sensomotorische Entwicklungen fördern
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Teil I:<br />
Die senso-motorische Entwicklung von<br />
Kindern <strong>fördern</strong><br />
Was macht gute<br />
Bewegungsförderung<br />
aus?<br />
Grobmotorik<br />
Fein-, Handund<br />
Grafomotorik<br />
Sinneswahrnehmung<br />
und<br />
Raumerfahrung<br />
Der Wald als<br />
Bewegungsund<br />
Spielraum<br />
Innen- und<br />
Aussenraumgestaltung<br />
Die gezielte Förderung der senso-motorischen Entwicklung ist auch noch im Kindergarten und in<br />
der Schule möglich. Ein überdurchschnittliches Bewegungsangebot fördert die motorische Entwicklung<br />
überdurchschnittlich. Kinder mit geringer motorischer Leistungsfähigkeit machen bei einem<br />
Bewegungsprogramm grössere Fortschritte. Diese Erkenntnisse sind der Ausgangspunkt für den<br />
Teil I dieser Unterlagen:<br />
In Kapitel 1 finden Sie einige grundsätzliche Überlegungen zur Frage, was eine gute Bewegungsförderung<br />
im Kindergarten und in der Schule ausmacht. Neben allgemeinen Rahmenbedingungen<br />
stellt das Kapitel den Ansatz der situationsorientierten Bewegungsförderung vor, es illustriert, wie<br />
auch und gerade mit Alltagsgegenständen lustvolle Bewegungsförderung möglich ist, es zeigt, was<br />
beim Einsatz von konkreten Spielen und Übungen zu beachten ist und listet zum Schluss die Förderbereiche<br />
der senso-motorischen Entwicklung auf.<br />
In Kapitel 2 finden Sie einige Ansätze und Praxisbeispiele aus dem Bereich der Grobmotorik, die<br />
die Grundgedanken aus dem Kapitel 1 aufnehmen, fortführen, vertiefen und illustrieren. Neben der<br />
Vermittlung von praktischen Ideen verfolgt dieses Kapitel noch ein ganz anderes Ziel: Es will Ihre<br />
Aufmerksamkeit stärken für die Förderbereiche, die mit Bewegungsaktivitäten verknüpft sind.<br />
Für schulische Leistungen sind insbesondere die Grafomotorik für das Schreiben und die Mundmotorik<br />
für das Sprechen wichtig. Das Kapitel 3 bezieht sich deshalb auf diese beiden Bereiche<br />
und zeigt mit verschiedenen Beispielen, wie sich Hand-, Grafo- und Mundmotorik spielerisch <strong>fördern</strong><br />
lassen.<br />
In der Praxis gehen Sinneswahrnehmung und Raumerfahrung wie auch die Grob- und Feinmotorik<br />
Hand in Hand. Im Kapitel 4 finden Sie vor allem Vorschläge, die die Raumerfahrung und Sinneswahrnehmung<br />
ausdrücklicher in den Vordergrund stellen als jene in den Kapiteln 2 und 3.<br />
Der Wald ist eine hervorragende Umgebung, um die senso-motorische Entwicklung von Kindern<br />
zu <strong>fördern</strong>. Das Kapitel 5 möchte gluschtig darauf machen, mit der eigenen Kindergartengruppe<br />
oder Schulklasse wieder einmal in den Wald zu gehen oder – wenn Sie das bereits regelmässig<br />
tun – solche Ausflüge bewusst und gezielt für die Bewegungs- und Sinnesentwicklung zu nutzen.<br />
Sie finden einen Erfahrungsbericht, einige allgemeine Überlegungen sowie eine Reihe von praktischen<br />
Ideen zum Einsteigen.<br />
Die Gestaltung und Ausstattung der Innen- und Aussenräume des Kindergartens bestimmen mit,<br />
welche Bewegungsmöglichkeiten sich eröffnen und welche Aktivitäten sich also entfalten können.<br />
Gerade die alltäglichen Bewegungsmöglichkeiten sind dabei für die senso-motorische Entwicklung<br />
von besonderer Bedeutung. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Gestaltung des Pausenplatzes<br />
in der Schule. Deshalb finden Sie in Kapitel 6 einige Ausführungen zur Gestaltung von<br />
Innen- und Aussenräumen des Kindergartens und der Schule.<br />
I - 1
Kapitel 1<br />
1. Was macht gute Bewegungsförderung aus?<br />
Das Grundlagenkapitel hat deutlich gemacht: Bewegung bietet vielfältige Möglichkeiten, um die<br />
Entwicklung von Kindern in vielerlei Hinsicht zu <strong>fördern</strong>. Nicht jede Bewegungsaktivität ist aber<br />
gleich gut dafür geeignet. Es geht nicht um ein möglichst hohes Mass an sportlicher Betätigung.<br />
Denn wesentliche Lernerfahrungen liegen nicht nur bei der motorischen Entwicklung. Es geht auch<br />
um Wissen und Raumerfahrung, um Kreativität und Problemlösefähigkeit, um Selbst- und Fremdwahrnehmung,<br />
um Sinnesschulung und sensorische Integration. Und nicht zuletzt soll auch die<br />
Freude an der Sache nicht nur ein Motor, sondern auch ein erstrebenswertes Ziel des Sich-Bewegens<br />
sein.<br />
Bewegung ist daher nicht nur Selbstzweck, sondern auch Ausgangspunkt und Mittel, um damit die<br />
ganze Person zu erreichen. Deshalb gilt es, bestimmte Rahmenbedingungen zu beachten. Welche<br />
Bewegungsformen und welche Rahmenbedingungen sind also wünschenswert oder gar unabdingbar,<br />
um die gewünschten Lernerfahrungen zu ermöglichen? Das folgende Kapitel geht dieser Frage<br />
nach (vgl. Zimmer 1995a, 1996a,b; Heimberg 1994):<br />
• Es stellt Rahmenbedingungen guter Bewegungsförderung vor.<br />
• Es macht sich Gedanken zu den Grenzen des freien Spiels.<br />
• Es präsentiert den Ansatz der situationsorientierten Bewegungsförderung.<br />
• Es illustriert, wie auch und gerade mit Alltagsgegenständen lustvolle Bewegungsförderung<br />
möglich ist.<br />
• Es zeigt, was beim Einsatz von konkreten Spielen und Übungen zu beachten ist.<br />
• Es listet zum Schluss die Förderbereiche der senso-motorischen Entwicklung auf.<br />
Die Kapitel 2 bis 5 führen diese Grundgedanken mit konkreten methodischen Vorschlägen und im<br />
Hinblick auf verschiedene Förderbereiche fort.<br />
Rahmenbedingungen guter Bewegungsförderung<br />
Der Schlüssel für die angemessene Art von Bewegung ist der kindliche Spiel-, Bewegungs-, Entdeckungs-<br />
und Gestaltungstrieb. Bewegung muss man den Kindern nicht aufzwingen, es ist für sie<br />
ein Grundbedürfnis. Immer und immer wieder gehen Kinder mit Ausdauer und ohne Aufforderung<br />
an herausfordernde Bewegungsaufgaben heran: von den ersten Greifbewegungen des Kleinkindes<br />
und den ersten Schritten, über Balancieren und Klettern bis hin zum Radfahren oder dem Sprung<br />
vom Einmeterbrett ins kühle Nass. Voraussetzung ist, dass die Kinder eine herausfordernde Umgebung<br />
und genügend Zeit haben – und dass sie von den Erwachsenen nicht in ihrem Vorwärtsdrang<br />
gehindert werden. Etwas konkreter gesagt sind es folgende Rahmenbedingungen, die es<br />
Kindern erleichtern, ihrem Spiel- und Bewegungsdrang nachzugehen:<br />
• Die Kinder können eigene Bedürfnisse, Interessen, Ideen und Vorstellungswelten einbringen.<br />
So verleihen Kinder den eigenen Bewegungen oft einen Sinn, zum Beispiel kann sich ein<br />
rennendes Kind als Zug, als Pferd oder als Auto fühlen. Entsprechend dürfen sie mit Materialien<br />
und Geräten experimentieren, sie unerwarteten Zwecken zuführen und ihnen einen eigenen<br />
Sinn verleihen. So wird ein Seil vielleicht plötzlich zur Schlange oder ein Tisch zur Höhle. Dafür<br />
sind vor allem Materialien und Geräte geeignet, die beeinflussbar und veränderbar sind und deren<br />
Sinn und Verwendungszweck nicht gänzlich vorbestimmt ist, die sowohl individuelle Beschäftigungen<br />
als auch gemeinsame Aktivitäten erlauben.<br />
I - 2
Kapitel 1<br />
• Die Bewegungsmöglichkeiten sind vielfältig und abwechslungsreich. Kinder möchten zum<br />
Beispiel klettern, schaukeln, rutschen, springen, hüpfen, balancieren, bauen, sich verkriechen,<br />
ausruhen und noch viel mehr. Für jedes Bedürfnis gibt es natürlich spezifische Materialien und<br />
Geräte. Auch hier bieten sich aber Geräte und Materialien an, deren Zweck nicht gänzlich vorbestimmt<br />
ist. Darüber hinaus braucht es genügend Raum, damit sich Kinder mit unterschiedlichen<br />
Bedürfnissen aus dem Weg gehen können.<br />
• Die Kinder fühlen sich herausgefordert, aber nicht überfordert. Sie wissen selber, was sie<br />
reizt, was sie sich zutrauen und wann sie Hilfe brauchen. Materialien und Geräte müssen also<br />
anregend und herausfordernd sein. Sie müssen den Kindern aber auch ermöglichen, die Wirkungen<br />
des eigenen Handelns einschätzen und nachvollziehen zu können. Kinder mögen einerseits<br />
überraschende, unerwartete und unbekannte Situationen. Andererseits brauchen sie<br />
aber auch das Vertraute und Bekannte, das Sicherheit, Ordnung und Struktur vermittelt. Wiederholungen<br />
sind deshalb beliebt, oft sorgen die Kinder selber für Variationen und <strong>Entwicklungen</strong>.<br />
• Der Bewegungsdrang von Kindern verlangt zuweilen Gelassenheit und Vertrauen von Erwachsenen.<br />
Lustvolle Bewegung macht nicht selten Lärm, verursacht hin und wieder schmutzige<br />
oder nasse Kleider und bringt ab und zu eine Hautabschürfung mit sich. Mutigere Kinder<br />
brauchen den Freiraum, auch gewagtere Unternehmungen anzupacken, zum Beispiel bis in die<br />
oberen Äste eines Baumes zu klettern. Ängstlichere Kinder brauchen vielleicht zunächst einmal<br />
Zeit zum Beobachten, bevor sie eine angemessene Herausforderung für sich entdecken und<br />
anzugehen wagen. Vielleicht brauchen solche Kinder auch Unterstützung und Ermutigung von<br />
Erwachsenen. Mit Druck oder Zwang ist ihnen aber nicht geholfen. Kleine Fortschritte sind zwar<br />
schwierig zu beobachten, für den längerfristigen Erfolg aber unumgänglich.<br />
• Die Kinder dürfen spontan und auch mal impulsiv sein. Es ist ungünstig, wenn sie ihren Bewegungsdrang<br />
in Warteschlangen oder zu engen Räumen zügeln müssen und erst auf Kommando<br />
ausleben dürfen. Körper- und Bewegungserfahrung darf nicht auf eine ausdrücklich definierte<br />
Sportstunde oder auf andere festgelegte Zeiten beschränkt sein. Sie kann vielmehr zum<br />
festen Bestandteil des Alltags werden. Häufigere, wenn auch kürzere Bewegungszeiten wirken<br />
dabei besser auf die motorische Entwicklung als längere, dafür seltenere Abschnitte.<br />
Wichtig sind also Geräte und Materialien einerseits und die Begleitung durch die Erwachsenen andererseits.<br />
Die Einstellung der Erwachsenen ist dabei wichtiger als das Mobiliar. Mindestens hat<br />
das eine Untersuchung an Thüringer Kindergärten gezeigt (Prohl & Seewald 1998). Verglichen<br />
wurden dabei vier verschiedene Gruppen:<br />
Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4<br />
Form der Unterstützung<br />
Weiterbildung für<br />
Kindergärtnerin<br />
Material zur Verfügung<br />
gestellt<br />
Weiterbildung und<br />
Material<br />
Keine Unterstützung<br />
Wirkung auf die<br />
Kinder<br />
Verbesserung der<br />
Motorik u.a.<br />
Keine Veränderung Verbesserung der<br />
Motorik u.a.<br />
Keine Veränderung<br />
Entscheidend war in dieser Untersuchung also die Weiterbildung der Kindergärtnerinnen. Sie führte<br />
dazu, dass die Erzieherinnen viel weniger Vorgaben machten und seltener ins Geschehen eingriffen.<br />
Auch mit wenig oder wenig spezifischem Material lässt sich also etwas erreichen.<br />
Das freie Spiel hat Grenzen<br />
Mit diesen Rahmenbedingungen haben die Kinder sehr viele Freiheiten und eigene Entscheidungsmöglichkeiten.<br />
Es ist von Kind zu Kind, aber auch von Zeitpunkt zu Zeitpunkt sehr unterschiedlich,<br />
wie diese Freiheiten genutzt werden. Im freien Spielen, Bewegen, Entdecken und Gestalten<br />
kann das Kind so wichtige Entwicklungsschritte machen.<br />
I - 3
Kapitel 1<br />
Nicht immer aber ist es notwendig oder gar ratsam, die Kinder einfach sich selber und dem freien<br />
Spiel zu überlassen. Dafür gibt es verschiedene Gründe:<br />
• Wenn Sie die Kinder begleiten, unterstützen und eigene Ideen einbringen, signalisieren Sie<br />
damit Interesse, Anerkennung und Wertschätzung. Die Kinder fühlen sich in doppeltem Sinne<br />
sicher: Erstens sehen sie sich in ihrem Tun bestätigt. Zweitens können sie wo nötig Ihre Unterstützung<br />
anfordern.<br />
• Nicht alle Kinder wagen sich von sich aus an neue Herausforderungen heran und können auf<br />
eigene Faust Erfahrungen sammeln und auch verarbeiten. Meist meiden sie gerade jene Aktivitäten,<br />
die ihnen Schwierigkeiten bereiten und die sie deshalb besonders nötig hätten. Neben<br />
der persönlichen Vorerfahrung der betreffenden Kinder kann dabei auch die Gruppendynamik<br />
eine Rolle spielen. Also kann es hilfreich oder gar notwendig sein, dass Sie unterstützen, ermutigen,<br />
Angebote machen und die Gruppendynamik gestalten.<br />
• Es kann vorkommen, dass das freie Spiel überbordet, etwa wenn Kinder ihre Bewegungen ungenügend<br />
steuern können. Sie nehmen bestimmte Dinge in ihrer Umgebung nicht wahr oder<br />
können ihre Reaktionen nicht darauf abstimmen. So können sie ihr Handeln nicht der aktuellen<br />
Situation anpassen, sie schiessen über das Ziel hinaus und gefährden sich und andere.<br />
• Mit gezielten Impulsen und Aufgaben gewinnen Kinder – nicht nur die ängstlichen – neue Erfahrungen.<br />
Sie übertragen ihre bisherigen Erfahrungen auf neue Situationen, sie erweitern ihre<br />
Bewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit und damit auch ihr Ideen- und Handlungspotential.<br />
• Und schliesslich ergeben sich aus Ihren pädagogischen Zielen Gründe, um gewisse Bewegungsaktivitäten<br />
gezielt anzuregen oder zu lenken. Vielleicht kennen Sie beispielsweise die Situation,<br />
dass die Kinder am Montag Morgen auffallend unruhig oder gar aggressiv sind. So<br />
kann eine fest eingeplante Bewegungssequenz um diese Zeit sehr sinnvoll sein.<br />
Situationsorientierte Bewegungsförderung<br />
Die genannten Rahmenbedingungen lassen sich dabei auch in geplanten und angeleiteten Bewegungssequenzen<br />
umsetzen. Auch in geführten Sequenzen ist es wichtig, dass sich die Kinder herausgefordert,<br />
aber nicht überfordert fühlen. Auch hier ist es möglich, dass die Kinder Entscheidungsfreiheiten<br />
haben, ihre Phantasie einbringen und die Konsequenzen des eigenen Handelns<br />
erkennen können. Ein Beispiel mag diesen Anspruch verdeutlichen:<br />
Die Frage «Wer kann …?» scheint auf den ersten Blick ein Höchstmass an Motivation bei den Kindern zu<br />
erzeugen. Tatsächlich bewirkt die Frage eine Teilung der Gruppe in diejenigen, die die Aufgabe lösen –<br />
also zum Beispiel einen Ball fangen – können und diejenigen, die es (noch) nicht können. Die Frage zielt<br />
auf das Ergebnis, das erreicht werden soll. Kaum beachtet wird dagegen der Prozess, wie das Fangen<br />
zustande kommt. Es gibt eben viele Möglichkeiten, einen Ball hochzuwerfen, fallenzulassen und ihn dann<br />
erst aufzufangen, ihn mit dem Körper zu halten oder ihn frei in der Luft zu fangen, ihn über den Boden zu<br />
rollen und ihn dort mit den Händen aufzufangen. Die Aufgabe kann also auch folgendermassen formuliert<br />
werden: «Probiert einmal aus, wie man einen Ball fangen kann!». So ergeben sich für jedes Kind individuelle<br />
Lösungsmöglichkeiten. Die Situation bleibt offen für viele Erprobungen, für materiale Erfahrungen und<br />
sogar für das Zusammenspiel der Kinder. Gefragt ist nicht eine einzige, von der Erzieherin vorgegebene<br />
Bewegungsform (Zimmer 1996b, S. 160).<br />
Geführte Bewegungssequenzen zu planen und vorzubereiten, muss also nicht heissen, die Aktivitäten<br />
der Kinder von Anfang bis zum Ende zu bestimmen. Die situationsorientierten Bewegungsförderung<br />
baut auf eine offene Planung. Das heisst, die Planung ist nicht vor der Stunde<br />
abgeschlossen, sondern wird im Laufe der Durchführung ständig fortgesetzt. Genährt wird sie dabei<br />
vom Wechselspiel zwischen Ihren Wahrnehmungen und Zielen einerseits und den Bedürfnissen<br />
und Vorschlägen der Kinder andererseits. Konkrete Übungen, das Anweisen und Korrigieren<br />
treten dagegen in den Hintergrund. Renate Zimmer schreibt dazu:<br />
I - 4
Kapitel 1<br />
Der situationsorientierte Ansatz hat zum Ziel, eine stärkere Beziehung der Lernprozesse zur Lebenswirklichkeit<br />
der Kinder herzustellen und sie darin zu unterstützen, in möglichst selbstbestimmter und kompetenter<br />
Weise zu handeln. Das Erlernen von Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgt nicht isoliert und unabhängig<br />
vom situativen Zusammenhang, in dem diese Fähigkeiten tatsächlich gebraucht werden. Die<br />
Funktionsförderung erfolgt auch nicht in Form von Trainingsprogrammen, sondern in Spielsituationen, die<br />
den kindlichen Bedürfnissen und Interessen entsprechen. Besondere Berücksichtigung findet die Mitbestimmung,<br />
die in disziplin- und funktionsorientierten Curriculumsansätzen vernachlässigt wird: Kindern<br />
wird ein weitgehend selbstbestimmtes Handeln zugestanden und die selbständige Bewältigung von Situationen<br />
ermöglicht (Zimmer 1996a, S. 141).<br />
Wenn sich Kinder herausfordern lassen, geben sie unweigerlich eigene Impulse, sie entdecken eigene<br />
Varianten, bringen Ideen ein und konstruieren Sinnzusammenhänge. Antrieb und Orientierungspunkt<br />
der situationsorientierten Bewegungsförderung ist also wie im freien Spiel die Entdeckungs-,<br />
Spiel- und Bewegungslust der Kinder. Gelenkte und freie Bewegungs- und Spielsituationen<br />
sind dabei nicht immer deutlich voneinander zu trennen, sie gehen teilweise ineinander über.<br />
Es gilt also erstens, das aktuelle Spiel der Kinder für die eigenen Ziele zu nutzen, und zweitens,<br />
mit den eigenen Impulsen den Spiel- und Entdeckungstrieb sowie die Vorstellungswelt der Kinder<br />
anzusprechen.<br />
Eine solche partielle Lenkung kann zum Beispiel gelingen, wenn Sie sich am Spiel der Kinder direkt<br />
beteiligen und so unmittelbar mitbekommen, welche Impulse und Anregungen auf einen<br />
fruchtbaren Boden fallen könnten. Ein geeigneter Impuls ist es zum Beispiel, bekannte Gegenstände<br />
in bisher unbekannter Weise einzusetzen oder zu kombinieren. Vielleicht kennen Ihre Schülerinnen<br />
und Schüler die Langbank und haben damit bereits verschiedene Spielmöglichkeiten erprobt.<br />
Nun hängen Sie die Langbank an der Sprossenwand ein. Das erweitert die Spielmöglichkeiten<br />
ungemein; die Kinder fühlen sich zu neuen Entdeckungen herausgefordert. Oder stellen Sie<br />
sich zum Beispiel vor, die Kinder sind mit verschiedenen Gegenständen und Materialien am Spielen,<br />
unter anderem einem Strick und einem Ballon. Sie befestigen jetzt den Strick am Ballon. Dieser<br />
«neue» Gegenstand hat auch neue Eigenschaften, die entdeckt werden wollen.<br />
Oder vielleicht erkennen die Kinder in der Kombination «Strick – Ballon» eine Schlange, die zu<br />
neuen Spielimpulsen anregt. Kinder verleihen Gegenständen und Tätigkeiten oft eine Bedeutung.<br />
Geschichten und Rollenspiele sind deshalb sehr dankbare Instrumente der Bewegungsförderung.<br />
Sie können das Spiel auslösen, anregen, begleiten oder verändern. Ein weiteres Beispiel mag dies<br />
veranschaulichen:<br />
Zu Beginn wurde ein bei den Kindern immer wieder auftauchendes Thema aufgegriffen: Autofahren. Jedes<br />
Kind suchte sich aus, welches Fahrzeug es sein wollte. Die «Fahrzeuge» fuhren zunächst einmal mit<br />
viel Lärm und Getöse durch den Raum, sie knatterten und brummten, parkten, fuhren rückwärts und beschleunigten<br />
ihre Fahrt.<br />
1. Impuls: Nach einiger Zeit des freien Spiels ohne Material legte die Erzieherin Heulrohre aus. Ein Ende<br />
der Rohre war jeweils eingeschnitten, so dass sei zusammengesteckt werden konnten und in ihrer runden<br />
Form von den Kindern schnell als Lenkrad gedeutet wurden. Ein Junge liess das Rohr in der Luft kreisen,<br />
so dass es einen heulenden Ton produzierte; er spielte ab jetzt ein Feuerwehrauto.<br />
2. Impuls: Die Erzieherin unterbrach das Spiel der Kinder kurz und erklärte, auf den Strassen gäbe es<br />
auch eine Ampel. Sie besprach die Bedeutung der Farben Rot, Gelb und Grün im Strassenverkehr und<br />
bezog dann drei Tücher in den entsprechenden Farben in das Spiel ein. Beim Hochhalten des grünen Tuches<br />
fahren alle Autos durch den Raum, bei Gelb verringern sie ihr Tempo, und bei Rot bleiben sie stehen.<br />
3. Impuls: Nach ca. 15 Minuten unterbrach die Erzieherin das Spiel mit dem Hinweis: «Langsam wird es<br />
Abend, und die Autos fahren nach Hause. Dort wartet eine Garage auf sie (an alle Kinder wurde eine<br />
Teppichfliese ausgegeben), in der sie die Nacht verbringen. Legt euch auf die Teppichfliese und stellt<br />
euch vor, ihr wäret ein ganz müdes Auto, das den ganzen Tag fahren musste und nun froh ist, in seiner<br />
warmen Garage zu sein. Eure Arme und Beine sind die Räder, sie fühlen sich ganz matt an und freuen<br />
sich, dass sie nun ausruhen können. Schliesst die Augen und stellt euch vor, was das Auto in seiner<br />
warmen Garage alles träumt.» Diese Entspannungsphase wurde von fast allen Kindern bereitwillig aufgegriffen<br />
und über ca. 4 bis 5 Minuten eingehalten (Zimmer 1996b, S. 173f.).<br />
I - 5
Kapitel 1<br />
In diesem Beispiel hat die Erzieherin eine Bewegungsidee der Kinder aufgegriffen, gestaltet und<br />
weiter entwickelt. Sie hat so eigene Zielvorstellungen einbringen können, zum Beispiel ermöglichten<br />
die farbigen Tücher, die individuelle Bewegung mit einer nach aussen gerichteten Wahrnehmung<br />
zu kombinieren. Die Erweiterung hat darüber hinaus dazu geführt, dass das Spiel nicht allzu<br />
rasch langweilig wurde und sich erschöpfte.<br />
Nach diesem Muster lassen sich aktuelle Unterrichtsthemen, Bilder, Bilderbücher und Geschichten<br />
in Bewegung umsetzen. Die Kinder orientieren sich dabei an ihren eigenen Fähigkeiten. Die Identifikation<br />
mit der Geschichte motiviert; hemmende Versagensängste kommen kaum auf. Zudem<br />
findet nicht nur Bewegungsförderung statt, die Kinder verinnerlichen darüber hinaus die Inhalte<br />
(vgl. auch Kapitel 8).<br />
Bewegung mit Alltagsgegenständen<br />
Spiele und Übungen<br />
Die unkonventionelle Nutzung von Alltagsgegenständen scheint die Phantasie und Kreativität von<br />
Kindern besonders anzuregen. Ein Gegenstand, der für Bewegung oft verwendet wird wie zum<br />
Beispiel ein Ball, weckt ganz bestimmte Bewegungsvorstellungen. Alltagsgegenstände wie zum<br />
Beispiel Bierdeckel, Wäscheklammern, Zeitungen oder Leintücher sind dagegen nicht in diesem<br />
Sinne mit bestimmten Vorstellungen besetzt. Sehr wahrscheinlich dauert es etwas länger als bei<br />
einem Ball, bis die Kinder in Bewegung kommen. Nach den ersten Versuchen inspirieren sich die<br />
Beteiligten meist gegenseitig zu neuen Ideen. So entstehen zahlreiche Spielvarianten.<br />
Renate Zimmer hat in ihrem Buch «Kreative Bewegungsspiele» zahlreiche Spielideen mit Alltagsgegenständen<br />
beschrieben. Sie liefert damit aber nicht eine abschliessende Spielsammlung, sondern<br />
will vor allem illustrieren, inspirieren und ermutigen. Als Material wählt sie zum Beispiel Joghurtbecher,<br />
Kartonrollen, Papierteller, Wolldecken, Handtücher, Autoschläuche oder Getränkeharassen.<br />
Ausgangspunkt ist dabei immer die Frage an die Kinder: Wie kann man damit spielen?<br />
Zur Kombination von einem Luftballon und einer eng zusammengerollten Zeitung skizziert sie zum<br />
Beispiel folgende Ideen:<br />
• Der Luftballon wird auf der waagrecht gehaltenen Zeitungsrolle balanciert. Die Rolle wird einoder<br />
zweihändig gehalten. Fortsetzung: Der Luftballon wandert auf der Rolle hin und her.<br />
• Die Rolle wird senkrecht gehalten; der Ballon wird auf der Spitze balanciert. Fortsetzung: Der<br />
Ballon wird durch einen Impuls der Rolle in die Luft gespielt und mit der Spitze wieder aufgefangen.<br />
• Mit der Rolle den Ballon schlagen, zum Beispiel in die Luft und wieder auffangen, auf den Boden<br />
prellen, auf ein Ziel hin oder zu einem anderen Kind.<br />
• Mit der Rolle den Ballon auf dem Boden führen: auf ein Ziel hin, um Hindernisse oder zu einem<br />
anderen Kind. Auch eine Art Hockey ist so möglich.<br />
Mit dem Begriff «Spiel» ist hier eine Gruppenaktivität nach vorgegebenen Regeln gemeint und<br />
nicht jede spielerische Aktivität von Kindern an sich. Dabei – wie auch bei vordefinierten Übungen<br />
– planen und führen Sie stärker als beim situationsorientierten Ansatz. Das kann, muss aber nicht<br />
unbedingt ein Hindernis sein für Kinder, um mit Lust und Freude einzusteigen. Vor allem Bewegungsspiele<br />
sind bei den Kindern im Allgemeinen beliebt. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass<br />
Bewegungsspiele die motorischen Fähigkeiten von Kindern sehr rasch <strong>fördern</strong> können. Mindestens<br />
hat das eine Untersuchung mit rund 1500 Kindern aus Frankfurter Kindergärten ergeben (Zahner<br />
u.a. 2004). Dabei wurden zwei verschiedene Gruppen verglichen:<br />
I - 6
Kapitel 1<br />
Form der Bewegungsförderung<br />
Wirkung auf die<br />
Kinder nach 8 Wochen<br />
Kontrollgruppe<br />
normale Turnstunde und freies<br />
Spiel<br />
Verbesserung der Sprungkraft um<br />
5%, Reaktionsfähigkeit 2%, in den<br />
andern Bereichen geringfügige<br />
Verschlechterungen.<br />
Interventionsgruppe<br />
normale Turnstunde und freies Spiel; zusätzlich<br />
15 Minuten Bewegungsspiele pro Tag<br />
Verbesserung der Sprungkraft um 17%,<br />
Reaktionsfähigkeit 15%, Geschicklichkeit<br />
18%, Gleichgewichtsfähigkeit 43%, Handkoordination<br />
97%.<br />
Auch bei Spielen und Übungen ist aber an die Rahmenbedingungen einer guten Bewegungsförderung<br />
zu denken. Auch hier ist es wichtig, dass die Kinder eine angemessene Herausforderung vorfinden.<br />
Und bei allem Üben und Ausprobieren darf der Spass der Kinder nicht vergessen gehen.<br />
Dora Heimberg und ihre Mitarbeiterinnen schreiben dazu:<br />
Eine häufige und die organisatorisch einfachste Form des Unterrichts mit Bewegung ist das Vor- und<br />
Nachmachen. Sie machen eine Bewegung vor, die Kinder machen sie nach. Das ist ein enger Rahmen.<br />
Er schliesst Kinder, die Bewegungsförderung sehr nötig hätten, oft von der Bewegungsförderung aus.<br />
Vor- und Nachmachen ist für Kinder mit visuellen und taktil-kinästhetischen Schwierigkeiten ungünstig.<br />
Sie haben Mühe, die vorgezeigte Bewegungs-Gestalt zu erfassen oder sie in ihrem Körper nachzuvollziehen,<br />
d.h. wiederzugeben. Anstatt zu <strong>fördern</strong>, verstärken Sie bei den beschriebenen Kindern die Lernstörungen.<br />
Der an sich sehr kindgerechte rhythmisch geprägte Unterricht kann für Kinder mit Koordinationsschwierigkeiten<br />
eine dauernde Überforderung bedeuten. Ein solches Kind wendet für ein gewöhnliches Hopserhüpfen<br />
schon sehr viel Konzentration auf. Es kapituliert, wenn es sich zusätzlich noch an einen gegebenen<br />
Rhythmus anpassen sollte. Es ist für dieses Kind auch keine Hilfe, wenn es sich selber mit Singen, Sprechen<br />
oder Klatschen begleiten sollte. Die Not wird nur grösser; denn die Koordination der Füsse wird nicht<br />
einfacher, wenn sie mit der Koordination der Hände und der Aktivität des Sprechens koordiniert werden<br />
muss (Heimberg 1994, S. 41f.).<br />
Das heisst nicht, dass Sie auf angeleitete Übungen gänzlich verzichten müssen. Wichtig ist aber,<br />
die Motivation der Kinder zu berücksichtigen. Kinder brauchen rasche Erfolgserlebnisse. Ein spielerischer<br />
Charakter trägt viel zur Motivation bei. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen der Kinder<br />
zu berücksichtigen. Dora Heimberg und ihre Mitarbeiterinnen schlagen dazu zwei verschiedene<br />
Strategien vor: erstens die Anforderung einer Übung zu variieren und zweitens Teilbereiche einer<br />
Übung einzeln einzuführen. Nachfolgend finden Sie einige nähere Informationen dazu.<br />
Bleiben Sie so lange bei einem Spiel oder einer Übung, wie die Kinder Freude daran haben. Jede<br />
neue Bewegungserfahrung braucht etwas Übung und Wiederholung. Wenn Sie länger an der selben<br />
Sache bleiben, werden Sie gemeinsam mit den Kindern bestimmt Abwandlungen und weitere<br />
spannende Varianten entdecken.<br />
Anforderungen variieren<br />
Für besonders ungeschickte oder besonders geschickte Kinder ist es hilfreich und manchmal sogar<br />
unumgänglich, gewisse Spiele und Übungen zu erleichtern bzw. zu erschweren. Dazu gibt es verschiedene<br />
Möglichkeiten:<br />
• Regeln lockern oder enger fassen, zum Beispiel: Du darfst mit den Händen helfen; du darfst<br />
zwei Mal versuchen; versuche es mit geschlossenen Augen, versuche es mal auf einem Bein.<br />
• Material ersetzen: Grössere oder kleinere, längere oder kürzere, weichere oder härtere, schwerere<br />
oder leichtere Gegenstände wählen, um das Spiel oder die Übung auszuführen.<br />
• Räumliche Voraussetzungen verändern: Mehr oder weniger Raum zur Verfügung stellen, mehr<br />
oder weniger Geräte oder Materialien einbeziehen, die Anordnung von Geräten und Materialien<br />
verändern.<br />
• Mehr oder weniger Zeit geben, um die gestellte Aufgabe zu lösen.<br />
• Hilfestellungen geben oder weglassen, eine Aufgabe alleine oder gemeinsam lösen lassen.<br />
I - 7
Kapitel 1<br />
Teilbereiche einer Übung einzeln einführen<br />
Die Überforderung von ungeschickten Kindern rührt häufig daher, dass selbst simple Übungen<br />
gleichzeitig ganz verschiedene Leistungen erfordern. Zum Beispiel einen Ball prellen (Heimberg<br />
1994):<br />
• Die Augen folgen dem Ball (visuelle Konzentration).<br />
• Der eine Arm macht Auf- und Abwärtsbewegungen, der andere Arm bleibt ruhig (Unabhängigkeit<br />
der Arme).<br />
• Die Handstellung passt sich der Ballform an (Wahrnehmung des Balles über Auge und Hand,<br />
Wahrnehmen der Handstellung über Auge und Eigenwahrnehmung).<br />
• Was die Augen sehen, muss mit der Hand- und Armbewegung verbunden werden (Auge-Hand-<br />
Koordination).<br />
• Die Bewegung des Armes muss in Bezug auf Kraft, Richtung und Tempo angemessen sein.<br />
Dora Heimberg schlägt nun vor, zu all diesen Einzelleistungen Vorübungen zu machen und Schritt<br />
für Schritt zu verbinden. Zum Beispiel:<br />
• für die visuelle Konzentration: Ein Kind führt einen Ball mit beiden Händen durch den Raum, ein<br />
zweites Kind geht ihm nach, indem es immer den Ball anschaut.<br />
• für die Unabhängigkeit der Arme und Hände: Die eine Hand hält sich am Tisch, auf der Tischfläche<br />
oder an der Wand, der andere Arm, die andere Hand bewegt sich frei.<br />
• für die Wahrnehmung der Handstellung: die Hand zudrücken, loslassen, spreizen. Einander die<br />
Hände zeigen und gegenseitig beurteilen, ob sie locker, verkrampft oder schlaff ist. Einander<br />
Handstellungen zeigen und benennen, z.B. Faust, Kralle, flache Hand. Partner ertastet Handstellung<br />
und benennt sie. Ball hat verschiedene Hüte (= Handstellungen). Ball mit verschiedenen<br />
Handstellungen halten.<br />
• für die Auge-Hand-Koordination: An die Wandtafel oder ans Fenster malen. Allen vertikalen<br />
Kanten im Raum mit der Hand nachfahren. Mit Bällen prellen, die sich träger bewegen, oder mit<br />
grossen Bällen, die eine grössere Zielfläche bieten.<br />
• für den Krafteinsatz: Ein Kind hält einen Ball mit beiden Händen, ein zweites versucht, den Ball<br />
weg zu schlagen; wird der Ball fester gehalten, braucht das Wegschlagen ebenfalls mehr Kraft.<br />
Solche Vorübungen sind auch für jene Kinder spannend, die das Ballprellen längst beherrschen.<br />
Förderbereiche der senso-motorischen Entwicklung<br />
In diesem Kapitel ist davon die Rede, wie sich eine angemessene Förderung der senso-motorischen<br />
Entwicklung gestalten lässt. Eine Ergänzung ist hier noch anzufügen: Eine angemessene<br />
senso-motorische Förderung sucht eine Balance zwischen den verschiedenen Förderbereichen<br />
bzw. setzt dort Schwerpunkte, wo die Kinder Nachholbedarf haben.<br />
Es ist deshalb hilfreich, einen Überblick über die wesentlichen Förderbereiche zu haben. In der Literatur<br />
sind dazu ganz unterschiedliche Systematiken zu finden. Die Sportwissenschaften arbeiten<br />
zum Beispiel mit einer anderen Einteilung als die Psychomotorik. Nachfolgend finden Sie eine Aufstellung,<br />
die sich an den Inhalten des Grundlagenkapitels orientiert. Dies hat zur Folge, dass Sie<br />
darin klassische Anliegen des Sportunterrichts wie etwa Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit oder Reaktionsfähigkeit<br />
nicht finden.<br />
I - 8
Kapitel 1<br />
Grob- und Feinmotorik<br />
Steuerung (Kraft,<br />
Tempo, Richtung)<br />
Koordination,<br />
Dissoziation<br />
Gleichgewicht<br />
Eigenwahrnehmung<br />
Auge-Fuss-Koordination<br />
Auge-Hand- Koordination<br />
Auge-Körper-Koordination<br />
Taktile<br />
Wahrnehmung<br />
Auditive und visuelle Wahrnehmung<br />
(auditive und visuelle Konzentrations- und Merkfähigkeit,<br />
Figur-Hintergrund-Wahrnehmung, auditive und<br />
visuelle Distanzschätzung, Richtungshören)<br />
Wahrnehmung<br />
Übersicht über die Förderbereiche der senso-motorischen Entwicklung: Im Zentrum stehen die beiden<br />
Bereiche der Grob- und Feinmotorik einerseits und der Wahrnehmung andererseits. Gleichgewicht und<br />
Bewegungs-Wahrnehmungs-Koordination liegen im deren Überschneidungsbereich. Die darum herum<br />
angeordnete Scheibe mit den Förderbereichen Raum-, Objekt und Formerfahrung etc. beschreibt<br />
Kompetenzen, die sich als Folge von vielfältigen sensorischen und motorischen Erfahrungen und deren<br />
Zusammenwirken ergeben. Darüber hinaus <strong>fördern</strong> senso-motorische Aktivitäten auch emotionale, soziale<br />
und kognitive Kompetenzen, hier im äusseren Kreis dargestellt. Erläuterungen zu den Begriffen im Text.<br />
Die Aufstellung unterstützt Sie dabei, Bewegungsarrangements für Ihre Klasse gezielt auszuwählen<br />
und zu gestalten, die Kinder zu beobachten und allfälligen Nachholbedarf festzustellen. In den<br />
Kapiteln 2 bis 5 finden Sie Praxisvorschläge, die sich auf die hier vorgestellten Begriffe beziehen.<br />
Zunächst finden Sie hier noch einige Erklärungen zu den verschiedenen Förderbereichen.<br />
Grob- und Feinmotorik<br />
Grobmotorische Fähigkeiten braucht es für grossräumige Bewegungen, bei denen der ganze Körper<br />
und einzelne Körperteile beteiligt sind. Sie lassen sich in drei Teilbereiche differenzieren<br />
(Heimberg 1994):<br />
• Steuerung meint die Anpassung eines Bewegungsablaufes in Bezug auf Kraft, Tempo und<br />
Richtung. Es geht also um die Anpassung einer Bewegung relativ zur Umgebung, zu einem Ziel<br />
oder Zweck.<br />
I - 9
Kapitel 1<br />
• Bei der Koordination und Dissoziation geht es dagegen um die Anpassung einer Bewegung<br />
relativ zum eigenen Körper. Koordination meint das geordnete Zusammenwirken einzelner Körperteile,<br />
zum Beispiel der Hände beim Klatschen oder von Armen und Beinen beim Schwimmen.<br />
Genau umgekehrt stellt sich die Anforderung bei der Dissoziation. Hier geht es darum,<br />
verschiedene Körperteile unabhängig voneinander zu bewegen. In der Praxis kann die Koordination<br />
von der Dissoziation nur unterschieden werden, wenn die Bewegung von verschiedenen<br />
Blickwinkeln her analysiert wird. Wenn zum Beispiel der Arm ausgestreckt wird, um etwas zu<br />
ergreifen, sind die Bewegungen von Arm und Hand koordiniert. Die Aktivitäten des Armes und<br />
die des übrigen Körpers sind jedoch dissoziiert.<br />
• Beim Gleichgewicht schliesslich geht es darum, eine Bewegung relativ zur Erdenschwere anzupassen.<br />
Dabei spielen manchmal kleinste Gewichtsverlagerungen eine Rolle, sei dies in einer<br />
bestimmten Körperstellung (statisches Gleichgewicht) oder während einer bestimmten Bewegung<br />
(dynamisches Gleichgewicht). Für Kinder sind Spiele und Übungen rund ums Gleichgewicht<br />
sehr faszinierend. Es bereitet ihnen viel Lust, das Gleichgewicht immer wieder zu erproben,<br />
zu provozieren, zu riskieren und wiederzugewinnen.<br />
Unter Feinmotorik versteht man die Fähigkeit zu kleinräumigen, gezielten und besonders abgestimmten<br />
Bewegungen von Händen, Füssen, Gesicht und Mund. Handmotorik umfasst die feinen<br />
Bewegungen der Hände. Die Grafomotorik bezieht sich auf alle Bewegungen, die für das Schreiben<br />
und Zeichnen notwendig sind. Neben bestimmten Bewegungen der Schreibhand gehören dazu<br />
auch die zum Schreiben notwendigen Bewegungen des Schreibarms. Wie bei der Grobmotorik<br />
geht es auch hier um Steuerung, Koordination und Dissoziation.<br />
Wahrnehmung<br />
Die Eigenwahrnehmung hilft dem Menschen, die einzelnen Körperteile, deren gegenseitige Lage,<br />
deren Bewegungen sowie die Muskelspannung wahrzunehmen und zu steuern. Eine ausgereifte<br />
Körperwahrnehmung ist also Voraussetzung für die grob- und feinmotorische Bewegungssteuerung.<br />
Nicht bei allen Menschen klappt das reibungslos. Manche sind langsamer, ungeschickter und<br />
müssen sich mehr anstrengen. Sie können Bewegungen nur schwer automatisieren und brauchen<br />
daher zusätzliche Aufmerksamkeit, um ihr Handeln – z.B. das Schreiben – zu planen und mit den<br />
Augen zu kontrollieren. Manchmal sind auch ganze Körperteile in der Vorstellung gar nicht präsent,<br />
so dass betroffene Kinder unvermittelt an Türen, Stühlen oder anderen Menschen anstossen. Sie<br />
wissen nicht, wo ihr Körper anfängt und wo er aufhört. Manche Kinder fallen sogar von ihren Stühlen,<br />
weil sie nicht fühlen können, wo sie sitzen.<br />
Mit der taktilen Wahrnehmung erkennt das Kind über die Haut die Oberflächenbeschaffenheit von<br />
Gegenständen und Materialien sowie Schmerz, Temperatur und Druck. So lernt es die Eigenschaften<br />
von Gegenständen und Materialien besser kennen und erwirbt dabei auch Objekt- und Formerfahrungen.<br />
Erwachsene sind sich nicht gewohnt, die Hand als Sinnesorgan zu betrachten. Sie greifen,<br />
ziehen oder heben Gegenstände, ohne den Sinnesreizen an den Händen eine grössere Beachtung<br />
zu schenken. Ein Blick reicht aus, um die notwendigen Eigenschaften eines Gegenstandes<br />
zu erfassen. Für Kinder sind dagegen viele Reize noch unbekannt. Das blosse Ansehen<br />
eines Gegenstandes gibt ihnen zu wenig Information. Für Kinder ist es typisch, dass sie Gegenstände<br />
mit ihren Händen erkunden – manchmal sehr zum Missfallen der Erwachsenen.<br />
Sehen und Hören dienen dazu, visuelle und akustische Eindrücke aus der Umgebung aufzunehmen.<br />
Über die eigentliche Wahrnehmung hinaus braucht es zudem visuelle bzw. akustische Konzentrations-<br />
und Merkfähigkeit. Viele Aktivitäten, zum Beispiel die Orientierung im Raum oder das<br />
Schreiben, werden dadurch erleichtert oder überhaupt erst möglich. Ein weiterer wichtiger Anspruch<br />
des Sehens und Hörens ist es, aus einer Vielzahl von Impulsen, zum Beispiel einer unruhigen<br />
Unterrichtsstunde, die wesentlichen Informationen herauszufiltern (Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).<br />
Parallel zur Orientierung im Raum entwickelt sich die räumliche Wahrnehmung; d.h.<br />
das Auge kann Objekte als dreidimensional erkennen sowie Distanzen einschätzen. Analoge Fertigkeiten<br />
gibt es auch beim Hören: So kann der Mensch die Distanz zwischen sich und einer Ton-<br />
I - 10
Kapitel 1<br />
quelle einschätzen und auch die Richtung erkennen, aus welcher ein Geräusch kommt (Richtungshören).<br />
Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, gehört das Gleichgewicht in den Schnittbereich von Motorik<br />
und Wahrnehmung. Denn zum einen ist es eine Fertigkeit, das Gleichgewicht halten zu können;<br />
dieser Aspekt gehört zur Motorik. Zum anderen ist der Mensch mit einem Gleichgewichtssinn ausgerüstet,<br />
also einem spezifischen Organ zur Wahrnehmung der Erdenschwere und der Beschleunigung<br />
(vgl. Grundlagenkapitel); die Wahrnehmung und Verarbeitung solcher Impulse gehört zur<br />
Sinneswahrnehmung. Diese Unterscheidung ist vor allem aus folgendem Grund relevant: Das<br />
Gleichgewichtswahrnehmung arbeitet auch dann, wenn das Gleichgewicht im motorischen Sinne<br />
gar nicht gefordert ist, zum Beispiel beim Sitzen: Wenn das Gleichgewichtssystem schlecht funktioniert,<br />
ist die Muskelspannung niedrig, und der betreffende Mensch ermüdet rasch. Das ist ein<br />
Grund, warum zahlreiche Kinder mit Lernschwierigkeiten beim Sitzen auf der Schulbank ihren Kopf<br />
nicht aufrecht halten können. Sie stützen den Kopf auf die Hände oder den Arm. Entsprechend<br />
lässt sich das Gleichgewichtssystem nicht nur durch Balancieren anregen (vgl. Kapitel 4).<br />
Im Überschneidungsbereich der beiden zentralen Förderbereiche liegt zudem die Koordination<br />
von Bewegung und Wahrnehmung. So gilt es im Alltag ständig, auf visuelle und akustische Eindrücke<br />
mit angemessenen Bewegungen zu reagieren bzw. die Bewegungen über das Auge oder<br />
die Eigenwahrnehmung zu kontrollieren. Die beiden Bereiche gehen dabei Hand in Hand, so dass<br />
in den wenigsten Fällen bestimmt werden kann, ob die Wahrnehmung der Bewegung vorausgeht<br />
oder umgekehrt. Schreiben ist zum Beispiel nur möglich, wenn das Auge und die Hand zusammenarbeiten.<br />
Beim Fussballspielen muss die Bewegung des Beines auf die Wahrnehmung des<br />
Auges abgestimmt werden. Nur durch vielfältig Erfahrungen entwickelt das Hirn entsprechende Koordinationsleistungen.<br />
Auch Riechen und Schmecken gehören zur Sinneswahrnehmung. Auf sie wird hier nicht näher eingegangen.<br />
Orientierung in Raum und Zeit<br />
In der obigen Abbildung ist um die beiden zentralen Förderbereiche eine Scheibe mit diversen<br />
Kompetenzen angeordnet, die sich als Folge von vielfältigen sensorischen und motorischen Erfahrungen<br />
und deren Zusammenwirken ergeben. Sie dienen zur Orientierung in Raum und Zeit im<br />
weitesten Sinne.<br />
Mit Raum-, Objekt- und Formerfahrungen kann das Kind Räume und Objekte wahrnehmen, Gegenstände<br />
im Raum lokalisieren, ihre Gestalt erfassen und verschiedene Objekte zueinander in<br />
Beziehung setzen. Sie verhelfen auch dazu, einen bestimmten Gegenstand immer als denselben<br />
wahrzunehmen – unabhängig von dessen Lage, Grösse oder exakten Form (Wahrnehmungskonstanz).<br />
Die Raum- und Objekterfahrung bezieht sich auch auf den eigenen Körper: Mit dem so genannten<br />
Körperschema können sich Kinder eine Vorstellung des eigenen Körpers machen. Diese verhilft<br />
dazu, links und rechts, oben und unten, hinten und vorne am eigenen Körper zu unterscheiden.<br />
Körperteile können benannt und Berührungen lokalisiert werden. Das Gehirn speichert Informationen,<br />
die das Kind später zum Planen und Steuern seiner Bewegungen benutzt.<br />
Mit Bewegungen im Raum und dem Umgang mit Objekten baut das Kind zudem ein Gefühl für die<br />
Zeit, für Geschwindigkeiten, für Abfolgen und für Rhythmus auf.<br />
Eine entwickelte Objekt-, Form- und Raumerfahrung zeigt sich etwa daran, dass Kinder einen Turm<br />
aus Bauklötzen nachbauen oder abzeichnen können. Es hat zudem konkrete Vorstellungen, was<br />
oben und unten, über und unter, hinten und vorne, vorher und nachher, vorwärts und rückwärts,<br />
mehr und weniger heisst.<br />
Diese Erfahrungen erleichtern es dem Kind, sich auch mit symbolischen Objekten wie den Buchstaben<br />
und Zahlen auseinander zu setzen sowie sich in abstrakten Räumen wie dem Zahlenstrahl,<br />
I - 11
Kapitel 1<br />
dem Alphabet, in Satzstrukturen oder auf einer Landkarte zu orientieren. Zum Beispiel werden<br />
beim Lesen Buchstaben erkannt, unterschieden und zueinander in Beziehung gesetzt. Sprechen<br />
und Zählen besteht aus Rhythmus und Geschwindigkeit, Wörter sind Buchstabenfolgen. Ähnliche<br />
Buchstaben und Zahlen wie d und b, 6 und 9 oder auch 21 und 12 lassen sich einfacher auseinander<br />
halten und korrekt schreiben, wenn die Symbole nicht nur abstrakt begriffen werden müssen,<br />
sondern mit einer konkreten räumlichen Objekt- und Formvorstellung verbunden sind. Gleiches gilt<br />
auch für den Umgang mit Grössen und Rechenoperationen: Die Aussage «18 kommt nach 17» etwa<br />
kann dank Raumerfahrung mit einer konkreten Vorstellung verknüpft und damit auch besser<br />
behalten werden.<br />
Emotionale, kognitive und soziale Fähigkeiten<br />
Wie schon im Grundlagenkapitel ausführlich beschrieben, erwirbt das Kind beim Spielen, Bewegen<br />
und Entdecken nicht nur senso-motorische Kompetenzen. Dazu kommen emotionale, kognitive<br />
und soziale Fähigkeiten. In den Kapiteln 2 bis 5 sind verschiedentlich die folgenden Förderbereiche<br />
angesprochen: Selbstvertrauen, Kreativität, Konzentration, Erinnerungsvermögen, Sachwissen,<br />
Planung, Problemlösefähigkeit sowie Kooperation. In der obigen Abbildung finden sich diese Förderbereiche<br />
in der äussersten Scheibe.<br />
I - 12
Kapitel 2<br />
2. Grobmotorik<br />
Wie <strong>fördern</strong> Kindergarten und Schule grobmotorische Kompetenzen? Zunächst ist natürlich an den<br />
Bewegungs- und Sportunterricht zu denken. Hier gibt es ausdrücklich Raum für grobmotorische<br />
Aktivitäten. Darüber hinaus sind aber auch der Rhythmikunterricht, Bewegungsaktivitäten im Musikunterricht,<br />
Exkursionen und Waldtage (vgl. Kapitel 5), Pausenaktivitäten (vgl. Kapitel 6), Zirkusprojekte<br />
oder Theaterproduktionen nicht zu vergessen. Im Kindergarten gibt es weiter viele Möglichkeiten,<br />
das Freispiel oder auch geführte Aktivitäten im Gruppenraum oder im Garten für grobmotorische<br />
Aktivitäten zu nutzen.<br />
Das Lehrmittel zur Sporterziehung bietet eine hervorragende Grundlage, um den Bewegungs- und<br />
Sportunterricht zeitgemäss zu gestalten und damit auch eine optimale Förderung der Grobmotorik<br />
anzupeilen. Das Lehrmittel baut auf den folgenden sechs Sinnrichtungen auf:<br />
• Sich wohl und gesund fühlen: sich aus Lust und Freude bewegen: als Ausgleich zum Alltag, für<br />
die eigene Fitness und für das eigene Wohlbefinden.<br />
• Erfahren und entdecken: vielfältige Körper-, Sach- und Naturerfahrungen sammeln; neue Bewegungen<br />
ausprobieren und lernen.<br />
• Gestalten und darstellen: Bewegungsabläufe ästhetisch gestalten, variieren und darstellen; sich<br />
ausdrücken.<br />
• Üben und Leisten: etwas systematisch üben; sportliche Leistungen erleben; Erwartungen erfüllen;<br />
Leistungsgrenzen erfahren und respektieren.<br />
• Herausfordern und wetteifern: etwas wagen; sich messen und wetteifern; gegeneinander spielen<br />
und kämpfen.<br />
• dabei sein und dazu gehören: gemeinsam etwas unternehmen und erleben; kooperieren; den<br />
Teamgeist mittragen; miteinander spielen und gestalten.<br />
Es übersteigt die Möglichkeiten dieses Kapitels, die Grundlagen und das Potential eines solchen<br />
Bewegungs- und Sportunterrichts umfassend darzustellen und zu würdigen. Es geht im Folgenden<br />
vor allem darum, einige Ansätze und Praxisbeispiele aufzuzeigen, die die Grundgedanken aus Kapitel<br />
1 aufnehmen, fortführen, vertiefen und illustrieren. Die beiden Kapitel gehören also eng zusammen.<br />
Als Kindergärtnerin oder als Kindergärtner, als Lehrerin oder als Lehrer sind Sie natürlich geübt, für<br />
Ihre Klassen Bewegungsangebote zu arrangieren und anzuleiten. Was kann dieses Kapitel also<br />
noch Neues bieten? Neben der Vermittlung von praktischen Ideen verfolgt diese Kapitel zusammen<br />
mit dem Grundlagenkapitel und dem Kapitel 1 noch ein ganz anderes Ziel: Es will Ihre Aufmerksamkeit<br />
stärken für die Förderbereiche, die mit Bewegungsaktivitäten verknüpft sind. In Kapitel 1<br />
sind die verschiedenen Förderbereiche vorgestellt und beschrieben worden. In diesem Kapitel finden<br />
Sie die praktischen Illustrationen dazu. Schon nur die allgegenwärtigen Ballspiele <strong>fördern</strong> die<br />
senso-motorische Entwicklung von Kindern auf vielfältige Art:<br />
• das Sehen und die visuelle Figur-Hintergrund-Wahrnehmung: Das Kind folgt dem Ball mit den<br />
Augen und richtet seinen Blick darauf;<br />
• das Hören, die auditive Figur-Hintergrund-Wahrnehmung und das Richtungshören: Das Kind<br />
hört, wie der Ball den Boden oder die Wand berührt;<br />
• die Kraftdosierung: Das Kind stellt fest, wie viel Kraft nötig ist, um mit einem Ball etwas bestimmtes<br />
zu tun;<br />
• die Auge-Körper-Koordination: Das Kind lernt, den Ball zu beobachten und seine Bewegungen<br />
darauf abzustimmen, zum Beispiel das Ausweichen, Fangen oder Treten;<br />
I - 13
Kapitel 2<br />
Das Rollbrett<br />
• das Gleichgewicht: Bei gewissen Ballspielen muss mit dem Ball gerannt werden;<br />
• die Raumerfahrung: Das Kind bewegt sich selber durch den Raum und beobachtet den Ball auf<br />
seinem Weg durch den Raum;<br />
• die Kooperation: Viele Ballspiele kommen ohne Zusammenspiel nicht aus;<br />
• die Problemlösefähigkeit, die Handlungsplanung und die Kreativität: Das Kind steht immer wieder<br />
vor ganz neuen Situationen, es muss sein Handeln planen und erfinderisch sein.<br />
So hilft dieses Kapitel vielleicht über die konkreten Beispiele hinaus dabei, die Klasse zu beobachten,<br />
Bewegungsdefizite zu erkennen und Bewegungsarrangements gezielt auszuwählen und zu<br />
gestalten.<br />
Das Kapitel orientiert sich dabei an vielfach bekannten, vielleicht auch an weniger bekannten<br />
Lehrmitteln und Bewegungsansätzen. Eine gute Bewegungsförderung bei Kindern lässt sich jedoch<br />
nur begrenzt in konkrete Ansätze fassen. Ein Beispiel, wie diese Grenze überwunden werden<br />
kann, wurde in Kapitel 1 mit der situationsorientierten Bewegungsförderung gezeigt. Neben all den<br />
konkreten Vorschlägen darf also nicht vergessen gehen, den Kindern immer auch eigene Handlungs-<br />
und Erfindungsräume zu gewähren. Die folgenden Vorschläge eignen sich, um in diese<br />
Richtung entwickelt zu werden.<br />
Das Rollbrett kennen viele Kinder und Jugendlichen aus ihrer Freizeit. In der Turnhalle wird jedoch<br />
ein rechteckiges Rollbrett verwendet. Der Umgang damit fördert eine ganze Reihe von grobmotorischen<br />
Fähigkeiten, etwa Koordination, Gleichgewicht, Bewegungssteuerung, Raumerfahrung oder<br />
Auge-Hand-Fuss-Koordination. Darüber hinaus fordert es Kinder zum Ausprobieren, Hantieren,<br />
Konstruieren und Experimentieren heraus. Es eignet sich zum:<br />
• Fahren in verschiedenen Körperlagen,<br />
• Transportieren von Gegenständen, Materialien oder anderen Kindern,<br />
• Drehen und Schleudern,<br />
• Kombinieren mit anderen Geräten,<br />
• Rollenspiele mit Feuerwehr-, Polizei oder Abschleppautos.<br />
Nur das Stehen und das stehende Fahren auf dem Rollbrett ist aus Sicherheitsgründen eigentlich<br />
nicht vorgesehen.<br />
Das Rollbrett ist also vielseitig einsetzbar, hat einen hohen Aufforderungscharakter und spricht<br />
auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler an. Deshalb ist es gut geeignet, um den in Kapitel<br />
1 vorgestellten Grundsätzen nachzuleben. Darüber hinaus lässt es sich im Werken erst noch<br />
selber herstellen.<br />
Nicole Möller widmet dem Rollbrett eine eigene Spiel- und Übungskartei (Verlag an der Ruhr<br />
2003). Darin finden sich Übungen zum Kennenlernen des Rollbretts, Vorschläge zur Kombination<br />
I - 14
Kapitel 2<br />
mit Gross- und Kleingeräten, Spiele sowie Ideen für Parcours und Stationen. Auch Sicherheitshinweise<br />
fehlen nicht. Die folgenden Vorschläge stammen aus diesem Lehrmittel.<br />
In Bewegung kommen<br />
Förderbereich: Kreativität, Kraftsteuerung, Objekterfahrung.<br />
Welche Möglichkeiten gibt es, um mit dem Rollbrett in Bewegung zu kommen? Diese Frage setzt<br />
beim Entdeckungstrieb der Kinder an und fördert nicht nur die Beschäftigung mit dem Rollbrett,<br />
sondern auch die Kreativität und Problemlösefähigkeit der Kinder. Auch leistungsschwache Kinder<br />
finden ihre eigenen Lösungen. Der Phantasie sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt, zum Beispiel:<br />
• Mit Händen oder Füssen von der Wand abstossen, sitzend, in Bauch- oder Rückenlage.<br />
• Das Rollbrett anstossen und darauf knien.<br />
• Im Kniesitz mit der Hand, dem Bein oder einem Gymnastikstab mit Gummipfropfen abstossen.<br />
• Varianten mit Partnerinnen und Partner.<br />
• Auf dem Rollbrett sitzend einen Medizinball wegstossen.<br />
• In Bauchlage auf das Rollbrett liegen und mit den Händen ein Pedalo als Antrieb betreiben.<br />
• Sich an einem gespannten Seil vorwärtshangeln.<br />
Ballone in der Luft halten<br />
Förderbereiche: Auge-Hand-Koordination, Bewegungssteuerung, visuelle Distanzschätzung,<br />
Handlungsplanung.<br />
Die Kinder erhalten einen Ballon und setzen sich im Schneidersitz auf ein Rollbrett. Sie haben die<br />
Aufgabe, den Ballon in der Luft zu halten. Sie schlagen ihn also hoch und müssen – während der<br />
Ballon in der Luft ist – das Rollbrett so manövrieren, dass sie den Ballon beim Herunterkommen erreichen<br />
und wieder hochschlagen können.<br />
Varianten: Zwei Kinder spielen sich einen Ballon gegenseitig zu. Auf einer abgegrenzten Fläche<br />
und mit einem Netz kann so eine Art Volleyball gespielt werden.<br />
Zug<br />
Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Bewegungssteuerung, Sachwissen (Erfahrungen mit<br />
dynamischen Kräften).<br />
Jede Gruppe (bis zu sechs Kindern) baut sich einen Zug: Sie dreht eine Langbank um und stellt ihn<br />
auf zwei Rollbretter. Die Kinder setzen sich auf die Bank und erproben die Eigenschaften des Zuges:<br />
Wie kommt man in Fahrt? Wie lässt sich bremsen? Wie lassen sich Kurven fahren?<br />
Darüber hinaus lädt der Zug auch zum Spielen ein; aus anderen Geräten entstehen Bahnhöfe,<br />
Weichen oder Signaltafeln. So lassen sich Bewegungslandschaften gestalten und Bewegungsgeschichten<br />
inszenieren.<br />
Mut tut gut<br />
Mit «Mut tut gut» hat auch Hansruedi Baumann ein eindrückliches Lehrmittel für die Basisstufe zusammengestellt.<br />
Es ermöglicht die Vorbereitung und Durchführung von intensiven, lustbetonten<br />
und herausfordernden Bewegungsstunden. Die Geräte der Turnhalle kommen zu ganz ungewohnten<br />
Einsätzen. Die Kinder machen auf lustvolle Weise ganz elementare Bewegungserfahrungen<br />
I - 15
Kapitel 2<br />
wie springen, rutschen, balancieren, werfen, fallen, fliegen, schwingen, klettern, purzeln, verstecken<br />
und vieles mehr. Sie werden bewegungsfreudiger und mutiger. Darüber hinaus steigen das<br />
Selbstwertgefühl, die Eigenverantwortung und die Kooperationsfähigkeit.<br />
Im Vorwort von «Mut tut gut» werden Lehrpersonen ermutigt, die Kinder mutig sein zu lassen oder<br />
ihnen zu helfen, mutig zu werden, ihnen zu vertrauen und sie loszulassen, sich aus dem Mittelpunkt<br />
zu nehmen und sich vermehrt den in Motorik und Verhalten auffälligen Kindern anzunehmen.<br />
Die Lehrperson unterstützt und hilft, wo es gefragt ist, gibt Vorschläge und nimmt Anregungen auf,<br />
macht selber mit oder freut sich ganz einfach an ihren bewegten und begeisterten Kindern. Nachfolgend<br />
finden Sie einzelne Ideen aus «Mut tut gut».<br />
Springen und Rutschen<br />
Förderbereiche: Kooperation, Auge-Fuss-Koordination, Gleichgewicht.<br />
Drehen Sie eine dünne oder dicke Schaumstoffmatte<br />
um, so dass der Rutschschutz nach<br />
oben zeigt. Zwei oder drei Kinder nehmen sich<br />
an der Hand, rennen auf die Matte zu und<br />
springen drauf, so dass die Matte vorwärts geschoben<br />
wird. Wenn die Kinder dadurch das<br />
Gleichgewicht verlieren, landen sie weich auf<br />
der Matte.<br />
Matte um<br />
Förderbereiche: Selbstvertrauen, Kooperation,<br />
Eigenwahrnehmung.<br />
Vier bis sechs Kinder stehen auf einer Langbank,<br />
neben ihnen steht eine dicke Schaumstoffmatte.<br />
Die Gesichter sind zur Matte gewendet.<br />
Die Kinder halten sich am oberen<br />
Rand der Matte fest und lassen sich – alle gemeinsam<br />
– langsam gegen die Matte fallen.<br />
Die Matte fällt um, und die Kinder landen auf<br />
ihr. Anschliessend gemeinsam die Matte wieder<br />
aufstellen.<br />
An der Liane<br />
Förderbereiche: Selbstvertrauen, Auge-Hand-<br />
Koordination.<br />
Die Kinder schwingen an einem Klettertau.<br />
Startpunkt ist eine Langbank oder ein Kasten,<br />
Ziel eine Matte. Mehrmaliges hin- und herschwingen<br />
bis zur Landung ist erlaubt.<br />
Erschwerung: Als Ziel ein kleines Stück der<br />
Matte bestimmen, das getroffen werden muss.<br />
Beim Schwingen einen Ball eingeklemmt zwischen<br />
den Fussgelenken transportieren.<br />
I - 16
Kapitel 2<br />
Überraschendes Balanciergerät<br />
Förderbereiche: Gleichgewicht, Kooperation.<br />
Das oberste Kastenelement wird über sechs bis sieben<br />
Basketbälle gelegt. Das gibt eine sehr instabile Oberfläche.<br />
Die Kinder stehen alleine oder in Gruppen auf den Kasten,<br />
sie wackeln und schaukeln und versuchen, dabei das<br />
Gleichgewicht nicht zu verlieren.<br />
Bewegungslandschaften und -baustellen<br />
Die Vorschläge aus «Mut tut gut» sind eigentlich schon Bewegungslandschaften: Geräteaufbauten<br />
und Gerätekombinationen laden zum Spielen, Entdecken und Bewegen ein. Dieser Grundgedanke<br />
lässt sich fortsetzen, so dass weitläufige, vielleicht sogar selbst gebaute Landschaften entstehen.<br />
Die Kombination von verschiedenen Geräten bringt immer wieder neue Möglichkeiten mit sich.<br />
Auch ältere und geübte Kinder finden so immer wieder neue Herausforderungen. Pfiffige Namen<br />
wie zum Beispiel Affenkäfig, Krokodilsgraben oder Matterhorn steigern die Attraktivität von Geräteaufbauten<br />
zusätzlich. So wird die Turnhalle zur Bewegungs- und Erlebnislandschaft.<br />
Die Bewegungsbaustelle geht von einem ähnlichen Ansatz aus, lässt die Kinder aber eigene Landschaften<br />
erfinden. Dies kann mit den Geräten der Turnhalle oder auch im Freien mit Harrassen,<br />
Bretter, Rohren, Fässern oder Autoreifen geschehen (vgl. www.bewegungsbaustelle.com). So lässt<br />
sich der Ansatz der situationsorientierten Bewegungsförderung (vgl. Kapitel 1) noch konsequenter<br />
umsetzen.<br />
In vorgegebenen oder selbst gebauten Bewegungs- und Erlebnislandschaften können Kinder ihre<br />
allgemeinen motorischen Grundfähigkeiten entwickeln, sie können ihre Phantasie ausleben und<br />
Rollenspiele erfinden, aber auch die gezielte Schulung von speziellen Fähigkeiten ist möglich. Geräteaufbauten<br />
bieten in der Regel verschiedene Möglichkeiten, sich zu betätigen. So finden auch<br />
gehemmte und ungeschickte Kinder ihre Herausforderungen.<br />
Nachfolgend finden Sie drei Ideen für Geräteaufbauten. Sie sind nur ein winzig kleiner Ausschnitt<br />
aus all den Möglichkeiten, die sich aus den Gross- und Kleingeräten des Turnbetriebs kombinieren<br />
lassen. Weiter Ideen finden Sie in den Büchern «Erlebnislandschaften in der Turnhalle» (Verlag<br />
Hofmann) und «Bewegungslandschaften» (Schulverlag), die beide in der Mediothek der Pädagogischen<br />
Hochschule in Aarau ausleihbar sind. Zudem erfinden die Kinder bald ihre eigenen Gerätekombinationen<br />
und -aufbauten. So werden die Möglichkeiten des Kreativseins noch erweitert.<br />
Darüber hinaus lassen sich einzelne Geräteaufbauten auch gleichzeitig aufstellen. Die Kinder<br />
durchlaufen die einzelnen Stationen als Parcours oder wählen frei, wo sie sich betätigen wollen.<br />
Verbindendes Element der verschiedenen Stationen können ein Thema (z.B. Urwald, Schatzinsel)<br />
oder eine bestimmte Bewegungsaktivität sein (z.B. Rollen, Balancieren). Konkrete Ideen und Stundenplanungen<br />
finden Sie in den erwähnten Lehrmitteln. Die drei folgenden Beispiele (inkl. Illustrationen)<br />
stammen aus dem Lehrmittel «Erlebnislandschaften in der Turnhalle».<br />
Die rollende Bank<br />
Förderbereiche: Gleichgewicht, Eigenwahrnehmung, Kooperation.<br />
Legen Sie etwa zehn Gymnastikstäbe auf den Boden. Legen Sie eine Langbank verkehrt auf die<br />
Stäbe. Am oberen und unteren Ende der Langbank kommt je ein kleiner Kasten hin, so dass sich<br />
die Bank geringfügig hin- und herbewegen kann. Kinder bis 6 Jahre sitzen auf der Bank und lassen<br />
sich von anderen hin- und herbewegen. Ältere können auch wagen, über die Bank zu balancieren.<br />
I - 17
Kapitel 2<br />
Wichtig ist dabei, dass die Bank nicht von anderen bewegt wird. Zur Sicherung kann ein zweites<br />
Kind dem balancierenden Kind die Hand reichen.<br />
Eine Sicherung mit Matten ist schwierig, denn wenn die Matten die Stäbe berühren, ist die Beweglichkeit<br />
der Bänke eingeschränkt. Lösen lässt sich das Problem folgendermassen: Legen Sie zwei<br />
Bänke parallel auf die Stäbe. Die Matten liegen so auf den unteren Brettern der Bänke und berühren<br />
die Stäbe nicht. Aber auch hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen: Die Bewegungen der einen<br />
Bank übertragen sich auf die andere, so dass das gleichzeitige Balancieren auf beiden Bänken<br />
schwieriger oder sogar gefährlich wird. Erproben Sie selber, was Ihre Schülerinnen und Schüler<br />
bewältigen können.<br />
Das Boot<br />
Förderbereiche: Kreativität, Gleichgewicht, Eigenwahrnehmung.<br />
Für «das Boot» benötigen Sie 3 grosse Kästen, 5 Langbänke, ein kleiner Kasten und etwa zehn<br />
Matten zum Sichern. Stellen Sie zudem klare Regeln auf, wie sich die Kinder auf dem Boot verhalten<br />
sollen; insbesondere sollen sie nicht drängeln und stossen.<br />
Die Höhle<br />
Förderbereiche: Kreativität, Eigenwahrnehmung, Raumerfahrung, Selbstvertrauen.<br />
Die Kinder wählen frei diverse Gross- und Kleingeräte wie zum Beispiel Kästen, Malstangen, Fässer<br />
oder Hütchen. Alle Geräte werden auf engem Raum zusammengestellt und mit einem grossen<br />
Schwungtuch überdeckt. Überprüfen Sie den Aufbau bezüglich Gefahrenquellen.<br />
I - 18
Kapitel 2<br />
Bewegungsgeschichten<br />
Bewegungsspiele<br />
Die Vorschläge «Zug», «Boot» oder «Höhle» machen es bereits deutlich: Die Kinder werden durch<br />
passende Arrangements angeregt, in die Rollen von Zugführerinnen, Abenteurern oder Höhlenforscherinnen<br />
zu schlüpfen. Sie geben ihren Bewegungsaktivitäten einen Sinn und können ihre Phantasie<br />
und ihre Gefühle ausleben. Antrieb und Motivation liegen nicht mehr in der Bewegung an<br />
sich, sondern in der Sinngebung und im Erleben eines spannenden Inhaltes. So können Kinder<br />
länger bei ein und derselben Aktivität verweilen und vergessen vielleicht sogar allfällige Hemmungen.<br />
Jede beliebige Geschichte mit spannenden Orten (wie z.B. Schatzinseln, Flusslandschaften, Berge<br />
oder Urwälder), Fortbewegungsmitteln (wie z.B. Autos, Piratenschiffen, Flugzeugen oder Raketen)<br />
oder Aktivitäten (wie z.B. fliegen, klettern, werfen oder verstecken) lässt sich in diesem Sinn<br />
in Bewegung umsetzen. Umgekehrt erlauben attraktive Arrangements, selber neue Geschichten zu<br />
erfinden. Und falls Ihnen die Ideen dazu fehlen: Fragen sie Ihre Schülerinnen und Schüler – zum<br />
Beispiel mit folgenden Aufgabenstellungen:<br />
• Wir wollen von der Erde aus den Mond besuchen. Wir brauchen eine Rakete. Wie lässt sich<br />
das aus Geräten bauen?<br />
• Jetzt sind wir also auf dem Mond gelandet. Wir brauchen also eine Mondlandschaft. Wie sieht<br />
es hier aus? Was gibt es da alles? Tut euch in Gruppen zusammen, nehmt je drei bis vier Geräte<br />
und baut damit etwas, was es auf dem Mond geben könnte. Wir erkunden das dann gemeinsam.<br />
• Was könnten wir auf dem Mond für ein Abenteuer erleben? (Die Kinder machen Vorschläge,<br />
die sofort ins Spiel umgesetzt werden.)<br />
In der Bücherliste finden Sie darüber hinaus zwei Bücher mit fertigen Geschichten und Vorschlägen<br />
zur Umsetzung.<br />
Mit dem Begriff «Spiel» ist hier eine Gruppenaktivität nach vorgegebenen Regeln gemeint und<br />
nicht jede spielerische Aktivität von Kindern an sich. Spiele sind gut geeignet, den Bewegungstrieb<br />
von Kindern anzustacheln. Nicht alle Kinder kommen aber mit den jeweiligen Anforderungen von<br />
Bewegungsspielen gleich gut zurecht. Gerade die Leistungsschwachen Kinder, die Förderung besonders<br />
nötig haben, gehören nicht selten zu den Verlierern und machen deshalb bei gewissen<br />
Spielen nur ungern mit. Beobachten Sie deshalb, wie sich ein Spiel auf Ihre Klasse auswirkt und ob<br />
Sie die damit angestrebten Förderziele wirklich erreichen.<br />
Grossmutter<br />
Förderbereiche: Handlungsplanung, Bewegungssteuerung, Gleichgewicht.<br />
Ein Kind steht am einen Ende des Raumes und spielt die Grossmutter. Es blickt gegen die Wand.<br />
Die übrigen Kinder stehen am anderen Ende und müssen versuchen, den Raum bis zur Grossmutter<br />
zu durchqueren. Von Zeit zu Zeit dreht sich die Grossmutter um. Sofort müssen alle übrigen<br />
Kinder erstarren und in ihrer Position verharren. Wer sich noch bewegt und sich von der Grossmutter<br />
dabei erwischen lässt, muss zurück zum Ausgangspunkt. Wer alle prüfenden Blicke der Grossmutter<br />
übersteht und es schafft, sie zu berühren, übernimmt ihre Rolle.<br />
I - 19
Kapitel 2<br />
Haifischjagen<br />
Förderbereiche: Raumerfahrung, visuelle Konzentration, Kooperation.<br />
Legen Sie ein grosses Schwungtuch auf den Boden. Die Kinder sitzen darum herum. Ein Kind –<br />
der Haifisch – befindet sich unter dem Tuch. Ein anderes Kind ist der Jäger und kniet auf dem<br />
Tuch. Der Jäger bewegt sich auf allen Vieren und versucht, den Haifisch zu fangen. Die um das<br />
Tuch sitzenden Kinder bewegen das Tuch auf und ab, so dass grosse Wellen entstehen und der<br />
Haifisch für den Jäger nicht einfach sichtbar ist (nach Zimmer 1999.<br />
Nicht für alle Kinder sind die beiden Rollen gleich attraktiv. Für die einen Kinder ist es ein grosser<br />
Reiz, unter das Tuch zu gehen, für andere braucht das Überwindung.<br />
Einbuchten<br />
Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Handlungsplanung, visuelle Wahrnehmung.<br />
In der Mitte der Turnhalle werden vier Langbänke zu einem Quadrat zusammengestellt. Dies ist<br />
das Gefängnis. Eine Gruppe von Kindern spielt die Fänger. Wer gefangen ist, muss ins Gefängnis.<br />
Ausbrechen aus dem Gefängnis ist erlaubt, indem man unter der Langbank durchschlüpft. Nach<br />
einiger Zeit werden andere Kinder zu den Fängern. Erproben Sie, wie viele Fänger es braucht,<br />
damit eine schöne Spieldynamik entsteht.<br />
Bei der Entwicklung der Eigenwahrnehmung hilft es, nicht nur den eigenen Körper, sondern auch<br />
dessen Grenzen wahrzunehmen. Dies geschieht, wenn sich die Kinder auf begrenztem Raum bewegen,<br />
eben zum Beispiel unter einem Bank hindurch kriechen müssen. Auch das Kriechen in<br />
Röhren, das Verstecken unter Tischen, das Einwickeln in Decken etc. tragen zu solchen Erfahrungen<br />
bei.<br />
Merkball<br />
Förderbereiche (neben den in einem Ballspiel üblichen; siehe oben): Erinnerungsvermögen.<br />
Das Spiel funktioniert wie Sitzball. Nur müssen sich die Kinder merken, von wem sie getroffen worden<br />
sind. Wird diese Person nämlich selber getroffen, dürfen sie zurück ins Spiel kommen. Je nach<br />
dem, wie Ihre Klasse mit dem Spiel zurecht kommt, können Sie weitere Regeln einführen, zum<br />
Beispiel:<br />
• Die Getroffenen kommen wie beim normalen Sitzball auch dann zurück ins Spiel, wenn sie den<br />
Ball erwischen. Sie müssen sich also gleichzeitig auf zwei Sachen konzentrieren, nämlich erstens<br />
auf den Ball und zweitens auf jene Person, die sie zuvor getroffen hat.<br />
• Es ist erlaubt, den anderen zuzurufen, wer getroffen werden soll. Dies ist eine Vereinfachung,<br />
weil sich die Getroffenen den Namen, den es zu erinnern gilt, so immer wieder in Erinnerung rufen.<br />
• Ein Kind ist Joker und wird mit einem Turnband gekennzeichnet. Wird der Joker getroffen, dürfen<br />
alle Getroffenen zurück ins Spiel kommen. Wer den Joker getroffen hat, wird zum neuen<br />
Joker.<br />
• Wird der Ball gefangen, scheidet das Kind aus, das den Ball geworfen hat. Auch hier muss sich<br />
das ausgeschiedene Kind merken, wer seinen Wurf gefangen hat. Scheidet dieses Kind aus,<br />
kommt das zuvor ausgeschiedene zurück ins Spiel.<br />
I - 20
Kapitel 2<br />
Aare-Welle<br />
Förderbereiche: Konzentration, Handlungsplanung, Auge-Körper-Koordination, Kooperation.<br />
Alle bis auf eine Person sitzen auf Stühlen in einem möglichst engen Kreis. Ein Stuhl ist leer, eine<br />
Person steht in der Mitte. Sie muss einen leeren Stuhl ergattern. Das darf jedoch nicht jener Stuhl<br />
sein, der am Anfang frei ist.<br />
Damit ein anderer Stuhl frei wird, ruft die Person in der Mitte: «Aare-Welle nach links» oder «Aare-<br />
Welle nach rechts». Wer neben dem freien Stuhl sitzt, muss entsprechend nach links bzw. rechts<br />
rücken und den freien Stuhl besetzen. Die nächstfolgende Person rückt nach und so weiter. Wenn<br />
jemand zu wenig rasch nachrückt, hat die Person in der Mitte die Chance, sich auf den freien Stuhl<br />
zu setzen. Sie darf die Richtung der Welle jederzeit umkehren. Wer zu wenig rasch nachrückt, darf<br />
in die Mitte.<br />
Nebenbei: Das Spiel funktioniert auch als Rhein-, Reuss- oder Limmat-Welle.<br />
Luftballonspiel<br />
Förderbereiche: Auge-Fuss-Koordination, Raumerfahrung, visuelle Konzentration, Handlungsplanung.<br />
Jedes Kind erhält einen Luftballon, bläst ihn auf und bindet ihn mit einer ca. 50cm langen Schnur<br />
am Fussgelenk fest. Aufgabe ist es nun, auf die Ballone der anderen Kinder zu treten und sie so<br />
zum Platzen zu bringen. Der eigene Ballon muss vor dem Platzen geschützt werden. Wer keinen<br />
Luftballon mehr hat, darf weiterhin mitspielen.<br />
Nicht alle Kinder steigen auf dieses Spiel gleich gut ein. Gewisse haben vor den Ballonen zu viel<br />
Respekt. Die gleichen Förderbereiche werden auch erreicht, wenn statt des Ballons nur eine<br />
Schnur nachgezogen wird.<br />
I - 21
Kapitel 3<br />
3. Fein-, Hand- und Grafomotorik<br />
Für schulische Leistungen sind insbesondere die Grafomotorik für das Schreiben und die Mundmotorik<br />
für das Sprechen wichtig. Das folgende Kapitel bezieht sich deshalb auf diese beiden Bereiche<br />
und zeigt mit verschiedenen Beispielen, wie sich Hand-, Grafo- und Mundmotorik spielerisch<br />
<strong>fördern</strong> lassen.<br />
Schreiben: Hand- und Grafomotorik<br />
Als Kindergärtnerin oder Lehrperson gehören Sie vermutlich zu jenen Menschen, die eher viel<br />
Schreiben und denen das Schreiben leicht fällt. Je automatischer Sie Schreiben, desto besser können<br />
Sie sich auf den Inhalt konzentrieren. Deshalb gilt Schreiben unter den geübten Schreibern als<br />
intellektuelle Tätigkeit, und es geht vergessen, dass Schreiben zuerst einmal eine motorische Herausforderung<br />
ist.<br />
Die Grafomotorik bezieht sich auf jene Bewegungsfähigkeiten, die für das Schreiben grundlegend<br />
sind. Dazu gehören etwa die Beweglichkeit der Hände und des Unterarmes sowie deren Koordination,<br />
die gegenseitige Unabhängigkeit und die Koordination der Hände oder auch die Kraftanpassung,<br />
die Zielgenauigkeit und die Temposteuerung. Für viele Kinder ist es auch ein Problem, in<br />
Fingern, Hand, Arm und Schultern locker zu bleiben.<br />
Das Schreiben hat in der Schule einen hohen Stellenwert. Kinder mit grafomotorischen Schwierigkeiten<br />
bekommen deshalb rasch weitere Probleme. Sie sind langsamer als andere Kinder und<br />
können deshalb weniger Inhalte oder eigene Gedanken verarbeiten. Sie müssen sich mehr auf das<br />
Schreiben an sich konzentrieren und ermüden deshalb rascher. Es ist ihnen nicht oder nicht unbedingt<br />
geholfen, wenn sie nur das Schreiben an sich üben (müssen). Es ist viel lustvoller, die einzelnen<br />
Aspekte der Grafomotorik in spielerischer Form zu üben.<br />
Es spielt keine Rolle, ob das Schreiben noch nicht Thema ist wie im Kindergarten oder schon geübt<br />
wird wie in der Schule: Es ist immer möglich und für bestimmte Kinder sehr hilfreich, die Hand- und<br />
Grafomotorik zu <strong>fördern</strong>. Dazu finden Sie nachfolgend einige Hinweise und Vorschläge. Für Kinder<br />
mit ausgeprägten Schreibschwierigkeiten reichen aber solche Spiele und Übungen nicht aus. Eine<br />
therapeutische psychomotorische Begleitung kann in diesen Fällen viel spezifischer und umfassender<br />
auf die Probleme eingehen (vgl. Kapitel 13).<br />
Es muss auch noch betont werden, dass eine gut entwickelte Hand- und Grafomotorik nicht die<br />
einzige Voraussetzung ist, um das Schreiben zu lernen. Nötig sind etwa auch Formvorstellung und<br />
Raumorientierung, Wortschatz und Erinnerungsvermögen, Körperhaltung, Lautdifferenzierung etc.<br />
(vgl. zum Beispiel Schäfer 2001; Huber & Giezendanner 2003).<br />
Hand- und Grafomotorik <strong>fördern</strong><br />
Wie lässt sich die Hand- und Grafomotorik <strong>fördern</strong>? Geeignet sind grundsätzlich alle Spiele und Tätigkeiten,<br />
bei denen die Kinder ihre Hände gebrauchen; zum Beispiel:<br />
• Beim Hantieren mit Bauklötzen, Steinen, Pfeifenputzer, Bausätzen oder Wäscheklammern.<br />
• Beim Spiel mit Ton, Fingerfarben, Teig, Sand oder Wasser ist gut spürbar, wie sich die Finger<br />
an- oder entspannen.<br />
• Mit Fingerversen oder -liedern lässt sich das Üben mit Geschichten, Musik und Rhythmus verbinden.<br />
• Auch gewisse Gesellschaftsspiele wie Mikado oder Memory verlangen Fingerspitzengefühl.<br />
I - 22
Kapitel 3<br />
• Beim Malen und Zeichen können Kinder die Stifthaltung, die Kraftanpassung und die Zielgenauigkeit<br />
entdecken, und sie gewinnen Freude daran, auf einem Blatt Spuren zu hinterlassen.<br />
• Auch Basteln, Schneiden und Falten bieten vielfältige Anregungen. Entsprechend leisten die<br />
gestalterischen Fächer, aber auch der Instrumentalunterricht einen Beitrag, um die Handmotorik<br />
zu entwickeln. Je nach gewählter Technik sind die Ansprüche an die Fingerfertigkeit aber<br />
schon hoch, was ungeschicktere Kinder eher abschreckt. Eine selbst gesteuerte Auseinandersetzung<br />
mit Materialien kann hier helfen, Schwellen zu überwinden.<br />
• Zur Wahrnehmung der Hand trägt bei, wenn sich die Kinder ihre Hände gegenseitig massieren,<br />
mit einem trockenen Pinsel kitzeln oder sogar richtig anmalen.<br />
Sinnvoll ist es, zunächst Aktivitäten anzubieten, die sinnliches, beidhändiges Arbeiten und Krafteinsatz<br />
erfordern wie etwa kneten, spielen mit Sand oder Lehm, schmieren oder trommeln. Daran<br />
schliesslich sich allmählich Tätigkeiten an, welche die Spezialisierung einer Hand erfordern wie<br />
zum Beispiel hämmern, schrauben, reissen, schneiden oder flechten.<br />
Diese allgemeinen Ideen lassen sich im freien Spiel oder in einer situationsorientierten Bewegungsförderung<br />
hervorragend umsetzen (vgl. Kapitel 1). Darüber hinaus finden Sie anschliessend<br />
einige konkrete Spielideen. Sie stammen aus dem Heft «Hand- und Grafomotorik» aus der Praxisreihe<br />
Berufskompetenz des Verbandes der KindergärtnerInnen Schweiz KgCH. Es enthält weitere<br />
gute Spielideen und ist in der Mediothek der Pädagogischen Hochschule in Aarau ausleihbar. In<br />
der Bücherliste finden Sie zudem weiteres hervorragendes Material.<br />
Wie viel Kraft brauchts bis ins Ziel?<br />
Förderbereich: Kraftsteuerung von Hand und Finger.<br />
Für diesen Vorschlag benötigen Sie eine leere Leimtube. Wenn man sie zusammendrückt, entsteht<br />
ein Luftstrahl. So lässt sich ein kleiner Wattebausch fortblasen. Zeichnen Sie zudem auf einen<br />
grossen Papierbogen eine Zielscheibe und legen Sie das Papier auf einen Tisch. Der Wattebausch<br />
wird an den Rand des Papiers gelegt. Mit der Leimtube versuchen die Kinder, den Wattebausch in<br />
die Mitte der Zielscheibe zu blasen. Drücken sie zu schwach, geht er zu wenig weit. Drücken sie zu<br />
stark, geht er zu weit. Die Kinder müssen also herausfinden, wie viel Krafteinsatz nötig ist. Überlassen<br />
Sie es den Kindern, ob sie ein- oder zweihändig pusten wollen.<br />
Der Krafteinsatz der Finger lässt sich auch üben, wenn kleine Gegenstände direkt mit dem Finger<br />
angestossen werden wie etwa beim Spiel Carambole. Das selbe Prinzip lässt sich mit verschiedensten<br />
Gegenständen (zum Beispiel Murmeln, Tischtennisbällen, Korkzapfen oder Bohnen) auf<br />
verschiedensten Unterlagen umsetzen (zum Beispiel auf einer Tischplatte, im Sand, im Gras oder<br />
auf einem Teppich). Dabei lässt sich auch üben, nur mit der Hand zu spielen und den Arm ruhig zu<br />
halten.<br />
I - 23
Kapitel 3<br />
Gefrässige Mäuse<br />
Förderbereich: Koordination von Daumen und Zeigefinger (Pinzettengriff).<br />
Für diesen Vorschlag benötigen Sie Bohnen, Linsen, Maiskörner, Knöpfe oder andere kleine Gegenstände<br />
in grosser Zahl sowie einen Würfel. Zwei oder mehr Kinder setzen sich an einen Tisch,<br />
die Maiskörner liegen in der Mitte. Wer an der Reihe ist, würfelt und darf so viele Maiskörner nehmen,<br />
wie der Würfel anzeigt. Die Körner müssen mit Daumen und Zeigefinger gepackt und in die<br />
Handfläche der selben Hand gelegt werden. Mit den anderen Fingern werden sie gehalten Erst<br />
wenn alle Körner in der Handfläche liegen, werden sie im eigenen Mäusenest (vor sich selber auf<br />
dem Tisch) deponiert. Dann ist das nächste Kind an der Reihe.<br />
Mögliche Vereinfachungen: Grössere Gegenstände lassen sich einfacher packen. Wer eine Sechs<br />
würfelt, darf die Körner in zwei Etappen nehmen. Das Zwischenlagern in der Handfläche kann auch<br />
ganz weggelassen werden.<br />
Mögliche Erschwerungen: Kleinere Gegenstände oder zwei Würfel verwenden. Als Unterlage nicht<br />
eine flache Tischplatte, sondern eine Schale mit Sand wählen, so dass die Körner bei einem unpräzisen<br />
Griff «fliehen» können.<br />
Spaziergang mit dem Hund<br />
Förderbereiche: Tempo- und Richtungssteuerung mit dem Stift.<br />
Für diesen Vorschlag benötigen Sie ein A3-Papier, auf das Sie mit Bäumen, Bänken, einem Teich<br />
etc. eine Parklandschaft zeichnen. Zwischen den einzelnen Objekten sollte jeweils genügend Abstand<br />
sein. Kopieren Sie die Zeichnung, so dass sie den Kindern für dieses Spiel zur Verfügung<br />
steht. Natürlich können die Kinder auch ihre eigenen Parklandschaften zeichnen. Weiter benötigen<br />
Sie einen Knopf mit einem genügend grossen Loch sowie Farb- oder Bleistifte.<br />
Zwei Kinder setzen sich zusammen an einen Tisch. Das eine Kind sitzt vor das Blatt mit der Parklandschaft,<br />
das mit Klebestreifen am Tisch befestigt ist. Es steckt die Spitze eines Blei- oder Farbstiftes<br />
durch das Loch im Knopf. Der Knopf ist der Hund und wird vom Kind im Park spazieren geführt.<br />
Das andere Kind gibt Anweisungen, was der Hund tun soll, zum Beispiel: schnell, langsam,<br />
stopp, zum See etc. Der Hund erkundet also den Park, geht zwischen den Bäumen hindurch oder<br />
nimmt ein Bad im See, er geht mal langsam und rennt mal schnell, ganz wie es dem Kind gefällt,<br />
das die Anweisungen gibt. Anschliessend wird gewechselt.<br />
Der Vorschlag stellt gleichzeitig zwei Anforderungen, nämlich Temposteuerung und Zielgenauigkeit.<br />
Er lässt sich so vereinfachen, dass eine Anforderung im Vordergrund steht. Mit weniger oder<br />
gar keinen Objekten im Park verliert die Zielgenauigkeit an Gewicht. Wenn das zeichnende Kind<br />
das Tempo selber wählen kann, tritt die Temposteuerung in den Hintergrund. Erleichternd kann<br />
weiter sein, wenn der Knopf weggelassen wird.<br />
I - 24
Kapitel 3<br />
Schablonenbilder<br />
Förderbereich: Unabhängige Bewegung der Hände (Dissoziation).<br />
Für diesen Vorschlag benötigen Sie Figuren aus Karton, etwa Menschen, Tiere oder Gegenstände.<br />
Die Kinder legen diese Schablonen auf ein Blatt Papier. Sie halten sie mit der einen Hand und<br />
zeichnen mit der anderen Hand den Rand der Schablone nach. Anstatt der Schablone können die<br />
Kinder auch die eigene Hand, einen Teller oder einen Bauklotz als Vorlage verwenden. Natürlich<br />
können die Kinder auch ihre eigenen Schablonen herstellen und gegenseitig austauschen.<br />
Vereinfachungen: Schwere Gegenstände lassen sich einfacher festhalten. Flache Gegenstände mit<br />
einfachen Konturen sind einfacher zu umfahren. Die Kinder können sich auch gegenseitig helfen,<br />
die Vorlage festzuhalten. Das zeichnende Kind darf das Halten aber nicht ganz dem anderen überlassen,<br />
sonst ist das Ziel der Übung nicht erreichbar.<br />
Sprechen: Mundgefühl und Mundmotorik<br />
Sprechen geht nicht, ohne dass sich Lippen, Zunge und der ganze Mundraum koordiniert bewegen.<br />
Kinder unternehmen viele lustvolle und spielerische Aktivitäten von sich aus, um ihre Mundmotorik<br />
zu entwickeln. Sie lassen sich entsprechend von Spielideen anstecken und inspirieren.<br />
Zum Beispiel mit folgenden:<br />
• Mit den Lippen etwas fühlen, das warm, kalt, hart, weich etc. ist.<br />
• Die Lippen mit einem trockenen Pinsel gegenseitig «anmalen».<br />
• Honig auf die Lippen streichen und abschlecken, Krümel von einem Teller schlecken.<br />
• Unter Wasser mit den Lippen blubbern.<br />
• In Luftballone, Flöten, Röhren oder andere Gegenstände blasen.<br />
• Rollenspiele mit Geräuschen unterstützen (Tiere, Autos, Züge etc.)<br />
• Grimassen schneiden.<br />
• Ein Glas mit Wasser füllen und etwas Abwaschmittel zugeben. Ein Röhrchen eintauchen und<br />
hinein blasen. Das Wasser beginnt zu schäumen. Variante: Etwas Lebensmittelfarbe zugeben.<br />
Diese allgemeinen Ideen lassen sich im freien Spiel oder in einer situationsorientierten Bewegungsförderung<br />
hervorragend umsetzen (vgl. Kapitel 1). Über diese allgemeine Hinweise hinaus<br />
finden Sie hier drei konkrete Spielideen:<br />
Blasexperimente<br />
Förderbereiche: Mundmotorik, Objekterfahrung.<br />
Bereiten Sie verschiedene Gegenstände vor, die sich in Grösse, Form und Gewicht unterscheiden,<br />
zum Beispiel kleine Bälle und Murmeln, Papierknäuel und Kartonstücke, Steine und Grashalme.<br />
Sie können es auch den Kindern überlassen, eine (persönliche) Sammlung anzulegen.<br />
Die Kinder erhalten nun einzeln oder zu zweit folgende Aufgabe: Sie blasen die verschiedenen<br />
Gegenstände an und beobachten, was passiert. Lässt sich der Gegenstand durch Blasen bewegen?<br />
Wie stark und aus welcher Richtung muss er allenfalls angeblasen werden, damit er sich bewegt?<br />
Bewegt er sich schnell oder langsam?<br />
Etwas anspruchsvoller ist es zu fragen: Was macht es aus, dass die einen Gegenstände so reagieren<br />
und die anderen anders? Dieser Vorschlag kann auch im Sinne des entdeckenden Lernens<br />
verwendet werden (vgl. Kapitel 8).<br />
I - 25
Kapitel 3<br />
Wattenblasen<br />
Förderbereiche: Mundmotorik, Bewegungssteuerung.<br />
Zwei oder mehr Kinder sitzen an einem Tisch. In der Mitte liegt ein Wattebausch oder auch ein<br />
Tischtennisball oder ein Papierknäuel. Auf ein Kommando beginnen alle zu blasen. Es wollen alle<br />
vermeiden, dass der Wattebausch zu ihnen kommt. Wenn Sie wollen, können Sie dazu ein Punktesystem<br />
anwenden: Bei wem die Watte vom Tisch fällt, erhält einen Strafpunkt. Allerdings geschieht<br />
das oft zwischen zwei Kinder. So ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wer einen<br />
Punktabzug erhält.<br />
Variante: Ein Tischtennisball in eine Wasserschüssel legen und vom eigenen Rand wegblasen.<br />
Vereinfachung bzw. Erschwerung: Zwei Kinder sitzen dicht nebeneinander und blasen gemeinsam<br />
gegen ein anderes Kind.<br />
Grimassenspiel<br />
Förderbereiche: Mundmotorik, Eigenwahrnehmung.<br />
Bestimmt kennen Sie das Spiel «Telefonieren»: Ein Begriff wird in einer Runde von einer Person<br />
zur nächsten flüsternd weitergegeben. Natürlich wird er nicht immer richtig verstanden, weshalb es<br />
höchst erbaulich ist zu sehen, wie er sich bis zum Schluss der Runde verändert hat. Dasselbe lässt<br />
sich auch mit Grimassen machen: Alle sitzen im Kreis und schliessen die Augen. Jemand in der<br />
Runde berührt seinen Nachbarn oder seine Nachbarin leicht als Zeichen, die Augen zu öffnen und<br />
zeigt ihr oder ihm eine möglichst phantasievolle Grimasse. Diese wird jetzt nach demselben Prinzip<br />
wie beim Telefonieren weitergegeben bis alle die Augen offen haben. Wer die Augen schon offen<br />
hat, darf herzlich mitlachen.<br />
I - 26
Kapitel 4<br />
4. Sinneswahrnehmung und Raumerfahrung<br />
Praxisvorschläge<br />
Unter dem Stichwort Wahrnehmung sind hier die folgenden Förderbereiche angesprochen: taktile,<br />
visuelle und auditive Wahrnehmung, Eigenwahrnehmung und Gleichgewicht. Unter dem Stichwort<br />
Raumerfahrung sind hier die folgenden Förderbereiche zusammengefasst: Raum-, Objekt- und<br />
Formerfahrung, Körperschema sowie das Gefühl für Zeit, Geschwindigkeiten, Abfolgen und<br />
Rhythmus. Erklärungen zu diesen Begriffen finden Sie im letzten Abschnitt von Kapitel 1.<br />
In der Praxis gehen diese Förderbereiche Hand in Hand. Und natürlich sind auch Grob- und Feinmotorik<br />
eng damit verwoben. So sind in vielen grobmotorischen Aktivitäten (vgl. Kapitel 2) auch die<br />
Eigenwahrnehmung und Raumerfahrung und natürlich auch das Sehen und Hören angesprochen.<br />
In vielen feinmotorischen Aktivitäten (vgl. Kapitel 3) wird auch das taktile Empfinden gefördert.<br />
Die Bedeutung von Sinneswahrnehmung und Raumerfahrung für das schulische Lernen und Leisten<br />
wird im Grundlagenkapitel beleuchtet. Mit dem Bewegungs- und Sportunterricht, mit dem Gestalten,<br />
aber auch mit dem Musikunterricht bietet die Schule vielfältige Anregungen, um die Raumerfahrung<br />
und Sinneswahrnehmung zu <strong>fördern</strong>: Die gestalterischen Fächer <strong>fördern</strong> zum Beispiel<br />
die taktile Wahrnehmung und Feinmotorik, die Raumwahrnehmung und Formerkennung, die Handlungsplanung<br />
und das Vorstellungsvermögen. Der Musikunterricht fördert in erster Linie das<br />
Rhythmusgefühl, die auditive Konzentration und Merkfähigkeit und darüber hinaus je nach eingesetztem<br />
Instrument die Hand- und Mundmotorik, die Hand-Auge-Koordination, die Kraftsteuerung<br />
der Hände etc. Im Zusammenspiel mit anderen bzw. unter der Leitung einer Dirigentin sind auch<br />
die Figur-Hintergrund-Wahrnehmung oder die visuelle Aufmerksamkeit und Konzentration gefordert<br />
(Begriffserklärungen vgl. Kapitel 1).<br />
Im folgenden Praxisteil finden Sie vor allem Vorschläge, die die Raumerfahrung und Sinneswahrnehmung<br />
ausdrücklicher in den Vordergrund stellen als jene in den Kapiteln 2 und 3. Wichtig für<br />
die kindliche Entwicklung ist aber weniger die einzelne Fähigkeit, sondern das komplexe Zusammenwirken<br />
verschiedenster Kompetenzen (sensorische Integration; vgl. Grundlagenkapitel). Mit<br />
dem alltäglichen Spiel-, Entdeckungs- und Bewegungstrieb des Kindes verbinden sich die verschiedenen<br />
Elemente auf natürliche Art. Für die gezielte Förderung von Kindern empfiehlt sich<br />
deshalb vor allem das freie Spiel sowie die situationsorientierte Bewegungsförderung (vgl. Kapitel<br />
1).<br />
Dennoch kann es Sinn machen, gezielte Übungen und Spiele gemäss den folgenden Vorschlägen<br />
einzusetzen. Folgende Absichten können damit verbunden sein:<br />
• Die Kinder können einzelne Kompetenzen isoliert üben.<br />
• Die Vorschläge wollen Ihre Aufmerksamkeit stärken für die verschiedenen Förderbereiche.<br />
• Mit den Übungen können Sie die Kinder gezielt beobachten und feststellen, ob sie in einem bestimmten<br />
Bereich Schwierigkeiten haben.<br />
• Und natürlich steht dem Einsatz solcher oder ähnlicher Spiele und Übungen nichts im Weg, solange<br />
die Kinder daran Spass haben.<br />
Allgemeines zu Gleichgewicht, Eigenwahrnehmung und Körperschema<br />
Das Gleichgewicht und die Eigenwahrnehmung sind insgesamt sehr komplexe Fähigkeiten, die nur<br />
durch eine Vielzahl von senso-motorsichen Erfahrungen ausgebildet werden. Auch um das Körperschema<br />
– die Vorstellung des eigenen Körpers – auszubilden, müssen Kinder vielfältige motori-<br />
I - 27
Kapitel 4<br />
sche, sinnliche und räumliche Erfahrungen mit dem eigenen Körper machen. Deshalb finden Sie<br />
hier zunächst einige allgemeine Hinweise, wie Sie diese drei Förderbereiche angehen können.<br />
Das Gleichgewichtssystem im Innenohr wird nicht nur bei typischen Gleichgewichtsaufgaben wie<br />
zum Beispiel dem Balancieren gereizt. Immer, wenn der Kopf beschleunigt wird oder seine Lage<br />
relativ zur Erdanziehung verändert, wird es beansprucht, also auch beim Rollen, Schaukeln,<br />
Schwingen und Drehen, beim Hinunterspringen und Hüpfen auf dem Trampolin, aber auch schon<br />
nur, wenn sich der Kopf dreht oder wenn die Augen einem bewegten Gegenstand folgen (zum bewegten<br />
Gegenstand vgl. das Beispiel des Apfels im Grundlagenkapitel). Falls Sie herausfinden<br />
wollen, was das Sehen und der Gleichgewichtssinn miteinander zu tun haben: Vergleichen Sie, wie<br />
es ist, mit offenen oder geschlossenen Augen längere Zeit auf einem Bein zu stehen.<br />
Die Eigenwahrnehmung und das Körperschema werden etwa mit folgenden Aktivitäten gefördert:<br />
• Mit dem ganzen Körper viel den Boden berühren, z.B. über Matten rollen.<br />
• Beengende Platzverhältnisse erleben: z.B. Höhlen bauen, unter Tischen oder in Kisten spielen,<br />
durch Röhren oder unter Langbänken hindurch kriechen, in Decken wickeln, zwischen Matten<br />
das Fleisch im Sandwich spielen (dabei immer darauf achten, wie viel das Kind erträgt).<br />
• Alle Spiele mit Druck und Zug: Rücken an Rücken / Seite an Seite / Hand auf Hand einander<br />
weg stossen oder das Gleiche mit Material. Dabei merken ob es viel oder wenig Kraft braucht.<br />
• Übungen mit langsamen Bewegungen, die eine genaue Bewegungskontrolle verlangen; Bewegungen<br />
nachmachen oder vorgegebene Körperhaltungen einnehmen.<br />
• Massagen mit verschiedenen Materialien (Bälle, Farbroller, Bürsten, Pinsel, etc.), dabei den berührten<br />
Körperteil evtl. benennen. (Immer fragen, wie viel Druck angenehm ist: Oft haben Kinder<br />
mit Schwierigkeiten gerne klaren, kräftigen Druck.) Sich selber oder gegenseitig Körperteile<br />
waschen, trocknen, eincremen oder einbinden.<br />
• Berührungen lokalisieren und erkennen: In Bauchlage Sandsäckli auf den Körper legen: Wo<br />
liegt es? Wo hast du es am liebsten? Einander Formen, Zahlen, Buchstaben auf den Rücken<br />
schreiben. Das Kind sagt im Liegen, wo es den Boden spürt. Krankenhaus-Fangis: Der Fänger<br />
muss immer jenen Körperteil halten, an dem er selbst vom vorherigen Fänger berührt worden<br />
ist.<br />
• Räumliche Begriffe (oben - unten, links - rechts, hinten - vorne) bewusst machen bzw. benennen<br />
(lassen). Geeignet dafür sind Aktivitäten, die die entsprechende Seite über Berührung,<br />
Druck, Zug oder Widerstand stimulieren. Körperbilder malen, Umrisse mit Seilen legen. Auch<br />
Symmetrie am Körper erleben lassen: Spiegel / Roboterspiele, Statuen oder Bewegungen kopieren,<br />
etc.<br />
Orientierungsspiel<br />
Förderbereiche: Raumerfahrung, Körperschema, auditive und visuelle Wahrnehmung, Kooperation.<br />
Grundform: Ein Kind gibt Anweisungen, wie sich ein zweites Kind bewegen soll, zum Beispiel:<br />
«Marschiere geradeaus – drehe dich nach rechts – krieche unter dem Tisch hindurch» etc. Das<br />
zweite Kind bewegt sich entsprechend und lernt bzw. vertieft dadurch die räumlichen Begriffe. Das<br />
erste Kind kann feststellen, ob es die räumlichen Begriffe korrekt einsetzt. Die Aufgabe wird erschwert,<br />
wenn es im Raum nicht ganz ruhig ist und das zweite Kind die Anweisungen aus anderen<br />
Geräuschen heraushören muss (Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).<br />
Erweiterung 1: Das erste Kind versteckt im Zimmer einen Gegenstand. Die Anweisungen wie in der<br />
Grundform dienen dazu, das Kind zum Gegenstand zu führen.<br />
Erschwerung 2: Das zweite Kind erhält die Augen verbunden und muss sich nun alleine mit den<br />
mündlichen Anweisungen zurecht finden (nach Anderegg 2000, Band 1, S. 80, 230).<br />
I - 28
Kapitel 4<br />
Hausbau<br />
Förderbereiche: Raum-, Objekt- und Formerfahrung, Kooperation.<br />
Für diesen Vorschlag benötigen Sie mehrere gleiche Sets an Bauklötzen. Ein Kind baut mit einem<br />
Set einen Turm. Die anderen beteiligten Kinder versuchen, den selben Turm mit dem eigenen Set<br />
nachzubauen. Erweiterung: Zwei Kinder bauen gleichzeitig an ihren Türmen: Zuerst darf das erste<br />
Kind einen Klotz setzen, das zweite Kind baut nach. Dann darf das zweite Kind einen Klotz setzen,<br />
und das erste baut nach etc. (nach Anderegg 2000, Band 1).<br />
Körperteile spüren und benennen<br />
Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Konzentration.<br />
Ein Kind liegt mit geschlossenen Augen entspannt auf dem Boden. Ein anderes Kind legt einen<br />
Gegenstand (z.B. ein Säcklein mit Sand) auf ein Gelenk oder eine andere Körperpartie. Das liegende<br />
Kind benennt den entsprechenden Körperteil.<br />
Variante: Es stehen verschieden schwere Gegenstände zur Verfügung; das liegende Kind rät<br />
gleichzeitig, welcher Gegenstand aufgelegt worden ist.<br />
Buchbalance<br />
Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Konzentration, Bewegungssteuerung.<br />
Jedes Kind erhält ein Buch, legt es auf den eigenen Kopf und versucht, es so zu balancieren. Als<br />
Erschwerung lassen sich viele Bewegungsaufgaben erproben: durch den Raum gehen, sich auf einen<br />
Stuhl oder auf den Boden setzen, auf einen Stuhl steigen etc. Eine weitere Erschwerung ist es,<br />
diese Bewegungen mit geschlossenen Augen auszuführen.<br />
Markt der fühlbaren Dinge<br />
Förderbereiche: taktile Wahrnehmung, Kreativität.<br />
Die Klasse wird zweigeteilt. Die eine Hälfte spielt Marktfahrerinnen und Marktfahrer. Alleine oder zu<br />
zweit betreiben sie je einen Stand. An jedem Stand sind beliebige Gegenstände zu «kaufen», angepriesen<br />
werden sie ausschliesslich aufgrund ihrer Oberflächenbeschaffenheit und der daraus<br />
folgenden Tasterfahrung. Die Verkäuferinnen und Verkäufer werben also zum Beispiel für die glatten<br />
Bauklötze, die weichen Kissen oder die kitzligen Federn. Sie dürfen dabei auch ganz ausgefallene<br />
Kaufargumente erfinden.<br />
Entsprechend interessiert sich die Kundschaft – der andere Teil der Klasse – ausschliesslich für ein<br />
angenehmes, spannendes oder kuscheliges Tasterlebnis. Sie geht von Stand zu Stand, prüft die<br />
Ware und lässt sich von den Anbietern beraten. Zum Abschluss dürfen alle im Kreis berichten, was<br />
sie erstanden haben.<br />
I - 29
Kapitel 4<br />
Material-Fangis<br />
Förderbereiche: visuelle und taktile Wahrnehmung.<br />
Vor dem üblichen Fangen-Spiel wird ein Material vereinbart, das die Fliehenden vor dem Fänger<br />
schützt, z.B. Holz, Metall oder Stein. Wer im Laufe des Spiels etwas entsprechendes berührt, kann<br />
nicht gefangen werden. Wer gefangen wird, übernimmt die Rolle des Fängers (aus Ackermann<br />
1993).<br />
Das Spiel weckt die Aufmerksamkeit der Kinder für bestimmte Materialien in der eigenen Umgebung.<br />
Zudem nehmen die Kinder bei der Berührung immer auch die Oberflächenbeschaffenheit<br />
wahr. An Stelle von Materialien lässt sich das Spiel auch mit Farben, Formen etc. spielen.<br />
Flasche treffen<br />
Förderbereich: Auge-Hand-Koordination (Erschwerungen z.T. auch Eigenwahrnehmung).<br />
Befestigen Sie eine Schnur am Ende eines Bleistifts. Ein Kind hält die Schnur und versucht, den<br />
Stift in einer Flasche zu versenken, die vor ihm auf dem Boden steht. Mit der Schnurlänge lässt<br />
sich der Schwierigkeitsgrad variieren.<br />
Erschwerungen: Auf einem Bein stehen; ein Auge schliessen; die Schnur an einem Stab befestigen<br />
(Angelrute); mit geschlossenen Augen auf Anweisung eines zweiten Kindes.<br />
Gordischer Knoten<br />
Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, Kooperation.<br />
Die Kinder stehen eng zusammen. Jedes Kind ergreift mit jeder Hand je irgend eine andere Hand.<br />
Nun versuchen alle gemeinsam, diesen Knoten zu entwirren, ohne die Hände loszulassen.<br />
Tastkino<br />
Förderbereich: taktile Wahrnehmung.<br />
Bereiten Sie in Säcken oder anderen geeigneten Behältern verschiedene Materialien vor, die sich<br />
unterschiedlich anfühlen. Die Kinder strecken die Hand (oder den Fuss) in einen der Säcke und<br />
nehmen den Inhalt so ausschliesslich taktil wahr. Ziel ist es herauszufinden, was in den Säcken<br />
drin ist. Für die Kinder kann es auch reizvoll sein, das Tastkino gemeinsam mit Ihnen vorzubereiten.<br />
So wird bereits die Vorbereitung zum sinnlichen Erlebnis, und die Kinder können sich gegenseitig<br />
überraschen.<br />
I - 30
Kapitel 4<br />
Wachsfigurenkabinett<br />
Förderbereiche: Eigenwahrnehmung, visuelle Wahrnehmung und Merkfähigkeit, Formerfahrung,<br />
Variante 1 auch Kreativität, Variante 2 auch Bewegungssteuerung.<br />
Bringen Sie Zeitschriften mit vielen Bildern mit. Die Kinder suchen darin Bilder von Menschen und<br />
schneiden diese aus. Idee dieses Vorschlags ist es nun, die Körperhaltung der abgebildeten Menschen<br />
einzunehmen. Dies lässt sich auf verschiedene Arten verwirklichen:<br />
• Jedes Kind wählt eine Figur aus und stellt sich im Raum entsprechend auf. Einzelne Kinder lösen<br />
sich aus ihrer Position und besichtigen im «Wachsfigurenkabinett» die anderen Statuen.<br />
Dann nehmen sie ihre Position wieder ein, und andere Kinder machen sich zur Besichtigung<br />
auf, bis alle einmal an der Reihe waren.<br />
• Wählen Sie fünf bis zehn der ausgeschnittenen Bilder aus. Ein Kind nimmt eine der dargestellten<br />
Körperhaltungen ein; die übrigen Kinder raten, welche Darstellung gemeint ist.<br />
• Arbeit zu zweit: Ein Kind bringt ein anderes in eine der dargestellten Positionen.<br />
Variante 1: Es geht auch ohne Bilder aus Zeitschriften, wenn die Kinder eigene Positionen und<br />
Körperhaltungen erfinden. Bei der Arbeit zu zweit formt ein Kind ein anderes zu einer Statue oder<br />
eines der Kinder nimmt eine Stellung ein; das zweite übernimmt sie. Bei der Arbeit zu dritt nimmt<br />
ein Kind eine Stellung ein, das zweite bringt das dritte in die selbe Position.<br />
Variante 2: Ein Kind bewegt sich in Zeitlupe. Ein zweites Kind macht alle Bewegungen wie ein<br />
Spiegel nach.<br />
Fledermausspiel<br />
Förderbereiche: Richtungs- und Distanzhören, Raumerfahrung, Eigenwahrnehmung, Sachwissen.<br />
Die Klasse stellt sich im Kreis auf; zwei Kinder befinden sich im Kreis drin. Dem einen dieser Kinder<br />
werden die Augen verbunden; dies ist die Fledermaus. Das andere Kind spielt den Nachtfalter,<br />
welcher von der Fledermaus gefangen werden muss. Die Fledermaus orientiert sich mit ihrem Sonarschrei-Echo-System:<br />
Sie ruft den Namen des Nachtfalters, dieser antwortet mit dem Namen der<br />
Fledermaus. So hört die Fledermaus, wo der Nachtfalter ist und kann ihn zu berühren versuchen.<br />
Körperlabyrinth<br />
Förderbereich: Raumerfahrung.<br />
Alle Kinder bis auf eines legen sich auf den Boden, jedes Kind fasst mit einer Hand eine andere<br />
Hand, einen Fuss, eine Schulter etc. So entsteht ein Labyrinth; das übrig gebliebene Kind muss<br />
sich darin orientieren. Es darf nur auf den freien Flächen gehen, also nicht über Körper, Arme und<br />
Beine hinweg steigen. Kontrollieren Sie, ob die Anzahl der Sackgassen und offenen Durchgänge<br />
dem Können des Kindes etwa angemessen ist. Falls nicht: Geben Sie den liegenden Kindern konkrete<br />
Hinweise, wo Sperren zu entfernen oder Lücken zu schliessen sind.<br />
Erweiterung 1: Legen Sie irgendwo im Labyrinth einen Gegenstand auf den Boden. Das übrig gebliebene<br />
Kind muss den Weg zu diesem finden.<br />
Erweiterung 2 (in einem hohen Raum oder im Freien): Das übrig gebliebene Kind muss im Labyrinth<br />
einen Ball finden. Sobald es ihn hat, wirft es ihn senkrecht in die Luft und ruft den Namen eines<br />
liegenden Kindes. Dieses muss den Ball fangen und versuchen, damit ein anderes Kind zu<br />
treffen. Die anderen Kinder versuchen, dies zu verhindern, indem sie rasch aufstehen und davonrennen.<br />
Diese Erweiterung bringt einen Wechsel zwischen Liegen und Bewegung.<br />
I - 31
Kapitel 4<br />
Wasser- oder Schneelabyrinth<br />
Förderbereich: Raumerfahrung.<br />
Mit Wasser lassen sich auf einem trockenen Teer- oder Asphaltplatz Spuren hinterlassen, zum<br />
Beispiel ein Labyrinth. Geben Sie jedem Kind eine Petflasche mit Wasser, und alle schütten das<br />
Wasser so aus, dass durch die Wasserspur Gänge und Sachkassen entstehen. Achten Sie darauf,<br />
dass das Labyrinth nicht zu feingliedrig ist, sonst ist die Fortsetzung schwierig. Die Kinder dürfen<br />
sich anschliessend nämlich nur auf den nassen Spuren bewegen. Zunächst bewegen und entdecken<br />
sie nach Lust und Laune, in einer zweiten Phase können Sie ein Fangis veranstalten.<br />
Variation bei entsprechender Schneedecke: Auch mit Spuren im Schnee lässt sich ein Labyrinth<br />
erschaffen.<br />
Glasxylophon<br />
Förderbereiche: auditive Wahrnehmung, Objekterfahrung, Kreativität.<br />
Stellen Sie den Kindern eine Reihe von Flaschen oder Trinkgläser zur Verfügung. Die Kinder füllen<br />
diese Behälter verschieden hoch mit Wasser. Entsprechend entstehen beim Anschlagen verschiedene<br />
Töne. Die Kinder versuchen, eine schöne Tonleiter zu erreichen, spielen damit Melodien oder<br />
bringen ihre eigenen Ideen ein, was sie mit dem Glasxylophon alles machen wollen. Zudem können<br />
sie auch der Frage nachgehen: Welche Gegenstände eignen sich zum Anschlagen, damit ein<br />
schöner Ton entsteht?<br />
Geräuschmemory<br />
Förderbereiche: auditive Wahrnehmung und Konzentration (Variante auch Figur-Hintergrund-<br />
Wahrnehmung und Richtungshören).<br />
Für das Geräuschememory benötigen Sie eine Reihe von kleinen, jeweils gleichen Behältern, z.B.<br />
leere Filmdöschen oder die gelben Innenbehälter aus Überraschungseiern. Füllen Sie in jeweils<br />
zwei dieselben Gegenstände oder Materialen, geeignet sind zum Beispiel Reis, halbe Korkzapfen,<br />
Reissnägel, Sand, Bohnen etc. Bereiten Sie die das Spiel gemeinsam mit den Kindern vor. Schon<br />
das ist sehr spannend und regt die Phantasie an.<br />
Die Behälter tönen beim Schütteln ganz unterschiedlich, aber jeweils zwei tönen gleich. Ziel des<br />
Spiel ist es wie beim Memory, die zwei zusammengehörenden zu finden.<br />
Variante: Geben Sie jedem Kind eines der Döschen. Die Kinder gehen durch den Raum, schütteln<br />
ihren Behälter und suchen das Kind, das das gleiche Geräusch macht.<br />
I - 32
Kapitel 4<br />
Geräusche-Parcours<br />
Förderbereiche: auditive Wahrnehmung und Konzentration, Richtungs- und Distanzhören.<br />
Die Klasse steht in einem grossen Kreis. Jedes Kind hat ein Instrument, zum Beispiel aus dem<br />
Orff-Instrumentarium. Ein Kind geht in die Mitte des Kreises und erhält die Augen verbunden. Nun<br />
erzeugt ein Kind mit seinem Instrument Töne, zum Beispiel schlägt es mit dem Tamburin einen einfachen,<br />
vorgegeben oder selbst gewählten Rhythmus. Das Kind in der Mitte geht auf die Tonquelle<br />
zu, bis es sie gefunden hat. Dann beginnt ein anderes Kind, Töne zu erzeugen, und das «blinde»<br />
Kind muss wiederum die Geräuschequelle finden (aus Ackermann 1993).<br />
Erschwerung: Die Aufgabe wird erschwert, wenn gleichzeitig mehrere Instrumente klingen. Das<br />
«blinde» Kind muss dann die Geräuschquelle, zu der es hin will, aus anderen Geräuschen heraushören<br />
(Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).<br />
Geräuschelandkarte<br />
Förderbereiche: auditive Wahrnehmung, Kreativität (Erweiterung auch Richtungshören).<br />
Diesen Vorschlag setzen Sie am besten im Freien um, und zwar an einem Ort, der von verschiedensten<br />
Geräuschen aus nah und ferner «belebt» wird. Die Kinder erhalten ein Blatt Papier und einen<br />
Stift. Sie setzen sich alleine an einen Platz, an dem sie sich wohl führen. Über eine bestimmte<br />
Zeit (z.B. 10 Minuten) konzentrieren sie sich auf die Geräusche und machen eine Zeichnung zu<br />
dem, was ihnen dazu einfällt. Das kann, muss aber nicht unbedingt die Geräuschquelle selber sein.<br />
Vielleicht gelingt es auch, den Charakter eines Geräusches zeichnerisch auszudrücken: ein Heulton<br />
zum Beispiel als Wellenlinie, Hammerschläge als Tupfen oder ein plätschernder Bach als eine<br />
endlose Linie, die ständig ihre Richtung ändert.<br />
Erweiterung: Anstatt auf ein Blatt Papier zeichnen die Kinder auf einen Ballon: Sie denken sich im<br />
Zentrum des Ballons, mit dem Ort der Zeichnung kennzeichnen sie die Richtung, aus welcher das<br />
Geräusch kommt.<br />
Geisterbahn<br />
Förderbereiche: auditive und taktile Wahrnehmung, Körperwahrnehmung und Gleichgewicht je<br />
nach Umsetzung.<br />
In einem dunklen Raum richten die Kinder einen Parcours ein, der verschiedenste überraschende<br />
Erlebnisse mit sich bringt. Der Phantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Die meisten Erfindungen<br />
der Kinder sind aber harmlos, zum Beispiel: ungewohnte Geräusche, sich auf eine Bürste setzen,<br />
die Hand in eine Flüssigkeit eintauchen, durch einen Vorhang von herabhängenden Papierstreifen<br />
gehen. Wer den Parcours durchläuft, erhält die Augen verbunden und wird von einem anderen<br />
Kind geführt.<br />
Aus der Sicht der Wahrnehmungsförderung ist die Geisterbahn interessant, weil das Sehen zugunsten<br />
von anderen Wahrnehmungsbereichen reduziert oder aufgegeben wird. Hören und Spüren<br />
stehen im Vordergrund. Die einzelnen Stationen müssen dabei nicht besonders originell sein. Der<br />
«Gruseleffekt» rührt vor allem daher, dass das Erlebte nicht sofort erkannt wird. Die Bezeichnung<br />
«Geisterbahn» steigert die Spannung zusätzlich. Nicht alle Kinder können sich aber so ohne weiteres<br />
darauf einlassen. Respektieren Sie die individuellen Grenzen.<br />
Eine Geisterbahn kann für die Kinder über längere Zeit interessant bleiben. Sie wird immer wieder<br />
von anderen Kindern umgestaltet und mit neuen Ideen ergänzt. Falls Sie also einmal einen Raum<br />
für eine Geisterbahn zur Verfügung stellen, überlassen Sie es am besten den Kindern, wie lange<br />
sie dabei bleiben wollen.<br />
I - 33
Kapitel 5<br />
5. Der Wald als Bewegungs- und Spielraum<br />
Der Wald bietet eine grosse Vielfalt an Formen, Gerüchen, Farben und Materialien. Es gibt tausend<br />
Dinge zu sehen, zu hören, zu entdecken und zu verändern. Es gibt Möglichkeiten zum Klettern und<br />
Balancieren, zum Springen und Hüpfen, zum Kriechen und Rollen, zum Bauen und Basteln. Der<br />
Wald hält somit vielfältige Möglichkeiten für Spiel, Bewegung, Entdeckungen und Sinneseindrücke<br />
bereit und lässt der kindlichen Phantasie, Kreativität und Eigenaktivität einen grossen Spielraum.<br />
Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Phantasie die Kinder schon nach kurzer Zeit entwickeln<br />
und wie wenig Anregungen sie von Erwachsenen brauchen, um im Wald in ein Spiel zu finden. Sie<br />
schaffen sich so ihre eigenen Übungssituationen für ihre Sinne, für ihre Motorik, für ihre Konzentration<br />
und für ihre sensorische Integration. Schon nur das Gehen auf unebenem Boden ist für gewisse<br />
Kinder eine Herausforderung, bei der sie aber rasch Fortschritte machen. Der Wald bietet darüber<br />
hinaus Gelegenheit für Ruhe und Musse, so dass das Kind die gewonnenen Eindrücke verarbeiten<br />
kann.<br />
Der Wald ist also eine hervorragende Umgebung, um die senso-motorische Entwicklung von Kindern<br />
zu <strong>fördern</strong> (vgl. Kapitel 1). Das folgende Kapitel möchte gluschtig darauf machen, mit der eigenen<br />
Kindergartengruppe oder Schulklasse wieder einmal in den Wald zu gehen oder – wenn Sie<br />
das bereits regelmässig tun – solche Ausflüge bewusst und gezielt für die Bewegungs- und Sinnesentwicklung<br />
zu nutzen. Sie finden einen Erfahrungsbericht, einige allgemeine Überlegungen<br />
sowie eine Reihe von praktischen Ideen zum Einsteigen.<br />
Der Wald als Wundertüte<br />
Im Wald entdecken Kinder oft spontan ihr eigenes Spiel. Der folgende Erfahrungsbericht einer Kindergärtnerin<br />
illustriert eine solche Situation:<br />
«Zwergenlandschaft» – Ein unvorhergesehenes Ereignis im Wald<br />
Ich habe am Vormittag mit den Kindern vereinbart, dass wir auf Kathrins Vorschlag hin am Nachmitag in<br />
den Wald gehen werden, um Schlüsselblumen zu suchen. Also spazieren wir zum Wald hinauf. Bald<br />
schon erreichen wir den Mordasini-Weiher, wo uns die ersten Guggublüemli entgegenlachen. Reto und<br />
Kathrin wissen, wo wir vielleicht eine Fuchshöhle sehen könnten. Sie hätten da auch schon einen grossen<br />
Fuchs mit Kindern, jungen Füchsen, angetroffen. Einmal, ganz früh am Morgen mit den Eltern. Kaum haben<br />
die anderen Kinder davon gehört, streben auch sie in den Wald. Aber schon nach wenigen Metern<br />
bleiben sie wie angewurzelt stehen. Was ist los? Ein Fuchs? – Nein, aber jetzt sehe ich es auch: Zwischen<br />
lichten Tannen breitet sich wunderschönes Moos in saftigem Grün aus. Ganz leise sagt Pascal<br />
Müller zu mir: «Gäll mer getrout sich fascht nöd druff z staa?» – Leyla hat sich hingekniet und streicht<br />
ganz sachte über ein Stück Moosteppich. Steffi macht die andern Kinder darauf aufmerksam, dass das<br />
Moos auch ganz verschieden aussieht. Aus einem Moosplatz wachsen lauter feine, zarte Stiele heraus.<br />
«S gseet uus wie Höörli, soo fiin», meint Denise und neigt sich so weit auf den Knien vor, bis sie mit der<br />
Wange über die Mooshärchen hinwegstreicheln kann. «Ganz, ganz chliini Zwèèrge, für die wärs richtig<br />
schwirig, da zwüschetdure z lauffe», meint sie. Alex sagt: «Für ganz chliini Zwèèrge wèèred die<br />
Moosstängeli wie für öis Böim.»<br />
Inzwischen haben sich die Kinder spontan meist in Zweiergruppen zusammengeschlossen und werkeln<br />
irgendwie im Moos herum. Ich trete zu Pascal Bader, der emsig Hölzchen zerbricht von ungefähr gleicher<br />
Länge und diese dann um eine Wurzelnische bei einem Holzstrunk einsteckt. Tanja hilft ihm «irgendwie»<br />
dabei. Im Moment steht sie auf und rennt weg. Bald kommt sie mit Rindenstückchen zurück. Pascal nickt:<br />
«Ja, die sind guet, chasch no es gröössers sueche, mer mached dänn no es Tach.» Jetzt wendet sich<br />
Tanja an mich: «Gseend Si, mir händ de Zwèèrge es Bettli gmacht und das isch s Sofa, aber mir mached<br />
no vil mee, gäll, Pascal!» Palcal bestätigt: «Ja, Teppich und da verusse mach ich ine no en Fuessballplatz.»<br />
Tanja staunt. Sie kann aber im Moment offensichtlich den Vorstellungen von Pascal nicht ganz<br />
folgen. Sie sind aber trotzdem beide dabei, in ihrem hohlen Baumstrunk von etwa 20cm Durchmessen eine<br />
Zwergenwohnung einzurichten und zu gestalten.<br />
I - 34
Kapitel 5<br />
Unmittelbar hinter mir kniet auch Lydia auf einem Moosplatz und häuft einen Berg aus Sägespänen zwischen<br />
austretenden Wurzeln an einen Tannenstamm. Woher sie diese nur hat? – Ah, jetzt steht sie auf,<br />
streift mich kurz mit einem Blick, aber nur ganz kurz und rennt dann zwischen Dornenranken und am Boden<br />
liegenden Ästen zu einem Holzhaufen. An ihren Bewegungen kann ich ablesen, dass sie irgendwas<br />
vor sich zusammenhäuft. Nach kurzem Zusammenpressen kommt sie mit einem Ballen Sägespänen wieder<br />
zurück und häuft sie auf den schon vorhandenen Berg. Mit den Händen streicht sie darüber, zieht etwas<br />
vom Material wieder weg, schichtet auf und wieder um. Irgend etwas bedeutet dieses Spiel für sie,<br />
ich selbst kann kaum etwas Konkretes erkennen, aber das Ganze scheint auch erst im Entstehen zu sein.<br />
Hie und da höre ich einzelne Kinder einander etwas zurufen. Dann wieder tönt es verzückt hinter einem<br />
Baum hervor: «Wie Hèèrzig!» – «Ou, das mach i au, wie häsch das gmacht?» – «Gisch mer au eine?» –<br />
«Ich ha nüt gfunde, käne.» – «Ich wäiss nöd wie.» – «Isch ja gliich!» – «Chum, tue s äifach drüber.» –<br />
«Ou, jetzt isch er inegheit!» – «Da chasch nöd dure.» – «Die tätets bewache.» – «Die wäred giftig, aber<br />
de Zwèèrge würds nüüt mache.» – «Gäll, die andere gseends nöd, die wèèred durchsichtig, nur mir<br />
gseends, will mir s usegfunde händ!» …<br />
Und ich? – Ich sitze auf einem Baumstrunk. Rund um mich herum wird eifrig und vertieft gespielt. Mir ist,<br />
als sei ich selbst in ein Zwergenland eingetaucht. Warum nur hört man niemanden streiten? Warum nur<br />
kommt kein Kind, um bei mir über irgend etwas oder jemanden zu klagen? Warum aber muss ich denn<br />
gar nichts helfen? Warum haben sie mir nicht sofort etwas zu zeigen? Warum fragt keines, ob ich etwas<br />
zu trinken hätte, oder wann wir wieder nach Hause gehen? Haben eigentlich alle ausnahmslos vergessen,<br />
dass wir Schlüsselblumen suchen und pflücken wollten? (Aus: Judith Unteregger-Mattenberger (1994):<br />
Eigenaktivität im Kindergarten. Zürich: Lehrmittelverlag.)<br />
In den Wald – wozu?<br />
Die Spiel-, Bewegungs- und Entdeckungsmöglichkeiten im Wald können Grund genug sein, um<br />
immer wieder einmal einen Spaziergang oder eine Exkursion zu wagen. Die Kinder erhalten so eine<br />
Abwechslung zum sonstigen Schul- oder Kindergartenalltag, sie erweitern ihre Spiel- und Erfahrungsmöglichkeiten.<br />
Der Wald lädt aber nicht nur zum freien Spielen und Entdecken ein. Er bietet<br />
sich auch an, um an konkreten Unterrichtszielen und Inhalten zu arbeiten:<br />
• Was liegt näher, als den Sachunterricht zum Thema Wald gleich an Ort und Stelle durchzuführen?<br />
So wird der Lerngegenstand konkret, fühl- und riechbar. Die Kinder können ihre eigenen<br />
Entdeckungen machen: ein Käfer, ein Moosbett, ein mächtiger Wurzelstock etc. Die freieren<br />
Aktivitäten der Kinder sind dabei mehr als nur eine nette Abwechslung zu den geführten Unterrichtsteilen.<br />
Bewegung und Spiel sind für Kinder die grundlegenden Mittel, um sich die Welt zu<br />
erschliessen und Wissen über sie zu erwerben.<br />
• Der Wald ist nicht nur der Wohnort von Hase, Reh und Fuchs; in der kindlichen Phantasie<br />
kommen Wölfe und Bären, Zwerge und Elfen hinzu. Diese Tiere und Gestalten kommen auch in<br />
vielen Märchen und Kindergeschichten vor. Auch hier ist es also nahe liegend, entsprechende<br />
Aktivitäten aus der Schul- oder Kindergartenstube in den Wald zu verlegen. Passende Geschichten<br />
regen dazu an, das Spiel im Wald zu erweitern und zu vertiefen. Umgekehrt ermöglichen<br />
die eigenen Walderfahrungen einen Zugang zu solchen Geschichten.<br />
• Auch Lernziele aus den Bereichen Bewegung und Sport oder Gestalten lassen sich im Wald<br />
verfolgen. Vielleicht braucht es etwas Phantasie und Mut, die wohlgeordneten und bekannten<br />
Geräte und Materialien aus Turnhalle und Klassenraum hinter sich zu lassen. Gerade die Unstrukturiertheit<br />
des Waldes ist für Kinder aber besonders einladend.<br />
Im kindlichen Spiel sind die Sinnes- und Sacherfahrung, die Phantasie und das Gestalten, das<br />
Spielen und Bewegen eng miteinander verwoben. Entsprechend lassen sich bestimmte Lernziele<br />
nicht isoliert verfolgen. Auch das braucht vielleicht etwas Mut. Für die kindliche Entwicklung ist das<br />
aber nichts als wertvoll (vgl. Kapitel 1), und die Kinder danken es mit der ihnen eigenen Begeisterung.<br />
I - 35
Kapitel 5<br />
Vom einmaligen Erlebnis zur Normalität<br />
In vielen Kindergärten sind Waldbesuche fest in den Alltag integriert. Eine Untersuchung der Kindergärten<br />
im Kanton Zürich hat etwa ergeben: Fast die Hälfte der befragten Kindergärtnerinnen<br />
geht mit ihren Klassen regelmässig in den Wald, etwa ein Viertel von ihnen wöchentlich. 75% der<br />
Eltern von Zürcher Kindergartenkindern befürworten regelmässige Ausflüge des Kindergartens in<br />
die Natur (Gugerli u.a. 2004).<br />
Aus Dänemark stammt die Idee, den Kindergarten nur noch im Wald stattfinden zu lassen. Auch in<br />
der Schweiz gibt es erste private und öffentliche Waldkindergärten (www.waldkindergarten.ch) und<br />
eine ganze Reihe von Waldkinderkrippen. Die Kinder sind bei jedem Wetter und bei jeder Jahreszeit<br />
draussen; bei ganz unmöglichen Wetterlagen steht allenfalls ein Bauwagen oder ein anderer<br />
Unterschlupf zur Verfügung.<br />
Bereits haben erste Studien die Eigenheiten des Waldkindergartens untersucht (Kiener 2003, Häfner<br />
2003, Lettieri 2002). Sie zeigen: Kinder aus Waldkindergärten machen mehr Fortschritte bei<br />
der Grobmotorik und der Kreativität als Kinder aus Regelkindergärten, in der ersten Klasse zeigen<br />
sie mehr Motivation, Ausdauer, Konzentration und Sozialverhalten und arbeiten besser am Unterricht<br />
mit. Bei der Feinmotorik sind sie dagegen gleich gut bis schwächer, vor allem wenn es um<br />
spezifische Fähigkeiten wie dem Hantieren mit Scheren oder Stiften geht. Es gibt deshalb unterschiedliche<br />
Meinungen darüber, ob der Waldkindergarten die Lehrplanvorgaben erfüllen kann (vgl.<br />
KgCH 2002). Peter Häfner (2003) plädiert deshalb dafür, die beiden Formen zu kombinieren.<br />
In den Wald – worauf es ankommt<br />
Wenn Sie regelmässig in den Wald gehen, ist die Wiederholung, das Vertraute für die Kinder sehr<br />
willkommen. Dazu gehört eine bestimmte Reihenfolge der Aktivitäten, aber auch ein bestimmter<br />
Platz als Ausgangs- und Ruhepunkt. So können sich die Kinder rascher orientieren und in ihr Spiel<br />
finden. Vielleicht machen Sie diesen Platz gemeinsam mit den Kindern zu «Ihrem» Platz, indem sie<br />
ihn besonders kennzeichnen oder herrichten. So können sich die Kinder mit dem Platz, aber auch<br />
mit der Unternehmung an sich identifizieren. Sprechen Sie aber mit dem Waldbesitzer oder dem<br />
Förster, bevor Sie grössere Veränderungen vornehmen.<br />
Wald kann sehr weitläufig sein. Vielleicht wollen sich Kinder bei einem Versteckspiel besonders gut<br />
verstecken und entfernen sich weit von der Gruppe. Es macht deshalb Sinn, dass Sie den Raum<br />
eingrenzen: Erklären Sie den Kindern, wie weit sie sich im freien oder organisierten Spiel entfernen<br />
dürfen.<br />
Jeder Aufenthalt im Wald ist auch ein Eingriff in die natürlichen Abläufe. Wie viel Spiel, Gestaltung<br />
und Veränderung ist da überhaupt erlaubt? Wenn Kinder ihre eigenen Freiheiten geniessen, wenn<br />
sie spielen, herumrennen, gestalten und verändern, lässt sich eine Beeinträchtigung nicht verhindern.<br />
Eine Grenze liegt sicher da, wo das Spiel nicht mehr kreativ, konstruktiv und konzentriert ist,<br />
sondern ausartet, überbordet, zerstörerisch und aggressiv wird. Eine zweite Grenze liegt beim<br />
Wald selber: Meiden Sie insbesondere empfindliche Stellen wie Jungwuchs, Feuchtbiotope, Ameisenhaufen<br />
oder andere Aufenthaltsbereiche von Tieren.<br />
Wenn Kinder den Wald verändern oder gar beeinträchtigen, heisst das nicht, dass sie ihm nicht<br />
zugeneigt wären. Ganz im Gegenteil kann das Spiel im Wald zu Entdeckungen führen, die Staunen<br />
oder gar Ehrfurcht auslösen. Nutzen Sie zum Beispiel die unerwartete Entdeckung eines Käfers,<br />
um mit den Kindern zu staunen und sie zu bitten, ihn über die Beobachtung hinaus in Ruhe zu lassen.<br />
Wenn Kinder den Wald als vielfältigen und lustvollen Spielort kennen, lassen sie sich auch<br />
eher auf den Schutzgedanken ein.<br />
Achten Sie darauf, dass die Kinder gut ausgerüstet in den Wald mitkommen. Sie sollen sich ungezwungen<br />
und lustvoll bewegen können. Die Kleider und Schuhe müssen deshalb strapazierfähig<br />
sein, sie sollten dreckig werden dürfen, und je nach Witterung braucht es auch einen Schutz gegen<br />
I - 36
Kapitel 5<br />
Nässe. Zum Schutz vor Zecken und stechenden Insekten sind auch im Sommer lange Kleider<br />
empfehlenswert. Zur Ausrüstung gehört auch eine Notfallapotheke. Entsprechend ist es unumgänglich,<br />
die Eltern über die bevorstehenden Waldbesuche zu informieren.<br />
Das Gesagte sind nur einige allgemeine Grundsätze. Falls Sie regelmässig in den Wald gehen wollen,<br />
verlangt das eine relativ intensive Vorbereitung. In der Bücherliste finden Sie Empfehlungen,<br />
die bei der Vorbereitung hilfreich sind.<br />
Einige Ideen zum Einsteigen<br />
Die folgenden Ideen setzen quasi die Aktivitäten der Kapitel 2 bis 4 in einer anderen Umgebung<br />
fort. Auch hier geht es also um Grob- und Feinmotorik, um Raumerfahrung und um Sinneswahrnehmung.<br />
Wiederum sind zu Beginn jeder Idee die entsprechenden Förderbereiche benannt. Diese<br />
Angaben können aber nur ungefähre sein. Denn je nach dem, wie Sie eine Idee akzentuieren oder<br />
wie die Kinder auf einen Impuls einsteigen, können wieder ganz andere Förderbereiche angesprochen<br />
sein. Bei der Idee «Kunstweg» beispielsweise sind die Kinder frei, ein grosses oder ein kleines<br />
Objekt zu gestalten. Je nach Umsetzung kommen also eher grob- oder eher feinmotorische<br />
Aktivitäten zum Zug.<br />
Suchen und finden<br />
Förderbereiche: Objekterfahrung, visuelle Konzentration, Sachwissen etc. je nach Akzent.<br />
Sammeln Sie im Waldstück, in dem Sie sich mit den Kindern aufhalten, eine Reihe von Gegenständen,<br />
zum Beispiel Blätter, Ästchen, Steinchen oder Blüten. Legen Sie sie auf ein Tuch und zeigen<br />
Sie sie den Kindern. Die Kinder haben die Aufgabe, im betreffenden Waldstück die selben Gegenstände<br />
zu suchen und mitzubringen. Wenn die Kinder die Gegenstände im Kopf behalten können,<br />
können Sie sie zudecken; sonst lassen Sie sie sichtbar. Die Kinder müssen also mit offenen<br />
Augen durch den Wald gehen und entdecken dabei noch viel mehr als das, was Sie vorgegeben<br />
haben.<br />
Auf Ihr Signal kommen die Kinder wieder zu Ihnen. Nun werden Ihre und die Gegenstände der<br />
Kinder verglichen. Wer hat zum Beispiel auch ein Buchenblatt gefunden? Welches ist dem Original<br />
am ähnlichsten? Die Kinder können so feststellen, dass ein Blatt nicht einfach ein Blatt ist, sondern<br />
je nach Grösse, Farbe, Form oder Frassspuren ganz anders aussieht. Zum Schluss können alle<br />
Kinder gemeinsam die Gegenstände zu einem Mandala zusammenlegen.<br />
Die Spielidee lässt sich mit ganz verschiedenen Beobachtungs- oder Suchaufträgen ergänzen oder<br />
fortsetzen. Zum Beispiel suchen alle Kinder einen Ort oder einen Gegenstand, den sie den anderen<br />
zeigen möchten. Wer findet ein Ästchen, das wie ein Tier aussieht? Wer findet Spuren von einem<br />
Tier, zum Beispiel Frassspuren, Federn oder Fussabdrücke? Oder wer findet etwas Rundes,<br />
wer etwas Weiches, wer etwas Tönendes, wer etwas Wohlriechendes oder wer etwas Rotes? Im<br />
Herbstwald lassen sich ganze Farbkreise zusammenstellen. Entscheiden Sie dabei jeweils, ob die<br />
Gegenstände mitgebracht werden sollen oder an Ort und Stelle bleiben müssen.<br />
Suchaufträge können freiere Aktivitäten anregen, geführte Sequenzen ausschmücken oder auch<br />
für sich alleine viel Spass bereiten. Kinder lassen sich davon immer wieder begeistern. Gewöhnliche<br />
Spaziergänge werden so zu richtigen Forschungsexpeditionen. Ein attraktiver Suchauftrag<br />
kann unruhigen und leicht ablenkbaren Kindern helfen, die Energie und Aufmerksamkeit zu bündeln<br />
und längere Zeit bei der Sache zu bleiben. Auch ängstliche Kinder lassen sich durch Suchaufträge<br />
locken, vielleicht brauchen diese Kinder bei ihrer Suche auch zuerst einfühlsame Begleitung.<br />
Es ist dabei immer wahrscheinlich (und aus der Sicht der senso-motorischen Entwicklung auch erwünscht),<br />
dass die Kinder dank ihren Entdeckungen auf eigene Spielideen kommen. Wichtig ist bei<br />
jedem Suchauftrag, dass er erfolgreich sein kann. Füchse, Dachse oder Rehe lassen sich nur<br />
schwer finden; im Unspektakulären liegt dafür meist das grössere Phantasie- und Spielpotential.<br />
I - 37
Kapitel 5<br />
Der Nahgucker<br />
Förderbereich: Visuelle Konzentration.<br />
Im Freien übersehen wir oft vieles, zum Beispiel unscheinbare Lebewesen und unspektakuläre Ereignisse.<br />
Wenn wir den Blick begrenzen, lassen sich plötzlich viele spannende Entdeckungen machen.<br />
Der Nahgucker hilft, sich auf einen kleinen Ausschnitt der Welt zu konzentrieren.<br />
Der Nahgucker sieht aus wie ein Feldstecher, besteht aber aus zwei WC-Rollen, die mit Klebeband<br />
zusammengehalten werden. Jedes Kind bastelt sich einen Nahgucker und sucht sich im Wald einen<br />
Platz, den es beobachten möchte. Während 10 Minuten soll durch den Nahgucker immer der<br />
gleiche Flecken Natur betrachtet werden.<br />
Zurück in der Gruppe wird das Beobachtete gezeichnet, aufgeschrieben oder gegenseitig erzählt.<br />
Besondere Beobachtungen können in Gruppen wiederholt werden (aus Heck & Marti 2000).<br />
Buchstaben schreiben<br />
Förderbereiche: Objekterfahrung, Formerkennung.<br />
Der Wald bietet eine Vielfalt an Materialien zum Gestalten: Ästchen, Steine, Tannenzapfen, Moos,<br />
Früchte, Blätter und vieles mehr. Regen Sie die Kinder an, sich passendes Material zu suchen und<br />
damit einen vorgegebenen oder selbst gewählten Buchstaben oder sogar ein ganzes Wort zu<br />
«schreiben» (z.B. den eigenen Namen). Ästchen lassen sich gut für Linien verwenden, Buchnüsschen<br />
lassen sich zu Linien aneinander legen, Laub lässt sich zu Wällen aufschichten, wodurch meterlange<br />
Linien und somit Buchstaben entstehen. Seien Sie gespannt auf die Ideen Ihrer Klasse.<br />
Wer schafft es, einen ganzen Baum in die Gestaltung eines Buchstabens einzubeziehen?<br />
Variante: Die Kinder suchen im Wald nach Buchstaben, ohne selber etwas zu verändern oder zu<br />
gestalten, zum Beispiel eine Astgabel in Form eines Y, eine Eichel als O oder irgendwelche Buchstabenformen<br />
in einer strukturreichen Rinde.<br />
Hindernisparcours<br />
Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Grobmotorik.<br />
Anstatt in der Turnhalle lässt sich ein Hindernisparcours auch im Wald aufstellen. Die Kinder erfinden<br />
in Gruppen eigene Stationen: Sie legen Slalomrouten um Bäume fest, legen grössere Holzstücke<br />
als Hindernisse zurecht, bestimmen einen Baum als Ziel eines Tannzapfenwurfes oder binden<br />
einen Ast an zwei Bäumen so fest, dass man darüber springen oder unten durchkriechen muss.<br />
Sie dürfen gespannt sein auf die Kreativität Ihrer Klasse. Prüfen Sie die Erfindungen auf ihre Sicherheit.<br />
Schliesslich werden die einzelnen Stationen zu einem Parcours zusammengehängt und<br />
durchlaufen.<br />
I - 38
Kapitel 5<br />
Fotografieren<br />
Förderbereiche: taktile Wahrnehmung, Eigenwahrnehmung, Kooperation.<br />
Die Kinder bilden Zweiergruppen. In jeder Gruppe schliesst das eine Kind die Augen und wird vom<br />
anderen geführt. Das führende Kind erlaubt dem blinden von Zeit zu Zeit, ganz kurz die Augen zu<br />
öffnen. Dafür richtet es den Körper und den Kopf des blinden Kindes auf eine Stelle aus, die es ihm<br />
zeigen will. Das blinde Kind spielt also quasi den Fotoapparat, mit dem bestimmte Stellen fotografiert<br />
werden. Nach ein paar Stationen wird gewechselt.<br />
Sowohl das bewusste Sehen als auch das bewusste Nicht-Sehen werden so angesprochen. Die<br />
«fotografierten» Stellen müssen gar nicht besonders spektakulär sein. Spannend an diesem Spiel<br />
ist, beim Augenöffnen Unerwartetes zu erblicken. Vielleicht kann auch Neues entdeckt werden. Übrigens<br />
wirkt der Überraschungseffekt nicht nur im Wald, sondern auch im (vermeintlich bekannten)<br />
Schulhaus. Mit dem Aspekt des Augenöffnens kann das Spiel auch am Morgen zum «Aufwachen»<br />
gespielt werden.<br />
Waldmusik<br />
Förderbereiche: Objekterfahrung, auditive Wahrnehmung, Kreativität.<br />
Mit Waldmaterial lassen sich in erster Linie Schlaginstrumente herstellen, also indem zwei Holzstücke<br />
aneinander geschlagen werden. Bis zum perfekten Klang stellen sich eine ganze Reihe von<br />
Fragen, zum Beispiel: Tönt grünes Holz anders als trockenes oder morsches? Tönen dicke Holzstücke<br />
anders als dünne, lange anders als kurze? Tönt Fichte anders als Buche? Tönen geschälte<br />
Stücke anders als solche mit Rinde? Wie und an welchen Stellen muss ein Stück Holz unterlegt<br />
werden, damit ein Klang entsteht?<br />
Dank einem Behelf aus dem Haushalt lässt sich ein Orchester mit Zupfinstrumenten ergänzen: Die<br />
Kinder sammeln gebogene Rindenstücke und Astgabeln und spannen damit dicke und dünne<br />
Gummibänder auf. Auch hier lässt sich mit der Spannung der Gummibänder experimentieren, um<br />
verschiedene Klänge – vielleicht eine ganze Tonleiter – zu finden.<br />
Kunstweg<br />
Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Objekterfahrung, visuelle Wahrnehmung.<br />
In kleinen Gruppen suchen sich die Kinder entlang eines festgelegten Weges ein Plätzchen. An<br />
diesem gestalten sie aus Waldmaterial ein kleines Kunstwerk. Es soll etwas sein, das man im Wald<br />
sonst nicht antrifft. Es ist den Kindern überlassen, ob sie etwas ganz Kleines, Verstecktes machen<br />
wollen oder etwas Grosses, Auffälliges.<br />
Anschliessend spazieren die Kinder in ihren Gruppen dem festgelegten Weg entlang und suchen<br />
die Kunstwerke der anderen. Gelingt es allen, die Werke der anderen zu entdecken?<br />
I - 39
Kapitel 5<br />
Laub fliegen lassen<br />
Förderbereiche: Objekterfahrung, Kooperation.<br />
Breiten Sie ein Tuch auf den Boden aus. Die Kinder legen einen Haufen Laub darauf. Nun fassen<br />
die Kinder – so viele, wie Platz finden – das Tuch dem Rand entlang und heben es vorsichtig hoch.<br />
Auf ein Kommando hin ziehen die Kinder am Tuch, so dass es sich streckt und das Laub in die<br />
Höhe geschleudert wird. Je nach Windverhältnissen und Trockenheit des Laubes fliegt es hoch,<br />
wird weg geweht oder landet – zumindest teilweise – wieder auf dem Tuch.<br />
Sehr wahrscheinlich entwickeln die Kinder mit dieser Erfahrung sehr rasch Ideen, wofür sich Laub<br />
sonst noch verwenden lässt.<br />
Rinden sind verschieden<br />
Förderbereiche: visuelle Konzentration, taktile Wahrnehmung, Sachwissen.<br />
Notieren Sie auf Zettel verschiedene mögliche Eigenschaften von Baumrinden, zum Beispiel trocken,<br />
feucht, glatt, rauh, ledrig, mosig, schuppig, längsrissig, querrissig, locker, weich, hart, kalt,<br />
warm, sich in Streifen ablösend, sich in Ringen ablösend etc. Es ist auch möglich, dass Sie die Zettel<br />
gemeinsam mit den Kindern vorbereiten oder ihnen in Gruppen die Aufgabe geben, eine Anzahl<br />
Zettel vorzubereiten.<br />
Die Kinder bilden Gruppen, und jede Gruppe erhält eine Anzahl der vorbereiteten Zettel. In einem<br />
bestimmten Waldabschnitt suchen sie nach Bäumen, deren Rinde die betreffende Eigenschaft<br />
aufweist. Der passende Ausdruck wird mit einer Stecknadel an den Baum geheftet. So entsteht ein<br />
grosses «Museum» mit lauter beschrifteten Bäumen. Anschliessend werden die Bäume der anderen<br />
Gruppen besichtigt (aus Anderegg Band 1).<br />
Fuchs und Mäuse<br />
Förderbereiche: Grobmotorik, Raumerfahrung.<br />
Kennzeichnen Sie in einem begrenzten Waldareal eine Anzahl Bäume mit farbigen Bändern – etwa<br />
halb so viele, wie die Gruppe Kinder aufweist. Die Bänder markieren die Mauselöcher. Ein Kind<br />
schlüpft in die Rolle des Fuchses. Die anderen sind Mäuse, die sich vor dem Fuchs in Sicherheit<br />
bringen müssen.<br />
Der Fuchs versucht also, die Mäuse durch Berühren zu fangen. Die Mäuse können sich in den<br />
Mauselöchern in Sicherheit bringen, indem sie einen der markierten Bäume mit den Armen umfassen.<br />
Doch es passt nur eine Maus ins jeweilige Loch. Kommt also eine Maus zu einem bereits besetzten<br />
Loch, wird die erste Maus vertrieben und muss sich nach einem neuen Loch umsehen.<br />
Wer berührt wird, wird selber zum Fuchs (aus Niederberger 1996).<br />
Geschichten erfinden<br />
Förderbereiche: Kreativität, Kooperation, Objekterfahrung.<br />
Teilen Sie die Klasse in Gruppen ein. Jede Gruppe erhält einige Gegenstände aus dem Wald, zum<br />
Beispiel Ästchen, Blätter oder Früchte. Jede Gruppe erfindet damit eine Geschichte. Sie können<br />
die Gegenstände als das einbauen, was sie sind, oder aus dem Tannenzapfen einen Zwerg und<br />
aus dem Moos ein Bettchen machen. Die Geschichten werden aufgeschrieben und/oder anschliessend<br />
den anderen erzählt.<br />
I - 40
Kapitel 6<br />
6. Innen- und Aussenraumgestaltung<br />
In Kapitel 1 war bereits einmal davon die Rede, welche Materialien und Geräte, welches Mobiliar<br />
und welche Raumgestaltung die Bewegungs-, Entdeckungs- und Spiellust von Kindern besonders<br />
anregen: Geeignet sind vor allem solche Sachen, die beeinflussbar und veränderbar sind und deren<br />
Sinn und Verwendungszweck nicht gänzlich vorbestimmt ist, die sowohl individuelle Beschäftigungen<br />
als auch gemeinsame Aktivitäten erlauben. So können die Kinder eigene Bedürfnisse, Interessen,<br />
Ideen und Vorstellungswelten einbringen; und es ergeben sich vielfältige und abwechslungsreiche<br />
Bewegungsmöglichkeiten. Materialien und Geräte sollten zudem anregend und herausfordernd,<br />
aber nicht überfordernd sein. Darüber hinaus braucht es genügend Raum, damit Kinder<br />
mit unterschiedlichen Bedürfnissen aneinander vorbei kommen.<br />
Diese allgemeinen Überlegungen werden in diesem Kapitel im Bezug auf die Innen- und Aussenraumgestaltung<br />
im Kindergarten und in der Schule fortgesetzt:<br />
• Im Kindergartenalltag gibt es viele Gelegenheiten, im freien Spiel oder mit geführten Aktivitäten<br />
aktiv und somit auch bewegt zu sein. Die Gestaltung und Ausstattung der Innen- und Aussenräume<br />
des Kindergartens bestimmen dabei mit, welche Möglichkeiten sich eröffnen und welche<br />
Aktivitäten sich also entfalten. Gerade die alltäglichen Bewegungsmöglichkeiten sind dabei für<br />
die senso-motorische Entwicklung von besonderer Bedeutung. Deshalb finden Sie in diesem<br />
Kapitel einige Ausführungen zur Gestaltung von Innen- und Aussenräumen des Kindergartens.<br />
• Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Gestaltung des Pausenplatzes in der Schule. Auch<br />
hier eröffnen sich Möglichkeiten für die senso-motorische Entwicklung von Kindern. Dazu finden<br />
Sie in diesem Kapitel einige Überlegungen und Anregungen. In den Klassenräumen kommt die<br />
senso-motorische Entwicklung etwa beim entdeckenden Lernen, in der Musik und in gestalterischen<br />
Fächern zum Zug; entsprechend ist auch hier eine reiche Ausstattung wünschenswert.<br />
Darüber hinaus geht es bei der Gestaltung von Klassenräumen unter dem Blickwinkel «Bewegung»<br />
um die Möglichkeit von bewegten Pausen (vgl. Kapitel 11), um die ergonomische Möblierung<br />
sowie allenfalls um die Bedürfnisse von Kindern mit Bewegungs-, Lern- und Arbeitsschwierigkeiten<br />
(vgl. Kapitel 12).<br />
Aussen- und Innenräume im Kindergarten<br />
Der erste Abschnitt in diesem Kapitel hat es bereits gesagt: Für die Bewegungsförderung in Kindergärten<br />
sind vor allem solche Gegenstände und Materialien wertvoll, die beeinflussbar und veränderbar<br />
sind und deren Sinn und Verwendungszweck nicht gänzlich vorbestimmt ist. Zum Beispiel<br />
bieten sich an: Joghurtbecher, Kartonrollen, Papierteller oder Zeitungen; Schachteln, Kisten, Büchsen<br />
oder Flaschen; Reifen, Seile, Luftballone oder Bälle; Tücher, Wolldecken, Netze oder Verkleidungsstücke;<br />
Schaumstoffwürfel, Kissen, Teppichreste oder Matratzen, Schläuche, Röhren, Fässer<br />
oder Autoreifen; Bretter, Rundhölzer, Harassen oder Fahr- und Rollgeräte; Knetmasse, Fingerfarben,<br />
Stifte und Papier.<br />
Geräte, Materialien und Gegenstände sind wichtig für vielseitige Bewegungserfahrungen von Kindern.<br />
Sie geben Impulse, regen die Neugierde und spielerische Aktivitäten an und sind die Basis<br />
für viele konkrete Bewegungs-, Sinnes-, Raum-, Objekt- und Formerfahrungen. Für Kinder ist es<br />
ausserordentlich spannend, den Sinn eines Gegenstandes selber zu erfinden, also zum Beispiel<br />
ein Tisch mit einem Tuch zu bedecken und so in eine Höhle zu verwandeln. Der Tisch kann aber<br />
auch als Berg dienen und das Tuch als Schutz gegen den in der Phantasie eisigen Wind auf der<br />
Bergspitze. Oder umgedreht wird der Tisch zum Schiff, und das Tuch wird zum Segel.<br />
I - 41
Kapitel 6<br />
Es braucht nicht unbedingt viel und auch nicht unbedingt ausgefallenes Material. Es braucht vor allem<br />
die Erlaubnis, die vorhandenen Möbel, Geräte, Gegenstände und Materialien auch unkonventionell<br />
nutzen zu dürfen, also eben zum Beispiel einen Tisch zu besteigen oder umzudrehen. Das<br />
selbe gilt auch für die verschiedenen Räume im Kindergarten, auch sie lassen sich über ihre festgelegte<br />
Funktion hinaus verwenden: Treppen zum Springen, ein Flur zum Hüpfen oder Pedalofahren,<br />
eine Garderobennische als Entspannungsinsel, der Putzschrank zum Verstecken etc.<br />
Dies bedeutet nicht, dass Sie die Zweckbestimmung eines Gegenstandes oder eines Raumes immer<br />
nur den Kindern überlassen müssen. Mit der Einrichtung und Gestaltung Ihres Kindergartens<br />
geben Sie den Kindern Anregungen, und Kinder mit verschiedenen Bedürfnissen finden je ihre eigenen<br />
Nischen. Aus dem Blickwinkel der senso-motorischen Entwicklung bieten sich zum Beispiel<br />
Orte zum Verkriechen und Verstecken oder eine Kletterecke mit Sprossenwand und Strickleiter an.<br />
Dabei bleibt es nach wie vor den Kindern überlassen, wie sie ihr Spiel definieren: Das Versteck<br />
kann zum Beispiel Iglu oder Bärenhöhle sein, die Strickleiter auf einem Piratenschiff oder an einem<br />
Berg hängen.<br />
Auch ist es nicht zwingend, dass Sie sämtliche Gegenstände permanent zur Verfügung haben oder<br />
Einrichtungen ständig belassen. Die Abwechslung hat für Kinder einen eigenen Reiz. Vielleicht haben<br />
Sie zum Beispiel grössere Kartonkisten nicht ständig auf Lager, aber organisieren zu einer bestimmten<br />
Gelegenheit eine Anzahl davon und überlassen sie den Kindern zum Spiel – zum Stapeln,<br />
gemeinsam mit einem Rollbrett zum Transportieren, als Puppenstube oder bei ganz grossen<br />
Schachteln auch zum Verstecken oder zum hinein Sitzen als Auto. Nach geraumer Zeit sind die<br />
Schachteln dann so verschlissen, dass sie auseinandergenommen noch als Zeichnungsunterlagen<br />
dienen können. Dafür wenden sich die Kinder wieder anderen Materialien und Spielen zu.<br />
Die Kinder können von einem Zuviel an Material auch überfordert sein, vor allem wenn sie die<br />
Möglichkeiten der einzelnen Gegenstände noch wenig entdeckt haben. Es kann sich also lohnen,<br />
verschiedene Materialien an Lager, aber für die Kinder nicht sichtbar zu haben. Haben die Kinder<br />
schon verschiedene Geräte kennengelernt und möchten etwas bestimmtes in ihr Spiel einbeziehen,<br />
dürfen Sie bei Ihnen danach fragen. So können Sie die situativen Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen.<br />
Zum Beispiel bringen Sie vielleicht einmal einen Sack Luftballone mit und entdecken<br />
gemeinsam mit den Kindern, was sich damit alles spielen lässt. Anschliessend werden die Ballone<br />
noch eine Zeit lang aktuell bleiben, die Kinder werden gewisse Spiele wiederholen und neue Spielvarianten<br />
entdecken. Mit der Zeit stehen die Ballone nicht mehr so exklusiv im Vordergrund, werden<br />
von den Kindern aber selbstverständlicher in ihr Spiel einbezogen und können deshalb jederzeit<br />
wieder nachgefragt werden.<br />
Installationen bringen Abwechslung<br />
Abwechslung in den Kindergartenalltag und viel Anregung für die senso-motorische Förderung<br />
bringen auch Installationen im Innen- oder Aussenraum, die Sie eine gewisse Zeit belassen, dann<br />
aber auch wieder entfernen, zum Beispiel (aus Zimmer 1997):<br />
• Der Sinnespfad: Eine Reihe von flachen Behältern (z.B. Kartons, Becken) wird hintereinander<br />
gelegt und mit je einem Material gefüllt (z.B. Sand, Sägespäne, Blätter, Stroh, Watte, Murmeln,<br />
Stoffe, Kiesel). Die Kinder schreiten mit nackten Füssen, mit offenen oder verbundenen Augen<br />
über den Pfad, nehmen die verschiedenen Materialien mit den Füssen wahr und versuchen allenfalls<br />
zu erraten, was sie spüren.<br />
• Die Tastsammlung: Ganz ähnlich lässt sich eine Anzahl von Stoffsäckchen mit Gegenständen<br />
füllen, zum Beispiel Schnur, Holzklötze, Wäscheklammern, Kichererbsen oder Eicheln. Die<br />
Säckchen werden im Zimmer aufgehängt. Die Kinder versuchen, durch Tasten zu erraten, was<br />
darin versteckt ist.<br />
• Spiegelfolie: Spiegelfolie lässt sich auf den Boden oder an die Unterseite einer Tischplatte kleben,<br />
so dass sich die Kinder aus ganz ungewohnter Perspektive selber betrachten können.<br />
I - 42
Kapitel 6<br />
• Reifen mit Chiffontüchern: Die Chiffontücher werden an den Reifen geknotet; der Reifen mit<br />
Bändern oder einer Schnur an der Decke befestigt (Bild). Die Tücher bewegen sich bei leichten<br />
Luftzügen; die Kinder berühren die Tücher, stellen sich unter den Reifen und lassen die Tücher<br />
übers Gesicht streichen. Besonders spannend ist es für die Kinder, wenn Sie unter den Reifen<br />
eine drehbare Scheibe (Varussell) stellen. Die Kinder können so während der Drehung gemütlich<br />
sitzen und die Tücher erfühlen oder auch den Reifen in Drehung versetzen.<br />
• Vorhänge mit Klangkörpern oder Tasterlebnissen: Gemeint ist nicht ein geschlossener Vorhang,<br />
sondern eine Anzahl neben einander hängender Schnüre. Befestigen Sie an diesen<br />
Schnüren Gegenstände, zum Beispiel Glöckchen, Kronenkorken, Korkzapfen, Wäscheklammern,<br />
Stoffstücke, Wollfäden oder Plastikplättchen. Die Kinder berühren die Gegenstände mit<br />
den Händen oder dem Gesicht und nehmen dabei die taktilen Reize wahr oder bringen den<br />
Vorhang zum Klingen. Ein solcher Vorhang lässt sich auch als Raumteiler einsetzen.<br />
• Tockenplanschbecken: Mit einem Planschbecken wissen die Kinder sofort etwas anzufangen:<br />
Sie tummeln sich darin. Als Trockenmaterial zum Füllen gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten,<br />
zum Beispiel Stroh, Kastanien, Eicheln oder Kirschsteine. Je nach gewähltem Material<br />
müssen sich die Kinder intensiv beteiligen, um das Becken zu füllen. Durch den intensiven Kontakt<br />
mit dem Material kommen die Kinder bestimmt auf viele weitere Ideen, was damit sonst<br />
noch alles zu spielen ist.<br />
Die Kinder besuchen die Installationen im geführten oder freien Spiel. Bestimmt helfen sie bei der<br />
Umsetzung der Ideen begeistert mit. So wird schon das Gestalten, und nicht erst das nachfolgende<br />
Spiel zum Sinneserlebnis. Mit solchen Erlebnissen machen die Kinder die Erfahrung: Der Kindergartenraum<br />
ist nicht fertig gestaltet; wir dürfen eigene Ideen einbringen und unsere Spielumgebung<br />
verändern und mitgestalten. Die Kinder lernen so, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, einzubringen<br />
und Verantwortung für ihr eigenes Spiel zu übernehmen. Sie werden sich intensiver mit dem<br />
Raum identifizieren und lieber darin spielen, wenn sie ihn ein Stück weit als «ihren» Raum empfinden.<br />
Damit ist auch die Hoffnung verbunden, dass sie sorgsamer mit den Gegenständen und Materialien<br />
umgehen.<br />
I - 43
Kapitel 6<br />
Die Aussenräume des Kindergartens<br />
Das bisher Gesagte bezieht sich vor allem auf den Innenraum des Kindergartens, auch wenn sich<br />
einige der genannten Materialien wie zum Beispiel die Bretter oder Autoreifen auch oder sogar<br />
besser im Freien verwenden lassen. Das Gesagte gilt jedoch grundsätzlich auch für den Aussenraum:<br />
Auch hier sind Geräte und Materialien gefragt, die in ihrem Verwendungszweck nicht endgültig<br />
vorbestimmt sind. Auch hier gilt es, bisher ungenutzte Räume mit etwas Phantasie zu erobern.<br />
Auch hier bringen temporäre Installationen Abwechslung. Auch hier benötigen die Kinder über die<br />
materiale Ausstattung hinaus die Erlaubnis, ihrem Spiel- und Bewegungstrieb freien Lauf zu lassen.<br />
Mobile Geräte wie Kisten, Bretter oder Rollbretter bringen es zwar mit sich, dass sie jeweils aufgeräumt<br />
und irgendwo gelagert werden müssen. Die Spielmöglichkeiten erweitern sich dadurch aber<br />
derart, dass sich der Aufwand auf jeden Fall lohnt.<br />
Über diese allgemeinen Feststellungen hinaus empfehlen sich dieselben Überlegungen, die im<br />
nächsten Abschnitt für den schulischen Pausenplatz gemacht werden. Deshalb wird an dieser Stelle<br />
nicht mehr spezifisch auf den Aussenraum von Kindergärten eingegangen. Nur das Resultat einer<br />
wissenschaftlichen Studie sei an dieser Stelle noch erwähnt:<br />
In einer norwegischen Studie zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Umgebungsgestaltung<br />
eines Kindergartens und den Bewegungsfähigkeiten der Kinder. 5- bis 7-Jährige, deren Kindergarten<br />
eine natürliche, abwechslungsreiche und gestaltbare Umgebung mit Bäumen und Felsen zum Klettern,<br />
Balancieren und Herunterrutschen aufwies, zeigten eine eindeutig bessere körperliche Leistungsfähigkeit<br />
(insbesondere ein besseres Gleichgewicht) als Kinder eines Kindergartens ohne diese Angebote (Zahner<br />
2004).<br />
Der Pausenplatz als Bewegungsraum<br />
Auch wenn die Pausen im Vergleich zum ganzen Schulmorgen wenig Zeit einnehmen: Für die Kinder<br />
und Jugendlichen sind sie wichtig. Entsprechend werden die Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten<br />
intensiv genutzt – mindestens auf jenen Schulhausplätzen, auf denen dies möglich ist. Entsprechend<br />
tragen Pausenaktivitäten dazu bei, die senso-motorische Entwicklung von Kindern zu<br />
<strong>fördern</strong>, sie dienen der Erholung von der Denkarbeit und unterstützen die Konzentration (vgl. auch<br />
Kapitel 11).<br />
Auf nicht wenigen Pausenplätzen gibt es zum Beispiel eine Kiste mit Bewegungsspielen und -geräten<br />
wie zum Beispiel Bälle und Springseile, Reifen und Stelzen, Jonglierobjekte und Diabolos,<br />
Rollbretter und Pedalos oder auch einmal mit einem Einrad oder einem Schwungtuch. Die Kinder<br />
bedienen sich selber aus der Kiste und sorgen nach der Pause wieder für Ordnung.<br />
I - 44
Kapitel 6<br />
Auch Grossgeräte zum Schaukeln, Klettern, Balancieren, Drehen oder Rutschen laden natürlich<br />
zum Bewegen ein. Je nach Ausführung sind der Aufforderungscharakter und die Variationsmöglichkeiten<br />
jedoch sehr unterschiedlich. Nicht alle Grossgeräte sind für Kinder also gleich anregend<br />
und herausfordernd. Zudem sind sie in der Anschaffung in der Regel teuer. Es kann sich also lohnen,<br />
sich nach Gestaltungselementen umzusehen, die nicht alleine der Bewegung dienen und dafür<br />
einen umso höheren Aufforderungscharakter und breitere Variationsmöglichkeiten haben. Die<br />
Beispiele aus dem Wald (vgl. Kapitel 5) zeigen, dass gerade solche Elemente die Kinder sehr stark<br />
zum Spielen, Erfinden und Bewegen anregen.<br />
Auf einem Pausenplatz sind das zum Beispiel folgende Gestaltungselemente: Wege, Bodenerhebungen<br />
(Hügel, Steine, Bänke, Baumstämme etc.), Mulden und Senken, Blickfänge und Klangobjekte,<br />
Ziele zum Treffen (Körbe, Netze, Tore, Stangen etc.), Möglichkeiten zum Verstecken (Büsche,<br />
Bäume, Weidenhäuser etc.) sowie alles, was sich in Bewegung, Drehung oder Schwingung<br />
versetzen lässt. Bewegliche Elemente wie Kies, Sand, Harrassen, Bretter, Rundhölzer, Röhren,<br />
Fässer oder eine Wasserstelle laden zum Gestalten und Experimentieren ein.<br />
Gestaltungselemente können zudem dazu dienen, Räume zu unterteilen. So können verschiedene<br />
Gruppen verschiedenen Beschäftigungen nachgehen. Die verschiedenen Bereiche können sehr<br />
unterschiedlich gross sein. Die Begrenzungselemente müssen nicht undurchdringlich sein. Im Gegenteil:<br />
Niveauunterschiede (z.B. Treppenstufen), Belagwechsel (z.B. vom Kiesplatz zu Holzschnitzel)<br />
oder Barrieren (Büsche, Steine, Bänke etc.) sorgen für eine dezente Gliederung und<br />
schaffen ihrerseits Spielanregungen. So dient ein bestimmtes Gestaltungselement verschiedenen<br />
Zwecken: Es kann sich ein Spiel rund um ein Element entfalten, oder zwei verschiedene Aktivitäten<br />
dies- und jenseits eines Elements.<br />
Begegnung und friedliches Miteinander<br />
Eine solche Gestaltung kommt zudem einem weiteren Bedürfnis von Kindern und Jugendlichen<br />
entgegen: der Begegnung. In der Pause finden sich die Schülerinnen und Schüler vorwiegend in<br />
Kleingruppen. Der Pausenplatz kommt dem entgegen, wenn er zahlreiche Anhalts-Punkte wie Nischen<br />
oder Sitzgelegenheiten bietet: Treppenstufen, Mauerabsätze, Arenen, grosse Steine, Bänke<br />
etc. Günstig ist eine kommunikative Anordnung im Winkel anstelle der linearen Aufreihung. Auch<br />
diese Elemente dienen nicht nur dem Sitzen und der Begegnung, sondern können zu anderen<br />
Zeitpunkten zum Bewegen und Spielen einladen oder eben als Raumbegrenzung dienen.<br />
Und noch einem weiteren Anliegen der Schule sowie der Kinder und Jugendlichen kommt eine solche<br />
Gestaltung entgegen: dem friedlichen Nebeneinander. Schülerinnen und Schüler fühlen sich<br />
auf dem Pausenplatz unwohl, wenn sie für ihre Bedürfnisse keine Befriedigung finden oder gar<br />
Angst haben müssen – zum Beispiel wenn Kinder buchstäblich an den Rand gedrängt werden, weil<br />
ein paar laute und kräftige Schüler das gesamte Areal in Beschlag nehmen. Das kann vor allem<br />
dann passieren, wenn der Pausenplatz eine einzige ungegliederte Fläche ist. Die Orte für ruhigere<br />
Tätigkeiten fehlen, verschiedene Gruppen mit verschiedenen Bedürfnissen kommen sich unvermittelt<br />
ins Gehege, und das ungezielte Umherrennen provoziert Zusammenstösse und Unfälle.<br />
Für eine vielfältige und anregende Gestaltung kann es nötig und hilfreich sein, bisher nicht genutzte<br />
Flächen zu erschiessen: Gewisse Flächen darf man vielleicht nicht betreten, oder sie sind mit<br />
bodenbedeckenden Sträuchern bepflanzt. Dies verunmöglicht eine sinnvolle Nutzung. Hier lässt<br />
sich «Land gewinnen».<br />
Regeln und Abmachungen<br />
Neben der Gestaltung ist auch an die Regeln zu denken: Gewisse Regelungen hemmen, andere<br />
<strong>fördern</strong> den Bewegungs-, Spiel- und Entdeckungstrieb von Kindern. Zu denken ist dabei zum Beispiel<br />
an den Ordnungssinn von Erwachsenen. Eine gepflegte Umgebung kann Kindern Sicherheit<br />
vermitteln und so deren Spiel <strong>fördern</strong>. Wo eine Umgebung aber als steril empfunden wird, ist sie<br />
I - 45
Kapitel 6<br />
eher hemmend. Kinder wollen zum Beispiel Spuren hinterlassen. Gewisse Spiele setzen zum Beispiel<br />
dort ein, wo Spielspuren des Vortages noch sichtbar sind und als Impuls wirken.<br />
Im Interesse der Bewegungsförderung kann es sich so lohnen, die geltenden Regelungen zu überprüfen<br />
und allenfalls anzupassen. Weiter kann es sich lohnen, die Kinder bei der Erarbeitung von<br />
Regelungen einzubeziehen. Denn sie haben ihre eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen und<br />
können so mit-beurteilen, welche Regelungen notwendig und sinnvoll sind. Eine reizvolle Ergänzung<br />
zu einer allfälligen Verbots-Liste ist übrigens eine Erlaubt-Liste. Sie wird von den Kindern mitgestaltet<br />
und kann in ständiger Wandlung sein, so dass sie immer neue Ideen und Anregungen<br />
vermittelt. Die Kinder freuen sich in der Regel darüber, wenn sie eigene Ideen für die Liste beisteuern<br />
dürfen. So übertragen Sie den Schülerinnen und Schülern Verantwortung für «ihren» Pausenplatz.<br />
Das selbe gilt auch für die Verwaltung einer allfälligen Spielekiste (siehe oben). Die Kinder sollen<br />
lernen, selber Verantwortung für die Ordnung zu übernehmen. Falls das individuell nicht klappt,<br />
können Sie die «Verwaltung» der Geräte einer Klasse übertragen.<br />
Mit einer anregenden Gestaltung des Pausenplatzes ist auch die Hoffnung verbunden, dass die<br />
Schülerinnen und Schüler ihren natürlichen Bedürfnissen wie zum Beispiel Bewegung und Spiel,<br />
Begegnung und friedlichem Miteinander so weit Nahrung geben können, dass sie weniger stören,<br />
beschädigen oder über die Stränge hauen müssen. Dadurch erübrigen sich auch gewisse Verbote<br />
und Gebote, die auf einem althergebrachten Pausenplatz vielleicht nötig erschienen.<br />
I - 46