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sensomotorische Entwicklungen fördern

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Teil I:<br />

Die senso-motorische Entwicklung von<br />

Kindern <strong>fördern</strong><br />

Was macht gute<br />

Bewegungsförderung<br />

aus?<br />

Grobmotorik<br />

Fein-, Handund<br />

Grafomotorik<br />

Sinneswahrnehmung<br />

und<br />

Raumerfahrung<br />

Der Wald als<br />

Bewegungsund<br />

Spielraum<br />

Innen- und<br />

Aussenraumgestaltung<br />

Die gezielte Förderung der senso-motorischen Entwicklung ist auch noch im Kindergarten und in<br />

der Schule möglich. Ein überdurchschnittliches Bewegungsangebot fördert die motorische Entwicklung<br />

überdurchschnittlich. Kinder mit geringer motorischer Leistungsfähigkeit machen bei einem<br />

Bewegungsprogramm grössere Fortschritte. Diese Erkenntnisse sind der Ausgangspunkt für den<br />

Teil I dieser Unterlagen:<br />

In Kapitel 1 finden Sie einige grundsätzliche Überlegungen zur Frage, was eine gute Bewegungsförderung<br />

im Kindergarten und in der Schule ausmacht. Neben allgemeinen Rahmenbedingungen<br />

stellt das Kapitel den Ansatz der situationsorientierten Bewegungsförderung vor, es illustriert, wie<br />

auch und gerade mit Alltagsgegenständen lustvolle Bewegungsförderung möglich ist, es zeigt, was<br />

beim Einsatz von konkreten Spielen und Übungen zu beachten ist und listet zum Schluss die Förderbereiche<br />

der senso-motorischen Entwicklung auf.<br />

In Kapitel 2 finden Sie einige Ansätze und Praxisbeispiele aus dem Bereich der Grobmotorik, die<br />

die Grundgedanken aus dem Kapitel 1 aufnehmen, fortführen, vertiefen und illustrieren. Neben der<br />

Vermittlung von praktischen Ideen verfolgt dieses Kapitel noch ein ganz anderes Ziel: Es will Ihre<br />

Aufmerksamkeit stärken für die Förderbereiche, die mit Bewegungsaktivitäten verknüpft sind.<br />

Für schulische Leistungen sind insbesondere die Grafomotorik für das Schreiben und die Mundmotorik<br />

für das Sprechen wichtig. Das Kapitel 3 bezieht sich deshalb auf diese beiden Bereiche<br />

und zeigt mit verschiedenen Beispielen, wie sich Hand-, Grafo- und Mundmotorik spielerisch <strong>fördern</strong><br />

lassen.<br />

In der Praxis gehen Sinneswahrnehmung und Raumerfahrung wie auch die Grob- und Feinmotorik<br />

Hand in Hand. Im Kapitel 4 finden Sie vor allem Vorschläge, die die Raumerfahrung und Sinneswahrnehmung<br />

ausdrücklicher in den Vordergrund stellen als jene in den Kapiteln 2 und 3.<br />

Der Wald ist eine hervorragende Umgebung, um die senso-motorische Entwicklung von Kindern<br />

zu <strong>fördern</strong>. Das Kapitel 5 möchte gluschtig darauf machen, mit der eigenen Kindergartengruppe<br />

oder Schulklasse wieder einmal in den Wald zu gehen oder – wenn Sie das bereits regelmässig<br />

tun – solche Ausflüge bewusst und gezielt für die Bewegungs- und Sinnesentwicklung zu nutzen.<br />

Sie finden einen Erfahrungsbericht, einige allgemeine Überlegungen sowie eine Reihe von praktischen<br />

Ideen zum Einsteigen.<br />

Die Gestaltung und Ausstattung der Innen- und Aussenräume des Kindergartens bestimmen mit,<br />

welche Bewegungsmöglichkeiten sich eröffnen und welche Aktivitäten sich also entfalten können.<br />

Gerade die alltäglichen Bewegungsmöglichkeiten sind dabei für die senso-motorische Entwicklung<br />

von besonderer Bedeutung. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Gestaltung des Pausenplatzes<br />

in der Schule. Deshalb finden Sie in Kapitel 6 einige Ausführungen zur Gestaltung von<br />

Innen- und Aussenräumen des Kindergartens und der Schule.<br />

I - 1


Kapitel 1<br />

1. Was macht gute Bewegungsförderung aus?<br />

Das Grundlagenkapitel hat deutlich gemacht: Bewegung bietet vielfältige Möglichkeiten, um die<br />

Entwicklung von Kindern in vielerlei Hinsicht zu <strong>fördern</strong>. Nicht jede Bewegungsaktivität ist aber<br />

gleich gut dafür geeignet. Es geht nicht um ein möglichst hohes Mass an sportlicher Betätigung.<br />

Denn wesentliche Lernerfahrungen liegen nicht nur bei der motorischen Entwicklung. Es geht auch<br />

um Wissen und Raumerfahrung, um Kreativität und Problemlösefähigkeit, um Selbst- und Fremdwahrnehmung,<br />

um Sinnesschulung und sensorische Integration. Und nicht zuletzt soll auch die<br />

Freude an der Sache nicht nur ein Motor, sondern auch ein erstrebenswertes Ziel des Sich-Bewegens<br />

sein.<br />

Bewegung ist daher nicht nur Selbstzweck, sondern auch Ausgangspunkt und Mittel, um damit die<br />

ganze Person zu erreichen. Deshalb gilt es, bestimmte Rahmenbedingungen zu beachten. Welche<br />

Bewegungsformen und welche Rahmenbedingungen sind also wünschenswert oder gar unabdingbar,<br />

um die gewünschten Lernerfahrungen zu ermöglichen? Das folgende Kapitel geht dieser Frage<br />

nach (vgl. Zimmer 1995a, 1996a,b; Heimberg 1994):<br />

• Es stellt Rahmenbedingungen guter Bewegungsförderung vor.<br />

• Es macht sich Gedanken zu den Grenzen des freien Spiels.<br />

• Es präsentiert den Ansatz der situationsorientierten Bewegungsförderung.<br />

• Es illustriert, wie auch und gerade mit Alltagsgegenständen lustvolle Bewegungsförderung<br />

möglich ist.<br />

• Es zeigt, was beim Einsatz von konkreten Spielen und Übungen zu beachten ist.<br />

• Es listet zum Schluss die Förderbereiche der senso-motorischen Entwicklung auf.<br />

Die Kapitel 2 bis 5 führen diese Grundgedanken mit konkreten methodischen Vorschlägen und im<br />

Hinblick auf verschiedene Förderbereiche fort.<br />

Rahmenbedingungen guter Bewegungsförderung<br />

Der Schlüssel für die angemessene Art von Bewegung ist der kindliche Spiel-, Bewegungs-, Entdeckungs-<br />

und Gestaltungstrieb. Bewegung muss man den Kindern nicht aufzwingen, es ist für sie<br />

ein Grundbedürfnis. Immer und immer wieder gehen Kinder mit Ausdauer und ohne Aufforderung<br />

an herausfordernde Bewegungsaufgaben heran: von den ersten Greifbewegungen des Kleinkindes<br />

und den ersten Schritten, über Balancieren und Klettern bis hin zum Radfahren oder dem Sprung<br />

vom Einmeterbrett ins kühle Nass. Voraussetzung ist, dass die Kinder eine herausfordernde Umgebung<br />

und genügend Zeit haben – und dass sie von den Erwachsenen nicht in ihrem Vorwärtsdrang<br />

gehindert werden. Etwas konkreter gesagt sind es folgende Rahmenbedingungen, die es<br />

Kindern erleichtern, ihrem Spiel- und Bewegungsdrang nachzugehen:<br />

• Die Kinder können eigene Bedürfnisse, Interessen, Ideen und Vorstellungswelten einbringen.<br />

So verleihen Kinder den eigenen Bewegungen oft einen Sinn, zum Beispiel kann sich ein<br />

rennendes Kind als Zug, als Pferd oder als Auto fühlen. Entsprechend dürfen sie mit Materialien<br />

und Geräten experimentieren, sie unerwarteten Zwecken zuführen und ihnen einen eigenen<br />

Sinn verleihen. So wird ein Seil vielleicht plötzlich zur Schlange oder ein Tisch zur Höhle. Dafür<br />

sind vor allem Materialien und Geräte geeignet, die beeinflussbar und veränderbar sind und deren<br />

Sinn und Verwendungszweck nicht gänzlich vorbestimmt ist, die sowohl individuelle Beschäftigungen<br />

als auch gemeinsame Aktivitäten erlauben.<br />

I - 2


Kapitel 1<br />

• Die Bewegungsmöglichkeiten sind vielfältig und abwechslungsreich. Kinder möchten zum<br />

Beispiel klettern, schaukeln, rutschen, springen, hüpfen, balancieren, bauen, sich verkriechen,<br />

ausruhen und noch viel mehr. Für jedes Bedürfnis gibt es natürlich spezifische Materialien und<br />

Geräte. Auch hier bieten sich aber Geräte und Materialien an, deren Zweck nicht gänzlich vorbestimmt<br />

ist. Darüber hinaus braucht es genügend Raum, damit sich Kinder mit unterschiedlichen<br />

Bedürfnissen aus dem Weg gehen können.<br />

• Die Kinder fühlen sich herausgefordert, aber nicht überfordert. Sie wissen selber, was sie<br />

reizt, was sie sich zutrauen und wann sie Hilfe brauchen. Materialien und Geräte müssen also<br />

anregend und herausfordernd sein. Sie müssen den Kindern aber auch ermöglichen, die Wirkungen<br />

des eigenen Handelns einschätzen und nachvollziehen zu können. Kinder mögen einerseits<br />

überraschende, unerwartete und unbekannte Situationen. Andererseits brauchen sie<br />

aber auch das Vertraute und Bekannte, das Sicherheit, Ordnung und Struktur vermittelt. Wiederholungen<br />

sind deshalb beliebt, oft sorgen die Kinder selber für Variationen und <strong>Entwicklungen</strong>.<br />

• Der Bewegungsdrang von Kindern verlangt zuweilen Gelassenheit und Vertrauen von Erwachsenen.<br />

Lustvolle Bewegung macht nicht selten Lärm, verursacht hin und wieder schmutzige<br />

oder nasse Kleider und bringt ab und zu eine Hautabschürfung mit sich. Mutigere Kinder<br />

brauchen den Freiraum, auch gewagtere Unternehmungen anzupacken, zum Beispiel bis in die<br />

oberen Äste eines Baumes zu klettern. Ängstlichere Kinder brauchen vielleicht zunächst einmal<br />

Zeit zum Beobachten, bevor sie eine angemessene Herausforderung für sich entdecken und<br />

anzugehen wagen. Vielleicht brauchen solche Kinder auch Unterstützung und Ermutigung von<br />

Erwachsenen. Mit Druck oder Zwang ist ihnen aber nicht geholfen. Kleine Fortschritte sind zwar<br />

schwierig zu beobachten, für den längerfristigen Erfolg aber unumgänglich.<br />

• Die Kinder dürfen spontan und auch mal impulsiv sein. Es ist ungünstig, wenn sie ihren Bewegungsdrang<br />

in Warteschlangen oder zu engen Räumen zügeln müssen und erst auf Kommando<br />

ausleben dürfen. Körper- und Bewegungserfahrung darf nicht auf eine ausdrücklich definierte<br />

Sportstunde oder auf andere festgelegte Zeiten beschränkt sein. Sie kann vielmehr zum<br />

festen Bestandteil des Alltags werden. Häufigere, wenn auch kürzere Bewegungszeiten wirken<br />

dabei besser auf die motorische Entwicklung als längere, dafür seltenere Abschnitte.<br />

Wichtig sind also Geräte und Materialien einerseits und die Begleitung durch die Erwachsenen andererseits.<br />

Die Einstellung der Erwachsenen ist dabei wichtiger als das Mobiliar. Mindestens hat<br />

das eine Untersuchung an Thüringer Kindergärten gezeigt (Prohl & Seewald 1998). Verglichen<br />

wurden dabei vier verschiedene Gruppen:<br />

Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4<br />

Form der Unterstützung<br />

Weiterbildung für<br />

Kindergärtnerin<br />

Material zur Verfügung<br />

gestellt<br />

Weiterbildung und<br />

Material<br />

Keine Unterstützung<br />

Wirkung auf die<br />

Kinder<br />

Verbesserung der<br />

Motorik u.a.<br />

Keine Veränderung Verbesserung der<br />

Motorik u.a.<br />

Keine Veränderung<br />

Entscheidend war in dieser Untersuchung also die Weiterbildung der Kindergärtnerinnen. Sie führte<br />

dazu, dass die Erzieherinnen viel weniger Vorgaben machten und seltener ins Geschehen eingriffen.<br />

Auch mit wenig oder wenig spezifischem Material lässt sich also etwas erreichen.<br />

Das freie Spiel hat Grenzen<br />

Mit diesen Rahmenbedingungen haben die Kinder sehr viele Freiheiten und eigene Entscheidungsmöglichkeiten.<br />

Es ist von Kind zu Kind, aber auch von Zeitpunkt zu Zeitpunkt sehr unterschiedlich,<br />

wie diese Freiheiten genutzt werden. Im freien Spielen, Bewegen, Entdecken und Gestalten<br />

kann das Kind so wichtige Entwicklungsschritte machen.<br />

I - 3


Kapitel 1<br />

Nicht immer aber ist es notwendig oder gar ratsam, die Kinder einfach sich selber und dem freien<br />

Spiel zu überlassen. Dafür gibt es verschiedene Gründe:<br />

• Wenn Sie die Kinder begleiten, unterstützen und eigene Ideen einbringen, signalisieren Sie<br />

damit Interesse, Anerkennung und Wertschätzung. Die Kinder fühlen sich in doppeltem Sinne<br />

sicher: Erstens sehen sie sich in ihrem Tun bestätigt. Zweitens können sie wo nötig Ihre Unterstützung<br />

anfordern.<br />

• Nicht alle Kinder wagen sich von sich aus an neue Herausforderungen heran und können auf<br />

eigene Faust Erfahrungen sammeln und auch verarbeiten. Meist meiden sie gerade jene Aktivitäten,<br />

die ihnen Schwierigkeiten bereiten und die sie deshalb besonders nötig hätten. Neben<br />

der persönlichen Vorerfahrung der betreffenden Kinder kann dabei auch die Gruppendynamik<br />

eine Rolle spielen. Also kann es hilfreich oder gar notwendig sein, dass Sie unterstützen, ermutigen,<br />

Angebote machen und die Gruppendynamik gestalten.<br />

• Es kann vorkommen, dass das freie Spiel überbordet, etwa wenn Kinder ihre Bewegungen ungenügend<br />

steuern können. Sie nehmen bestimmte Dinge in ihrer Umgebung nicht wahr oder<br />

können ihre Reaktionen nicht darauf abstimmen. So können sie ihr Handeln nicht der aktuellen<br />

Situation anpassen, sie schiessen über das Ziel hinaus und gefährden sich und andere.<br />

• Mit gezielten Impulsen und Aufgaben gewinnen Kinder – nicht nur die ängstlichen – neue Erfahrungen.<br />

Sie übertragen ihre bisherigen Erfahrungen auf neue Situationen, sie erweitern ihre<br />

Bewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit und damit auch ihr Ideen- und Handlungspotential.<br />

• Und schliesslich ergeben sich aus Ihren pädagogischen Zielen Gründe, um gewisse Bewegungsaktivitäten<br />

gezielt anzuregen oder zu lenken. Vielleicht kennen Sie beispielsweise die Situation,<br />

dass die Kinder am Montag Morgen auffallend unruhig oder gar aggressiv sind. So<br />

kann eine fest eingeplante Bewegungssequenz um diese Zeit sehr sinnvoll sein.<br />

Situationsorientierte Bewegungsförderung<br />

Die genannten Rahmenbedingungen lassen sich dabei auch in geplanten und angeleiteten Bewegungssequenzen<br />

umsetzen. Auch in geführten Sequenzen ist es wichtig, dass sich die Kinder herausgefordert,<br />

aber nicht überfordert fühlen. Auch hier ist es möglich, dass die Kinder Entscheidungsfreiheiten<br />

haben, ihre Phantasie einbringen und die Konsequenzen des eigenen Handelns<br />

erkennen können. Ein Beispiel mag diesen Anspruch verdeutlichen:<br />

Die Frage «Wer kann …?» scheint auf den ersten Blick ein Höchstmass an Motivation bei den Kindern zu<br />

erzeugen. Tatsächlich bewirkt die Frage eine Teilung der Gruppe in diejenigen, die die Aufgabe lösen –<br />

also zum Beispiel einen Ball fangen – können und diejenigen, die es (noch) nicht können. Die Frage zielt<br />

auf das Ergebnis, das erreicht werden soll. Kaum beachtet wird dagegen der Prozess, wie das Fangen<br />

zustande kommt. Es gibt eben viele Möglichkeiten, einen Ball hochzuwerfen, fallenzulassen und ihn dann<br />

erst aufzufangen, ihn mit dem Körper zu halten oder ihn frei in der Luft zu fangen, ihn über den Boden zu<br />

rollen und ihn dort mit den Händen aufzufangen. Die Aufgabe kann also auch folgendermassen formuliert<br />

werden: «Probiert einmal aus, wie man einen Ball fangen kann!». So ergeben sich für jedes Kind individuelle<br />

Lösungsmöglichkeiten. Die Situation bleibt offen für viele Erprobungen, für materiale Erfahrungen und<br />

sogar für das Zusammenspiel der Kinder. Gefragt ist nicht eine einzige, von der Erzieherin vorgegebene<br />

Bewegungsform (Zimmer 1996b, S. 160).<br />

Geführte Bewegungssequenzen zu planen und vorzubereiten, muss also nicht heissen, die Aktivitäten<br />

der Kinder von Anfang bis zum Ende zu bestimmen. Die situationsorientierten Bewegungsförderung<br />

baut auf eine offene Planung. Das heisst, die Planung ist nicht vor der Stunde<br />

abgeschlossen, sondern wird im Laufe der Durchführung ständig fortgesetzt. Genährt wird sie dabei<br />

vom Wechselspiel zwischen Ihren Wahrnehmungen und Zielen einerseits und den Bedürfnissen<br />

und Vorschlägen der Kinder andererseits. Konkrete Übungen, das Anweisen und Korrigieren<br />

treten dagegen in den Hintergrund. Renate Zimmer schreibt dazu:<br />

I - 4


Kapitel 1<br />

Der situationsorientierte Ansatz hat zum Ziel, eine stärkere Beziehung der Lernprozesse zur Lebenswirklichkeit<br />

der Kinder herzustellen und sie darin zu unterstützen, in möglichst selbstbestimmter und kompetenter<br />

Weise zu handeln. Das Erlernen von Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgt nicht isoliert und unabhängig<br />

vom situativen Zusammenhang, in dem diese Fähigkeiten tatsächlich gebraucht werden. Die<br />

Funktionsförderung erfolgt auch nicht in Form von Trainingsprogrammen, sondern in Spielsituationen, die<br />

den kindlichen Bedürfnissen und Interessen entsprechen. Besondere Berücksichtigung findet die Mitbestimmung,<br />

die in disziplin- und funktionsorientierten Curriculumsansätzen vernachlässigt wird: Kindern<br />

wird ein weitgehend selbstbestimmtes Handeln zugestanden und die selbständige Bewältigung von Situationen<br />

ermöglicht (Zimmer 1996a, S. 141).<br />

Wenn sich Kinder herausfordern lassen, geben sie unweigerlich eigene Impulse, sie entdecken eigene<br />

Varianten, bringen Ideen ein und konstruieren Sinnzusammenhänge. Antrieb und Orientierungspunkt<br />

der situationsorientierten Bewegungsförderung ist also wie im freien Spiel die Entdeckungs-,<br />

Spiel- und Bewegungslust der Kinder. Gelenkte und freie Bewegungs- und Spielsituationen<br />

sind dabei nicht immer deutlich voneinander zu trennen, sie gehen teilweise ineinander über.<br />

Es gilt also erstens, das aktuelle Spiel der Kinder für die eigenen Ziele zu nutzen, und zweitens,<br />

mit den eigenen Impulsen den Spiel- und Entdeckungstrieb sowie die Vorstellungswelt der Kinder<br />

anzusprechen.<br />

Eine solche partielle Lenkung kann zum Beispiel gelingen, wenn Sie sich am Spiel der Kinder direkt<br />

beteiligen und so unmittelbar mitbekommen, welche Impulse und Anregungen auf einen<br />

fruchtbaren Boden fallen könnten. Ein geeigneter Impuls ist es zum Beispiel, bekannte Gegenstände<br />

in bisher unbekannter Weise einzusetzen oder zu kombinieren. Vielleicht kennen Ihre Schülerinnen<br />

und Schüler die Langbank und haben damit bereits verschiedene Spielmöglichkeiten erprobt.<br />

Nun hängen Sie die Langbank an der Sprossenwand ein. Das erweitert die Spielmöglichkeiten<br />

ungemein; die Kinder fühlen sich zu neuen Entdeckungen herausgefordert. Oder stellen Sie<br />

sich zum Beispiel vor, die Kinder sind mit verschiedenen Gegenständen und Materialien am Spielen,<br />

unter anderem einem Strick und einem Ballon. Sie befestigen jetzt den Strick am Ballon. Dieser<br />

«neue» Gegenstand hat auch neue Eigenschaften, die entdeckt werden wollen.<br />

Oder vielleicht erkennen die Kinder in der Kombination «Strick – Ballon» eine Schlange, die zu<br />

neuen Spielimpulsen anregt. Kinder verleihen Gegenständen und Tätigkeiten oft eine Bedeutung.<br />

Geschichten und Rollenspiele sind deshalb sehr dankbare Instrumente der Bewegungsförderung.<br />

Sie können das Spiel auslösen, anregen, begleiten oder verändern. Ein weiteres Beispiel mag dies<br />

veranschaulichen:<br />

Zu Beginn wurde ein bei den Kindern immer wieder auftauchendes Thema aufgegriffen: Autofahren. Jedes<br />

Kind suchte sich aus, welches Fahrzeug es sein wollte. Die «Fahrzeuge» fuhren zunächst einmal mit<br />

viel Lärm und Getöse durch den Raum, sie knatterten und brummten, parkten, fuhren rückwärts und beschleunigten<br />

ihre Fahrt.<br />

1. Impuls: Nach einiger Zeit des freien Spiels ohne Material legte die Erzieherin Heulrohre aus. Ein Ende<br />

der Rohre war jeweils eingeschnitten, so dass sei zusammengesteckt werden konnten und in ihrer runden<br />

Form von den Kindern schnell als Lenkrad gedeutet wurden. Ein Junge liess das Rohr in der Luft kreisen,<br />

so dass es einen heulenden Ton produzierte; er spielte ab jetzt ein Feuerwehrauto.<br />

2. Impuls: Die Erzieherin unterbrach das Spiel der Kinder kurz und erklärte, auf den Strassen gäbe es<br />

auch eine Ampel. Sie besprach die Bedeutung der Farben Rot, Gelb und Grün im Strassenverkehr und<br />

bezog dann drei Tücher in den entsprechenden Farben in das Spiel ein. Beim Hochhalten des grünen Tuches<br />

fahren alle Autos durch den Raum, bei Gelb verringern sie ihr Tempo, und bei Rot bleiben sie stehen.<br />

3. Impuls: Nach ca. 15 Minuten unterbrach die Erzieherin das Spiel mit dem Hinweis: «Langsam wird es<br />

Abend, und die Autos fahren nach Hause. Dort wartet eine Garage auf sie (an alle Kinder wurde eine<br />

Teppichfliese ausgegeben), in der sie die Nacht verbringen. Legt euch auf die Teppichfliese und stellt<br />

euch vor, ihr wäret ein ganz müdes Auto, das den ganzen Tag fahren musste und nun froh ist, in seiner<br />

warmen Garage zu sein. Eure Arme und Beine sind die Räder, sie fühlen sich ganz matt an und freuen<br />

sich, dass sie nun ausruhen können. Schliesst die Augen und stellt euch vor, was das Auto in seiner<br />

warmen Garage alles träumt.» Diese Entspannungsphase wurde von fast allen Kindern bereitwillig aufgegriffen<br />

und über ca. 4 bis 5 Minuten eingehalten (Zimmer 1996b, S. 173f.).<br />

I - 5


Kapitel 1<br />

In diesem Beispiel hat die Erzieherin eine Bewegungsidee der Kinder aufgegriffen, gestaltet und<br />

weiter entwickelt. Sie hat so eigene Zielvorstellungen einbringen können, zum Beispiel ermöglichten<br />

die farbigen Tücher, die individuelle Bewegung mit einer nach aussen gerichteten Wahrnehmung<br />

zu kombinieren. Die Erweiterung hat darüber hinaus dazu geführt, dass das Spiel nicht allzu<br />

rasch langweilig wurde und sich erschöpfte.<br />

Nach diesem Muster lassen sich aktuelle Unterrichtsthemen, Bilder, Bilderbücher und Geschichten<br />

in Bewegung umsetzen. Die Kinder orientieren sich dabei an ihren eigenen Fähigkeiten. Die Identifikation<br />

mit der Geschichte motiviert; hemmende Versagensängste kommen kaum auf. Zudem<br />

findet nicht nur Bewegungsförderung statt, die Kinder verinnerlichen darüber hinaus die Inhalte<br />

(vgl. auch Kapitel 8).<br />

Bewegung mit Alltagsgegenständen<br />

Spiele und Übungen<br />

Die unkonventionelle Nutzung von Alltagsgegenständen scheint die Phantasie und Kreativität von<br />

Kindern besonders anzuregen. Ein Gegenstand, der für Bewegung oft verwendet wird wie zum<br />

Beispiel ein Ball, weckt ganz bestimmte Bewegungsvorstellungen. Alltagsgegenstände wie zum<br />

Beispiel Bierdeckel, Wäscheklammern, Zeitungen oder Leintücher sind dagegen nicht in diesem<br />

Sinne mit bestimmten Vorstellungen besetzt. Sehr wahrscheinlich dauert es etwas länger als bei<br />

einem Ball, bis die Kinder in Bewegung kommen. Nach den ersten Versuchen inspirieren sich die<br />

Beteiligten meist gegenseitig zu neuen Ideen. So entstehen zahlreiche Spielvarianten.<br />

Renate Zimmer hat in ihrem Buch «Kreative Bewegungsspiele» zahlreiche Spielideen mit Alltagsgegenständen<br />

beschrieben. Sie liefert damit aber nicht eine abschliessende Spielsammlung, sondern<br />

will vor allem illustrieren, inspirieren und ermutigen. Als Material wählt sie zum Beispiel Joghurtbecher,<br />

Kartonrollen, Papierteller, Wolldecken, Handtücher, Autoschläuche oder Getränkeharassen.<br />

Ausgangspunkt ist dabei immer die Frage an die Kinder: Wie kann man damit spielen?<br />

Zur Kombination von einem Luftballon und einer eng zusammengerollten Zeitung skizziert sie zum<br />

Beispiel folgende Ideen:<br />

• Der Luftballon wird auf der waagrecht gehaltenen Zeitungsrolle balanciert. Die Rolle wird einoder<br />

zweihändig gehalten. Fortsetzung: Der Luftballon wandert auf der Rolle hin und her.<br />

• Die Rolle wird senkrecht gehalten; der Ballon wird auf der Spitze balanciert. Fortsetzung: Der<br />

Ballon wird durch einen Impuls der Rolle in die Luft gespielt und mit der Spitze wieder aufgefangen.<br />

• Mit der Rolle den Ballon schlagen, zum Beispiel in die Luft und wieder auffangen, auf den Boden<br />

prellen, auf ein Ziel hin oder zu einem anderen Kind.<br />

• Mit der Rolle den Ballon auf dem Boden führen: auf ein Ziel hin, um Hindernisse oder zu einem<br />

anderen Kind. Auch eine Art Hockey ist so möglich.<br />

Mit dem Begriff «Spiel» ist hier eine Gruppenaktivität nach vorgegebenen Regeln gemeint und<br />

nicht jede spielerische Aktivität von Kindern an sich. Dabei – wie auch bei vordefinierten Übungen<br />

– planen und führen Sie stärker als beim situationsorientierten Ansatz. Das kann, muss aber nicht<br />

unbedingt ein Hindernis sein für Kinder, um mit Lust und Freude einzusteigen. Vor allem Bewegungsspiele<br />

sind bei den Kindern im Allgemeinen beliebt. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass<br />

Bewegungsspiele die motorischen Fähigkeiten von Kindern sehr rasch <strong>fördern</strong> können. Mindestens<br />

hat das eine Untersuchung mit rund 1500 Kindern aus Frankfurter Kindergärten ergeben (Zahner<br />

u.a. 2004). Dabei wurden zwei verschiedene Gruppen verglichen:<br />

I - 6


Kapitel 1<br />

Form der Bewegungsförderung<br />

Wirkung auf die<br />

Kinder nach 8 Wochen<br />

Kontrollgruppe<br />

normale Turnstunde und freies<br />

Spiel<br />

Verbesserung der Sprungkraft um<br />

5%, Reaktionsfähigkeit 2%, in den<br />

andern Bereichen geringfügige<br />

Verschlechterungen.<br />

Interventionsgruppe<br />

normale Turnstunde und freies Spiel; zusätzlich<br />

15 Minuten Bewegungsspiele pro Tag<br />

Verbesserung der Sprungkraft um 17%,<br />

Reaktionsfähigkeit 15%, Geschicklichkeit<br />

18%, Gleichgewichtsfähigkeit 43%, Handkoordination<br />

97%.<br />

Auch bei Spielen und Übungen ist aber an die Rahmenbedingungen einer guten Bewegungsförderung<br />

zu denken. Auch hier ist es wichtig, dass die Kinder eine angemessene Herausforderung vorfinden.<br />

Und bei allem Üben und Ausprobieren darf der Spass der Kinder nicht vergessen gehen.<br />

Dora Heimberg und ihre Mitarbeiterinnen schreiben dazu:<br />

Eine häufige und die organisatorisch einfachste Form des Unterrichts mit Bewegung ist das Vor- und<br />

Nachmachen. Sie machen eine Bewegung vor, die Kinder machen sie nach. Das ist ein enger Rahmen.<br />

Er schliesst Kinder, die Bewegungsförderung sehr nötig hätten, oft von der Bewegungsförderung aus.<br />

Vor- und Nachmachen ist für Kinder mit visuellen und taktil-kinästhetischen Schwierigkeiten ungünstig.<br />

Sie haben Mühe, die vorgezeigte Bewegungs-Gestalt zu erfassen oder sie in ihrem Körper nachzuvollziehen,<br />

d.h. wiederzugeben. Anstatt zu <strong>fördern</strong>, verstärken Sie bei den beschriebenen Kindern die Lernstörungen.<br />

Der an sich sehr kindgerechte rhythmisch geprägte Unterricht kann für Kinder mit Koordinationsschwierigkeiten<br />

eine dauernde Überforderung bedeuten. Ein solches Kind wendet für ein gewöhnliches Hopserhüpfen<br />

schon sehr viel Konzentration auf. Es kapituliert, wenn es sich zusätzlich noch an einen gegebenen<br />

Rhythmus anpassen sollte. Es ist für dieses Kind auch keine Hilfe, wenn es sich selber mit Singen, Sprechen<br />

oder Klatschen begleiten sollte. Die Not wird nur grösser; denn die Koordination der Füsse wird nicht<br />

einfacher, wenn sie mit der Koordination der Hände und der Aktivität des Sprechens koordiniert werden<br />

muss (Heimberg 1994, S. 41f.).<br />

Das heisst nicht, dass Sie auf angeleitete Übungen gänzlich verzichten müssen. Wichtig ist aber,<br />

die Motivation der Kinder zu berücksichtigen. Kinder brauchen rasche Erfolgserlebnisse. Ein spielerischer<br />

Charakter trägt viel zur Motivation bei. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen der Kinder<br />

zu berücksichtigen. Dora Heimberg und ihre Mitarbeiterinnen schlagen dazu zwei verschiedene<br />

Strategien vor: erstens die Anforderung einer Übung zu variieren und zweitens Teilbereiche einer<br />

Übung einzeln einzuführen. Nachfolgend finden Sie einige nähere Informationen dazu.<br />

Bleiben Sie so lange bei einem Spiel oder einer Übung, wie die Kinder Freude daran haben. Jede<br />

neue Bewegungserfahrung braucht etwas Übung und Wiederholung. Wenn Sie länger an der selben<br />

Sache bleiben, werden Sie gemeinsam mit den Kindern bestimmt Abwandlungen und weitere<br />

spannende Varianten entdecken.<br />

Anforderungen variieren<br />

Für besonders ungeschickte oder besonders geschickte Kinder ist es hilfreich und manchmal sogar<br />

unumgänglich, gewisse Spiele und Übungen zu erleichtern bzw. zu erschweren. Dazu gibt es verschiedene<br />

Möglichkeiten:<br />

• Regeln lockern oder enger fassen, zum Beispiel: Du darfst mit den Händen helfen; du darfst<br />

zwei Mal versuchen; versuche es mit geschlossenen Augen, versuche es mal auf einem Bein.<br />

• Material ersetzen: Grössere oder kleinere, längere oder kürzere, weichere oder härtere, schwerere<br />

oder leichtere Gegenstände wählen, um das Spiel oder die Übung auszuführen.<br />

• Räumliche Voraussetzungen verändern: Mehr oder weniger Raum zur Verfügung stellen, mehr<br />

oder weniger Geräte oder Materialien einbeziehen, die Anordnung von Geräten und Materialien<br />

verändern.<br />

• Mehr oder weniger Zeit geben, um die gestellte Aufgabe zu lösen.<br />

• Hilfestellungen geben oder weglassen, eine Aufgabe alleine oder gemeinsam lösen lassen.<br />

I - 7


Kapitel 1<br />

Teilbereiche einer Übung einzeln einführen<br />

Die Überforderung von ungeschickten Kindern rührt häufig daher, dass selbst simple Übungen<br />

gleichzeitig ganz verschiedene Leistungen erfordern. Zum Beispiel einen Ball prellen (Heimberg<br />

1994):<br />

• Die Augen folgen dem Ball (visuelle Konzentration).<br />

• Der eine Arm macht Auf- und Abwärtsbewegungen, der andere Arm bleibt ruhig (Unabhängigkeit<br />

der Arme).<br />

• Die Handstellung passt sich der Ballform an (Wahrnehmung des Balles über Auge und Hand,<br />

Wahrnehmen der Handstellung über Auge und Eigenwahrnehmung).<br />

• Was die Augen sehen, muss mit der Hand- und Armbewegung verbunden werden (Auge-Hand-<br />

Koordination).<br />

• Die Bewegung des Armes muss in Bezug auf Kraft, Richtung und Tempo angemessen sein.<br />

Dora Heimberg schlägt nun vor, zu all diesen Einzelleistungen Vorübungen zu machen und Schritt<br />

für Schritt zu verbinden. Zum Beispiel:<br />

• für die visuelle Konzentration: Ein Kind führt einen Ball mit beiden Händen durch den Raum, ein<br />

zweites Kind geht ihm nach, indem es immer den Ball anschaut.<br />

• für die Unabhängigkeit der Arme und Hände: Die eine Hand hält sich am Tisch, auf der Tischfläche<br />

oder an der Wand, der andere Arm, die andere Hand bewegt sich frei.<br />

• für die Wahrnehmung der Handstellung: die Hand zudrücken, loslassen, spreizen. Einander die<br />

Hände zeigen und gegenseitig beurteilen, ob sie locker, verkrampft oder schlaff ist. Einander<br />

Handstellungen zeigen und benennen, z.B. Faust, Kralle, flache Hand. Partner ertastet Handstellung<br />

und benennt sie. Ball hat verschiedene Hüte (= Handstellungen). Ball mit verschiedenen<br />

Handstellungen halten.<br />

• für die Auge-Hand-Koordination: An die Wandtafel oder ans Fenster malen. Allen vertikalen<br />

Kanten im Raum mit der Hand nachfahren. Mit Bällen prellen, die sich träger bewegen, oder mit<br />

grossen Bällen, die eine grössere Zielfläche bieten.<br />

• für den Krafteinsatz: Ein Kind hält einen Ball mit beiden Händen, ein zweites versucht, den Ball<br />

weg zu schlagen; wird der Ball fester gehalten, braucht das Wegschlagen ebenfalls mehr Kraft.<br />

Solche Vorübungen sind auch für jene Kinder spannend, die das Ballprellen längst beherrschen.<br />

Förderbereiche der senso-motorischen Entwicklung<br />

In diesem Kapitel ist davon die Rede, wie sich eine angemessene Förderung der senso-motorischen<br />

Entwicklung gestalten lässt. Eine Ergänzung ist hier noch anzufügen: Eine angemessene<br />

senso-motorische Förderung sucht eine Balance zwischen den verschiedenen Förderbereichen<br />

bzw. setzt dort Schwerpunkte, wo die Kinder Nachholbedarf haben.<br />

Es ist deshalb hilfreich, einen Überblick über die wesentlichen Förderbereiche zu haben. In der Literatur<br />

sind dazu ganz unterschiedliche Systematiken zu finden. Die Sportwissenschaften arbeiten<br />

zum Beispiel mit einer anderen Einteilung als die Psychomotorik. Nachfolgend finden Sie eine Aufstellung,<br />

die sich an den Inhalten des Grundlagenkapitels orientiert. Dies hat zur Folge, dass Sie<br />

darin klassische Anliegen des Sportunterrichts wie etwa Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit oder Reaktionsfähigkeit<br />

nicht finden.<br />

I - 8


Kapitel 1<br />

Grob- und Feinmotorik<br />

Steuerung (Kraft,<br />

Tempo, Richtung)<br />

Koordination,<br />

Dissoziation<br />

Gleichgewicht<br />

Eigenwahrnehmung<br />

Auge-Fuss-Koordination<br />

Auge-Hand- Koordination<br />

Auge-Körper-Koordination<br />

Taktile<br />

Wahrnehmung<br />

Auditive und visuelle Wahrnehmung<br />

(auditive und visuelle Konzentrations- und Merkfähigkeit,<br />

Figur-Hintergrund-Wahrnehmung, auditive und<br />

visuelle Distanzschätzung, Richtungshören)<br />

Wahrnehmung<br />

Übersicht über die Förderbereiche der senso-motorischen Entwicklung: Im Zentrum stehen die beiden<br />

Bereiche der Grob- und Feinmotorik einerseits und der Wahrnehmung andererseits. Gleichgewicht und<br />

Bewegungs-Wahrnehmungs-Koordination liegen im deren Überschneidungsbereich. Die darum herum<br />

angeordnete Scheibe mit den Förderbereichen Raum-, Objekt und Formerfahrung etc. beschreibt<br />

Kompetenzen, die sich als Folge von vielfältigen sensorischen und motorischen Erfahrungen und deren<br />

Zusammenwirken ergeben. Darüber hinaus <strong>fördern</strong> senso-motorische Aktivitäten auch emotionale, soziale<br />

und kognitive Kompetenzen, hier im äusseren Kreis dargestellt. Erläuterungen zu den Begriffen im Text.<br />

Die Aufstellung unterstützt Sie dabei, Bewegungsarrangements für Ihre Klasse gezielt auszuwählen<br />

und zu gestalten, die Kinder zu beobachten und allfälligen Nachholbedarf festzustellen. In den<br />

Kapiteln 2 bis 5 finden Sie Praxisvorschläge, die sich auf die hier vorgestellten Begriffe beziehen.<br />

Zunächst finden Sie hier noch einige Erklärungen zu den verschiedenen Förderbereichen.<br />

Grob- und Feinmotorik<br />

Grobmotorische Fähigkeiten braucht es für grossräumige Bewegungen, bei denen der ganze Körper<br />

und einzelne Körperteile beteiligt sind. Sie lassen sich in drei Teilbereiche differenzieren<br />

(Heimberg 1994):<br />

• Steuerung meint die Anpassung eines Bewegungsablaufes in Bezug auf Kraft, Tempo und<br />

Richtung. Es geht also um die Anpassung einer Bewegung relativ zur Umgebung, zu einem Ziel<br />

oder Zweck.<br />

I - 9


Kapitel 1<br />

• Bei der Koordination und Dissoziation geht es dagegen um die Anpassung einer Bewegung<br />

relativ zum eigenen Körper. Koordination meint das geordnete Zusammenwirken einzelner Körperteile,<br />

zum Beispiel der Hände beim Klatschen oder von Armen und Beinen beim Schwimmen.<br />

Genau umgekehrt stellt sich die Anforderung bei der Dissoziation. Hier geht es darum,<br />

verschiedene Körperteile unabhängig voneinander zu bewegen. In der Praxis kann die Koordination<br />

von der Dissoziation nur unterschieden werden, wenn die Bewegung von verschiedenen<br />

Blickwinkeln her analysiert wird. Wenn zum Beispiel der Arm ausgestreckt wird, um etwas zu<br />

ergreifen, sind die Bewegungen von Arm und Hand koordiniert. Die Aktivitäten des Armes und<br />

die des übrigen Körpers sind jedoch dissoziiert.<br />

• Beim Gleichgewicht schliesslich geht es darum, eine Bewegung relativ zur Erdenschwere anzupassen.<br />

Dabei spielen manchmal kleinste Gewichtsverlagerungen eine Rolle, sei dies in einer<br />

bestimmten Körperstellung (statisches Gleichgewicht) oder während einer bestimmten Bewegung<br />

(dynamisches Gleichgewicht). Für Kinder sind Spiele und Übungen rund ums Gleichgewicht<br />

sehr faszinierend. Es bereitet ihnen viel Lust, das Gleichgewicht immer wieder zu erproben,<br />

zu provozieren, zu riskieren und wiederzugewinnen.<br />

Unter Feinmotorik versteht man die Fähigkeit zu kleinräumigen, gezielten und besonders abgestimmten<br />

Bewegungen von Händen, Füssen, Gesicht und Mund. Handmotorik umfasst die feinen<br />

Bewegungen der Hände. Die Grafomotorik bezieht sich auf alle Bewegungen, die für das Schreiben<br />

und Zeichnen notwendig sind. Neben bestimmten Bewegungen der Schreibhand gehören dazu<br />

auch die zum Schreiben notwendigen Bewegungen des Schreibarms. Wie bei der Grobmotorik<br />

geht es auch hier um Steuerung, Koordination und Dissoziation.<br />

Wahrnehmung<br />

Die Eigenwahrnehmung hilft dem Menschen, die einzelnen Körperteile, deren gegenseitige Lage,<br />

deren Bewegungen sowie die Muskelspannung wahrzunehmen und zu steuern. Eine ausgereifte<br />

Körperwahrnehmung ist also Voraussetzung für die grob- und feinmotorische Bewegungssteuerung.<br />

Nicht bei allen Menschen klappt das reibungslos. Manche sind langsamer, ungeschickter und<br />

müssen sich mehr anstrengen. Sie können Bewegungen nur schwer automatisieren und brauchen<br />

daher zusätzliche Aufmerksamkeit, um ihr Handeln – z.B. das Schreiben – zu planen und mit den<br />

Augen zu kontrollieren. Manchmal sind auch ganze Körperteile in der Vorstellung gar nicht präsent,<br />

so dass betroffene Kinder unvermittelt an Türen, Stühlen oder anderen Menschen anstossen. Sie<br />

wissen nicht, wo ihr Körper anfängt und wo er aufhört. Manche Kinder fallen sogar von ihren Stühlen,<br />

weil sie nicht fühlen können, wo sie sitzen.<br />

Mit der taktilen Wahrnehmung erkennt das Kind über die Haut die Oberflächenbeschaffenheit von<br />

Gegenständen und Materialien sowie Schmerz, Temperatur und Druck. So lernt es die Eigenschaften<br />

von Gegenständen und Materialien besser kennen und erwirbt dabei auch Objekt- und Formerfahrungen.<br />

Erwachsene sind sich nicht gewohnt, die Hand als Sinnesorgan zu betrachten. Sie greifen,<br />

ziehen oder heben Gegenstände, ohne den Sinnesreizen an den Händen eine grössere Beachtung<br />

zu schenken. Ein Blick reicht aus, um die notwendigen Eigenschaften eines Gegenstandes<br />

zu erfassen. Für Kinder sind dagegen viele Reize noch unbekannt. Das blosse Ansehen<br />

eines Gegenstandes gibt ihnen zu wenig Information. Für Kinder ist es typisch, dass sie Gegenstände<br />

mit ihren Händen erkunden – manchmal sehr zum Missfallen der Erwachsenen.<br />

Sehen und Hören dienen dazu, visuelle und akustische Eindrücke aus der Umgebung aufzunehmen.<br />

Über die eigentliche Wahrnehmung hinaus braucht es zudem visuelle bzw. akustische Konzentrations-<br />

und Merkfähigkeit. Viele Aktivitäten, zum Beispiel die Orientierung im Raum oder das<br />

Schreiben, werden dadurch erleichtert oder überhaupt erst möglich. Ein weiterer wichtiger Anspruch<br />

des Sehens und Hörens ist es, aus einer Vielzahl von Impulsen, zum Beispiel einer unruhigen<br />

Unterrichtsstunde, die wesentlichen Informationen herauszufiltern (Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).<br />

Parallel zur Orientierung im Raum entwickelt sich die räumliche Wahrnehmung; d.h.<br />

das Auge kann Objekte als dreidimensional erkennen sowie Distanzen einschätzen. Analoge Fertigkeiten<br />

gibt es auch beim Hören: So kann der Mensch die Distanz zwischen sich und einer Ton-<br />

I - 10


Kapitel 1<br />

quelle einschätzen und auch die Richtung erkennen, aus welcher ein Geräusch kommt (Richtungshören).<br />

Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, gehört das Gleichgewicht in den Schnittbereich von Motorik<br />

und Wahrnehmung. Denn zum einen ist es eine Fertigkeit, das Gleichgewicht halten zu können;<br />

dieser Aspekt gehört zur Motorik. Zum anderen ist der Mensch mit einem Gleichgewichtssinn ausgerüstet,<br />

also einem spezifischen Organ zur Wahrnehmung der Erdenschwere und der Beschleunigung<br />

(vgl. Grundlagenkapitel); die Wahrnehmung und Verarbeitung solcher Impulse gehört zur<br />

Sinneswahrnehmung. Diese Unterscheidung ist vor allem aus folgendem Grund relevant: Das<br />

Gleichgewichtswahrnehmung arbeitet auch dann, wenn das Gleichgewicht im motorischen Sinne<br />

gar nicht gefordert ist, zum Beispiel beim Sitzen: Wenn das Gleichgewichtssystem schlecht funktioniert,<br />

ist die Muskelspannung niedrig, und der betreffende Mensch ermüdet rasch. Das ist ein<br />

Grund, warum zahlreiche Kinder mit Lernschwierigkeiten beim Sitzen auf der Schulbank ihren Kopf<br />

nicht aufrecht halten können. Sie stützen den Kopf auf die Hände oder den Arm. Entsprechend<br />

lässt sich das Gleichgewichtssystem nicht nur durch Balancieren anregen (vgl. Kapitel 4).<br />

Im Überschneidungsbereich der beiden zentralen Förderbereiche liegt zudem die Koordination<br />

von Bewegung und Wahrnehmung. So gilt es im Alltag ständig, auf visuelle und akustische Eindrücke<br />

mit angemessenen Bewegungen zu reagieren bzw. die Bewegungen über das Auge oder<br />

die Eigenwahrnehmung zu kontrollieren. Die beiden Bereiche gehen dabei Hand in Hand, so dass<br />

in den wenigsten Fällen bestimmt werden kann, ob die Wahrnehmung der Bewegung vorausgeht<br />

oder umgekehrt. Schreiben ist zum Beispiel nur möglich, wenn das Auge und die Hand zusammenarbeiten.<br />

Beim Fussballspielen muss die Bewegung des Beines auf die Wahrnehmung des<br />

Auges abgestimmt werden. Nur durch vielfältig Erfahrungen entwickelt das Hirn entsprechende Koordinationsleistungen.<br />

Auch Riechen und Schmecken gehören zur Sinneswahrnehmung. Auf sie wird hier nicht näher eingegangen.<br />

Orientierung in Raum und Zeit<br />

In der obigen Abbildung ist um die beiden zentralen Förderbereiche eine Scheibe mit diversen<br />

Kompetenzen angeordnet, die sich als Folge von vielfältigen sensorischen und motorischen Erfahrungen<br />

und deren Zusammenwirken ergeben. Sie dienen zur Orientierung in Raum und Zeit im<br />

weitesten Sinne.<br />

Mit Raum-, Objekt- und Formerfahrungen kann das Kind Räume und Objekte wahrnehmen, Gegenstände<br />

im Raum lokalisieren, ihre Gestalt erfassen und verschiedene Objekte zueinander in<br />

Beziehung setzen. Sie verhelfen auch dazu, einen bestimmten Gegenstand immer als denselben<br />

wahrzunehmen – unabhängig von dessen Lage, Grösse oder exakten Form (Wahrnehmungskonstanz).<br />

Die Raum- und Objekterfahrung bezieht sich auch auf den eigenen Körper: Mit dem so genannten<br />

Körperschema können sich Kinder eine Vorstellung des eigenen Körpers machen. Diese verhilft<br />

dazu, links und rechts, oben und unten, hinten und vorne am eigenen Körper zu unterscheiden.<br />

Körperteile können benannt und Berührungen lokalisiert werden. Das Gehirn speichert Informationen,<br />

die das Kind später zum Planen und Steuern seiner Bewegungen benutzt.<br />

Mit Bewegungen im Raum und dem Umgang mit Objekten baut das Kind zudem ein Gefühl für die<br />

Zeit, für Geschwindigkeiten, für Abfolgen und für Rhythmus auf.<br />

Eine entwickelte Objekt-, Form- und Raumerfahrung zeigt sich etwa daran, dass Kinder einen Turm<br />

aus Bauklötzen nachbauen oder abzeichnen können. Es hat zudem konkrete Vorstellungen, was<br />

oben und unten, über und unter, hinten und vorne, vorher und nachher, vorwärts und rückwärts,<br />

mehr und weniger heisst.<br />

Diese Erfahrungen erleichtern es dem Kind, sich auch mit symbolischen Objekten wie den Buchstaben<br />

und Zahlen auseinander zu setzen sowie sich in abstrakten Räumen wie dem Zahlenstrahl,<br />

I - 11


Kapitel 1<br />

dem Alphabet, in Satzstrukturen oder auf einer Landkarte zu orientieren. Zum Beispiel werden<br />

beim Lesen Buchstaben erkannt, unterschieden und zueinander in Beziehung gesetzt. Sprechen<br />

und Zählen besteht aus Rhythmus und Geschwindigkeit, Wörter sind Buchstabenfolgen. Ähnliche<br />

Buchstaben und Zahlen wie d und b, 6 und 9 oder auch 21 und 12 lassen sich einfacher auseinander<br />

halten und korrekt schreiben, wenn die Symbole nicht nur abstrakt begriffen werden müssen,<br />

sondern mit einer konkreten räumlichen Objekt- und Formvorstellung verbunden sind. Gleiches gilt<br />

auch für den Umgang mit Grössen und Rechenoperationen: Die Aussage «18 kommt nach 17» etwa<br />

kann dank Raumerfahrung mit einer konkreten Vorstellung verknüpft und damit auch besser<br />

behalten werden.<br />

Emotionale, kognitive und soziale Fähigkeiten<br />

Wie schon im Grundlagenkapitel ausführlich beschrieben, erwirbt das Kind beim Spielen, Bewegen<br />

und Entdecken nicht nur senso-motorische Kompetenzen. Dazu kommen emotionale, kognitive<br />

und soziale Fähigkeiten. In den Kapiteln 2 bis 5 sind verschiedentlich die folgenden Förderbereiche<br />

angesprochen: Selbstvertrauen, Kreativität, Konzentration, Erinnerungsvermögen, Sachwissen,<br />

Planung, Problemlösefähigkeit sowie Kooperation. In der obigen Abbildung finden sich diese Förderbereiche<br />

in der äussersten Scheibe.<br />

I - 12


Kapitel 2<br />

2. Grobmotorik<br />

Wie <strong>fördern</strong> Kindergarten und Schule grobmotorische Kompetenzen? Zunächst ist natürlich an den<br />

Bewegungs- und Sportunterricht zu denken. Hier gibt es ausdrücklich Raum für grobmotorische<br />

Aktivitäten. Darüber hinaus sind aber auch der Rhythmikunterricht, Bewegungsaktivitäten im Musikunterricht,<br />

Exkursionen und Waldtage (vgl. Kapitel 5), Pausenaktivitäten (vgl. Kapitel 6), Zirkusprojekte<br />

oder Theaterproduktionen nicht zu vergessen. Im Kindergarten gibt es weiter viele Möglichkeiten,<br />

das Freispiel oder auch geführte Aktivitäten im Gruppenraum oder im Garten für grobmotorische<br />

Aktivitäten zu nutzen.<br />

Das Lehrmittel zur Sporterziehung bietet eine hervorragende Grundlage, um den Bewegungs- und<br />

Sportunterricht zeitgemäss zu gestalten und damit auch eine optimale Förderung der Grobmotorik<br />

anzupeilen. Das Lehrmittel baut auf den folgenden sechs Sinnrichtungen auf:<br />

• Sich wohl und gesund fühlen: sich aus Lust und Freude bewegen: als Ausgleich zum Alltag, für<br />

die eigene Fitness und für das eigene Wohlbefinden.<br />

• Erfahren und entdecken: vielfältige Körper-, Sach- und Naturerfahrungen sammeln; neue Bewegungen<br />

ausprobieren und lernen.<br />

• Gestalten und darstellen: Bewegungsabläufe ästhetisch gestalten, variieren und darstellen; sich<br />

ausdrücken.<br />

• Üben und Leisten: etwas systematisch üben; sportliche Leistungen erleben; Erwartungen erfüllen;<br />

Leistungsgrenzen erfahren und respektieren.<br />

• Herausfordern und wetteifern: etwas wagen; sich messen und wetteifern; gegeneinander spielen<br />

und kämpfen.<br />

• dabei sein und dazu gehören: gemeinsam etwas unternehmen und erleben; kooperieren; den<br />

Teamgeist mittragen; miteinander spielen und gestalten.<br />

Es übersteigt die Möglichkeiten dieses Kapitels, die Grundlagen und das Potential eines solchen<br />

Bewegungs- und Sportunterrichts umfassend darzustellen und zu würdigen. Es geht im Folgenden<br />

vor allem darum, einige Ansätze und Praxisbeispiele aufzuzeigen, die die Grundgedanken aus Kapitel<br />

1 aufnehmen, fortführen, vertiefen und illustrieren. Die beiden Kapitel gehören also eng zusammen.<br />

Als Kindergärtnerin oder als Kindergärtner, als Lehrerin oder als Lehrer sind Sie natürlich geübt, für<br />

Ihre Klassen Bewegungsangebote zu arrangieren und anzuleiten. Was kann dieses Kapitel also<br />

noch Neues bieten? Neben der Vermittlung von praktischen Ideen verfolgt diese Kapitel zusammen<br />

mit dem Grundlagenkapitel und dem Kapitel 1 noch ein ganz anderes Ziel: Es will Ihre Aufmerksamkeit<br />

stärken für die Förderbereiche, die mit Bewegungsaktivitäten verknüpft sind. In Kapitel 1<br />

sind die verschiedenen Förderbereiche vorgestellt und beschrieben worden. In diesem Kapitel finden<br />

Sie die praktischen Illustrationen dazu. Schon nur die allgegenwärtigen Ballspiele <strong>fördern</strong> die<br />

senso-motorische Entwicklung von Kindern auf vielfältige Art:<br />

• das Sehen und die visuelle Figur-Hintergrund-Wahrnehmung: Das Kind folgt dem Ball mit den<br />

Augen und richtet seinen Blick darauf;<br />

• das Hören, die auditive Figur-Hintergrund-Wahrnehmung und das Richtungshören: Das Kind<br />

hört, wie der Ball den Boden oder die Wand berührt;<br />

• die Kraftdosierung: Das Kind stellt fest, wie viel Kraft nötig ist, um mit einem Ball etwas bestimmtes<br />

zu tun;<br />

• die Auge-Körper-Koordination: Das Kind lernt, den Ball zu beobachten und seine Bewegungen<br />

darauf abzustimmen, zum Beispiel das Ausweichen, Fangen oder Treten;<br />

I - 13


Kapitel 2<br />

Das Rollbrett<br />

• das Gleichgewicht: Bei gewissen Ballspielen muss mit dem Ball gerannt werden;<br />

• die Raumerfahrung: Das Kind bewegt sich selber durch den Raum und beobachtet den Ball auf<br />

seinem Weg durch den Raum;<br />

• die Kooperation: Viele Ballspiele kommen ohne Zusammenspiel nicht aus;<br />

• die Problemlösefähigkeit, die Handlungsplanung und die Kreativität: Das Kind steht immer wieder<br />

vor ganz neuen Situationen, es muss sein Handeln planen und erfinderisch sein.<br />

So hilft dieses Kapitel vielleicht über die konkreten Beispiele hinaus dabei, die Klasse zu beobachten,<br />

Bewegungsdefizite zu erkennen und Bewegungsarrangements gezielt auszuwählen und zu<br />

gestalten.<br />

Das Kapitel orientiert sich dabei an vielfach bekannten, vielleicht auch an weniger bekannten<br />

Lehrmitteln und Bewegungsansätzen. Eine gute Bewegungsförderung bei Kindern lässt sich jedoch<br />

nur begrenzt in konkrete Ansätze fassen. Ein Beispiel, wie diese Grenze überwunden werden<br />

kann, wurde in Kapitel 1 mit der situationsorientierten Bewegungsförderung gezeigt. Neben all den<br />

konkreten Vorschlägen darf also nicht vergessen gehen, den Kindern immer auch eigene Handlungs-<br />

und Erfindungsräume zu gewähren. Die folgenden Vorschläge eignen sich, um in diese<br />

Richtung entwickelt zu werden.<br />

Das Rollbrett kennen viele Kinder und Jugendlichen aus ihrer Freizeit. In der Turnhalle wird jedoch<br />

ein rechteckiges Rollbrett verwendet. Der Umgang damit fördert eine ganze Reihe von grobmotorischen<br />

Fähigkeiten, etwa Koordination, Gleichgewicht, Bewegungssteuerung, Raumerfahrung oder<br />

Auge-Hand-Fuss-Koordination. Darüber hinaus fordert es Kinder zum Ausprobieren, Hantieren,<br />

Konstruieren und Experimentieren heraus. Es eignet sich zum:<br />

• Fahren in verschiedenen Körperlagen,<br />

• Transportieren von Gegenständen, Materialien oder anderen Kindern,<br />

• Drehen und Schleudern,<br />

• Kombinieren mit anderen Geräten,<br />

• Rollenspiele mit Feuerwehr-, Polizei oder Abschleppautos.<br />

Nur das Stehen und das stehende Fahren auf dem Rollbrett ist aus Sicherheitsgründen eigentlich<br />

nicht vorgesehen.<br />

Das Rollbrett ist also vielseitig einsetzbar, hat einen hohen Aufforderungscharakter und spricht<br />

auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler an. Deshalb ist es gut geeignet, um den in Kapitel<br />

1 vorgestellten Grundsätzen nachzuleben. Darüber hinaus lässt es sich im Werken erst noch<br />

selber herstellen.<br />

Nicole Möller widmet dem Rollbrett eine eigene Spiel- und Übungskartei (Verlag an der Ruhr<br />

2003). Darin finden sich Übungen zum Kennenlernen des Rollbretts, Vorschläge zur Kombination<br />

I - 14


Kapitel 2<br />

mit Gross- und Kleingeräten, Spiele sowie Ideen für Parcours und Stationen. Auch Sicherheitshinweise<br />

fehlen nicht. Die folgenden Vorschläge stammen aus diesem Lehrmittel.<br />

In Bewegung kommen<br />

Förderbereich: Kreativität, Kraftsteuerung, Objekterfahrung.<br />

Welche Möglichkeiten gibt es, um mit dem Rollbrett in Bewegung zu kommen? Diese Frage setzt<br />

beim Entdeckungstrieb der Kinder an und fördert nicht nur die Beschäftigung mit dem Rollbrett,<br />

sondern auch die Kreativität und Problemlösefähigkeit der Kinder. Auch leistungsschwache Kinder<br />

finden ihre eigenen Lösungen. Der Phantasie sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt, zum Beispiel:<br />

• Mit Händen oder Füssen von der Wand abstossen, sitzend, in Bauch- oder Rückenlage.<br />

• Das Rollbrett anstossen und darauf knien.<br />

• Im Kniesitz mit der Hand, dem Bein oder einem Gymnastikstab mit Gummipfropfen abstossen.<br />

• Varianten mit Partnerinnen und Partner.<br />

• Auf dem Rollbrett sitzend einen Medizinball wegstossen.<br />

• In Bauchlage auf das Rollbrett liegen und mit den Händen ein Pedalo als Antrieb betreiben.<br />

• Sich an einem gespannten Seil vorwärtshangeln.<br />

Ballone in der Luft halten<br />

Förderbereiche: Auge-Hand-Koordination, Bewegungssteuerung, visuelle Distanzschätzung,<br />

Handlungsplanung.<br />

Die Kinder erhalten einen Ballon und setzen sich im Schneidersitz auf ein Rollbrett. Sie haben die<br />

Aufgabe, den Ballon in der Luft zu halten. Sie schlagen ihn also hoch und müssen – während der<br />

Ballon in der Luft ist – das Rollbrett so manövrieren, dass sie den Ballon beim Herunterkommen erreichen<br />

und wieder hochschlagen können.<br />

Varianten: Zwei Kinder spielen sich einen Ballon gegenseitig zu. Auf einer abgegrenzten Fläche<br />

und mit einem Netz kann so eine Art Volleyball gespielt werden.<br />

Zug<br />

Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Bewegungssteuerung, Sachwissen (Erfahrungen mit<br />

dynamischen Kräften).<br />

Jede Gruppe (bis zu sechs Kindern) baut sich einen Zug: Sie dreht eine Langbank um und stellt ihn<br />

auf zwei Rollbretter. Die Kinder setzen sich auf die Bank und erproben die Eigenschaften des Zuges:<br />

Wie kommt man in Fahrt? Wie lässt sich bremsen? Wie lassen sich Kurven fahren?<br />

Darüber hinaus lädt der Zug auch zum Spielen ein; aus anderen Geräten entstehen Bahnhöfe,<br />

Weichen oder Signaltafeln. So lassen sich Bewegungslandschaften gestalten und Bewegungsgeschichten<br />

inszenieren.<br />

Mut tut gut<br />

Mit «Mut tut gut» hat auch Hansruedi Baumann ein eindrückliches Lehrmittel für die Basisstufe zusammengestellt.<br />

Es ermöglicht die Vorbereitung und Durchführung von intensiven, lustbetonten<br />

und herausfordernden Bewegungsstunden. Die Geräte der Turnhalle kommen zu ganz ungewohnten<br />

Einsätzen. Die Kinder machen auf lustvolle Weise ganz elementare Bewegungserfahrungen<br />

I - 15


Kapitel 2<br />

wie springen, rutschen, balancieren, werfen, fallen, fliegen, schwingen, klettern, purzeln, verstecken<br />

und vieles mehr. Sie werden bewegungsfreudiger und mutiger. Darüber hinaus steigen das<br />

Selbstwertgefühl, die Eigenverantwortung und die Kooperationsfähigkeit.<br />

Im Vorwort von «Mut tut gut» werden Lehrpersonen ermutigt, die Kinder mutig sein zu lassen oder<br />

ihnen zu helfen, mutig zu werden, ihnen zu vertrauen und sie loszulassen, sich aus dem Mittelpunkt<br />

zu nehmen und sich vermehrt den in Motorik und Verhalten auffälligen Kindern anzunehmen.<br />

Die Lehrperson unterstützt und hilft, wo es gefragt ist, gibt Vorschläge und nimmt Anregungen auf,<br />

macht selber mit oder freut sich ganz einfach an ihren bewegten und begeisterten Kindern. Nachfolgend<br />

finden Sie einzelne Ideen aus «Mut tut gut».<br />

Springen und Rutschen<br />

Förderbereiche: Kooperation, Auge-Fuss-Koordination, Gleichgewicht.<br />

Drehen Sie eine dünne oder dicke Schaumstoffmatte<br />

um, so dass der Rutschschutz nach<br />

oben zeigt. Zwei oder drei Kinder nehmen sich<br />

an der Hand, rennen auf die Matte zu und<br />

springen drauf, so dass die Matte vorwärts geschoben<br />

wird. Wenn die Kinder dadurch das<br />

Gleichgewicht verlieren, landen sie weich auf<br />

der Matte.<br />

Matte um<br />

Förderbereiche: Selbstvertrauen, Kooperation,<br />

Eigenwahrnehmung.<br />

Vier bis sechs Kinder stehen auf einer Langbank,<br />

neben ihnen steht eine dicke Schaumstoffmatte.<br />

Die Gesichter sind zur Matte gewendet.<br />

Die Kinder halten sich am oberen<br />

Rand der Matte fest und lassen sich – alle gemeinsam<br />

– langsam gegen die Matte fallen.<br />

Die Matte fällt um, und die Kinder landen auf<br />

ihr. Anschliessend gemeinsam die Matte wieder<br />

aufstellen.<br />

An der Liane<br />

Förderbereiche: Selbstvertrauen, Auge-Hand-<br />

Koordination.<br />

Die Kinder schwingen an einem Klettertau.<br />

Startpunkt ist eine Langbank oder ein Kasten,<br />

Ziel eine Matte. Mehrmaliges hin- und herschwingen<br />

bis zur Landung ist erlaubt.<br />

Erschwerung: Als Ziel ein kleines Stück der<br />

Matte bestimmen, das getroffen werden muss.<br />

Beim Schwingen einen Ball eingeklemmt zwischen<br />

den Fussgelenken transportieren.<br />

I - 16


Kapitel 2<br />

Überraschendes Balanciergerät<br />

Förderbereiche: Gleichgewicht, Kooperation.<br />

Das oberste Kastenelement wird über sechs bis sieben<br />

Basketbälle gelegt. Das gibt eine sehr instabile Oberfläche.<br />

Die Kinder stehen alleine oder in Gruppen auf den Kasten,<br />

sie wackeln und schaukeln und versuchen, dabei das<br />

Gleichgewicht nicht zu verlieren.<br />

Bewegungslandschaften und -baustellen<br />

Die Vorschläge aus «Mut tut gut» sind eigentlich schon Bewegungslandschaften: Geräteaufbauten<br />

und Gerätekombinationen laden zum Spielen, Entdecken und Bewegen ein. Dieser Grundgedanke<br />

lässt sich fortsetzen, so dass weitläufige, vielleicht sogar selbst gebaute Landschaften entstehen.<br />

Die Kombination von verschiedenen Geräten bringt immer wieder neue Möglichkeiten mit sich.<br />

Auch ältere und geübte Kinder finden so immer wieder neue Herausforderungen. Pfiffige Namen<br />

wie zum Beispiel Affenkäfig, Krokodilsgraben oder Matterhorn steigern die Attraktivität von Geräteaufbauten<br />

zusätzlich. So wird die Turnhalle zur Bewegungs- und Erlebnislandschaft.<br />

Die Bewegungsbaustelle geht von einem ähnlichen Ansatz aus, lässt die Kinder aber eigene Landschaften<br />

erfinden. Dies kann mit den Geräten der Turnhalle oder auch im Freien mit Harrassen,<br />

Bretter, Rohren, Fässern oder Autoreifen geschehen (vgl. www.bewegungsbaustelle.com). So lässt<br />

sich der Ansatz der situationsorientierten Bewegungsförderung (vgl. Kapitel 1) noch konsequenter<br />

umsetzen.<br />

In vorgegebenen oder selbst gebauten Bewegungs- und Erlebnislandschaften können Kinder ihre<br />

allgemeinen motorischen Grundfähigkeiten entwickeln, sie können ihre Phantasie ausleben und<br />

Rollenspiele erfinden, aber auch die gezielte Schulung von speziellen Fähigkeiten ist möglich. Geräteaufbauten<br />

bieten in der Regel verschiedene Möglichkeiten, sich zu betätigen. So finden auch<br />

gehemmte und ungeschickte Kinder ihre Herausforderungen.<br />

Nachfolgend finden Sie drei Ideen für Geräteaufbauten. Sie sind nur ein winzig kleiner Ausschnitt<br />

aus all den Möglichkeiten, die sich aus den Gross- und Kleingeräten des Turnbetriebs kombinieren<br />

lassen. Weiter Ideen finden Sie in den Büchern «Erlebnislandschaften in der Turnhalle» (Verlag<br />

Hofmann) und «Bewegungslandschaften» (Schulverlag), die beide in der Mediothek der Pädagogischen<br />

Hochschule in Aarau ausleihbar sind. Zudem erfinden die Kinder bald ihre eigenen Gerätekombinationen<br />

und -aufbauten. So werden die Möglichkeiten des Kreativseins noch erweitert.<br />

Darüber hinaus lassen sich einzelne Geräteaufbauten auch gleichzeitig aufstellen. Die Kinder<br />

durchlaufen die einzelnen Stationen als Parcours oder wählen frei, wo sie sich betätigen wollen.<br />

Verbindendes Element der verschiedenen Stationen können ein Thema (z.B. Urwald, Schatzinsel)<br />

oder eine bestimmte Bewegungsaktivität sein (z.B. Rollen, Balancieren). Konkrete Ideen und Stundenplanungen<br />

finden Sie in den erwähnten Lehrmitteln. Die drei folgenden Beispiele (inkl. Illustrationen)<br />

stammen aus dem Lehrmittel «Erlebnislandschaften in der Turnhalle».<br />

Die rollende Bank<br />

Förderbereiche: Gleichgewicht, Eigenwahrnehmung, Kooperation.<br />

Legen Sie etwa zehn Gymnastikstäbe auf den Boden. Legen Sie eine Langbank verkehrt auf die<br />

Stäbe. Am oberen und unteren Ende der Langbank kommt je ein kleiner Kasten hin, so dass sich<br />

die Bank geringfügig hin- und herbewegen kann. Kinder bis 6 Jahre sitzen auf der Bank und lassen<br />

sich von anderen hin- und herbewegen. Ältere können auch wagen, über die Bank zu balancieren.<br />

I - 17


Kapitel 2<br />

Wichtig ist dabei, dass die Bank nicht von anderen bewegt wird. Zur Sicherung kann ein zweites<br />

Kind dem balancierenden Kind die Hand reichen.<br />

Eine Sicherung mit Matten ist schwierig, denn wenn die Matten die Stäbe berühren, ist die Beweglichkeit<br />

der Bänke eingeschränkt. Lösen lässt sich das Problem folgendermassen: Legen Sie zwei<br />

Bänke parallel auf die Stäbe. Die Matten liegen so auf den unteren Brettern der Bänke und berühren<br />

die Stäbe nicht. Aber auch hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen: Die Bewegungen der einen<br />

Bank übertragen sich auf die andere, so dass das gleichzeitige Balancieren auf beiden Bänken<br />

schwieriger oder sogar gefährlich wird. Erproben Sie selber, was Ihre Schülerinnen und Schüler<br />

bewältigen können.<br />

Das Boot<br />

Förderbereiche: Kreativität, Gleichgewicht, Eigenwahrnehmung.<br />

Für «das Boot» benötigen Sie 3 grosse Kästen, 5 Langbänke, ein kleiner Kasten und etwa zehn<br />

Matten zum Sichern. Stellen Sie zudem klare Regeln auf, wie sich die Kinder auf dem Boot verhalten<br />

sollen; insbesondere sollen sie nicht drängeln und stossen.<br />

Die Höhle<br />

Förderbereiche: Kreativität, Eigenwahrnehmung, Raumerfahrung, Selbstvertrauen.<br />

Die Kinder wählen frei diverse Gross- und Kleingeräte wie zum Beispiel Kästen, Malstangen, Fässer<br />

oder Hütchen. Alle Geräte werden auf engem Raum zusammengestellt und mit einem grossen<br />

Schwungtuch überdeckt. Überprüfen Sie den Aufbau bezüglich Gefahrenquellen.<br />

I - 18


Kapitel 2<br />

Bewegungsgeschichten<br />

Bewegungsspiele<br />

Die Vorschläge «Zug», «Boot» oder «Höhle» machen es bereits deutlich: Die Kinder werden durch<br />

passende Arrangements angeregt, in die Rollen von Zugführerinnen, Abenteurern oder Höhlenforscherinnen<br />

zu schlüpfen. Sie geben ihren Bewegungsaktivitäten einen Sinn und können ihre Phantasie<br />

und ihre Gefühle ausleben. Antrieb und Motivation liegen nicht mehr in der Bewegung an<br />

sich, sondern in der Sinngebung und im Erleben eines spannenden Inhaltes. So können Kinder<br />

länger bei ein und derselben Aktivität verweilen und vergessen vielleicht sogar allfällige Hemmungen.<br />

Jede beliebige Geschichte mit spannenden Orten (wie z.B. Schatzinseln, Flusslandschaften, Berge<br />

oder Urwälder), Fortbewegungsmitteln (wie z.B. Autos, Piratenschiffen, Flugzeugen oder Raketen)<br />

oder Aktivitäten (wie z.B. fliegen, klettern, werfen oder verstecken) lässt sich in diesem Sinn<br />

in Bewegung umsetzen. Umgekehrt erlauben attraktive Arrangements, selber neue Geschichten zu<br />

erfinden. Und falls Ihnen die Ideen dazu fehlen: Fragen sie Ihre Schülerinnen und Schüler – zum<br />

Beispiel mit folgenden Aufgabenstellungen:<br />

• Wir wollen von der Erde aus den Mond besuchen. Wir brauchen eine Rakete. Wie lässt sich<br />

das aus Geräten bauen?<br />

• Jetzt sind wir also auf dem Mond gelandet. Wir brauchen also eine Mondlandschaft. Wie sieht<br />

es hier aus? Was gibt es da alles? Tut euch in Gruppen zusammen, nehmt je drei bis vier Geräte<br />

und baut damit etwas, was es auf dem Mond geben könnte. Wir erkunden das dann gemeinsam.<br />

• Was könnten wir auf dem Mond für ein Abenteuer erleben? (Die Kinder machen Vorschläge,<br />

die sofort ins Spiel umgesetzt werden.)<br />

In der Bücherliste finden Sie darüber hinaus zwei Bücher mit fertigen Geschichten und Vorschlägen<br />

zur Umsetzung.<br />

Mit dem Begriff «Spiel» ist hier eine Gruppenaktivität nach vorgegebenen Regeln gemeint und<br />

nicht jede spielerische Aktivität von Kindern an sich. Spiele sind gut geeignet, den Bewegungstrieb<br />

von Kindern anzustacheln. Nicht alle Kinder kommen aber mit den jeweiligen Anforderungen von<br />

Bewegungsspielen gleich gut zurecht. Gerade die Leistungsschwachen Kinder, die Förderung besonders<br />

nötig haben, gehören nicht selten zu den Verlierern und machen deshalb bei gewissen<br />

Spielen nur ungern mit. Beobachten Sie deshalb, wie sich ein Spiel auf Ihre Klasse auswirkt und ob<br />

Sie die damit angestrebten Förderziele wirklich erreichen.<br />

Grossmutter<br />

Förderbereiche: Handlungsplanung, Bewegungssteuerung, Gleichgewicht.<br />

Ein Kind steht am einen Ende des Raumes und spielt die Grossmutter. Es blickt gegen die Wand.<br />

Die übrigen Kinder stehen am anderen Ende und müssen versuchen, den Raum bis zur Grossmutter<br />

zu durchqueren. Von Zeit zu Zeit dreht sich die Grossmutter um. Sofort müssen alle übrigen<br />

Kinder erstarren und in ihrer Position verharren. Wer sich noch bewegt und sich von der Grossmutter<br />

dabei erwischen lässt, muss zurück zum Ausgangspunkt. Wer alle prüfenden Blicke der Grossmutter<br />

übersteht und es schafft, sie zu berühren, übernimmt ihre Rolle.<br />

I - 19


Kapitel 2<br />

Haifischjagen<br />

Förderbereiche: Raumerfahrung, visuelle Konzentration, Kooperation.<br />

Legen Sie ein grosses Schwungtuch auf den Boden. Die Kinder sitzen darum herum. Ein Kind –<br />

der Haifisch – befindet sich unter dem Tuch. Ein anderes Kind ist der Jäger und kniet auf dem<br />

Tuch. Der Jäger bewegt sich auf allen Vieren und versucht, den Haifisch zu fangen. Die um das<br />

Tuch sitzenden Kinder bewegen das Tuch auf und ab, so dass grosse Wellen entstehen und der<br />

Haifisch für den Jäger nicht einfach sichtbar ist (nach Zimmer 1999.<br />

Nicht für alle Kinder sind die beiden Rollen gleich attraktiv. Für die einen Kinder ist es ein grosser<br />

Reiz, unter das Tuch zu gehen, für andere braucht das Überwindung.<br />

Einbuchten<br />

Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Handlungsplanung, visuelle Wahrnehmung.<br />

In der Mitte der Turnhalle werden vier Langbänke zu einem Quadrat zusammengestellt. Dies ist<br />

das Gefängnis. Eine Gruppe von Kindern spielt die Fänger. Wer gefangen ist, muss ins Gefängnis.<br />

Ausbrechen aus dem Gefängnis ist erlaubt, indem man unter der Langbank durchschlüpft. Nach<br />

einiger Zeit werden andere Kinder zu den Fängern. Erproben Sie, wie viele Fänger es braucht,<br />

damit eine schöne Spieldynamik entsteht.<br />

Bei der Entwicklung der Eigenwahrnehmung hilft es, nicht nur den eigenen Körper, sondern auch<br />

dessen Grenzen wahrzunehmen. Dies geschieht, wenn sich die Kinder auf begrenztem Raum bewegen,<br />

eben zum Beispiel unter einem Bank hindurch kriechen müssen. Auch das Kriechen in<br />

Röhren, das Verstecken unter Tischen, das Einwickeln in Decken etc. tragen zu solchen Erfahrungen<br />

bei.<br />

Merkball<br />

Förderbereiche (neben den in einem Ballspiel üblichen; siehe oben): Erinnerungsvermögen.<br />

Das Spiel funktioniert wie Sitzball. Nur müssen sich die Kinder merken, von wem sie getroffen worden<br />

sind. Wird diese Person nämlich selber getroffen, dürfen sie zurück ins Spiel kommen. Je nach<br />

dem, wie Ihre Klasse mit dem Spiel zurecht kommt, können Sie weitere Regeln einführen, zum<br />

Beispiel:<br />

• Die Getroffenen kommen wie beim normalen Sitzball auch dann zurück ins Spiel, wenn sie den<br />

Ball erwischen. Sie müssen sich also gleichzeitig auf zwei Sachen konzentrieren, nämlich erstens<br />

auf den Ball und zweitens auf jene Person, die sie zuvor getroffen hat.<br />

• Es ist erlaubt, den anderen zuzurufen, wer getroffen werden soll. Dies ist eine Vereinfachung,<br />

weil sich die Getroffenen den Namen, den es zu erinnern gilt, so immer wieder in Erinnerung rufen.<br />

• Ein Kind ist Joker und wird mit einem Turnband gekennzeichnet. Wird der Joker getroffen, dürfen<br />

alle Getroffenen zurück ins Spiel kommen. Wer den Joker getroffen hat, wird zum neuen<br />

Joker.<br />

• Wird der Ball gefangen, scheidet das Kind aus, das den Ball geworfen hat. Auch hier muss sich<br />

das ausgeschiedene Kind merken, wer seinen Wurf gefangen hat. Scheidet dieses Kind aus,<br />

kommt das zuvor ausgeschiedene zurück ins Spiel.<br />

I - 20


Kapitel 2<br />

Aare-Welle<br />

Förderbereiche: Konzentration, Handlungsplanung, Auge-Körper-Koordination, Kooperation.<br />

Alle bis auf eine Person sitzen auf Stühlen in einem möglichst engen Kreis. Ein Stuhl ist leer, eine<br />

Person steht in der Mitte. Sie muss einen leeren Stuhl ergattern. Das darf jedoch nicht jener Stuhl<br />

sein, der am Anfang frei ist.<br />

Damit ein anderer Stuhl frei wird, ruft die Person in der Mitte: «Aare-Welle nach links» oder «Aare-<br />

Welle nach rechts». Wer neben dem freien Stuhl sitzt, muss entsprechend nach links bzw. rechts<br />

rücken und den freien Stuhl besetzen. Die nächstfolgende Person rückt nach und so weiter. Wenn<br />

jemand zu wenig rasch nachrückt, hat die Person in der Mitte die Chance, sich auf den freien Stuhl<br />

zu setzen. Sie darf die Richtung der Welle jederzeit umkehren. Wer zu wenig rasch nachrückt, darf<br />

in die Mitte.<br />

Nebenbei: Das Spiel funktioniert auch als Rhein-, Reuss- oder Limmat-Welle.<br />

Luftballonspiel<br />

Förderbereiche: Auge-Fuss-Koordination, Raumerfahrung, visuelle Konzentration, Handlungsplanung.<br />

Jedes Kind erhält einen Luftballon, bläst ihn auf und bindet ihn mit einer ca. 50cm langen Schnur<br />

am Fussgelenk fest. Aufgabe ist es nun, auf die Ballone der anderen Kinder zu treten und sie so<br />

zum Platzen zu bringen. Der eigene Ballon muss vor dem Platzen geschützt werden. Wer keinen<br />

Luftballon mehr hat, darf weiterhin mitspielen.<br />

Nicht alle Kinder steigen auf dieses Spiel gleich gut ein. Gewisse haben vor den Ballonen zu viel<br />

Respekt. Die gleichen Förderbereiche werden auch erreicht, wenn statt des Ballons nur eine<br />

Schnur nachgezogen wird.<br />

I - 21


Kapitel 3<br />

3. Fein-, Hand- und Grafomotorik<br />

Für schulische Leistungen sind insbesondere die Grafomotorik für das Schreiben und die Mundmotorik<br />

für das Sprechen wichtig. Das folgende Kapitel bezieht sich deshalb auf diese beiden Bereiche<br />

und zeigt mit verschiedenen Beispielen, wie sich Hand-, Grafo- und Mundmotorik spielerisch<br />

<strong>fördern</strong> lassen.<br />

Schreiben: Hand- und Grafomotorik<br />

Als Kindergärtnerin oder Lehrperson gehören Sie vermutlich zu jenen Menschen, die eher viel<br />

Schreiben und denen das Schreiben leicht fällt. Je automatischer Sie Schreiben, desto besser können<br />

Sie sich auf den Inhalt konzentrieren. Deshalb gilt Schreiben unter den geübten Schreibern als<br />

intellektuelle Tätigkeit, und es geht vergessen, dass Schreiben zuerst einmal eine motorische Herausforderung<br />

ist.<br />

Die Grafomotorik bezieht sich auf jene Bewegungsfähigkeiten, die für das Schreiben grundlegend<br />

sind. Dazu gehören etwa die Beweglichkeit der Hände und des Unterarmes sowie deren Koordination,<br />

die gegenseitige Unabhängigkeit und die Koordination der Hände oder auch die Kraftanpassung,<br />

die Zielgenauigkeit und die Temposteuerung. Für viele Kinder ist es auch ein Problem, in<br />

Fingern, Hand, Arm und Schultern locker zu bleiben.<br />

Das Schreiben hat in der Schule einen hohen Stellenwert. Kinder mit grafomotorischen Schwierigkeiten<br />

bekommen deshalb rasch weitere Probleme. Sie sind langsamer als andere Kinder und<br />

können deshalb weniger Inhalte oder eigene Gedanken verarbeiten. Sie müssen sich mehr auf das<br />

Schreiben an sich konzentrieren und ermüden deshalb rascher. Es ist ihnen nicht oder nicht unbedingt<br />

geholfen, wenn sie nur das Schreiben an sich üben (müssen). Es ist viel lustvoller, die einzelnen<br />

Aspekte der Grafomotorik in spielerischer Form zu üben.<br />

Es spielt keine Rolle, ob das Schreiben noch nicht Thema ist wie im Kindergarten oder schon geübt<br />

wird wie in der Schule: Es ist immer möglich und für bestimmte Kinder sehr hilfreich, die Hand- und<br />

Grafomotorik zu <strong>fördern</strong>. Dazu finden Sie nachfolgend einige Hinweise und Vorschläge. Für Kinder<br />

mit ausgeprägten Schreibschwierigkeiten reichen aber solche Spiele und Übungen nicht aus. Eine<br />

therapeutische psychomotorische Begleitung kann in diesen Fällen viel spezifischer und umfassender<br />

auf die Probleme eingehen (vgl. Kapitel 13).<br />

Es muss auch noch betont werden, dass eine gut entwickelte Hand- und Grafomotorik nicht die<br />

einzige Voraussetzung ist, um das Schreiben zu lernen. Nötig sind etwa auch Formvorstellung und<br />

Raumorientierung, Wortschatz und Erinnerungsvermögen, Körperhaltung, Lautdifferenzierung etc.<br />

(vgl. zum Beispiel Schäfer 2001; Huber & Giezendanner 2003).<br />

Hand- und Grafomotorik <strong>fördern</strong><br />

Wie lässt sich die Hand- und Grafomotorik <strong>fördern</strong>? Geeignet sind grundsätzlich alle Spiele und Tätigkeiten,<br />

bei denen die Kinder ihre Hände gebrauchen; zum Beispiel:<br />

• Beim Hantieren mit Bauklötzen, Steinen, Pfeifenputzer, Bausätzen oder Wäscheklammern.<br />

• Beim Spiel mit Ton, Fingerfarben, Teig, Sand oder Wasser ist gut spürbar, wie sich die Finger<br />

an- oder entspannen.<br />

• Mit Fingerversen oder -liedern lässt sich das Üben mit Geschichten, Musik und Rhythmus verbinden.<br />

• Auch gewisse Gesellschaftsspiele wie Mikado oder Memory verlangen Fingerspitzengefühl.<br />

I - 22


Kapitel 3<br />

• Beim Malen und Zeichen können Kinder die Stifthaltung, die Kraftanpassung und die Zielgenauigkeit<br />

entdecken, und sie gewinnen Freude daran, auf einem Blatt Spuren zu hinterlassen.<br />

• Auch Basteln, Schneiden und Falten bieten vielfältige Anregungen. Entsprechend leisten die<br />

gestalterischen Fächer, aber auch der Instrumentalunterricht einen Beitrag, um die Handmotorik<br />

zu entwickeln. Je nach gewählter Technik sind die Ansprüche an die Fingerfertigkeit aber<br />

schon hoch, was ungeschicktere Kinder eher abschreckt. Eine selbst gesteuerte Auseinandersetzung<br />

mit Materialien kann hier helfen, Schwellen zu überwinden.<br />

• Zur Wahrnehmung der Hand trägt bei, wenn sich die Kinder ihre Hände gegenseitig massieren,<br />

mit einem trockenen Pinsel kitzeln oder sogar richtig anmalen.<br />

Sinnvoll ist es, zunächst Aktivitäten anzubieten, die sinnliches, beidhändiges Arbeiten und Krafteinsatz<br />

erfordern wie etwa kneten, spielen mit Sand oder Lehm, schmieren oder trommeln. Daran<br />

schliesslich sich allmählich Tätigkeiten an, welche die Spezialisierung einer Hand erfordern wie<br />

zum Beispiel hämmern, schrauben, reissen, schneiden oder flechten.<br />

Diese allgemeinen Ideen lassen sich im freien Spiel oder in einer situationsorientierten Bewegungsförderung<br />

hervorragend umsetzen (vgl. Kapitel 1). Darüber hinaus finden Sie anschliessend<br />

einige konkrete Spielideen. Sie stammen aus dem Heft «Hand- und Grafomotorik» aus der Praxisreihe<br />

Berufskompetenz des Verbandes der KindergärtnerInnen Schweiz KgCH. Es enthält weitere<br />

gute Spielideen und ist in der Mediothek der Pädagogischen Hochschule in Aarau ausleihbar. In<br />

der Bücherliste finden Sie zudem weiteres hervorragendes Material.<br />

Wie viel Kraft brauchts bis ins Ziel?<br />

Förderbereich: Kraftsteuerung von Hand und Finger.<br />

Für diesen Vorschlag benötigen Sie eine leere Leimtube. Wenn man sie zusammendrückt, entsteht<br />

ein Luftstrahl. So lässt sich ein kleiner Wattebausch fortblasen. Zeichnen Sie zudem auf einen<br />

grossen Papierbogen eine Zielscheibe und legen Sie das Papier auf einen Tisch. Der Wattebausch<br />

wird an den Rand des Papiers gelegt. Mit der Leimtube versuchen die Kinder, den Wattebausch in<br />

die Mitte der Zielscheibe zu blasen. Drücken sie zu schwach, geht er zu wenig weit. Drücken sie zu<br />

stark, geht er zu weit. Die Kinder müssen also herausfinden, wie viel Krafteinsatz nötig ist. Überlassen<br />

Sie es den Kindern, ob sie ein- oder zweihändig pusten wollen.<br />

Der Krafteinsatz der Finger lässt sich auch üben, wenn kleine Gegenstände direkt mit dem Finger<br />

angestossen werden wie etwa beim Spiel Carambole. Das selbe Prinzip lässt sich mit verschiedensten<br />

Gegenständen (zum Beispiel Murmeln, Tischtennisbällen, Korkzapfen oder Bohnen) auf<br />

verschiedensten Unterlagen umsetzen (zum Beispiel auf einer Tischplatte, im Sand, im Gras oder<br />

auf einem Teppich). Dabei lässt sich auch üben, nur mit der Hand zu spielen und den Arm ruhig zu<br />

halten.<br />

I - 23


Kapitel 3<br />

Gefrässige Mäuse<br />

Förderbereich: Koordination von Daumen und Zeigefinger (Pinzettengriff).<br />

Für diesen Vorschlag benötigen Sie Bohnen, Linsen, Maiskörner, Knöpfe oder andere kleine Gegenstände<br />

in grosser Zahl sowie einen Würfel. Zwei oder mehr Kinder setzen sich an einen Tisch,<br />

die Maiskörner liegen in der Mitte. Wer an der Reihe ist, würfelt und darf so viele Maiskörner nehmen,<br />

wie der Würfel anzeigt. Die Körner müssen mit Daumen und Zeigefinger gepackt und in die<br />

Handfläche der selben Hand gelegt werden. Mit den anderen Fingern werden sie gehalten Erst<br />

wenn alle Körner in der Handfläche liegen, werden sie im eigenen Mäusenest (vor sich selber auf<br />

dem Tisch) deponiert. Dann ist das nächste Kind an der Reihe.<br />

Mögliche Vereinfachungen: Grössere Gegenstände lassen sich einfacher packen. Wer eine Sechs<br />

würfelt, darf die Körner in zwei Etappen nehmen. Das Zwischenlagern in der Handfläche kann auch<br />

ganz weggelassen werden.<br />

Mögliche Erschwerungen: Kleinere Gegenstände oder zwei Würfel verwenden. Als Unterlage nicht<br />

eine flache Tischplatte, sondern eine Schale mit Sand wählen, so dass die Körner bei einem unpräzisen<br />

Griff «fliehen» können.<br />

Spaziergang mit dem Hund<br />

Förderbereiche: Tempo- und Richtungssteuerung mit dem Stift.<br />

Für diesen Vorschlag benötigen Sie ein A3-Papier, auf das Sie mit Bäumen, Bänken, einem Teich<br />

etc. eine Parklandschaft zeichnen. Zwischen den einzelnen Objekten sollte jeweils genügend Abstand<br />

sein. Kopieren Sie die Zeichnung, so dass sie den Kindern für dieses Spiel zur Verfügung<br />

steht. Natürlich können die Kinder auch ihre eigenen Parklandschaften zeichnen. Weiter benötigen<br />

Sie einen Knopf mit einem genügend grossen Loch sowie Farb- oder Bleistifte.<br />

Zwei Kinder setzen sich zusammen an einen Tisch. Das eine Kind sitzt vor das Blatt mit der Parklandschaft,<br />

das mit Klebestreifen am Tisch befestigt ist. Es steckt die Spitze eines Blei- oder Farbstiftes<br />

durch das Loch im Knopf. Der Knopf ist der Hund und wird vom Kind im Park spazieren geführt.<br />

Das andere Kind gibt Anweisungen, was der Hund tun soll, zum Beispiel: schnell, langsam,<br />

stopp, zum See etc. Der Hund erkundet also den Park, geht zwischen den Bäumen hindurch oder<br />

nimmt ein Bad im See, er geht mal langsam und rennt mal schnell, ganz wie es dem Kind gefällt,<br />

das die Anweisungen gibt. Anschliessend wird gewechselt.<br />

Der Vorschlag stellt gleichzeitig zwei Anforderungen, nämlich Temposteuerung und Zielgenauigkeit.<br />

Er lässt sich so vereinfachen, dass eine Anforderung im Vordergrund steht. Mit weniger oder<br />

gar keinen Objekten im Park verliert die Zielgenauigkeit an Gewicht. Wenn das zeichnende Kind<br />

das Tempo selber wählen kann, tritt die Temposteuerung in den Hintergrund. Erleichternd kann<br />

weiter sein, wenn der Knopf weggelassen wird.<br />

I - 24


Kapitel 3<br />

Schablonenbilder<br />

Förderbereich: Unabhängige Bewegung der Hände (Dissoziation).<br />

Für diesen Vorschlag benötigen Sie Figuren aus Karton, etwa Menschen, Tiere oder Gegenstände.<br />

Die Kinder legen diese Schablonen auf ein Blatt Papier. Sie halten sie mit der einen Hand und<br />

zeichnen mit der anderen Hand den Rand der Schablone nach. Anstatt der Schablone können die<br />

Kinder auch die eigene Hand, einen Teller oder einen Bauklotz als Vorlage verwenden. Natürlich<br />

können die Kinder auch ihre eigenen Schablonen herstellen und gegenseitig austauschen.<br />

Vereinfachungen: Schwere Gegenstände lassen sich einfacher festhalten. Flache Gegenstände mit<br />

einfachen Konturen sind einfacher zu umfahren. Die Kinder können sich auch gegenseitig helfen,<br />

die Vorlage festzuhalten. Das zeichnende Kind darf das Halten aber nicht ganz dem anderen überlassen,<br />

sonst ist das Ziel der Übung nicht erreichbar.<br />

Sprechen: Mundgefühl und Mundmotorik<br />

Sprechen geht nicht, ohne dass sich Lippen, Zunge und der ganze Mundraum koordiniert bewegen.<br />

Kinder unternehmen viele lustvolle und spielerische Aktivitäten von sich aus, um ihre Mundmotorik<br />

zu entwickeln. Sie lassen sich entsprechend von Spielideen anstecken und inspirieren.<br />

Zum Beispiel mit folgenden:<br />

• Mit den Lippen etwas fühlen, das warm, kalt, hart, weich etc. ist.<br />

• Die Lippen mit einem trockenen Pinsel gegenseitig «anmalen».<br />

• Honig auf die Lippen streichen und abschlecken, Krümel von einem Teller schlecken.<br />

• Unter Wasser mit den Lippen blubbern.<br />

• In Luftballone, Flöten, Röhren oder andere Gegenstände blasen.<br />

• Rollenspiele mit Geräuschen unterstützen (Tiere, Autos, Züge etc.)<br />

• Grimassen schneiden.<br />

• Ein Glas mit Wasser füllen und etwas Abwaschmittel zugeben. Ein Röhrchen eintauchen und<br />

hinein blasen. Das Wasser beginnt zu schäumen. Variante: Etwas Lebensmittelfarbe zugeben.<br />

Diese allgemeinen Ideen lassen sich im freien Spiel oder in einer situationsorientierten Bewegungsförderung<br />

hervorragend umsetzen (vgl. Kapitel 1). Über diese allgemeine Hinweise hinaus<br />

finden Sie hier drei konkrete Spielideen:<br />

Blasexperimente<br />

Förderbereiche: Mundmotorik, Objekterfahrung.<br />

Bereiten Sie verschiedene Gegenstände vor, die sich in Grösse, Form und Gewicht unterscheiden,<br />

zum Beispiel kleine Bälle und Murmeln, Papierknäuel und Kartonstücke, Steine und Grashalme.<br />

Sie können es auch den Kindern überlassen, eine (persönliche) Sammlung anzulegen.<br />

Die Kinder erhalten nun einzeln oder zu zweit folgende Aufgabe: Sie blasen die verschiedenen<br />

Gegenstände an und beobachten, was passiert. Lässt sich der Gegenstand durch Blasen bewegen?<br />

Wie stark und aus welcher Richtung muss er allenfalls angeblasen werden, damit er sich bewegt?<br />

Bewegt er sich schnell oder langsam?<br />

Etwas anspruchsvoller ist es zu fragen: Was macht es aus, dass die einen Gegenstände so reagieren<br />

und die anderen anders? Dieser Vorschlag kann auch im Sinne des entdeckenden Lernens<br />

verwendet werden (vgl. Kapitel 8).<br />

I - 25


Kapitel 3<br />

Wattenblasen<br />

Förderbereiche: Mundmotorik, Bewegungssteuerung.<br />

Zwei oder mehr Kinder sitzen an einem Tisch. In der Mitte liegt ein Wattebausch oder auch ein<br />

Tischtennisball oder ein Papierknäuel. Auf ein Kommando beginnen alle zu blasen. Es wollen alle<br />

vermeiden, dass der Wattebausch zu ihnen kommt. Wenn Sie wollen, können Sie dazu ein Punktesystem<br />

anwenden: Bei wem die Watte vom Tisch fällt, erhält einen Strafpunkt. Allerdings geschieht<br />

das oft zwischen zwei Kinder. So ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wer einen<br />

Punktabzug erhält.<br />

Variante: Ein Tischtennisball in eine Wasserschüssel legen und vom eigenen Rand wegblasen.<br />

Vereinfachung bzw. Erschwerung: Zwei Kinder sitzen dicht nebeneinander und blasen gemeinsam<br />

gegen ein anderes Kind.<br />

Grimassenspiel<br />

Förderbereiche: Mundmotorik, Eigenwahrnehmung.<br />

Bestimmt kennen Sie das Spiel «Telefonieren»: Ein Begriff wird in einer Runde von einer Person<br />

zur nächsten flüsternd weitergegeben. Natürlich wird er nicht immer richtig verstanden, weshalb es<br />

höchst erbaulich ist zu sehen, wie er sich bis zum Schluss der Runde verändert hat. Dasselbe lässt<br />

sich auch mit Grimassen machen: Alle sitzen im Kreis und schliessen die Augen. Jemand in der<br />

Runde berührt seinen Nachbarn oder seine Nachbarin leicht als Zeichen, die Augen zu öffnen und<br />

zeigt ihr oder ihm eine möglichst phantasievolle Grimasse. Diese wird jetzt nach demselben Prinzip<br />

wie beim Telefonieren weitergegeben bis alle die Augen offen haben. Wer die Augen schon offen<br />

hat, darf herzlich mitlachen.<br />

I - 26


Kapitel 4<br />

4. Sinneswahrnehmung und Raumerfahrung<br />

Praxisvorschläge<br />

Unter dem Stichwort Wahrnehmung sind hier die folgenden Förderbereiche angesprochen: taktile,<br />

visuelle und auditive Wahrnehmung, Eigenwahrnehmung und Gleichgewicht. Unter dem Stichwort<br />

Raumerfahrung sind hier die folgenden Förderbereiche zusammengefasst: Raum-, Objekt- und<br />

Formerfahrung, Körperschema sowie das Gefühl für Zeit, Geschwindigkeiten, Abfolgen und<br />

Rhythmus. Erklärungen zu diesen Begriffen finden Sie im letzten Abschnitt von Kapitel 1.<br />

In der Praxis gehen diese Förderbereiche Hand in Hand. Und natürlich sind auch Grob- und Feinmotorik<br />

eng damit verwoben. So sind in vielen grobmotorischen Aktivitäten (vgl. Kapitel 2) auch die<br />

Eigenwahrnehmung und Raumerfahrung und natürlich auch das Sehen und Hören angesprochen.<br />

In vielen feinmotorischen Aktivitäten (vgl. Kapitel 3) wird auch das taktile Empfinden gefördert.<br />

Die Bedeutung von Sinneswahrnehmung und Raumerfahrung für das schulische Lernen und Leisten<br />

wird im Grundlagenkapitel beleuchtet. Mit dem Bewegungs- und Sportunterricht, mit dem Gestalten,<br />

aber auch mit dem Musikunterricht bietet die Schule vielfältige Anregungen, um die Raumerfahrung<br />

und Sinneswahrnehmung zu <strong>fördern</strong>: Die gestalterischen Fächer <strong>fördern</strong> zum Beispiel<br />

die taktile Wahrnehmung und Feinmotorik, die Raumwahrnehmung und Formerkennung, die Handlungsplanung<br />

und das Vorstellungsvermögen. Der Musikunterricht fördert in erster Linie das<br />

Rhythmusgefühl, die auditive Konzentration und Merkfähigkeit und darüber hinaus je nach eingesetztem<br />

Instrument die Hand- und Mundmotorik, die Hand-Auge-Koordination, die Kraftsteuerung<br />

der Hände etc. Im Zusammenspiel mit anderen bzw. unter der Leitung einer Dirigentin sind auch<br />

die Figur-Hintergrund-Wahrnehmung oder die visuelle Aufmerksamkeit und Konzentration gefordert<br />

(Begriffserklärungen vgl. Kapitel 1).<br />

Im folgenden Praxisteil finden Sie vor allem Vorschläge, die die Raumerfahrung und Sinneswahrnehmung<br />

ausdrücklicher in den Vordergrund stellen als jene in den Kapiteln 2 und 3. Wichtig für<br />

die kindliche Entwicklung ist aber weniger die einzelne Fähigkeit, sondern das komplexe Zusammenwirken<br />

verschiedenster Kompetenzen (sensorische Integration; vgl. Grundlagenkapitel). Mit<br />

dem alltäglichen Spiel-, Entdeckungs- und Bewegungstrieb des Kindes verbinden sich die verschiedenen<br />

Elemente auf natürliche Art. Für die gezielte Förderung von Kindern empfiehlt sich<br />

deshalb vor allem das freie Spiel sowie die situationsorientierte Bewegungsförderung (vgl. Kapitel<br />

1).<br />

Dennoch kann es Sinn machen, gezielte Übungen und Spiele gemäss den folgenden Vorschlägen<br />

einzusetzen. Folgende Absichten können damit verbunden sein:<br />

• Die Kinder können einzelne Kompetenzen isoliert üben.<br />

• Die Vorschläge wollen Ihre Aufmerksamkeit stärken für die verschiedenen Förderbereiche.<br />

• Mit den Übungen können Sie die Kinder gezielt beobachten und feststellen, ob sie in einem bestimmten<br />

Bereich Schwierigkeiten haben.<br />

• Und natürlich steht dem Einsatz solcher oder ähnlicher Spiele und Übungen nichts im Weg, solange<br />

die Kinder daran Spass haben.<br />

Allgemeines zu Gleichgewicht, Eigenwahrnehmung und Körperschema<br />

Das Gleichgewicht und die Eigenwahrnehmung sind insgesamt sehr komplexe Fähigkeiten, die nur<br />

durch eine Vielzahl von senso-motorsichen Erfahrungen ausgebildet werden. Auch um das Körperschema<br />

– die Vorstellung des eigenen Körpers – auszubilden, müssen Kinder vielfältige motori-<br />

I - 27


Kapitel 4<br />

sche, sinnliche und räumliche Erfahrungen mit dem eigenen Körper machen. Deshalb finden Sie<br />

hier zunächst einige allgemeine Hinweise, wie Sie diese drei Förderbereiche angehen können.<br />

Das Gleichgewichtssystem im Innenohr wird nicht nur bei typischen Gleichgewichtsaufgaben wie<br />

zum Beispiel dem Balancieren gereizt. Immer, wenn der Kopf beschleunigt wird oder seine Lage<br />

relativ zur Erdanziehung verändert, wird es beansprucht, also auch beim Rollen, Schaukeln,<br />

Schwingen und Drehen, beim Hinunterspringen und Hüpfen auf dem Trampolin, aber auch schon<br />

nur, wenn sich der Kopf dreht oder wenn die Augen einem bewegten Gegenstand folgen (zum bewegten<br />

Gegenstand vgl. das Beispiel des Apfels im Grundlagenkapitel). Falls Sie herausfinden<br />

wollen, was das Sehen und der Gleichgewichtssinn miteinander zu tun haben: Vergleichen Sie, wie<br />

es ist, mit offenen oder geschlossenen Augen längere Zeit auf einem Bein zu stehen.<br />

Die Eigenwahrnehmung und das Körperschema werden etwa mit folgenden Aktivitäten gefördert:<br />

• Mit dem ganzen Körper viel den Boden berühren, z.B. über Matten rollen.<br />

• Beengende Platzverhältnisse erleben: z.B. Höhlen bauen, unter Tischen oder in Kisten spielen,<br />

durch Röhren oder unter Langbänken hindurch kriechen, in Decken wickeln, zwischen Matten<br />

das Fleisch im Sandwich spielen (dabei immer darauf achten, wie viel das Kind erträgt).<br />

• Alle Spiele mit Druck und Zug: Rücken an Rücken / Seite an Seite / Hand auf Hand einander<br />

weg stossen oder das Gleiche mit Material. Dabei merken ob es viel oder wenig Kraft braucht.<br />

• Übungen mit langsamen Bewegungen, die eine genaue Bewegungskontrolle verlangen; Bewegungen<br />

nachmachen oder vorgegebene Körperhaltungen einnehmen.<br />

• Massagen mit verschiedenen Materialien (Bälle, Farbroller, Bürsten, Pinsel, etc.), dabei den berührten<br />

Körperteil evtl. benennen. (Immer fragen, wie viel Druck angenehm ist: Oft haben Kinder<br />

mit Schwierigkeiten gerne klaren, kräftigen Druck.) Sich selber oder gegenseitig Körperteile<br />

waschen, trocknen, eincremen oder einbinden.<br />

• Berührungen lokalisieren und erkennen: In Bauchlage Sandsäckli auf den Körper legen: Wo<br />

liegt es? Wo hast du es am liebsten? Einander Formen, Zahlen, Buchstaben auf den Rücken<br />

schreiben. Das Kind sagt im Liegen, wo es den Boden spürt. Krankenhaus-Fangis: Der Fänger<br />

muss immer jenen Körperteil halten, an dem er selbst vom vorherigen Fänger berührt worden<br />

ist.<br />

• Räumliche Begriffe (oben - unten, links - rechts, hinten - vorne) bewusst machen bzw. benennen<br />

(lassen). Geeignet dafür sind Aktivitäten, die die entsprechende Seite über Berührung,<br />

Druck, Zug oder Widerstand stimulieren. Körperbilder malen, Umrisse mit Seilen legen. Auch<br />

Symmetrie am Körper erleben lassen: Spiegel / Roboterspiele, Statuen oder Bewegungen kopieren,<br />

etc.<br />

Orientierungsspiel<br />

Förderbereiche: Raumerfahrung, Körperschema, auditive und visuelle Wahrnehmung, Kooperation.<br />

Grundform: Ein Kind gibt Anweisungen, wie sich ein zweites Kind bewegen soll, zum Beispiel:<br />

«Marschiere geradeaus – drehe dich nach rechts – krieche unter dem Tisch hindurch» etc. Das<br />

zweite Kind bewegt sich entsprechend und lernt bzw. vertieft dadurch die räumlichen Begriffe. Das<br />

erste Kind kann feststellen, ob es die räumlichen Begriffe korrekt einsetzt. Die Aufgabe wird erschwert,<br />

wenn es im Raum nicht ganz ruhig ist und das zweite Kind die Anweisungen aus anderen<br />

Geräuschen heraushören muss (Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).<br />

Erweiterung 1: Das erste Kind versteckt im Zimmer einen Gegenstand. Die Anweisungen wie in der<br />

Grundform dienen dazu, das Kind zum Gegenstand zu führen.<br />

Erschwerung 2: Das zweite Kind erhält die Augen verbunden und muss sich nun alleine mit den<br />

mündlichen Anweisungen zurecht finden (nach Anderegg 2000, Band 1, S. 80, 230).<br />

I - 28


Kapitel 4<br />

Hausbau<br />

Förderbereiche: Raum-, Objekt- und Formerfahrung, Kooperation.<br />

Für diesen Vorschlag benötigen Sie mehrere gleiche Sets an Bauklötzen. Ein Kind baut mit einem<br />

Set einen Turm. Die anderen beteiligten Kinder versuchen, den selben Turm mit dem eigenen Set<br />

nachzubauen. Erweiterung: Zwei Kinder bauen gleichzeitig an ihren Türmen: Zuerst darf das erste<br />

Kind einen Klotz setzen, das zweite Kind baut nach. Dann darf das zweite Kind einen Klotz setzen,<br />

und das erste baut nach etc. (nach Anderegg 2000, Band 1).<br />

Körperteile spüren und benennen<br />

Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Konzentration.<br />

Ein Kind liegt mit geschlossenen Augen entspannt auf dem Boden. Ein anderes Kind legt einen<br />

Gegenstand (z.B. ein Säcklein mit Sand) auf ein Gelenk oder eine andere Körperpartie. Das liegende<br />

Kind benennt den entsprechenden Körperteil.<br />

Variante: Es stehen verschieden schwere Gegenstände zur Verfügung; das liegende Kind rät<br />

gleichzeitig, welcher Gegenstand aufgelegt worden ist.<br />

Buchbalance<br />

Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Konzentration, Bewegungssteuerung.<br />

Jedes Kind erhält ein Buch, legt es auf den eigenen Kopf und versucht, es so zu balancieren. Als<br />

Erschwerung lassen sich viele Bewegungsaufgaben erproben: durch den Raum gehen, sich auf einen<br />

Stuhl oder auf den Boden setzen, auf einen Stuhl steigen etc. Eine weitere Erschwerung ist es,<br />

diese Bewegungen mit geschlossenen Augen auszuführen.<br />

Markt der fühlbaren Dinge<br />

Förderbereiche: taktile Wahrnehmung, Kreativität.<br />

Die Klasse wird zweigeteilt. Die eine Hälfte spielt Marktfahrerinnen und Marktfahrer. Alleine oder zu<br />

zweit betreiben sie je einen Stand. An jedem Stand sind beliebige Gegenstände zu «kaufen», angepriesen<br />

werden sie ausschliesslich aufgrund ihrer Oberflächenbeschaffenheit und der daraus<br />

folgenden Tasterfahrung. Die Verkäuferinnen und Verkäufer werben also zum Beispiel für die glatten<br />

Bauklötze, die weichen Kissen oder die kitzligen Federn. Sie dürfen dabei auch ganz ausgefallene<br />

Kaufargumente erfinden.<br />

Entsprechend interessiert sich die Kundschaft – der andere Teil der Klasse – ausschliesslich für ein<br />

angenehmes, spannendes oder kuscheliges Tasterlebnis. Sie geht von Stand zu Stand, prüft die<br />

Ware und lässt sich von den Anbietern beraten. Zum Abschluss dürfen alle im Kreis berichten, was<br />

sie erstanden haben.<br />

I - 29


Kapitel 4<br />

Material-Fangis<br />

Förderbereiche: visuelle und taktile Wahrnehmung.<br />

Vor dem üblichen Fangen-Spiel wird ein Material vereinbart, das die Fliehenden vor dem Fänger<br />

schützt, z.B. Holz, Metall oder Stein. Wer im Laufe des Spiels etwas entsprechendes berührt, kann<br />

nicht gefangen werden. Wer gefangen wird, übernimmt die Rolle des Fängers (aus Ackermann<br />

1993).<br />

Das Spiel weckt die Aufmerksamkeit der Kinder für bestimmte Materialien in der eigenen Umgebung.<br />

Zudem nehmen die Kinder bei der Berührung immer auch die Oberflächenbeschaffenheit<br />

wahr. An Stelle von Materialien lässt sich das Spiel auch mit Farben, Formen etc. spielen.<br />

Flasche treffen<br />

Förderbereich: Auge-Hand-Koordination (Erschwerungen z.T. auch Eigenwahrnehmung).<br />

Befestigen Sie eine Schnur am Ende eines Bleistifts. Ein Kind hält die Schnur und versucht, den<br />

Stift in einer Flasche zu versenken, die vor ihm auf dem Boden steht. Mit der Schnurlänge lässt<br />

sich der Schwierigkeitsgrad variieren.<br />

Erschwerungen: Auf einem Bein stehen; ein Auge schliessen; die Schnur an einem Stab befestigen<br />

(Angelrute); mit geschlossenen Augen auf Anweisung eines zweiten Kindes.<br />

Gordischer Knoten<br />

Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Kooperation.<br />

Die Kinder stehen eng zusammen. Jedes Kind ergreift mit jeder Hand je irgend eine andere Hand.<br />

Nun versuchen alle gemeinsam, diesen Knoten zu entwirren, ohne die Hände loszulassen.<br />

Tastkino<br />

Förderbereich: taktile Wahrnehmung.<br />

Bereiten Sie in Säcken oder anderen geeigneten Behältern verschiedene Materialien vor, die sich<br />

unterschiedlich anfühlen. Die Kinder strecken die Hand (oder den Fuss) in einen der Säcke und<br />

nehmen den Inhalt so ausschliesslich taktil wahr. Ziel ist es herauszufinden, was in den Säcken<br />

drin ist. Für die Kinder kann es auch reizvoll sein, das Tastkino gemeinsam mit Ihnen vorzubereiten.<br />

So wird bereits die Vorbereitung zum sinnlichen Erlebnis, und die Kinder können sich gegenseitig<br />

überraschen.<br />

I - 30


Kapitel 4<br />

Wachsfigurenkabinett<br />

Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, visuelle Wahrnehmung und Merkfähigkeit, Formerfahrung,<br />

Variante 1 auch Kreativität, Variante 2 auch Bewegungssteuerung.<br />

Bringen Sie Zeitschriften mit vielen Bildern mit. Die Kinder suchen darin Bilder von Menschen und<br />

schneiden diese aus. Idee dieses Vorschlags ist es nun, die Körperhaltung der abgebildeten Menschen<br />

einzunehmen. Dies lässt sich auf verschiedene Arten verwirklichen:<br />

• Jedes Kind wählt eine Figur aus und stellt sich im Raum entsprechend auf. Einzelne Kinder lösen<br />

sich aus ihrer Position und besichtigen im «Wachsfigurenkabinett» die anderen Statuen.<br />

Dann nehmen sie ihre Position wieder ein, und andere Kinder machen sich zur Besichtigung<br />

auf, bis alle einmal an der Reihe waren.<br />

• Wählen Sie fünf bis zehn der ausgeschnittenen Bilder aus. Ein Kind nimmt eine der dargestellten<br />

Körperhaltungen ein; die übrigen Kinder raten, welche Darstellung gemeint ist.<br />

• Arbeit zu zweit: Ein Kind bringt ein anderes in eine der dargestellten Positionen.<br />

Variante 1: Es geht auch ohne Bilder aus Zeitschriften, wenn die Kinder eigene Positionen und<br />

Körperhaltungen erfinden. Bei der Arbeit zu zweit formt ein Kind ein anderes zu einer Statue oder<br />

eines der Kinder nimmt eine Stellung ein; das zweite übernimmt sie. Bei der Arbeit zu dritt nimmt<br />

ein Kind eine Stellung ein, das zweite bringt das dritte in die selbe Position.<br />

Variante 2: Ein Kind bewegt sich in Zeitlupe. Ein zweites Kind macht alle Bewegungen wie ein<br />

Spiegel nach.<br />

Fledermausspiel<br />

Förderbereiche: Richtungs- und Distanzhören, Raumerfahrung, Eigenwahrnehmung, Sachwissen.<br />

Die Klasse stellt sich im Kreis auf; zwei Kinder befinden sich im Kreis drin. Dem einen dieser Kinder<br />

werden die Augen verbunden; dies ist die Fledermaus. Das andere Kind spielt den Nachtfalter,<br />

welcher von der Fledermaus gefangen werden muss. Die Fledermaus orientiert sich mit ihrem Sonarschrei-Echo-System:<br />

Sie ruft den Namen des Nachtfalters, dieser antwortet mit dem Namen der<br />

Fledermaus. So hört die Fledermaus, wo der Nachtfalter ist und kann ihn zu berühren versuchen.<br />

Körperlabyrinth<br />

Förderbereich: Raumerfahrung.<br />

Alle Kinder bis auf eines legen sich auf den Boden, jedes Kind fasst mit einer Hand eine andere<br />

Hand, einen Fuss, eine Schulter etc. So entsteht ein Labyrinth; das übrig gebliebene Kind muss<br />

sich darin orientieren. Es darf nur auf den freien Flächen gehen, also nicht über Körper, Arme und<br />

Beine hinweg steigen. Kontrollieren Sie, ob die Anzahl der Sackgassen und offenen Durchgänge<br />

dem Können des Kindes etwa angemessen ist. Falls nicht: Geben Sie den liegenden Kindern konkrete<br />

Hinweise, wo Sperren zu entfernen oder Lücken zu schliessen sind.<br />

Erweiterung 1: Legen Sie irgendwo im Labyrinth einen Gegenstand auf den Boden. Das übrig gebliebene<br />

Kind muss den Weg zu diesem finden.<br />

Erweiterung 2 (in einem hohen Raum oder im Freien): Das übrig gebliebene Kind muss im Labyrinth<br />

einen Ball finden. Sobald es ihn hat, wirft es ihn senkrecht in die Luft und ruft den Namen eines<br />

liegenden Kindes. Dieses muss den Ball fangen und versuchen, damit ein anderes Kind zu<br />

treffen. Die anderen Kinder versuchen, dies zu verhindern, indem sie rasch aufstehen und davonrennen.<br />

Diese Erweiterung bringt einen Wechsel zwischen Liegen und Bewegung.<br />

I - 31


Kapitel 4<br />

Wasser- oder Schneelabyrinth<br />

Förderbereich: Raumerfahrung.<br />

Mit Wasser lassen sich auf einem trockenen Teer- oder Asphaltplatz Spuren hinterlassen, zum<br />

Beispiel ein Labyrinth. Geben Sie jedem Kind eine Petflasche mit Wasser, und alle schütten das<br />

Wasser so aus, dass durch die Wasserspur Gänge und Sachkassen entstehen. Achten Sie darauf,<br />

dass das Labyrinth nicht zu feingliedrig ist, sonst ist die Fortsetzung schwierig. Die Kinder dürfen<br />

sich anschliessend nämlich nur auf den nassen Spuren bewegen. Zunächst bewegen und entdecken<br />

sie nach Lust und Laune, in einer zweiten Phase können Sie ein Fangis veranstalten.<br />

Variation bei entsprechender Schneedecke: Auch mit Spuren im Schnee lässt sich ein Labyrinth<br />

erschaffen.<br />

Glasxylophon<br />

Förderbereiche: auditive Wahrnehmung, Objekterfahrung, Kreativität.<br />

Stellen Sie den Kindern eine Reihe von Flaschen oder Trinkgläser zur Verfügung. Die Kinder füllen<br />

diese Behälter verschieden hoch mit Wasser. Entsprechend entstehen beim Anschlagen verschiedene<br />

Töne. Die Kinder versuchen, eine schöne Tonleiter zu erreichen, spielen damit Melodien oder<br />

bringen ihre eigenen Ideen ein, was sie mit dem Glasxylophon alles machen wollen. Zudem können<br />

sie auch der Frage nachgehen: Welche Gegenstände eignen sich zum Anschlagen, damit ein<br />

schöner Ton entsteht?<br />

Geräuschmemory<br />

Förderbereiche: auditive Wahrnehmung und Konzentration (Variante auch Figur-Hintergrund-<br />

Wahrnehmung und Richtungshören).<br />

Für das Geräuschememory benötigen Sie eine Reihe von kleinen, jeweils gleichen Behältern, z.B.<br />

leere Filmdöschen oder die gelben Innenbehälter aus Überraschungseiern. Füllen Sie in jeweils<br />

zwei dieselben Gegenstände oder Materialen, geeignet sind zum Beispiel Reis, halbe Korkzapfen,<br />

Reissnägel, Sand, Bohnen etc. Bereiten Sie die das Spiel gemeinsam mit den Kindern vor. Schon<br />

das ist sehr spannend und regt die Phantasie an.<br />

Die Behälter tönen beim Schütteln ganz unterschiedlich, aber jeweils zwei tönen gleich. Ziel des<br />

Spiel ist es wie beim Memory, die zwei zusammengehörenden zu finden.<br />

Variante: Geben Sie jedem Kind eines der Döschen. Die Kinder gehen durch den Raum, schütteln<br />

ihren Behälter und suchen das Kind, das das gleiche Geräusch macht.<br />

I - 32


Kapitel 4<br />

Geräusche-Parcours<br />

Förderbereiche: auditive Wahrnehmung und Konzentration, Richtungs- und Distanzhören.<br />

Die Klasse steht in einem grossen Kreis. Jedes Kind hat ein Instrument, zum Beispiel aus dem<br />

Orff-Instrumentarium. Ein Kind geht in die Mitte des Kreises und erhält die Augen verbunden. Nun<br />

erzeugt ein Kind mit seinem Instrument Töne, zum Beispiel schlägt es mit dem Tamburin einen einfachen,<br />

vorgegeben oder selbst gewählten Rhythmus. Das Kind in der Mitte geht auf die Tonquelle<br />

zu, bis es sie gefunden hat. Dann beginnt ein anderes Kind, Töne zu erzeugen, und das «blinde»<br />

Kind muss wiederum die Geräuschequelle finden (aus Ackermann 1993).<br />

Erschwerung: Die Aufgabe wird erschwert, wenn gleichzeitig mehrere Instrumente klingen. Das<br />

«blinde» Kind muss dann die Geräuschquelle, zu der es hin will, aus anderen Geräuschen heraushören<br />

(Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).<br />

Geräuschelandkarte<br />

Förderbereiche: auditive Wahrnehmung, Kreativität (Erweiterung auch Richtungshören).<br />

Diesen Vorschlag setzen Sie am besten im Freien um, und zwar an einem Ort, der von verschiedensten<br />

Geräuschen aus nah und ferner «belebt» wird. Die Kinder erhalten ein Blatt Papier und einen<br />

Stift. Sie setzen sich alleine an einen Platz, an dem sie sich wohl führen. Über eine bestimmte<br />

Zeit (z.B. 10 Minuten) konzentrieren sie sich auf die Geräusche und machen eine Zeichnung zu<br />

dem, was ihnen dazu einfällt. Das kann, muss aber nicht unbedingt die Geräuschquelle selber sein.<br />

Vielleicht gelingt es auch, den Charakter eines Geräusches zeichnerisch auszudrücken: ein Heulton<br />

zum Beispiel als Wellenlinie, Hammerschläge als Tupfen oder ein plätschernder Bach als eine<br />

endlose Linie, die ständig ihre Richtung ändert.<br />

Erweiterung: Anstatt auf ein Blatt Papier zeichnen die Kinder auf einen Ballon: Sie denken sich im<br />

Zentrum des Ballons, mit dem Ort der Zeichnung kennzeichnen sie die Richtung, aus welcher das<br />

Geräusch kommt.<br />

Geisterbahn<br />

Förderbereiche: auditive und taktile Wahrnehmung, Körperwahrnehmung und Gleichgewicht je<br />

nach Umsetzung.<br />

In einem dunklen Raum richten die Kinder einen Parcours ein, der verschiedenste überraschende<br />

Erlebnisse mit sich bringt. Der Phantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Die meisten Erfindungen<br />

der Kinder sind aber harmlos, zum Beispiel: ungewohnte Geräusche, sich auf eine Bürste setzen,<br />

die Hand in eine Flüssigkeit eintauchen, durch einen Vorhang von herabhängenden Papierstreifen<br />

gehen. Wer den Parcours durchläuft, erhält die Augen verbunden und wird von einem anderen<br />

Kind geführt.<br />

Aus der Sicht der Wahrnehmungsförderung ist die Geisterbahn interessant, weil das Sehen zugunsten<br />

von anderen Wahrnehmungsbereichen reduziert oder aufgegeben wird. Hören und Spüren<br />

stehen im Vordergrund. Die einzelnen Stationen müssen dabei nicht besonders originell sein. Der<br />

«Gruseleffekt» rührt vor allem daher, dass das Erlebte nicht sofort erkannt wird. Die Bezeichnung<br />

«Geisterbahn» steigert die Spannung zusätzlich. Nicht alle Kinder können sich aber so ohne weiteres<br />

darauf einlassen. Respektieren Sie die individuellen Grenzen.<br />

Eine Geisterbahn kann für die Kinder über längere Zeit interessant bleiben. Sie wird immer wieder<br />

von anderen Kindern umgestaltet und mit neuen Ideen ergänzt. Falls Sie also einmal einen Raum<br />

für eine Geisterbahn zur Verfügung stellen, überlassen Sie es am besten den Kindern, wie lange<br />

sie dabei bleiben wollen.<br />

I - 33


Kapitel 5<br />

5. Der Wald als Bewegungs- und Spielraum<br />

Der Wald bietet eine grosse Vielfalt an Formen, Gerüchen, Farben und Materialien. Es gibt tausend<br />

Dinge zu sehen, zu hören, zu entdecken und zu verändern. Es gibt Möglichkeiten zum Klettern und<br />

Balancieren, zum Springen und Hüpfen, zum Kriechen und Rollen, zum Bauen und Basteln. Der<br />

Wald hält somit vielfältige Möglichkeiten für Spiel, Bewegung, Entdeckungen und Sinneseindrücke<br />

bereit und lässt der kindlichen Phantasie, Kreativität und Eigenaktivität einen grossen Spielraum.<br />

Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Phantasie die Kinder schon nach kurzer Zeit entwickeln<br />

und wie wenig Anregungen sie von Erwachsenen brauchen, um im Wald in ein Spiel zu finden. Sie<br />

schaffen sich so ihre eigenen Übungssituationen für ihre Sinne, für ihre Motorik, für ihre Konzentration<br />

und für ihre sensorische Integration. Schon nur das Gehen auf unebenem Boden ist für gewisse<br />

Kinder eine Herausforderung, bei der sie aber rasch Fortschritte machen. Der Wald bietet darüber<br />

hinaus Gelegenheit für Ruhe und Musse, so dass das Kind die gewonnenen Eindrücke verarbeiten<br />

kann.<br />

Der Wald ist also eine hervorragende Umgebung, um die senso-motorische Entwicklung von Kindern<br />

zu <strong>fördern</strong> (vgl. Kapitel 1). Das folgende Kapitel möchte gluschtig darauf machen, mit der eigenen<br />

Kindergartengruppe oder Schulklasse wieder einmal in den Wald zu gehen oder – wenn Sie<br />

das bereits regelmässig tun – solche Ausflüge bewusst und gezielt für die Bewegungs- und Sinnesentwicklung<br />

zu nutzen. Sie finden einen Erfahrungsbericht, einige allgemeine Überlegungen<br />

sowie eine Reihe von praktischen Ideen zum Einsteigen.<br />

Der Wald als Wundertüte<br />

Im Wald entdecken Kinder oft spontan ihr eigenes Spiel. Der folgende Erfahrungsbericht einer Kindergärtnerin<br />

illustriert eine solche Situation:<br />

«Zwergenlandschaft» – Ein unvorhergesehenes Ereignis im Wald<br />

Ich habe am Vormittag mit den Kindern vereinbart, dass wir auf Kathrins Vorschlag hin am Nachmitag in<br />

den Wald gehen werden, um Schlüsselblumen zu suchen. Also spazieren wir zum Wald hinauf. Bald<br />

schon erreichen wir den Mordasini-Weiher, wo uns die ersten Guggublüemli entgegenlachen. Reto und<br />

Kathrin wissen, wo wir vielleicht eine Fuchshöhle sehen könnten. Sie hätten da auch schon einen grossen<br />

Fuchs mit Kindern, jungen Füchsen, angetroffen. Einmal, ganz früh am Morgen mit den Eltern. Kaum haben<br />

die anderen Kinder davon gehört, streben auch sie in den Wald. Aber schon nach wenigen Metern<br />

bleiben sie wie angewurzelt stehen. Was ist los? Ein Fuchs? – Nein, aber jetzt sehe ich es auch: Zwischen<br />

lichten Tannen breitet sich wunderschönes Moos in saftigem Grün aus. Ganz leise sagt Pascal<br />

Müller zu mir: «Gäll mer getrout sich fascht nöd druff z staa?» – Leyla hat sich hingekniet und streicht<br />

ganz sachte über ein Stück Moosteppich. Steffi macht die andern Kinder darauf aufmerksam, dass das<br />

Moos auch ganz verschieden aussieht. Aus einem Moosplatz wachsen lauter feine, zarte Stiele heraus.<br />

«S gseet uus wie Höörli, soo fiin», meint Denise und neigt sich so weit auf den Knien vor, bis sie mit der<br />

Wange über die Mooshärchen hinwegstreicheln kann. «Ganz, ganz chliini Zwèèrge, für die wärs richtig<br />

schwirig, da zwüschetdure z lauffe», meint sie. Alex sagt: «Für ganz chliini Zwèèrge wèèred die<br />

Moosstängeli wie für öis Böim.»<br />

Inzwischen haben sich die Kinder spontan meist in Zweiergruppen zusammengeschlossen und werkeln<br />

irgendwie im Moos herum. Ich trete zu Pascal Bader, der emsig Hölzchen zerbricht von ungefähr gleicher<br />

Länge und diese dann um eine Wurzelnische bei einem Holzstrunk einsteckt. Tanja hilft ihm «irgendwie»<br />

dabei. Im Moment steht sie auf und rennt weg. Bald kommt sie mit Rindenstückchen zurück. Pascal nickt:<br />

«Ja, die sind guet, chasch no es gröössers sueche, mer mached dänn no es Tach.» Jetzt wendet sich<br />

Tanja an mich: «Gseend Si, mir händ de Zwèèrge es Bettli gmacht und das isch s Sofa, aber mir mached<br />

no vil mee, gäll, Pascal!» Palcal bestätigt: «Ja, Teppich und da verusse mach ich ine no en Fuessballplatz.»<br />

Tanja staunt. Sie kann aber im Moment offensichtlich den Vorstellungen von Pascal nicht ganz<br />

folgen. Sie sind aber trotzdem beide dabei, in ihrem hohlen Baumstrunk von etwa 20cm Durchmessen eine<br />

Zwergenwohnung einzurichten und zu gestalten.<br />

I - 34


Kapitel 5<br />

Unmittelbar hinter mir kniet auch Lydia auf einem Moosplatz und häuft einen Berg aus Sägespänen zwischen<br />

austretenden Wurzeln an einen Tannenstamm. Woher sie diese nur hat? – Ah, jetzt steht sie auf,<br />

streift mich kurz mit einem Blick, aber nur ganz kurz und rennt dann zwischen Dornenranken und am Boden<br />

liegenden Ästen zu einem Holzhaufen. An ihren Bewegungen kann ich ablesen, dass sie irgendwas<br />

vor sich zusammenhäuft. Nach kurzem Zusammenpressen kommt sie mit einem Ballen Sägespänen wieder<br />

zurück und häuft sie auf den schon vorhandenen Berg. Mit den Händen streicht sie darüber, zieht etwas<br />

vom Material wieder weg, schichtet auf und wieder um. Irgend etwas bedeutet dieses Spiel für sie,<br />

ich selbst kann kaum etwas Konkretes erkennen, aber das Ganze scheint auch erst im Entstehen zu sein.<br />

Hie und da höre ich einzelne Kinder einander etwas zurufen. Dann wieder tönt es verzückt hinter einem<br />

Baum hervor: «Wie Hèèrzig!» – «Ou, das mach i au, wie häsch das gmacht?» – «Gisch mer au eine?» –<br />

«Ich ha nüt gfunde, käne.» – «Ich wäiss nöd wie.» – «Isch ja gliich!» – «Chum, tue s äifach drüber.» –<br />

«Ou, jetzt isch er inegheit!» – «Da chasch nöd dure.» – «Die tätets bewache.» – «Die wäred giftig, aber<br />

de Zwèèrge würds nüüt mache.» – «Gäll, die andere gseends nöd, die wèèred durchsichtig, nur mir<br />

gseends, will mir s usegfunde händ!» …<br />

Und ich? – Ich sitze auf einem Baumstrunk. Rund um mich herum wird eifrig und vertieft gespielt. Mir ist,<br />

als sei ich selbst in ein Zwergenland eingetaucht. Warum nur hört man niemanden streiten? Warum nur<br />

kommt kein Kind, um bei mir über irgend etwas oder jemanden zu klagen? Warum aber muss ich denn<br />

gar nichts helfen? Warum haben sie mir nicht sofort etwas zu zeigen? Warum fragt keines, ob ich etwas<br />

zu trinken hätte, oder wann wir wieder nach Hause gehen? Haben eigentlich alle ausnahmslos vergessen,<br />

dass wir Schlüsselblumen suchen und pflücken wollten? (Aus: Judith Unteregger-Mattenberger (1994):<br />

Eigenaktivität im Kindergarten. Zürich: Lehrmittelverlag.)<br />

In den Wald – wozu?<br />

Die Spiel-, Bewegungs- und Entdeckungsmöglichkeiten im Wald können Grund genug sein, um<br />

immer wieder einmal einen Spaziergang oder eine Exkursion zu wagen. Die Kinder erhalten so eine<br />

Abwechslung zum sonstigen Schul- oder Kindergartenalltag, sie erweitern ihre Spiel- und Erfahrungsmöglichkeiten.<br />

Der Wald lädt aber nicht nur zum freien Spielen und Entdecken ein. Er bietet<br />

sich auch an, um an konkreten Unterrichtszielen und Inhalten zu arbeiten:<br />

• Was liegt näher, als den Sachunterricht zum Thema Wald gleich an Ort und Stelle durchzuführen?<br />

So wird der Lerngegenstand konkret, fühl- und riechbar. Die Kinder können ihre eigenen<br />

Entdeckungen machen: ein Käfer, ein Moosbett, ein mächtiger Wurzelstock etc. Die freieren<br />

Aktivitäten der Kinder sind dabei mehr als nur eine nette Abwechslung zu den geführten Unterrichtsteilen.<br />

Bewegung und Spiel sind für Kinder die grundlegenden Mittel, um sich die Welt zu<br />

erschliessen und Wissen über sie zu erwerben.<br />

• Der Wald ist nicht nur der Wohnort von Hase, Reh und Fuchs; in der kindlichen Phantasie<br />

kommen Wölfe und Bären, Zwerge und Elfen hinzu. Diese Tiere und Gestalten kommen auch in<br />

vielen Märchen und Kindergeschichten vor. Auch hier ist es also nahe liegend, entsprechende<br />

Aktivitäten aus der Schul- oder Kindergartenstube in den Wald zu verlegen. Passende Geschichten<br />

regen dazu an, das Spiel im Wald zu erweitern und zu vertiefen. Umgekehrt ermöglichen<br />

die eigenen Walderfahrungen einen Zugang zu solchen Geschichten.<br />

• Auch Lernziele aus den Bereichen Bewegung und Sport oder Gestalten lassen sich im Wald<br />

verfolgen. Vielleicht braucht es etwas Phantasie und Mut, die wohlgeordneten und bekannten<br />

Geräte und Materialien aus Turnhalle und Klassenraum hinter sich zu lassen. Gerade die Unstrukturiertheit<br />

des Waldes ist für Kinder aber besonders einladend.<br />

Im kindlichen Spiel sind die Sinnes- und Sacherfahrung, die Phantasie und das Gestalten, das<br />

Spielen und Bewegen eng miteinander verwoben. Entsprechend lassen sich bestimmte Lernziele<br />

nicht isoliert verfolgen. Auch das braucht vielleicht etwas Mut. Für die kindliche Entwicklung ist das<br />

aber nichts als wertvoll (vgl. Kapitel 1), und die Kinder danken es mit der ihnen eigenen Begeisterung.<br />

I - 35


Kapitel 5<br />

Vom einmaligen Erlebnis zur Normalität<br />

In vielen Kindergärten sind Waldbesuche fest in den Alltag integriert. Eine Untersuchung der Kindergärten<br />

im Kanton Zürich hat etwa ergeben: Fast die Hälfte der befragten Kindergärtnerinnen<br />

geht mit ihren Klassen regelmässig in den Wald, etwa ein Viertel von ihnen wöchentlich. 75% der<br />

Eltern von Zürcher Kindergartenkindern befürworten regelmässige Ausflüge des Kindergartens in<br />

die Natur (Gugerli u.a. 2004).<br />

Aus Dänemark stammt die Idee, den Kindergarten nur noch im Wald stattfinden zu lassen. Auch in<br />

der Schweiz gibt es erste private und öffentliche Waldkindergärten (www.waldkindergarten.ch) und<br />

eine ganze Reihe von Waldkinderkrippen. Die Kinder sind bei jedem Wetter und bei jeder Jahreszeit<br />

draussen; bei ganz unmöglichen Wetterlagen steht allenfalls ein Bauwagen oder ein anderer<br />

Unterschlupf zur Verfügung.<br />

Bereits haben erste Studien die Eigenheiten des Waldkindergartens untersucht (Kiener 2003, Häfner<br />

2003, Lettieri 2002). Sie zeigen: Kinder aus Waldkindergärten machen mehr Fortschritte bei<br />

der Grobmotorik und der Kreativität als Kinder aus Regelkindergärten, in der ersten Klasse zeigen<br />

sie mehr Motivation, Ausdauer, Konzentration und Sozialverhalten und arbeiten besser am Unterricht<br />

mit. Bei der Feinmotorik sind sie dagegen gleich gut bis schwächer, vor allem wenn es um<br />

spezifische Fähigkeiten wie dem Hantieren mit Scheren oder Stiften geht. Es gibt deshalb unterschiedliche<br />

Meinungen darüber, ob der Waldkindergarten die Lehrplanvorgaben erfüllen kann (vgl.<br />

KgCH 2002). Peter Häfner (2003) plädiert deshalb dafür, die beiden Formen zu kombinieren.<br />

In den Wald – worauf es ankommt<br />

Wenn Sie regelmässig in den Wald gehen, ist die Wiederholung, das Vertraute für die Kinder sehr<br />

willkommen. Dazu gehört eine bestimmte Reihenfolge der Aktivitäten, aber auch ein bestimmter<br />

Platz als Ausgangs- und Ruhepunkt. So können sich die Kinder rascher orientieren und in ihr Spiel<br />

finden. Vielleicht machen Sie diesen Platz gemeinsam mit den Kindern zu «Ihrem» Platz, indem sie<br />

ihn besonders kennzeichnen oder herrichten. So können sich die Kinder mit dem Platz, aber auch<br />

mit der Unternehmung an sich identifizieren. Sprechen Sie aber mit dem Waldbesitzer oder dem<br />

Förster, bevor Sie grössere Veränderungen vornehmen.<br />

Wald kann sehr weitläufig sein. Vielleicht wollen sich Kinder bei einem Versteckspiel besonders gut<br />

verstecken und entfernen sich weit von der Gruppe. Es macht deshalb Sinn, dass Sie den Raum<br />

eingrenzen: Erklären Sie den Kindern, wie weit sie sich im freien oder organisierten Spiel entfernen<br />

dürfen.<br />

Jeder Aufenthalt im Wald ist auch ein Eingriff in die natürlichen Abläufe. Wie viel Spiel, Gestaltung<br />

und Veränderung ist da überhaupt erlaubt? Wenn Kinder ihre eigenen Freiheiten geniessen, wenn<br />

sie spielen, herumrennen, gestalten und verändern, lässt sich eine Beeinträchtigung nicht verhindern.<br />

Eine Grenze liegt sicher da, wo das Spiel nicht mehr kreativ, konstruktiv und konzentriert ist,<br />

sondern ausartet, überbordet, zerstörerisch und aggressiv wird. Eine zweite Grenze liegt beim<br />

Wald selber: Meiden Sie insbesondere empfindliche Stellen wie Jungwuchs, Feuchtbiotope, Ameisenhaufen<br />

oder andere Aufenthaltsbereiche von Tieren.<br />

Wenn Kinder den Wald verändern oder gar beeinträchtigen, heisst das nicht, dass sie ihm nicht<br />

zugeneigt wären. Ganz im Gegenteil kann das Spiel im Wald zu Entdeckungen führen, die Staunen<br />

oder gar Ehrfurcht auslösen. Nutzen Sie zum Beispiel die unerwartete Entdeckung eines Käfers,<br />

um mit den Kindern zu staunen und sie zu bitten, ihn über die Beobachtung hinaus in Ruhe zu lassen.<br />

Wenn Kinder den Wald als vielfältigen und lustvollen Spielort kennen, lassen sie sich auch<br />

eher auf den Schutzgedanken ein.<br />

Achten Sie darauf, dass die Kinder gut ausgerüstet in den Wald mitkommen. Sie sollen sich ungezwungen<br />

und lustvoll bewegen können. Die Kleider und Schuhe müssen deshalb strapazierfähig<br />

sein, sie sollten dreckig werden dürfen, und je nach Witterung braucht es auch einen Schutz gegen<br />

I - 36


Kapitel 5<br />

Nässe. Zum Schutz vor Zecken und stechenden Insekten sind auch im Sommer lange Kleider<br />

empfehlenswert. Zur Ausrüstung gehört auch eine Notfallapotheke. Entsprechend ist es unumgänglich,<br />

die Eltern über die bevorstehenden Waldbesuche zu informieren.<br />

Das Gesagte sind nur einige allgemeine Grundsätze. Falls Sie regelmässig in den Wald gehen wollen,<br />

verlangt das eine relativ intensive Vorbereitung. In der Bücherliste finden Sie Empfehlungen,<br />

die bei der Vorbereitung hilfreich sind.<br />

Einige Ideen zum Einsteigen<br />

Die folgenden Ideen setzen quasi die Aktivitäten der Kapitel 2 bis 4 in einer anderen Umgebung<br />

fort. Auch hier geht es also um Grob- und Feinmotorik, um Raumerfahrung und um Sinneswahrnehmung.<br />

Wiederum sind zu Beginn jeder Idee die entsprechenden Förderbereiche benannt. Diese<br />

Angaben können aber nur ungefähre sein. Denn je nach dem, wie Sie eine Idee akzentuieren oder<br />

wie die Kinder auf einen Impuls einsteigen, können wieder ganz andere Förderbereiche angesprochen<br />

sein. Bei der Idee «Kunstweg» beispielsweise sind die Kinder frei, ein grosses oder ein kleines<br />

Objekt zu gestalten. Je nach Umsetzung kommen also eher grob- oder eher feinmotorische<br />

Aktivitäten zum Zug.<br />

Suchen und finden<br />

Förderbereiche: Objekterfahrung, visuelle Konzentration, Sachwissen etc. je nach Akzent.<br />

Sammeln Sie im Waldstück, in dem Sie sich mit den Kindern aufhalten, eine Reihe von Gegenständen,<br />

zum Beispiel Blätter, Ästchen, Steinchen oder Blüten. Legen Sie sie auf ein Tuch und zeigen<br />

Sie sie den Kindern. Die Kinder haben die Aufgabe, im betreffenden Waldstück die selben Gegenstände<br />

zu suchen und mitzubringen. Wenn die Kinder die Gegenstände im Kopf behalten können,<br />

können Sie sie zudecken; sonst lassen Sie sie sichtbar. Die Kinder müssen also mit offenen<br />

Augen durch den Wald gehen und entdecken dabei noch viel mehr als das, was Sie vorgegeben<br />

haben.<br />

Auf Ihr Signal kommen die Kinder wieder zu Ihnen. Nun werden Ihre und die Gegenstände der<br />

Kinder verglichen. Wer hat zum Beispiel auch ein Buchenblatt gefunden? Welches ist dem Original<br />

am ähnlichsten? Die Kinder können so feststellen, dass ein Blatt nicht einfach ein Blatt ist, sondern<br />

je nach Grösse, Farbe, Form oder Frassspuren ganz anders aussieht. Zum Schluss können alle<br />

Kinder gemeinsam die Gegenstände zu einem Mandala zusammenlegen.<br />

Die Spielidee lässt sich mit ganz verschiedenen Beobachtungs- oder Suchaufträgen ergänzen oder<br />

fortsetzen. Zum Beispiel suchen alle Kinder einen Ort oder einen Gegenstand, den sie den anderen<br />

zeigen möchten. Wer findet ein Ästchen, das wie ein Tier aussieht? Wer findet Spuren von einem<br />

Tier, zum Beispiel Frassspuren, Federn oder Fussabdrücke? Oder wer findet etwas Rundes,<br />

wer etwas Weiches, wer etwas Tönendes, wer etwas Wohlriechendes oder wer etwas Rotes? Im<br />

Herbstwald lassen sich ganze Farbkreise zusammenstellen. Entscheiden Sie dabei jeweils, ob die<br />

Gegenstände mitgebracht werden sollen oder an Ort und Stelle bleiben müssen.<br />

Suchaufträge können freiere Aktivitäten anregen, geführte Sequenzen ausschmücken oder auch<br />

für sich alleine viel Spass bereiten. Kinder lassen sich davon immer wieder begeistern. Gewöhnliche<br />

Spaziergänge werden so zu richtigen Forschungsexpeditionen. Ein attraktiver Suchauftrag<br />

kann unruhigen und leicht ablenkbaren Kindern helfen, die Energie und Aufmerksamkeit zu bündeln<br />

und längere Zeit bei der Sache zu bleiben. Auch ängstliche Kinder lassen sich durch Suchaufträge<br />

locken, vielleicht brauchen diese Kinder bei ihrer Suche auch zuerst einfühlsame Begleitung.<br />

Es ist dabei immer wahrscheinlich (und aus der Sicht der senso-motorischen Entwicklung auch erwünscht),<br />

dass die Kinder dank ihren Entdeckungen auf eigene Spielideen kommen. Wichtig ist bei<br />

jedem Suchauftrag, dass er erfolgreich sein kann. Füchse, Dachse oder Rehe lassen sich nur<br />

schwer finden; im Unspektakulären liegt dafür meist das grössere Phantasie- und Spielpotential.<br />

I - 37


Kapitel 5<br />

Der Nahgucker<br />

Förderbereich: Visuelle Konzentration.<br />

Im Freien übersehen wir oft vieles, zum Beispiel unscheinbare Lebewesen und unspektakuläre Ereignisse.<br />

Wenn wir den Blick begrenzen, lassen sich plötzlich viele spannende Entdeckungen machen.<br />

Der Nahgucker hilft, sich auf einen kleinen Ausschnitt der Welt zu konzentrieren.<br />

Der Nahgucker sieht aus wie ein Feldstecher, besteht aber aus zwei WC-Rollen, die mit Klebeband<br />

zusammengehalten werden. Jedes Kind bastelt sich einen Nahgucker und sucht sich im Wald einen<br />

Platz, den es beobachten möchte. Während 10 Minuten soll durch den Nahgucker immer der<br />

gleiche Flecken Natur betrachtet werden.<br />

Zurück in der Gruppe wird das Beobachtete gezeichnet, aufgeschrieben oder gegenseitig erzählt.<br />

Besondere Beobachtungen können in Gruppen wiederholt werden (aus Heck & Marti 2000).<br />

Buchstaben schreiben<br />

Förderbereiche: Objekterfahrung, Formerkennung.<br />

Der Wald bietet eine Vielfalt an Materialien zum Gestalten: Ästchen, Steine, Tannenzapfen, Moos,<br />

Früchte, Blätter und vieles mehr. Regen Sie die Kinder an, sich passendes Material zu suchen und<br />

damit einen vorgegebenen oder selbst gewählten Buchstaben oder sogar ein ganzes Wort zu<br />

«schreiben» (z.B. den eigenen Namen). Ästchen lassen sich gut für Linien verwenden, Buchnüsschen<br />

lassen sich zu Linien aneinander legen, Laub lässt sich zu Wällen aufschichten, wodurch meterlange<br />

Linien und somit Buchstaben entstehen. Seien Sie gespannt auf die Ideen Ihrer Klasse.<br />

Wer schafft es, einen ganzen Baum in die Gestaltung eines Buchstabens einzubeziehen?<br />

Variante: Die Kinder suchen im Wald nach Buchstaben, ohne selber etwas zu verändern oder zu<br />

gestalten, zum Beispiel eine Astgabel in Form eines Y, eine Eichel als O oder irgendwelche Buchstabenformen<br />

in einer strukturreichen Rinde.<br />

Hindernisparcours<br />

Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Grobmotorik.<br />

Anstatt in der Turnhalle lässt sich ein Hindernisparcours auch im Wald aufstellen. Die Kinder erfinden<br />

in Gruppen eigene Stationen: Sie legen Slalomrouten um Bäume fest, legen grössere Holzstücke<br />

als Hindernisse zurecht, bestimmen einen Baum als Ziel eines Tannzapfenwurfes oder binden<br />

einen Ast an zwei Bäumen so fest, dass man darüber springen oder unten durchkriechen muss.<br />

Sie dürfen gespannt sein auf die Kreativität Ihrer Klasse. Prüfen Sie die Erfindungen auf ihre Sicherheit.<br />

Schliesslich werden die einzelnen Stationen zu einem Parcours zusammengehängt und<br />

durchlaufen.<br />

I - 38


Kapitel 5<br />

Fotografieren<br />

Förderbereiche: taktile Wahrnehmung, Eigenwahrnehmung, Kooperation.<br />

Die Kinder bilden Zweiergruppen. In jeder Gruppe schliesst das eine Kind die Augen und wird vom<br />

anderen geführt. Das führende Kind erlaubt dem blinden von Zeit zu Zeit, ganz kurz die Augen zu<br />

öffnen. Dafür richtet es den Körper und den Kopf des blinden Kindes auf eine Stelle aus, die es ihm<br />

zeigen will. Das blinde Kind spielt also quasi den Fotoapparat, mit dem bestimmte Stellen fotografiert<br />

werden. Nach ein paar Stationen wird gewechselt.<br />

Sowohl das bewusste Sehen als auch das bewusste Nicht-Sehen werden so angesprochen. Die<br />

«fotografierten» Stellen müssen gar nicht besonders spektakulär sein. Spannend an diesem Spiel<br />

ist, beim Augenöffnen Unerwartetes zu erblicken. Vielleicht kann auch Neues entdeckt werden. Übrigens<br />

wirkt der Überraschungseffekt nicht nur im Wald, sondern auch im (vermeintlich bekannten)<br />

Schulhaus. Mit dem Aspekt des Augenöffnens kann das Spiel auch am Morgen zum «Aufwachen»<br />

gespielt werden.<br />

Waldmusik<br />

Förderbereiche: Objekterfahrung, auditive Wahrnehmung, Kreativität.<br />

Mit Waldmaterial lassen sich in erster Linie Schlaginstrumente herstellen, also indem zwei Holzstücke<br />

aneinander geschlagen werden. Bis zum perfekten Klang stellen sich eine ganze Reihe von<br />

Fragen, zum Beispiel: Tönt grünes Holz anders als trockenes oder morsches? Tönen dicke Holzstücke<br />

anders als dünne, lange anders als kurze? Tönt Fichte anders als Buche? Tönen geschälte<br />

Stücke anders als solche mit Rinde? Wie und an welchen Stellen muss ein Stück Holz unterlegt<br />

werden, damit ein Klang entsteht?<br />

Dank einem Behelf aus dem Haushalt lässt sich ein Orchester mit Zupfinstrumenten ergänzen: Die<br />

Kinder sammeln gebogene Rindenstücke und Astgabeln und spannen damit dicke und dünne<br />

Gummibänder auf. Auch hier lässt sich mit der Spannung der Gummibänder experimentieren, um<br />

verschiedene Klänge – vielleicht eine ganze Tonleiter – zu finden.<br />

Kunstweg<br />

Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Objekterfahrung, visuelle Wahrnehmung.<br />

In kleinen Gruppen suchen sich die Kinder entlang eines festgelegten Weges ein Plätzchen. An<br />

diesem gestalten sie aus Waldmaterial ein kleines Kunstwerk. Es soll etwas sein, das man im Wald<br />

sonst nicht antrifft. Es ist den Kindern überlassen, ob sie etwas ganz Kleines, Verstecktes machen<br />

wollen oder etwas Grosses, Auffälliges.<br />

Anschliessend spazieren die Kinder in ihren Gruppen dem festgelegten Weg entlang und suchen<br />

die Kunstwerke der anderen. Gelingt es allen, die Werke der anderen zu entdecken?<br />

I - 39


Kapitel 5<br />

Laub fliegen lassen<br />

Förderbereiche: Objekterfahrung, Kooperation.<br />

Breiten Sie ein Tuch auf den Boden aus. Die Kinder legen einen Haufen Laub darauf. Nun fassen<br />

die Kinder – so viele, wie Platz finden – das Tuch dem Rand entlang und heben es vorsichtig hoch.<br />

Auf ein Kommando hin ziehen die Kinder am Tuch, so dass es sich streckt und das Laub in die<br />

Höhe geschleudert wird. Je nach Windverhältnissen und Trockenheit des Laubes fliegt es hoch,<br />

wird weg geweht oder landet – zumindest teilweise – wieder auf dem Tuch.<br />

Sehr wahrscheinlich entwickeln die Kinder mit dieser Erfahrung sehr rasch Ideen, wofür sich Laub<br />

sonst noch verwenden lässt.<br />

Rinden sind verschieden<br />

Förderbereiche: visuelle Konzentration, taktile Wahrnehmung, Sachwissen.<br />

Notieren Sie auf Zettel verschiedene mögliche Eigenschaften von Baumrinden, zum Beispiel trocken,<br />

feucht, glatt, rauh, ledrig, mosig, schuppig, längsrissig, querrissig, locker, weich, hart, kalt,<br />

warm, sich in Streifen ablösend, sich in Ringen ablösend etc. Es ist auch möglich, dass Sie die Zettel<br />

gemeinsam mit den Kindern vorbereiten oder ihnen in Gruppen die Aufgabe geben, eine Anzahl<br />

Zettel vorzubereiten.<br />

Die Kinder bilden Gruppen, und jede Gruppe erhält eine Anzahl der vorbereiteten Zettel. In einem<br />

bestimmten Waldabschnitt suchen sie nach Bäumen, deren Rinde die betreffende Eigenschaft<br />

aufweist. Der passende Ausdruck wird mit einer Stecknadel an den Baum geheftet. So entsteht ein<br />

grosses «Museum» mit lauter beschrifteten Bäumen. Anschliessend werden die Bäume der anderen<br />

Gruppen besichtigt (aus Anderegg Band 1).<br />

Fuchs und Mäuse<br />

Förderbereiche: Grobmotorik, Raumerfahrung.<br />

Kennzeichnen Sie in einem begrenzten Waldareal eine Anzahl Bäume mit farbigen Bändern – etwa<br />

halb so viele, wie die Gruppe Kinder aufweist. Die Bänder markieren die Mauselöcher. Ein Kind<br />

schlüpft in die Rolle des Fuchses. Die anderen sind Mäuse, die sich vor dem Fuchs in Sicherheit<br />

bringen müssen.<br />

Der Fuchs versucht also, die Mäuse durch Berühren zu fangen. Die Mäuse können sich in den<br />

Mauselöchern in Sicherheit bringen, indem sie einen der markierten Bäume mit den Armen umfassen.<br />

Doch es passt nur eine Maus ins jeweilige Loch. Kommt also eine Maus zu einem bereits besetzten<br />

Loch, wird die erste Maus vertrieben und muss sich nach einem neuen Loch umsehen.<br />

Wer berührt wird, wird selber zum Fuchs (aus Niederberger 1996).<br />

Geschichten erfinden<br />

Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Objekterfahrung.<br />

Teilen Sie die Klasse in Gruppen ein. Jede Gruppe erhält einige Gegenstände aus dem Wald, zum<br />

Beispiel Ästchen, Blätter oder Früchte. Jede Gruppe erfindet damit eine Geschichte. Sie können<br />

die Gegenstände als das einbauen, was sie sind, oder aus dem Tannenzapfen einen Zwerg und<br />

aus dem Moos ein Bettchen machen. Die Geschichten werden aufgeschrieben und/oder anschliessend<br />

den anderen erzählt.<br />

I - 40


Kapitel 6<br />

6. Innen- und Aussenraumgestaltung<br />

In Kapitel 1 war bereits einmal davon die Rede, welche Materialien und Geräte, welches Mobiliar<br />

und welche Raumgestaltung die Bewegungs-, Entdeckungs- und Spiellust von Kindern besonders<br />

anregen: Geeignet sind vor allem solche Sachen, die beeinflussbar und veränderbar sind und deren<br />

Sinn und Verwendungszweck nicht gänzlich vorbestimmt ist, die sowohl individuelle Beschäftigungen<br />

als auch gemeinsame Aktivitäten erlauben. So können die Kinder eigene Bedürfnisse, Interessen,<br />

Ideen und Vorstellungswelten einbringen; und es ergeben sich vielfältige und abwechslungsreiche<br />

Bewegungsmöglichkeiten. Materialien und Geräte sollten zudem anregend und herausfordernd,<br />

aber nicht überfordernd sein. Darüber hinaus braucht es genügend Raum, damit Kinder<br />

mit unterschiedlichen Bedürfnissen aneinander vorbei kommen.<br />

Diese allgemeinen Überlegungen werden in diesem Kapitel im Bezug auf die Innen- und Aussenraumgestaltung<br />

im Kindergarten und in der Schule fortgesetzt:<br />

• Im Kindergartenalltag gibt es viele Gelegenheiten, im freien Spiel oder mit geführten Aktivitäten<br />

aktiv und somit auch bewegt zu sein. Die Gestaltung und Ausstattung der Innen- und Aussenräume<br />

des Kindergartens bestimmen dabei mit, welche Möglichkeiten sich eröffnen und welche<br />

Aktivitäten sich also entfalten. Gerade die alltäglichen Bewegungsmöglichkeiten sind dabei für<br />

die senso-motorische Entwicklung von besonderer Bedeutung. Deshalb finden Sie in diesem<br />

Kapitel einige Ausführungen zur Gestaltung von Innen- und Aussenräumen des Kindergartens.<br />

• Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Gestaltung des Pausenplatzes in der Schule. Auch<br />

hier eröffnen sich Möglichkeiten für die senso-motorische Entwicklung von Kindern. Dazu finden<br />

Sie in diesem Kapitel einige Überlegungen und Anregungen. In den Klassenräumen kommt die<br />

senso-motorische Entwicklung etwa beim entdeckenden Lernen, in der Musik und in gestalterischen<br />

Fächern zum Zug; entsprechend ist auch hier eine reiche Ausstattung wünschenswert.<br />

Darüber hinaus geht es bei der Gestaltung von Klassenräumen unter dem Blickwinkel «Bewegung»<br />

um die Möglichkeit von bewegten Pausen (vgl. Kapitel 11), um die ergonomische Möblierung<br />

sowie allenfalls um die Bedürfnisse von Kindern mit Bewegungs-, Lern- und Arbeitsschwierigkeiten<br />

(vgl. Kapitel 12).<br />

Aussen- und Innenräume im Kindergarten<br />

Der erste Abschnitt in diesem Kapitel hat es bereits gesagt: Für die Bewegungsförderung in Kindergärten<br />

sind vor allem solche Gegenstände und Materialien wertvoll, die beeinflussbar und veränderbar<br />

sind und deren Sinn und Verwendungszweck nicht gänzlich vorbestimmt ist. Zum Beispiel<br />

bieten sich an: Joghurtbecher, Kartonrollen, Papierteller oder Zeitungen; Schachteln, Kisten, Büchsen<br />

oder Flaschen; Reifen, Seile, Luftballone oder Bälle; Tücher, Wolldecken, Netze oder Verkleidungsstücke;<br />

Schaumstoffwürfel, Kissen, Teppichreste oder Matratzen, Schläuche, Röhren, Fässer<br />

oder Autoreifen; Bretter, Rundhölzer, Harassen oder Fahr- und Rollgeräte; Knetmasse, Fingerfarben,<br />

Stifte und Papier.<br />

Geräte, Materialien und Gegenstände sind wichtig für vielseitige Bewegungserfahrungen von Kindern.<br />

Sie geben Impulse, regen die Neugierde und spielerische Aktivitäten an und sind die Basis<br />

für viele konkrete Bewegungs-, Sinnes-, Raum-, Objekt- und Formerfahrungen. Für Kinder ist es<br />

ausserordentlich spannend, den Sinn eines Gegenstandes selber zu erfinden, also zum Beispiel<br />

ein Tisch mit einem Tuch zu bedecken und so in eine Höhle zu verwandeln. Der Tisch kann aber<br />

auch als Berg dienen und das Tuch als Schutz gegen den in der Phantasie eisigen Wind auf der<br />

Bergspitze. Oder umgedreht wird der Tisch zum Schiff, und das Tuch wird zum Segel.<br />

I - 41


Kapitel 6<br />

Es braucht nicht unbedingt viel und auch nicht unbedingt ausgefallenes Material. Es braucht vor allem<br />

die Erlaubnis, die vorhandenen Möbel, Geräte, Gegenstände und Materialien auch unkonventionell<br />

nutzen zu dürfen, also eben zum Beispiel einen Tisch zu besteigen oder umzudrehen. Das<br />

selbe gilt auch für die verschiedenen Räume im Kindergarten, auch sie lassen sich über ihre festgelegte<br />

Funktion hinaus verwenden: Treppen zum Springen, ein Flur zum Hüpfen oder Pedalofahren,<br />

eine Garderobennische als Entspannungsinsel, der Putzschrank zum Verstecken etc.<br />

Dies bedeutet nicht, dass Sie die Zweckbestimmung eines Gegenstandes oder eines Raumes immer<br />

nur den Kindern überlassen müssen. Mit der Einrichtung und Gestaltung Ihres Kindergartens<br />

geben Sie den Kindern Anregungen, und Kinder mit verschiedenen Bedürfnissen finden je ihre eigenen<br />

Nischen. Aus dem Blickwinkel der senso-motorischen Entwicklung bieten sich zum Beispiel<br />

Orte zum Verkriechen und Verstecken oder eine Kletterecke mit Sprossenwand und Strickleiter an.<br />

Dabei bleibt es nach wie vor den Kindern überlassen, wie sie ihr Spiel definieren: Das Versteck<br />

kann zum Beispiel Iglu oder Bärenhöhle sein, die Strickleiter auf einem Piratenschiff oder an einem<br />

Berg hängen.<br />

Auch ist es nicht zwingend, dass Sie sämtliche Gegenstände permanent zur Verfügung haben oder<br />

Einrichtungen ständig belassen. Die Abwechslung hat für Kinder einen eigenen Reiz. Vielleicht haben<br />

Sie zum Beispiel grössere Kartonkisten nicht ständig auf Lager, aber organisieren zu einer bestimmten<br />

Gelegenheit eine Anzahl davon und überlassen sie den Kindern zum Spiel – zum Stapeln,<br />

gemeinsam mit einem Rollbrett zum Transportieren, als Puppenstube oder bei ganz grossen<br />

Schachteln auch zum Verstecken oder zum hinein Sitzen als Auto. Nach geraumer Zeit sind die<br />

Schachteln dann so verschlissen, dass sie auseinandergenommen noch als Zeichnungsunterlagen<br />

dienen können. Dafür wenden sich die Kinder wieder anderen Materialien und Spielen zu.<br />

Die Kinder können von einem Zuviel an Material auch überfordert sein, vor allem wenn sie die<br />

Möglichkeiten der einzelnen Gegenstände noch wenig entdeckt haben. Es kann sich also lohnen,<br />

verschiedene Materialien an Lager, aber für die Kinder nicht sichtbar zu haben. Haben die Kinder<br />

schon verschiedene Geräte kennengelernt und möchten etwas bestimmtes in ihr Spiel einbeziehen,<br />

dürfen Sie bei Ihnen danach fragen. So können Sie die situativen Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen.<br />

Zum Beispiel bringen Sie vielleicht einmal einen Sack Luftballone mit und entdecken<br />

gemeinsam mit den Kindern, was sich damit alles spielen lässt. Anschliessend werden die Ballone<br />

noch eine Zeit lang aktuell bleiben, die Kinder werden gewisse Spiele wiederholen und neue Spielvarianten<br />

entdecken. Mit der Zeit stehen die Ballone nicht mehr so exklusiv im Vordergrund, werden<br />

von den Kindern aber selbstverständlicher in ihr Spiel einbezogen und können deshalb jederzeit<br />

wieder nachgefragt werden.<br />

Installationen bringen Abwechslung<br />

Abwechslung in den Kindergartenalltag und viel Anregung für die senso-motorische Förderung<br />

bringen auch Installationen im Innen- oder Aussenraum, die Sie eine gewisse Zeit belassen, dann<br />

aber auch wieder entfernen, zum Beispiel (aus Zimmer 1997):<br />

• Der Sinnespfad: Eine Reihe von flachen Behältern (z.B. Kartons, Becken) wird hintereinander<br />

gelegt und mit je einem Material gefüllt (z.B. Sand, Sägespäne, Blätter, Stroh, Watte, Murmeln,<br />

Stoffe, Kiesel). Die Kinder schreiten mit nackten Füssen, mit offenen oder verbundenen Augen<br />

über den Pfad, nehmen die verschiedenen Materialien mit den Füssen wahr und versuchen allenfalls<br />

zu erraten, was sie spüren.<br />

• Die Tastsammlung: Ganz ähnlich lässt sich eine Anzahl von Stoffsäckchen mit Gegenständen<br />

füllen, zum Beispiel Schnur, Holzklötze, Wäscheklammern, Kichererbsen oder Eicheln. Die<br />

Säckchen werden im Zimmer aufgehängt. Die Kinder versuchen, durch Tasten zu erraten, was<br />

darin versteckt ist.<br />

• Spiegelfolie: Spiegelfolie lässt sich auf den Boden oder an die Unterseite einer Tischplatte kleben,<br />

so dass sich die Kinder aus ganz ungewohnter Perspektive selber betrachten können.<br />

I - 42


Kapitel 6<br />

• Reifen mit Chiffontüchern: Die Chiffontücher werden an den Reifen geknotet; der Reifen mit<br />

Bändern oder einer Schnur an der Decke befestigt (Bild). Die Tücher bewegen sich bei leichten<br />

Luftzügen; die Kinder berühren die Tücher, stellen sich unter den Reifen und lassen die Tücher<br />

übers Gesicht streichen. Besonders spannend ist es für die Kinder, wenn Sie unter den Reifen<br />

eine drehbare Scheibe (Varussell) stellen. Die Kinder können so während der Drehung gemütlich<br />

sitzen und die Tücher erfühlen oder auch den Reifen in Drehung versetzen.<br />

• Vorhänge mit Klangkörpern oder Tasterlebnissen: Gemeint ist nicht ein geschlossener Vorhang,<br />

sondern eine Anzahl neben einander hängender Schnüre. Befestigen Sie an diesen<br />

Schnüren Gegenstände, zum Beispiel Glöckchen, Kronenkorken, Korkzapfen, Wäscheklammern,<br />

Stoffstücke, Wollfäden oder Plastikplättchen. Die Kinder berühren die Gegenstände mit<br />

den Händen oder dem Gesicht und nehmen dabei die taktilen Reize wahr oder bringen den<br />

Vorhang zum Klingen. Ein solcher Vorhang lässt sich auch als Raumteiler einsetzen.<br />

• Tockenplanschbecken: Mit einem Planschbecken wissen die Kinder sofort etwas anzufangen:<br />

Sie tummeln sich darin. Als Trockenmaterial zum Füllen gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten,<br />

zum Beispiel Stroh, Kastanien, Eicheln oder Kirschsteine. Je nach gewähltem Material<br />

müssen sich die Kinder intensiv beteiligen, um das Becken zu füllen. Durch den intensiven Kontakt<br />

mit dem Material kommen die Kinder bestimmt auf viele weitere Ideen, was damit sonst<br />

noch alles zu spielen ist.<br />

Die Kinder besuchen die Installationen im geführten oder freien Spiel. Bestimmt helfen sie bei der<br />

Umsetzung der Ideen begeistert mit. So wird schon das Gestalten, und nicht erst das nachfolgende<br />

Spiel zum Sinneserlebnis. Mit solchen Erlebnissen machen die Kinder die Erfahrung: Der Kindergartenraum<br />

ist nicht fertig gestaltet; wir dürfen eigene Ideen einbringen und unsere Spielumgebung<br />

verändern und mitgestalten. Die Kinder lernen so, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, einzubringen<br />

und Verantwortung für ihr eigenes Spiel zu übernehmen. Sie werden sich intensiver mit dem<br />

Raum identifizieren und lieber darin spielen, wenn sie ihn ein Stück weit als «ihren» Raum empfinden.<br />

Damit ist auch die Hoffnung verbunden, dass sie sorgsamer mit den Gegenständen und Materialien<br />

umgehen.<br />

I - 43


Kapitel 6<br />

Die Aussenräume des Kindergartens<br />

Das bisher Gesagte bezieht sich vor allem auf den Innenraum des Kindergartens, auch wenn sich<br />

einige der genannten Materialien wie zum Beispiel die Bretter oder Autoreifen auch oder sogar<br />

besser im Freien verwenden lassen. Das Gesagte gilt jedoch grundsätzlich auch für den Aussenraum:<br />

Auch hier sind Geräte und Materialien gefragt, die in ihrem Verwendungszweck nicht endgültig<br />

vorbestimmt sind. Auch hier gilt es, bisher ungenutzte Räume mit etwas Phantasie zu erobern.<br />

Auch hier bringen temporäre Installationen Abwechslung. Auch hier benötigen die Kinder über die<br />

materiale Ausstattung hinaus die Erlaubnis, ihrem Spiel- und Bewegungstrieb freien Lauf zu lassen.<br />

Mobile Geräte wie Kisten, Bretter oder Rollbretter bringen es zwar mit sich, dass sie jeweils aufgeräumt<br />

und irgendwo gelagert werden müssen. Die Spielmöglichkeiten erweitern sich dadurch aber<br />

derart, dass sich der Aufwand auf jeden Fall lohnt.<br />

Über diese allgemeinen Feststellungen hinaus empfehlen sich dieselben Überlegungen, die im<br />

nächsten Abschnitt für den schulischen Pausenplatz gemacht werden. Deshalb wird an dieser Stelle<br />

nicht mehr spezifisch auf den Aussenraum von Kindergärten eingegangen. Nur das Resultat einer<br />

wissenschaftlichen Studie sei an dieser Stelle noch erwähnt:<br />

In einer norwegischen Studie zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Umgebungsgestaltung<br />

eines Kindergartens und den Bewegungsfähigkeiten der Kinder. 5- bis 7-Jährige, deren Kindergarten<br />

eine natürliche, abwechslungsreiche und gestaltbare Umgebung mit Bäumen und Felsen zum Klettern,<br />

Balancieren und Herunterrutschen aufwies, zeigten eine eindeutig bessere körperliche Leistungsfähigkeit<br />

(insbesondere ein besseres Gleichgewicht) als Kinder eines Kindergartens ohne diese Angebote (Zahner<br />

2004).<br />

Der Pausenplatz als Bewegungsraum<br />

Auch wenn die Pausen im Vergleich zum ganzen Schulmorgen wenig Zeit einnehmen: Für die Kinder<br />

und Jugendlichen sind sie wichtig. Entsprechend werden die Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten<br />

intensiv genutzt – mindestens auf jenen Schulhausplätzen, auf denen dies möglich ist. Entsprechend<br />

tragen Pausenaktivitäten dazu bei, die senso-motorische Entwicklung von Kindern zu<br />

<strong>fördern</strong>, sie dienen der Erholung von der Denkarbeit und unterstützen die Konzentration (vgl. auch<br />

Kapitel 11).<br />

Auf nicht wenigen Pausenplätzen gibt es zum Beispiel eine Kiste mit Bewegungsspielen und -geräten<br />

wie zum Beispiel Bälle und Springseile, Reifen und Stelzen, Jonglierobjekte und Diabolos,<br />

Rollbretter und Pedalos oder auch einmal mit einem Einrad oder einem Schwungtuch. Die Kinder<br />

bedienen sich selber aus der Kiste und sorgen nach der Pause wieder für Ordnung.<br />

I - 44


Kapitel 6<br />

Auch Grossgeräte zum Schaukeln, Klettern, Balancieren, Drehen oder Rutschen laden natürlich<br />

zum Bewegen ein. Je nach Ausführung sind der Aufforderungscharakter und die Variationsmöglichkeiten<br />

jedoch sehr unterschiedlich. Nicht alle Grossgeräte sind für Kinder also gleich anregend<br />

und herausfordernd. Zudem sind sie in der Anschaffung in der Regel teuer. Es kann sich also lohnen,<br />

sich nach Gestaltungselementen umzusehen, die nicht alleine der Bewegung dienen und dafür<br />

einen umso höheren Aufforderungscharakter und breitere Variationsmöglichkeiten haben. Die<br />

Beispiele aus dem Wald (vgl. Kapitel 5) zeigen, dass gerade solche Elemente die Kinder sehr stark<br />

zum Spielen, Erfinden und Bewegen anregen.<br />

Auf einem Pausenplatz sind das zum Beispiel folgende Gestaltungselemente: Wege, Bodenerhebungen<br />

(Hügel, Steine, Bänke, Baumstämme etc.), Mulden und Senken, Blickfänge und Klangobjekte,<br />

Ziele zum Treffen (Körbe, Netze, Tore, Stangen etc.), Möglichkeiten zum Verstecken (Büsche,<br />

Bäume, Weidenhäuser etc.) sowie alles, was sich in Bewegung, Drehung oder Schwingung<br />

versetzen lässt. Bewegliche Elemente wie Kies, Sand, Harrassen, Bretter, Rundhölzer, Röhren,<br />

Fässer oder eine Wasserstelle laden zum Gestalten und Experimentieren ein.<br />

Gestaltungselemente können zudem dazu dienen, Räume zu unterteilen. So können verschiedene<br />

Gruppen verschiedenen Beschäftigungen nachgehen. Die verschiedenen Bereiche können sehr<br />

unterschiedlich gross sein. Die Begrenzungselemente müssen nicht undurchdringlich sein. Im Gegenteil:<br />

Niveauunterschiede (z.B. Treppenstufen), Belagwechsel (z.B. vom Kiesplatz zu Holzschnitzel)<br />

oder Barrieren (Büsche, Steine, Bänke etc.) sorgen für eine dezente Gliederung und<br />

schaffen ihrerseits Spielanregungen. So dient ein bestimmtes Gestaltungselement verschiedenen<br />

Zwecken: Es kann sich ein Spiel rund um ein Element entfalten, oder zwei verschiedene Aktivitäten<br />

dies- und jenseits eines Elements.<br />

Begegnung und friedliches Miteinander<br />

Eine solche Gestaltung kommt zudem einem weiteren Bedürfnis von Kindern und Jugendlichen<br />

entgegen: der Begegnung. In der Pause finden sich die Schülerinnen und Schüler vorwiegend in<br />

Kleingruppen. Der Pausenplatz kommt dem entgegen, wenn er zahlreiche Anhalts-Punkte wie Nischen<br />

oder Sitzgelegenheiten bietet: Treppenstufen, Mauerabsätze, Arenen, grosse Steine, Bänke<br />

etc. Günstig ist eine kommunikative Anordnung im Winkel anstelle der linearen Aufreihung. Auch<br />

diese Elemente dienen nicht nur dem Sitzen und der Begegnung, sondern können zu anderen<br />

Zeitpunkten zum Bewegen und Spielen einladen oder eben als Raumbegrenzung dienen.<br />

Und noch einem weiteren Anliegen der Schule sowie der Kinder und Jugendlichen kommt eine solche<br />

Gestaltung entgegen: dem friedlichen Nebeneinander. Schülerinnen und Schüler fühlen sich<br />

auf dem Pausenplatz unwohl, wenn sie für ihre Bedürfnisse keine Befriedigung finden oder gar<br />

Angst haben müssen – zum Beispiel wenn Kinder buchstäblich an den Rand gedrängt werden, weil<br />

ein paar laute und kräftige Schüler das gesamte Areal in Beschlag nehmen. Das kann vor allem<br />

dann passieren, wenn der Pausenplatz eine einzige ungegliederte Fläche ist. Die Orte für ruhigere<br />

Tätigkeiten fehlen, verschiedene Gruppen mit verschiedenen Bedürfnissen kommen sich unvermittelt<br />

ins Gehege, und das ungezielte Umherrennen provoziert Zusammenstösse und Unfälle.<br />

Für eine vielfältige und anregende Gestaltung kann es nötig und hilfreich sein, bisher nicht genutzte<br />

Flächen zu erschiessen: Gewisse Flächen darf man vielleicht nicht betreten, oder sie sind mit<br />

bodenbedeckenden Sträuchern bepflanzt. Dies verunmöglicht eine sinnvolle Nutzung. Hier lässt<br />

sich «Land gewinnen».<br />

Regeln und Abmachungen<br />

Neben der Gestaltung ist auch an die Regeln zu denken: Gewisse Regelungen hemmen, andere<br />

<strong>fördern</strong> den Bewegungs-, Spiel- und Entdeckungstrieb von Kindern. Zu denken ist dabei zum Beispiel<br />

an den Ordnungssinn von Erwachsenen. Eine gepflegte Umgebung kann Kindern Sicherheit<br />

vermitteln und so deren Spiel <strong>fördern</strong>. Wo eine Umgebung aber als steril empfunden wird, ist sie<br />

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Kapitel 6<br />

eher hemmend. Kinder wollen zum Beispiel Spuren hinterlassen. Gewisse Spiele setzen zum Beispiel<br />

dort ein, wo Spielspuren des Vortages noch sichtbar sind und als Impuls wirken.<br />

Im Interesse der Bewegungsförderung kann es sich so lohnen, die geltenden Regelungen zu überprüfen<br />

und allenfalls anzupassen. Weiter kann es sich lohnen, die Kinder bei der Erarbeitung von<br />

Regelungen einzubeziehen. Denn sie haben ihre eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen und<br />

können so mit-beurteilen, welche Regelungen notwendig und sinnvoll sind. Eine reizvolle Ergänzung<br />

zu einer allfälligen Verbots-Liste ist übrigens eine Erlaubt-Liste. Sie wird von den Kindern mitgestaltet<br />

und kann in ständiger Wandlung sein, so dass sie immer neue Ideen und Anregungen<br />

vermittelt. Die Kinder freuen sich in der Regel darüber, wenn sie eigene Ideen für die Liste beisteuern<br />

dürfen. So übertragen Sie den Schülerinnen und Schülern Verantwortung für «ihren» Pausenplatz.<br />

Das selbe gilt auch für die Verwaltung einer allfälligen Spielekiste (siehe oben). Die Kinder sollen<br />

lernen, selber Verantwortung für die Ordnung zu übernehmen. Falls das individuell nicht klappt,<br />

können Sie die «Verwaltung» der Geräte einer Klasse übertragen.<br />

Mit einer anregenden Gestaltung des Pausenplatzes ist auch die Hoffnung verbunden, dass die<br />

Schülerinnen und Schüler ihren natürlichen Bedürfnissen wie zum Beispiel Bewegung und Spiel,<br />

Begegnung und friedlichem Miteinander so weit Nahrung geben können, dass sie weniger stören,<br />

beschädigen oder über die Stränge hauen müssen. Dadurch erübrigen sich auch gewisse Verbote<br />

und Gebote, die auf einem althergebrachten Pausenplatz vielleicht nötig erschienen.<br />

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