Sensorium in Entwicklung
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<strong>Sensorium</strong> <strong>in</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />
Orientierung an Urbildern und am Puls der Zeit<br />
Walter Siegfried Hahn<br />
«Die E<strong>in</strong>heiten, die dem Leben das Mass<br />
geben, s<strong>in</strong>d Urbilder und Urgebärden. Nur<br />
wenn der Mensch sie klar im anschauenden<br />
Geiste trägt, kann er richtig urteilen<br />
und handeln. Ohne sie kann er ke<strong>in</strong>e Ordnung<br />
stiften.» So beg<strong>in</strong>nt Hugo Kükelhaus<br />
se<strong>in</strong> erstes Buch «Urzahl und Gebärde». Er<br />
schrieb es vor achtzig Jahren.<br />
Schon früh schwebten Kükelhaus Orte vor,<br />
an denen der heutige Mensch sich mit<br />
solchen «Urbildern und Urgebärden» ause<strong>in</strong>andersetzen<br />
und sie anschauen kann:<br />
Orte wie das <strong>Sensorium</strong>. Doch erst Jahrzehnte<br />
nach se<strong>in</strong>em Tod (1984) etablierten<br />
sich Ende der 1990er Jahre die ersten<br />
«bleibenden Stätten der Wahrnehmung»,<br />
Erfahrungsfelder, von denen das <strong>Sensorium</strong><br />
e<strong>in</strong>es der Bedeutendsten ist. Wahrnehmung<br />
ist k<strong>in</strong>derleicht. Deswegen fühlen<br />
sich gerade K<strong>in</strong>der schnell zuhause im<br />
<strong>Sensorium</strong>. Gerade die Kle<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d näher<br />
an den Urbildern, ihre Begriffe s<strong>in</strong>d noch<br />
offen und ihre S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d lebendiger. Bei<br />
Erwachsenen dauert es manchmal etwas<br />
länger, aber auch bei ihnen erwacht über<br />
kurz oder lang die Freude am Entdecken.<br />
Man kann sich an das biblische Wort «fühlen»<br />
er<strong>in</strong>nern: «wenn Ihr nicht werdet wie<br />
die K<strong>in</strong>der…».<br />
«Seit langem hat der Mensch se<strong>in</strong>e Herkunft<br />
aus dem Reich des Verborgenen<br />
aus se<strong>in</strong>em Bewusstse<strong>in</strong> verbannt. Darum<br />
vertrocknet se<strong>in</strong> Leben, und se<strong>in</strong><br />
Blick r<strong>in</strong>gsum zeigt ihm e<strong>in</strong>e Welt, die<br />
sich aufzulösen sche<strong>in</strong>t. Statt e<strong>in</strong>es<br />
blühenden Gestaltenreiches sieht er<br />
Bestandteile und Staub. Er hat se<strong>in</strong>e<br />
Heimat verleugnet. Tier, Pflanze, Ste<strong>in</strong><br />
können nicht ihre ewig beschlossene<br />
Vorbildung sehen; sie gehorchen, ohne<br />
zu schauen. Dem Menschen aber strömen<br />
Kräfte der verborgenen Heimat<br />
und die Antriebe aus dem Reich dessen,<br />
was nicht hier ist, nur <strong>in</strong> dem Masse<br />
zu, als er se<strong>in</strong>e Herkunft <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bewusstse<strong>in</strong><br />
wach erhält. Se<strong>in</strong> Leben wird<br />
unverzüglich richtungslos, wenn er die<br />
Er<strong>in</strong>nerung e<strong>in</strong>schlafen lässt.»<br />
Hugo Kükelhaus<br />
zum eigenen Erforschen der Welt. Konkret<br />
heisst das für die <strong>Entwicklung</strong> des <strong>Sensorium</strong>:<br />
Wir arbeiten daran, Urbilder wie das<br />
Pendel, Licht und Schatten, Schw<strong>in</strong>gung<br />
und Resonanz usw. zu thematisieren. Zu<br />
zeigen, wie sie sich im Alltag abbilden<br />
und sie mit weiteren Stationen zu ergänzen.<br />
Dabei gilt es herauszuf<strong>in</strong>den, was die<br />
Menschen heute besonders <strong>in</strong>teressiert.<br />
Deutlich ist etwa e<strong>in</strong> Bedarf bei den «unteren»<br />
S<strong>in</strong>nen: Dem Tast-, Lebens-, Gleichgewichts-<br />
und Bewegungs-S<strong>in</strong>n. Deswegen<br />
wird der Barfusspfad ausgebaut und es<br />
gibt fe<strong>in</strong>e Tast- und Bewegungs-Erlebnisse<br />
mit der Riesenklangschale oder der Wasserklangschale.<br />
Neben neuen Stationen<br />
gibt es natürlich auch viele bestehende<br />
mit unterschiedlichen Zugängen, Abläufen<br />
und Angeboten.<br />
E<strong>in</strong>e wesentliche Ergänzung ist die Erweiterung<br />
des <strong>Sensorium</strong> nach aussen. Die<br />
Aufgabe des <strong>Sensorium</strong>s ist es, Urbilder<br />
zugänglich zu machen. Installationen und<br />
Experimente zu zeigen, die auffordern<br />
Grosse Wasserklangschale, im H<strong>in</strong>tergrund die Riesenwirbelschalen<br />
14 Rüttihubelbad Mitteilungen
geplanten Stationen gehen dabei teils unmerklich<br />
<strong>in</strong>s Atmosphärische oder schon<br />
<strong>in</strong> das <strong>in</strong> der Natur Vorhandene über. Die<br />
grosse neue Wasserklangschale hebt die<br />
Riesenwirbelschalen wirkungsvoll hervor,<br />
wenn man von der Kasse nach aussen tritt.<br />
In beiden Stationen zeigt sich das Wasser<br />
von vielen wunderbaren Seiten. Dann<br />
werden die Regentropfen, die so unterschiedlich<br />
von Fichte, L<strong>in</strong>de oder Lärche<br />
tropfen, zum fasz<strong>in</strong>ierenden Objekt der<br />
Anschauung, als sei man nur dafür auf den<br />
Rüttihubel gefahren. Ähnlich die Tautropfen,<br />
<strong>in</strong> denen zu gehen e<strong>in</strong>e stundenlange<br />
Belebung von Leib und Seele nach sich<br />
zieht; e<strong>in</strong> Barfussweg im Freien ist noch <strong>in</strong><br />
Planung.<br />
Gerade im Herbst und W<strong>in</strong>ter s<strong>in</strong>d die orig<strong>in</strong>ellen<br />
Bewegungen der Nebelschleier<br />
durchs Walkr<strong>in</strong>ger Moos zu beobachten,<br />
wo man an der Verdichtung des Geistigen<br />
beteiligt sche<strong>in</strong>t. Die W<strong>in</strong>dharfen br<strong>in</strong>gen<br />
die Bewegung der Luft und des W<strong>in</strong>des<br />
zu Gehör. Und wenn nicht, so s<strong>in</strong>d sie<br />
Anlass zum Wahrnehmen der unerhörten<br />
Soundscape des Rüttihubelbads: Kuh- und<br />
Schafsglocken, Autos und Flieger, Muhen<br />
und Schreien, Hacken und Schleifen…<br />
Wichtig ist es uns, uns selbst und unsere<br />
Gäste immer wieder zu überraschen. Zu<br />
den regelmässigen Überraschungen gehört<br />
der Kalligraph Franz Schmutz, der oft<br />
mitten im <strong>Sensorium</strong> sitzt und schreibt:<br />
Schreiben als Weg, Schreiben als Kunst,<br />
Schreiben im Hier und Jetzt – berührend,<br />
die ungeteilte Aufmerksamkeit von Erwachsenen<br />
und K<strong>in</strong>dern zu erleben.<br />
Oder Theo Bürki, der mit immer wieder<br />
neuen Spielen und Ideen kle<strong>in</strong>e und grosse<br />
Menschen begeistert und e<strong>in</strong> paar Zentimeter<br />
wachsen lässt. Und die anderen MitarbeiterInnen<br />
des <strong>Sensorium</strong>, welche ke<strong>in</strong>e<br />
Führung oder Workshop gleich machen,<br />
weil sie immer mit anderen Menschen,<br />
anderen Situationen oder anderen Fragen<br />
zu tun haben. Übrigens s<strong>in</strong>d wir offen für<br />
neue freiwillige KollegInnen <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Bereichen.<br />
Spielturm im Lade-Kafi<br />
Kalligraph Franz Schmutz<br />
ML. Wie e<strong>in</strong> Magnet sche<strong>in</strong>t dieser kle<strong>in</strong>e<br />
bunte Spielturm auf dem Boden des<br />
Lade-Kafis auf die K<strong>in</strong>der zu wirken.<br />
Sobald e<strong>in</strong>es diesen entdeckt hat und<br />
beg<strong>in</strong>nt, die bunten Kugeln den Turm<br />
herunterfallen zu lassen, geht es nicht<br />
lange und es ist nicht mehr alle<strong>in</strong>e. Die<br />
K<strong>in</strong>der sche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e Ewigkeit verweilen<br />
zu können und s<strong>in</strong>d fasz<strong>in</strong>iert, dass<br />
die Kugeln bei jedem Holzblatt e<strong>in</strong>en<br />
anderen Ton hervorrufen.<br />
Rüttihubelbad Mitteilungen 15