Magazin SonntagsBlick Lukas Reimann
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Nr. 5 2. Februar 2014<br />
Thorberg<br />
Ein alter Mann<br />
erinnert sich an<br />
das Gefängnis<br />
seiner Kindheit<br />
Seite 8<br />
Umeå<br />
Europas<br />
junge Kultur-<br />
Hauptstadt in<br />
Schweden<br />
Seite 20<br />
Mode<br />
12 Trends, die<br />
Mann diesen<br />
Sommer trägt<br />
Seite 17<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong><br />
Jass & Jazz<br />
Im Alltag politisiert er für die SVP im Nationalrat. Privat jasst er und setzt sich ans<br />
Klavier. Am liebsten spielt der Jurist Swing von Frank Sinatra und Count Basie.
Gesellschaft<br />
Portrait<br />
Jungstar aus<br />
der Ostschweiz<br />
Er ist erst 31 Jahre alt, politisiert aber schon sein halbes<br />
leben lang: SVP-Nationalrat <strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> zählt zu den<br />
hoffnungsträgern seiner Partei. Ein Besuch in seiner Heimat.<br />
Text: Gabriele Haschke<br />
Fotos: Michael Würtenberg<br />
Ein bewölkter Nachmittag<br />
Mitte Januar in Wil SG. Die<br />
pittoreske Kleinstadt in der<br />
Ostschweiz ist die Heimat<br />
von SVP-Jungstar <strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong>. «Hier<br />
habe ich die Hälfte meines Lebens verbracht»,<br />
sagt der 31-jährige Nationalrat.<br />
«Die Stadt hat eine grossartige Geschichte.»<br />
Und die Wiler seien wunderbare Menschen:<br />
«Sie haben mich in all den Jahren meiner<br />
politischen Arbeit immer sehr unterstützt.»<br />
Entspannt geht <strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> über<br />
den gepflasterten Hofplatz in der Altstadt.<br />
Er trägt Jeans und Sakko, darunter einen<br />
blauen V-Ausschnitt-Pullover und ein gestreiftes<br />
Hemd. Die Hände hat er in die<br />
Hosentaschen gesteckt. So fühlt sich der junge<br />
SVP-Politiker wohl. Fast im Minutentakt<br />
grüssen ihn Passanten. Und er grüsst zurück,<br />
mit einem gewinnenden Lächeln. Eine ältere<br />
Dame hat ein Anliegen, <strong>Reimann</strong> hört ihr<br />
geduldig zu. Für das, was seine Mitbürger<br />
bewegt, hat er immer ein offenes Ohr. «Ich<br />
vertrete das Volk. Nur deswegen wurde ich<br />
gewählt», sagt er. Er sieht sich als einer, der<br />
wirklich die Interessen des Volks vertritt. In<br />
Wil glauben sie ihm das offensichtlich – hier<br />
erhält er stets die meisten Stimmen.<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> wurde mit 21 in den<br />
Kantonsrat gewählt und war mit 25 jüngster<br />
Nationalrat der Schweiz. Täglich erreichen<br />
ihn über 150 E-Mails aus der ganzen<br />
Schweiz. Hinzu kommen viele handgeschriebene<br />
Briefe. «Die beantworte ich alle<br />
persönlich», bemerkt er. Und sein Amt, das<br />
nimmt er ernst. «Ich habe in den vergangenen<br />
Jahren über 100 Vorstösse in Bern<br />
gemacht. Etliche davon beruhen auf Hinweisen<br />
von Bürgern. Dafür bin ich dankbar»,<br />
erklärt er.<br />
Aufgewachsen ist der gebürtige Aargauer<br />
mit seinen Geschwistern Kathrin (29) und<br />
Christoph (26) in Herznach AG, einem kleinen<br />
Dorf im Fricktal. Die Familie lebte dort<br />
bis 1997 in einem alten Bauernhaus. Sein<br />
Grossvater hatte es seinerzeit aufwändig umgebaut.<br />
Grosse, helle Räume mit viel Platz –<br />
in solch einer Umgebung fühlt sich <strong>Reimann</strong><br />
bis heute geborgen. Seine 80-Quadratmeter-<br />
Wohnung in Bern ist ebenso lichtdurchflutet<br />
und weiträumig. Eingerichtet hat er sie<br />
schlicht und praktisch. «Wohn accessoires<br />
lenken mich nur ab», sagt er. «Ich muss den<br />
Kopf zum Denken frei haben.»<br />
Derzeit steckt der junge Politiker mitten<br />
im Jura-Masterstudium, dass er an der Universität<br />
Bern absolviert. Seinen Bachelor in<br />
Rechtswissenschaften hat er mit magna cum<br />
laude abgeschlossen. «Darauf bin ich stolz»,<br />
sagt er. <strong>Reimann</strong>, dessen Agenda prall<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> ist<br />
gern im Bild über<br />
das, was seine Mitbürger<br />
bewegt. In<br />
der Wiler Altstadt<br />
kehrt er mittags ins<br />
Restaurant Hof zu<br />
Wil ein oder trifft<br />
sich abends in der<br />
Trinkstube zum<br />
Hartz auf ein Bier<br />
mit Freunden.<br />
26 <strong>SonntagsBlick</strong> magazin
Gesellschaft<br />
Portrait<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong><br />
macht sich auf den<br />
Heimweg. «Meine<br />
Familie, das sind<br />
meine Wurzeln»,<br />
sagt er. «Ich wurde<br />
bodenständig erzogen. Von meinen Eltern<br />
habe ich gelernt, dass man zusammenhält,<br />
sich gegenseitig respektiert, inspiriert und<br />
unterstützt.» Zusammenhalt ist für <strong>Reimann</strong><br />
auch in der Politik wichtig. «Man<br />
kann nur gemeinsam etwas bewegen.» Darum<br />
ging er in die Politik. Anstatt ganz allein<br />
die Faust in der Tasche zu ballen, wollte er<br />
aktiv werden. 1998 hatte seine Partei in Wil<br />
nur fünf Mitglieder, belegte einen von vierzig<br />
Sitzen im Stadtparlament. <strong>Reimann</strong>:<br />
«Ich war der einzige Jugendliche, der Rest<br />
war 50 plus.» Da er beabsichtigte, frischen<br />
Wind hineinzubringen, und nicht nur Lehrgefüllt<br />
mit politischen Aktivitäten ist, büffelt<br />
oft bis spät in die Nacht für seine Prüfungen.<br />
Volksanwalt möchte er werden, wie er<br />
sagt. Einer, der die Interessen der Schweizer<br />
nach bestem Wissen und Gewissen vertritt.<br />
Freizeit hat der Jurist wenig. Manchmal<br />
geht er mit Freunden Jassen oder Hockey<br />
spielen. Weilt er bei seinen Eltern in Wil,<br />
setzt er sich gern einmal ans Klavier. Am<br />
liebsten spielt er Stücke von Frank Sinatra<br />
und Count Basie. «Ich liebe Jazz. Das beflügelt<br />
mich.»<br />
Geht es um seine Werte und Ideale, wird<br />
<strong>Reimann</strong> grundsätzlich: Gerechtigkeit, Freiheit<br />
und Unabhängigkeit für die Schweiz<br />
und für jeden Bürger<br />
zählt er auf.<br />
Schon als junger<br />
Bezirksschüler in<br />
Frick AG habe er<br />
seine Geschichtsbücher<br />
mit Zetteln<br />
vollgeklebt, auf<br />
denen Anmerkungen<br />
zu politischen<br />
Ereignissen notiert<br />
waren. «Denn ich habe mich bereits damals<br />
über einige Entscheide, die im Bundeshaus<br />
gefällt wurden, geärgert.» Wutausbrüche<br />
eines Pubertierenden? «Nein», sagt er, «echtes<br />
politisches Interesse.» 1995, als sein Onkel<br />
Maximilian <strong>Reimann</strong> im Aargau für den<br />
Ständerat kandidierte, klebte der 13-jährige<br />
<strong>Lukas</strong> für den SVP-Mann Wahlplakate.<br />
«Onkel Max war ein Stück weit mein politischer<br />
Wegbereiter.» Mit ihm konnte er sich<br />
austauschen über demokratische Grundwerte,<br />
über die Selbstbestimmung des Individuums,<br />
freie Märkte und den Zusammenhalt<br />
innerhalb der Gesellschaft. Themen, die<br />
ihm als Teenager auf der Seele brannten.<br />
<strong>Reimann</strong>s Eltern sind eher unpolitisch.<br />
«Über Politik habe ich meist mit Mitschülern<br />
und Freunden diskutiert.» Seine Mutter<br />
Marta arbeitet als Pflegefachfrau in der Psychiatrie<br />
in Münsterlingen TG, sein Vater<br />
Kurt, ehemaliger ETH-Ingenieur, ist heute<br />
Generalsekretär der Universität Zürich.<br />
«Mein Vater hat mit uns Kindern viele Museen<br />
besucht. Er wollte uns die Natur, die<br />
Technik und die Historie unseres Landes nahebringen»,<br />
erinnert sich der Nationalrat.<br />
«Den Rütlischwur 1291, die erste Bundesverfassung<br />
1848, die kostbaren Werte, für<br />
jene die Schweiz gekämpft hat und für die<br />
sie bis heute einsteht. Sie machen unsere<br />
direkte Demokratie aus.» Für deren Bewahrung<br />
setzt sich <strong>Reimann</strong> leidenschaftlich ein.<br />
28 <strong>SonntagsBlick</strong> magazin<br />
«Ich arbeite gern mit der<br />
EU zusammen. Von ihr<br />
verein nahmen lassen möchte<br />
ich mich aber nicht, geschweige<br />
denn von Brüssel aus mit<br />
dem Fernglas regiert werden.»<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong><br />
Deshalb habe ihn das immer stärkere Tendieren<br />
der Schweiz in Richtung Brüssel<br />
bereits als Kantonsschüler aufgeregt – und<br />
darum trat er mit 16 in die EU-kritischste<br />
Partei, die SVP, ein. «So viel Mitspracherecht<br />
wie bei uns gibt es in keinem Land»,<br />
bekräftigt er. «Ich arbeite gern mit der Europäischen<br />
Union zusammen. Aber vereinnahmen<br />
lassen möchte ich mich nicht von<br />
ihr. Und schon gar nicht von Brüssel aus mit<br />
dem Fernglas regiert werden.» Der SVP-Politiker<br />
hält einen Augenblick inne. «Heute<br />
Abend habe ich eine Versammlung in<br />
Buchs», fällt ihm ein. Es geht – natürlich –<br />
um die Volksinitiative gegen Masseneinwanderung,<br />
über<br />
die am 9. Februar<br />
abgestimmt wird.<br />
In Wil beginnt<br />
es zu dämmern.<br />
Jasser, Jazzer<br />
und Jurist<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> wird am 18. September<br />
1982 in Aarau geboren. Seine Kindheit<br />
verbringt er in Herznach AG. 1997 zieht<br />
die Familie nach Wil SG. Dort beginnt<br />
<strong>Reimann</strong>s politische Karriere. Mit 16,<br />
noch als Kantonsschüler in St. Gallen,<br />
tritt er in die SVP ein, mit 25 ist er<br />
2007 der jüngste Nationalrat der<br />
Schweiz. Parallel zu seiner politischen<br />
Karriere studiert er Jus. Derzeit macht<br />
<strong>Reimann</strong> seinen Master in Rechtswissenschaften<br />
an der Uni Bern. In seiner<br />
Freizeit spielt er Klavier, schaut Fussball,<br />
geht wandern, liest gerne und jasst mit<br />
Freunden.<br />
ling der älteren Generation sein wollte,<br />
trommelte er Freunde und Mitschüler von<br />
der Kantonsschule St. Gallen zusammen,<br />
gründete mit ihnen die Junge SVP St. Gallen.<br />
Nun hatte er seine Themen gefunden.<br />
Ausländerkriminalität. Den Islam mit seinen<br />
Gotteskriegern. Themen, von denen er<br />
sagt: Die beschäftigen die Bevölkerung, aber<br />
die anderen Parteien schweigen sie lieber tot<br />
– im Gegensatz zu seiner SVP, natürlich. Zu<br />
diesen Themen zähle auch die Zuwanderung.<br />
«Die Schweiz hat ausländischen Mitmenschen<br />
stets eine berufliche Perspektive<br />
geboten», sagt er. «Unser offizieller Ausländeranteil<br />
liegt bei etwa 25 Prozent. Deutschland<br />
hat 9,7, Italien 10,6 und Frankreich<br />
lediglich 6 Prozent. Im Vergleich zu diesen<br />
weit grösseren EU-Staaten sind wir ein sehr
Unter der Woche ist <strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> mit Leib<br />
und Seele Politiker. Am Wochenende<br />
widmet er sich seiner Familie, bewundert<br />
den Porzellanteller, den seine Mutter gerade<br />
bemalt, spielt Tennis mit Freunden, geht mit<br />
seinem Vater wandern und tauscht sich mit<br />
seinen Geschwistern aus.<br />
ausländerfreundliches Land. Das wollen wir<br />
auch bleiben.» Doch mit über 80 000 Neuzuwanderungen<br />
pro Jahr, wie es 2013 der<br />
Fall war, platze die Schweiz langsam aus<br />
allen Nähten. Überfüllte Züge, verstopfte<br />
Strassen, Verlust von Kulturland durch<br />
Überbauung, Lohndruck, steigende Arbeitslosigkeit<br />
sowie die zunehmende Belastung<br />
unserer Sozialwerke – für <strong>Reimann</strong> alles<br />
Folgen der Immigration, oder im SVP-Slang<br />
«Masseneinwanderung».<br />
Das Fazit des Politikers: Man müsse bei der<br />
Einwanderung Mass halten. Dieser Schritt<br />
erfordere weder eine Kündigung der bilateralen<br />
Verträge noch einen generellen Stopp<br />
der Immigration. «Ich bin nicht für Nullwachstum.<br />
Ich bin für ein gesundes Wachstum»,<br />
betont <strong>Reimann</strong>.<br />
Er will, dass nur die Menschen in die<br />
Schweiz kommen, die gebraucht werden,<br />
also die Berufe ausüben, in denen einheimische<br />
Arbeitnehmer fehlen. Leute, die unsere<br />
Sprache erlernen möchten, die sich integrieren,<br />
die Kultur respektieren und die Verfassung<br />
anerkennen. «Dafür müssen wir mit<br />
der EU über eine dauerhafte Kontingentierung<br />
des Immigrationszustroms verhandeln,<br />
die dann als Zusatzregelung innerhalb<br />
des Personenfreizügigkeitsabkommens für<br />
die Schweiz gilt.» Dass dies durchführbar<br />
sei, zeige die derzeitige Kontingentierung,<br />
basierend auf der Ventilklausel. Von ihr sind<br />
seit Frühjahr 2013 ein Jahr lang alle<br />
Erwerbstätigen aus den osteuropäischen<br />
EU-8-Staaten und den EU-17-Ländern<br />
betroffen. «Und sie funktioniert», erklärt<br />
<strong>Reimann</strong>. «Warum können wir diese Kontingentierung<br />
nicht beibehalten?» Indes:<br />
Die Zuwanderung stieg ja 2013 trotzdem<br />
auf über 80 000.<br />
<strong>Lukas</strong> <strong>Reimann</strong> blickt auf seine Armbanduhr.<br />
«Oh, schon halb acht!» Um<br />
20 Uhr beginnt die Veranstaltung in Buchs.<br />
Schnellen Schrittes eilt der SVP-Nationalrat<br />
zu seinem Opel. Der Politiker setzt sich ans<br />
Steuer, legt eine CD von Pepe Lienhard ein<br />
und braust davon.<br />
<strong>SonntagsBlick</strong> magazin 29