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Mund, M. - Frauenarzt

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BERUF + POLITIK<br />

Früherkennung Zervixkarzinom: Wird<br />

mit dem neuen Gesetz alles besser?<br />

Monika <strong>Mund</strong><br />

Seit 1971 gibt es in Deutschland ein Screening auf Gebärmutterhalskrebs.<br />

In Zukunft soll nach dem Willen der EU ein organisiertes<br />

Programm an dessen Stelle treten. Ob das die Früherkennung<br />

des Zervixkarzinoms verbessert, kann bezweifelt werden.<br />

Das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz<br />

ist am 9. April 2013 in<br />

Kraft getreten. Danach hat der Gemeinsame<br />

Bundesausschuss (G-BA)<br />

innerhalb von drei Jahren auch die<br />

Früherkennungsuntersuchung für Gebärmutterhalskrebs<br />

als „organisiertes<br />

Programm“ gemäß EU-Empfehlungen<br />

anzubieten. Insbesondere ist damit<br />

gemeint, dass Frauen in regelmäßigen<br />

Abständen zu diesem Screening<br />

eingeladen werden, ähnlich wie beim<br />

Mammographie-Screening. Damit verbunden<br />

wäre eine deutliche Verlängerung<br />

der Untersuchungsintervalle,<br />

wie beispielsweise in Großbritannien,<br />

wo Frauen im Alter von 25 bis 49<br />

Jahren alle drei Jahre und im Alter<br />

von 50 bis 65 Jahren alle fünf Jahre<br />

eingeladen werden. Was könnte durch<br />

ein „organisiertes Programm“ in<br />

Deutschland bei der Früherkennung<br />

von Zervixkarzinomen besser werden?<br />

Weniger Neuerkrankungen<br />

seit Beginn des Screenings<br />

Seit 1971 gibt es in der Bundesrepublik<br />

ein Screening auf Gebärmutterhalskrebs.<br />

Frauen ab 20 Jahren haben<br />

einmal im Jahr Anspruch auf<br />

eine Früherkennungsuntersuchung<br />

mit einem sogenannten PAP-Test. Die<br />

Zahl der jährlichen Neuerkrankungen<br />

an Gebärmutterhalskrebs lag in den<br />

70er-Jahren bei 40 pro 100.000 Frauen,<br />

eine im europäischen Vergleich<br />

sehr hohe Rate. Seitdem ist die Inzidenz<br />

in Deutschland um mehr als 70<br />

Aktualisierter Nachdruck aus:<br />

Deutsches Ärzteblatt 2012;<br />

109(50):A-2513/ B-2058/C-2014<br />

Prozent gesunken. Europaweit haben<br />

Neuerkrankungen mit Einführung von<br />

Früherkennungsprogrammen deutlich<br />

abgenommen; niemand zweifelt daran,<br />

dass dies vor allem auf die Einführung<br />

des PAP-Tests zurückzuführen<br />

ist. Rechtzeitig im Screening<br />

erkannte Krebsvorstufen können<br />

durch Exzision an der Zervix entfernt<br />

und somit das invasive Karzinom verhindert<br />

werden.<br />

Gute Ergebnisse mit der<br />

bisherigen Früherkennung<br />

Ein gutes Früherkennungsprogramm<br />

erreicht möglichst viele Frauen, verursacht<br />

möglichst wenig vermeidbare<br />

Beunruhigung durch auffällige Abstriche,<br />

führt zu möglichst wenigen<br />

unnötigen operativen Eingriffen und<br />

– als wichtigstes Ziel – senkt nachhaltig<br />

die Neuerkrankungsrate. Was<br />

erreichen wir gegenwärtig mit dem<br />

Prozent<br />

100,0 %<br />

90,0<br />

80,0<br />

70,0<br />

60,0<br />

50,0<br />

40,0<br />

30,0<br />

20,0<br />

10,0<br />

0,0<br />

deutschen opportunistischen – also<br />

per definitionem – nicht „organisierten“<br />

Programm?<br />

Nach aktuellen Abrechnungsdaten<br />

nehmen in Deutschland 75 bis 78<br />

Prozent der Frauen vom 25. bis zum<br />

49. Lebensjahr und 63 bis 72 Prozent<br />

zwischen dem 50. und 65. Lebensjahr<br />

innerhalb von vier Jahren an der<br />

Früherkennung des Zervixkarzinoms<br />

teil. Damit werden die Ergebnisse<br />

einer Untersuchung des Zentralinstituts<br />

für die kassenärztliche Versorgung<br />

aus dem Jahre 2009 bestätigt.<br />

Im organisierten Screening des britischen<br />

National Health Service<br />

(NHS) liegt die Teilnahmerate bei<br />

Frauen zwischen dem 25. und 49.<br />

Lebensjahr bei 63 bis 74 Prozent (bezogen<br />

auf 3,5 Jahre). Bei den 50- bis<br />

64-Jährigen nehmen innerhalb von<br />

fünf Jahren 73 bis 83 Prozent teil.<br />

In Deutschland werden im Rahmen<br />

der verpflichtenden Qualitätssicherungsvereinbarung<br />

zur Zervixzytologie<br />

die Ergebnisse der PAP-Tests erhoben.<br />

Die Sammelstatistiken zeigen Auffäl-<br />

Teilnahmerate Zervixkarzinom-Früherkennung<br />

nach Altersgruppe<br />

England – NHS*<br />

Deutschland – GKV**<br />

* England – NHS: Teilnahme innerhalb von<br />

3,5 Jahren in der Altersgruppe 25–49<br />

und Teilnahme innerhalb von 5 Jahren<br />

in der Altersgruppe 50–64<br />

** Deutschland – GKV: Teilnahme innerhalb<br />

von 4 Jahren<br />

25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64<br />

Altersgruppe<br />

Teilnahmerate Zervixkarzinom-Früherkennung nach Altersgruppe (Kassenärztliche Bundesvereinigung,<br />

eigene Darstellung)<br />

426 FRAUENARZT 54 (2013) Nr. 5


ligkeitsraten von unter 3 Prozent, im<br />

britischen NHS sind es 6 Prozent.<br />

Operative Eingriffe zur Entfernung<br />

von Krebsvorstufen der Zervix (Konisationen)<br />

werden in Deutschland in<br />

Krankenhäusern (stationär oder im<br />

Rahmen des ambulanten Operierens<br />

gemäß § 115 b SGB V) und in der<br />

ambulanten Versorgung durchgeführt.<br />

Auf Basis von Leistungsdaten der<br />

Techniker-Krankenkasse (TK) wurden<br />

in den letzten Jahren mehrere Hochrechnungen<br />

zur Frage der jährlichen<br />

Frequenz von Konisationen vorgelegt.<br />

Die aktuellste Schätzung präsentierte<br />

das Wissenschaftliche Institut der<br />

TK (WINEG) im Oktober 2011. Danach<br />

wurden im Jahr 2010 in Deutschland<br />

62.000 Konisationen durchgeführt.<br />

Die Zielpopulation des Screenings,<br />

also die Zahl der Anspruchsberechtigten,<br />

beträgt in Deutschland 30 Millionen<br />

Frauen, davon werden jährlich<br />

etwa 15 Millionen getestet.<br />

In Großbritannien wurden im vergleichbaren<br />

Zeitraum 46.800 Konisationen<br />

durchgeführt (Mitteilung des<br />

Health and Social Care Information<br />

Centre des NHS). Die Zielpopulation<br />

in Großbritannien beträgt 13,7 Millionen<br />

Frauen; 3,4 Millionen wurden<br />

im Beobachtungszeitraum gescreent.<br />

Auf Basis dieser Zahlen werden in<br />

Deutschland bezogen auf die anspruchsberechtigte<br />

Population pro<br />

Jahr weniger Konisationen durchgeführt<br />

als in Großbritannien. Die These,<br />

dass mehrjährliche Intervalle,<br />

also selteneres Testen, zu weniger<br />

invasiven Prozeduren und damit weniger<br />

potenzieller Übertherapie führen,<br />

bestätigt sich somit nicht.<br />

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat<br />

im Frühjahr 2012 die jüngsten Zahlen<br />

zu Neuerkrankungen des Zervixkarzinoms<br />

veröffentlicht, danach lag<br />

die europastandardisierte Rate in<br />

Deutschland im Jahr 2008 bei 9,5<br />

auf 100.000. In Großbritannien lag<br />

diese Rate im Jahr 2009 bei 10,1 auf<br />

100.000. Während in Deutschland die<br />

Zahl der Neuerkrankungen kontinu-


BERUF + POLITIK<br />

ierlich sinkt, sind sie im NHS seit<br />

2002 um mehr als 9 Prozent gestiegen.<br />

Die höchsten Zunahmen sind bei<br />

den jungen Frauen zu verzeichnen.<br />

So liegt in der Altersgruppe der 25-<br />

bis 29-jährigen Frauen die Neuerkrankungsrate<br />

in Großbritannien bei<br />

17,9/100.000, in Deutschland nach<br />

RKI bei 5,3/100.000.<br />

Wie die Bilanz zwischen Nutzen und<br />

Schaden der Früherkennung auf Zervixkarzinome<br />

durch die Einführung<br />

von Tests auf kanzerogene humane<br />

Papillomaviren (HPV) aussehen würde,<br />

kann nach Analysen des Instituts<br />

für Qualität und Wirtschaftlichkeit im<br />

Gesundheitswesen nicht abschließend<br />

beurteilt werden, hier sind weitere<br />

Studienergebnisse abzuwarten.<br />

G-BA soll die Früherkennung<br />

umfassend neu organisieren<br />

Mit dem neuen Gesetz wird der Gemeinsame<br />

Bundesausschuss beauftragt,<br />

das seit 40 Jahren etablierte<br />

Früherkennungsprogramm auf Gebärmutterhalskrebs<br />

innerhalb von drei<br />

Jahren umfassend neu zu organisieren,<br />

um die Empfehlungen der EU<br />

umzusetzen. Ziel soll sein, dieses<br />

Screening nachhaltig zu verbessern.<br />

Vergleicht man allerdings die deutschen<br />

Ergebnisse mit den Daten aus<br />

Großbritannien, das häufig als Beispiel<br />

für die Umsetzung eines organisierten<br />

Programms entsprechend<br />

der EU-Empfehlungen genannt wird,<br />

kommt man zu folgenden Schlüssen:<br />

• Die Teilnahmeraten bis zum Alter<br />

von 65 Jahren sind in beiden<br />

Systemen vergleichbar, lediglich<br />

bei älteren Frauen erzielt das britische<br />

Programm höhere Raten.<br />

• Die Rate an auffälligen Befunden<br />

als Maß für die potenzielle Verunsicherung<br />

von untersuchten<br />

Frauen ist in Großbritannien<br />

doppelt so hoch.<br />

• Die Rate an invasiven Eingriffen<br />

als Hinweis auf eine mögliche<br />

Übertherapie ist in Großbritannien<br />

höher als in Deutschland,<br />

sowohl bezogen auf die Zahl der<br />

anspruchsberechtigten als auch<br />

auf die Zahl der tatsächlich untersuchten<br />

Frauen.<br />

• Die Rate der Neuerkrankungen<br />

als wichtigstes Ziel des Früherkennungsprogramms<br />

ist in beiden<br />

Ländern vergleichbar, wobei<br />

vor allem in den jungen Altersgruppen<br />

in Großbritannien ein<br />

Anstieg zu beobachten ist.<br />

Auch wenn möglicherweise durch Einladungsschreiben<br />

höhere Teilnahmeraten<br />

bei den älteren Altersgruppen<br />

bewirkt werden können, darf bezweifelt<br />

werden, ob sich durch eine grundlegende<br />

Systemumstellung die Qualität<br />

der Früherkennung auf Gebärmutterhalskrebs<br />

in Deutschland nachhaltig<br />

steigern lässt. Welchen Effekt ein<br />

Einladungssystem auf die Altersgruppen<br />

haben wird, die bereits jetzt hohe<br />

Teilnahmeraten aufweisen, kann nicht<br />

abgeschätzt werden, insbesondere<br />

wenn der Test nur noch alle drei bis<br />

fünf Jahre zulasten der Krankenkassen<br />

durchgeführt werden kann. Auswirkungen<br />

von längeren Testintervallen<br />

auf die Zahl auffälliger Befunde und<br />

der daraus resultierenden Abklärungsund<br />

Exzi sionsprozeduren sind nicht<br />

vorhersehbar.<br />

Eine Überprüfung der bisherigen<br />

Screeningergebnisse im G-BA sollte<br />

vorurteilsfrei und ergebnisoffen erfolgen.<br />

Auf keinen Fall darf jedoch<br />

aufgrund theoretischer Überlegungen<br />

und Empfehlungen der EU eine Umorganisation<br />

des erfolgreichen deutschen<br />

Screening-Programms zu einer<br />

höheren Erkrankungsrate an Zervixkarzinomen<br />

führen.<br />

Literatur<br />

1. NHS Cervical Screening Programme England<br />

2010–2011. http://www.ic.nhs.uk/<br />

webfiles/publications/008_Screening/<br />

cervscreen1011/Cervical_Bulletin_<br />

2010_11_v1_1.pdf (letzter Zugriff am<br />

07.11.2012).<br />

2. Zentralinstitut für die Kassenärztliche<br />

Versorgung in der Bundesrepublik<br />

Deutschland: Abschlussbericht Durchführung<br />

einer versichertenbezogenen Untersuchung<br />

zur Inanspruchnahme der Früherkennung<br />

auf Zervixkarzinom in den<br />

Jahren 2002, 2003 und 2004 auf der<br />

Basis von Abrechnungsdaten. Mai 2009.<br />

http://www.zi.de/cms/fileadmin/<br />

images/content/PDFs_alle/Diskussionspapier_ZervixCA.pdf<br />

(letzter Zugriff am<br />

07.11.2012).<br />

3. Müller H, WINEG: Effekte des Screenings<br />

auf Zervix-Karzinom in Deutschland: zur<br />

Häufigkeit und Verteilung von Konisationen.<br />

Wissenschaftliches Institut der TK<br />

für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen.<br />

10. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung<br />

(Deutsches Netzwerk<br />

Versorgungsforschung e. V.) und 18. GAA-<br />

Jahrestagung (Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung<br />

und Arzneimittelepidemiologie<br />

e.V.), 21.10.2011,<br />

Köln. https://www.tk.de/centaurus/<br />

servlet/contentblob/404990/Datei/3665/<br />

Mueller-Vortrag-Effekte-Screening-Zervix-<br />

Karzinom-Verteilung-Konisationen-2011.<br />

pdf (letzter Zugriff am 07.11.2012).<br />

4. Cancer Research UK: Cervical Cancer<br />

Incidence Statistics. http://www.cancerresearchuk.org/cancer-info/cancerstats/<br />

types/cervix/incidence/ (letzter Zugriff<br />

am 07.11.2012).<br />

5. Robert-Koch-Institut: Krebs in Deutschland.<br />

8. Auflage 2012. http://www.<br />

krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/<br />

Publikationen/Krebs_in_Deutschland/<br />

kid_2012/krebs_in_deutschland_2012.<br />

pdf?__blob=publicationFile (letzter Zugriff<br />

am 07.11.2012).<br />

6. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im Gesundheitswesen. Nutzenbewertung<br />

des HPV-Tests im Primärscreening<br />

des Zervixkarzinoms. Abschlussbericht<br />

[S10–01] 2011. https://www.iqwig.de/<br />

download/S10–01_AB_HPV-Test_im_Primaerscreening_des_Zervixkarzinoms.pdf<br />

(letzter Zugriff am 07.11.2012).<br />

Autorin<br />

Dr. med. Monika <strong>Mund</strong><br />

Kassenärztliche<br />

Bundesvereinigung<br />

Abt. indikationsbezogene<br />

Versorgungskonzepte<br />

Herbert-Lewin-Platz 2<br />

10623 Berlin<br />

mmund@kbv.de<br />

428 FRAUENARZT 54 (2013) Nr. 5

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