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Lösungsskizze zur völkerstrafrechtlichen Klausur vom 11. Januar 2011

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Lösungsskizze <strong>zur</strong> völkerstrafrechtlichen<br />

<strong>Klausur</strong> <strong>vom</strong> <strong>11.</strong> <strong>Januar</strong> <strong>2011</strong><br />

Frage 1 (3 Punkte):<br />

a) Welche Straftaten waren im – dem Londoner Viermächte-Abkommen <strong>vom</strong> 8. Aug. 1945<br />

beigefügten – Nürnberger Statut enthalten?<br />

b) Was versteht man unter den Nürnberger Nachfolgeprozessen und auf welcher Rechtsgrundlage<br />

beruhten sie?<br />

a) Verbrechen g. den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen g. die<br />

Menschlichkeit<br />

b) Weiterführung der Prozesse gegen Kriegsverbrecher der europäischen Achse<br />

vor nationalen Militärgerichten der einzelnen Besatzungsmächte USA, UK,<br />

Frankreich, Sowjetunion) gemäss Kontrollratsgesetz Nr. 10, insb. der 12<br />

Prozesse in der amerikanischen Besatzungszone, bei denen die<br />

Militärgerichte durch zivile Strafrichter besetzt waren.<br />

Frage 2 (3 Punkte):<br />

Was versteht man unter a) Direct Enforcement, b) Indirect Enforcement und c) Mixed Enforcement?<br />

Geben Sie je zwei Beispiele.<br />

a) Prozesse nach Völkerstrafrecht vor internationalen Gerichten (z.B. ICC, ICTY,<br />

ICTR)<br />

b) Entsprechende Prozesse vor nationalen Strafgerichten (z.B. Eichmann-<br />

Prozess in Jerusalem, Niyonteze-Prozess in der Schweiz)<br />

c) Prozesse vor gemischt nationalen-internationalen Gerichte (z.B. SCSL,<br />

ECCC)<br />

Prof. Dr. iur. Hans Vest<br />

Schanzeneckstr. 1, Pf. 8573<br />

CH-3001 Bern<br />

Tel. +41 (0)31 631 47 95<br />

Fax +41 (0)31 631 82 05<br />

hans.vest@krim.unibe.ch<br />

www.krim.unibe.ch


Frage 3 (4 Punkte):<br />

Nennen und diskutieren sie am Beispiel, ob es sich bei Hutus und Tutsis um ethnische Gruppen<br />

handelt, die Modelle, aufgrund derer bestimmt wird, ob eine durch Art. 6 IStGH-Statut (Völkermord)<br />

geschützte Gruppe vorliegt?<br />

Gruppen sind durch gemeinsame Merkmale dauerhaft verbundene<br />

Personenmehrheiten, die sich von der übrigen Bevölkerung abheben. Erforderlich<br />

ist ein minimales Zugehörigkeitsgefühl der Gruppenmitglieder. Als Ethnien gelten<br />

menschliche Gruppen, welche dieselbe Kultur im Sinne einer gemeinsamen<br />

Abstammung, Geschichte, Sprache, Glaubenseinstellung, Sittenordnung, Tradition<br />

etc. besitzen. Ob unterschiedliches Brauchtum genügt, um eine Ethnie zu<br />

konstituieren, ist strittig.<br />

Konzepte der Bildung einer (ethnischen) Gruppe orientieren sich, formal gesehen,<br />

an objektiven, subjektiven oder gemischt subjektiv-objektiven Kriterien. Ob bei der<br />

Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Kriterien einem<br />

(sozial)wissenschaftlichen oder strafrechtlichen, an der Trennung zwischen<br />

objektiven und subjektiven Tatbestand orientierten, Betrachtungsweise zu folgen<br />

ist, ist ungeklärt.<br />

In objektiver Hinsicht ist problematisch, dass die Hutus und die Tutsis sich nach<br />

den meisten Kriterien, die für die Bestimmung der ethnischen Zugehörigkeit<br />

bedeutsam sind, nicht unterscheiden. Unterschiedlich ist primär die (vermutete)<br />

Abstammung und Herkunft. Zudem wurde die ethnische Zugehörigkeit in der<br />

nationalen Identitätskarte vermerkt. Auch die gesellschaftlich vorherrschende<br />

Wahrnehmung einer unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeit lässt sich als<br />

objektives Element werten.<br />

Subjektive Konzepte rekurrieren auf die Wahrnehmung bzw. Zuschreibung einer<br />

Gruppenzugehörigkeit unter deren Mitgliedern (Selbstwahrnehmung) oder durch<br />

Aussenstehende (Fremdwahrnehmung). Die Hutus und Tutsis erlebten sich<br />

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zumind. 1994 wechselseitig als distinkte Gruppen. Bedeutsam ist hierbei<br />

insbesondere die Fremdwahrnehmung seitens des Täterkollektivs, zumal deren<br />

Wahrnehmung unmittelbare Konsequenzen für die Opfer hat. Der subjektive<br />

Ansatz kann sich auch auf moderne soziologische und sozialpsychologische<br />

Einsichten zum Entwicklungsprozess der Gruppenwahrnehmung und -bildung<br />

stützen.<br />

In Theorie und Praxis vorherrschend ist der kombiniert subjektiv-objektive Ansatz,<br />

der sich primär auf die Fremdwahrnehmung seitens des Täterkollektivs abstützt,<br />

jedoch auch einen mindestens minimalen objektiven Zusammenhalt der<br />

Opfergruppe fordert.<br />

Die konkrete Subsumtion sollte auf alle drei Konzepte abgestützt werden.<br />

Frage 4 (3 Punkte):<br />

Nennen Sie die Erfordernisse der Einzeltat der Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.<br />

Art. 7 Abs. 1 lit. f i.V.m. Abs. 2 lit. e IStGH-Statut setzt folgende<br />

Tatbestandselemente voraus:<br />

Objektiv ist erforderlich, dass sich das Opfer im Gewahrsam oder unter der<br />

Kontrolle des Beschuldigten befindet, wobei dieses Kontrollelement weit<br />

auszulegen ist. Mit der Tathandlung muss der Täter dem Opfer vorsätzlich grosse<br />

körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zufügen. Insoweit folgt der<br />

Tatbestand implizit einer Art von Stufentheorie, mit der erniedrigende Behandlung<br />

i.d.R. ausscheidet Ausgeschlossen sind entsprechende Schmerzen oder Leiden,<br />

die sich aus der Anwendung einer gesetzlich zulässigen Sanktion (insbesondere<br />

Todesstrafe) ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind. Eine Mittel-<br />

Zweck-Relation ist nicht erforderlich, ebenso wenig die (in der FoKo<br />

vorausgesetzte) amtliche Eigenschaft des Folterers.<br />

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Subjektiv ist Vorsatz gem. Art. 30 IStGH-Statut notwendig, nicht aber die<br />

besondere Absicht der Verfolgung eines bestimmten Zwecks.<br />

Frage 5 (3 Punkte):<br />

a) Was für Personenkategorien sind durch das humanitäre Konfliktvölkerrecht des nichtinternationalen<br />

bewaffneten Konfliktes geschützt?<br />

b) Welche Personengruppe ist im Vergleich zum internationalen bewaffneten Konfliktes nicht<br />

(eigens) geschützt?<br />

a) Zivilpersonen sowie die Zivilbevölkerung. Dazu gehören auch all die<br />

Personen, die nicht (mehr) unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen,<br />

einschliesslich der Angehörigen der Streitkräfte, die sich aus diversen<br />

Gründen hors de combat befinden.<br />

Kombattanten sind ggü. meuchlerischer Tötung oder Verwundung geschützt<br />

(Art. 8 Abs. 2 lit. e/ix IStGH-Statut).<br />

b) Kriegsgefangene.<br />

Frage 6 (4 Punkte):<br />

a) Welche sind die Voraussetzungen der Mittäterschaft gemäss Art. 25 Abs. 3 Bst. A, 2. Alt.<br />

IStGH-Statut?<br />

b) Wo ist die Mittäterschaft strenger als das Joint Criminal Enterprise?<br />

a) Die gemeinschaftliche Tatausführung gemäss Art. 25 Abs. 3 lit. a, 2. Alt.<br />

IStGH-Statut erfordert subjektiv einen gemeinsamen Tatplan als Grundlage<br />

und Begrenzung für die wechselseitige Zurechnung der Tatbeiträge. Das allund<br />

gegenseitige Einverständnis kann auch konkludent zustande kommen, im<br />

Extremfall durch einen von den anderen Mittätern stillschweigend akzeptierten<br />

Einpassungsentschluss.<br />

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Objektiv ist ein wesentlicher Beitrag <strong>zur</strong> koordinierten Verwirklichung des<br />

Tatplanes notwendig, der entweder im Planungs- oder Organisationsstadium<br />

oder aber im Ausführungsstadium geleistet wird. Der Tatbeitrag muss das<br />

Völkerrechtsverbrechen prägen oder zumindest wesentlich mitgestalten.<br />

Strittig ist, ob ein Mittäter ein Hemmungspotential hinsichtlich der Ausführung<br />

der Gesamttat besitzen muss.<br />

b) Die Mittäterschaft stellt mit Bezug auf den geleisteten Tatbeitrag (beim JCE:<br />

Mitwirkung) höhere Anforderungen da in der Praxis keinerlei Qualifikation in<br />

Richtung eines wesentlichen Tatbeitrages erforderlich ist. Dies gilt insb. für die<br />

systemische Form (JCE II). Subjektiv ist die Mittäterschaft selbst bei<br />

statutswidriger Anwendung des Eventualvorsatzes in Art. 30 IStGH-Statut<br />

immer noch deutlich enger als die erweiterte Form des JCE (JCE III).<br />

Frage 7 (3 Punkte):<br />

Nennen Sie die in die Regelung des Art. 33 IStGH-Statut eingeflossenen Prinzipien zum Handeln auf<br />

Befehl.<br />

Art. 33 IStGH-Statut kodifiziert in Abs. 2 das absolute liability principle in Abs. 1 lit.<br />

c findet sich das manifest illegality principle, während Abs. 1 lit. b im<br />

Zusammenhang mit dem mens rea-Grundsatz steht.<br />

Frage 8 (7 Punkte)<br />

K, Kommandant eines Infanterieregiments erhält Informationen über allgemeine Disziplinwidrigkeiten<br />

der Mitglieder einer seiner Kompanien und reagiert darauf, in dem er den verantwortlichen<br />

Kompaniekommandanten scharf verwarnt. Als sich in der Folge der Verdacht ergibt, dass Mitglieder<br />

derselben Kompanie mehrere Kriegsgefangene schwer misshandelt und einen von Ihnen auf der<br />

Flucht erschossen haben, schaltet er Militärpolizei und Militärstaatsanwaltschaft ein und schreibt dem<br />

vorgesetzten Divisionskommandeur einen dienstlichen Rapport. Wie ist sein Verhalten im Lichte von<br />

Art. 28 Bst. A IStGH-Statut zu beurteilen?<br />

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Art. 28 lit. a IStGH-Statut regelt die Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber<br />

oder tatsächlich als solche handelnder Personen. Sie basiert auf einer<br />

Garantenstellung aus Überwachung einer persönlich-sachlichen Gefahrenquelle<br />

(militärische Einheit einschliesslich der ihr <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Waffen).<br />

In objektiver Hinsicht ist zunächst erforderlich, dass Untergebene des militärischen<br />

Befehlshabers im Statut geregelte Verbrechen begangen haben. In casu besteht<br />

der Verdacht, dass Angehörige einer, zum von K kommandierten Regiment<br />

gehörenden, Kompanie Kriegsgefangene schwer misshandelt und einen von ihnen<br />

auf der Flucht erschossen haben.<br />

Art. 28 setzt voraus, dass der rechtlich oder faktische militärische Befehlshaber<br />

tatsächliche Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kontrolle über die Betreffenden<br />

hatte. Eine solche effektive Kontrollgewalt knüpft idealtypisch gesehen an drei<br />

Voraussetzungen an: 1. Autoritätsstellung in Folge der Position als solcher; 2.<br />

Kompetenz <strong>zur</strong> Befehlserteilung bei gegenseitiger Erwartung von deren Befolgung;<br />

3. Einen formalen Disziplinierungsmechanismus. Bei einem<br />

Regimentskommandanten sind diese Voraussetzungen zweifelsohne gegeben.<br />

Die Straftaten der Untergebenen müssen Folge des Versäumnisses des<br />

Befehlshabers gewesen sein, eine ordnungsgemässe Kontrolle über diese<br />

Truppen auszuüben. Gefordert wird insoweit eine Art Risikozusammenhang. Aus<br />

der vorgegebenen Frageskizze kann hierauf keine klare Antwort gegeben werden,<br />

sodass ein grosser Argumentationsspielraum besteht. Das einzige einschlägige<br />

Faktum ist die von K erhaltene Information über vorangegangene allgemeine<br />

Disziplinwidrigkeiten der entsprechenden Kompanieangehörigen, auf die er mit<br />

einer scharfen Verwarnung des verantwortlichen Kompaniekommandanten<br />

reagiert hat.<br />

Insoweit fragt sich auch, ob K damit alle – ihm möglichen und zumutbaren –<br />

erforderlichen und angemessenen Massnahmen der Verbrechensverhinderung<br />

getroffen hat. Hier darf spekuliert werden, ob ein noch strengeres Eingreifen<br />

rechtlich geboten gewesen wäre und die späteren Straftaten verhindert hätte.<br />

Allerdings gilt insoweit ein Massstab ex ante. Dass einmalige Disziplinwidrigkeiten<br />

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generell <strong>zur</strong> Begehung schwerer Straftaten führen, ist wohl zu verneinen. Insoweit<br />

dürfte K mit der Verwarnung das Nötige vorgekehrt haben.<br />

Unklar ist gemäss Sachverhalt auch, ob K aufgrund der <strong>zur</strong> fraglichen Zeit<br />

gegebenen Umstände (Disziplinwidrigkeiten) hätte wissen müssen, dass<br />

Untergebene von ihm im Begriffe waren, Verbrechen zu begehen. Aus der<br />

nachträglich erlangten Kenntnis von diesen Verbrechen darf kein vorgängiges<br />

Wissen erschlossen werden! Massgebend erscheint der in der Rechtsprechung<br />

der ad hoc-Tribunale entwickelte Massstab sein, dass bestehende Informationen<br />

<strong>zur</strong> Kenntnis genommen und ggf. durch zusätzliche Abklärungen konkretisiert<br />

werden müssten. (Es darf aber auch mit dem Informationsbeschaffungs-Ansatz<br />

argumentiert werden. Auch in diesem Punkt ist der Sachverhalt nicht liquide,<br />

sodass eine weiter Beurteilungsspielraum besteht.<br />

Miit Bezug auf die – von der Präventionsverpflichtung streng zu unterscheidende –<br />

Pflicht <strong>zur</strong> Bestrafung ist eine Kenntnis von K dagegen erstellt. Es ist anzunehmen,<br />

dass er mit der Einschaltung von Militärpolizei und Militärstaatsanwaltschaft sowie<br />

der Erstattung eines dienstlichen Rapports an den vorgesetzten<br />

Divisionskommandeur seinen Handlungspflichten genüge getan hat. Ob er auf<br />

Verdacht hin bereits selbständig zusätzliche Disziplinierungsmassnahmen hätte<br />

anordnen können, erscheint diskutabel.<br />

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