Lösungsskizze Aufsichtsarbeit SPB
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Lösungshinweise zur <strong>Aufsichtsarbeit</strong> im Schwerpunktbereich 1 b (alt)<br />
Frühjahr 2010 – Klausurenkurs 15.1.2011<br />
Die X-AG steht an der Spitze des X-Konzerns, welcher u.a. Kühlschränke herstellt. Die<br />
Produktion findet in verschiedenen Mitgliedstaaten über nationale Tochtergesellschaften statt.<br />
Diese vertreiben die Waren an Händler in den jeweiligen Mitgliedstaaten. Die Händler<br />
verkaufen sie anschließend im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an die<br />
Endverbraucher. Ein Direktvertrieb des X-Konzerns an Endkunden findet nirgendwo statt.<br />
Die Kühlschrankmärkte sind auf allen Marktstufen national abzugrenzen.<br />
Auf dem deutschen Markt zur Belieferung von Händlern mit Kühlschränken ist die deutsche<br />
Tochter des X-Konzerns – D – tätig. Sie ist sehr stark und hält einen Marktanteil von 70 % bei<br />
der Belieferung der deutschen Händler mit Kühlschränken. Um Absatzsicherheit zu haben,<br />
schließt sie mit allen von ihr belieferten deutschen Händlern Belieferungsverträge mit<br />
Laufzeiten von 10 Jahren. Darin verpflichten sich die Händler, 95 % ihrer Kühlschränke nur<br />
bei D zu beziehen. Nur 5 % dürfen von anderen Anbietern stammen. Sonstige<br />
Zusatzverpflichtungen der Händler sind nicht vereinbart. Der zweitgrößte Anbieter in<br />
Deutschland – K – hält einen Marktanteil von 25 % und praktiziert vergleichbare langfristige<br />
Verträge. Der französische Kühlschrankehersteller – Z – beschwert sich über diese<br />
Vertragspraxis beim Bundeskartellamt. Z bringt vor, sie finde kaum Händler in Deutschland,<br />
die bereit seien, ihre Kühlschränke in nennenswertem Umfang zu kaufen. D legt jedoch durch<br />
ein glaubhaftes ökonomisches Gutachten unangreifbar dar, dass die langfristigen Verträge mit<br />
der hohen Bedarfsdeckungsquote bei ihr zu Kostenersparnissen von ca. 3 % führen im<br />
Vergleich zu der hypothetischen Situation, die bestünde, wenn sie nur Verträge mit<br />
Laufzeiten von fünf Jahren oder weniger schlösse. Auf Grundlage dieses Gutachtens zieht D<br />
selbst die Schlussfolgerung, dass ihre Vertragspraxis den Verbrauchern in zweierlei Hinsicht<br />
nutze: Zum Einen könne sie bei niedrigeren Kosten mehr in Forschung und Entwicklung<br />
investieren. Zum anderen könne sie einen Teil der geringeren Kosten durch Preisnachlässe<br />
den Kunden zugute kommen lassen. Dieser Nutzen für die Verbraucher müsse bei der<br />
kartellrechtlichen Beurteilung berücksichtigt werden.<br />
Im X-Konzern gibt es aber noch ein weiteres Problem. Die Europäische Kommission hat<br />
nämlich aufgedeckt, dass die italienische X-Tochter – I – für den gesamten italienischen<br />
Markt mit anderen Kühlschrankherstellern seit fünf Jahren die Preise abgesprochen hat. Die<br />
italienische Wettbewerbsbehörde will den Fall der Kommission überlassen. Die X-AG hält<br />
100 % der Anteile an I. Sie wusste von diesem Verhalten der I aber nichts. Die Kommission<br />
fragt sich daher, ob sie wegen dieses Verhaltens bußgeldrechtlich nur gegen I vorgehen kann<br />
oder auch gegen X-AG bzw. den gesamten X-Konzern.<br />
Bitte begutachten Sie folgende Fragen:<br />
1. Kann das BKartA Maßnahmen gegenüber D ergreifen und falls ja, auf welcher<br />
Grundlage?<br />
2. Gegen wen und auf welcher Grundlage kann die Kommission wegen der<br />
Zuwiderhandlung in Italien ein Bußgeld verhängen? (von der verfahrensrechtlichen<br />
Zuständigkeit der Kommission ist auszugehen)<br />
1
Lösungsvorschlag<br />
Hinweis: Im Folg. werden wegen des Inkrafttretens des Lissabon-Vertrags hinsichtlich<br />
des EG-Kartellrechts bereits die Artt. 101, 102 AEUV zugrunde gelegt. Die Bearbeiter<br />
werden aber möglicherweise aufgrund noch nicht aktueller Gesetzestexte noch die Artt.<br />
81, 82 EG zitieren, was sachlich keinen Unterschied macht.<br />
Frage 1.<br />
A. Erlass einer Abstellungsverfügung nach § 32 GWB<br />
I. Ermächtigungsgrundlage<br />
- § 32 GWB – Abstellungsverfügung<br />
- Voraussetzung: Verstoß gegen GWB oder gegen die Artt. 101, 102 AEUV<br />
- BKartA ist also auch zur Vollziehung des EG-Kartellrechts über § 32 GWB<br />
ermächtigt; vgl. auch § 50 GWB und Art. 3 VO 1/2003<br />
- Als materielle Verbote kommen hier Art. 101 AEUV/§ 1 GWB einerseits und Art.<br />
102 AEUV/§§ 19, 20 GWB andererseits in Frage<br />
- Sehr gute Bearbeiter verhalten sich ggf. auch zu der Frage, welche Anordnung<br />
konkret das BKartA zur Abstellung treffen könnte. Hier kann dann auf die sog.<br />
positive Tenorierung nach § 32 Abs. 2 GWB eingegangen werden. Ferner könnten<br />
sehr gute Bearbeiter die Frage aufwerfen, inwieweit das BKartA über § 32 GWB<br />
Vorgaben zum Abschluss künftiger Verträge machen darf. Die Europäischen<br />
Gerichte lassen es hier nach ihren sog. Eiskrem-Urteilen (Schöller und Langnese)<br />
zu, daß die Widerherstellung eines gleichartigen Vertragsbündels untersagt wird,<br />
um der Wiederholungsgefahr Rechnung zu tragen. Der BGH hielt einen solchen<br />
weit gefaßten Tenor in einem obiter dictum in seinem Urteil im Fall E.ON Ruhrgas<br />
– langfristige Gaslieferverträge für nicht hinreichend bestimmt. Statt dessen soll es<br />
daher lt. BGH dem BKartA gestattet sein, nach § 32 GWB konkrete Vorgaben zum<br />
Abschluß künftiger Verträge über Bezugsmenge und Laufzeit zu machen, um die<br />
Märkte „zu öffnen“. Einen solchen Tenor hielten wiederum die Europäischen<br />
Gerichte in ihren Eiskrem-Urteilen für zu weitgehend, weil er theoretisch auch<br />
Einzelverträge erfassen würde, die nicht marktabschottend sind. Detaillierte<br />
Ausführungen können hierzu aber nicht erwartet werden, weil im<br />
Sachverhalt nichts darüber steht, welche Anordnung das Amt hier überhaupt<br />
treffen will. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer Abstellungsverfügung<br />
nach § 32 GWB sollte daher prinzipiell reichen.<br />
- Daneben kommt ein Bußgeld nach § 81 GWB in Betracht.<br />
II.<br />
Materieller Verstoß<br />
1. Art. 101 AEUV/§ 1 GWB<br />
2
a) Unternehmenseigenschaft<br />
X-AG, D und die Händler sind unproblematisch Unternehmen i.S.d. Kartellrechts.<br />
b) Wettbewerbsbeschränkung<br />
aa)<br />
Marktabschottung durch ein Bündel gleichartiger Verträge<br />
- Eine Marktabschottung durch eine Bündelwirkung langfristiger<br />
Ausschließlichkeitsverträge kann eine nach Art. 101 AEUV, § 1 GWB verbotene<br />
vertragliche Wettbewerbsbeschränkung darstellen.<br />
- leading case: EuGH v. 28. 2. 1991 – Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935 LS 1 –<br />
Delimitis/Henninger Bräu.<br />
- Marktabschottung gegeben, wenn ein Bündel gleichartiger langfristiger Verträge<br />
die Kunden hinsichtlich eines erheblichen Anteils ihrer Nachfrage („major part“-<br />
Kriterium) an einen starken Anbieter bindet.<br />
- Feststehende Werte für die Annahme einer Bündelwirkung gibt es nicht.<br />
Entscheidend ist, ob nach der Gesamtheit der Umstände Drittanbietern der<br />
Marktzugang künstlich erschwert wird.<br />
- Als Richtwert könnte man sich an Art. 1 lit. b, 3 Abs. 1 und 5 der Vertikal-GVO 1<br />
orientieren, wonach Bezugsbindungen von mehr als 80 % mit einer Laufzeit von<br />
bis zu 5 Jahren zulässig sind, sofern der Lieferant einen Marktanteil von 30 % oder<br />
weniger hält.<br />
Wichtig: Vertikal-GVO regelt Freistellung und nicht Frage der<br />
Wettbewerbsbeschränkung. D.h.: Wer sich auf Art. 5 Vertikal-GVO beruft,<br />
muss klarstellen, dass es hier nur um eine „Indizwirkung“ der GVO geht,<br />
nicht um eine Definition der Grenzen zulässiger Verträge nach Art. 101 Abs.<br />
1 AEUV/§ 1 GWB.<br />
- Hier: Marktabschottung angesichts der betroffenen Marktanteile, der<br />
Bindungsdauer und der Bezugsmenge zu bejahen.<br />
- Sehr gute Bearbeiter können hier noch kurz das Handelsvertreterprivileg<br />
ansprechen, welches vorliegend aber nicht greift.<br />
c) Spürbarkeit<br />
- Spürbarkeit aus vorgenannten Gründen hier auch zu bejahen<br />
- Zur Frage der Spürbarkeit der Marktabschottung durch Bündelwirkung siehe<br />
1 ABl. EG 1999 Nr. L 336, S. 21.<br />
3
EG-Kommission De Minimis-Bekanntmachung 2 Tz. 8:<br />
„Wird in einem relevanten Markt der Wettbewerb durch die kumulative Wirkung<br />
von Vereinbarungen beschränkt, die verschiedene Lieferanten oder Händler für<br />
den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen geschlossen haben (kumulativer<br />
Marktabschottungseffekt durch nebeneinander bestehende Netze von<br />
Vereinbarungen, die ähnliche Wirkungen auf dem Markt haben), so werden die in<br />
Ziffer 7 genannten Marktanteilsschwellen auf 5 % herabgesetzt, sowohl für<br />
Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern als auch für Vereinbarungen zwischen<br />
Nichtwettbewerbern. Bei einzelnen Lieferanten oder Händlern mit einem<br />
Marktanteil, der 5 % nicht überschreitet, ist in der Regel nicht davon auszugehen,<br />
dass sie wesentlich zu dem kumulativen Abschottungseffekt beitragen(5). Es ist<br />
unwahrscheinlich, dass ein kumulativer Abschottungseffekt vorliegt, wenn weniger<br />
als 30 % des relevanten Marktes von nebeneinander bestehenden (Netzen von)<br />
Vereinbarungen, die ähnliche Wirkungen auf dem Markt haben, abgedeckt<br />
werden.“<br />
Und Bagatellbekanntmachung des BKartA Tz. 11:<br />
„Besteht der Verdacht, dass auf einem betroffenen Markt der Wettbewerb durch<br />
einen kumulativen Marktabschottungseffekt von Vereinbarungen beschränkt wird,<br />
beträgt die Marktanteilsschwelle nach Rn. 8 bis 10 jeweils 5 %. Ein kumulativer<br />
Abschottungseffekt liegt regelmäßig dann vor, wenn 30 % oder mehr des<br />
betroffenen Marktes von nebeneinander bestehenden Netzen von Vereinbarungen<br />
verschiedener Lieferanten oder Händler für den Verkauf von Waren oder das<br />
Angebot von Dienstleistungen, die ähnliche Wirkungen auf dem Markt haben,<br />
abgedeckt werden.“<br />
d) Zu Art. 101 AEUV: Geeignetheit zur spürbaren Handelsbeeinträchtigung<br />
- Auch Geeignetheit zur spürbaren Handelsbeeinträchtigung zu bejahen.<br />
- Der Umstand, dass eine Absprache nur die Vermarktung von Produkten in einem<br />
einzigen Mitgliedstaat bezweckt, genügt nicht, um die Möglichkeit einer<br />
Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten auszuschließen. Nach<br />
der Rspr. des EuGH 3 fallen deshalb in den Geltungsbereich des<br />
Gemeinschaftsrechts „alle Kartelle und alle Übungen [= Verhaltensweisen], die<br />
geeignet sind, die Freiheit des Handels zwischen den Mitgliedstaaten in einer<br />
Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes<br />
zwischen den Mitgliedstaaten nachteilig sein kann, indem insbesondere die<br />
nationalen Märkte abgeschottet werden oder die Wettbewerbsstruktur im<br />
Gemeinsamen Markt verändert wird.“ (Klammerzusatz nur hier)<br />
- Ggf. kann kurz NAAT-Regel der Kom-Leitlinien zur Handelsbeeinträchtigung (im<br />
folg.: HaB-LL) angesprochen werden (Tz. 50 ff.). Genaue Prüfung jedoch mangels<br />
Angaben im Sachverhalt zu Umsätzen nicht möglich, in diesem klaren Fall aber<br />
auch nicht nötig.<br />
2 ABl. 2001 C 368/13.<br />
3 EuGH v. 31. 5. 1979 – Rs. 22/78, 1979 Tz. 17 – Hugin/Kommission.<br />
4
- HaB-LL Tz. 86: „Vertikale Vereinbarungen, die das gesamte Gebiet eines<br />
Mitgliedstaats erfassen, sind insbesondere geeignet, den Warenverkehr zwischen<br />
Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sie es Unternehmen aus anderen<br />
Mitgliedstaaten erschweren, entweder durch Ausfuhren oder durch die Errichtung<br />
von Niederlassungen Zutritt zu diesem nationalen Markt zu erlangen<br />
(Abschottungseffekt). Wenn vertikale Vereinbarungen derartige Wirkungen<br />
hervorrufen, tragen sie zur Aufteilung der Märkte entlang nationaler Grenzen bei,<br />
womit sie die im Vertrag angestrebte gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung<br />
behindern….<br />
Tz. 87: „Ein Abschottungseffekt kann beispielsweise vorliegen, wenn Lieferanten<br />
den Abnehmern eine Alleinbezugsverpflichtung auferlegen…“<br />
- Für Handelsbeeinträchtigung reicht es also aus, wenn ein Mitgliedstaat betroffen<br />
ist. Es lässt sich die Handelsbeeinträchtigung vorliegend also nicht mit der<br />
Begründung ablehnen, dass es sich um nationale Märkte handelt!<br />
e) Rule of Reason?<br />
- D bringt unangreifbar durch ökonom. Gutachten belegt vor, dass die<br />
Langfristverträge zu Kostenersparnissen von 3 % führen. Es kann daher bereits an<br />
dieser Stelle erörtert werden, ob dadurch Effizienzen erzielt werden, die den<br />
Verbrauchern durch niedrigere Preise zugute kommen und dies möglicherweise<br />
den wettbewerbsbeschränkenden Charakter der Abrede entfallen lässt. Damit ist<br />
das Problem der sog. rule of reason angesprochen.<br />
- Dann wäre zu klären, ob es eine solche ungeschriebene Ausnahme vom<br />
Kartellverbot (d.h. außerhalb von Art. 101 Abs. 3 AEUV) gibt, wonach<br />
volkswirtschaftlich oder sozial förderliche Verhaltensweisen schon nicht unter Art.<br />
101 Abs. 1 AEUV fallen, sofern die Vorteile der Vereinbarung bei Abwägung aller<br />
relevanten Faktoren überwiegen.<br />
- Der Gedanke der rule of reason stammt aus dem US-Kartellrecht.<br />
o Das deutsche Schrifttum äußert teilweise Sympathie für eine solche rule of<br />
reason im Rahmen von Art. 101 AEUV, wobei erhebliche Einschränkungen<br />
hinsichtlich des Anwendungsbereichs gemacht werden. 4<br />
o Die Rspr. lehnt sie jedoch eindeutig ab. 5<br />
4 FK-KartR/Roth/Ackermann, Art. 81 Abs. 1 Grundfragen Rn. 255 ff. Die Vertreter dieser Ansicht begründen<br />
mittels der rule of reason in vier Konstellationen Tatbestandseinschränkungen des Art. 81 Abs. 1 EG: erstens<br />
Exklusivvereinbarungen, zweitens Anwendungsfälle der Immanenztheorie (z.B. Wettbewerbsverbote in<br />
Unternehmenskauf- und Gesellschaftsverträgen), drittens (einzelfallbezogen) Anwendungsfälle der<br />
Markterschließungsdoktrin und viertens (in Anerkennung der Förderung des Interbrand-Wettbewerbs) selektive<br />
Vertriebssysteme, die auf qualitativen Kriterien beruhen.<br />
5 EuGH v. 13. 7. 1966 – Rs. 56/64 und 58/64, Slg. 321 (390) – Consten und Grundig/Kommission; bestätigt<br />
durch EuG v. 21. 1. 1995 – Rs- T-29/92, Slg. 1995, II-289 Tz. 96 – SPO u.a./Kommission: „Sodann ist darauf<br />
hinzuweisen, daß die von den Klägerinnen behaupteten günstigen Auswirkungen der Regelungen im Rahmen des<br />
Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht berücksichtigt werden können, und nur für die Anwendung der in<br />
Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag festgelegten Kriterien eine Rolle spielen. Deshalb sind diese verschiedenen<br />
5
Begründung: Eine „topische“ Betrachtungsweise der Wettbewerbsbeschränkung wäre<br />
mit der Systematik des Kartellrechts unvereinbar, weil dieses die nützlichen Aspekte<br />
erst im Rahmen des Art. 101 Abs. 3 AEUV und nicht schon innerhalb des Begriffs der<br />
Wettbewerbsbeschränkung (d.h. innerhalb des Art. 101 Abs. 1 AEUV) berücksichtigt.<br />
Derselbe Einwand greift für §§ 1, 2 GWB.<br />
Überzeugender ist es daher, eine rule of reason abzulehnen. Gegenteilige Ansicht aber<br />
nicht unvertretbar. Es sollte dann aber auf entgegenstehende Rspr. eingegangen<br />
werden. Fehlen Ausführungen zur rule of reason, sollte dies nicht als schwerer Mangel<br />
angesehen werden, weil diese Rechtsfigur an sich abzulehnen ist und die eigentliche<br />
Prüfung daher in Art. 101 Abs. 3 EG/§ 2 GWB erfolgt.<br />
f) Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
Sehr gute Bearbeiter könnten noch auf folgendes eingehen:<br />
Von der rule of reason zu trennen ist das vom EuGH in ständiger Rspr. aufgestellte<br />
Postulat, dass Art. 101 AEUV immer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen zu prüfen ist. 6 Nach der Rspr. ist daher immer<br />
einzelfallbezogen zu analysieren, inwieweit bestimmte potenziell<br />
wettbewerbsbeschränkenden Aspekte einer Vereinbarung auf die Besonderheiten der<br />
jeweiligen Branche zurückzuführen sind.<br />
So kann sich z.B. das Erfordernis des Abschlusses langfristiger Gaslieferverträge mit<br />
Regional- und Ortsgaskunden aus der Notwendigkeit ergeben, die finanziellen Risiken<br />
aus Gas-Importverträgen der Gasimporteure mit den Gasproduzenten handhabbar zu<br />
machen. 7 Dies kann in Marktabschottungsfällen gegen das Vorliegen einer<br />
Wettbewerbsbeschränkung sprechen, wenn die Langfristigkeit gleichsam<br />
branchenimmanent vorgegeben ist. Aus dieser Rspr. folgt insbesondere, dass<br />
kartellrechtliche Beurteilungsgrundsätze (z.B. die Grenzen für die zulässige<br />
Höchstlaufzeit von Alleinbezugspflichten), die in Bezug auf eine Branche entwickelt<br />
wurden, nicht schematisch auf andere Branchen übertragen werden können.<br />
Hier ist jedoch nicht ersichtlich, dass ein solches Argument die Langfristigkeit der<br />
Lieferverträge erklären kann. Der Aspekt, dass höhere Gewinne bessere F&E<br />
ermöglichen, taugt nicht. Es trifft auf praktisch jede Branche zu. Ferner ist nicht<br />
Argumente im Rahmen des zweiten Angriffsmittels zu prüfen.“ Zuletzt EuG v. 2. 5. 2006 – Rs. T-328/03, Tz. 69<br />
f. – O2 (Germany) GmbH & Co. OHG/Kommission: „Eine solche Untersuchungsmethode läuft, insbesondere<br />
was die Berücksichtigung der Wettbewerbssituation angeht, die ohne eine Vereinbarung bestehen würde, nicht<br />
darauf hinaus, dass eine Bilanz der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der<br />
Vereinbarung gezogen und damit eine ‚rule of reason‘ angewendet wird, die nach Ansicht der<br />
Gemeinschaftsgerichte keinen Platz im Rahmen des Art. 81 Absatz 1 EG hat … [Das] bedeutet … nicht, dass im<br />
Stadium des Artikels 81 Absatz 1 EG eine Bilanz der positiven und der negativen Auswirkungen der<br />
Vereinbarung aus der Sicht des Wettbewerbs zu ziehen wäre.“ EuG v. 18. 9. 2001 – Rs. T-112/99, Slg. 2001, II-<br />
2459 LS 2 – Métropole télévision (M6) u.a./Kommission; EuG v. 23. 10. 2003 – Rs. T-65/98, Slg. 2003, II-4653<br />
Tz. 106 f. – van den Bergh Foods Ltd./Kommission.<br />
6 EuGH v. 7. 12. 2000 – Rs. C-214/99, Slg. 2000, I-11121 Tz. 25 – Neste Markkinointi: „(…) Bei der<br />
Beurteilung der Wirkungen eines Alleinbezugsvertrags ist der wirtschaftliche und rechtliche<br />
Gesamtzusammenhang zu betrachten, in dem der Vertrag steht und zusammen mit anderen zu einer kumulativen<br />
Auswirkung auf den Wettbewerb führen kann. (…)“; EuGH v. 19. 2. 2002 – Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577,<br />
Tz. 97 – Wouters; EuG v. 18. 9. 2001 – Rs. T-112/99, Slg. 2001, II-2459, Tz. 76 – Métropole télévision (M6).<br />
7 Monopolkommission, HG XVI (2004/05), Tz. 423.<br />
6
erkennbar, dass gerade die Herstellung von Kühlschränken besonders<br />
forschungsintensiv wäre. Auch die Möglichkeit der Weitergabe von<br />
Kostenersparnissen kann hier noch keine Rolle spielen. Dieser Aspekt trifft ebenso auf<br />
jede Branche zu und ist daher keine Besonderheit, die hier zu Buche schlüge.<br />
g) Freistellung<br />
aa)<br />
Vertikal-GVO<br />
Greift nicht wg. Überschreitung der Marktabteilsschwelle des Art. 3 Abs. 1 Vertikal-<br />
GVO<br />
bb)<br />
Legalausnahme nach Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2 Abs. 1 GWB<br />
- Kurze Ausführungen zur Funktionsweise des Legalausnahmesystems wären gut<br />
(Selbsteinschätzung der Unternehmen, keine Freistellungsverfügung der Behörden<br />
notwendig).<br />
- Ein Schwerpunkt der Arbeit sollte auf der Frage der materiellen<br />
Freistellungsvoraussetzungen liegen. Hier sollte eine sauber strukturierte Prüfung<br />
der zwei positiven und zwei negativen Tatbestandsmerkmale des Art. 101 Abs. 3<br />
AEUV/§ 2 Abs. 1 GWB erfolgen.<br />
- Problematisch ist hier Folgendes: Eine Kostensenkung wäre zwar als<br />
Effizienzvorteil anzusehen. Jedoch ist zweifelhaft, ob die Verbraucher hieran in<br />
angemessener Weise beteiligt werden. D hat nämlich vorliegend nur die<br />
Kostensenkung durch ein ökonomisches Gutachten belegt. Die Behauptung, dass<br />
sie infolgedessen tatsächlich mehr in F&E investiert und einen Teil den Kunden in<br />
Gestalt von Kostensenkungen zukommen lässt, ist unbewiesen. Gegen eine<br />
angemessene Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn spricht<br />
hier – wie bei allen Marktabschottungsfällen -, dass die Abschottung den<br />
Wettbewerbsdruck sinken lässt. Ohne Wettbewerbsdruck fehlt es dann an einem<br />
Anreiz, mögliche Effizienzvorteile weiterzugeben.<br />
- Diese Erwägungen sollten in irgendeiner Form für die Argumentation im Rahmen<br />
der Freistellungsvoraussetzungen fruchtbar gemacht werden. Das Ergebnis ist dann<br />
sekundär. Mit guter Begründung wäre die Annahme einer Freistellung mglweise<br />
sogar gerade noch vertretbar.<br />
7
2. Art. 102 AEUV/§§ 19, 20 GWB<br />
a) Vorbemerkung<br />
- Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV, § 19 Abs. 1<br />
GWB und unbillige Behinderung nach § 20 Abs. 1 GWB können hier grds. einheitlich<br />
geprüft werden, wie dies das BKartA und die Gerichte in solchen Fällen ebenfalls<br />
regelmäßig tun. Auf Unterschiede ist dann im Rahmen der Erläuterung der einzelnen<br />
Tatbestandsmerkmale einzugehen.<br />
- Betroffen ist hier die Fallgruppe des sog. „Behinderungsmissbrauchs“ (Behinderung<br />
gegenüber den Konkurrenten von D, die vom Markt ausgeschlossen werden).<br />
b) Marktbeherrschende Stellung<br />
- Hier sollte bezüglich des GWB die Marktbeherrschungsdefinition des § 19 Abs. 2<br />
GWB und vor allem die Marktbeherrschungsvermutung des § 19 Abs. 3 GWB<br />
gesehen werden. Nach § 19 Abs. 3 GWB ist Marktbeherrschung hier zu bejahen.<br />
- Für Art. 102 AEUV greifen die Marktbeherrschungsregeln des § 19 GWB wegen<br />
des Vorrangs des Europarechts hingegen nicht. Insoweit ist auf die<br />
Marktbeherrschungsdefinition durch die Rspr. der Europ. Gerichte<br />
zurückzugreifen:<br />
o Grundlegend zum Begriff der beherrschenden Stellung ist das Urteil des EuGH<br />
i.S. Hoffmann-LaRoche 8 : „Mit der beherrschenden Stellung im Sinne des<br />
Artikels 86 EWG-Vertrag [jetzt Art. 82 EG] ist die wirtschaftliche<br />
Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die<br />
Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu<br />
verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen<br />
Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber<br />
unabhängig zu verhalten. Eine solche Stellung schließt im Gegensatz zu einem<br />
Monopol oder einem Quasi-Monopol einen gewissen Wettbewerb nicht aus,<br />
versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen<br />
sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder merklich zu<br />
beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine<br />
Rücksicht nehmen zu müssen, ohne daß es ihr zum Schaden gereichte.“<br />
o Die Rspr. der Gemeinschaftsgerichte und die Praxis der Kommission haben<br />
dazu – allerdings nicht starr anzuwendende – Richtwerte entwickelt:<br />
<br />
Ab einem Marktanteil von deutlich über 40 % (z.T.: ab 50 %) wird von<br />
der Rspr. auf eine beherrschende Stellung des Unternehmens<br />
geschlossen. Zwischen 25 % und 40 % bedarf es für die Annahme einer<br />
marktbeherrschenden Stellung im Grundsatz zusätzlich eines<br />
entsprechenden Abstandes zum nächstliegenden Wettbewerber, wobei<br />
an dieses Erfordernis um so höhere Anforderungen zu stellen sind, je<br />
niedriger der Marktanteil ist.<br />
8 EuGH v. 13. 2. 1979 – Rs. 85/76, Slg. 1949, 461 LS 4 – Hoffmann-LaRoche und Co. AG/Kommission.<br />
8
Unterhalb von 25 % Marktanteil ist die Annahme einer<br />
marktbeherrschenden Stellung regelmäßig sehr fernliegend; bei<br />
Marktanteilen unter 10 % ist diese Annahme praktisch ausgeschlossen.<br />
Hier ist auch nach den EG-Grundsätzen für Art. 102 AEUV Marktbeherrschung<br />
unzweifelhaft zu bejahen.<br />
c) Missbrauch<br />
-<br />
Missbrauch i.S.v. Art. 102 AEUV/§ 19 Abs. 1 GWB erfasst alle Verhaltensweisen<br />
von marktbeherrschenden Unternehmen, welche die Struktur eines Marktes<br />
beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des<br />
fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die den noch bestehenden<br />
(Rest-) Wettbewerb durch die Verwendung von Mitteln behindern, die außerhalb<br />
eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der<br />
Leistungen der Wirtschaftsteilnehmer liegen.<br />
- Hier ist Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs angesprochen, weil<br />
Konkurrenten durch Marktabschottung vom Markt ferngehalten werden. Dies stellt<br />
zugleich eine Behinderung i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB dar.<br />
-<br />
Hinsichtlich der Missbräuchlichkeit kann man hier weitgehend nach oben<br />
verweisen, weil die Argumente für die Missbräuchlichkeit dieselben sind wie für<br />
die Marktabschottung. Kartell- und Missbrauchsverbot greifen hier nebeneinander<br />
(vgl. EuGH v. 13.2.1979, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461, Tz. 120 – Hoffmann-LaRoche<br />
& Co. AG/Kommission).<br />
d) Effizienzen im Missbrauchsrecht<br />
- Was den Missbrauch anbelangt, ist auch hier fraglich, inwieweit die<br />
Kostenersparnis als Effizienz zu berücksichtigen ist. Es sind hier zwei Fragen zu<br />
trennen:<br />
- Zunächst ist zu klären, wie Effizienzen im Rahmen des Art. 102 AEUV<br />
dogmatisch überhaupt zu erfassen sind. Hier können sehr gute Bearbeiter kurz auf<br />
die Frage eingehen, ob es in Art. 102 AEUV eine rule of reason gibt.<br />
o Dies hatte die Economic Advisory Group for Competition Policy (EAGCP) der<br />
Kommission einmal in ihrem Report vertreten (S. 7): „This therefore provides<br />
a strong argument in favour of a rule of reason.“<br />
o Die Rspr. lehnt die rule of reason bei Art. 102 AEUV jedoch ab: vgl. EuG,<br />
Urteil v. 30.9.2003, Verb. Rss. T-191/98, T-212/98 bis T-214/98, Tz. 1112 –<br />
Atlantic Container Line: „Da jedoch Artikel 86 EG-Vertrag [jetzt Art. 102<br />
AEUV] die Möglichkeit einer Freistellung nicht vorsieht, sind die<br />
missbräuchlichen Verhaltensweisen unabhängig von den Vorteilen, die sie dem<br />
Urheber dieser Verhaltensweisen oder Dritten gewähren mögen, verboten.“<br />
o Gleichwohl sind Effizienzen im Rahmen der Missbrauchsprüfung aber nach<br />
herrschender und zutreffender Ansicht zu berücksichtigen. Dies geschieht<br />
9
dogmatisch am besten innerhalb des Tatbestandsmerkmals des<br />
Missbrauchs.<br />
o Vgl. zu der Problematik auch Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu<br />
den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-<br />
Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende<br />
Unternehmen“, Tz. 28 ff. 9<br />
- Ferner ist zu klären, ob es sich hier um berücksichtigungsfähige Effizienzgewinne<br />
handelt. Dies dürfte aus den o.g. Gründen zu verneinen sein, weil es mangels<br />
Wettbewerbsdrucks unwahrscheinlich ist, dass Kostenersparnisse an die<br />
Verbraucher weitergegeben werden, da sie spürbar ist.<br />
- Nach der Formel des BGH richtet sich der Missbrauch bzw. die Unbilligkeit der<br />
Behinderung nach einer Abwägung der Interessen der Beteiligten unter<br />
Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des<br />
GWB. 10 Es ist schön, wenn die Bearbeiter bezüglich §§ 19, 20 GWB diese Formel<br />
bringen. In diese Formel können dann auch die o.g. Effizenzüberlegungen<br />
eingebettet werden. Insgesamt sollte den Bearbeitern aber bei der Strukturierung<br />
der Prüfung der Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 GWB ein Freiraum zugestanden<br />
werden, da es hier kein „Schema F“ gibt.<br />
- In jedem Fall kann hinsichtlich der Missbräuchlichkeit bzw. Unbilligkeit der<br />
Behinderung auch darauf verwiesen werden, dass die marktabschottenden<br />
Ausschließlichkeitsbindungen gegen Art. 101 AEUV/§ 1 GWB verstoßen und<br />
daher eigentlich per se auch missbräuchlich/unbillig i.S. der Art. 102 AEUV/§§ 19,<br />
20 GWB sind.<br />
d) Handelsbeeinträchtigung<br />
- Für Art. 82 EG ist noch die Geeignetheit zur Handelsbeeinträchtigung<br />
anzusprechen. Sie kann unter Verweis auf oben bejaht werden.<br />
-<br />
Sehr gute Bearbeiter könnten noch die Streitfrage ansprechen, ob die Geeignetheit<br />
zur Handelsbeeinträchtigung auch bei Art. 102 AEUV spürbar sein muss<br />
(Kling/Thomas, Kartellrecht 2007, § 5 Rn. 116 f.). Darauf kommt es hier aber im<br />
Ergebnis freilich nicht an.<br />
B. Erlass einer Bußgeldverfügung<br />
Frage 2<br />
Das BKartA kann für die geprüften Verstöße ferner ein Bußgeld nach § 81 GWB<br />
gegen D erlassen.<br />
9 ABl. 2009 Nr. C 45/7.<br />
10<br />
Immenga/Mestmäcker/Markert, GWB, § 20 Rn. 129 m.w.N.<br />
10
- Die Kommission kann ein Bußgeld nach Art. 23 VO 1/2003 wegen Verletzung des<br />
Art. 101 AEUV verhängen, und zwar gegen I sowie gegen ihre Mutter X-AG.<br />
Regelmäßig wird hier eine gesamtschuldnerische Haftung gewählt.<br />
- Kernproblem ist hier der Begriff der sog. wirtschaftlichen Einheit. Nach der Rspr.<br />
des EuGH können mehrere rechtlich selbständige Konzerngesellschaften ein<br />
einheitliches Unternehmen im Sinne des Kartellrechts bilden (EuGH, Urteil v.<br />
10.9.2009, C-97/08 P – AKZO; EuGH, Rs. C-286/98 P - Stora Kopparbergs). Eine<br />
wirtschaftliche Einheit liegt vor, wenn die Tochter im Verhältnis zur Mutter ihr<br />
Marktverhalten nicht autonom bestimmt.<br />
- Hier ist eine Gesamtbetrachtung aller für das Marktverhalten relevanten Umstände<br />
vorzunehmen. Auf eine tatsächliche Einflussnahme der Mutter gegenüber der<br />
Tochter oder Kenntnis vom Verstoß der Tochter kommt es nicht an.<br />
- Nach der Rspr. (AKZO, Tz. 60) besteht eine widerlegliche Vermutung für das<br />
Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit, wenn die Mutter alle Anteile der Tochter<br />
hält (wie hier).<br />
- Also kann aufgrund der Angaben im Sachverhalt unter Anwendung der besagten<br />
Vermutungsregel eine Haftung der Mutter X-AG begründet werden.<br />
- Eine Bußgeldpflicht „des X-Konzerns“ ist hingegen nicht möglich. Der Konzern<br />
als solcher ist nicht tauglicher Adressat einer Bußgeldentscheidung. Die<br />
Verfügung ist daher nur gegenüber I selbst und/oder der Mutter X-AG möglich.<br />
Die Kommission hat insoweit ein Auswahlermessen.<br />
- Sicherlich wird man von einer Arbeit mittlerer Qualität hier nicht erwarten können,<br />
dass die Einzelheiten zum Nachweis einer wirtschaftlichen Einheit vollständig<br />
wiedergegeben werden (Vermutungsregel). Es sollte aber bekannt sein, dass im<br />
EG-Kartellrecht Mutter und Tochter eine sog. wirtschaftliche Einheit bilden<br />
können und dies in der Regel auch tun, so dass eine Haftung der Mutter auch dann<br />
besteht, wenn sie keine Kenntnis vom Verstoß der Tochter hatte.<br />
Prof. Dr. Stefan Thomas<br />
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