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Psychotherapeutische Modelle und ihre Wirkfaktoren - Schlussteil

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Zur Psychologie zurückkehrend möchte ich noch insbesondere hinweisen auf die Handlungsmodelle (z.B. von<br />

Cranach 1996). Danach sind Handlungen definiert als absichtsvolle menschliche Tätigkeiten, die in einem Sinnzusammenhang<br />

stehen; nicht die objektiven Reizqualitäten sind wichtig, sondern die Bedeutung, die der Mensch diesen<br />

Reizen gibt. Der Sinn <strong>und</strong> die Absichten menschlichen Handelns erschliessen sich dem psychologischen Forscher<br />

nicht durch objektivierende Beobachtung, Experiment <strong>und</strong> Messungen, sondern durch „teilnehmende“ Beobachtung<br />

<strong>und</strong> Gespräche, also durch kommunikative oder dialogische Methoden. Gerade diese Aspekte des<br />

Handlungsmodells bedingt aber für seine Kritiker seine „Unwissenschaftlichkeit“ (s.u.).<br />

Das folgende Zitat zu diesem Thema stammt wiederum von Legewie (1992, S. 26):<br />

„Nach dem Handlungsmodell stellt sich die experimentalpsychologische Versuchssituation als eine sehr spezielle<br />

<strong>und</strong> einseitige soziale Interaktion dar. Die Reaktionen der Versuchspersonen im Experiment sind nicht von den objektiven<br />

Reizen, sondern von deren Interpretation durch die Vp abhängig. Die angestrebte Objektivität ist also<br />

auch im Experiment nicht erreichbar. Zudem lassen sich die eingeschränkten Reaktionen im Experiment nur sehr<br />

beschränkt auf komplexe Alltagssituationen übertragen. Somit liefert die experimentelle Methode in der Psychologie<br />

Ergebnisse, die für die Praxis häufig unbrauchbar sind.<br />

Als Alternative entwickelte der Sozialpsychologe Kurt Lewin während der Nachkriegszeit in den USA die Handlungs-<br />

oder Aktionsforschung: „Die für die soziale Praxis erforderliche Forschung läßt sich am besten als Forschung<br />

im Dienste sozialer Unternehmungen oder sozialer Techniken kennzeichnen. Sie ist eine Art Tat-Forschung<br />

[„action research“], eine vergleichende Erforschung der Bedingungen <strong>und</strong> Wirkungen verschiedener Formen des<br />

sozialen Handelns <strong>und</strong> eine zu sozialem Handeln führende Forschung.“<br />

Die Aktionsforschung läßt sich durch folgende Besonderheiten kennzeichnen:<br />

a) Die Problemstellung erfolgt nicht primär aus wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse, sondern entsteht aus<br />

konkreten Mißständen für eine soziale Gruppe.<br />

b) Das Forschungsziel besteht nicht vorrangig im Überprüfen theoretischer Aussagen, sondern in der praktischen<br />

Veränderung der untersuchten Problemlage.<br />

c) Die Problemlage wird als sozialer Prozeß aufgefaßt, aus dem nicht einzelne Variablen isoliert <strong>und</strong> als „objektive<br />

Daten“ erhoben werden können, sondern die Datenerhebung wird als Teil des sozialen Prozesses aufgefaßt<br />

<strong>und</strong> interpretiert.<br />

d) Der Forscher gibt seine Distanz zum Forschungsobjekt auf, er ist selbst in den untersuchten Prozeß einbezogen,<br />

von der teilnehmenden Beobachtung bis zur gezielten Einflußnahme auf die soziale Gruppe. Ebenso geben die<br />

anderen Gruppenmitglieder die Rollen von Befragten <strong>und</strong> Beobachteten auf, indem sie sich aktiv an der Zieldiskussion,<br />

Datenerhebung <strong>und</strong> Auswertung beteiligen“ (S. 26).<br />

Aktionsforschungsprojekte entstanden in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland vorwiegend im universitären Bereich<br />

sowie in der Randgruppen- <strong>und</strong> Stadtteilarbeit. Aktuelle Beispiele finden sich auch in Gemeinwesenprojekten in<br />

Lateinamerika, die unter der Anleitung von Sozialpsychologen standen. Schwierigkeiten der Aktionsforschung sind<br />

in <strong>ihre</strong>n theoretischen Defiziten <strong>und</strong> in den Zufälligkeiten des jeweils zwischen Forschern <strong>und</strong> Beforschten ablaufenden<br />

Gruppenprozessen begründet.<br />

Das (fast ausschließlich) vom Forscher kontrollierte Laborexperiment <strong>und</strong> die (weitestgehend) von den Beforschten<br />

bestimmte Aktionsforschung bilden Extrembeispiele psychologischer Methoden. Zwischen diesen Extremen finden<br />

sich jedoch auch Übergänge wie das Feldexperiment [z.B. Lewin] <strong>und</strong> die Feldstudie, bei denen der Forscher<br />

zwar in der natürlichen Umwelt der Beforschten arbeitet, seine Forschungsziele <strong>und</strong> Erhebungsmethoden aber aus<br />

einer theoretisch begründeten Fragestellung herleitet. In der psychologischen Praxisforschung muß im Einzelfall<br />

entsprechend der Zielsetzung <strong>und</strong> sozialen Situation entschieden werden, inwieweit eine distanzierende Trennung<br />

zwischen Forschern <strong>und</strong> Beforschten sinnvoll <strong>und</strong> notwendig ist.<br />

Meines Erachtens würde eine solche Verschränkung von Idiografik <strong>und</strong> Hermeneutik (s.u.) einen sehr grossen<br />

Fortschritt in der Psychotherapieforschung bewirken. Hier könnten wir Klinischen Psychologen einiges lernen von<br />

unseren Kollegen aus der Sozialpsychologie.<br />

Es gibt aber durchaus auch innerhalb der klinisch-psychologischen Forschung Ansätze zu einem idiographischen<br />

Forschungs-Verständnis. Der Artikel von Arnold & Grawe über „deskriptive Einzelfallanalysen“ (1989) stellt diesbezüglich<br />

fruchtbare Möglichkeiten dar, wie qualitative Forschung aussehen könnte, ohne den empirischen Boden<br />

verlassen zu müssen – durchaus eine integrative Orientierung, wie ich sie hier aufzuzeigen versuche.<br />

Ausserhalb der Klinischen Psychologie haben u.a. Groeben <strong>und</strong> Scheele („subjektive Theorien“ (z.B. in Jüttemann<br />

1991), „epistemologisches Menschenbild“ 1977 etc.), Graumann („hermeneutische Methoden“, Herzog/Graumann<br />

1992), Thomae („Biographische Methode“, z.B. Jüttemann/ Thomae 1987) wertvolle Beiträge geleistet.<br />

Aus obenstehenden Argumenten geht also hervor, dass eine „wertfreie“ Forschung gar nicht möglich sein kann.<br />

Vielmehr wird sie beeinflusst vom jeweiligen „Zeitgeist“ <strong>und</strong> den historischen, traditionellen Strömungen.<br />

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