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Laplace-Transformation

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Mathematik 2<br />

Teil: <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> ∗<br />

Prof. Dr. Frank Seelisch<br />

Hochschule Esslingen<br />

Fakultät Grundlagen, Standort Göppingen<br />

Email: frank.seelisch@hs-esslingen.de<br />

Telefon: +49 (0)7161 670 1197<br />

Stand: 18. September 2013<br />

∗ Dieses Skript darf gratis gelesen, heruntergeladen, kopiert oder ausgedruckt werden. Es darf nicht<br />

verändert oder auf wie auch immer geartete Weise bearbeitet werden. Noch darf dieses Skript auf irgendwelche<br />

Webseiten oder Webarchive hochgeladen werden.<br />

Die Abbildungen wurden mit der open-source-Software Geogebra erzeugt.<br />

Die Meldung inhaltlicher Fehler und Ungereimtheiten per Mail an den Autor ist ausdrücklich erwünscht.


Inhaltsangabe<br />

Die <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> erlaubt es, lineare Dierentialgleichungen höherer Ordnung,<br />

Anfangswertprobleme, ja sogar lineare Dierentialgleichungssysteme elegant zu lösen.<br />

Dabei wird das Ausgangsproblem in den sogenannten Frequenzbereich übersetzt,<br />

dort gelöst und das Ergebnis dann zurücktransformiert.<br />

Wir können auÿerdem mittels der sogenannten Übertragungsfunktion und der Faltungsoperation<br />

auf einfache Weise den Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangssignalen<br />

linearer Systeme untersuchen.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einführung 1<br />

1.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

1.1.1 Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

1.1.2 Geeignete Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1.1.3 Lineare Dierentialgleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1.1.4 Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangssignal . . . . . . 4<br />

1.1.5 Wiederholung: Rechnen im Wechselstromkreis . . . . . . . . . . . . 5<br />

1.2 Grundlegende Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

1.2.1 Die Einheitssprungfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

1.2.2 Die Einheitsimpulsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

1.2.3 Zusammenhang zwischen Sprung- und Impulsfunktion . . . . . . . . 9<br />

1.2.4 Einsetzregel und Ausblendeigenschaft der DIRAC-Funktion . . . . 11<br />

1.2.5 Verallgemeinerte Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

2 Die LAPLACE-<strong>Transformation</strong> 12<br />

2.1 Denition und erste Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

2.1.1 Denition der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

2.1.2 Die Rücktransformationsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

2.1.3 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

3 Wichtige Sätze zur <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> 15<br />

3.1 Linearität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

3.2 Dämpfung im t-Bereich, Verschiebung im s-Bereich . . . . . . . . . . . . . 15<br />

3.3 Verschiebung im t-Bereich, Dämpfung im s-Bereich . . . . . . . . . . . . . 16<br />

3.4 Ähnlichkeitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

3.5 Dierentiation im t-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

3.6 Dierentiation im s-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

3.7 Integration im t-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

3.8 Anfangs- und Endwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

4 Die Faltung 20<br />

4.1 Denition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

4.1.1 Denition des Faltungsprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21


INHALTSVERZEICHNIS 3<br />

4.1.2 Eigenschaften der Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

4.1.3 Faltung bei endlichen Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

4.2 Der Zusammenhang von Multiplikation und Faltung . . . . . . . . . . . . . 22<br />

5 Lösen linearer Dierentialgleichungen 23<br />

5.1 Allgemeines Lösungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

5.1.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

5.2 Anfangswerte für t ≠ 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

5.3 Spezielle Anregungssignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

5.3.1 Zusammenhang der Lösungen für die Einheitsfunktionen . . . . . . 25<br />

6 Lösen linearer Dierentialgleichungssysteme 25<br />

6.1 Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

6.1.1 Lösung des Doppelpendelsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

6.1.2 Weiteres Übungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

7 Die Ein-Ausgabe-Relation eines linearen Systems 28<br />

7.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

7.2 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

7.3 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

7.3.1 Das R − c − Glied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30


1 EINFÜHRUNG 1<br />

1 Einführung<br />

Die <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> geht zurück auf den berühmten französischen Mathematiker<br />

Pierre-Simon <strong>Laplace</strong>, der von 1749-1827 lebte und in der Zeit nach der Französischen<br />

Revolution sogar für einige Monate Innenminister unter Napoleon war.<br />

1.1 Motivation<br />

Die <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> ermöglicht es uns, ein gegebenes mathematisches Problem<br />

der Regelungs- oder Elektrotechnik in eine andere mathematische Spiegelwelt zu übersetzen;<br />

wir sagen zu transformieren. Dort kann das neue Problem dann mit weniger Aufwand<br />

gelöst werden.<br />

Zur Veranschaulichung der Idee der Spiegelwelt siehe die Illustration zu Lewis Carrolls<br />

Through the Looking Glass; http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Tenniel,_Through_The_<br />

Looking-Glass.gif.<br />

Abbildung 1: Alice geht durch den Spiegel<br />

Abbildung 2 illustriert die Hauptidee, die wir mit Hilfe der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> verfolgen:<br />

Wir möchten durch Wechsel in eine mathematische Spiegelwelt eine Problemvereinfachung<br />

erreichen und dann das gegebene, in aller Regel schwierige Problem alternativ<br />

lösen entlang der rot beschrifteten Pfeile. Dabei soll der eigentliche Lösungsaufwand in<br />

der Spiegelwelt einfacher als zuvor sein.<br />

1.1.1 Vor- und Nachteile<br />

⊕ Die <strong>Transformation</strong> wird in aller Regel einfach zu bewerkstelligen sein. Zudem existieren<br />

<strong>Transformation</strong>stabellen, die diesen Teil weiter vereinfachen.


1 EINFÜHRUNG 2<br />

Abbildung 2: Alternativer Lösungsweg mittels <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong><br />

⊕ Wie erwähnt ist das Lösen im s-Bereich einfach trotz des Fakts dass nun s ∈ C ist.<br />

⊖ Die Rücktransformation ist oft nicht so einfach. Aber wie im ersten Pluspunkt bereits<br />

erwähnt, können wir hierbei Tabellen verwenden.<br />

Insgesamt ist zu bemerken, dass der gesamte Prozess des Lösens des Ausgangsproblems<br />

nun sehr verschieden vom direkten Lösen ist. Denken wir z.B. an eine lineare Dierentialgleichung<br />

höherer Ordnung mit konstanten Koezienten: Beim ursprünglichen Lösungsverfahren<br />

sucht verfährt man in mehreren Schritten;<br />

1. Lösen des charakteristischen Polynoms,<br />

2. Fundamentallösungen bzw. homogene Lösung y hom ,<br />

3. Störgliedansatz zum Aunden einer Partikulärlösung y p (dabei auf Resonanz achten!),<br />

4. Gesamtlösung als Summe von y hom und y p .<br />

Der neue Rechenweg über die <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> sieht dagegen komplett anders<br />

aus. Allerdings tritt auch hier - und zwar ganz automatisch - das charakteristische Polynom<br />

in Erscheinung. Wir müssen aber bei diesem Weg nicht mehr auf Resonanz achten:


1 EINFÜHRUNG 3<br />

Die <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> beachtet diesen Sonderfall ganz automatisch selbst und<br />

nimmt uns hier etwas Denkarbeit ab.<br />

1.1.2 Geeignete Problemstellungen<br />

Welche mathematischen Problemstellungen könen wir nun tatsächlich geschickt mit Hilfe<br />

der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> lösen?<br />

Typische Anwendungsszenarien bieten die folgenden Aufgabenstellungen:<br />

• gewöhnliche lineare Dierentialgleichungen höherer Ordnung mit konstanten Koezienten<br />

(Wie oben erwähnt, muss dabei nicht mehr auf Resonanz geachtet werden.),<br />

• Anfangswertprobleme (Die Anfangswerte gehen dabei direkt während der Übersetzung,<br />

d.h. der <strong>Transformation</strong> des Ausgangsproblem ein.),<br />

• lineare Dierentialgleichungssysteme mit konstanten Koezienten und schlieÿlich<br />

die<br />

• Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangssignal bei elektrischen<br />

Elementen wie z.B. dem R − c − Glied.<br />

Bevor wir beginnen, uns die eigentliche <strong>Transformation</strong> anzuschauen und gegebene Probleme<br />

tatsächlich zu lösen, werfen wir einen Blick auf die letzten beiden Aufgabenstellungen,<br />

um zu verstehen, worum es dabei geht.<br />

1.1.3 Lineare Dierentialgleichungssysteme<br />

Ein einfaches Beispiel für ein lineares Dierentialgleichungssystem mit konstanten Koef-<br />

zienten ergibt sich aus der Betrachtung des Doppelpendels, siehe Abbildung 3.<br />

Dabei werden zwei normale Fadenpendel (I) und (II) über eine Feder miteinander gekoppelt.<br />

Weiterhin nehmen wir der Einfachheit halber an, dass beide Pendel die selbe<br />

Fadenlänge l und Masse m besitzen und dass die Auslenkungswinkel α und β klein sind,<br />

d.h. nicht gröÿer als 10 ◦ .<br />

Wir machen für jedes Pendel den Kraftansatz<br />

Gesamtkraft = Reibkraft + Gewicht + Federkraft<br />

und erhalten die beiden Dierentialgleichungen<br />

(I) m · l · α ..<br />

= −ν · l · α .<br />

− m · g · α − k · l · (α − β),<br />

(II) m · l · β ..<br />

= −ν · l · β .<br />

− m · g · β − k · l · (β − α).<br />

Dabei ist k die Federkonstante, g die Fallbeschleunigung und ν der Reibkoezient, wobei<br />

wir von sogenannter Stokesscher Reibung ausgehen, d.h. von einer Reibkraft, die sich<br />

proportional zur Geschwindigkeit verhält.<br />

Man sieht, dass beide gesuchten Funktionen, nämlich die Zeit-abhängigen Auslenkungswinkel<br />

α(t) und β(t), in beiden Dierentialgleichungen vorkommen. Dadurch wird das


1 EINFÜHRUNG 4<br />

Abbildung 3: Zwei normale, über eine Feder gekoppelte Fadenpendel<br />

Problem zu einem sogenannten Dierentialgleichungssystem. Wir können hier nicht mehr<br />

einfach eine Gleichung verwenden, um eine Unbekannte zu bestimmen.<br />

Wir werden später sehen, dass das transformierte Problem ein lineares Gleichungssystem<br />

mit zwei Gleichungen und zwei Unbekannten und somit leicht zu lösen ist.<br />

1.1.4 Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangssignal<br />

Um auch diese Aufgabenstellung kurz zu erklären, betrachten wir ein sogenanntes R −<br />

c − Glied im Wechselstromkreis; siehe Abbildung 4.<br />

Abbildung 4: R − c − Glied im Wechselstromkreis<br />

Wir können die über der gesamten Strecke angelegte Spannung u in als Eingangssignal<br />

des R − c − Glieds betrachten. Dann stellt sich über dem Kondensator ein bestimmtes


1 EINFÜHRUNG 5<br />

Ausgangssignal u out ein.<br />

Wir werden sehen, dass wir mit Hilfe der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> den Zusammenhang<br />

zwischen diesen beiden Signalen einfach studieren und verstehen können. So ergibt sich<br />

im Fall einer Rechteck-förmigen Eingangsspannung u 0 , die zwischen den Zeitpunkten t 1<br />

und t 2 angelegt wird, eine Ausgangsspannung wie in Abbildung 5 in grün dargestellt. Die<br />

grüne Kurve ist dabei noch abhängig vom Produkt des Ohmschen Widerstands R und<br />

der Kapazität c.<br />

Abbildung 5: Rechteck-förmiges Eingangssignal und resultierendes Ausgangssignal<br />

1.1.5 Wiederholung: Rechnen im Wechselstromkreis<br />

Dieser Abschnitt ist reine Wiederholung und illustriert noch einmal, dass für das Rechnen<br />

im Wechselstromkreis die komplexen Zahlen C gut geeignet sind.<br />

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn wir im s-Bereich mit einer komplexwertigen Variablen<br />

s rechnen (, auch wenn wir dies nur selten beim Rechnen beachten müssen oder<br />

überhaupt merken werden).<br />

Zur Wiederholung betrachten wir einen Ohmschen Widerstand und - dieses Mal dazu<br />

parallel geschaltet - einen Kondensator; siehe Abbildung 6.<br />

Es sei die Wechselspannung<br />

u(t) = A · cos (ωt)<br />

an die Schaltung angelegt. Wir suchen den resultierenden Stromverlauf i(t).<br />

Lösung:<br />

1. Schritt: Wir übersetzen u(t) und das gesuchte i(t) in komplexe Gröÿen:<br />

u C (t) := A · e jωt ,<br />

i C (t) gesucht.


1 EINFÜHRUNG 6<br />

Abbildung 6: Ohmscher Widerstand und Kondensator parallel geschaltet<br />

Die komplexen Zahlen C spielen hier also die Rolle der Spiegelwelt. (Dies ist aber nicht<br />

die Spiegelwelt, in der wir uns bei der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> bewegen werden.) Dann<br />

gelten die Rücktransformationsregeln<br />

u(t) = Re (u C (t)) und i(t) = Re (i C (t)) .<br />

2. Schritt: Nun müssen wir die realen Wiederstände in komplexe Widerstände, die sogenannten<br />

Impendanzen übertragen: Statt R und c haben wir nun z R und z c mit folgenden<br />

Formeln:<br />

z R = R, z c = 1<br />

jcω .<br />

3. Schritt: Wir berechnen nun die Gesamtimpedanz. Dabei verwenden wir das Gesetz für<br />

die Parallelschaltung von Wiederständen, die auch für Impedanzen gilt, d.h.<br />

1<br />

= 1 + 1 = 1 z ges z R z c R + jcω<br />

4. Schritt: Jetzt können wir mit Hilfe des Ohmschen Gesetzes für Impedanzen<br />

den Strom berechnen:<br />

i C = u C<br />

z ges<br />

=<br />

z = u C<br />

i C<br />

( )<br />

( )<br />

1 A<br />

R + jcω · A · e jωt =<br />

R + j · cωA · e jωt .<br />

Es fällt auf, dass die Klammer gar nicht von der Zeit t, sondern nur von unseren Ausgangsparametern<br />

A, R, c und ω abhängt. Somit ist auch der Strom i C (t) eine Kreisschwingung<br />

mit der gleichen Kreisfrequenz ω also analog zu u C (t). Lediglich die Anfangszeiger<br />

sind unterschiedlich, nämlich für die Spannung gleich A und für den Strom gleich<br />

( A<br />

R + j · cωA) ; siehe Abbildung 7.


1 EINFÜHRUNG 7<br />

5. Schritt: Um i(t) zu berechnen, empehlt es sich, den Anfangszeiger von i C (t) in Exponentialdarstellung<br />

zu bringen:<br />

A<br />

R + j · cωA =: r · ejφ ,<br />

wobei r = A √ 1/R 2 + c 2 und φ = arctan(cωA/(A/R)) = arctan(cωR). Dann folgt<br />

i C (t) = r · e j(ωt+φ) bzw. i(t) = Re(i C (t)) = r · cos (ωt + φ).<br />

Abbildung 7: Anfangszeiger von Spannung (rot) und Strom (grün)<br />

1.2 Grundlegende Signale<br />

1.2.1 Die Einheitssprungfunktion<br />

Denition 1 (Sprung- oder HEAVISIDE-Funktion)<br />

Die Funktion<br />

σ : R \ {0} → {0, 1}<br />

{ 0, t < 0,<br />

t ↦→<br />

1, t > 0<br />

heiÿt Einheitssprungfunktion oder kurz Sprungfunktion oder HEAVISIDE-<br />

Funktion.<br />

Oliver Heaviside war ein britischer Mathematiker und Physiker und lebte von 1850-1925.<br />

Diese Funktion ist also an der Stelle t = 0 gar nicht deniert. Wir werden sehen, dass in<br />

der Theorie der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> einzelne Funktionswerte keine Rolle spielen, da<br />

es immer um den zeitlichen Verlauf von Signalen geht. Und für diese ist es nicht wichtig,


1 EINFÜHRUNG 8<br />

was zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt passiert. Insofern ist es nur konsequent, dass<br />

wir σ(t) für t = 0 gar nicht denieren.<br />

Die HEAVISIDE-Funktion modelliert also den Wechsel vom Nullniveau auf ein bestimmtes<br />

Nichtnullniveau. Und klar; wenn wir σ(t) mit einer Konstante multiplizieren, können<br />

wir jeden Wert für t > 0 erzwingen.<br />

Für a > 0 ist σ(t − a) natürlich die um a nach rechts verschobene Sprungfunktion; siehe<br />

Abbildung 8 für einige einfache Beispiele.<br />

Abbildung 8: Einige einfache Sprungfunktionen<br />

Durch Kombination mehrerer Terme der Form a · σ(t − b) können wir beliebige Treppenfunktionen<br />

zusammenbauen.<br />

Beispiel 1<br />

a) σ(t − a) − σ(t − b) für beliebige a, b ∈ R mit 0 < a < b<br />

b) 3σ(t) + 2σ(t − 2) − 4σ(t − 3)<br />

c) (1 − t) · (σ(t + 1) − σ(t)) + t · (σ(t) − σ(t − 1))<br />

1.2.2 Die Einheitsimpulsfunktion<br />

Wir betrachten die Funktionenschar<br />

r a (t) := 1 (σ(t) − σ(t − a)) ,<br />

a<br />

für a > 0.<br />

Abbildung 9 zeigt einen typischen Vertreter mit Nichtnullniveau 1/a und einer Intervalllänge<br />

a, auf der die Nichtnullwerte angenommen werden. Es folgt also direkt für die Fläche<br />

unter dem Rechtecksignal r a :<br />

∫ ∞<br />

−∞<br />

r a (t) dt = 1.


1 EINFÜHRUNG 9<br />

Abbildung 9: Rechteckfunktion r a (t) mit konstanter Fläche 1<br />

Nun lassen wir a gegen 0 + gehen und erhalten die Einheitsimpulsfunktion<br />

{ ∞, t = 0,<br />

δ(t) :=<br />

0, t ≠ 0 ,<br />

wobei das ∞ so gewählt wird, dass die Fläche immernoch 1 ergibt, d.h.<br />

∫ ∞<br />

−∞<br />

δ(t) dt = 1.<br />

Achtung! Die hier gegebene Herleitung bzw. Denition der Einheitsimpulsfunktion ist<br />

mathematisch nicht korrekt, schon allein, weil ∞ kein zulässiger Funktionswert ist. Eine<br />

korrekte Herleitung bedarf Vorwissen aus anderen mathematischen Disziplinen, auf das<br />

wir hier nicht näher eingehen wollen.<br />

Die Einheitsimpulsfunktion wird auch kurz als Impulsfunktion oder - zu Ehren von<br />

Paul Dirac, einem englischen Quantenphysiker und Nobelpreisträger (1902-1984) - als<br />

DIRAC-Funktion bezeichnet. Daher rührt auch die Bezeichnung delta.<br />

Man stellt sich die DIRAC-Funktion am besten als einen zeitlich sehr kurzen Impuls<br />

von sehr groÿer Amplitute vor, d.h. als r a (t) mit sehr kleinem a > 0. Um das Schaubild<br />

von δ(t) in einem Koordinatensystem darzustellen wird ein Vektorpfeil verwendet. Auch<br />

hier können wir die Amplitude wieder vervielfachen oder den Zeitpunkt des Impulses<br />

verschieben sowie Linearkombinationen bilden; siehe Abbildung 10.<br />

1.2.3 Zusammenhang zwischen Sprung- und Impulsfunktion<br />

Wir denieren die Rampenfunktion<br />

⎧<br />

⎨ 0, t < 0,<br />

m a (t) := t/a, 0 ≤ t ≤ a,<br />

⎩<br />

1, t > a<br />

,


1 EINFÜHRUNG 10<br />

Abbildung 10: Diracfunktion und Modikationen<br />

wiederum für beliebiges a > 0; siehe Abbildung 11.<br />

Dann ist m a (t) für alle t ≠ 0 und t ≠ a dierenzierbar mit der Ableitung<br />

Abbildung 11: Rampenfunktion m a (t)<br />

m ′ a(t) :=<br />

{ 0, t < 0 und t > a,<br />

1/a, 0 ≤ t ≤ a.<br />

Indem wir das Verhalten an einzelnen Zeitpunkten ignorieren, können wir also kurz sagen<br />

m ′ a(t) = r a (t).<br />

Wir hatten ja oben schon gesehen, dass r a (t) → δ(t) für a → 0 + . Analog stellen wir fest,<br />

dass m a (t) → σ(t) für a → 0 + . Zusammen ergibt sich also - wiederum hier mathematisch<br />

nicht ganz korrekt ausgeführt -<br />

d<br />

σ(t) = δ(t) .<br />

dt<br />

Mit anderen Worten:


1 EINFÜHRUNG 11<br />

MERKE: Zusammenhang zwischen δ und σ<br />

1. Die DIRAC-Funktion kann als die Ableitung der HEAVISIDE-Funktion betrachtet<br />

werden.<br />

1.2.4 Einsetzregel und Ausblendeigenschaft der DIRAC-Funktion<br />

Satz 1 (Einsetzregel für δ)<br />

Sei f(t) stetig an der Stelle t 0 ∈ R. Dann gilt die Einsetzformel<br />

f(t) · δ(t − t 0 ) = f(t 0 ) · δ(t − t 0 ) .<br />

Als direkte Folgerung ergibt sich die Integralformel<br />

∫ ∞<br />

f(t) · δ(t − t 0 ) dt =<br />

∫ ∞<br />

f(t 0 ) · δ(t − t 0 ) dt = f(t 0 ) ·<br />

∫ ∞<br />

δ(t − t 0 ) dt = f(t 0 ),<br />

−∞<br />

−∞<br />

−∞<br />

die auch als Ausblendeigenschaft der DIRAC-Funktion bezeichnet wird.<br />

1.2.5 Verallgemeinerte Ableitungen<br />

Aufgrund der Beziehung d/dtσ(t) = δ(t) sind wir schon fast in der Lage, beliebige abschnittsweise<br />

denierte Funktionen zu dierenzieren. Da solche Funktionen aufgrund von<br />

Sprüngen und Knicken nicht im eigentlichen Sinne dierenzierbar sind, sprechen wir im<br />

Folgenden von der verallgemeinerten Ableitung.<br />

Nehmen wir an, wie möchten die abschnittweise denierte Funktion<br />

s(t) = (2 + t) · σ(t − 1)<br />

ableiten. Wir kennen zwar die (verallgemeinerten) Ableitungen jedes Faktors, doch was<br />

machen wir mit dem Produkt? Hier gilt zum Glück auch weiterhin die Produktregel:<br />

Satz 2 (Verallgemeinerte Produktregel)<br />

Bei Ableiten von Termen der Form f(t) · σ(t − t 0 ), wobei f dierenzierbar ist, gilt die<br />

verallgemeinerte Produktregel<br />

d<br />

dt [f(t) · σ(t − t 0)] = f ′ (t) · σ(t − t 0 ) + f(t 0 ) · δ(t − t 0 ) .<br />

Dabei würde man im letzten Term zwar den Vorfaktor f(t) erwarten. Diesen können wir<br />

aber gemäÿ Satz 1 sofort durch f(t 0 ) ersetzen.


2 DIE LAPLACE-TRANSFORMATION 12<br />

Damit können wir nun s ′ (t) berechnen:<br />

s ′ (t) = 1 · σ(t − 1) + (2 + t) · δ(t − 1) = σ(t − 1) + 3 · δ(t − 1) .<br />

(Hierbei haben wir die Einsetzregel mit t 0 = 1 angewendet.)<br />

Abbildung 12 zeigt s(t) und die verallgemeinerte Ableitung s ′ (t).<br />

Nach diesem Beispiel ist relativ klar wie man, ausgehend vom Schaubild einer abschnitts-<br />

Abbildung 12: s(t) und seine verallgemeinerte Ableitung s ′ (t)<br />

weise denierten Funktion, direkt deren verallgemeinerte Ableitung skizziert ohne diese<br />

zu berechnen:<br />

MERKE: Verallgemeinertes Ableiten grasch<br />

1. Dort, wo die Ausgangsfunktion dierenzierbar ist, leitet man ganz normal ab.<br />

2. Eine Sprungstelle t s der Höhe h s schlägt sich in der Ableitung in dem Term h s ·<br />

δ(t − t s ) nieder.<br />

Beispiel 2 Skizzieren Sie jeweils die gegebene Funktion und danach sofort (d.h. ohne<br />

Rechnung) deren verallgemeinerte Ableitung.<br />

Berechnen Sie dann die verallgemeinerte Ableitung mit Hilfe von Satz 2 und vergleichen<br />

Sie ihr Ergebnis mit dem zuvor angefertigten Schaubild.<br />

a) (1 + t) · (σ(t + 1) − σ(t)) + (1 − t) · (σ(t) − σ(t − 1))<br />

b) 2 − 2σ(t − 2) + (t − 3) 2 · (σ(t − 2) − σ(t − 4)) + σ(t − 4)<br />

2 Die LAPLACE-<strong>Transformation</strong><br />

Genau wie auch die FOURIER-<strong>Transformation</strong> handelt es sich bei der LAPLACE-<br />

<strong>Transformation</strong> um eine sogenannte Integraltransformation, da - wie wir gleich sehen


2 DIE LAPLACE-TRANSFORMATION 13<br />

werden - der Wechsel in die Spiegelwelt mathematisch durch eine Integralformel bewerkstelligt<br />

wird.<br />

Wie schon am Anfang erläutert werden wir die LAPLACE-<strong>Transformation</strong> für die Untersuchung<br />

physikalisch-technischer Systeme verwenden. Da wir diese immer erst ab einem<br />

bestimmten Zeitpunkt untersuchen, beschränken wir uns für die zeitlichen Verläufe ab<br />

einem t ≥ t 0 . Ohne Einschränkung können wir dabei t 0 = 0 annehmen.<br />

2.1 Denition und erste Beispiele<br />

2.1.1 Denition der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong><br />

Denition 2 (<strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong>)<br />

Sei f(t) eine beliebige, für t ≥ 0 denierte Funktion. Dann heiÿt die komplexwertige<br />

Funktion<br />

F (s) :=<br />

∫ ∞<br />

0<br />

f(t) e −st dt<br />

die <strong>Laplace</strong>-Transformierte zu/von f und zwar für all jene s ∈ C, für die das<br />

Integral existiert. Wir schreiben dann<br />

f(t) ◦ • F (s) oder F (s) = L{f(t)};<br />

lies: klein f von t transformiert zu groÿ F von s bzw. groÿ F von s ist die Transformierte<br />

von klein f von t.<br />

In der Denition tritt also ein uneigentliches Integral mit komplexwertigem Integranden<br />

auf.<br />

Wiederholung aus Mathe 1:<br />

∫ ∞<br />

0<br />

. . . dt = lim<br />

b→∞<br />

∫b<br />

0<br />

. . . dt.<br />

Aber wie ist ein Integral mit komplexwertigem Integranden zu verstehen? Ganz einfach:<br />

∫ b<br />

0<br />

f(t) e −st dt<br />

s=x+jy<br />

=<br />

=<br />

=<br />

∫ b<br />

0<br />

∫ b<br />

f(t) e −xt e −jyt dt<br />

f(t) e −xt · (cos (−yt) + j sin (−yt)) dt<br />

0<br />

∫ b<br />

∫ b<br />

f(t) e −xt cos (yt) dt − j · f(t) e −xt sin (yt) dt;<br />

0<br />

0


2 DIE LAPLACE-TRANSFORMATION 14<br />

also eine aus zwei herkömmlichen Integralen gebildete komplexe Zahl.<br />

Man sieht auch, dass der Faktor e −xt = e −Re(s)t für Re(s) > 0 für die Konvergenz des<br />

uneigentlichen Integrals sorgt (, falls nicht f(t) zu stark wächst für t → ∞).<br />

2.1.2 Die Rücktransformationsformel<br />

Satz 3 (<strong>Laplace</strong>-Rücktransformation)<br />

Sei f(t) ◦ • F (s) eine <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong>. Dann gilt<br />

f(t) = 1<br />

2πj ·<br />

∫<br />

s=x+j∞<br />

s=x−j∞<br />

F (s) e st ds,<br />

wobei x beliebig gewählt werden kann, allerdings groÿ genug, so dass F (x + jy) für alle<br />

y ∈ R deniert ist.<br />

Für die Rückrichtung der <strong>Transformation</strong> schreiben wir F (s) • ◦ f(t).<br />

Die Schreibweise ist also nur die gespiegelte Version der in Denition 2 eingeführten<br />

Schreibweise.<br />

Die Integration verläuft entlang eines Integrationspfads in C, genauer entlang einer Geraden<br />

mit konstantem Realteil x, so dass F (s) für jedes s auf dieser Geraden deniert<br />

(sprich: das Integral aus Denition 2 konvergent) ist.<br />

Glücklicherweise brauchen wir an dieser Stelle nicht näher auf die Integration in C einzugehen;<br />

damit beschäftigt sich die mathematische Disziplin der Funktionentheorie. Stattdessen<br />

werden wir einige aus dem Reellen bekannte Rechenregeln übernehmen und damit<br />

ausreichend gut rechnen können. Zudem gibt es umfangreiche <strong>Transformation</strong>stabellen, in<br />

denen die wichtigsten <strong>Transformation</strong>spaare f(t)◦ •F (s) nachgeschlagen werden können.<br />

2.1.3 Beispiele<br />

Zur Übung wollen wir trotzdem einige einfache <strong>Transformation</strong>spaare manuell berechnen;<br />

nicht zuletzt, um das Rechnen mit komplexen Integralen zu üben bzw. um zu sehen, dass<br />

man dazu nur reell integrieren können muss.<br />

Beispiel 3 Man berechne die <strong>Laplace</strong>-Transformierten der folgenden Funktionen<br />

unter alleiniger Verwendung von Denition 2:<br />

a) f(t) = σ(t),<br />

b) f(t) = σ(t − a) , a > 0,<br />

c) f(t) = A · (σ(t − t 1 ) − σ(t − t 2 )) , 0 < t 1 < t 2 ; A ∈ R<br />

d) f(t) = σ(t) · cos (ωt),<br />

e) f(t) = e at , a ∈ C


3 WICHTIGE SÄTZE ZUR LAPLACE-TRANSFORMATION 15<br />

f) f(t) = σ(t) · t n , n ∈ N +<br />

3 Wichtige Sätze zur <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong><br />

Die in diesem Abschnitt aufgeführten Sätze sollen uns befähigen, möglichst viele Funktionen<br />

aus dem Zeitbereich in den Frequenzbereich transformieren zu können. Das Muster ist<br />

dabei immer das selbe: Angenommen man kennt schon ein oder mehrere gültige <strong>Transformation</strong>spaare<br />

(z.B. aus einer Tabelle), wie kann man sich dann daraus neue gültige Paare<br />

basteln?<br />

Da die meisten Beweise relativ einfach sind, geben wir diese mit an; auch um damit<br />

die verschiedenen Schreibweisen im Zusammenhang mit der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> zu<br />

üben.<br />

3.1 Linearität<br />

Satz 4 (Linearität)<br />

Aus den <strong>Transformation</strong>en f ◦ • F, g ◦ • G folgt af + bg ◦ • aF + bG für alle a, b ∈ R.<br />

Für b = 0 kann man das auch so lesen: Man darf die <strong>Transformation</strong> f ◦ • F auf beiden<br />

Seiten mit einer Zahl a durchmultiplizieren.<br />

Und für a = b = 1 steht dort, dass man die linken und rechten Seiten zweier gegebener<br />

<strong>Transformation</strong>en einfach addieren darf.<br />

Beweis: Grund für die Richtigkeit der Linearität der <strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong> ist die<br />

Linearität der Integration:<br />

∫ ∞<br />

(af(t) + bg(t)) e −st dt = a<br />

∫ ∞<br />

f(t)e −st dt + b<br />

∫ ∞<br />

g(t)e −st dt,<br />

0<br />

d.h. L{af + bg} = aL{f} + bL{g}.<br />

Beispiel 4<br />

0<br />

0<br />

<br />

a) e jωt ◦ • . . .<br />

e −jωt ◦ • . . .<br />

=⇒ cos (ωt) ◦ • . . . , sin (ωt) ◦ • . . .<br />

•<br />

1<br />

s 2 +3s+2 • ◦ . . .<br />

3.2 Dämpfung im t-Bereich, Verschiebung im s-Bereich<br />

Satz 5 (t-Dämpfung, s-Verschiebung)<br />

Aus der <strong>Transformation</strong> f ◦ • F folgt e at · f(t) ◦ • F (s − a) für alle a ∈ C.


3 WICHTIGE SÄTZE ZUR LAPLACE-TRANSFORMATION 16<br />

Beweis:<br />

∫ ∞<br />

∫ ∞<br />

F (s − a) = f(t)e −(s−a) dt = e at f(t)e −st dt = L{e at f(t)}<br />

Beispiel 5<br />

0<br />

0<br />

<br />

a) e at · σ(t) ◦ • . . .<br />

b) e −at sin (ωt)<br />

c)<br />

5s+1<br />

s 2 +2s+5 • ◦ . . .<br />

3.3 Verschiebung im t-Bereich, Dämpfung im s-Bereich<br />

Satz 6 (t-Verschiebung, s-Dämpfung)<br />

Aus der <strong>Transformation</strong> f ◦ • F folgt σ(t − a) · f(t − a) ◦ • e −as · F (s) für alle a ∈ C.<br />

Beweis:<br />

∫ ∞<br />

σ(t − a) f(t − a)e −st dt =<br />

∫ ∞<br />

f(t − a)e −st dt<br />

0<br />

a<br />

∫ ∞<br />

Subst.: ˜t = t − a = f(˜t)e −s(˜t+a) d˜t<br />

0<br />

∫ ∞<br />

= e −sa · f(˜t)e −s˜t d˜t = e −sa L{f}.<br />

Beispiel 6<br />

a) σ(t − a) ◦ • . . .<br />

b) 1−e−3s<br />

s+2<br />

• ◦ . . .<br />

0<br />

<br />

3.4 Ähnlichkeitssatz<br />

Satz 7 (Ähnlichkeitssatz)<br />

Aus der <strong>Transformation</strong> f ◦ • F folgt f(at) ◦ • 1/a · F (s/a) für alle a > 0.


3 WICHTIGE SÄTZE ZUR LAPLACE-TRANSFORMATION 17<br />

Ersetzt man a durch 1/b, so ergibt sich eine andere gebräuchliche Darstellung dieses Satzes:<br />

( t<br />

f ◦ • F =⇒ f ◦ • b · F (bs).<br />

b)<br />

Beweis:<br />

L{f(at)} =<br />

∫ ∞<br />

f(at)e −st dt<br />

Beispiel 7<br />

Subst.: ˜t = at =<br />

0<br />

∫ ∞<br />

0<br />

f(˜t)e − s ˜t d˜t<br />

a<br />

a = 1 ( s<br />

)<br />

a · F .<br />

a<br />

<br />

a) sin t ◦ • 1<br />

s 2 +1<br />

=⇒ sin (ωt) ◦ • . . .<br />

b) e t + te t ◦ • . . . =⇒ (1 + at)e at ◦ • . . .<br />

3.5 Dierentiation im t-Bereich<br />

Satz 8 (t-Dierentiation)<br />

Gegeben sei die <strong>Transformation</strong> f ◦ • F . Für Re(s) > 0 gelten dann ebenfalls die<br />

<strong>Transformation</strong>en<br />

f ′ (t) ◦ • s · F (s) − f(0)<br />

f ′′ (t) ◦ • s 2 · F (s) − s · f(0) − f ′ (0)<br />

.<br />

f (k) (t) ◦ • s · L{f (k−1) (t)} − f (k−1) (0).<br />

Expandiert man die letzte Zeile, so ergibt sich<br />

f (k) (t) ◦ • s k · F (s) − s k−1 · f(0) − s k−2 · f ′ (0) − . . . − s 1 · f (k−2) (0) − f (k−1) (0).<br />

Man überlegt sich, dass nur die Formel für f ′ (t) zu beweisen ist, denn f ′′ (t) ist die erste<br />

Ableitung von f ′ (t), d.h. alle anderen Formeln folgen dann durch wiederholte Anwendung<br />

der Formel für die erste Ableitung.<br />

Beweis: Für den Fall f ′ (t) resultiert der Beweis aus einer Anwendung der partiellen<br />

Integration:<br />

L{f ′ (t)} =<br />

∫ ∞<br />

f ′ (t)e −st dt<br />

0


3 WICHTIGE SÄTZE ZUR LAPLACE-TRANSFORMATION 18<br />

part. Int. mit u ′ = f ′ , v = e −st = [ f(t)e −st] ∞<br />

∫<br />

0 − ∞<br />

= 0 − f(0) + s ·<br />

0<br />

∫ ∞<br />

0<br />

f(t)(−s)e −st dt<br />

f(t)e −st dt.<br />

Dieser Satz ist wichtig für die <strong>Transformation</strong> von Dierentialgleichungen und Dierentialgleichungssystemen,<br />

da dort ja Ableitungen auftreten.<br />

Beispiel 8<br />

a) f(t) := sin (ωt) ◦ •<br />

ω<br />

s 2 +ω 2<br />

=⇒ f ′ (t) ◦ • . . . =⇒ cos (ωt) ◦ • . . .<br />

<br />

3.6 Dierentiation im s-Bereich<br />

Satz 9 (s-Dierentiation)<br />

Gegeben ist die <strong>Transformation</strong> f ◦ •F . Dann folgt die <strong>Transformation</strong> −t·f(t)◦ •F ′ (s).<br />

Beweis: Dierenziert man die <strong>Transformation</strong>sgleichung F (s) = ∫ ∞<br />

0<br />

f(t)e −st dt auf beiden<br />

Seiten nach s, so ergibt sich<br />

F ′ (s) = d ds<br />

∫ ∞<br />

f(t)e −st dt<br />

=<br />

0<br />

∫ ∞<br />

∫ ∞<br />

f(t) d ds e−st dt = −t · f(t)e −st dt<br />

0<br />

= L{−t · f(t)},<br />

0<br />

wobei wir nicht näher auf die (an dieser Stelle zulässige) Vertauschung von Dierentiation<br />

und Integration (von der ersten zur zweiten Zeile) eingehen.<br />

<br />

Beispiel 9<br />

a) f(t) = 1 ◦ • 1, d.h. 1 • ◦ 1<br />

s s<br />

=⇒ dn 1<br />

• ◦ . . .<br />

ds n s<br />

b) sin t ◦ • 1<br />

1+s 2<br />

=⇒ d 1<br />

ds<br />

1+s 2 • ◦ . . .


3 WICHTIGE SÄTZE ZUR LAPLACE-TRANSFORMATION 19<br />

3.7 Integration im t-Bereich<br />

Satz 10 (t-Integration)<br />

Gegeben sei wieder die <strong>Transformation</strong> f(t) ◦ • F (s). Dann folgt<br />

∫ t<br />

0<br />

f(u) du ◦ • F (s)<br />

s .<br />

Aus ∫ Mathematik 1 ist bekannt, dass das von seiner oberen Grenze t abhängige Integral<br />

t<br />

f(u) du nichts weiter als eine Stammfunktion von f(t) ist (, wenn f(t) stückweise stetig<br />

0<br />

ist). Unter all den Stammfunktionen von f(t) ist es darüber hinaus diejenige Stammfunktion,<br />

die an der Stelle t = 0 den Wert Null hat, d.h. deren Schaubild durch den Ursprung<br />

verläuft.<br />

Beweis: Sei also die durch den Ursprung verlaufende Stammfunktion von f(t) mit G(t)<br />

bezeichnet. Dann gilt<br />

part. Int.: f = u ′ , e−st<br />

s<br />

F (s)<br />

s<br />

=<br />

= v =<br />

∫ ∞<br />

0<br />

f(t) e−st<br />

s<br />

[G(t) · e−st<br />

= 0 − 0 +<br />

s<br />

∫ ∞<br />

dt<br />

] ∞<br />

t=0<br />

−<br />

∫ ∞<br />

0<br />

G(t)e −st dt,<br />

G(t) ( − −st) dt<br />

0<br />

wobei wir noch angenommen haben, dass lim t→∞ G(t)e −st<br />

Re(s) > 0 erfordert.<br />

= 0 ist, was auf jeden Fall<br />

<br />

Beispiel 10<br />

a) f(t) = 1 ◦ • 1 s<br />

=⇒ t ◦ • . . .<br />

b) 1 2 t sin t ◦ • s<br />

(s 2 +1) 2<br />

=⇒<br />

1<br />

(s 2 +1) 2 • ◦ 1 2<br />

∫ t<br />

0<br />

x sin x dx = . . .


4 DIE FALTUNG 20<br />

3.8 Anfangs- und Endwerte<br />

Satz 11 (Anfangs- und Endwerte)<br />

Aus der <strong>Transformation</strong> f(t)◦ •F (s) folgen nachstehende Formeln für f(0 + ) und f(∞):<br />

lim f(t) = lim<br />

t→0 +<br />

lim<br />

t→∞<br />

s · F (s)<br />

s→∞<br />

f(t) = lim s→0 +<br />

und<br />

Der Grenzübergang s → ∞ bedeutet dabei genauer Re(s) → ∞, d.h. es ist egal wie sich<br />

der Imaginärteil von s während des Grenzübergangs verhält.<br />

Achtung! Die zweiten Ausage gilt im Allgemeinen nur, wenn F (s) in der rechten Halbebene<br />

{s ∈ C | Re(s) ≥ 0} höchstens einen einfachen Pol an der Stelle s = 0 besitzt.<br />

Wir verzichten an dieser Stelle auf den Beweis des Satzes.<br />

Beispiel 11<br />

a) σ(t) ◦ • 1 und 1/s besitzt nur einen Pol erster Ordnung bei s = 0. Demnach gelten<br />

s<br />

beide Formeln, nämlich:<br />

. . .<br />

b) F (s) = s • ◦ t sin t = f(t)<br />

(s 2 +1) 2 2<br />

lim t→0 + f(t) = . . . ...<br />

lim t→∞ f(t) = . . . ???<br />

c) Wir suchen die Rücktransformation f(t) von 1 • ◦ f(t).<br />

F (s) = 1 hat keine Pole, d.h. beide Formeln gelten:<br />

=⇒ . . . =⇒ f(t) = δ(t)<br />

4 Die Faltung<br />

Wir haben nun zahlreiche Hilfsmittel beisammen, um aus gegebenen, z.B. tabellierten<br />

oder bereits berechneten <strong>Transformation</strong>spaaren weitere korrekte <strong>Transformation</strong>spaaare<br />

zu berechnen.<br />

Nun soll uns die Frage beschäftigen, wie wir aus den gegebenen Transformierten von f(t)<br />

und g(t) die Transformierte von f(t)·g(t) erzeugen können. Dies erönet uns dann weitere<br />

Rechenwege, um <strong>Transformation</strong>en zu bewerkstelligen.<br />

Zudem wird uns die Antwort auf diese Frage sehr weiterhelfen beim Verständnis der Ein-<br />

Ausgabe-Relation eines linearen Systems, das wir weiter unten behandeln.


4 DIE FALTUNG 21<br />

4.1 Denition und Eigenschaften<br />

4.1.1 Denition des Faltungsprodukts<br />

Denition 3 (Faltungsprodukt/Faltung)<br />

Seien f und g zwei reell-wertige, auf ganz R denierte Funktionen. Dann nennt man<br />

die für jedes x ∈ R durch das uneigentliche Integral<br />

f ∗ g (x) :=<br />

∫ ∞<br />

f(u) · g(x − u) du<br />

denierte Funktion Faltung oder Faltungsprodukt von f und g.<br />

−∞<br />

Das Ergebnis der Faltungsoperation ist also wieder eine auf ganz R denierte reell-wertige<br />

Funktion, deren jeder Funktionswert durch ein Integral berechnet werden muss.<br />

Die Denition ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn das Integral auch für jeden x-Wert<br />

existiert, d.h. eine reelle Zahl ergibt.<br />

Beispiel 12 f(x) = σ(x) e x , g(x) = e 2x<br />

=⇒ f ∗ g (x) = . . ..<br />

4.1.2 Eigenschaften der Faltung<br />

Satz 12 (Faltungseigenschaften)<br />

Für die Funktionen f, g, h und c ∈ R gelten:<br />

(1) f ∗ g = g ∗ f (* ist kommutativ)<br />

(2) f ∗ (g + h) = f ∗ g + f ∗ h (* ist distributiv)<br />

(3) (f ∗ g) ∗ h = f ∗ (g ∗ h) (* ist assoziativ)<br />

(4) (cf) ∗ g = c(f ∗ g) = f ∗ (cg) (Skalare sind verschiebbar)<br />

(5) f ∗ δ = f (δ ist neutrales Element)<br />

Bis auf (3) und (4) sind das einfache Folgerung aus der Integralrechnung, z.B. die Kommutativität:<br />

∫ ∞<br />

f(u) · g(x − u) du ũ:=x−u<br />

=<br />

∫<br />

−∞<br />

f(x − ũ) · g(ũ) (−dũ) =<br />

∫ ∞<br />

g(ũ) · f(x − ũ) dũ.<br />

−∞<br />

∞<br />

−∞


4 DIE FALTUNG 22<br />

4.1.3 Faltung bei endlichen Träger<br />

Ist eine Funktion nur auf einem endlichen Intervall ungleich Null, so sagt man sie besitzt<br />

einen endlichen Träger; genauer:<br />

Denition 4 (Träger einer Funktion)<br />

Zu einer Funktion f(x), x ∈ R heiÿt die Menge<br />

Träger von f.<br />

f(t) = σ(t + 1) − σ(t − 2) besitzt den Träger [−1, 2]; also endlichen Trä-<br />

Beispiel 13<br />

ger.<br />

T f := {x ∈ D f | f(x) ≠ 0}<br />

Falls f und g beide endlichen Träger haben, so hat auch f ∗ g wieder endlichen Träger,<br />

denn mit T f = [a, b] und T g = [c, d] folgt:<br />

∫ ∞<br />

f(u) · g(x − u) du =<br />

∫ b<br />

f(u) · g(x − u) du = 0,<br />

−∞<br />

a<br />

falls x − b > d ist oder x − a < c. (Man mache sich klar, dass x − u ∈ [x − b, x − a].)<br />

Damit muss der Träger von f ∗ g enthalten sein in [a + c, b + d].<br />

4.2 Der Zusammenhang von Multiplikation und Faltung<br />

Satz 13 (Faltungssatz)<br />

Multiplikation im Zeitbereich ist Faltung im Frequenzbereich;<br />

Multiplikation im Frequenzbereich ist Faltung im Zeitbereich.<br />

D.h. aus f(t) ◦ • F (s) und g(t) ◦ • G(s) folgen die <strong>Transformation</strong>spaare<br />

Beispiel 14<br />

f(t) · g(t) ◦ • F (s) ∗ G(s), und f(t) ∗ g(t) ◦ • F (s) · G(s)<br />

a) f(t) = g(t) = σ(t) =⇒ F (s) = G(s) = 1 s<br />

−→ 1 s 2 ◦ • . . .<br />

b) H(s) =<br />

1<br />

s 2 +7s+6 = 1<br />

s+1 · 1<br />

s+6 • ◦ . . .


5 LÖSEN LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 23<br />

5 Lösen linearer Dierentialgleichungen mittels <strong>Laplace</strong>-<br />

<strong>Transformation</strong><br />

Wir betrachten (gewöhnliche) lineare Dierentialgleichungen höherer Ordnung mit konstanten<br />

Koezienten; genauer entsprechende Anfangswertprobleme mit Anfangsbedingungen<br />

zum Zeitpunkt t = 0.<br />

Für diese haben wir schon ein Lösungsverfahren kennengelernt. Es zeigt sich, dass diese<br />

Problemklasse auch sehr gut mit Hilfe der LAPLACE-<strong>Transformation</strong> gelöst werden<br />

kann.<br />

5.1 Allgemeines Lösungsschema<br />

Gegeben ist also ein Anfangswertproblem der Ordnung n ≥ 2 wie soeben beschrieben:<br />

a n · y (n) (t) + . . . a 1 · y ′ (t) + a 0 · y(t) = r(t),<br />

y(0) = c 0 , y ′ (0) = c 1 , . . . , y (n−1) (0) = c n−1 ,<br />

wobei die Koezienten a k und die Werte c k vorgegebene reelle Zahlen sind.<br />

METHODE: Lösungsschema für lin. DGLen<br />

1. <strong>Transformation</strong> des AWPs (siehe Satz 8)<br />

2. Auösen der resultierenden Gleichung nach Y (s)<br />

3. Rücktransformation = Lösung des AWPs<br />

Schauen wir uns dies einmal auf dem allgemeinen Level an:<br />

y(t) ◦ • Y (S) kurz: Y<br />

y ′ (t) ◦ • s · Y (s) − y(0) = s 1 · Y − c 0<br />

y ′′ (t) ◦ • s 2 · Y (s) − s 1 · y(0) − y ′ (0) = s 2 · Y − s · c 0 − c 1<br />

.<br />

y (n) (t) ◦ • s n · Y (s) − s n−1 · y(0) − . . . − y (n−1) (0) = s n · Y − s n−1 · c 0 − . . . − c n−1<br />

Wir multiplizieren die erste Zeile mit a 0 (da wir ja den Term a 0 · y(t) transformieren<br />

möchten), die zweite Zeile mit a 1 usw. Dies geht wegen der Linearität der <strong>Laplace</strong>-<br />

<strong>Transformation</strong> gut; siehe Satz 4.<br />

Danach addieren wir alles und erhalten links die linke Seite der DGL und rechts die<br />

zugehörige <strong>Laplace</strong>-Transformierte:<br />

(a n · s n + . . . a 1 · s 1 + a 0 ) · Y + Q n−1 (s),<br />

wobei Q n−1 das sich ergebende Polynom vom Grad s − 1 ist.<br />

Transformiert man nun auch noch die rechte Seite r(t)◦ •R(s), so ergibt sich die Gleichung<br />

(a n · s n + . . . a 1 · s 1 + a 0 ) · Y + Q n−1 (s) = R(s),


5 LÖSEN LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 24<br />

die wir nach Y auösen:<br />

Y (s) =<br />

R(s) − Q n−1 (s)<br />

a n · s n + . . . a 1 · s 1 + a 0<br />

.<br />

MERKE: Nenner von Y (s)<br />

1. Als Nenner der Transformierten von y(t) ergibt sich automatisch das charakteristische<br />

Polynom der DGL (an der Stelle s).<br />

Die rechte Seite ist dann noch zurückzutransformieren, um schlieÿlich die gesuchte Lösung<br />

des AWPs, y(t), zu erhalten.<br />

5.1.1 Beispiele<br />

Beispiel 15<br />

a) y ′′ − 5y ′ − 14y = 18e t , y(0) = −2, y ′ (0) = 19<br />

b) y ′′ + 2y ′ + 5y = e −t sin (2t)<br />

Gesucht ist diejenige Lösung, die mit Tangente y = x durch den Ursprung verläuft.<br />

5.2 Anfangswerte für t ≠ 0<br />

Wir wollen uns kurz davon überzeugen, dass die Annahme, dass alle Anfangswerte immer<br />

für den Zeitpuntk t = 0 gegeben sind, keine Einschränkung bedeutet.<br />

Nehmen wir dazu an, die Anfangswerte wären zu einem Zeitpunkt t = t 0 ≠ 0 gegeben.<br />

METHODE: Anfangswerte für t 0 ≠ 0 gegeben<br />

1. Lösen des AWPS als wäre t 0 = 0; dies liefert ein ỹ(t)<br />

2. y(t) := ỹ(t − t 0 ), d.h. in ỹ(t) einfach alle t konsequent durch t − t 0 ersetzen<br />

(Letztendlich verschieben wir also einfach den Zeitpunkt t 0 in den Ursprung des Zeitstrahls.)<br />

5.3 Spezielle Anregungssignale<br />

Wir betrachten wieder AWPs wie oben, d.h. mit t 0 = 0.Allerdings seien alle Anfangswerte<br />

gleich Null, d.h. das betrachtete System sei zum Zeitpunkt t = 0 in Ruhe.<br />

Mit Hilfe unserer Einheitsfunktionen σ(t) und δ(t) lassen sich stückweise stetige Anregungsimpulse<br />

mit endlichem Träger modellieren. Solche rechten Seiten von DGLen<br />

hatten wir bisher noch nicht betrachtet, können dies nun aber mit Leichtigkeit tun, da<br />

wir die Transformierten dieser rechten Seiten berechnen können.<br />

Beispiel 16


6 LÖSEN LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 25<br />

a) y ′′ + 5y ′ + 6y = σ(t) , y(0) = y ′ (0) = 0<br />

b) y ′′ + 5y ′ + 6y = δ(t) , y(0) = y ′ (0) = 0<br />

{ 4t, t < 2<br />

c) y ′′ + 3y ′ + 2y =<br />

0, sonst , y(0) = y′ (0) = 0<br />

5.3.1 Zusammenhang der Lösungen für die Einheitsfunktionen<br />

Schauen wir uns noch einmal die Ergebnisse von Beispiel 16 an, speziell der a) und b)-<br />

Teile.<br />

Sei y σ (t) die Lösung des a)-Teils, d.h. desjenigen AWPs, bei dem als rechte Seite die<br />

HEAVISIDE-Funktion gewählt wurde. Analog sei y δ (t) die Lösung des Problems mit<br />

rechter Seite gleich DIRAC-Funktion. Dann rechnet man leicht nach, dass y σ (t) ′ = y δ (t)<br />

ist. Dies ist kein Zufall!<br />

MERKE: y ′ σ = y δ<br />

1. Leitet man die Lösung des AWPs mit rechter Seite = σ(t) ab, so erhält man die<br />

Lösung des AWPs mit rechter Seite = δ(t).<br />

Dies ist relativ leicht zu merken, wenn man bedenkt, dass auch σ(t) ′ = δ(t) gilt im Sinne<br />

des verallgemeinerten Ableitungsbegris.<br />

6 Lösen linearer Dierentialgleichungssysteme mittels<br />

<strong>Laplace</strong>-<strong>Transformation</strong><br />

Ganz analog zur <strong>Transformation</strong> einer einzelnen Dierentialgleichung können natürlich<br />

auch mehrere Dierentialgleichungen transformiert werden.<br />

6.1 Vorgehensweise<br />

Gesucht sind also m > 0 Funktionen in einer Variablen, z.B. der Zeit; x 1 (t), x 2 (t), . . . , x m (t).<br />

Wir wollen hier annehmen, dass auch genau m lineare Dierentialgleichungen mit konstanten<br />

Koezienten in den gesuchten Funktionen gegeben sind. Dabei dürfen allerdings<br />

in jeder Gleichung auch alle gesuchten Funktionen auftreten!<br />

Zusätzlich benötigen wir für eine eindeutige Lösung des Problems noch hinreichend viele<br />

Anfangsbedingungen. Genauer benötigen wir für x k (t) Anfangsbedingungen der Art<br />

x k (0), x ′ k (0), . . . , x(n−1)<br />

k<br />

(0), falls die höchste auftretende Ableitung von x k die n-te ist.<br />

Wir transformieren nun jede Gleichung wie gehabt und werden im s-Bereich ein lineares<br />

Gleichungssystem erhalten. Dieses wird dann im s-Bereich gelöst. Danach werden alle<br />

Ergebnisse aus dem s-Bereich in den Zeitbereich zurücktransformiert. Dies ergibt dann<br />

die gesuchten Funktionen x 1 (t), x 2 (t), . . . , x m (t).


6 LÖSEN LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 26<br />

METHODE: Lösen eines DGL-Systems<br />

1. Alle Gleichungen inkl. der Anfangsbedingungen transformieren.<br />

2. Entstehendes lineares Gleichungssysytem im s-Bereich lösen.<br />

3. Lösungen des Gleichungssysytems in den t-Bereich zurücktransformieren.<br />

6.1.1 Lösung des Doppelpendelsystems<br />

Zur Illustration der Vorgehensweise kehren wir zurück zum Beispiel des Doppelpendels<br />

aus Abschnitt 1.1.3.<br />

Wir hatten dort ein lineares Dierentialgleichungssystem mit zwei Gleichungen erhalten:<br />

m · l· α ..<br />

= −ν · l· α .<br />

−m · g · α − k · l · (α − β),<br />

m · l· β ..<br />

= −ν · l· β .<br />

−m · g · β − k · l · (β − α).<br />

(Es handelt sich dabei übrigens um ein Dierentialgleichungssystem zweiter Ordnung, da<br />

die höchste aller überhaupt auftretenden Ableitung die zweite ist.)<br />

Um das Beispiel zu vereinfachen, teilen wir beide Gleichungen durch (m · l):<br />

..<br />

α = −<br />

m· ν α .<br />

− g l · α − k m · α + k m · β,<br />

..<br />

β = − ν m· .<br />

β − g l · β − k m · β + k m · α<br />

und verwenden die konkreten Werte ν/m = 2, g/l = 10 und k/m = 8. Nach den Umbenennungen<br />

x := α, y := β ergibt sich dann das folgende DGL-System, zu dem wir noch<br />

die angegebenen (und vollkommen frei gewählten) Anfangsbedingungen hinzufügen:<br />

..<br />

x = −2 ẋ −18 x + 8 y,<br />

..<br />

y = −2 ẏ −18 y + 8 x,<br />

AW: x(0) = 0,<br />

.<br />

x (0) = 1, y(0) = 0,<br />

.<br />

y (0) = 0.<br />

(Die Anfangsbedingungen bedeuten, dass sich beide Pendel am Tiefpunkt benden. Eines<br />

von beiden besitzt aber eine von Null verschiedene Anfangsgeschwindigkeit.)<br />

1. Schritt: <strong>Transformation</strong><br />

x(t) ◦ • X(s)<br />

.<br />

x (t) ◦ • s · X(s) − x(0)<br />

..<br />

x (t) ◦ • s 2 · X(s) − s · x(0)− ẋ (0)<br />

y(t) ◦ • Y (s)<br />

.<br />

y (t) ◦ • s · Y (s) − y(0)<br />

..<br />

y (t) ◦ • s 2 · Y (s) − s · y(0)− ẏ (0)


6 LÖSEN LINEARER DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 27<br />

Nach Einsetzen den Anfangswerte erhalten wir also das lineare Gleichungssystem<br />

s 2 X − 1 = −2sX − 18X + 8Y,<br />

s 2 Y = −2sY − 18Y + 8X bzw.<br />

X(s 2 + 2s + 18) − 8Y = 1<br />

Y (s 2 + 2s + 18) − 8X = 0.<br />

2. Schritt: Lösen des Gleichungssystems Man beachte, dass X und Y gesucht sind<br />

und s wie ein Parameter zu behandeln ist. Um die Übersicht zu behalten, empehlt es<br />

sich, das lineare Gleichungssystem in Matrixschreibweise zu schreiben:<br />

( s 2 + 2s + 18 −8<br />

−8 s 2 + 2s + 18<br />

) ( X<br />

·<br />

Y<br />

) ( 1<br />

=<br />

0<br />

Das hat auch den Vorteil, dass wir jetzt die Unbekannten mittels der CRAMERschen<br />

Regel bestimmen können:<br />

∣ 1 −8<br />

0 s 2 + 2s + 18 ∣<br />

s<br />

X =<br />

2 + 2s + 18<br />

∣ s2 + 2s + 18 −8<br />

=<br />

(s 2 + 2s + 18) 2 − 64 ,<br />

−8 s 2 + 2s + 18 ∣<br />

∣ s2 + 2s + 18 1<br />

−8 0 ∣<br />

8<br />

Y =<br />

∣ s2 + 2s + 18 −8<br />

=<br />

(s 2 + 2s + 18) 2 − 64 .<br />

−8 s 2 + 2s + 18 ∣<br />

. . .<br />

3. Schritt: Rücktransformation der Lösungen<br />

. . .<br />

6.1.2 Weiteres Übungsbeispiel<br />

Beispiel 17<br />

mit den Anfangsbedingungen<br />

Lösen Sie das lineare Dierentialgleichungssystem<br />

mittels LAPLACE-<strong>Transformation</strong>.<br />

.<br />

x (t) − x(t) + y(t) = − cos t,<br />

.<br />

y (t) − 4x(t) − y(t) = sin t + cos t<br />

x(0) = 1, y(0) = −1.<br />

)<br />

.


7 DIE EIN-AUSGABE-RELATION EINES LINEAREN SYSTEMS 28<br />

7 Die Ein-Ausgabe-Relation eines linearen Systems<br />

7.1 Problemstellung<br />

Die wohl interessantestes Anwendung der LAPLACE-<strong>Transformation</strong> ist die Untersuchung<br />

der Ein-Ausgabe-Relation eines linearen Systems.<br />

Als lineares System bezeichnen wir dabei eine wie in Abbildung 13 dargestellte black box,<br />

die folgende Eigenschaften hat:<br />

• Verstärkung: Ersetzt man den Input-Signal x(t) durch λ · x(t) (mit λ ∈ R), so<br />

ergibt sich als Output-Signal λ · y(t).<br />

• Überlagerung: Werden x 1 (t) und x 2 (t) in y 1 (t) bzw. y 2 (t) übersetzt, so wird<br />

x 1 (t) + x 2 (t) in y 1 (t) + y 2 (t) übersetzt.<br />

Abbildung 13: Lineares System mit Ein- und Ausgangssignal<br />

Die Frage ist nun, wie x(t) und y(t) miteinander zusammenhängen. Wie sich herausstellen<br />

wird, hat man diesen Zusammenhang interessanterweise vollständig verstanden, sobald<br />

man die Antwort des Systems auf den DIRAC-Impuls kennt. Wir führen also folgende<br />

Begrie ein:<br />

Denition 5 (Impuls- und Sprungantwort)<br />

Für x(t) = δ(t) nennt man die zugehörige Antwort eines gegebenen linearen System<br />

die Impulsantwort; y δ (t).<br />

Analog bezeichnet y σ (t) die Sprungantwort, d.h. die Antwort auf den Input x(t) = σ(t).<br />

Um dies zu erarbeiten machen wir einige...<br />

7.2 Allgemeine Betrachtungen<br />

Da unser Eingangssignal x(t) die Rolle der Störfunktion, d.h. der rechten Seite spielt,<br />

ergibt sich eine Dierentialgleichung der Form<br />

a n · y (n) (t) + . . . a 2 · y ′′ (t) + a 1 · y ′ (t) + a 0 · y(t) = x(t),<br />

wobei wir also annehmen wollen, dass die Koezienten a k konstant sind und nicht von t<br />

abhängen.


7 DIE EIN-AUSGABE-RELATION EINES LINEAREN SYSTEMS 29<br />

Als <strong>Transformation</strong>spaare erhalten wir:<br />

x(t) ◦ • X(s) sowie<br />

y(t) ◦ • Y (s)<br />

y ′ (t) ◦ • s · Y (s) − y(0)<br />

y ′′ (t) ◦ • s 2 · Y (s) − s · y(0) − y ′ (0)<br />

.<br />

Unter der Annahme, dass das System zum Zeitpunkt t = 0 in Ruhe ist, sind alle Anfangsbedingungen<br />

gleich Null, fallen also weg.<br />

Wir multiplizieren die <strong>Transformation</strong>en mit den passenden Koezienten a k und bekommen<br />

im s-Bereich die Gleichung<br />

Y (s) · [a<br />

n s n + · · · + a 2 s 2 + a 1 s + a 0<br />

]<br />

= X(s) bzw.<br />

Y (s)<br />

X(s)<br />

=<br />

1<br />

a n s n + · · · + a 2 s 2 + a 1 s + a 0<br />

.<br />

Interessanterweise hängt der Quotient Y (s)/X(s) also gar nicht vom Eingangs- oder Ausgangssignal<br />

ab. Diese kürzen sich im s-Bereich quasi weg. Übrig bleibt ein Term (auf der<br />

rechten Seite), der nur von den Koezienten aus der Dierentialgleichung abhängt. Genauer<br />

steht im Nenner das charakteristische Polynom, p char (s), der Dierentialgleichung.<br />

Dies gibt Anlass zu folgender Denition:<br />

Denition 6 (Übertragungsfunktion)<br />

Gegeben sei ein lineares System, dessen Verhalten sich durch eine lineare Dierentialgleichung<br />

mit konstanten Koezienten beschreiben lässt.<br />

Sei x(t) ein Eingangs- und y(t) das zugehörige Ausgangssignal mit den LAPLACE-<br />

Tranformierten X(s) bzw. Y (s). Dann heiÿt<br />

G(s) :=<br />

1<br />

p char (s)<br />

Übertragungsfunktion im s-Bereich oder auch Frequenzgang des Systems.<br />

Die Rücktransformierte g(t) ◦ • G(s) heiÿt Übertragungsfunktion im t-Bereich oder<br />

auch Transferfunktion des Systems.<br />

Wie G(s) ist natürlich auch g(t) unabhängig vom Eingangs- oder Ausgangssignal.<br />

Nach dem Faltungssatz, Satz 13, gilt<br />

y(t) ◦ • Y (s) = X(s) · G(s) • ◦ x ∗ g (t) .


7 DIE EIN-AUSGABE-RELATION EINES LINEAREN SYSTEMS 30<br />

Satz 14 (Berechnung des Ausgangssignals)<br />

Ist g(t) die Tranferfunktion eines linearen Systems, so berechnet sich das zum Eingangssignal<br />

x(t) gehörende Ausgangssignal y(t) gemäÿ der Formel<br />

y(t) = x ∗ g (t) .<br />

Wir hatten einerseits gesehen, dass wir die Tranferfunktion g(t) als Rücktransformierte<br />

von G(s) = 1/p char (s) berechnen können. Andererseits gilt aber wegen δ(t) ◦ • 1 auch<br />

y δ ◦ • Y δ (s) = 1 · G(s) = G(s) • ◦ g(t), bzw. kurz:<br />

Satz 15 (Tranferfunktion = Impulsantwort)<br />

Für ein lineares System gilt g(t) = y δ (t).<br />

Die Tranferfunktion stimmt also mit der Impulsantwort überein. Man könnte also sagen,<br />

dass man alles über das System herausbekommt, indem man sich die Antwort auf den<br />

Einheitsimpuls besorgt.<br />

Man kommt aber auch von der Sprungantwort auf die Transferfunktion, da ja y ′ σ(t) = y δ (t)<br />

gilt. D.h. man kann auch einfach die Sprungantwort berechnen und diese dann dierenzieren.<br />

Wir schauen uns der Vollständigkeit halber noch die Transformierte der Sprungantwort<br />

an. Wegen σ(t) ◦ • 1/s ist das einfach; und zwar<br />

y σ (t) ◦ • Y σ (s) = 1 s<br />

· G(s) =<br />

G(s)<br />

s<br />

=<br />

1<br />

s · p char (s) .<br />

Abbildung 14 fasst noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse aus den zurückliegenden<br />

Sätzen und Betrachtungen zusammen.<br />

7.3 Beispiele<br />

7.3.1 Das R − c − Glied<br />

Wir kehren noch einmal zum R − c − Glied aus Abbildung 4 zurück. Dabei betrachten<br />

wir nun u in als Eingangssignal x(t) und u out als gesuchtes Ausgangssignal y(t).<br />

Das OHMsche Gesetz liefert:<br />

R = u R<br />

i(t) = u in − u out<br />

i(t)<br />

=<br />

x(t) − y(t)<br />

,<br />

i(t)<br />

d.h. x(t) − y(t) = R · i(t). Der Strom i(t) ist proportional zur zeitlichen Änderung der<br />

Spannung über dem Kondensator, d.h.<br />

i(t) = c · d<br />

dt u c(t) = c· ẏ (t),


7 DIE EIN-AUSGABE-RELATION EINES LINEAREN SYSTEMS 31<br />

Abbildung 14: Transfer- und Übertragungsfunktion und weitere wichtige Formeln<br />

wobei der Proportionalitätsfaktor c der Kapazität entspricht.<br />

Insgesamt folgt also die lineare Dierentialgleichung erster Ordnung<br />

Rc· ẏ (t) + y(t) = x(t),<br />

mit konstanten Koezienten. Wir können also unsere entwickelte Maschinerie auf das<br />

Problem anwenden.<br />

Beispiel 18 Man berechne für das R − c − Glied die Impulsantwort, die Sprungantwort<br />

sowie mittels Faltung die Antwort auf das Rechtecksignal x r (t) := u 0 · (σ(t − t 1 ) −<br />

σ(t − t 2 )), wobei u 0 > 0 und 0 ≤ t 1 < t 2 seien.<br />

. . .

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