
Eskalation entfesselten Atomkriegs. Der Kalte Krieg konstituierte aber gerade deshalb<br />
auch ein politisches System mit wirksamen Sicherungen und allseits respektierten Blokkaden<br />
gegen destruktives oder gefährliches Handeln. Die Kollektive auf beiden Seiten<br />
der Systemgrenze, als Bündnisse organisiert, setzten erfolgreich eine kontrollierte<br />
Selbstbeschränkung durch, die der globalen atomaren Patt-Situation Rechnung zollte.<br />
Das Ende der Sowjetunion begleitete auch das Ende dieses nicht risikolosen, aber vom<br />
Vertrauen auf die Rationalität der jeweiligen Systemgegner getragenen Balance-<br />
Systems. Als hätte der endlich weichende Druck, als höchste Priorität immer den Ausbruch<br />
eines atomaren aufeinanderschlagens der beiden Blöcke verhindern zu müssen,<br />
ungeahnte egoistische Energien freigesetzt, organisierte sich das internationale System<br />
nach 1990 immer mehr nach dem Vorbild eines ungezügelten Konkurrenzkampfes wie<br />
aus den Zeiten des Frühkapitalismus. Die eigenen Interessen durchsetzen, mit den Ellenbogen<br />
sowieso, im Bedarfsfall aber auch mit ökonomischem oder gar militärischem<br />
Druck – diese Maxime spiegelte sich in Leitlinien- und Doktrinenpapieren der neuen<br />
„Player“ am Spieltisch der Weltpolitik.<br />
In den Vereinigten Staaten können wir dabei eine Variante beobachten, die starke Auswirkungen<br />
auf die globale Abrüstungspolitik hat. Für die USA entstand nach dem Ende<br />
des Kalten Krieges ein spezifisches Legitimationsproblem. Washington hatte schon zu<br />
Zeiten der Systemkonfrontation ein einzigartiges Netz von militärischen Stützpunkten<br />
57
aufgebaut, natürlich in erster Linie, um möglichen sowjetischen Einflußnahmen notfalls<br />
auch militärisch an einem beliebigen Ort des Planeten entgegentreten zu können. Wie<br />
konnte die Aufrechterhaltung dieses globalen Potentials zur „power-projection“ noch<br />
gerechtfertigt werden, nachdem sich mit der Sowjetunion der Adressat einer solchen<br />
abwehrenden Machtentfaltung selbst aufgelöst hatte?<br />
Die amerikanische Antwort auf diese Frage trägt den Namen „Rogue-Doktrin“. 12 Sie<br />
basiert auf einer sehr simplen Differenzierung, die letztlich auf Überlegungen von Präsident<br />
Woodrow Wilson zurückgeht. Demnach gibt es zwei Sorten von Staaten: solche,<br />
die demokratisch, berechenbar und gut, und solche, die undemokratisch, unberechenbar<br />
und schlecht sind. Vertreter der zweiten Gruppe werden als „Schurken“-Staaten<br />
definiert, ohne daß der Kanon der Zugehörigen zu dieser Gruppe genau umrissen wird.<br />
Acht verschiedene Staaten mußten schon kürzer oder länger auf dieser Liste Platz<br />
nehmen: Irak, Iran, Nordkorea, Libyen, Syrien, Birma, Serbien und Kuba. Washington<br />
betreibt weltweit eine förmliche Ausgrenzungspolitik gegen diese Delinquenten, die<br />
auch – mal bewiesen, mal vermutet – mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung<br />
gebracht werden. Moralische Kategorien mischen sich dabei mit politischen. Amerika<br />
sieht es als seine Mission, diesen Regimen überall auf dem ganzen Globus entgegenzutreten,<br />
sie zu verfolgen und ihnen mit Wirtschaftsembargos die Luft abzudrehen.<br />
Die Weltmacht USA nimmt dafür ökonomische Verluste, z. B. 15 bis 19 Milliarden Dollar<br />
im Jahr 1995 durch entgangene Handelsprofite, in Kauf, erwartet aber von den eigenen<br />
Verbündeten, daß sie sich genauso verhalten und nicht etwa eine eigenständige Politik<br />
mit den „Rogues“ betreiben.<br />
Das neue Feindbild verteilt sich auf mehrere Staaten, die eigentlich nur einen gemeinsamen<br />
Nenner aufweisen: Es sind „Länder, die schlechte politische Beziehungen mit<br />
Washington haben“, wie es das Mitglied des „Nationalen Sicherheitsrats“ (NSC) Gary<br />
Seymour trocken definierte. Es wäre interessant zu untersuchen, inwieweit die Rogue-<br />
Doktrin eine Brücke herstellt zwischen den Verhältnissen der überwunden geglaubten<br />
Blockkonfrontation des Kalten Kriegs und einer neuen Freund-Feind-Konstellation, die<br />
dann auch herhalten muß für eine Perpetuierung der politischen und militärischen Kultur<br />
der Kalten-Kriegs-Periode über den Systembruch von 1989/1990 hinweg. Für die Frage<br />
der Friedensdividende ist aber wichtiger, daß die Schurkendoktrin die Abrüstungspolitik<br />
der westlichen Führungsmacht gravierend änderte.<br />
Wenn es in der Ära der Blockkonfrontation Durchbrüche bei Abrüstungsverhandlungen<br />
gegeben hat, dann deshalb, weil man sich schließlich darauf verständigte, nicht länger<br />
über mögliche politische Absichten mit vorhandenen Waffenarsenalen zu streiten, sondern<br />
sich auf die real existierenden militärischen Fähigkeiten zu konzentrieren und diese<br />
in sich ungefährlicher zu machen. Die Philosophie dieses höchst produktiven Schritts<br />
spiegelt sich sehr plastisch in dem Begriff der „Strukturellen Nichtangriffsfähigkeit“, die<br />
als Ziel konventioneller Abrüstung definiert wurde: Sicherheit herrscht dann, wenn kein<br />
Vertragspartner mehr technisch in der Lage ist, einen anderen mit Aussicht auf Erfolg<br />
anzugreifen – und nicht etwa dadurch, daß zu erfolgreichen Angriffsoperationen ausreichende<br />
Potentiale sich in der Hand von wohlwollenden Regierungen oder Staaten befinden.<br />
Eine Sicherheit schaffende Abrüstung muß also militärische Fähigkeiten quantitativ,<br />
qualitativ und geographisch so einschränken, daß nur ein sichtbarer Vertragsbruch<br />
und die Mobilisierung zusätzlicher Potentiale eine Angriffsgefährdung im technischen<br />
Sinne wiederherstellen können – Vorgänge, die Zeit kosten und der bedrohten Seite die<br />
Möglichkeit geben, die eigene Verteidigung vorzubereiten.<br />
12 Hierzu das Buch von Michael T. Klare: Rogue States and nuclear outlaws. New York 1995; sowie in<br />
deutscher Übersetzung der Essay von Eric Chauvistré: Schurken sind die Länder mit schlechten Beziehungen<br />
zu den USA. In: Frankfurter Rundschau, Dokumentation, 4.2. 1998.<br />
58
Die Rogue-Doktrin unterminiert diese Abrüstungsphilosophie. Sicherheit erscheint nicht<br />
mehr als Ergebnis von Abrüstungsprozessen, die einen Mißbrauch von militärischen<br />
Potentialen bei allen beteiligten Parteien erschweren oder gar technisch-strukturell unmöglich<br />
machen, sondern Sicherheit herrscht dann, wenn keine „unzuverlässigen<br />
Staaten“ über gefährliche Waffen verfügen. Nach dieser Logik schadet es nichts, wenn<br />
„gute“ Staaten über starke Waffen verfügen. Im Gegenteil: Diese Militärpotentiale werden<br />
geradezu gebraucht, um die „Schurkenstaaten“ an Aufrüstung zu hindern oder zur<br />
Abrüstung zu zwingen, während eine Abrüstung der „guten“ Staaten gar als sicherheitspolitisch<br />
verderblich gelten kann. Wer aber die „bösen“ Staaten im Falle ihres Fehlverhaltens<br />
glaubhaft mit militärischen Zwangsmaßnahmen bedrohen will, der muß dafür<br />
ein weltweites Netz von militärischen Stützpunkten unterhalten, um praktisch an jedem<br />
Punkt des Planeten eine wirksame „power projection“ entfalten zu können, und der<br />
braucht ein weltweites, unabhängiges (d. h. satellitengestütztes) Kommunikations- und<br />
Kontrollsystem, um gegebenenfalls militärische Operationen weit vom Heimatland entfernt<br />
durchführen zu können. Es gibt inzwischen nur noch ein Land, das über beides<br />
verfügt, nämlich die Vereinigten Staaten. Die Rogue-Doktrin deckt in perfekter Weise<br />
die Realitäten der gegenwärtigen weltpolitischen Rolle und Position Amerikas ab und<br />
verschafft diesen Realitäten eine konzeptionelle Legitimation.<br />
Die US-Regierung bemüht sich nicht nur um die absolute Vorrangstellung der amerikanischen<br />
Rüstungsindustrie auf dem Weltmarkt, sondern arbeitet seit einigen Jahren<br />
daran, eine Entwicklung rückgängig zu machen, die zu einer fast vollständigen Spartentrennung<br />
zwischen ziviler und militärischer Hochtechnologie geführt hat. Jetzt heißt<br />
die Devise, zivile und militärische Kapazitäten zu verschmelzen und die gewachsenen<br />
Barrieren zwischen den beiden Sparten abzubauen. Regierungsprogramme wie die<br />
„Acquisition Reform“ und das „Technology Reinvestment Program“ stellen sich ganz in<br />
den Dienst dieser Zielsetzung. Über Quersubventionierung, einen optimierten Technologietransfer<br />
und die Ausbeutung der entstehenden Synergie-Effekte sollen zivile amerikanische<br />
Produkte denselben Schub erhalten, der die Rüstungsgüter weltweit schon<br />
auf die Logenplätze bugsierte. Die Europäer werden hier mit einer ebenso smarten wie<br />
hemdsärmeligen Gesamtstrategie konfrontiert, die ihnen wenig Zeit läßt, ihre Antworten<br />
zu diskutieren.<br />
Für die Zukunft von Abrüstung, und Konversion hat die Rogue-Doktrin mit ihrem gewandelten<br />
Sicherheitsverständnis weitreichende Auswirkungen. Dies kann man am gegenwärtigen<br />
Status und an den Aussichten der großen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge<br />
gut nachverfolgen. 13<br />
Das wichtigste Abkommen zur atomaren Abrüstung, der am 03.01.1993 unterzeichnete<br />
START II-Vertrag, wartet z. B. noch immer auf seine Umsetzung. Schon jetzt ist klar,<br />
daß sein Ziel, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe in den Vereinigten Staaten und in der<br />
Russischen Föderation bis zum 01. Januar 2003 auf eine Stückzahl von jeweils 3 000<br />
bis 3 500 zu begrenzen, nicht mehr zu erreichen ist. Während der amerikanische Senat<br />
das Vertragswerk am 26.02.1996 (also drei Jahre nach der Unterzeichnung) ratifizierte,<br />
kann sich die russische Staatsduma bis heute zu diesem Schritt nicht entschließen. Das<br />
liegt zum einen daran, daß Moskau wegen des Verbots von Mehrfachsprengköpfen in<br />
START II eigentlich neue Trägerraketen entwickeln müßte, um die erlaubten Spreng-<br />
13 Über diesen Status berichtet detailliert: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um<br />
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotentiale<br />
(Jahresabrüstungsbericht 1996). Bundestagsdrucksache 13/7 389 vom 9.4.1997. Kritische Bewertungen<br />
dazu in dem jährlich erscheinenden „Friedensgutachten” der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft<br />
(FEST), des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität<br />
Hamburg (IFSH) und der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Letzte Ausgabe:<br />
Friedensgutachten 1997. Münster 1997, 390 S.<br />
59
köpfe überhaupt operativ machen zu können, wofür aber die finanziellen Mittel fehlen<br />
(deshalb kam die Idee auf, diesen Zustand zu „überspringen“, indem man schon jetzt<br />
über den nächsten Reduzierungsschritt im Rahmen von sogenannten „START III-<br />
Verhandlungen“ Einigkeit sucht). Haupthindernis aber ist, daß in den Vereinigten Staaten<br />
starke politische Kräfte vor allem bei den Republikanern den ABM (Anti-Ballistic<br />
Missile)-Vertrag vom 26.05.1972 zu Fall bringen wollen. Dieser Vertrag verbietet Systeme<br />
zur Abwehr strategischer, ballistischer Raketen und will dadurch einen Zustand<br />
wechselseitiger Verwundbarkeit als Garantie gegen Versuchungen, einen Gegner mit<br />
Atomwaffen zu bedrohen oder zu erpressen, auf Dauer sicherstellen. Die Aufrechterhaltung<br />
des „Gleichgewichts des Schreckens“ gehörte zur Überlebensphilosophie des<br />
Kalten Krieges.<br />
Inzwischen hat die republikanische Mehrheit im Kongreß ein NMD/TMD (National<br />
Missile Defense/Theatre Missile Defense)-Programm auf den Weg gebracht, das begrenzte<br />
Raketenabwehrfähigkeiten vorsieht. Dabei handelt es sich um eine abgespeckte<br />
Version des alten Strategic Defense Initiative (SDI), das „Star-Wars“-Projekt<br />
des US-Präsidenten Ronald Reagan der achtziger Jahre. Damit sollen das amerikanische<br />
Festland, aber auch Verbündete sowie im Ausland stationierte US-Streitkräfte gegen<br />
taktische Raketen mit Reichweiten bis zu 3 500 km geschützt werden. Sie könnten,<br />
so die Befürworter dieses Programms, aus russischen Stellungen kommen (falls in<br />
Moskau einmal weniger friedensbereite Kräfte die Oberhand gewinnen) – oder eben<br />
von den „Rogue-States“ abgefeuert werden. Zwar einigten sich Washington und Moskau<br />
am 21. August 1997 in Genf über die Abgrenzung sogenannter „erlaubter“ und<br />
„nicht-erlaubter“ Raketenabwehr, und ein entsprechendes Abkommen wurde am<br />
26.09.1997 durch die Außenminister unterzeichnet. Aber noch wirkt die russische Verweigerung,<br />
die gegen das Gesamtpaket START II und Auflösung des ABM-Vertrages<br />
gerichtet ist.<br />
Auch bei der nuklearen Abrüstung, deren Stellenwert in der westlichen Öffentlichkeit<br />
seit dem Ende des Kalten Krieges gesunken ist, spielt die „Rogue-Doktrin“ eine bestimmende<br />
Rolle. Denn die Sorgen in Washington über das russische Atomwaffenpotential<br />
halten sich in Grenzen, wenn man einmal von bestimmten Zweifeln absieht, ob<br />
alle Nuklearanlagen und Sprengstoffdepots ausreichend bewacht und kontrolliert werden.<br />
Die Befürchtungen aber, daß atomare Fähigkeiten an „unzuverlässige“ Staaten<br />
weitergegeben werden, haben sich eher verstärkt. Auch der Erfolg vom Mai 1995, als<br />
der Atomwaffensperrvertrag von 1968 zeitlich unbegrenzte Gültigkeit erhielt, konnte die<br />
Gefahren der Proliferation nicht endgültig bannen. Die Frage ist nur, mit welcher Strategie<br />
eine dauerhafte Durchsetzung der Nonproliferation zu erreichen ist. Der Weg, den<br />
die noch zu Zeiten der Systemkonfrontation verhandelten atomaren Abrüstungsverträge<br />
START I und START II sowie der Nichtverbreitungsvertrag (NPT) vorsahen, sollte mehrere<br />
Komponenten zusammenführen: die Selbstverpflichtung der fünf anerkannten<br />
Atomstaaten (USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich) zur Abrüstung, die<br />
Zurückhaltung der sogenannten atomaren Schwellenländer wie Indien, Pakistan und<br />
Israel bei der Fortführung ihrer Programme und den Verzicht der „Havenots“, überhaupt<br />
in die Entwicklung, in die Produktion oder in den Erwerb von Atomwaffen einzutreten.<br />
Unter dem Einfluß des Denkmodells „Gute Länder – Böse Länder“ hat sich an dieser<br />
Nonproliferations-Strategie einiges geändert. Die fünf Atomwaffenstaaten lassen sich<br />
Zeit mit ihrem eigenen Beitrag zur atomaren Abrüstung, getreu der Devise, daß die<br />
Verfügung von zuverlässigen Staaten über Massenvernichtungsmittel per se doch keine<br />
Gefahr darstelle. Sie unterschätzen dabei den unauflöslichen Zusammenhang von ihrer<br />
Selbstbeschränkung und dem von den nuklearen Habenichtsen wie den Schwellenlän-<br />
60
dern eingeforderten Verzicht. Schließlich wird man im Völkerrecht vergeblich nach einer<br />
Auskunft darüber suchen, welche Länder eigentlich das Recht auf Atomwaffen haben<br />
und welche nicht. Deshalb betonte schon der Atomwaffensperrvertrag von 1968 die Abrüstungsverpflichtung<br />
der großen Fünf, was im Mai 1995 bei seiner unbefristeten Verlängerung<br />
noch einmal unterstrichen wurde. Das neue Kalkül der Atommächte rechnet<br />
offensichtlich nicht mehr mit einer entschlossenen Einforderung der Abrüstungs-<br />
Selbstverpflichtung seitens der Nicht-Atom-Länder, bis hin zur Drohung, notfalls doch<br />
eigene Entwicklungsprogramme aufzulegen. Insbesondere Amerika nimmt statt dessen<br />
dieses Risiko hin, weil es eine Antwort auf den Eventualfall bereithält: Wo immer die<br />
Gefahr droht, daß Atomwaffen oder andere Massenvernichtungsmittel in die Hände<br />
„unzuverlässiger“ Staaten geraten, müssen dies die Vereinigten Staaten notfalls im Alleingang<br />
militärisch unterbinden. Wo sich dagegen „gute“ oder gar befreundete Staaten,<br />
z. B. Israel oder Pakistan, solche Fähigkeiten verschaffen, kann das kein Gegenstand<br />
der Sorge oder gar Anlaß zum Eingreifen sein. An die Stelle eines Nonproliferationsregimes<br />
auf der Basis von atomarer Abrüstung und vertraglichem Verzicht tritt schrittweise<br />
eine selektive Nichtverbreitungs-Strategie auf der Basis militärischer Erzwingung.<br />
Und auch für den Fall ist gesorgt, daß dieses Regime einmal eine Lücke offenlassen<br />
sollte: Käme es tatsächlich zu einem Angriff, der aus Versehen oder nach einem politischen<br />
Wechsel innerhalb einer der permanenten Atommächte oder durch einen „Schurkenstaat“,<br />
der sich heimlich doch entsprechende Kapazitäten verschafft hat, ausgelöst<br />
würde, dann soll die Antiraketen-Abwehr („Counterproliferation“) militärische Schutzfunktionen<br />
wahrnehmen – wenigstens für die USA und ihre Verbündeten.<br />
In diesem Konzept ist ein Funktionsverlust von Abrüstung für die globale Sicherheit angelegt,<br />
der die tendenzielle Entwertung der großen Abrüstungsverträge in der Zeitphase<br />
nach 1990 erklärlich macht. In der Praxis wirft dieses neue Nonproliferationsregime eine<br />
Menge Fragen und Probleme auf, allein schon durch die inhärente Anwendung von<br />
Doppelstandards. Wer entscheidet denn darüber, bei welchem Staat die Verfügung<br />
über Massenvernichtungsmittel akzeptabel ist und bei welchem nicht? Wer soll den<br />
Zeitpunkt bestimmen, wann eine präventive Entwaffnung eines „unzuverlässigen“<br />
Staates notwendig erscheint? Und wird sich tatsächlich auf Dauer das Ziel der Nichtverbreitung<br />
erreichen lassen auf der Basis einer globalen atomaren Klassengesellschaft<br />
– hier die „Permanent Five“ mit ihrer Verfügung über Atomwaffen, mit ihren Vetorechts-<br />
Privilegien im UN-Sicherheitsrat, mit ihrer Entscheidungsbefugnis darüber, wer als „guter“<br />
Staat dem Nonproliferationsgebot entgegenhandeln darf, und ausgestattet mit Amerika<br />
als Exekutor, falls „böse“ Staaten dasselbe tun wollen, und dort, auf der anderen<br />
Seite, all jene Staaten, die sich gefälligst in ihr Schicksal als atomare Habenichtse zu<br />
fügen haben? Vieles spricht dafür, daß der Versuch, ein solches Regime durchzusetzen,<br />
auf Widerstand stoßen wird und es sich möglicherweise nur durch ständige Gewaltandrohung<br />
oder Gewaltanwendung aufrechterhalten läßt.<br />
Einen ganz wesentlichen Beitrag zur Absicherung der Nichtverbreitung leistet der Vertrag<br />
über das Umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT), der nach vierzigjährigen<br />
Bemühungen im Sommer 1996 fertiggestellt und im September desselben Jahres<br />
einer Staatenkonferenz am Rande der UN-Generalversammlung zur Zeichnung vorgelegt<br />
wurde. Der Vertrag kann formal erst in Kraft treten, wenn ihn auch die drei atomaren<br />
Schwellenländer Indien, Pakistan und Israel ratifiziert haben. Namentlich Indien<br />
lehnt dies bisher allerdings ab und hat sich zum Sprecher jener Länder gemacht, die<br />
nachdrücklich eine umfassende Abrüstungs-Selbstverpflichtung der Atommächte verlangen,<br />
wenn sie selbst auf Atomtests verzichten sollen. Das zeigt noch einmal, wie<br />
wichtig weitere Fortschritte bei der atomaren Abrüstung für die Zukunft der Nichtver-<br />
61
eitung sind. Man kann allerdings davon ausgehen, daß die Vertragsstaaten den<br />
Atomteststoppvertrag auch ohne seine formale Gültigkeit einhalten werden.<br />
Die Befürworter einer weltweiten nuklearen Abrüstung verbanden mit dem CTBT hoffnungsfrohe<br />
Erwartungen. Sie glaubten sich dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt nähergerückt:<br />
Während der Teststopp die Entwicklung neuer A-Waffen verhindern würde,<br />
sollte der Abrüstungsprozeß über die START-Verträge fortschreiten und in der nächsten<br />
Runde auch die bisher nichtbeteiligten Atommächte China, Großbritannien und Frankreich<br />
in neue Abrüstungsverpflichtungen mit einbeziehen.<br />
Inzwischen ist auch hier Ernüchterung eingetreten. Denn die Atomspezialisten in den<br />
drei großen „National Laboratories“ der Vereinigten Staaten (Los Alamos, Lawrence<br />
Livermore und Sandia) mußten sich keineswegs andere Arbeit suchen. Das „Department<br />
of Energy“ in Washington legte vielmehr ein „Stockpile Stewardship and Management<br />
Program“ auf, für das der Kongreß für die nächsten 10 Jahre 40 Milliarden US-<br />
Dollar bewilligte. Vorgesehen sind umfangreiche Testreihen, um jederzeit die Zuverlässigkeit<br />
und Einsatzfähigkeit der amerikanischen Atomstreitmacht sicherstellen zu können.<br />
Amerikanische Kritiker haben allerdings zahlreiche Hinweise darauf zusammengetragen,<br />
daß im Rahmen dieses Programms auch neue Atomwaffen entwickelt und mit<br />
neuen Techniken, die zwar nicht formal, aber von der Zielsetzung her den Atomteststoppvertrag<br />
unterlaufen, getestet werden sollen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht<br />
dabei eine neue Anlage bei Lawrence Livermore, die 1,2 Milliarden Dollar kostet, sich<br />
„National Ignition Facility“ nennt und bald die größte Laser-Anlage der Welt darstellen<br />
wird. Technisch versierte Analytiker können zwar nicht erkennen, welche Aufgaben dieser<br />
Komplex zur Sicherung der bisherigen Waffenprogramme zu leisten vermag, sehen<br />
aber wohl die Möglichkeit, mit dieser Anlage in die Entwicklung einer neuen Generation<br />
von Fusionswaffen einzusteigen. Erste Resultate der milliardenschweren Forschungsarbeit<br />
der drei „Labs“ erblicken schon das Licht der Welt, so der neue atomare, bodendurchdringende<br />
Sprengkopf B 61-11, der aber offiziell als „nicht-neu“ bezeichnet wird. 14<br />
Die verzögerte atomare Abrüstung und die riesigen Investitionen in die Betreuung bzw.<br />
Modernisierung der bestehenden Atomwaffenbestände schmälern die Hoffnungen auf<br />
einen Weg in die atomwaffenfreie Welt, in der die Problematik der Weiterverbreitung<br />
von Kernwaffen fundamental „gelöst“ wäre und die atomare Bedrohung zu ihrem Ende<br />
käme. Im Gegenteil, für die Zukunft der Nichtverbreitungspolitik können wegen des erfolgten<br />
Wechsels der Strategie keine guten Prognosen gestellt werden 15 .<br />
Ich komme zum Schluß auf die eingangs angesprochene Aktualität von <strong>IANUS</strong> zurück.<br />
Sie ist nicht nur im Hinblick auf die inzwischen erweiterten Aufgabenstellungen und die<br />
neueren Projekte, sondern auch im Hinblick auf die ursprünglichen Motive und Schwerpunkte<br />
– Rüstungskontrolle, Abrüstung, Nonproliferation – weiter gegeben, so sehr man<br />
dies aus friedenspolitischen Gründen bedauern mag. Es ist weiterhin wichtig, die Proliferationsgefahren<br />
im Entwicklungszusammenhang neuer nuklearer Technologien zu<br />
untersuchen. Dual-use und die Ambivalenz moderner Technologieentwicklung wird zunehmend<br />
ein Thema. Es ist wichtig, die Gefahren neuer Entwicklungen bei den Massenvernichtungswaffen,<br />
darunter auch die Biowaffen, aufzudecken. Es ist wichtig, die<br />
Bemühungen um eine kernwaffenfreie Welt zu intensivieren, wie <strong>IANUS</strong> dies auf inter-<br />
14 Zur Bewertung des Stewardship-Programms William M. Arkin: What’s „New“? In: The Bulletin of the<br />
Atomic Scientist, Nov./Dec. 1997, S. 22-27; zum bisher erfolglosen Widerstand gegen die Programme<br />
Brendan Mathews: No stopping it now. Ebenda, S. 28-31.<br />
15 Eine umfassendere Analyse hat der Autor vorgelegt mit seinem Buch „Global Monopoly – Weltpolitik<br />
nach dem Ende der Sowjetunion”, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998.<br />
62
nationaler Ebene im Rahmen des International Network of Engineers and Scientists<br />
Against Proliferation (INESAP) seit Jahren tut und wie Sie es bei Ihrer bevorstehenden<br />
Tagung „Wege zu einer kernwaffenfreien Welt“ wieder vorhaben.<br />
63
Lesung: Brodeks schwimmende Erdbeeren<br />
Alex Deppert<br />
Grüner ist es geworden in den Städten. Und röter. In ziemlich kurzer Zeit haben Bahnhöfe,<br />
Industriegebiete, Hausdächer einen großen Teil ihres Grauschleiers verloren.<br />
Lange war ich froh, daß kaum jemand wußte, welchen Anteil ich an der Geschichte<br />
hatte. Aber ich werde jeden Tag und überall an meine Fahrlässigkeit erinnert. Nur im<br />
Winter finde ich etwas Ruhe — dann decken Kälte und Schnee einen Schleier über die<br />
wuchernde Erinnerung. Aber jetzt ist es Sommer und es wird jeden Tag schlimmer.<br />
Ich hatte Brodek das erstemal bei einer Diskussionsveranstaltung über die Gefahren<br />
der Gentechnik getroffen. Er war Genetiker und saß auf dem Podium, wo er die wüstesten<br />
Anschuldigungen ruhig und geduldig über sich ergehen ließ. Dabei argumentierte<br />
er sehr differenziert: natürlich sei es nicht ungefährlich, mit Genen einfach nur herumzuexperimentieren<br />
und die Entwicklung von Biowaffen lehne er überhaupt völlig ab.<br />
Man müsse sich aber vergegenwärtigen, was die Gentechnik der Menschheit zu bieten<br />
habe: Pflanzen, die keine Insektizide bräuchten, Pflanzen, die man in der Wüste anbauen<br />
und mit Meerwasser gießen könne, Pflanzen, die oben Tomaten und unten Kartoffeln<br />
trügen und so viel weniger Feldfläche verbräuchten... Die anderen Diskussionsteilnehmer<br />
gingen auf seine Argumente erst gar nicht ein. Brodek machte einen guten<br />
Eindruck auf mich, obwohl er um seine Lage wirklich nicht zu beneiden war. Man hatte<br />
ihn ganz offensichtlich eingeladen, um ihn auf offener Bühne auseinanderzunehmen.<br />
Man hätte an seiner Stelle ebensogut einen Punchingball aufstellen können, auf den<br />
man ungestraft einschlagen kann — oder eine Plastikpuppe, wie man sie bei simulierten<br />
Verkehrsunfällen benutzt.<br />
Zwar war ich selbst zu dieser Veranstaltung gekommen, weil ich mit Gentechnik eher<br />
Befürchtungen als Hoffnungen verband. Aber das fand ich nicht fair.<br />
Nach der Podiumsdiskussion sprach ich Brodek an. Das war nicht leicht, da er immer<br />
noch von wütenden Mitmenschen umringt wurde. Ich teilte ihm mit, daß ich zwar nicht<br />
seiner Meinung sei, aber die Ruhe und Sachlichkeit bewunderte, mit der er diese für ihn<br />
höchst unangenehme Situation überstanden hatte. Er bedankte sich und wollte wissen,<br />
in welchen Punkten ich denn nicht seiner Meinung sei. Ich hatte den Eindruck, er war<br />
froh darüber, einen „vernünftigen“ Menschen, eine Art Rettungsanker gefunden zu haben.<br />
Vielleicht hatte ihm das Ganze mehr ausgemacht, als er sich hatte anmerken lassen.<br />
Er sagte mir, sein Zug führe erst in zwei Stunden und hier wolle er nicht bleiben.<br />
Ob ich nicht einen Ort wüßte, an dem es etwas ruhiger sei. So gingen wir in ein Café<br />
und unterhielten uns weiter. Er erzählte mir von seinen neuesten Projekten, die alle mit<br />
Landwirtschaft zu tun hatten. Überhaupt arbeite er nur mit Pflanzen und nur an zivilen<br />
Projekten, versicherte er mir mit ehrlichem Engagement. Bevor er sich verabschiedete,<br />
lud er mich ein, ihn in seinem Institut zu besuchen.<br />
Zwei Wochen später rief er an und sagte, er habe am Wochenende an seiner Arbeitsstelle<br />
zu tun und könne sie mir bei dieser Gelegenheit zeigen, wenn ich Zeit und Lust<br />
hätte. Ich sagte zu und fuhr am folgenden Sonntag zu seinem Institut.<br />
Ich hatte es mir anders vorgestellt: überall standen große und kleinere Glaskästen, in<br />
denen verschiedene Pflanzen wuchsen. Im größten dieser Kästen wuchs ein Kornfeld<br />
unter künstlichem Sonnenlicht. Dann betraten wir ein riesiges Gewächshaus. Dort be-<br />
65
fand sich das neueste Schmuckstück aus Brodeks Arbeiten, wie er selbst sagte: eine<br />
kleine Kolonie kräftiger Erdbeerpflanzen, die jede für sich aus kleinen Plastikbehältern<br />
wuchs.<br />
Sie sahen wie gewöhnliche Erdbeeren aus. Zumindest ich als Nichtfachmann sah keinen<br />
Unterschied. Um so interessanter war aber das, was Brodek mir erzählte. Diese<br />
Erdbeeren könne man fast das ganze Jahr über in rascher Folge ernten, die ersten<br />
schon wenige Wochen nach der Aussaat — man könne sie neben der Vermehrung<br />
durch Ausläufer auch säen, was bisher bei Erdbeeren schwierig gewesen sei. Ihr Saatgut<br />
sei sehr unempfindlich. Die Pflanzen bräuchten keine Insektizide, weil sie besonders<br />
widerstandsfähig seien. Außerdem bräuchten sie keine Dünger und faktisch keine<br />
Erde, unter anderem weil sie in der Lage seien, den Stickstoff aus der Luft aufzunehmen.<br />
Wichtige Spurenelemente würden sie aus dem Wasser gewinnen, von dem sie<br />
aber auch nur wenig bräuchten. Salzwasser sei ihnen ebenso lieb wie anderes, deshalb<br />
müsse man kein Trinkwasser verschwenden, um sie zu wässern. Brodek hatte keine<br />
Mühe gescheut: da sie schwimmen würden, könne man sie auch als Wasserpflanzen<br />
anbauen, ebensogut wie auf beinahe jedem beliebigen Untergrund. Eigenschaften von<br />
Rankpflanzen würden sie ebenfalls aufweisen.<br />
Brodek erklärte, alle diese neuen Merkmale seien den Erdbeerpflanzen mit Hilfe der<br />
Gene anderer Pflanzen verliehen worden, aber das eigentlich Interessante sei die<br />
Kombination und die Verträglichkeit all dieser Eigenschaften.<br />
Das Allerschönste aber sei, daß sie hervorragend schmeckten. Er reichte mir eine große,<br />
rote Frucht. Ich zögerte einen Augenblick, konnte dann aber nicht widerstehen. Sie<br />
schmeckte tatsächlich sehr gut.<br />
Was er nun mit diesen Erdbeeren vorhabe, fragte ich ihn. Er zuckte mit den Schultern<br />
und erklärte mir mit sichtlichem Bedauern, daß die Zeit für seine Beeren wohl noch<br />
nicht reif sei. Im Moment seien sie nicht viel mehr als ein Demonstrationsobjekt, außerdem<br />
ein Vorversuch für ähnliche Vorhaben mit allen möglichen Nutzpflanzen. Auf meine<br />
Frage, ob es bald auch schwimmende Kirschbäume gäbe, erwiderte er lachend, man<br />
wolle nicht allen Pflanzen gleichzeitig so viele neue Eigenschaften verleihen. Er habe<br />
am Beispiel der Erdbeeren demonstrieren wollen, was möglich sei und wie eine wachsende<br />
Menschheit ohne größeren Verbrauch fruchtbaren Ackerlands ernährt werden<br />
könne. Er sei nur einer von vielen, die sich im Bereich der Gentechnik um dieses Problem<br />
bemühten. Im Unterschied zu seinen Kollegen arbeite er jedoch schon sehr lange<br />
kontinuierlich speziell mit Erdbeerpflanzen. Sie seien zum Erforschen der Geschmacksverbesserung,<br />
die sein zusätzliches Anliegen sei, besonders gut geeignet.<br />
Anschießend zeigte er mir noch verschiedene Projekte seiner Kollegen, an manchen<br />
war er beteiligt. Den meisten Pflanzen sah man nicht an, daß sie genetisch verändert<br />
waren. Die auffälligsten Arten zeigte mir Brodek kurz bevor wir uns voneinander verabschiedeten:<br />
einen kleinen Bananenbaum, der bei mitteleuropäischem Klima gedieh und<br />
einen drei Meter hohen, mehrere Jahre alten Tomatenbaum mit dickem Stamm.<br />
Am nächsten Tag teilte man mir an meiner Arbeitsstelle mit, die Auftragslage meines<br />
Unternehmens ließe es günstig erscheinen, wenn die Arbeitnehmer ihre Überstunden<br />
abfeiern würden oder Urlaub nähmen. So entschloß ich mich spontan, in den Urlaub zu<br />
fahren.<br />
Als ich erholt zurückkehrte, war mein Anrufbeantworter voller Anrufe, aus meinem<br />
Briefkasten quollen die Briefe — und aus meiner Toilette Erdbeerpflanzen.<br />
Anrufe und Briefe waren fast alle von Brodek. Er hatte nicht mitbekommen, daß ich in<br />
den Urlaub gefahren war und verzweifelt versucht, mich zu erreichen. Samen von seinen<br />
Erdbeeren waren ins Freiland gelangt, und er hatte den „begründeten Verdacht“,<br />
daß auch ich zu ihrer Verbreitung beigetragen hätte. Die Erdbeersamen würden nach<br />
66
der Verdauung unversehrt ausgeschieden. Ich solle mich sofort melden. Man könne<br />
jetzt vielleicht noch etwas machen. Er klang sehr beunruhigt.<br />
Zuletzt hatte er mir ein großes Päckchen geschickt, das ich bei der Post abholte. In dem<br />
beiliegenden Brief verabschiedete er sich und erklärte, er würde für unbestimmte Zeit<br />
an einen unbestimmten Ort verreisen. Das Päckchen enthielt eine starke Säure, die<br />
Erdbeerpflanzen abtöten sollte. Ich goß sie in meine Toilette. Es stank und qualmte, die<br />
Pflanzen lösten sich beinahe auf darin.<br />
Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache und bald auch ein schlechtes Gewissen. Ich<br />
hätte mich gleich bei Brodeks Institut oder anderen Fachleuten melden sollen. So hoffte<br />
ich nur, alles würde so schlimm schon nicht sein. Schließlich ging es nur um Erdbeeren.<br />
Es vergingen Wochen, in denen ich von Brodek nichts hörte — ich hörte überhaupt nie<br />
wieder etwas von ihm. Von seiner Schöpfung aber tauchten nach und nach Berichte<br />
auf, zunächst im Unterhaltungsteil mancher Nachrichtensendungen. Es waren Berichte<br />
über eine rätselhafte Erdbeerplage, die sich, ausgehend von den beiden ersten meiner<br />
Urlaubsorte, bald an vielen verschiedenen Orten ausbreitete. Ein Teil der Erdbeeren<br />
wuchs im Meer, am Anfang da, wo wahrscheinlich eines der Hotels, die ich besucht<br />
hatte, illegalerweise seine Abwässer einleitete.<br />
Allen meiner Mitmenschen kamen diese Nachrichten skurril vor — außer mir. Manche<br />
fanden es sogar lustig oder gut und forderten kostenlose Erdbeeren für alle.<br />
Die sollten sie bekommen:<br />
Die Erdbeeren verbreiteten sich mit rasender Geschwindigkeit. Heimkehrende Touristen<br />
oder Geschäftsreisende halfen ihnen dabei, außerdem Vögel und andere Tiere.<br />
Die Kläranlagen der Städte waren oft mit zuerst betroffen, dort konnte man die Pflanzen<br />
aber auch noch recht gut bekämpfen.<br />
Man setzte ein Gerücht in die Welt, die Erdbeeren seien ungesund. Wie man bald darauf<br />
zugeben mußte, wußte man nichts über ihre Wirkung auf die Gesundheit. Man hatte<br />
gehofft, durch das Gerücht die Verbreitung der Erdbeeren durch Verzehr und Ausscheidung<br />
zu stoppen. Es war zu spät.<br />
Bereits im nächsten Jahr wuchsen die Erdbeeren fast überall — auf Autodächern, in<br />
Hinterhöfen, auf den Straßen, auf Baumkronen, aus Waschbecken, Toiletten und natürlich<br />
dort, wo anderes wachsen sollte. Sie machten sich auf Hausdächern breit und<br />
rankten sich die Wände entlang. Von dort aus fielen ihre Früchte vollreif auf die Straßen.<br />
Dieser Effekt war natürlich bei Hochhäusern und bei Wind besonders stark. Die<br />
Straßen verwandelten sich zusehends in schimmelnde Komposthaufen, in matschige<br />
Schlitterbahnen mit Luftwurzeln als Fußangeln. Alles war verklebt und der faulende,<br />
gärende Geruch hing überall, so daß man ihn nach wenigen Monaten kaum noch wahrnahm.<br />
Es wurden Bürgertrupps aufgestellt, die den ganzen Tag Erdbeerpflanzen ausrissen. So<br />
versuchte man auch, wenigstens Teile der natürlichen Fauna und Flora zu retten oder<br />
noch ein paar andere Pflanzen anzubauen. Aber für jeden Ort, an dem man sie ausgerissen<br />
und verbrannt hatte, tauchten sie an fünf neuen Orten auf. So konzentrierte man<br />
sich schnell auf bestimmte Orte, kleinere Waldgebiete wurden sogar eingemauert. Der<br />
Rest wurde sich selbst und damit den Erdbeerpflanzen überlassen. Brodek hatte ganze<br />
Arbeit geleistet.<br />
Der Versuch einzelner Länder oder Regionen, sich abzuschotten, erwies sich als<br />
sinnlos: die Erdbeeren verbreiteten sich über das Meer als weltumspannender Vegetationsteppich,<br />
der schon bald der Schiffahrt neue Technologien aufzwang und das Satellitenbild<br />
des gesamten Planeten änderte.<br />
Heute sind die Erdbeeren jedem ein Greuel. Andere Lebensmittel sind unerschwinglich<br />
geworden, und alles, was man mit Erdbeeren machen kann, hängt jedem zum Hals<br />
raus.<br />
67
Konserven und Einmachgläser aus der Zeit vor der Katastrophe sind daher eine Kostbarkeit.<br />
Auch ich hatte davon noch einige im Keller, die ich nach und nach verbraucht<br />
habe — bis auf ein unbeschriftetes Glas mit roter Marmelade. Ich habe es lange aufgrund<br />
eines Verdachts nicht angefaßt, der sich heute bestätigt hat: es ist Erdbeermarmelade.<br />
68
<strong>IANUS</strong><br />
stellt sich vor<br />
Entstehung, Aufgaben und Ziele<br />
Im Jahre 1987 hat sich an der <strong>Technische</strong>n Universität <strong>Darmstadt</strong> (TUD) eine Gruppe von<br />
Hochschulmitgliedern zusammengefunden, die ihre Lehrtätigkeit zu Fragen der Friedensforschung<br />
bündeln und eine gemeinsame Forschungstätigkeit initiieren wollte. Diese Bemühungen<br />
mündeten in die Gründung der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und<br />
Sicherheit (<strong>IANUS</strong>), die mit einer Bewilligung von Forschungsmitteln der Volkswagen-Stiftung<br />
zum 1.4.1988 ihre Arbeit aufnahm.<br />
<strong>IANUS</strong> behandelt drängende Problembereiche, die von Naturwissenschaft und Technik beeinflußt<br />
werden, und in gesellschaftlichen Risiko- und Konfliktsituationen wesentlich im Hinblick auf<br />
Sicherheitsfragen sind. <strong>IANUS</strong> will mit seinen derzeitigen Projekten einen Beitrag zur Problemwahrnehmung<br />
und Lösung auf folgenden Gebieten leisten:<br />
• Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskonversion mit Schwerpunkt<br />
bei atomaren und biologischen Waffen sowie deren Trägersystemen, Konzeptionen für eine<br />
kernwaffenfreie Welt<br />
• Zivil-militärische Ambivalenz von Naturwissenschaft und Technik sowie Rüstungstechnikfolgenforschung,<br />
auch im Hinblick auf ein Konzept vorbeugender Rüstungskontrolle<br />
• Mathematische Modelle im Sicherheits- und Umweltbereich<br />
• Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft, bearbeitet vor allem an Fallbeispielen<br />
neuer nuklearer Technologien und internationaler Kooperation in der Klimapolitik<br />
• Verantwortung und Ethik in der Wissenschaft, Entwicklung eines Konzepts prospektiver Ethik<br />
und prospektiver Technikfolgenabschätzung sowie dessen Erprobung an exemplarischen<br />
Fällen<br />
Die gemeinsame Zielrichtung des Forschens und Lernens ist in dem aktuellen <strong>IANUS</strong>-<br />
Rahmenthema zusammengefaßt: Kooperative Lösungen technikbedingter Konflikte im<br />
Kontext von Sicherheit und Nachhaltigkeit. Damit wird der inhaltlichen Entwicklung von<br />
<strong>IANUS</strong> Rechnung getragen. Während sich die <strong>IANUS</strong>-Arbeit in der Gründungsphase fast ausschließlich<br />
auf naturwissenschaftlich begründete Beiträge zu friedens- und sicherheitspolitisch<br />
bedeutsamen Themenstellungen konzentrierte, werden heute Einflußfaktoren aus Naturwissenschaft<br />
und Technik, die allgemeiner definierte Konfliktkonstellationen in den Bereichen von Sicherheitsrisiken,<br />
internationaler Sicherheit und Nachhaltigkeit mitbestimmen, anhand von Einzelfragestellungen<br />
untersucht.<br />
69
Arbeitsweise<br />
Der Arbeit von <strong>IANUS</strong> liegt die Überzeugung zugrunde, daß traditionelle disziplinäre Forschungsansätze<br />
nicht mehr ausreichen, angemessen auf die neuen Herausforderungen zu reagieren,<br />
mit denen die Wissenschaft angesichts aktueller Problemlagen konfrontiert ist. Gleichzeitig<br />
möchte <strong>IANUS</strong> zu einer Weiterentwicklung der Praxis von Interdisziplinarität und Transdisziplinarität<br />
und zum Verständnis angemessener Disziplinarität beitragen. Mit ihrem schwerpunktmäßig<br />
naturwissenschaftlich-technischen Ansatz sieht sich <strong>IANUS</strong> als notwendige Erweiterung<br />
zu der bislang eher sozialwissenschaftlich orientierten Friedens- und Konflikt- sowie<br />
Technikfolgenforschung.<br />
In der Art der Problemwahrnehmung und bei der Diskussion von Handlungsoptionen werden<br />
notwendigerweise wichtige ethische Aspekte berührt. <strong>IANUS</strong> bemüht sich, den Prozeß ethischer<br />
Urteilsbildung explizit zum Leitfaden in speziellen Projekten zu machen.<br />
Parallel zu den Forschungsarbeiten in den Einzelprojekten, die von den jeweiligen ProjektbearbeiterInnen<br />
in enger Rückkopplung mit den anderen Gruppenmitgliedern durchgeführt werden,<br />
arbeitet die gesamte Forschungsgruppe an gemeinsamen übergeordneten Themen. Zu diesen<br />
Themen gehören interdisziplinäre Begriffsklärungen, die Frage nach den bestimmenden Faktoren<br />
der Rüstungsdynamik, die Problematik der zivil-militärischen Ambivalenz von Wissenschaft<br />
und Technik oder die Suche nach verantwortungsvoller Energieversorgung für die Zukunft.<br />
Unter dem Prinzip des forschenden Lernens wird <strong>IANUS</strong> auch im Bereich der fachübergreifenden<br />
Lehre tätig. Die <strong>IANUS</strong>-Seminare liefern Beiträge zur Thematik der Risikogesellschaft, zur<br />
Ambivalenz von Wissenschaft und Technik, zu Methoden und Modellen der Konfliktforschung,<br />
zu Möglichkeiten der Friedensförderung sowie zu Fragen des Selbstverständnisses und der<br />
Verantwortung der Wissenschaften.<br />
Durch ihre disziplinäre und interdisziplinäre Arbeit in Forschung und Lehre möchte <strong>IANUS</strong> einen<br />
Beitrag zur Innovation der Hochschule leisten. Zur disziplinären Arbeit gehört die Anfertigung<br />
von Diplom-, Doktor- und Habilitationsarbeiten. <strong>IANUS</strong> füllt seit der Gründung des Zentrums für<br />
Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) der TUD den Arbeitsbereich „Rüstungskontrolle“ aus,<br />
arbeitet im Bereich „Technik und Umwelt“ mit und wird im Rahmen der Projektförderung vom<br />
ZIT unterstützt.<br />
Die Arbeit von <strong>IANUS</strong> ist in vielfältige Kooperationen mit in- und ausländischen wissenschaftlichen<br />
Institutionen eingebunden. Die Expertise von <strong>IANUS</strong> ist von einer Reihe von Technik-<br />
Folgenabschätzungs-Institutionen, parlamentarischen Gremien, internationalen Organisationen<br />
und Medien nachgefragt. Damit leistet <strong>IANUS</strong> auch wichtige Beiträge an der Schnittstelle zwischen<br />
Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung<br />
gehört zum Selbstverständnis von <strong>IANUS</strong>.<br />
70
Organisation und Finanzierung<br />
Zur Zeit arbeiten bei <strong>IANUS</strong> insgesamt 16 HochschullehrerInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen,<br />
DoktorandInnen aus sieben natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sowie eine<br />
Sekretärin und etwa zehn studentische Hilfskräfte. <strong>IANUS</strong> lebt aus der interdisziplinären Kommunikation<br />
und organisiert sich dementsprechend selbst: Das zentrale Informations-, Diskussions-<br />
und Entscheidungsgremium ist die wöchentlich stattfindende zweistündige <strong>IANUS</strong>-<br />
Versammlung, bei der sowohl inhaltliche als auch organisatorische Fragen behandelt werden.<br />
Zwei gewählte Sprecher vertreten <strong>IANUS</strong> gegenüber Hochschule, Wissenschaftspolitik und<br />
Öffentlichkeit. Der <strong>IANUS</strong>-Förderverein e.V. organisiert insbesondere die Kommunikation zwischen<br />
<strong>IANUS</strong> und der Öffentlichkeit in und außerhalb der Hochschule in der Form von Symposien,<br />
Tagungen u.ä.<br />
Nach einer Startfinanzierung durch die Volkswagen-Stiftung wurden durch <strong>IANUS</strong> erhebliche<br />
Finanzmittel bei US-amerikanischen und deutschen Stiftungen, u. a. der John D. and Catherine<br />
T. Mac Arthur-Foundation und der Berghof Stiftung für Konfliktforschung sowie bei der DFG,<br />
beim Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) und vom Schweizer<br />
Wissenschaftsrat eingeworben.<br />
Seit 1993 wird <strong>IANUS</strong> an der <strong>Technische</strong>n Universität <strong>Darmstadt</strong> als zentrale wissenschaftliche<br />
Einrichtung geführt und durch die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, eine halbe Sekretariatsstelle<br />
sowie durch räumliche Unterbringung gefördert. Das Land Hessen trägt seitdem<br />
ebenfalls zur Finanzierung durch eine jährliche Zuweisung bei.<br />
Eine Liste der Publikationen von <strong>IANUS</strong> ist im <strong>IANUS</strong>-Sekretariat erhältlich.<br />
71
Außenwirkungen<br />
Einige Beispiele für gesellschaftspolitisch relevante Anstöße, die über Forschung und Lehre an<br />
der TUD hinausgehen:<br />
• Vorbereitung von wichtigen und innovativen Abrüstungsvorschlägen (z. B. Anstoß für ein<br />
Projekt zur präventiven Rüstungskontrolle des Deutschen Bundestages, international beachteter<br />
Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention)<br />
• Aufzeigen von neuartigen naturwissenschaftlich-technischen Möglichkeiten und Grenzen von<br />
Abrüstungsvorschlägen (z. B. Abbau von Plutoniumbeständen, Krypton-85 als Indikator für<br />
Plutoniumseparation, Integration von Tritium in Nuklearkontrollen, Verifikation der Biowaffenkonvention,<br />
Abrüstung und Konversion von Raketentechnologien)<br />
• Gründung eines internationalen Netzwerkes von NaturwissenschaftlerInnen und IngenieurInnen<br />
aus über 20 Ländern, das sich für Nichtverbreitung und Abrüstung von Kernwaffen und<br />
Trägersystemen engagiert (INESAP 16 ) und aktive Mitarbeit an einem nationalen Verbund<br />
naturwissenschaftlich ausgerichteter Sicherheitsforschung (FONAS 17 )<br />
• Vertreter unterschiedlicher Positionen zu strittigen Fragen im Bereich der Entwicklung und<br />
Nutzung von Technologien konnten an einen Tisch gebracht werden (Symposien zur Energieversorgung<br />
der Zukunft und zu neuen Nukleartechnologien)<br />
• Aufbau einer Expertise, die von Entscheidungsträgern, TA-Institutionen und Medien rege<br />
nachgefragt wird (z. B. zur Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium, Abrüstung und Nichtverbreitung<br />
von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen, Einführung und Entwicklung<br />
militärisch relevanter neuer Technologien)<br />
• Organisation oder Mitveranstaltung von etwa 20 nationalen und internationalen Tagungen<br />
(z. B. in <strong>Darmstadt</strong>, Mülheim, Genf, Göteborg, New York, Schanghai)<br />
16 International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation<br />
17 Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit<br />
72
<strong>IANUS</strong>-Projekte 1988 – 1998<br />
(Stand: Juni 1998)<br />
Laufende Projekte<br />
1. „Zivil-militärische Ambivalenz von Forschung und Technologie sowie präventive, qualitative<br />
Rüstungskontrolle“; Dr. Wolfgang Liebert, Dr. Martin Kalinowski, Dr. Jürgen<br />
Scheffran, Prof. Dr. Kathryn Nixdorff; Kooperationspartner: weitere <strong>IANUS</strong>-Mitglieder; Projektbeginn:<br />
1991;<br />
2. „Ambivalenz im Bereich nuklearer Forschung und Technologie“; Dr. Wolfgang Liebert,<br />
Dr. Martin Kalinowski, Prof. Dr. Egbert Kankeleit; Projektbeginn: 1992;<br />
3. „Aufbau des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation<br />
(INESAP)“; Dr. Martin Kalinowski, Dr. Wolfgang Liebert, Dr. Jürgen Scheffran; unterstützt<br />
durch: Rainer Braun, Ivo Sarges, Sandra Kelly, Wolfgang Baus, Jörg Weidenfeller, Martin<br />
Müller, u. a.; Kooperationspartner: u. a. Prof. Dr. Fernando de Souza Barros (Rio de Janeiro),<br />
Prof. Dr. Anatoli Diakov (Moskau), Dr. David Krieger (Santa Barbara); Dr. George Lewis<br />
(Boston), Dr. Zia Mian (Islamabad); Prof. Dr. Johan Swahn (Göteborg); Prof. Dr. Shen Dingli<br />
(Schanghai), Prof. Dr. Hartwig Spitzer (Hamburg); Projektbeginn: 1992; Förderung: U.S.<br />
Ploughshares Fund, Berghof-Stiftung für Konfliktforschung, MacArthur Foundation und<br />
Nuclear Age Peace Foundation;<br />
4. „Transformation des nuklearen Nichtverbreitungsregimes zu einer Konzeption der<br />
atomwaffenfreien Welt“; darin u. a.: 1. Erarbeitung einer Model Nuclear Weapons Convention,<br />
2. Beyond Technical Verification: Transparency, verification and preventive control for<br />
the Nuclear Weapons Convention; Dr. Martin Kalinowski, Dr. Wolfgang Liebert, Dr. Jürgen<br />
Scheffran; Kooperationspartner: u. a. Prof. Dr. Joseph Rotblat (London), Prof. Dr. Peter<br />
Weiss (New York), Merav Datan (New York), Alyn Ware (New York); Projektbeginn: 1994;<br />
Förderung (1998): Nuclear Age Peace Foundation;<br />
5. „Nichtverbreitung und Beseitigung waffengrädiger Nuklearmaterialien“;<br />
• Produktionsstopp für waffengrädige Materialien; Dr. Martin Kalinowski, Dr. Wolfgang Liebert;<br />
Projektbeginn: 1995;<br />
• Hochangereichertes Uran und Forschungsreaktoren; Dr. Wolfgang Liebert; Kooperationspartner:<br />
Prof. Dr. Egbert Kankeleit, Prof. Dr. Werner Buckel (Karlsruhe), Prof. Dr. Hans<br />
Ackermann (Marburg), Prof. Dr. Franz Fujara (Dortmund); Projektbeginn: 1994;<br />
• Analyse von Safeguards im Nuklearbereich; Dr. Martin Kalinowski, Dr. Wolfgang Liebert;<br />
Projektbeginn: 1994<br />
• Physikalisch-technische Möglichkeiten der Beseitigung des Waffenstoffes Plutonium;<br />
Alexander Glaser, Prof. Dr. Egbert Kankeleit, Dr. Wolfgang Liebert, Christoph Pistner;<br />
Laufzeit: 1995-1998<br />
• Deutsche Plutoniumbilanz; Dr. Martin Kalinowski; Kooperationspartner: Silke Aumann, Dr.<br />
Wolfgang Liebert; Laufzeit: 1996-1998;Teilförderung: durch Vereinigung Deutscher Wissenschaftler<br />
(VDW) und Greenpeace Deutschland;<br />
6. „Nichtverbreitung und effektive Kontrolle nuklearer, chemischer und biologischer<br />
Waffen als Problem der Sicherheitspolitik — Politikwissenschaftliche und naturwissenschaftliche<br />
Aspekte des Regimevergleichs“; Jens Brauburger, Dörte Hahlbohm, Prof.<br />
Dr. Kathryn Nixdorff; Kooperationspartner: Prof. Dr. Klaus Dieter Wolf (Politikwiss.), Prof. Dr.<br />
Paul Layer (Zoologie); Laufzeit: 1994-1998; Förderung: ZIT;<br />
73
7. „Messung von atmosphärischem Krypton-85 zum Nachweis von ungemeldeten Abtrennungen<br />
von Plutonium“; Dr. Martin Kalinowski, Stefan Uhl; Kooperationspartner: Prof.<br />
Dr. Egbert Kankeleit, Dr. Wolfgang Weiss (Freiburg), Dr. Hartmut Sartorius (Freiburg), Deutscher<br />
Wetterdienst (Offenbach); Laufzeit: 1996-1998;Teilfinanzierung: Volkswagen-Stiftung;<br />
8. „Mathematische Modellierung von Konflikten“; Dr. Jürgen Scheffran; Kooperationspartner:<br />
Stefan Pickl, Dr. Markus Jathe, Prof. Dr. Werner Krabs; Laufzeit:: 1993-<strong>1999</strong>;<br />
9. „Der Tau-Value als Kontrollparameter – Modellierung eines Joint Implementation Programmes<br />
im Klimaschutzbereich mit Hilfe von kooperativer dynamischer Spieltheorie<br />
und diskreter Optimierung“; Stefan Pickl; Kooperationspartner: Prof. Dr. Werner Krabs, Dr.<br />
Jürgen Scheffran, Prof. Dr. Dirk Ipsen; Projektbeginn: 1994;<br />
10. „Konfliktfeld Biodiversität“; Matthias Hummel, Dr. Jürgen Scheffran, Dr. Hans Reiner<br />
Simon (Mannheim); Kooperationspartner: Prof. Dr. Stefan Scheu (Zoologie), Dr. Ulrich Joger<br />
(Hess. Landesmuseum); Projektbeginn: 1996;<br />
11. „Ambivalenz von Forschung und Technologie und Wissenschaftsfolgenforschung“;<br />
„Analyse der Wertfreiheitshypothese in den Naturwissenschaften“; Dr. Wolfgang Liebert;<br />
Projektbeginn: 1996;<br />
12. „Kooperative Lösungen in der Klimaschutzpolitik am Beispiel des chinesischen Energieprogramms“;<br />
Prof. Dr. Dirk Ipsen, Roland Rösch, Stefan Pickl; Kooperationspartner:<br />
Prof. Dr. Werner Krabs, Prof. Dr. Ralf Loth, Dr. Jürgen Scheffran, Dr. Dong Hue (Schanghai),<br />
Prof. Dr. Driessen (Enschede), Prof. Dr. Tijs (Tilburg); Projektbeginn: 1997;<br />
13. „Neue Nukleartechnologien im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und Ethik“;<br />
Prof. Dr. Wolfgang Bender, Prof. Dr. Egbert Kankeleit, Dr. Wolfgang Liebert; Laufzeit: 1997-<br />
1998; Förderung: Berghof Stiftung für Konfliktforschung;<br />
14. „Review Studie fortgeschrittene Nuklearsysteme“; Dr. Wolfgang Liebert; Kooperationspartner:<br />
Dr. Roland Bähr (<strong>Darmstadt</strong>), Dr. Andre Gsponer (Genf), Lothar Hahn (<strong>Darmstadt</strong>),<br />
Prof. Dr. Wolfgang Bender, Dr. Martin Kalinowski, Alexander Glaser, Christoph Pistner; Laufzeit:<br />
1998; Förderung: TA-Programm des Schweizer Wissenschaftsrates;<br />
Abgeschlossene Projekte:<br />
1. „Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium“; Prof. Dr. Egbert Kankeleit, Christian Küppers,<br />
Ulrich Imkeller; Laufzeit: bis 1989; Finanzierung: Hessische Staatskanzlei;<br />
2. „Ein umfassender Kernwaffenteststop als Beitrag zur Rüstungsbegrenzung und das<br />
Problem seiner Verifizierbarkeit“; Dr. Uwe Reichert; Laufzeit: bis 1989; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
3. „Kernwaffen der dritten Generation“; Dr. Uwe Reichert; Kooperationspartner: Dr. Annette<br />
Schaper, Prof. Dr. Egbert Kankeleit; Laufzeit: bis 1989; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
4. Abschluß eines Projektes „Strategic Defense, Disarmament, and Stability — Modelling<br />
Arms Race Phenomena with Security and Costs under Political and Technical Uncertainties“;<br />
Jürgen Scheffran; Laufzeit: bis 1989; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
5. „Möglichkeiten der Rüstungskontrolle auf der Ebene von Forschung und Entwicklung<br />
— Untersuchung am Beispiel der Trägheitseinschlußfusion“; Dr. Annette Schaper; Kooperationspartner:<br />
Prof. Dr. Egbert Kankeleit; Wolfgang Liebert; Laufzeit: bis 1991; Förderung:<br />
Volkswagen-Stiftung;<br />
6. „Alternativen zu nachweisbaren unterirdischen Tests für Forschung und Entwicklung<br />
von Kernwaffen“; Dr. Annette Schaper; Laufzeit: 1988-1991; Förderung: Volkswagen-<br />
Stiftung;<br />
74
7. „Untersuchung der Entwicklung von Forschungsarbeiten im Rahmen der militärischen<br />
Nutzung der Gentechnik: Beitrag zum Technologiefrühwarnsystem“; Dr. Isolde Stumm,<br />
Prof. Dr. Kathryn Nixdorff; Kooperationspartner: Dr. Wolfgang Bender; Laufzeit: 1988-1991;<br />
Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
8. „Komplexität und Stabilität von Rüstungstechnologien (Command und Control)“; Dr.<br />
Jürgen Scheffran; Kooperationspartner: Dr. Uwe Reichert, Dr. Annette Schaper; Laufzeit:<br />
1988-1991; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
9. „Einflußfaktoren der Rüstungsdynamik“, „Beurteilung rüstungsrelevanter Technologien“,<br />
„Rüstungstechnikfolgenabschätzung“; Bearbeitung durch alle <strong>IANUS</strong>-Mitglieder;<br />
Kooperationspartner: Prof. Dr. Ulrich Albrecht (Berlin); Laufzeit: 1989-1990;<br />
10. „Interdisziplinäre Begriffsklärung: Stabilität und Sicherheit“; Bearbeitung durch alle<br />
<strong>IANUS</strong>-Mitglieder; Kooperationspartner: Prof. Dr. Ulrich Albrecht (Berlin); Laufzeit 1989-<br />
1990;<br />
11. „Gefahren der nuklearen Proliferation“; Dr. Wolfgang Liebert; Kooperationspartner: Prof.<br />
Dr. Egbert Kankeleit, Dr. Annette Schaper, Martin Kalinowski, Götz Neuneck (Hamburg);<br />
Laufzeit: 1990-1991; Förderung: Volkswagen-Stiftung<br />
12. „Prüfbare Software in der Sicherheitspolitik“; Marion Kremer, Wolfgang Bartussek, G.<br />
Lutz, Prof. Dr. Wolfgang Henhapl; Laufzeit: 1988-1992; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
13. „Using Military Related Resources to Protect the Environment“; Dr. Jürgen Scheffran,<br />
Jan Vydra; Kooperationspartner: im Rahmen einer UNO-Expertenstudie; Laufzeit: 1991;<br />
Förderung: Vereinte Nationen;<br />
14. „Neuronale Netze in Rüstung und Rüstungskontrolle — eine Bestandsaufnahme“;<br />
Markus Jathe, Dr. Jürgen Scheffran; Laufzeit: 1990-1992; Förderung: ZIT;<br />
15. „Probleme der Eindämmung horizontaler und vertikaler Proliferation von Kernwaffenkonzepten“;<br />
Dr. Annette Schaper; Kooperationspartner: Dr. Wolfgang Liebert; Dr. Jürgen<br />
Scheffran; Laufzeit: 1991-1992; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
16. „Proliferation und Kontrolle von nuklearen Technologien und Materialien“; Dr. Wolfgang<br />
Liebert; Kooperationspartner: Prof. Dr. Egbert Kankeleit, Dr. Annette Schaper, Martin<br />
Kalinowski; Laufzeit: 1991-1993; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
17. „Internationaler Transfer und internationale Kontrolle von Träger- und Führungssystemen<br />
für Kernwaffen“; Dr. Jürgen Scheffran; Kooperationspartner: Dr. Annette Schaper;<br />
Dr. Wolfgang Liebert; Martin Kalinowski, Prof. Dr. Egbert Kankeleit; Laufzeit: 1991-1993;<br />
Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
18. „Internationale militärische Nutzung der Gentechnik für biologische Waffen“; Dr. Isolde<br />
Stumm, Prof. Dr. Kathryn Nixdorff, Jens Brauburger; Laufzeit: 1988-1993; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
19. „Mathematische Modelle in der Konfliktforschung“; Wilfried Engelmann; Kooperationspartner:<br />
Prof. Dr. Werner Krabs, Dr. Jürgen Scheffran; Laufzeit: 1988-1993, Teilfinanzierung:<br />
Volkswagen-Stiftung;<br />
20. „Spinoff, Dual-use und Konversion von Raumfahrttechnologien“; Dr. Jürgen Scheffran;<br />
Kooperationspartner: Prof. Dr. Dirk Ipsen, Achim Seiler, Elisabeth Heinemann, Martin Beutel;<br />
Laufzeit: 1992-1993, Förderung: ZIT;<br />
21. „Stand der Technikfolgenabschätzung zur Fusionsforschung und -technologie und<br />
die Rolle von Gutachten bei parlamentarischen Entscheidungsprozessen zur Fusionsforschungsförderung“;<br />
Martin Kalinowski, Dr. Wolfgang Liebert, Alexander Glaser, Christoph<br />
Pistner; Laufzeit: 1993-1994; Förderung: ZIT;<br />
22. Gutachterprojekt „Kontrollkriterien im Rüstungsbereich“; 1. Rüstungsrelevante Forschung<br />
und Technik — Übersicht und Problemanalyse (1993/4), 2. Methodik der präventiven<br />
Rüstungskontrolle am Beispiel von Lasern und Mikrowellen als nicht-tödlichen Waffen<br />
75
(1995); Dr. Wolfgang Liebert, Martin Kalinowski, Dr. Jürgen Scheffran, Prof. Dr. Kathryn Nixdorff,<br />
Markus Jathe, Prof. Dr. Egbert Kankeleit; Finanzierung: Büro für Technikfolgenabschätzung<br />
beim Deutschen Bundestag (TAB);<br />
23. „Evaluierung der technischen Probleme im Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag<br />
für Kernwaffen“; Dr. Wolfgang Liebert; Kooperationspartner: Martin Kalinowski,<br />
Prof. Dr. Egbert Kankeleit; Laufzeit: 1994-1995, Förderung: Berghof Stiftung für<br />
Konfliktforschung;<br />
24. Im Rahmen des Aufbaus des International Network of Engineers and Scientists Against<br />
Proliferation (INESAP): Erarbeitung der Studie „Beyond the NPT: A Nuclear-Weapon-Free<br />
World“; Martin Kalinowski, Dr. Wolfgang Liebert, Dr. Jürgen Scheffran; Kooperationspartner:<br />
u. a. Prof. Dr. Joseph Rotblat (London), Prof. Dr. Fernando Souza Barros (Rio de Janeiro),<br />
Prof. Dr. Shen Dingli (Schanghai), Prof. Dr. Luis Masperi (Barriloche), Dr. Zia Mian (Islamabad),<br />
Prof. Dr. Johan Swahn (Göteborg); Laufzeit: 1994-1995; Förderung: MacArthur Foundation;<br />
25. „Globale Sicherheit und nachhaltige Entwicklung als Kriterien für Technik-bewertung<br />
am Beispiel von Energiesystemen“; Dr. Jürgen Scheffran, Dr. Wolfgang Bender, Sven<br />
Brückmann, Prof. Dr. Dirk Ipsen, Markus Jathe, Martin Kalinowski, Prof. Dr. Egbert Kankeleit,<br />
Prof. Dr. Werner Krabs, Dr. Wolfgang Liebert, Stefan Pickl, Markus Thiemel; Laufzeit: 1994-<br />
1995; Förderung: Schwerpunktförderung des Landes Hessen;<br />
26. „Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft“; Dr. Wolfgang Bender in Zusammenarbeit<br />
mit den <strong>IANUS</strong>-KollegInnen; Kooperationspartner: Dr. Georg Hörning (TA-<br />
Akademie Stuttgart); Dr. Michael Deneke (HDA); Laufzeit: 1994-1996; Förderung: Berghof-<br />
Stiftung für Konfliktforschung;<br />
27. „Die Bewertung verschiedener Lagerszenarien für hochradioaktive Abfälle“; Martin<br />
Kalinowski; Kooperationspartner: Prof. Dr. Katrin Borcherding (Psychologie, TUD), Dr. Wolfgang<br />
Bender, Prof. Dr. Ortwin Renn (Stuttgart); Laufzeit: 1994-1996; Förderung: ZIT;<br />
28. „Methoden der nichtlinearen Dynamik und Optimierung zur Untersuchung eines Konfliktmodells“;<br />
Markus Jathe; Kooperationspartner: Dr. Jürgen Scheffran, Stefan Pickl, Dr.<br />
Werner Krabs; Laufzeit: 1991-1996; Teilfinanzierung: DFG;<br />
29. „Folgenabschätzung einer internationalen Tritiumüberwachung“; Lars Colschen, Martin<br />
Kalinowski; Kooperationspartner: Prof. Dr. Ulrich Albrecht (Berlin), Prof. Dr. Egbert Kankeleit,<br />
Safeguards Assay Group (Los Alamos National Laboratory); Laufzeit: 1989 – 1997;<br />
Teilfinanzierung: ZIT, Volkswagen-Stiftung;<br />
30. „Spaltbare Materialien und Tritium — Verifikation eines umfassenden Produktionsstopps“;<br />
Martin Kalinowski; Kooperationspartner: United Nations Institute for Disarmament<br />
Research (UNIDIR), Dr. Wolfgang Liebert; Prof. Dr. Pervez Hoodbhoy (Islamabad); Laufzeit:<br />
1995-1996; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
31. „The Dimensions of Ballistic Missile Proliferation“; Sönke Richardson; Dr. Jürgen<br />
Scheffran; Kooperationspartner: Dr. Aaron Karp (Norfolk), Dr. Götz Neuneck (Hamburg);<br />
Laufzeit: 1996-1998; Förderung: Volkswagen-Stiftung;<br />
76
Qualifikationsarbeiten<br />
Zur Zeit laufende Qualifikationsarbeiten<br />
• Stefan Pickl (Dissertation in Mathematik): „Modellierung eines Joint Implementation Programmes<br />
im Klimaschutzbereich mit Hilfe von kooperativer dynamischer Spieltheorie und<br />
diskreter Optimierung“<br />
• Dörte Hahlbohm (Dissertation in Politikwissenschaften): „Chancen einer effektiven Kontrolle<br />
biologischer Waffen“<br />
• Jürgen Scheffran (Habilitation in Mathematik): „Methoden der Kontroll- und Spieltheorie in<br />
der mathematischen Konfliktmodellierung“<br />
• Roland Rösch (Dissertation in Ökonomie): „Internationale Klimaschutzkooperation in der<br />
Energiewirtschaft“<br />
• Matthias Hummel (Dissertation in Ökonomie): „Institutionen zur nachhaltigen Nutzung wildlebender<br />
Arten“<br />
Abgeschlossene Qualifikationsarbeiten<br />
• Jürgen Scheffran (Dissertation in Physik, eingereicht an der Universität Marburg): „Strategic<br />
Defense, Disarmament, and Stability — Modelling Arms Race Phenomena with Security and<br />
Costs under Political and Technical Uncertainties“, 1989<br />
• Wilfried Engelmann (Dissertation in Mathematik): „Game Theoretical Models for Disarmament“,<br />
1993<br />
• Markus Jathe (Dissertation in Mathematik): „Methoden der nichtlinearen Dynamik und Kontrolltheorie<br />
zur Untersuchung eines Konfliktmodells“, 1996<br />
• Jens Brauburger (Dissertation in Biologie): „Untersuchungen zur Signaltransduktion in Makrophagen<br />
nach Stimulierung mit Lipopolysaccarid und Protein A aus der äußeren Membran<br />
Gramnegativer Bakterien“, 1996<br />
• Ellen Eichhorn (Diplomarbeit in Biologie): „Retinosphäroide als neues Neurotoxin-<br />
Testsystem: Eine Studie zur Wirkung von Tetanus Toxin in vitro“, 1996<br />
• Martin Kalinowski (Dissertation in Physik): „Monte Carlo Simulation und Experimente zum<br />
zerstörungsfreien Nachweis von Lithium-6. Physikalische Fragen zur Tritiumkontrolle“, 1997<br />
• Lars Colschen (Dissertation in Politikwissenschaften, eingereicht an der FU Berlin): „Die Internationalisierung<br />
der Tritiumkontrolle als Baustein des Nichtweiterverbreitungsregimes für<br />
Kernwaffen“, 1997<br />
• Alexander Glaser (Diplomarbeit in Physik): „Abbrandrechnungen für ein System zur Eliminierung<br />
von Waffenplutonium“, 1998<br />
• Christoph Pistner (Diplomarbeit in Physik): „Entwicklung und Validierung eines Programmsystems<br />
für Zellabbrandrechnungen plutoniumhaltiger Brennstoffe“, 1998<br />
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Liste der <strong>IANUS</strong>-Mitglieder<br />
Dipl.-Soz. Ulrike Benner, Soziologie<br />
Prof. Dr. Wolfgang Bender, Sozialethik<br />
Dipl.-Phys. Alexander Glaser, Physik<br />
Dörte Hahlbohm, M.A., Politikwissenschaft<br />
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Matthias Hummel, Politische Ökonomie<br />
Prof. Dr. Dirk Ipsen, Politische Ökonomie<br />
Dr. Martin Kalinowski, Kernphysik<br />
Prof. Dr. Egbert Kankeleit, Kernphysik<br />
Prof. Dr. Werner Krabs, Mathematik<br />
Dr. Wolfgang Liebert, Physik<br />
Prof. Dr. Kathryn Nixdorff, Biologie<br />
Dipl.-Ing. Stefan Pickl, Mathematik<br />
Dipl.-Phys. Christoph Pistner, Physik<br />
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Roland Rösch, Politische Ökonomie<br />
Dr. Jürgen Scheffran, Physik/Mathematik<br />
Brigitte Schulda, Sekretariat<br />
Dr. Gerhard Wilhelm Weber, Mathematik<br />
Ehemalige <strong>IANUS</strong>-Mitglieder<br />
Dipl.-Ing. Aziz Almaloul, Informatik<br />
Dipl.-Inform. Wolfram Bartussek, Informatik<br />
Dr. Wolfgang Baus, Physik<br />
Dr. Jens Brauburger, Biologie<br />
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Sven Brückmann, Politische Ökonomie<br />
Dr. Lars Colschen, Politikwissenschaft<br />
Dr. Wilfried Engelmann, Mathematik<br />
Brigitte Gotthold, M.A., Politikwissenschaft<br />
Prof. Dr. Wolfgang Henhapl, Informatik<br />
Dr. Christoph Hüttig, Politikwissenschaft<br />
Dr. Markus Jathe, Mathematik<br />
Prof. Dr. Beate Kohler-Koch, Politikwissenschaft<br />
Dipl.-Inform. Marion Kremer, Informatik<br />
Dipl.-Inform. Günter Lutz, Informatik<br />
Dr. Uwe Reichert, Physik<br />
Dr. Annette Schaper, Physik<br />
Dipl.-Pol. Achim Seiler, Politikwissenschaft<br />
Dr. Isolde Stumm, Biologie<br />
cand.-phil. Markus Thiemel, Sozialethik<br />
Dipl.-Ing. Jörg Weidenfeller, Maschinenbau<br />
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