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Im Lounge- Gespräch: Der Wirt- schaftsweise - Universität Würzburg

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42 _______________________________________ <strong>Lounge</strong>-Gespräch Peter Bofinger<br />

Text Jürgen Drommert<br />

Lufthansa Exclusive 10/05<br />

<strong>Lounge</strong>-Gespräch Peter Bofinger<br />

_______________________________________<br />

43<br />

<strong>Im</strong> <strong>Lounge</strong>-<br />

Gespräch:<br />

<strong>Der</strong> <strong>Wirt</strong><strong>schaftsweise</strong><br />

Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrats<br />

zur Begutachtung<br />

der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,<br />

über den Weg in die<br />

postindustrielle Gesellschaft, gute<br />

Schulden und schlechtes Sparen<br />

Lufthansa Exclusive: Die öffentlichen Haushalte sparen, die<br />

Unternehmen reduzieren eisern Kosten, und auch die Verbraucher<br />

üben sich in Konsumzurückhaltung: Die vergangenen Jahre<br />

standen in Deutschland unter dem Zeichen einer rigorosen wirtschaftlichen<br />

Diät. Allerdings hat die Kur bisher nicht zum erhofften<br />

Aufschwung geführt. Müssen wir noch mehr sparen, Herr<br />

Professor Bofinger?<br />

Peter Bofinger: Eine wachsende Marktwirtschaft basiert auf zunehmenden<br />

Umsätzen und steigenden Absatzzahlen. Diese Dynamik<br />

ist natürlich nur dann möglich, wenn eine Bereitschaft besteht,<br />

mehr auszugeben als bisher – die Bereitschaft zu höheren<br />

Ausgaben ist die Triebkraft des <strong>Wirt</strong>schaftswachstums. In Deutschland<br />

allerdings ist das Gegenteil der Fall, hier herrscht bei allen Beteiligten<br />

das Bestreben, weniger auszugeben als bisher, und ><br />

Foto: Dieter Leistner; Genehmigung: „Bayer. Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen“<br />

Übertriebene Sparwut führt leicht in<br />

eine volkswirtschaftliche Abwärtsspirale.<br />

Da setzt Peter Bofinger doch lieber<br />

auf die verschwenderische Pracht des<br />

Barock – und lässt sich im Gartensaal<br />

der Würzburger Residenz ablichten


44 _______________________________________ <strong>Lounge</strong>-Gespräch Peter Bofinger<br />

Lufthansa Exclusive 10/05<br />

Peter Bofinger, 51, wurde in Pforzheim geboren. Nach dem Abitur 1973<br />

studierte er Volkswirtschaftslehre in Saarbrücken, war ab 1978 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im Sachverständigenrat zur Begutachtung der<br />

gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Die fünf <strong>Wirt</strong><strong>schaftsweise</strong>n“). 1990<br />

wurde er an der Rechts- und <strong>Wirt</strong>schaftswissenschaftlichen Fakultät<br />

der Universität des Saarlandes habilitiert. Nach Lehrtätigkeiten an den<br />

Universitäten Kaiserslautern, Konstanz und Würzburg wurde Bofinger<br />

1992 auf den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale<br />

<strong>Wirt</strong>schaftsbeziehungen an der Universität Würzburg berufen; dieses<br />

Amt nimmt er bis heute ein. Als Experte für Geldmarkt- und Währungstheorie<br />

beriet Bofinger unter anderem die Europäische Kommission<br />

und den Internationalen Währungsfonds, 1997 gehörte er, im Gegensatz<br />

zur Mehrzahl der deutschen Ökonomen, zu den exponierten Befürwortern<br />

einer europäischen Einheitswährung. 2004 wurde Bofinger in den<br />

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung berufen. <strong>Der</strong> <strong>Wirt</strong>schaftswissenschaftler ist Autor zahlreicher<br />

Bücher, zuletzt veröffentlichte er im Jahr 2004 „Wir sind besser als wir<br />

glauben/Wohlstand für alle“. Jürgen Drommert sprach mit Peter Bofinger<br />

in der Lufthansa Business <strong>Lounge</strong> des Flughafens Berlin-Tegel.<br />

Herausgeber<br />

Deutsche Lufthansa AG,<br />

Von-Gablenz-Str. 2–6, D-50679 Köln;<br />

Objektverantwortung: Harald W. Eisenächer,<br />

Dirk Schwarze<br />

Koordination: Jens Polkowski<br />

Lufthansa Exclusive erscheint monatlich bei der<br />

G+J Corporate Media GmbH, Friesenweg 2 a-c,<br />

22763 Hamburg. Geschäftsführung: Peter<br />

Haenchen, Bernd Klosterfelde; Objektleitung:<br />

Gabriele Saß, Tel. 040/883 03-485, Fax:<br />

040/883 03-496, www.guj-corporate-media.de<br />

Redaktion<br />

Editorial Director: Klaus Liedtke<br />

Lufthansa Exclusive,<br />

Friesenweg 2 a-c,<br />

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Chefredakteur: Uly Foerster (verantwortlich);<br />

Stellvertretende Chefredakteurin: Angelika Janßen;<br />

Chef vom Dienst: Stefan Schreiber; Art Direction:<br />

Jürgen Kaffer, Sandra Klostermeyer, Inka Schnettler,<br />

Produktionslayout: Sibylle Kammerer (Büro Hamburg);<br />

Textredaktion: Jürgen Drommert, Annette<br />

Mihatsch, Hans Oberländer, Sibylle Poell; Bildredaktion:<br />

Katja Dittgen, Michael Nielsen, Zita<br />

Rothmund-Zinn; Dokumentation: Hartmut Heidler;<br />

Redaktionsassistenz: Cornelia Damerau-Schröder;<br />

Redaktionelle Technik: Joachim Maurit-Moritz,<br />

Klaus Stock<br />

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(verantwortlich), Anja Kern (Koordination)<br />

Herstellung: Rainer Tess<br />

Litho: p.r.o. medien, Hamburg<br />

Druck: MOHN Media, Mohndruck GmbH, Gütersloh<br />

dadurch laufen wir Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten. Und<br />

tatsächlich kommt die Binnennachfrage in der Bundesrepublik<br />

Deutschland jetzt seit über vier Jahren ja nicht von der Stelle.<br />

Lufthansa Exclusive: Dafür haben wir’s immerhin zum Exportweltmeister<br />

gebracht.<br />

Bofinger: Und warum? Wir leben davon, dass es Gott sei Dank<br />

im Ausland anders zugeht als bei uns, dass man in anderen<br />

Ländern, ob nun in den USA, in Frankreich oder Japan, im Gegensatz<br />

zu uns bereit ist, mehr auszugeben. Von dieser Ausgabendynamik<br />

der anderen profitieren wir, und wenn alle Länder<br />

sich verhalten würden wie wir, wäre es nicht gut bestellt um<br />

unsere Exporte.<br />

Lufthansa Exclusive: Das heißt, bei einer abebbenden Weltkonjunktur<br />

sitzen wir auf dem Trockenen, weil abnehmende Exportmöglichkeiten<br />

nicht von einer bestehenden Binnennachfrage<br />

abgefedert werden können …<br />

Bofinger: Das ist das Muster, das sich in Deutschland seit Mitte<br />

der neunziger Jahre herausgebildet hat. Wir leben davon, dass die<br />

Weltkonjunktur immer mal wieder kräftig anzieht, und dann können<br />

wir auf der großen Welle reiten. Wozu wir allerdings nicht mehr<br />

in der Lage sind, ist die Umsetzung solch kräftiger Anstöße von<br />

außen in eine eigene binnenwirtschaftliche Dynamik, in einen sich<br />

selbst tragenden Aufschwungsprozess, so wie das etwa in Frankreich<br />

der Fall ist.<br />

Lufthansa Exclusive: Dass zunehmende Ausgaben die <strong>Wirt</strong>schaft<br />

beleben, ist wohl unbestritten. Andererseits steht Deutschland<br />

als <strong>Wirt</strong>schaftsstandort in einer globalen Konkurrenz. Ist<br />

es da zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit nicht doch nötig, in<br />

einigen Bereichen zu sparen, etwa bei den Lohnkosten?<br />

Bofinger: Die große Fehleinschätzung hierzulande ist unser<br />

Glaube, nicht wettbewerbsfähig zu sein. Dieses Gefühl prägt die<br />

Politik, die in den vergangenen Jahren gemacht wurde. Tatsache<br />

ist: Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist hervorragend. Wir sollten uns<br />

natürlich anstrengen, sie so zu erhalten wie sie ist, aber wir müssen<br />

bei der <strong>Wirt</strong>schaftspolitik stärker als bisher darauf achten, die<br />

richtige Balance zwischen Binnendynamik und Exportentwicklung<br />

zu schaffen.<br />

Lufthansa Exclusive: Dafür spricht, dass die Welt den Deutschen<br />

ihre Exportgüter geradezu aus den Händen reißt. Aber ist<br />

Deutschland tatsächlich auf allen Feldern noch wettbewerbsfähig?<br />

<strong>Im</strong> Maschinenbau ist das sicher der Fall, hier stellen wir trotz<br />

hoher Produktionskosten zahlreiche Weltmarktführer. Aber kann<br />

man in Deutschland noch Schrauben produzieren?<br />

Bofinger: Nein, und das muss man auch nicht. Kein Land ist in<br />

der Lage, so viele von seinen Produkten auf dem Weltmarkt<br />

abzusetzen wie wir. Wir bieten also die richtige Produktpalette,<br />

wir haben offensichtlich die richtige Kostenstruktur – auch das<br />

ein Grund, weswegen die deutschen Unternehmen im Jahr 2004<br />

Gewinne erzielt haben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber<br />

natürlich muss sich Deutschland wie andere Industrieländer darauf<br />

einstellen, dass in Zukunft der Anteil der Industriebeschäftigten<br />

sinkt und dass wir uns mehr und mehr in eine Service-Gesellschaft<br />

entwickeln.<br />

Lufthansa Exclusive: Trotz dieser Erfolge deutscher Unternehmen<br />

im vergangenen Jahr …<br />

Bofinger: … in den vergangenen Jahren!<br />

Lufthansa Exclusive: … trotzdem ziehen es immer mehr deutsche<br />

Unternehmen vor, im Ausland zu produzieren. ><br />

Foto: St. Jänicke<br />

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher<br />

Genehmigung der Lufthansa. Für unverlangt<br />

eingesandte Manuskripte und Bilder übernimmt<br />

die Redaktion keine Haftung. Namentlich<br />

gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der<br />

Autoren wieder. Diese muss nicht mit der Auffassung<br />

der Redaktion übereinstimmen.<br />

Papier:<br />

Royal Press 400. Aus 35 Prozent Sekundärfasern,<br />

aus Holzabfällen aus Sägereien, Holz aus<br />

nachhaltiger Forstwirtschaft, gebleicht ohne Chlor,<br />

gebleicht mit Sauerstoff<br />

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Anzeigenabteilung Lufthansa Magazin,<br />

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1. Januar 2005; Anzeigenleiter: Heiko Hager,<br />

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Luxemburg, Niederlande (Brüssel): Kathy Rosseel,<br />

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Tel. 1/53 9373 93; Großbritannien, Irland<br />

(London): David Hardy, Tel. 20/74 374377; Italien<br />

(Mailand): Dr. Daniele Blei, Tel. 2/72 2511; Japan<br />

(Tokio): Hiroshi Iwai, Tel. 3/32 227811; Österreich<br />

und Südtirol (Wien): Erwin W. Luthwig, Tel.<br />

1/512 56 47-0; Spanien (Madrid): Paul Leahu, Tel.<br />

1/4113314; Schweden, Finnland (Stockholm):<br />

Sten Johnannison-Thörne, Tel. 8/45789 07; Norwegen,<br />

Dänemark (Holte): Mark Hjortkilde, Tel.<br />

45/46 9100; Schweiz (Zürich): Hans H.<br />

Otto, Tel. 1/269 -7070; Türkei (Istanbul):<br />

Dr. Reha Bilge, Tel. 212/ 275 84 33;<br />

USA Ostküste: Claudia Nanino, Tel.<br />

212- 268-33 44; USA Westküste:<br />

Matt Lane, Tel. 408-879-66 66;<br />

Indien (Mumbai): Marzban Patel,<br />

Tel. 22/22 04 88 90


46 _______________________________________ <strong>Lounge</strong>-Gespräch Peter Bofinger<br />

Bofinger: Das muss weit differenzierter gesehen werden als in<br />

der öffentlichen Diskussion üblich. Es gibt keinen Anlass, Auslandsinvestitionen<br />

grundsätzlich als Jobkiller für das Inland anzusehen.<br />

Viele Unternehmen investieren im Ausland, um Vertriebswege<br />

aufzubauen, und es gibt auch zahlreiche Investitionen im<br />

Dienstleistungsbereich. Auch in der Industrie verdrängt nicht<br />

jede Auslandsinvestition inländische Arbeitsplätze: Unsere Automobilindustrie<br />

hat besonders stark im Ausland investiert und<br />

ist doch einer der Sektoren, in denen hierzulande Arbeitsplätze<br />

geschaffen wurden. Kurz gesagt: Das Ausmaß deutscher Auslandsinvestitionen<br />

ist weder im internationalen noch im historischen<br />

Vergleich besorgniserregend. Wenn also in den Medien<br />

behauptet wird, wir seien Weltmeister beim Export von Arbeitsplätzen,<br />

ist das schlichtweg falsch.<br />

Lufthansa Exclusive: Außerdem stehen deutschen Auslandsengagements<br />

ja durchaus stark zunehmende Direktinvestitionen<br />

des Auslands bei uns gegenüber. Nichtsdestoweniger haben wir<br />

in Deutschland ein sehr hohes Lohnkostenniveau.<br />

Bofinger: Wie attraktiv der Standort Deutschland mittlerweile geworden<br />

ist, zeigt die Tatsache, dass ausländische Investoren<br />

geradezu scharenweise ins Land kommen. Doch nachdem wir<br />

jahrelang darüber geklagt haben, dass Deutschland für ausländische<br />

Anleger nicht interessant sei, jammern wir jetzt über<br />

die „Heuschrecken“. Was das Lohnniveau angeht, zählen wir<br />

„Eindimensionale Wenn-dann-<br />

Regeln sind im komplexen volkswirtschaftlichen<br />

Zusammenhang<br />

problematisch. Aber beliebt“<br />

international zu der Spitzengruppe. Aber was häufig übersehen<br />

wird: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Arbeitslosigkeit.<br />

Länder wie die Niederlande, Dänemark oder die<br />

Schweiz stechen mit extrem hohen Löhnen hervor – und mit sehr<br />

niedrigen Arbeitslosenraten. Umgekehrt gibt es im Niedriglohnbereich<br />

der Europäischen Union, in Spanien, Polen oder der Slowakei<br />

etwa, exorbitante Arbeitslosenquoten. Selbst innerhalb<br />

Deutschlands kann dieses Phänomen beobachtet werden: In den<br />

neuen Bundesländern liegt das Lohnkostenniveau bei 62 Prozent<br />

des westdeutschen – trotzdem ist das Arbeitslosenproblem<br />

vor allem ein ostdeutsches. Die Gleichung „hohes Lohnkostenniveau<br />

gleich hohe Arbeitslosigkeit“ geht nicht auf. Und die ökonomische<br />

Erklärung ist simpel: Hohe Lohnkosten sind dann<br />

kein Problem, wenn die Produktivität ebenfalls hoch ist – und das<br />

ist sie bei uns, zumindest in den alten Bundesländern.<br />

Lufthansa Exclusive: Eine weitere Korrelation, die in der Diskussion<br />

immer wieder auftaucht, ist die zwischen der Zuwachsrate<br />

des Bruttoinlandsprodukts und der Staatsquote. Die Parole lautet:<br />

Ein schlanker Staat ist gut für eine agile Volkswirtschaft.<br />

Bofinger: Es gibt Länder mit einem „kräftigen Staat“, zum Beispiel<br />

in Skandinavien, aber auch Österreich oder Frankreich, deren<br />

<strong>Wirt</strong>schaft in den vergangenen Jahren durchaus prosperiert hat.<br />

Bei den „Magerstaaten“ gibt es ausgesprochen dynamische<br />

wie die USA oder Irland, aber auch solche, die sehr schlecht abschneiden<br />

wie Japan oder die Schweiz. Grundsätzlich gilt: Eindimensionale<br />

Wenn-dann-Regeln sind im komplexen volkswirtschaftlichen<br />

Zusammenhang immer problematisch, wenn auch<br />

beliebt in Talkshows und leider auch in der Politik. Was Deutschland<br />

angeht, kann man übrigens konstatieren, dass wir die<br />

Staatsquote – das Verhältnis von Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt<br />

also – in den zurückliegenden Jahren deutlich<br />

und auch stärker als andere Länder heruntergefahren haben. Mit<br />

einer derzeitigen Staatsquote von 47,1 Prozent liegen wir unter<br />

dem Durchschnitt der Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion.<br />

Ein weiteres Schrumpfen könnte in Magersucht umschlagen.<br />

Denn wenn der Staat weiterhin auf Diät gesetzt wird,<br />

magert er allzu leicht da ab, wo Flexibilität am leichtesten möglich<br />

ist – bei den Investitionen. Dort allerdings weisen wir heute schon<br />

empfindliche Versäumnisse auf: Wir investieren zu wenig in Infrastruktur<br />

und zu wenig in Bildung.<br />

Lufthansa Exclusive: Und für solche Investitionen soll sich der<br />

Staat weiter verschulden?<br />

Bofinger: Man kann einen Staatshaushalt nicht kurzerhand mit<br />

einem privaten Haushalt gleichsetzen. Bei einem Privathaushalt<br />

sind Schulden grundsätzlich von Übel, und wenn Müllers über<br />

ein zu geringes Haushaltseinkommen verfügen und immer wieder<br />

das Konto überziehen, muss die Urlaubsreise eben gestrichen<br />

werden. Wenn es um einen Staat geht, muss man allerdings eine<br />

unternehmerische Perspektive einnehmen, und da sind Schulden<br />

nicht a priori schlecht.<br />

Lufthansa Exclusive: Auch die Eigenkapitalquote deutscher<br />

Unternehmen ist ja tatsächlich relativ gering.<br />

Bofinger: In der Tat, sie liegt bei rund 20 Prozent, und trotzdem ist<br />

kein Lamento über die Verschuldung deutscher Unternehmen zu<br />

hören – der Erfolg gibt ihnen eben recht. Angesichts eines höchst<br />

Erfolg versprechenden Investitionsvorhabens zu dessen Finanzierung<br />

keine Schulden zu machen wäre ein schwerer ökonomischer<br />

Fehler. <strong>Der</strong> Staat muss diese unternehmerische Sicht<br />

übernehmen, die Frage lautet: Wofür nehme ich Schulden auf?<br />

Wenn man es schafft, über Investitionen, etwa in den Ausbau<br />

der Infrastruktur, die <strong>Wirt</strong>schaft zu beleben und nachhaltig Standortvorteile<br />

zu sichern, können Schulden sich auszahlen. Erst<br />

wenn wir einen selbsttragenden Aufschwung zustande bringen,<br />

sprudeln wieder Steuereinnahmen, geht die Arbeitslosenquote<br />

zurück – der beste Weg zur Konsolidierung führt übers Wachstum,<br />

nicht übers Schrumpfen.<br />

Lufthansa Exclusive: Auch für Volkswirtschaften gilt eben:<br />

Qualität kostet. Und ein erstklassiger <strong>Wirt</strong>schaftsstandort ist nicht<br />

zusammenzusparen, sondern erfordert Investitionen.<br />

Bofinger: Genau. Und deshalb müssen wir auch nicht in Deutschland<br />

unbedingt Steuersätze wie in Lettland haben. Es käme ja<br />

auch niemand auf die Idee, dass ein Platz in der First Class zum<br />

Preis eines Economy Tickets zu haben ist.<br />

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