Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Dezember 2013 - Der Fels
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Jürgen Antlitz:<br />
<strong>Der</strong> Biesdorfer Jesuiten-Prozess 1958<br />
Er<strong>in</strong>nerungen und Erkenntnisse e<strong>in</strong>es <strong>Zeit</strong>zeugen<br />
Am<br />
20. <strong>Dezember</strong> <strong>2013</strong> jährt<br />
sich zum 55. Male, dass<br />
vier Jesuitenpatres – vom damaligen<br />
Bezirksgericht <strong>in</strong> Frankfurt an der<br />
Oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>szenierten exemplarischen<br />
politischen Prozess zu mehrjährigen<br />
Freiheits-Strafen verurteilt<br />
wurden. Dem Andenken an <strong>die</strong>se nach<br />
rechtsstaatlichen Maßstäben zu Unrecht<br />
verurteilten Patres sei der vorliegende<br />
Beitrag von e<strong>in</strong>em der noch<br />
lebenden <strong>Zeit</strong>zeugen gewidmet.<br />
Dies ersche<strong>in</strong>t umso dr<strong>in</strong>gender,<br />
als immer noch (oder schon wieder?)<br />
von <strong>in</strong>teressierter Seite e<strong>in</strong>e Art Verklärung<br />
und Verharmlosung der politischen<br />
Verhältnisse <strong>in</strong> der untergegangenen<br />
DDR betrieben wird.<br />
Es ist auch e<strong>in</strong> Anliegen <strong>die</strong>ses Beitrags,<br />
dem entgegenzuwirken und <strong>die</strong><br />
Mittel und Methoden der damaligen<br />
Machthaber <strong>in</strong> der DDR als Ausdruck<br />
des wahren Charakters des SED-Regimes<br />
verharmlosen zu lassen.<br />
Was war geschehen? Am späten<br />
Abend des 22. Juli 1958 erschien e<strong>in</strong><br />
Kommando des damaligen „M<strong>in</strong>isteriums<br />
für Staatssicherheit“ („MfS“,<br />
ugs. „Stasi“ genannt) <strong>in</strong> der Jesuitenkommunität<br />
im Ost-Berl<strong>in</strong>er Stadtteil<br />
Biesdorf, nahm nach mehrstündiger<br />
Durchsuchung se<strong>in</strong>es Zimmers<br />
P. Robert Frater fest und verbrachte<br />
ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Untersuchungs-Haftanstalt<br />
(UHA). <strong>Der</strong> Vorwurf lautete:<br />
dr<strong>in</strong>gender Verdacht der Spionagetätigkeit<br />
für westliche Geheim<strong>die</strong>nste,<br />
Bildung illegaler Gruppen sowie<br />
staatsgefährdende Propaganda und<br />
Hetze.<br />
Da <strong>die</strong> Hausbesetzung durch <strong>die</strong><br />
„Stasi“ mehrere Tage andauerte,<br />
wurden weitere Patres, <strong>die</strong> danach<br />
ohne Kenntnis von den Geschehnissen<br />
der vergangenen Nacht zum<br />
Wohnhaus kamen, ebenfalls festgenommen.<br />
Dabei handelte es sich um<br />
<strong>die</strong> Patres Wilhelm Rueter (Berl<strong>in</strong>),<br />
Joseph Menzel (Magdeburg) und Joseph<br />
Müldner (Zwickau).<br />
Ich selbst wäre dort auf der Rückreise<br />
von der Ostsee der Stasi direkt<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Arme gelaufen, hätte ich nicht<br />
zuvor <strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong> von den Vorgängen<br />
<strong>in</strong> Biesdorf gehört.<br />
Anfang Oktober desselben <strong>Jahr</strong>es<br />
vernahm mich <strong>die</strong> „Stasi“ <strong>in</strong> Dresden;<br />
sie hatte mittlerweile erfahren,<br />
dass ich mit P. Frater <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
stand. Schließlich wurde ich als Zeuge<br />
zum Prozess geladen, ohne jedoch<br />
gehört zu werden. Ich passte offenkundig<br />
nicht <strong>in</strong>s Konzept der Regie,<br />
denn ich hätte ohneh<strong>in</strong> nichts gegen<br />
<strong>die</strong> Patres vorzubr<strong>in</strong>gen gehabt.<br />
Dafür waren andere auserwählt und<br />
wohlweislich entsprechend „präpariert“.<br />
Mir war es freigestellt, zu<br />
bleiben oder zu gehen. Ich blieb. So<br />
konnte ich vom Rest des Prozess-<br />
Verlaufs („Zeugen“-Aussagen, Plädoyers<br />
der Anklage und der Verteidigung,<br />
Schlusswort von P. Frater, mit<br />
dem er vehement den Vorwurf der<br />
Spionage <strong>in</strong> Tate<strong>in</strong>heit mit Abwerbung<br />
bestritt) eigene E<strong>in</strong>drücke gew<strong>in</strong>nen.<br />
Dabei kam ich mir vor wie<br />
im Haifischbecken. Man belästigte<br />
mich zwar <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise, gleichwohl<br />
fühlte ich mich permanent beobachtet.<br />
Formal gesehen fand der Prozess<br />
<strong>in</strong> öffentlicher Sitzung statt. Die hierfür<br />
vorgesehenen E<strong>in</strong>trittskarten vergab<br />
<strong>die</strong> „Stasi“ an handverlesene, politisch<br />
zuverlässige „Delegierte“ ihrer<br />
Wahl (Behörden, Betriebe, Presse),<br />
wobei Verwandte der Angeklagten<br />
wie auch Vertreter der Kirche nicht<br />
zugelassen waren. E<strong>in</strong>zig der Superior<br />
der Leipziger Jesuiten, P. Herbert<br />
Gorski, erhielt über den Berl<strong>in</strong>er<br />
Caritas-Direktor, Prälat Z<strong>in</strong>ke, e<strong>in</strong>e<br />
solche. Mit ihm b<strong>in</strong> ich am Vorabend<br />
auf Vermittlung me<strong>in</strong>es Pfarrers zusammengetroffen.<br />
Von ihm erhielt<br />
ich e<strong>in</strong>ige Empfehlungen bezüglich<br />
me<strong>in</strong>es Verhaltens vor Gericht, an <strong>die</strong><br />
ich mich – völlig unerfahren auf <strong>die</strong>sem<br />
Parkett – gern gehalten habe.<br />
Wer das Wirken der DDR-Justiz<br />
anschaut und beurteilen will, muss<br />
e<strong>in</strong>iges wissen. Diese Justiz war gemäß<br />
marxistisch-len<strong>in</strong>istischer Ideologie<br />
qualitativ etwas ganz anderes<br />
als das Justizwesen neuzeitlicher zivilisierter<br />
Staaten. Sie war (neben<br />
dem MfS) nach Absicht, Selbstverständnis<br />
und tatsächlicher Funktion<br />
e<strong>in</strong> Instrument der herrschenden Partei,<br />
der SED, für <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
ihrer politischen Ziele; mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Instrument zur Unterdrückung Andersdenkender<br />
im Klassenkampf.<br />
Die Richter waren Parteifunktionäre.<br />
Sie hatten <strong>in</strong> ihrem Handeln<br />
nicht veröffentlichte, geheime Orientierungen<br />
zu beachten, <strong>die</strong> von<br />
höchster Stelle verfügt waren und<br />
Anspruch auf Verb<strong>in</strong>dlichkeit erhoben.<br />
Im „Lehrbuch Marxistisch-Len<strong>in</strong>istischer<br />
Staats- und Rechtstheorie“<br />
kann man nachlesen:<br />
„Die sozialistische Gesetzlichkeit<br />
ist e<strong>in</strong>e wichtige Methode der Diktatur<br />
des Proletariats …, <strong>die</strong> dazu beiträgt,<br />
… <strong>die</strong> Verhältnisse der sozialistischen<br />
Ordnung zu entwickeln …<br />
und damit <strong>die</strong> Funktionen des sozialistischen<br />
Staates erfolgreich auszuüben<br />
… E<strong>in</strong>haltung der Gesetze und<br />
ihre parteiliche Anwendung im Interesse<br />
der sozialistischen Gesellschaft<br />
bilden e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit.<br />
Dieser Strafprozess stellt e<strong>in</strong>e der<br />
markanten Stationen der 40-jährigen,<br />
nicht an Wahrheit und Gerechtigkeit<br />
orientierten, von der SED (und dem<br />
MfS) gesteuerten und <strong>in</strong>strumentalisierten<br />
Justiz dar, <strong>die</strong> sich durch den<br />
undurchsichtigen Begriff der „sozialistischen<br />
Gesetzlichkeit“ e<strong>in</strong> fadensche<strong>in</strong>iges<br />
juristisches Mäntelchen<br />
umhängte. Er war durchaus exemplarisch<br />
für <strong>die</strong> Praxis e<strong>in</strong>er Unrechtsjustiz,<br />
<strong>die</strong> systemimmanent gewesen<br />
ist. Dem Anspruch, <strong>die</strong> postulierte<br />
Gerechtigkeit durchzusetzen, hatten<br />
346 DER FELS 12/<strong>2013</strong>